612.

[235] Zur zeit Kaysers Augusti befand sich zu Rom ein armer Griechischer poete / welcher dem Kayser zum öfftern / wenn er aus dem palast gieng / ein und das andere epigramma überreichte / und ob der Kayser schon diese Griechischen gedichte durchlaß / so gab er dem verfasser doch niemahls nichts: sondern / als er einsmahls seinen zeitvertreib mit demselben haben / und ihn loß werden wolte / in dem selbiger eben mit neuen versen auf ihn zugienge / schickte er ihm ein epigramma entgegen / so er selbsten verfertiget / und mit seiner Kayserlichen hand geschrieben hatte. Dieses nahm der poete mit grossen freuden an / durchlaß es / und zeigete genugsam mit seinen geberden an /daß es ihm sonderlich gefiele. Hierauf kriegte er seinen beutel hervor / näherte sich dem Kayser / gab ihm etliche pfennige / und sagte zu ihm: [235] Nimm dieses von mir an / Kayser / ich gebe dir es nicht nach deinem hohen stande / sondern nach meinem geringen vermögen. Wenn ich mehr hätte / so würde meine freygebigkeit auch grösser seyn. Hierüber lachte Augustus / und ließ ihm hundert tausend thaler geben.

Quelle:
Das Buch der Weisen und Narren oder kluge und einfältige reden und tworten, welche von leuten aus allerhand nationen bey verschiedenen begebenheiten entweder im ernst oder aus schertz vorgebracht worden. Leipzig 1705, S. 235-236.
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