CXI.

[121] 1. Jungfrewlein sol ich mit euch gan,

in ewern rosengarten,

Und da die roten röslein stan,

die feinen und die zarten,

Und auch ein baum der blüet,

von ästen ist er weit,

und auch ein küler brunnen,

der auch darunter leit.


2. In meinen garten kompstu nit zu,

diesem morgen früe,[121]

Den gartenschlüssel findstu nit,

er ist verborgen schon,

Er ligt so wol verborgen,

er ligt in guter hut,

der knab darff weiser lehre,

der mir den garten auffthut.


3. Mein garten ist gezieret,

mit manchem blümlein schon,

Darein da geht spacieren,

ein jungfraw wolgethon,

Ich dorfft nicht umb sie werben

es war allein mein schuld,

viel lieber wolt ich sterben,

wenn ich verlier jr huld.


4. In meines bulen garten,

da ist der freuden viel,

Wolt gott solt ich jr warten,

es wer mein fug und wil,

Die roten röslein brechen,

und es ist an der zeit,

ich hoff ich wöls erwerben,

die mir im hertzen leit.


5. Ich kam zu jhr in garten,

wie manch gut gesell mehr thut,

Da stund dasselbig jungfrewlein,

so gar in guter hut,

Es sang von heller stimme,

das in dem garten erschall,

die vögel in den lüfften,

gaben den widerschall.


6. Ich kam zu jr getretten,

wie manch gut gesell mher (so) thut,

Ich wolt sie han gebeten,

ich bot jr meinen gruß,

Ich ward zu einem stummen,

vor scham da stund ich rot,[122]

bey allen meinen tagen,

leid ich nie grösser not.


7. Gut gesell drumb du mich gebeten hast,

das kan und mag nit sen (so),

Du wollest mir zertretten han,

die liebsten blümlein mein,

So kehr dich widerumbher,

und gang du widerumb heim,

du brechtest doch mich zu schanden,

fürwar es ist mir nit klein.


8. Man hat uns doch verlogen,

das weistu hertzlieb wol,

Das haben die falschen kleffer gethan,

sind mir und dir nit hold,

Wir wöllens wider keren,

merck auff mein höchster schatz,

erst will ich dich nur haben,

dem kleffer zu neid und haß.


9. Dort hoch auff jenem berge,

da steht ein mülenrad,

Das malet nichts denn liebe,

die nacht bis an den tag,

Die müle ist zerbrochen,

die lieb hat ein end,

so gesegen dich gott mein schönes lieb,

jtzt fahr in das elend.


10. Ich kehrt mich widerumbher,

ich gieng widerumb heim,

Da stundt dasselbig jungfrewlein,

in seinem gärtlein allein,

Sie pflantzt jr gelbes haare,

von gold hat es ein farb,

mit jrem roten munde,

sie mir den segen gab.


Quelle:
[Anonym]: Das Ambraser Liederbuch vom Jahre 1582. Stuttgart 1845, S. 121-123.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Angelus Silesius

Cherubinischer Wandersmann

Cherubinischer Wandersmann

Nach dem Vorbild von Abraham von Franckenberg und Daniel Czepko schreibt Angelus Silesius seine berühmten Epigramme, die er unter dem Titel »Cherubinischer Wandersmann« zusammenfasst und 1657 veröffentlicht. Das Unsagbare, den mystischen Weg zu Gott, in Worte zu fassen, ist das Anliegen seiner antithetisch pointierten Alexandriner Dichtung. »Ich bin so groß als Gott, er ist als ich so klein. Er kann nicht über mich, ich unter ihm nicht sein.«

242 Seiten, 11.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Michael Holzinger hat für den zweiten Band sieben weitere Meistererzählungen ausgewählt.

432 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon