CII.

[106] 1. Ach Gott ich thu dich bitten,

gib mir vernunfft und verstandt,

In diesen bösen zeiten,

das ich möge thun widerstand.

Der argen bösen welt,

die da ist vol arger list,

als ich euch wil erzelen,

wie es mir ergangen ist.


2. Mit einem jungfrewlichen bilde,

die mich gar felschlich,

Mit jrem roten munde,

sie thet verführen mich.

Sie gab mir viel der guten wort,

bis sie mich thet zwingen,

das ich nit kont bleiben auff einem ort,

dasselbig thet jhr gelingen.


3. Ir liebe thet sie mir versprechen,

doch aus einem falschen grund,

Mein hertz wolt mir zerbrechen,

wenn ich nicht zu jr kommen köndt.

Das schafft jr lieblichs vertrawen,

dasselbige sie mir beweisen thet,

jtzt thut es sie gerewen,

das sie es angefangen hat.


4. Sie sprach mit worten behende,

ich jhr der liebste wer,

Von mir wolt sie sich nit wenden,

so lang ich das leben hett.

Darauff sie mir thet geben,

jre schneeweisse hendlein,

das er stet und fest solt bleiben,

nimer anders sein.


5. Als ich jhr nun thet glauben,

den schönen worten und der zusag,[107]

Gantz lieblich ich jr thet schreiben,

des ich hie nit melden mag.

O wehe des grossen elends,

das ich darnach leit,

denn sie sich gantz ab thet wenden,

und führt mich am narrenseil.


6. Darnach ich kam in schmertzen,

in jammer und grosse not,

Kein freude hett ich im hertzen,

ich wüntsch mir selber den todt.

Ire liebe hat mich umbfangen,

fürwar ich war jr hold,

nach jr hett ich mehr verlangen,

denn nach silber und rotem gold.


7. Mercket auff jr jungen gesellen,

hüt euch für jungfrawen list,

Last euch die liebe nicht quelen,

denn sie gar bitter ist.

Ir anfang ist wol süsse,

das end aber wol betracht,

wenn man sich scheiden müsse,

alsdenn kompt jammer und klag.


8. Hierumb so thut mich mercken,

und meiner stimme gehorcht,

Wer hat Samson seiner stercke,

und David seiner gottesforcht,

Auch Salomon seiner weisheit,

sogar berauben thun,

ist das nicht geschehen durch listigkeit,

der frawen und jungfrawen schon.


9. Hiemit so wil ichs enden,

allhie dis mein gedicht,

Gott wölst mir mein hertz abwenden,

und mir geben guten bericht.

Das ich mich von dir mög wenden,

darauff ich dis hab gedicht,[108]

ein junger knab thu ich mich nennen,

ich wil aber niemand melden nicht.

Quelle:
[Anonym]: Das Ambraser Liederbuch vom Jahre 1582. Stuttgart 1845, S. 106-109.
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