Kol's Tod.

[59] Eines Tages war Nial mit seinen Söhnen nach Thorolfsfjeld hinauf geritten, um den Betrieb dort zu besichtigen. An demselben Tage traf es sich, daß Bergthora, als sie sich vor dem Hause zu thun machte, einen Mann auf schwarzem Roß, mit einem Speer in der Hand und einem Schwert an der Seite auf den Hof zureiten sah. Sie blieb draußen, und als er den Hof erreichte, fragte sie nach seinem Namen, seiner Heimat und dem Ziel seiner Reise. »Ich heiße Atle,« sagte der Mann, »und komme von den Ostfjorden; ich suche einen Dienst und wollte bei Nial und Skarphedin vorfragen, ob sie mich brauchen können; ich verstehe mich darauf, das Land zu bauen und kann auch andre[59] Arbeit übernehmen. Ich will aber nicht verhehlen, daß ich etwas zänkischer Natur bin und daß dies manchem Mann theuer zu stehen kam.« Bergthora entgegnete, sie wolle ihn nicht schelten, weil er nicht feige sei. »Hast Du vielleicht hier etwas zu befehlen?« fragte Atle. Sie antwortete: »Ich bin Nial's Gattin und befehlige die Dienstleute so gut wie er.« »Willst Du mich annehmen?« fragte Atle. »Ja,« erwiderte Bergthora, »unter der Bedingung, daß Du thust, was ich Dir gebiete, selbst wenn ich Dich aussende zu Mord und Todtschlag.« »Du hast ja Leute genug,« versetzte Atle, »so daß Du mich nicht zu solchen Thaten auszusenden brauchst.« »Darüber will ich selbst bestimmen,« sprach Bergthora. »Nun gut,« sagte Atle, »so laß uns denn unter dieser Bedingung den Handel schließen.« Sie nahm ihn also in Dienst und Pflicht. Als Nial zurückkehrte und Atle erblickte, fragte er, was dies für ein Mann sei. »Dein Dienstmann ist er,« antwortete Bergthora, »ich habe ihn in Dienst genommen; geschickt ist er in seiner Arbeit.« »Freilich,« erwiderte Nial, »scheint er tüchtig in seiner Arbeit zu sein; aber ob alles, was er thut, allzeit gut sein wird, das bezweifle ich.« Skarphedin fand dagegen Gefallen an Atle. Während des Sommers ritt Nial mit seinen Söhnen zum Ting und nahm einen Beutel mit Geld mit. »Was ist das für Geld, Vater?« fragte ihn Skarphedin. »Es ist das Geld, welches Gunnar im vorigen Sommer für Svart erlegte,« entgegnete Nial. »Schwerlich wirst Du Gebrauch dafür finden,« meinte Skarphedin und lachte. Während sie fort waren, fragte Atle eines Tages Bergthora, was er vornehmen solle. »Du sollst ausziehen und Kol suchen, bis Du ihn findest,« sprach sie, »denn heute noch sollst Du ihn tödten.« »Das trifft sich gut,« versetzte Atle, »Todtschläger sind wir ja beide; ich werde ihn schon so anfassen, daß einer von uns daran glauben muß.« »So ist es recht,« sagte Bergthora, »Du wirst es nicht umsonst ausführen.« Darauf nahm Atle seine Waffen, sprang auf ein Pferd und ritt hinauf zum Berghang am Flusse. Dort traf er einige Männer, von denen er erfuhr, daß Kol oben auf der Alm sei. Da spornte er sein Pferd und ritt schnell vorwärts, und als er[60] Kol traf, fragte er, ob seine Arbeit gut von statten gehe. »Das kümmert Dich nicht, Du Lump, noch jemand dort, woher Du kommst,« rief Kol. »Die schwerste Arbeit bleibt Dir noch übrig,« versetzte Atle, »nämlich zu sterben,« und darauf stach er nach ihm mit dem Speer und durchbohrte ihm den Leib. Kol erhob seine Axt gegen ihn, traf ihn aber nicht und stürzte im nächsten Augenblick todt vom Pferde. Atle ritt weiter und als er einige von Halgjerde's Arbeitern traf, sagte er zu ihnen, sie möchten nach Kol sehen, derselbe sei todt vom Pferde gefallen. »Hast Du ihn getödtet?« fragten diese. »Halgjerde wird sich schon vorstellen können, daß er nicht von selbst gestorben ist,« versetzte er und ritt heimwärts. Bergthora dankte ihm sowohl für diese That, als auch für seine Worte. »Was wohl Nial dazu sagen wird?« meinte Atle. »Er wird die Botschaft mit Ruhe anhören,« versetzte Bergthora, »das erkannte ich daraus, daß er das Geld zum Ting mitgenommen hat, welches Gunnar im vorigen Sommer als Buße für Svart zahlte; er wird dasselbe als Buße für Kol zurückzahlen. Aber wenn dort auch ein Vergleich zum Abschluß kommt, so magst Du Dich doch wohl in acht nehmen, denn Halgjerde wird keinen Vergleich halten.« Atle fragte nun, ob sie nicht einen Boten an Nial senden wolle, um das Geschehene zu melden. »Keineswegs,« entgegnete Bergthora, »denn am liebsten sähe ich, daß Kol's Tod ungebüßt bliebe.« Als aber Halgjerde vernahm, was Atle gethan und gesagt habe, meinte sie, er werde seinen Lohn schon dafür empfangen, und entsandte alsbald einen Boten an Gunnar zum Ting, um ihm anzusagen, was vorgefallen sei. Gunnar schickte sogleich einen Mann nach Nial's Hütte und ließ ihn benachrichtigen. Nial schwieg; aber Skarphedin lachte und rief: »Jetzt werden die Sklaven ganz andre Helden als sie früher gewesen sind; vordem hieben sie auf einander ein, ohne daß es weitere Folgen hatte, jetzt aber giebt es Mord und Todtschlag.« Nial nahm seinen Geldbeutel und begab sich sofort, von seinen Söhnen begleitet, nach Gunnar's Hütte. Gunnar kam hervor und trat mit Nial abseits. »Schlimm ist es,« sprach Nial, »daß meine Hausfrau den Frieden gebrochen[61] hat.« »Kein Tadel soll sie deswegen treffen,« erwiderte Gunnar. »Sprich Du nun das Urtheil in dieser Sache,« sagte Nial. »So mögen denn Kol und Svart gleicher Buße werth sein,« versetzte Gunnar, »Du magst mir zwölf Ör Silber geben.« Als er das Geld empfing, erkannte er es sogleich als dasselbe wieder, welches er im vorhergehenden Jahre für Svart erlegt hatte. Nial verfügte sich nach seiner Hütte zurück, und es herrschte her nach zwischen ihm und Gunnar dasselbe gute Verhältniß wie vordem. Als Nial nach Bergthorshvol zurückkam, stellte er Bergthora zur Rede, doch diese erklärte, sie werde niemals Halgjerde nachgeben. Dagegen mußte Gunnar von Halgjerde sich schelten lassen, weil er den Vergleich geschlossen habe, jedoch versicherte er, er werde niemals seinen Freundschaftsbund mit Nial brechen. Sie nahm das gewaltig übel, allein dies beunruhigte ihn nicht. Der Winter verfloß allmählich, und man war von beiden Seiten bemüht, unangenehmen Ereignissen vorzubeugen.

Quelle:
Die Njalssaga. Leipzig 1878, S. 59-62.
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