Loddfafnirs-Lied.

[51] Zeit ists zu reden vom Rednerstuhl.

An dem Brunnen Urdas

Saß ich und schwieg, saß ich und dachte

Und merkte der Männer Reden.


Von Runen hört ich reden und vom Ritzen der Schrift

Und vernahm auch nütze Lehren.

Bei des Hohen Halle, in des Hohen Halle

Hört ich sagen so:


Dieß rath ich, Loddfafnir, vernimm die Lehre,

Wohl dir, wenn du sie merkst.

Steh Nachts nicht auf, wenn die Noth nicht drängt,

Du wärst denn zum Wächter geordnet.


Das rath ich, Loddfafnir, vernimm die Lehre,

Wohl dir, wenn du sie merkst.

In der Zauberfrau Schooß schlaf du nicht,

So daß ihre Glieder dich gürten.


Sie bethört dich so, du entsinnst dich nicht mehr

Des Gerichts und der Rede der Fürsten,

Gedenkst nicht des Mals noch männlicher Freuden,

Sorgenvoll suchst du dein Lager.[51]


Das rath ich, Loddfafnir, vernimm die Lehre,

Wohl dir, wenn du sie merkst.

Des Andern Frau verführe du nicht

Zu heimlicher Zwiesprach.


Das rath ich, Loddfafnir, vernimm die Lehre,

Wohl dir, wenn du sie merkst.

Ueber Furten und Felsen so du zu fahren hast,

So sorge für reichliche Speise.


Dem übeln Mann eröffne nicht

Was dir Widriges widerfährt:

Von argem Mann erntest du nimmer doch

So guten Vertrauns Vergeltung.


Verderben stiften einem Degen sah ich

Uebeln Weibes Wort:

Die giftige Zunge gab ihm den Tod,

Nicht seine Schuld.


Gewannst du den Freund, dem du wohl vertraust,

So besuch ihn nicht selten,

Denn Strauchwerk grünt und hohes Gras

Auf dem Weg, den Niemand wandelt.


Das rath ich, Loddfafnir, vernimm die Lehre,

Wohl dir, wenn du sie merkst.

Guten Freund gewinne dir zu erfreuender Zwiesprach;

Heilspruch lerne so lange du lebst.


Altem Freunde sollst du der erste

Den Bund nicht brechen.

Das Herz frißt dir Sorge, magst du keinem mehr sagen

Deine Gedanken all.


Das rath ich, Loddfafnir, vernimm die Lehre,

Wohl dir, wenn du sie merkst.

Mit ungesalznem Narren sollst du

Nicht Worte wechseln.[52]


Von albernem Mann magst du niemals

Guten Lohn erlangen.

Nur der Wackere mag dir erwerben

Guten Leumund durch sein Lob.


Das ist Seelentausch, sagt Einer getreulich

Dem Andern Alles was er denkt.

Nichts ist übler als unstät sein:

Der ist kein Freund, der zu Gefallen spricht.


Das rath ich, Loddfafnir, vernimm die Lehre,

Wohl dir, wenn du sie merkst.

Drei Worte nicht sollst du mit dem Schlechtern wechseln:

Oft unterliegt der Gute,

Der mit dem Schlechten streitet.


Schuhe nicht sollst du noch Schäfte machen

Für Andre als für dich:

Sitzt der Schuh nicht, ist krumm der Schaft,

Wünscht man dir alles Uebel.


Das rath ich, Loddfafnir, vernimm die Lehre,

Wohl dir, wenn du sie merkst.

Wo Noth du findest, deren nimm dich an;

Doch gieb dem Feind nicht Frieden.


Das rath ich, Loddfafnir, vernimm die Lehre,

Wohl dir, wenn du sie merkst.

Dich soll Andrer Unglück nicht freuen;

Ihren Vortheil laß dir gefallen.


Das rath ich, Loddfafnir, vernimm die Lehre,

Wohl dir, wenn du sie merkst.

Nicht aufschaun sollst du im Schlachtgetöse:

Ebern ähnlich wurden oft Erdenkinder;

So aber zwingt dich kein Zauber.[53]


Willst du ein gutes Weib zu deinem Willen bereden

Und Freude bei ihr finden,

So verheiß ihr Holdes und halt es treulich:

Des Guten wird die Maid nicht müde.


Sei vorsichtig, doch seis nicht allzusehr,

Am meisten seis beim Meth

Und bei des Andern Weib; auch wahre dich

Zum dritten vor der Diebe List.


Mit Schimpf und Hohn verspotte nicht

Den Fremden noch den Fahrenden.

Selten weiß der zu Hause sitzt

Wie edel ist, der einkehrt.


Laster und Tugenden liegen den Menschen

In der Brust beieinander.

Kein Mensch ist so gut, daß nichts ihm mangle,

Noch so böse, daß er zu nichts nützt.


Haarlosen Redner verhöhne nicht:

Oft ist gut was der Greis spricht.

Aus welker Haut kommt oft weiser Rath;

Hängt ihm die Hülle gleich,

Schrinden ihn auch Schrammen,

Der unter Wichten wankt.


Das rath ich, Loddfafnir, vernimm die Lehre,

Wohl dir, wenn du sie merkst.

Den Wandrer fahr nicht an, noch weis ihm die Thür:

Gieb dem Gehrenden gern.


Stark wär der Riegel, der sich rücken sollte

Allen aufzuthun.

Gieb einen Scherf; dieß Geschlecht sonst wünscht

Dir alles Unheil an.


Dieß rath ich, Loddfafnir, vernimm die Lehre,

Wohl dir, wenn du sie merkst:

Wo Ael getrunken wird, ruf die Erdkraft an:[54]

Erde trinkt und wird nicht trunken.

Feuer hebt Krankheit, Eiche Verhärtung,

Aehre Vergiftung,

Der Hausgeist häuslichen Hader.

Mond mindert Tobsucht,

Hundbiß heilt Hundshaar,

Rune Beredung;

Die Erde nehme Naß auf.

Quelle:
Die Edda. Stuttgart 1878, S. 51-55.
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