Die Preisbewerbung.

Eine Kunstnovelle.

[251] Ein reicher Kaufmann in B. hinterließ drei Töchter, und bestimmte in seinem Testament, daß diejenige Universalerbin sein solle, welche nach Jahresfrist vor dem versammelten Rath die höchste Kunstfertigkeit an den Tag lege.

Das Jahr verfloß und die drei Damen erschienen vor dem Rathe, der in plenibus membris versammelt war.

Die erste derselben hatte das ganze Trauerjahr darauf verwendet, ihrem Urinstrahle eine kunstvolle und kräftige Richtung zu geben; – sie präsentirte mit großem Anstande eine Nähnadel[251] mit einem unendlich feinem Oehre – und, o Wunder über Wunder! sie lenkte den sprudelnden Urin durch dieses Oehr vor Aller Augen mit solcher Gewandtheit, daß kein Tropfen weder rechts noch links vorbeilief. – Sodann ließ sie einen Tisch bringen, stellte diesen mitten in den Saal und sich darauf. Eben hatte sie bewiesen, was zarte Kunst vermag; aber jetzt, indem sie mit kräftigem Strahle die dicken Fensterscheiben zerschmetterte, und diese Feuchtigkeit fontaineartig über die Versammlung ergoß – da zeigte sie, was Ausdauer und Muskelkraft leisten können!

Unter stürmischem Applaus trat sie ab.

Die zweite der Schwestern hatte mit deutschem Eifer und wissenschaftlicher Tiefe danach gestrebt, ihre Winde nach Willkür und nach den Regeln der Kunst zu lenken.

Fünf Haferkörner nahm sie, blies solche zur unglaublichen Höhe, schnappte sie wieder, und trieb lange das bezaubernde Spiel des kunstgeübtesten Jongleurs. Zum Schlusse blies sie (auch[252] von hinten) mit außerordentlicher Präcision und mit tiefem Gefühle das alte Lied »Blühe liebes Veilchen«. Stürmisch wurde davon ein da Capo begehrt – und hingerissen intonirte die ganze Versammlung.

Die dritte erschien und präsentirte eine dicke Lambertsnuß. Diese legte sie auf den schönen Leib, schnellte sie mit solchem in die Höhe, fing sie wieder, ließ sie tanzend nach vorn und hinten, nach oben und unten laufen – in der Grotte ruhen und in der Narbe weilen! – Lange trieb sie es so, bis sie endlich solche vorn knackte, den Kanal entlang nach hinten laufen ließ – und von diesem Punkte aus dem regierenden Bürgermeister mit Würde und Grazie überreichte.

Nach langen Debatten wurde der letztern der Preis zuerkannt.[253]


Situation und Erstürmung der

Festung Haarburg.

Dieser weltberühmte Ort liegt im sogenannten Bauchthale zwischen zwei waldigen Hügeln in einer gar feuchten und morastigen Gegend, ist mit einem lebendigen Wassergraben versehen, welcher zuweilen einen röthlichen Schein hat. Das dabei liegende Hinter-Kastell ist mit allerlei Bomben, Granaten, Kunsträdern, Pallisaden und Schwärmern angefüllt, auch weiterhin durch eine Lehmgrube geschützt, so daß der Feind keine Lust haben kann, von dieser Seite zu approchiren oder zu stürmen. Die vielfach vorhandenen Plane über diesen Ort überheben uns der[254] weitern Explication, und wir ertheilen hiermit die


Disposition,


wie es bei der Attaque der Festung Haarburg

bis zu ihrer Uebergabe gehalten werden soll.


§. 1.


Das Obercommando übernimmt der Herr General-Lieutenant von Zebedäus, dessen Kriegserfahrung und Tapferkeit sich längst ehrend bewährt hat.


§. 2.


Zur vorläufigen Recogniscirung begibt sich der Major von Mund nach Kußdorf und erstattet dem Herrn General genauen Bericht über die starken und schwachen Partieen der Festung.


§. 3.


Bei befriedigendem Rapport begibt sich der Oberst Krabbel nach Piezendorf, Bauchberg und von da auf die Nabelschanze, untersucht mit Behutsamkeit die hintere Bastion und die in dieser Gegend gelegene Lehmgrube.[255] Sodann recognoscirt derselbe die in der Nähe der Festung liegenden Moräste und tiraillirt mit seiner Mannschaft in dem diese Sümpfe umgebenden Laubholze.


§. 4.


Sodann avancirt der Herr General in Begleitung des Majors von Sack und zweier Vierundzwanzigpfünder nahe an die Festung. Der Major nimmt seine Stellung zwischen der Wind- und Wassermühle.


§. 5.


Nachdem der Herr General durch die Waldungen und Sümpfe gedrucngen ist, kommt der Oberst Krabbel über Nabelsdorf und Bauchberg mit fünf Bataillons leichter Infanterie zum Succurs und unterstützt den Herrn General mein weiteren Eindringen in die Außenwerke.


§. 6.


Da die durch diesen Angriff entstandene Bresche sehr enge ist, so muß Alles mit der größten[256] Hitze und Geschwindigkeit ausgeführt werden, damit man sich nicht unverrichteter Sache zurückzuziehen braucht.


§. 7.


Sobald der Herr General den verdeckten Weg passirt hat und in die innern Werke eingerückt ist, gibt er eine Generalsalve, welche vermuthlich aus dem Innern der Festung und vielleicht auch aus der hintern Bastion beantwortet wird. Sodann setzt sich das ganze Corps in Bewegung, um den Gegenarbeiten des Feindes, der bei solcher Attaque das Aeußerste thut, die Spitze zu nehmen.


§. 8.


Nach glücklicher Einnahme wird die Festung mit Schonung behandelt. Dem Herrn General wird gestattet, kurze Zeit in derselben auszuruhen, – der Major von Sack zieht sich aus der Nähe der Wassermühle etwas abwärts in die Gegend der Windmühle und der gedachten Lehmgrube.


(L.S.) Der General-Stab.

Quelle:
Nuditäten oder Fantasien auf der Venus-Geige. Padua [o. J.], S. 251-257.
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