Das Lied von Wölundur.

[127] Nidudr hieß ein König in Schweden. Er hatte zwei Söhne und eine Tochter; die hieß Bödwild. Es waren drei Brüder, Söhne des Finnenkönigs (?); der eine hieß Slagfidr, der andre Egil, der dritte Wölundur. Die schritten auf dem Eise und jagten das Wild. Sie kamen nach Ulfdalir (Wolfsthal) und bauten sich da Häuser. Da ist ein Waßer, das heißt Ulfsiar (Wolfssee). Früh am Morgen fanden sie am Waßerstrand drei Frauen, die spannen Flachs; bei ihnen lagen ihre Schwanenhemden; es waren Walküren. Zwei von ihnen waren Töchter König Lödwers: Hladgud Swanhwit (Schwanweiß) und Herwör Alhwit (Allweiß); aber die dritte war Aelrun, die Tochter Kiars von Walland. Die Brüder führten sie mit sich heim. Egil nahm die Aelrun, Slagfidr die Swanhwit und Wölundur die Alhwit. Sie wohnten sieben Winter beisammen: da flogen die Weiber Kampf zu suchen, und kamen nicht wieder. Da schritt Egil aus die Aelrun zu suchen und Slagfidr suchte Swanhwit; aber Wölundur saß in Ulfdalir. Er war der kunstreichste Mann, von dem man in alten Sagen weiß. König Nidudr ließ ihn handgreifen so wie hier besungen ist.


Durch Myrkwidr flogen Mädchen von Süden,

Alhwit die junge, Urlog (Schicksal, Kampf) zu entscheiden.

Sie saßen am Strande der See und ruhten;

Schönes Linnen spannen die südlichen Frauen.


Ihrer Eine hegte sich Egiln,

Die liebliche Maid, am lichten Busen;

Die andre war Swanhwit, die Schwanfedern trug

(Um Slagfidr schlang sie die Hände);

Doch die dritte, deren Schwester,

Umwand Wölundurs weißen Hals.[127]


So saßen sie sieben Winter lang;

Den ganzen achten grämten sie sich

Bis im Neunten die Noth sie schied:

Die Mädchen verlangte nach Myrkwidr;

Alhwit die junge wollt Urlog treiben.


Hladgud und Herwör stammten von Hlödwer;

Verwandt war Aelrun, die Tochter Kiars.

Die schritt geschwinde den Saal entlang,

Stand auf dem Estrich und erhob die Stimme:

»Sie freun sich nicht, die aus dem Forste kommen.«


Vom Waidwerk kamen die wegmüden Schützen,

Slagfidr und Egil, fanden öde Säle,

Gingen aus und ein und sahen sich um.

Da schritt Egil ostwärts Aelrunen nach

Und südwärts Slagfidr Swanhwit zu finden.


Derweil im Wolfsthal saß Wölundr,

Schlug funkelnd Gold um festes Gestein

Und band die Ringe mit Lindenbast.

Also harrt' er seines holden

Weibes, wenn sie ihm wieder käme.


Das hörte Nidudr, der Niaren Drost,

Daß Wölundr einsam in Wolfsthal säße.

Bei Nacht fuhren Männer in genagelten Brünnen (Panzern);

Ihre Schilde schienen wider den geschnittnen Mond.


Stiegen vom Sattel an des Saales Giebelwand,

Gingen dann ein, den ganzen Saal entlang.

Sahen am Baste schweben die Ringe,

Siebenhundert zusammen, die der Mann besaß.


Sie banden sie ab und wieder an den Bast,

Außer einem, den ließen sie ab.

Da kam vom Waidwerk der wegmüde Schütze,

Wölundr, den weiten Weg daher.[128]


Briet am Feuer der Bärin Fleisch:

Bald flammt' am Reisig die trockne Föhre,

Das winddürre Holz, vor Wölundur.


Ruht' auf der Bärenschur, die Ringe zählt' er,

Der Alfengesell: einen vermisst' er,

Dachte, den hätte Hlödwers Tochter:

Alhwit die holde war heimgekehrt.


Saß er so lange bis er entschlief:

Doch er erwachte wonneberaubt.

Merkt harte Bande sich um die Hände,

Fühlt um die Füße Feßeln gespannt.


»Wer sind die Leute, die in Bande legten

Den freien Mann? wer feßelte mich?«


Da rief Nidudr, der Niaren Trost:

Wo erwarbst du, Wölundur, Weiser der Alfen,

Unsere Schätze in Ulfdalir?


Wölundur.

Hier war kein Gold wie auf Granis Wege,

Fern ist dieß Land den Felsen des Rheins.

Mehr der Kleinode mochten wir haben,

Da wir heil daheim in der Heimat saßen.


König Nidudr gab seiner Tochter Bödwild den Goldring, den er vom Baste gezogen in Wölundurs Haus; aber er selber trug das Schwert, das Wölundur hatte. Da sprach die Königin:


Er wird die Zähne blecken vor Zorn, wenn er das Schwert erkennt

Und unsres Kindes Ring.

Wild glühn die Augen dem gleissenden Wurm.

So zerschneidet ihm der Sehnen Kraft

Und laßt ihn sitzen in Säwarstadr.


So wurde gethan, ihm die Sehnen in den Kniekehlen zerschnitten und er in einen Holm gesetzt, der vor dem Strande lag und Säwarstadr hieß. Da schmiedete er dem König allerhand Kleinode, und Niemand getraute sich, zu ihm zu gehen als der König allein. Wölundur sprach:[129]


»Es scheint Nidudurn ein Schwert am Gürtel,

Das ich schärfte so geschickt ich mochte,

Das ich härtete so hart ich konnte.

Dieß lichte Waffen entwendet ist mirs:

Säh ichs Wölundurn zur Schmiede getragen!


Bödwild trägt nun meiner Getrauten

Rothen Ring: rächen will ich das!«

Schlaflos saß er und schlug den Hammer;

Trug schuf er Nidudurn schnell genug.


Liefen zwei Knaben, lauschten an der Thüre,

Die Söhne Nidudurs, nach Säwarstadr;

Kamen zur Kiste den Schlüßel erkundend;

Offen war die üble, als sie hineinsahn.


Viel Kleinode sahn sie, die Knaben daucht es

Rothes Gold und glänzend Geschmeid.

»Kommt allein, ihr Zwei, kommt andern Tags,

So soll euch das Gold gegeben werden.


Sagt es den Mägden nicht noch dem Gesinde,

Laßt es Niemand hören, daß ihr hier gewesen.«

Zeitig riefen die Zweie sich an,

Bruder den Bruder: »Komm die Brustringe schaun!«


Sie kamen zur Kiste die Schlüßel erkundend;

Offen war die üble, da sie hineinsahn.

Um die Köpfe kürzt' er die Knaben beide;

Unterm Feßeltrog barg er die Füße.


Aber die Schädel unter dem Schopfe

Schweift er in Silber, sandte sie Nidudurn.

Aus den Augen macht' er Edelsteine,

Sandte sie der falschen Frauen Nidudurs.


Aus den Zähnen aber der Zweie

Bildet' er Brustgeschmeid, sandt' es Bödwilden

Da begann den Ring zu rühmen Bödwild;

Sie bracht ihn Wölundurn, da er zerbrochen war:

»Keinem darf ichs sagen als dir allein.«


[130] Wölundur.

Ich beßre dir so den Bruch am Goldring,

Deinen Vater dünkt er schöner,

Deine Mutter merklich beßer;

Aber dich selber noch eben so gut. –


Er betrog sie mit Meth, der schlauere Mann;

In den Seßel sank und entschlief die Maid.

»Nun hab ich gerochen Harm und Schäden

Alle bis auf Einen, den unheilvollen.«


»Wohl mir,« sprach Wölundur: »wär ich auf den Sehnen,

Die mir Nidudurs Männer nahmen.«

Lachend hob sich in die Luft Wölundur;

Bödwild wandte sich weinend vom Holm

Um des Friedels Fahrt sorgend und des Vaters Zorn.


Außen stand Nidudurs arges Weib,

Ging hinein den ganzen Saal entlang;

– Auf des Saales Sims saß er, und ruhte –

»Wachst du, Nidudur, Niaren-Drost?« –


Nidudur.

Immer wach ich, wonnelos lieg ich,

Mich gemahnts an meiner Söhne Tod.

Das Haupt friert mir von deinen falschen Räthen:

Nun wollt ich wohl mit Wölundur rechten:


Bekenne mir, Wölundur, König der Alfen,

Was ward aus meinen wonnigen Söhnen?


Wölundur.

Erst sollst du alle Eide mir leisten,

Bei Schwertes Spitze und Schiffes Bord,

Bei Schildes Rand und Rosses Bug,


Daß du Wölundurs Weib nicht tödtest,

Noch meiner Braut zum Mörder werdest,

Hätt ich ein Weib auch euch nah verwandt,

Oder hätte hier im Haus ein Kind. –[131]


»So geh zur Schmiede, die du mir schufest,

Da liegen die Bälge mit Blut bespritzt.

Die Häupter schnitt ich deinen Söhnen ab;

Unterm Feßeltrog barg ich die Füße.


Aber die Schädel unter dem Schopfe

Schweift ich in Silber, schenkte sie Nidudurn.

Aus den Augen macht ich Edelsteine,

Sandte sie der falschen Frauen Nidudurs.


Aus den Zähnen der Zweie dann

Bildet' ich Brustgeschmeid und sandt es Bödwilden.

Nun geht Bödwild mit Kindesbürde,

Euer beider einzige Tochter.«


Nidudur.

Nie sagtest du ein Wort, das so mich betrübte,

Nie wünscht' ich dich härter, Wölundur, zu strafen.

Doch kein Mann ist so rasch, der vom Ross dich nähme,

So geschickt kein Schütze, der dich niederschöße

Wie du hoch dich hebst zu den Wolken.


Lachend hob sich in die Luft Wölundur;

Traurig Nidudur schaut' ihm nach:


»Steh auf, Thankrad, meiner Thräle bester,

Bitte Bödwild, die brauenschöne,

Daß die ringbereifte mit dem Vater rede.


Ist das wahr, Bödwild, was man mir sagte:

Saßest du mit Wölundur zusammen im Holm?«


Bödwild.

Wahr ist das, Nidudur, was man dir sagte:

Ich saß mit Wölundur zusammen im Holm,

Hätte nie sein sollen! eine Angststunde lang.

Ich verstand ihm nicht zu widerstehen,

Ich vermocht ihm nicht zu widerstehen!

Quelle:
Die Edda. Stuttgart 1878, S. 127-132.
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