Das Harbardslied.

[59] Thôr kam von der Ostfahrt her an einen Sand; jenseits stand der Fährmann mit dem Schiffe. Thôr rief:


Wer ist der Gesell der Gesellen, der überm Sunde steht?


Harbard antwortete:

Wer ist der Kerl der Kerle, der da kreischt überm Waßer?


Thôr.

Ueber den Sund fahr mich, so füttr ich dich morgen.

Einen Korb hab ich auf dem Rücken, beßre Kost giebt es nicht.

Eh ich ausfuhr aß ich in Ruh

Hering und Habermuß: davon hab ich noch genug.


Harbard.

Allzuvorlaut rühmst du dein Frühmal;

Du weist das Weitre nicht:

Traurig ist dein Hauswesen, todt deine Mutter.


Thôr.

Das hör ich nun hier, was das Herbste scheint

Jedem Mann, daß meine Mutter todt sei.


Harbard.

Du hältst dich nicht, als hättest du guter Höfe drei:

Barbeinig stehst du in Bettlersgewand,

Nicht einmal Hosen hast du an.


Thôr.

Steure nur her die Eiche, die Stätte zeig ich dir,

Doch Wem gehört das Schiff, das du hältst am Ufer?


[59] Harbard.

Hildolf heißt er, der michs zu halten bat,

Der rathkluge Recke, der in Radsei-sund wohnt.

Er widerrieth mir, Strolche und Rossdiebe zu fahren:

Nur ehrliche Leute und die mir lange kund sein.

Sag deinen Namen, wenn du über den Sund willst.


Thôr.

Den sag ich dir frei, obgleich ich hier friedlos bin,

Und all mein Geschlecht. Ich bin Odhins Sohn,

Meilis Bruder und Magnis Vater,

Der Kräftiger der Götter; du kannst mit Thôr hier sprechen.

Ich habe zu fragen nun: wie heißest du?


Harbard.

Harbard heiß ich, ich hehle den Namen selten.


Thôr.

Was solltest du ihn hehlen, wenn du schuldlos bist?


Harbard.

Obschon ich nicht schuldlos bin, schütz ich mich doch leicht

Vor Einem wie Du bist; mein Ende wüst ich denn nah.


Thôr.

Es dünkt mich beschwerlich zu dir hinüber

Durchs Waßer zu waten und mein Gewand zu netzen;

Sonst, Lotterbube, lohnt' ich wahrlich

Deinen Stachelreden, stünd ich überm Sund.


Harbard.

Hier will ich stehen und dich erwarten.

Du fandst wohl Keinen dir härtern seit Hrungnirs Tod.


Thôr.

Des gedenkst du nun, daß ich mit Hrungnir stritt,

Dem starkherzgen Riesen, dem von Stein das Haupt war;

Doch ließ ich ihn stürzen, in Staub sinken.

Was thatest du derweil, Harbard?


[60] Harbard.

Ich war bei Fiölwar fünf volle Winter

Auf einem Eiland, das Allgrün heißt.

Wir fochten und fällten die Feinde da,

Versuchten Manches und freiten Mädchen.


Thôr.

Wie ward es da mit euern Weibern?


Harbard.

Wir hatten zierliche Weiber, wären sie zahmer gewesen;

Wir hatten hübsche Weiber, wären sie uns holder gewesen.

Aber Stricke wanden sie am Strand aus Sand,

Gruben den Grund

Aus tiefem Thal.

Ich allein war allen überlegen mit List,

Lag bei sieben Schwestern und genoß im Scherz ihre Gunst.

Was thatest du derweil, Thôr?


Thôr.

Ich tödtete Thiassi, den übermüthigen Thursen,

Auf warf ich die Augen des Sohnes Oelwalts

An den heitern Himmel:

Die wurden meiner Werke gröste Wahrzeichen,

Allen Menschen sichtbar seitdem.

Was thatest du derweil, Harbard?


Harbard.

Allerlei Liebeskünste übt' ich bei Nachtreiterinnen,

Die ich mit List ihren Männern entlockte.

Ein harter Riese, halt ich, ist Hlebard gewesen:

Er gab mir seine Wünschelruthe, damit raubt' ich ihm den Witz.


Thôr.

Gute Gabe galtst du mit übelm Lohn.


Harbard.

Eine Eiche muß fallen, sonst fertigt man den Kahn nicht;

Jeder sorgt für sich.

Was thatest du derweil, Thôr?


[61] Thôr.

Ich war im Osten, überwand der Riesen

Böswillige Bräute, da sie zum Berge gingen.

Uebermächtig würden die Riesen, wenn sie alle lebten,

Mit den Menschen wär es in Mitgard aus.

Was thatest du derweil, Harbard?


Harbard.

Ich war in Walland, des Kampfs zu warten,

Verfeindete Fürsten dem Frieden wehrend.

Odhin hat die Fürsten, die da fallen im Kampf,

Thôr hat der Thräle (Knechte) Geschlecht.


Thôr.

Unter die Asen theiltest du ungleich die Menschen,

Hättest du der Wünsche Gewalt.


Harbard.

Thôr hat Macht genug, aber nicht Muth.

Aus feiger Furcht fuhrst du in den Handschuh,

Trautest nicht mehr Thôr zu sein.

Nicht wagtest du nur, so warst du in Noth,

Zu niesen noch zu f – –, daß es Fialar hörte.


Thôr.

Harbard, Schändlicher! Zu Hel schickt' ich dich,

Möcht ich über den Sund setzen.


Harbard.

Was solltest du überm Sund, wo du nichts zu schaffen hast?

Was thatest du weiter, Thôr?


Thôr.

Ich war im Osten und wehrt' einem Fluß;

Da griffen Swarangs Söhne mich an.

Sie schlugen mich mit Steinen und schadeten mir nicht.

Sie musten bald zuerst mich bitten um Frieden.

Was thatest du derweil, Harbard?


[62] Harbard.

Ich war im Osten mit Einer zu kosen,

Spielte mit der schneeweißen und sprach lange mit ihr.

Ich erfreute die goldschöne; der Scherz gefiel der Maid.


Thôr.

Da hattet ihr willige Weiber.


Harbard.

Da hätt ich bedurft, Thôr, deiner Hülfe,

Die schleierweiße zu entwenden.


Thôr.

Die hätt ich dir gewährt, wär dazu Zeit gewesen.


Harbard.

Ich hätte dir auch vertraut; oder hättest du mich betrogen?


Thôr.

Bin ich denn so ein Fersenzwicker wie ein alter Schuh im Frühjahr?


Harbard.

Was thatest du weiter, Thôr?


Thôr.

Berserkerbräute bändigt' ich auf Hlesey:

Das Aergste hatten sie getrieben, betrogen alles Volk.


Harbard.

Unrühmlich thatest du, Thôr, daß du Weiber tödtetest.


Thôr.

Wölfinnen waren es, Weiber kaum.

Sie zerschellten mein Schiff, das ich auf Pfähle gestellt,

Trotzten mir mit Eisenkeulen und vertrieben Thialsi.

Was thatest du derweil, Harbard?


Harbard.

Ich war beim Heere, das eben hieher

Kriegsfahnen erhob den Sper zu färben.


[63] Thôr.

Des gedenkst du nun,

Wie du auszogst uns zur Ueberlast.


Harbard.

Das büß ich dir gern mit goldnen Handringen

Nach Schiedsrichterspruch, der uns versöhnen mag.


Thôr.

Woher hast du nur die Hohnreden all?

Ich hörte niemals so höhnische.


Harbard.

Von den alten Leuten lernt ich sie,

Die in den Wäldern wohnen.


Thôr.

Du giebst den Gräbern zu guten Namen,

Wenn du sie Wälder- Wohnungen nennst.


Harbard.

So denk ich von der Art Dingen nun.


Thôr.

Deine Wortklugheit kommt dir noch übel,

Wenn ich durchs Waßer wate.

Lauter als ein Wolf wirst du aufschrein,

Wenn ich dich mit dem Hammer haue.


Harbard.

Sif hat einen Buhlen, du wirst ihn bei ihr finden:

Der erfahre deine Kraft, das frommt dir mehr.


Thôr.

Du redest nach deines Mundes Rath, nur recht mich zu kränken.

Verworfner Wicht! ich weiß, daß du lügst.


Harbard.

Und ich sage, so ists! Säumig betreibst du die Fahrt.

Schon wärst du weit, Thôr, wenn du verwandelt fuhrst.


[64] Thôr.

Harbard, Schändlicher! Du hast mich hier so lang verweilt.


Harbard.

Dem Asathôr, wähnt' ich, wehrte so leicht nicht

Ein Viehhirt die Fahrt.


Thôr.

Einen Rath will ich dir rathen; rudre die Fähre hieher.

Hab ein Ende der Hader! Hole den Vater Magnis.


Harbard.

Fahr nur weg vom Sund, verweigert bleibt dir die Fahrt.


Thôr.

Weise mir nur den Weg, willst du mich nicht

Ueber den Sund setzen.


Harbard.

Geringes verlangst du, doch lang ist der Weg:

Eine Stunde zum Stocke, zum Stein eine andre.

Den linken Weg wähle bis du Werland erreichst.

Da trifft Fiörgyn Thôr ihren Sohn:

Die wird ihm der Verwandten Wege zeigen

Zu Odhins Land.


Thôr.

Komm ich heute noch hin?


Harbard.

Du erreichst es mit Eil bei noch obenstehender Sonne,

Wenn ich erst von dannen ging.


Thôr.

Kurz wird noch unser Gespräch, da du nur spöttisch sprichst.

Die verweigerte Ueberfahrt lohn ich ein andermal.


Harbard.

Fahr immer zu in übler Geister Gewalt!

Quelle:
Die Edda. Stuttgart 1878, S. 59-65.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Hoffmann, E. T. A.

Klein Zaches

Klein Zaches

Nachdem im Reich die Aufklärung eingeführt wurde ist die Poesie verboten und die Feen sind des Landes verwiesen. Darum versteckt sich die Fee Rosabelverde in einem Damenstift. Als sie dem häßlichen, mißgestalteten Bauernkind Zaches über das Haar streicht verleiht sie ihm damit die Eigenschaft, stets für einen hübschen und klugen Menschen gehalten zu werden, dem die Taten, die seine Zeitgenossen in seiner Gegenwart vollbringen, als seine eigenen angerechnet werden.

88 Seiten, 4.20 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Für den dritten Band hat Michael Holzinger neun weitere Meistererzählungen aus dem Biedermeier zusammengefasst.

444 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon