[87] Nordlands wunderschöne Jungfrau,
Eine Zier von Land und Wasser,
Saß grad' auf der Lüfte Bogen,
Glänzte an des Himmels Wölbung
In dem strahlenden Gewande,
In dem schimmerhellen Kleide;
Webte ein Geweb' von Goldstoff,
Wirkte sorgsam Silber drunter,
Golden war das Weberschiffchen
Und der Weberkamm von Silber.
Lustig saust' das Weberschiffchen,
Flog die Spule durch die Hände,
Knarrend regten sich die Schäfte,
Rauscht' der Silberkamm in Eile
Am Geweb' der schönen Jungfrau,
Die mit Silber sorgsam wirkte.
Wäinämöinen alt und wahrhaft
Jagte lärmend auf dem Wege
Aus dem nimmerhellen Nordland,
Aus dem düstern Sariola;
War gar wenig noch gefahren,
War sehr weit nicht fortgekommen,
Hört des Weberschiffleins Schwirren
Grade über seinem Haupte.[88]
Hob den Kopf da in die Höhe,
Schaute rasch empor zum Himmel:
Steht ein Bogen schön am Himmel,
Eine Jungfrau auf dem Bogen,
Webet ein Gewand von Goldstoff,
Wirket rauschend mit dem Silber.
Wäinämöinen alt und wahrhaft
Hält gleich an mit seinem Rosse,
Redet Worte solcher Weise,
Läßt sich selber also hören:
Komm, o Jungfrau, in den Schlitten,
Setze dich an meine Seite!
Antwort gibt ihm so die Jungfrau,
Also redet sie und fragt ihn:
Was wohl soll ich in dem Schlitten,
Was das Mädchen in dem Fahrzeug?
Wäinämöinen alt und wahrhaft
Gab ihr Antwort solcher Weise:
Deshalb sollst du in den Schlitten,
Du, o Jungfrau, hier dich setzen,
Daß du Honigbrot mir backest,
Daß das Bier du mir bereitest,
Auf den Bänken munter singest,
An dem Fenster dich erfreuest
In den Räumen von Wäinölä,
Auf den Höfen Kalewalas.
Doch die Jungfrau redet also,
Gibt zur Antwort diese Worte:
Ging zum bunten Blumenfelde,
Schaukelt' auf der gelben Heide
Gestern in der Abendspäte,
Nach dem Sonnenuntergange,
Hörte dort ein Vöglein singen,[89]
Hörte eine Drossel zwitschern,
Singen von dem Sinn des Mädchens,
Von dem Sinn der Schwiegertochter.
Fragte da den guten Vogel,
Sprach zu ihm auf diese Weise:
O du liebe Ackerdrossel,
Singe, daß ich's recht vernehme,
Wie ist's besser wohl zu leben,
Wie zu leben angenehmer:
Als ein Mädchen bei dem Vater
Oder bei dem Mann als Gattin?
Auskunft gab der liebe Vogel,
Also zwitscherte die Drossel:
Sonnenhell sind Sommertage,
Heller noch die Mädchenfreiheit,
Kalt wohl ist im Frost das Eisen,
Kälter lebt die Schwiegertochter,
Gleicht das Mädchen, das zu Hause,
Einer Beer' auf gutem Boden,
Ach, so ist die Frau beim Manne
Wie ein Hund nur an der Kette,
Selten wird dem Knechte Gnade,
Nimmermehr der Frau gewähret.
Wäinämöinen alt und wahrhaft
Redet selber diese Worte:
Albern ist des Vogels Singen,
Dummes Zeug der Drossel Zwitschern;
Kind stets bleibt zu Haus' das Mädchen,
Wird als Frau erst recht geehret;
Komm, o Jungfrau, in den Schlitten,
Setze dich an meine Seite;
Bin als Mann nicht zu verachten,
Schlechter nicht als andre Helden.[90]
Klüglich antwortet das Mädchen,
Redet Worte solcher Weise:
Möchte dann für einen Helden,
Dann für einen Mann dich achten,
Wenn du mir ein Haar gespalten
Mit dem Messer ohne Spitze,
Wenn ein Ei du eingeknotet,
Ohne daß die Schling' zu merken.
Wäinämöinen alt und wahrhaft
Spaltete das Haar behende
Mit dem Messer ohne Spitze,
Das der Schärfe sehr entbehrte,
Bracht' das Ei dann in den Knoten,
Ohne daß die Schling' zu merken;
Bat das Mädchen in den Schlitten,
Bat sie, auf den Sitz zu kommen.
Klüglich antwortet das Mädchen:
Nimmer komm' ich in den Schlitten,
Wenn den Stein du mir nicht schälest,
Einen Stock aus Eis mir hauest,
Ohne daß die Splitter springen,
Ohne daß ein Spänchen sprühet.
Wäinämöinen alt und wahrhaft
Ist doch keineswegs verlegen,
Schälet rasch des Steines Rinde,
Haut den Stock ihr aus dem Eise,
Ohne daß die Splitter springen,
Ohne daß ein Spänchen sprühet;
Ruft die Jungfrau in den Schlitten,
Ruft auf seinen Sitz das Mädchen.
Klüglich antwortet das Mädchen,
Redet Worte solcher Weise:
Möchte dem mich nur gesellen,[91]
Der ein Boot mir zimmern könnte
Aus den Splittern meiner Spindel,
Aus den Stücken meiner Spule,
In das Wasser dann es führte,
In die Flut das neue Schifflein,
Ohne mit dem Knie zu stoßen,
Ohn' es mit der Hand zu fassen,
Mit dem Arme es zu wenden,
Mit der Schulter es zu leiten.
Spricht der alte Wäinämöinen
Selber Worte dieser Weise:
Niemand lebt wohl auf der Erde,
Niemand unterm Himmelsdache,
Der gleich mir ein Fahrzeug bauet,
Niemand, der gleich mir es zimmert.
Nimmt darauf der Spindel Splitter,
Nimmt der Spule krummes Ende,
Eilet fort das Boot zu bauen,
Hundert Bretter drein zu zimmern,
Zu dem stahlgefüllten Berge,
Zu dem eisenreichen Felsen.
Zimmert' um die Wett' am Boote,
Baute prahlerisch den Nachen,
Zimmert' einen Tag, den zweiten,
Zimmerte am dritten Tage;
Nicht geriet die Axt an Steine,
Nicht die Schneide an den Felsen.
Endlich an dem dritten Tage
Lenkte Hiisi rasch den Beilschaft,
Lempo faßte an der Schneide,
Gab dem Schafte kräft'ge Stöße,
Daß die Axt zum Steine schnellte
Und die Schneide hin zum Felsen;[92]
Ab vom Steine prallt' das Eisen,
In das Fleisch fuhr da die Schneide,
In das Knie des armen Mannes,
In die Zehe Wäinämöinens,
Lempo trieb ins Fleisch das Eisen,
Hiisi fügt' es in die Adern,
Heftig flutete der Blutstrom,
Schoß hervor mit starkem Strahle.
Wäinämöinen alt und wahrhaft,
Dieser ew'ge Zaubersprecher,
Redet Worte solcher Weise,
Läßt auf diese Art sich hören:
O du Beil mit scharfem Schnabel,
O du Axt mit ebner Schneide,
Dachtest einen Baum zu beißen,
Eine Fichte zu verwunden,
Eine Föhre zu befehden,
Eine Birke anzufallen,
Hast die Sehnen mir versehret,
Hast die Adern mir durchschnitten!
Hebt dann an mit Zaubersprüchen,
Selbst beginnt er da zu sprechen
Ursprungsworte heilgewaltig,
Jedes Grundwort recht vollkommen;
Nicht besinnt er sich auf ein'ge
Große Worte von dem Eisen,
Daß er einen Riegel schaffe
Und ein festes Schloß bereite
Jenen Wunden durch das Eisen,
Die der blaue Mund gerissen.
Schon in Bächen floß der Blutstrahl,
Brauste wie ein Strom im Sturze,
Überzog die Beerensträucher[93]
Und die Kräuter auf den Fluren;
Gab gewiß dort keinen Rasen,
Der nicht überschwemmet worden
Von dem ungeheuren Blutstrom,
Der gar rauschend vorwärts jagte
Aus dem Knie des braven Helden,
Aus der Zehe Wäinämöinens.
Wäinämöinen alt und wahrhaft
Pflückte Flechten von den Steinen,
Holte Moos sich aus dem Sumpfe,
Rupfte Rasen von dem Boden,
Um das große Loch zu stopfen,
Um die Wunde zu verschließen,
Hatte aber kein Gelingen,
Konnt' das Blut durchaus nicht stillen.
Wurde von dem Schmerz gepeinigt,
Schon empfand er große Mühsal;
Wäinämöinen alt und wahrhaft
Fing gar heftig an zu weinen,
Schirrte dann sein Roß behende,
Spannt' das braune vor den Schlitten,
Setzte sich alsdann mit Mühe
Und erhob sich in dem Schlitten.
Schlug das Roß mit seiner Gerte,
Klatschte mit der prächt'gen Peitsche;
Munter lief das Roß von dannen,
Daß die Bahn gar bald zurückblieb,
Bis sie einem Dorfe nahten,
Wo der Weg sich dreifach teilte.
Wäinämöinen alt und wahrhaft
Fuhr den untersten der Pfade
Hin zum untersten der Höfe,
Fragte an der Schwelle stehend:[94]
Ist wohl in dem Hause jemand,
Der des Eisens Taten schauen,
Der des Helden Schmerz erkennen,
Der die Wunde heilen könnte?
Saß ein Knabe auf dem Boden,
An dem Ofen dort ein Kindlein;
Gab zur Antwort diese Worte:
Niemand ist in diesem Hause,
Der des Eisens Taten schauen,
Der des Helden Schmerz erkennen,
Der dem Leid ein Ende setzen,
Der die Wunde heilen könnte;
Wohnt vielleicht in anderm Hause,
Fahre du zu anderm Hause.
Wäinämöinen alt und wahrhaft
Schlug das Roß mit seiner Gerte,
Rauschte hurtig fort des Weges,
War ein wenig nur gefahren
Auf dem mittelsten der Pfade
Zu dem mittelsten der Höfe,
Fragte an der Schwelle stehend,
Forschte also an dem Fenster:
Ist wohl in dem Hause jemand,
Der des Eisens Taten schauen,
Der den Blutfluß hemmen könnte,
Der der Adern Strömung stillte?
Lag ein altes Weib bedecket,
Vor dem Ofen das gespräch'ge,
Gab sofort zur Antwort dieses,
Klappert mit der Zähne Dreizahl:
Niemand ist in diesem Hause,
Der des Eisens Taten schauet,
Der des Blutes Ursprung wüßte,[95]
Der die Schmerzen stillen könnte;
Wohnt vielleicht in anderm Hause,
Fahre du zu anderm Hause.
Wäinämöinen alt und wahrhaft
Schlug das Roß mit seiner Gerte,
Rauschte rasch dahin des Weges,
War gar wenig noch gefahren
Auf dem obersten der Pfade
Zu dem obersten der Höfe,
Fragte an der Schwelle stehend,
An des Schirmdachs starker Stütze:
Ist wohl in dem Hause jemand,
Der des Eisens Taten schauen,
Der die Blutflut bannen könnte
Und dem Strom ein Ende setzen?
Auf dem Ofen saß ein Alter,
An dem Ofenfirst ein Graubart,
Von dem Ofen kreischt der Alte,
Ruft der Greis mit grauem Barte:
Größeres ward schon gedämmet,
Stärkeres ward schon bezwungen
Durch drei Worte nur des Schöpfers,
Durch Erzählung von dem Ursprung,
Bäch' und Seen selbst bezähmet,
Ströme selbst mit jähem Sturze,
Buchten an des Landes Spitzen,
Baien an den schmalsten Zungen.
Buchempfehlung
Der junge Königssohn Philotas gerät während seines ersten militärischen Einsatzes in Gefangenschaft und befürchtet, dass er als Geisel seinen Vater erpressbar machen wird und der Krieg damit verloren wäre. Als er erfährt, dass umgekehrt auch Polytimet, der Sohn des feindlichen Königs Aridäus, gefangen genommen wurde, nimmt Philotas sich das Leben, um einen Austausch zu verhindern und seinem Vater den Kriegsgewinn zu ermöglichen. Lessing veröffentlichte das Trauerspiel um den unreifen Helden 1759 anonym.
32 Seiten, 3.80 Euro
Buchempfehlung
Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Für den zweiten Band hat Michael Holzinger sechs weitere bewegende Erzählungen des Sturm und Drang ausgewählt.
424 Seiten, 19.80 Euro