CXXXIX.

Von einem Freyhart und Kuntz Zwergen.

[171] 1. Nun merckend jtzund jung und alt,

von einem Freyhart wol gestalt,

jetzt wil ich von jhm singen,

Im land da lieff er hin und her,

ein bengel trug er uber zwerg,

jm thet offt misselingen.

Eins mals lieff er uber ein heyd,

es was zu winters zeite,

mit armut was er bekleid,

als ich euch wil bedeuten,[171]

ein gippen hett er über sich gespannet,

sein leib jm dardurch zannet,

er hett böse hosen zwar,

der Freyhart der nam war.


2. Ein galgen sah er vor jm stan,

ein dieb den sah er hangen dran,

leichtlichen vor jm schweben,

Derselb het auch zwo hosen gut,

der Freyhart dacht in seinen mut,

sie komen mir gar eben.

Er wolt jms han gezogen ab,

an jm waren sie gefroren,

daß ers jm nit kont ziehen ab,

das thet jm also zoren,

der Freyhart thet jm die bein abhawen,

nicht lenger thet er schawen,

die bein hieb er jhm ab,

als ich vernommen hab.


3. Er schub sie bald in sack ein,

die hosen dauchten jn gar fein,

er sprach ich darffs nit kauffen,

Es war hin nach dem mittag,

ein grosses dorff dort vor jm lag,

darein so thet er lauffen.

Im dorff so lieff er hin und her,

sein narung thet er suchen,

der reichen bawren nam er war,

er wolt sein nicht entruchen,

er kam zu einem, der hies Cuntz Zwerge,

und bat jhn umb herberge,

Cuntz Zwerg der sagt jms bald zu,

heint hab bey mir dein ruh.


4 Cuntz Zwerg der lies den Freyhart ein,

ich sprich es möcht jm weger sein,

er hett jn nie gesehen,

Ir herren mercket mich gar schon,

wenn sich ein sach wil schicken thon,[172]

es ist wol halb geschehen.

Cuntz Zwerg stundt ungemach zu,

er hat nit im sinne,

des nachts kelbert jm ein kuh,

des ward er gar bald inne,

das kalb thet er in die stuben tragen,

ist war als ich euch sagen,

vor kelten hett ers in hut,

als man den kälbern thut.


5. Das kalb hat man in die stuben than,

darnach man bald thet einher gan,

dem Freyhart thet man geben,

Ein sack und stroh war sein bescheid,

darauff sich dieser Freyhart leit,

er fürt ein buben leben.

Da jederman nun schlaffen kam,

den Freyhart hett gefroren,

sein sack er da herfürer nam,

die füß waren auffgefroren,

er macht sie ledig als ich euch das sage,

am morgen frü vor tage,

zoch er die hosen an,

und machet sich darvon.


6. Die diebfüß hat er ligen lan,

die magd darnach war auffgestan,

als ich euch wil bescheiden,

Und thet hin in die stuben gan,

sie fand nit mehr den Freyhartsman,

sie kam in grosses leiden.

Sie blicket hin und wider dar,

sie sach das kalb dort starcke,

der diebfüß nam sie eben war,

wie übel sie erschracke,

sie schrey, o weh, des grossen mordte,

das es der Cuntz Zwerg erhorte,

vom beth wüscht er herfür,

sprach magd was ist dir.[173]


7. Die magd sagt es hat unser kalb,

den Freyhart gefressen mehr denn halb,

ich wölt ich wer nit hinnen,

Die magd saumet sich nit lang,

wie bald sie aus der stuben sprang,

den kalb thet sie entrinnen.

Sie sprach es freß ein gantz geschlecht,

Cuntz Zwerg der kam gelauffen,

die fraw, die kind und auch der knecht,

die schrien alle waffen,

sie kondten des Freyharts nicht vergessen,

sie meinten das kalb het jhn gefressen,

so gar bis an die füß,

da zuckt Cuntz Zwerg ein spieß.


8. Und schloff bald in den harnisch sein,

zum kalb wollt er in die stuben sein,

mit jhm sein knecht Heintz Greyffe,

Die fraw sprach nit mein lieber man,

wilt du an dir selbs ubel thun,

das kalb möcht dich zerreissen.

Cuntz Zwerg sprang wider hinder sich,

und sprach fraw ich dir folge,

das kalb möcht zerreissen mich,

sie rüfften an all heiligen,

nun wolte Gott das kalb wer nie geboren,

wir sein alle verloren,

in sie so kam ein graus,

sie lieffen aus dem haus.


9. Cuntz Zwerg vor forcht gieng jm aus der schweis,

und lieff bald hin zu dem schultheis,

thet jhm sein kummer klagen,

Der schulteis sprach, es ist nit gut,

und setzt bald auff sein eisen hut,

ich wolt es wer erschlagen.

Vielleicht bringt es uns all in pein,

er lies da sturme leuten,

die bawren lieffen zu wie die schwein,[174]

und forchten jrer heuten,

sie kamen auff den kirchhoff gelauffen,

mit flegeln und krummen waffen,

der schultheis sagt jn die mär,

wie das ein kalb da wer.


10. Es hat ein grossen mord gethan,

es hat gefressen ein Freyharts man,

mit kleidern uber alle,

Der füß sein noch ein wenig da,

waren die bawren gar nicht fro,

und thet jn nicht gefallen.

Der schultheis sprach nu geht herzu,

es ist ein feindlich wesen,

nun würde das kalb gros wie ein kuh,

bey jm keiner möcht genesen,

sie schrien all es ist ein schnöder wurme,

mit jm thund wir ein sturme,

das kalb kond noch nit gehn,

das wolt kein bawr verstehn.


11. Die bawren namen jhre wehr,

und theten da mit krafftes heer,

wol für das haus hinziehen,

Der schultheis da der hauptman was,

er sprach nun rucket her zu bas,

keiner vom andern fliehe.

Die bawren lieffen all zu hauff,

das haus sahen sie ane,

der schultheis sagt nun stossend auff,

keiner wolt vornen drane,

ein bawr der schrey es möcht uns letzen,

wer wolt uns des ergetzen,

sie schrien all, ja, je, jo,

warlich es ist also.


12. Ein alter bawr den rathe gab,

er sprach wir ziehen wider ab,

nun mercket mich gar eben,

Wir geben hie ein kleines gut,[175]

so sein wir vor dem kalb behüt,

und fristen unser leben.

Wir setzen ein gemeine stewr,

jeglicher geb sein zahle,

ins haus stossen wir ein fewr,

es thet jn wolgefallen,

haus und hoff wöllen wir vergüten,

so sol uns Gott behüten,

vor diesem kalbe dar,

ach wie waren die bawren so fro.


13. Sie brandten das haus ab allenthalb,

die bawren forchten sehr das kalb,

das fewr thets nicht vom leibe,

Die bawren schlecht und frum,

jetzt find man jhrs gleichen kaum,

ich wils also lassen bleiben.

Ihr weisen merckend mich gar recht,

ich fands also geschrieben,

die bawren waren viel zu schlecht,

das kalb hets schier vertrieben,

und solts den bawren jetzt geschehen,

sie würden wunder spehen,

kein kalb brechts mehr in not,

das lied ein ende hat.

Quelle:
[Anonym]: Das Ambraser Liederbuch vom Jahre 1582. Stuttgart 1845, S. 171-176.
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