|
[111] So wird gesagt in alten Sagen, daß Einer der Asen, der Heimdall hieß, auf seiner Fahrt zu einer Meeresküste kam. Da fand er ein Haus und nannte sich Rigr. Und nach dieser Sage wird dieß gesungen:
Einst, sagen sie, ging auf grünen Wegen
Der kraftvolle, edle, vielkundige As,
Der rüstige, rasche Rigr einher.
Weiter wandelnd des Weges inmitten
Traf er ein Haus mit offener Thür.
Er ging hinein, am Estrich glüht' es;
Da saß ein Ehpaar, ein altes, am Feuer,
Ai und Edda in übelm Gewand.
Zu rathen wuste Rigr den alten;
Er saß zu beiden der Bank inmitten,
Die Eheleute zur Linken und Rechten.
Da nahm Edda einen Laib aus der Asche,
Schwer und klebricht, der Kleien voll.
Mehr noch trug sie auf den Tisch alsbald:
Schlemm in der Schüßel ward aufgesetzt,
Und das beste Gericht war ein Kalb in der Brühe.
Auf stand darnach des Schlafes begierig
Rigr, der ihnen wohl rathen konnte,
Legte zu beiden ins Bett sich mitten,
Die Eheleute zur Linken und Rechten.[111]
Da blieb er drauf drei Nächte lang,
Dann ging er und wanderte des Wegs inmitten.
Darnach vergingen der Monden neun.
Edda genas, genetzt ward das Kind,
Weil schwarz von Haut geheißen Thräl.
Es begann zu wachsen und wohl zu gedeihn.
Rauh an den Händen war dem Rangen das Fell,
Die Gelenke knotig (von Knorpelgeschwulst),
Die Finger feißt, fratzig das Antlitz,
Der Rücken krumm, vorragend die Hacken.
In Kurzem lernt' er die Kräfte brauchen,
Mit Bast binden und Bürden schnüren.
Heim schleppt' er Reiser den heilen Tag.
Da kam in den Bau die Gängelbeinige,
Schwären am Hohlfuß, die Arme sonnverbrannt,
Gedrückt die Nase Thyr die Dirne.
Breit auf der Bank alsbald nahm sie Platz,
Ihr zur Seite des Hauses Sohn.
Redeten, raunten, ein Lager bereiteten,
Da der Abend einbrach, der Enk und die Dirne.
Sie lebten knapp und zeugten Kinder,
Geheißen, hört ich, Hreimr und Fiosnir,
Klur und Kleggi, Kefir, Fulnir,
Drumbr, Digraldi, Dröttr und Höswir,
Lutr und Leggialdi. Sie legten Hecken an,
Misteten Aecker, mästeten Schweine,
Hüteten Geißen und gruben Torf.
Die Töchter hießen Trumba und Kumba,
Oeckwinkalfa und Arinnefja;
Ysja und Ambatt, Eikintiasna,
Tötrughypia und Trönubenja.
Von ihnen entsprang der Knechte Geschlecht.[112]
Weiter ging Rigr gerades Weges,
Kam an ein Haus, halboffen die Thür.
Er ging hinein, am Estrich glüht' es;
Da saß ein Ehpaar geschäftig am Werk.
Der Mann schälte die Weberstange,
Gestrält war der Bart, die Stirne frei.
Knapp lag das Kleid an, die Kiste stand am Boden.
Das Weib daneben bewand den Rocken
Und führte den Faden zu feinem Gespinst.
Auf dem Haupt die Haube, am Hals ein Schmuck,
Ein Tuch um den Nacken, Nesteln an der Achsel:
Afi und Amma im eigenen Haus.
Rigr wuste den Werthen zu rathen;
Auf stand er vom Tische des Schlafs begierig.
Da legt' er zu beiden ins Bette sich mitten,
Die Eheleute zur Linken und Rechten.
Da blieb er drauf drei Nächte lang;
(Dann ging er und wanderte des Wegs inmitten.)
Darnach vergingen der Monden neun.
Amma genas, genetzt ward das Kind
Und Karl geheißen; das hüllte das Weib.
Roth wars und frisch mit funkelnden Augen.
Er begann zu wachsen und wohl zu gedeihn:
Da zähmt' er Stiere, zimmerte Pflüge,
Schlug Häuser auf, erhöhte Scheuern,
Führte den Pflug und fertigte Wagen.
Da fuhr in den Hof mit Schlüßeln behängt
Im Ziegenkleid die Verlobte Karls;
Snör (Schnur) geheißen saß sie im Linnen.
Sie wohnten beisammen und wechselten Ringe,
Breiteten Betten und bauten ein Haus.[113]
Sie zeugten Kinder und zogen sie froh:
Halr und Drengr, Höldr, Degn und Smidr,
Breidrbondi, Bundinskeggi,
Bui und Boddi, Brattskeggr und Seggr.
Die Töchter nannten sie mit diesen Namen:
Snot, Brudr, Swanni, Swarri, Spracki,
Fliod, Sprund und Wif, Feima, Ristil.
Von den Beiden entsprang der Bauern Geschlecht.
Weiter ging Rigr gerades Weges;
Kam er zum Saal mit südlichem Thor.
Angelehnt wars, mit leuchtendem Ring.
Er trat hinein, bestreut war der Estrich.
Die Eheleute saßen und sahen sich an,
Vater und Mutter an den Fingern spielend.
Der Hausherr saß die Sehne zu winden,
Den Bogen zu spannen, Pfeile zu schäften;
Dieweil die Hausfrau die Hände besah,
Die Falten ebnete, am Aermel zupfte.
Im Schleier saß sie ein Geschmeid an der Brust,
Die Schleppe wallend am blauen Gewand;
Die Braue glänzender, die Brust weißer,
Lichter der Nacken als leuchtender Schnee.
Rigr wuste dem Paare zu rathen,
Zu beiden saß er der Bank inmitten,
Die Eheleute zur Linken und Rechten.
Da brachte die Mutter geblümtes Gebild
Von schimmerndem Lein, den Tisch zu spreiten.
Linde Semmel legte sie dann
Von weißem Weizen gewandt auf das Linnen.[114]
Setzte nun silberne Schüßeln auf
Mit Speck und Wildbrät und gesottnen Vögeln;
In kostbaren Kelchen und Kannen war Wein:
Sie tranken und sprachen bis der Abend sank.
Rigr stand auf, das Bett war bereit.
Da blieb er drauf drei Nächte lang:
Dann ging er und wanderte des Weges inmitten.
Darnach vergingen der Monden neun.
Die Mutter gebar und barg in Seide
Ein Kind, das genetzt und genannt ward Jarl.
Licht war die Locke und leuchtend die Wange,
Die Augen scharf wie Schlangen blicken.
Daheim erwuchs in der Halle der Jarl:
Den Schild lernt' er schütteln, Sehnen winden,
Bogen spannen und Pfeile schäften,
Spieße werfen, Lanzen schießen,
Hunde hetzen, Hengste reiten,
Schwerter schwingen, den Sund durchschwimmen.
Aus dem Walde kam der rasche Rigr gegangen,
Rigr gegangen ihn Runen zu lehren,
Nannte mit dem eignen Namen den Sohn,
Hieß ihn zu Erb und Eigen besitzen
Erb und Eigen und Ahnenschlößer.
Da ritt er dannen auf dunkelm Pfade
Durch feuchtes Gebirg bis vor die Halle.
Da schwang er die Lanze, den Lindenschild,
Spornte das Ross und zog das Schwert.
Kampf ward erweckt, die Wiese geröthet,
Der Feind gefällt, erfochten das Land.
Nun saß er und herschte in achtzehn Höfen,
Vertheilte die Schätze, Alle beschenkend
Mit Schmuck und Geschmeide und schlanken Pferden.
Er spendete Ringe, hieb Spangen entzwei.[115]
Da fuhren Edle auf feuchten Wegen,
Kamen zur Halle vom Hersir bewohnt.
Entgegen ging ihm die Gürtelschlanke,
Adliche, artliche, Erna geheißen.
Sie freiten und führten dem Fürsten sie heim,
Des Jarls Verlobte ging sie im Linnen.
Sie wohnten beisammen und waren sich hold,
Führten fort den Stamm froh bis ins Alter.
Bur war der älteste, Barn der andere,
Jod und Adal, Arfi, Mögr,
Nidr und Nidjungr; Spielen geneigt
Sonr und Swein, sie schwammen und würfelten;
Kundr hieß Einer, Konur der jüngste.
Da wuchsen auf des Edeln Söhne,
Zähmten Hengste, zierten Schilde,
Schälten den Eschenschaft, schliffen Pfeile.
Konur der junge kannte Runen,
Zeitrunen und Zukunftrunen;
Zumal vermocht er Menschen zu bergen,
Schwerter zu stumpfen, die See zu stillen.
Vögel verstand er, wuste Feuer zu löschen,
Den Sinn zu beschwichtigen, Sorgen zu heilen.
Auch hatt er zumal acht Männer Stärke.
Er stritt mit Rigr, dem Jarl, in Runen,
In allerlei Wißen erwarb er den Sieg.
Da ward ihm gewährt, da war ihm gegönnt,
Selbst Rigr zu heißen und runenkundig.
Jung Konur ritt durch Rohr und Wald,
Warf das Geschoß und stellte nach Vögeln.[116]
Da sang vom einsamen Ast die Krähe:
»Was willst du, Fürstensohn, Vögel beizen?
Dir ziemte beßer – –
Hengste reiten und Heere fällen!
Dan hat und Danpr nicht schönere Hallen,
Erb und Eigen nicht reicher als Ihr.
Doch können sie wohl auf Kielen reiten,
Schwerter prüfen und Wunden hauen.«
(Schluß scheint zu fehlen.)
Buchempfehlung
Als »Komischer Anhang« 1801 seinem Roman »Titan« beigegeben, beschreibt Jean Paul die vierzehn Fahrten seines Luftschiffers Giannozzos, die er mit folgenden Worten einleitet: »Trefft ihr einen Schwarzkopf in grünem Mantel einmal auf der Erde, und zwar so, daß er den Hals gebrochen: so tragt ihn in eure Kirchenbücher unter dem Namen Giannozzo ein; und gebt dieses Luft-Schiffs-Journal von ihm unter dem Titel ›Almanach für Matrosen, wie sie sein sollten‹ heraus.«
72 Seiten, 4.80 Euro
Buchempfehlung
Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Nach den erfolgreichen beiden ersten Bänden hat Michael Holzinger sieben weitere Meistererzählungen der Romantik zu einen dritten Band zusammengefasst.
456 Seiten, 16.80 Euro