V

Die Äbtissin erzählt Monika einige Details aus der Geschichte der Klöster. Monika erhält einen inhaltsreichen Brief von Linchen, deren Mitteilungen Monika ebenso überraschten, wie sie unsere Leser befriedigen werden.


Da es eben Mittagszeit war, so wandelten die Nonnen in das Refektorium, und Monika sagte, daß sie zum Nachtische vorlesen wolle, was ihre Freundin, ihrer Mutter ehemaliges Kammermädchen, Linchen, ihr da geschrieben habe.

Als das lateinische Tischgebet gesprochen war, das erst die Äbtissin allein, dann alle zugleich sprachen, bemerkte jene, daß einige unter den Schwestern immer[123] noch nicht die Gewandtheit sich zu eigen gemacht hätten, welche dazu gehöre, die lateinische Sprache, die Sprache der Kirche, zugleich aber auch als die reinste, die nie zische und näsele, mit Kraft und Würde zu reden.

»Der Deutsche zischt; der Franzose näselt«, fuhr sie fort, »der Franzose kann nicht einmal ›non‹ sagen, wenn er die Nase zuhält.«

»Ehrwürdige Mutter«, fiel ihr Monika ins Wort, »erlaubt mir eine Frage: welchen Ursprungs ist wohl das Wort Nonne?«

»Ich will dir davon sagen, was ich weiß, liebes Kind«, versetzte die Äbtissin.

»Das erste Frauenkloster wurde von der heiligen Benedikta, einem edlen Frauenzimmer in Spanien, nach der Regel des heiligen Fructuosus auf einem Platze, der None hieß, erbaut und gestiftet; und es waren in kurzer Zeit achtzig geistliche Jungfrauen in diesem Kloster versammelt.«

»Da könnte man denken«, öffnete Annunciata die Grazienlippen, »diese Nonnen hießen deswegen so, weil alle Vollkommenheit sich mit der Zahl ›Neun‹ schließt und die folgende, die ›Null‹, das Grab, des ewigen Lebens Ideon sei, wenn Christus, diese ewige Einheit, uns durch sie hinbegleite.«

»Wahrhaftig christlich gedacht, liebe Schwester! Das, muß ich dir gestehen, ist mir bei aller meiner Kenntnis in geistlichen Dingen noch nicht einmal eingefallen.«

»Ach«, redete eine Nonne drein, »die französischen Spitzbuben werden uns bald alle verjagt haben.«

»Uns nicht«, versetzte lachend die Äbtissin, »weder der Zauberer Simon noch Merlin, noch jener von Thionville wird sich unterstehen, uns anzutasten.

Über die Nützlichkeit der Klöster ist ohnehin längst[124] entschieden, die Protestanten selbst lassen sie nicht eingehen.

Jedermann weiß, sagt Hippel, wie viel an der frühzeitigen Bildung des Verstandes und des Herzens der zarten weiblichen Jugend gelegen ist. Auferbauliche Christinnen, fromme Ehegattinnen, vernünftige Hausmütter haben wahrhaftig in die Glückseligkeit der Ehen, in den Frieden und die Ruhe der Familien, in die Aufrechterhaltung des Nahrungsstandes, in eine wohlgeordnete Kinderzucht und hiermit in die Wohlfahrt eines ganzen Staates nicht geringen Einfluß; solche rechtschaffene und tugendsame Frauenzimmer werden nun in den Klöstern der Salesianerinnen, in den löblichen Kongregationen, von unserer lieben Frau genannt, in den Pflanzschulen der Ursulinerinnen und Englischen Fräuleins mit vielem Eifer und mühesamem Unterricht erzogen und also wohlgebildet der Welt in die Hände zurückgeliefert.

Andere Nonnen aber von anderen Ordensständen, die vermöge ihres Instituts mit Maria den besten Teil, nämlich das reine beschauliche Leben erwählt haben, die bei den Füßen des Herrn sitzen und sein heiliges Wort anhören, das ist, die sich nur im Beten und Betrachten, Chorgesängen und anderen Werken der Andacht üben, diese genießen schon hier der besseren Welt. Nützen sie der Kirche nichts, so zieren sie doch die Kirche, und ihr Beten kann für alle diejenigen angenommen werden, die nicht beten, sondern wie das Vieh leben.

Jungfräuliche und gottliebende Seelen sind gleichsam so viel schöne Perlen und Granaten am Schmuck der geistlichen Braut Christi. Collum tuum sicut monilia, singt das Hohelied. Aber laßt uns die Speisen nicht kalt genießen.«

Als man zum Nachtische Früchte und Gebackenes aufgetragen[125] hatte, zog Monika ihren Brief aus dem Busen und las folgendes vor:


Liebe Monika!


Der Herr hat mich hart züchtigen lassen, aber zu meinem Heil; und ich suche jetzt nichts weiter, als ihm und meinem Gemahl zu Gefallen zu leben.

Bruder Eligius, der dich einmal so tüchtig peitschte, hat mir gesagt, daß du hier seiest und Monika genannt würdest. Es freut mich herzlich, daß du dieser argen und bösen Welt, an Leib und Seele gesund, entwichen bist, denn wenn man krank ist, hat man nirgends Ruhe. Laß dich nur oft peitschen, unten und oben, das wird, wie Sirach sagt, deinem Nabel gesund sein. (Die Nonnen lachten beifällig.) Ich bin eine gnädige Baronesse geworden, aber mein Gemahl ist kein Bauern-Schinder, er ist die Gütigkeit selbst. Als wir unsere Hochzeit feierten, sagte er zu den versammelten Untertanen: »Wißt ihr, was der Mensch ist, und was er sein sollte?«

»O ja, gnädiger Herr! Er ist bös und sollte gut sein.«

»Nicht doch«, versetzte mein Gemahl, »der Mensch hat mit der Natur nichts mehr zu schaffen, sondern mit der Politur. Er ist ein Schurke und sollte ein Edelmann sein.«

Und als mein Gemahl das gesagt hatte, zog er sich vor allen Bauern und Bäuerinnen bis auf den Gürtel aus, und unsere zwei Mägde mußten ihm so lange die Geißel geben, bis das Blut floß. Die Bauern standen erstarrt und wußten gar nicht, was sie sagen sollten, und die Mädels hielten die Hände vor die Augen und flennten. Aber nun kam auch die Reihe an mich.

»Das Herz des Menschen ist nicht nutz« – und hier[126] mußte ich mich über einen steinernen Tisch legen, und mein Gemahl entblößte das Unterteil meines Leibes – »und die Sinne des Menschen« – sagte er und zerhieb mich mit einer fürchterlichen Rute – »sind auch nichts nutz. Darum: Liebe durch Hiebe – Hiebe um Liebe!«

Seit dieser Zeit läßt er sich alle Quatember von den beiden Mädchen den Rücken geisein, und ich muß mir alle Quatember von zwei jungen Bauernburschen der Reihe nach den Hintern hauen lassen. Ach, Monika, das ist gut! Besser von der Rute als von niedrigen Leidenschaften gepeitscht werden. Meine beiden Mädchen sind so kirre, daß sie sich, so oft ich will, mir über den Schoß legen und von meinem Gemahl bezahlen lassen. Der Schmerz der Lust ist bitterer als die Lust des Schmerzes, und es muß so etwas in der Seele der Heiligen und Märtyrer vorgegangen sein, daß sie so standhaft so große und viele Martern haben ausstehen können.

Doch, liebe Monika! Ich muß meine Geschichte von da anfangen zu erzählen, wo deine Mutter in Teschen uns trennte. Wissen wirst du, daß sie unsichtbar geworden ist, daher weiß ich dir von ihr auch nichts zu melden, desto mehr aber von mir.

Deine Tante hatte mir meine Kammer anweisen lassen, und ich stand eben vor dem Spiegel und hatte mich aufgeschnürt, als Gervasius eintrat.

»Ich gehe zu meinen Brüdern, den Jesuiten hier«, fing er zu mir an und schielte auf meine Brüste, die ich Mühe hatte, seinen steigenden Gelüsten zu entziehen. »Wollen Sie nicht die schönen Kirchen sehen, Linchen?«

»Ich hätte wohl Lust«, war meine Antwort, »allein Sie sehen, Pater, ich bin noch in Reisekleidern.«

»Oh, reizend wie eine Madonna sehen Sie aus, liebes Kind!« versetzte Gervasius, »und der Staub vom Wagen,[127] der etwa noch dieses reizende Faltenröckchen, dieses schneeweiße Korsettchen beschwert, sollen Zephire wegtragen, weil keine Bürste da ist, wie ich sehe. Kommen Sie!«

Er faßte mich bei der Hand, und ich folgte mechanisch, nicht ohne heimliches Grauen.

Wir kamen an dem bekannten Kloster vorbei; ein Pater stand an der Tür und grüßte uns. Er hatte so etwas Freundliches und Zutrauliches in seinen Blicken, das unwiderstehlich anzog und seltsam mit Gervasius' scheuen und blinzelnden Augen kontrastierte.

»Ei, ei, wohin lieber Bruder in Christo?« rief ihm der alte Pater zu, als wir noch einige Schritte von ihm entfernt waren und seitwärts gehen wollten.

»Grüß Sie Gott, Pater Sylverius!« erwiderte Gervasius und führte mich mit sich zu dem alten Mann. »Ich will meine Brüder besuchen und dieses Frauenzimmer da Ihre schöne Kirche sehen.«

»Bin ich Ihnen denn so fremd geworden, daß nicht einmal ein gutes Gläschen Herzstärkung, das Sie sonst so gern von mir annahmen, mich Ihnen in die Erinnerung zu bringen vermag?«

Gervasius lachte, drückte dem Alten die Hand und sagte: »Das heißt admonere amicum alicui rei, eines Freundes Freund sein, so weit es das Gewissen zuläßt, nicht wahr, Mademoiselle, nicht Gewisseres in der Welt als ein Gläschen Wein?«

Ich lächelte und sagte zu dem alten Manne, ich hätte noch nicht gelernt oder erfahren, die Freundschaft oder die Liebe nach Gläsern Wein oder sonst materiellen Gegenständen zu berechnen, und ich glaubte, Herr Gervasius würde es auch nur zweideutig verstanden haben wollen.

Die Patres lachten, und Gervasius nahm mich bei der Hand und sagte: »Nein, liebes Linchen! In vollem[128] Ernst will ich es verstanden haben, kommen Sie mit, ich will vor Ihnen in der Probe bestehen.«

Ich zauderte. »Oh, Sie werden sich doch nicht vor meinem Altar fürchten, liebes Kind«, sagte Pater Sylverius, ergriff mich bei der Hand und zog mich nach sich zur Tür hinein. »Ich führe Sie hier neben hin, zu unserem Bruder Schreiner. Ein paar Gläser alten Ungar, und Sie werden Gottes Gabe loben.«

Pater Sylverius führte uns wirklich in die Arbeitsstube des Bruders Schreiner, der eben beschäftigt war, einen Sarg anzustreichen.

»Rex trementis majestatis, du bist eingetreten in unsere vier Mauern«, rief ernsthaft Pater Sylverius. »Nimm hin, was zu sterben weiß, verschone, was das Leben liebt, und laß dich nur wie ein Missetäter beim Wein finden. Schenk ein, Bernhard«, fuhr er gegen den Bruder Schreiner fort, und dieser schenkte drei Gläser voll roten Wein und reichte ihn uns.

Ich weigerte mich, aber der Alte nahm ihm das für mich bestimmte Glas ab und reichte es mir mit einem Blick, dem ich nicht zu widerstehen vermochte.

Wir tranken alle drei die Gläser auf einmal und rein aus. Kaum aber hatte ich den Wein aus der Kehle, so wußte ich auch nicht mehr, was mit mir vorging. Ein dichter Schleier legte sich vor meine Augen, ich sank in die Knie und vermochte kaum, mich an dem Sarg zu halten.

»Sie ist tot – lebendig tot«, hörte ich noch den Bruder Schreiner sagen und fühlte, wie mich die beiden anderen umfaßten und in den Sarg legten.

»Hinunter mit dir! Kind der Sinne und der Sünde!« schrie mir Gervasius ins Ohr.

»Lebendig tot bist du!« Ich hörte es wie in weiter, weiter Entfernung; aber mein Gefühl war noch lebendiger, denn ich fühlte, wie mir Röcke und Hemd aufgehoben[129] und mein Hintern entblößt wurde – fühlte, wie ich immer tiefer und tiefer sank, und dann, wie eine kühle, feuchte Luft sich auf mein entblößtes Fleisch legte.

Mehr aber weiß ich nicht. Ich verlor das Bewußtsein, um aufs neue im Traum lebendig tot vor mir zu erscheinen.

Es war mir nämlich, als träte ich eben auf dem Münchener Theater – wo ich einmal einige Vorstellungen gesehen und ein paar schöne Schauspieler mit meiner Phantasie genossen hatte – in der Rolle der Braut von Messina, mit Don Cäsar und Don Manuel auf die Bühne. Die Szene stellte ein unterirdisches Gefängnis vor. Don Cäsar und Don Manuel waren als Dominikaner und ich als Zisterzienserin gekleidet. Mein Weisel war zurückgeschlagen und meine Brüste gänzlich entblößt.

Don Cäsar führte mich gegen das Proscenium, ich sah das ganze Theater bis oben an mit Menschen bedeckt. Er deklamierte:


»Wohlan, freche Hündin!

Andere Reize sollst du jetzt uns entfalten

Und das Märchen von des Schicksals Gewalten –

Mit der Rute deine Menschheit erziehe so.«


Don Manuel legte mich in seine Arme, und Don Cäsar hatte die Unverschämtheit, mich vor allen Leuten bis auf den Nabel aufzudecken, meine Lenden voneinander zu reißen und mit Gewalt mir das zu rauben, was dein Vater selbst, liebe Monika, so edel zu verschonen wußte.

Ich fühlte sein Glied in meinem Schoß eindringen, fühlte mein jungfräuliches Blut an meinen Lenden herabfließen,[130] fühlte – sollte ich es leugnen? – unaussprechliche Wonne.

Wenn du aber glaubst, daß ich mitten in dieser Wonne erwacht wäre, irrst du.

Als Don Cäsar sein Glied, starrend noch und mächtiger als zuvor, aus meiner Scheide gezogen, Don Manuel mich zugedeckt, und die Zuschauer auf eine fürchterliche Weise geklatscht hatten, ergriff mich Don Cäsar und sagte:


»Wohlan, du Hure!

Erlöse uns von den Banden

Verächtlichen Fleisches –

Öffne unseres Geistes Gefängnis.«


Da mußte ich mit beiden vor ein hohes eisernes Tor treten. Don Cäsar hob mir Röcke und Hemd in die Höhe, faßte mit meinem Hemde zugleich das ungeheure Schloß des eisernen Tores, und – indem er mir befahl niederzuknien und meinen Hintern auszustrecken –, zerhieb ihn Don Manuel mir mit einer birkenen Rute so grausam, daß mein Blut zum zweitenmal, ärger als jenes des heiligen Januarius, floß. Ich schrie, und die Zuschauer deklamierten a gara erst recht:


»Was dem einen Teil billig, ist dem anderen Teil recht.

Es wandelt im Leben ein arges Geschlecht,

Daß der Bruder die Schwester nicht – lause.«


Dann links:


»Was dem einen Teil billig, ist dem andern Teil recht.

Eins wird bedient, das andere ist Knecht,

Der Herr ist nicht immer zu Hause.«[131]


Mit der letzten Strophe fiel der Vorhang; rasselnd taten sich die eisernen Flügeltüren auf; und schlafend schlief ich unter dem Gedanken Sirachs ein: Öffentliche Strafe ist besser als heimliche Liebe, und über mir tönte es: In der Auferstehung werden Sie weder freien noch sich freien lassen.

Aber ich sollte nicht schlafend einschlafen. Es war mir, als erwachte ich im Sarg; mit einem Kruzifix in der Hand richtete ich mich auf und sah mich in dem Tempel der Dya-Na-Sore. Den Staat muß er verachten; er findet ihn überall als eine denkende Maschine, aufgezogen, angetrieben, hin- und hergeworfen, nirgends die Autorität des Ichs, überall die Gewalt des Seins – und – tierisch, glücklich.


Liebes Malchen! Ich mußte gestern plötzlich aufhören, dir die ferneren wichtigen Entscheidungen und Belehrungen meines guten Jeroms aufzuschreiben. Denk nur, deine Mutter, Louise Gräfin von H. ist bei mir. Gräfin von H.?

Ja! Ja! Der Graf von H. lernte sie in den Bädern von Baden in der Schweiz auf die originellste Art von der Welt kennen. Vorher aber wisse, daß dein Vater und Beauvois sich einander die Degen durch die Leiber jagten. Beauvois, weil er aus einem allerchristlichen Christen zu einem erbärmlichen Juden sich umgeschaffen sehen mußte, und dein Vater, weil das Wahre und Gerechte in ihm über das Gute und Schöne deiner Mutter dominierte, und Schopenhauers vierfache Wurzel, sein Verderben, tragisch enden sollte.

»Im Zeitalter der Phantasie lebt kein Mensch zu Hause«, pflegte jedesmal der Graf von H. zu sagen, wenn von etwas Vernunftlosem, das ein Mensch getan, die Rede war. Er hält also alle Menschen gewissermaßen[132] für Phantasten, und das Kreuz, das sie traf, für doppelt trächtig, folglich sie zu lieben, sich auch doppelt verpflichtet. Daß ich's kurz mache, deine Mutter wird dir's selbst erzählen: Der Graf probierte einmal einen Isabellschimmel und stieg, da er ein Riese von Figur ist, von der Erde auf den eisenharten Rücken des herrlichen Tieres. Alles applaudierte – Louise, die zugegen war, und deren Schönheit und elegantes Badekleid alle Augen auf sie gezogen hatte, sagte dem Grafen ins Gesicht, daß sie seinen Schimmel auf eine Art und Weise bespringen wollte, von der selbst Penthesilea und Tomiris nichts gewußt hätten. Und sie hielt Wort, hob, als der Graf abgestiegen war, ihre Kleider bis an den Gürtel in die Höhe und sprang mit einer solchen Schnelligkeit und mit ausgespreiteten Lenden von hintenzu auf die halbwilde Bestie, daß ein Chiarini es nicht herrlicher ihr nachgemacht haben würde.

Von dieser Zeit an war Graf von H. ihr erklärter Verehrer, und als endlich mit Herrn von Kotzebus »Leontine« zugleich die Nachricht mit nach Baden kam, daß ihr Gatte und Beauvois sich eigenmächtig das Leben genommen hätten, wurde es ihr an der Seite ihres Grafen noch einmal so interessant.

Indessen hatte des Grafen Hausarzt ihm geschrieben, die Bäder von Piemont mit jenen von Baden zu vertauschen, und der Graf, der weder von Krankheit noch von Gesundheit, seitdem er die Blattern gehabt und zum erstenmal seine Kammerjungfer entjungfert hatte, etwas Rechtes zu erzählen wußte, folgte blindlings dem Rate seines medizinischen Mentors.

Deine Mutter folgte ihm, und in Piemont eröffnete sich ihr ein neuer Schauplatz. Du kennst ja die unüberwindlichen Reize deiner Mutter, liebe Monika, und du wirst erstaunen ob ihres Anblicks. Genug! Ganz Piemont,[133] Fremde und Einheimische, wurden toll und rasend in sie verliebt. Wenn sie auf der Promenade erschien und ihre leichte Kleidung in die Höhe hob, daß die Leute ihre herrlichen Waden und oft gar das Strumpfband, das bloße Knie und das schneeweiße Hemdchen erblickten, erstarrte alles in süßen Gefühlen, und kein Mensch dachte noch daran, daß er krank sei.

Vier Studenten hatten sogar sich einander einen leiblichen Eid geschworen, sie entweder zu besitzen und zu genießen oder zu sterben, und der göttliche Zufall schien ihr verruchtes Vorhaben zu begünstigen.

Der Graf von H., ein Hagestolz von neunundvierzig Jahren und plötzlich vom Schlag gerührt, dachte an alle seine begangenen Jugendsünden, vermachte Louise die Herrschaft Flammersbach als Witwensitz und fl. 30000 jährliche Revenuen, ließ sich mit ihr trauen und gab seinen Geist in Louises Schöße auf, ehe noch ein zweiter Schlag ihn ans Sterben erinnern konnte.

Louise traf dieser Schlag mit, du kennst ihr liebendes Herz. Piemont wurde ihr verhaßt, und die Kriechereien ihrer Liebhaber zum Ekel.

Sie machte sich auf, verließ heimlich Piemont und reiste ihren Gütern zu.

Auf der Hälfte des Weges dorthin liegen die meinigen. Ein kleines Birkenwäldchen, mit romantischen Wiesen und Geßnerischen Buchen verschönert, trennt die Herrschaft Lebensziel von dem Städtchen ...

Vier Studenten, von denen ich dir eben geschrieben und gerade so viel als Fakultäten, folgten ihr von Station zu Station nach. Ich erzähle dir, was sie mir erzählte, und wie ich sie zwischen diesen Musensöhnen fand.

Paulini, ein Mediziner von Jena, Hildebrand, ein Theologe von Marburg, Beck, ein Jurist von Göttingen,[134] und Budäus, ein Philosoph von Halle, waren die Verbündeten.

Paulini führte eine Pistole, Beck einen Stoßdegen, Hildebrand einen Kosakenspieß und Budäus eine Trompete mit sich.

Diese vier Fakultätenritter hatten einen gascognischen Schneider, den sie Jean de Paris tauften, und der jetzt als ein guter Violinist seine Stückchen und Stücke geigte, als Bedienten bei sich, und nun stelle dir vor, liebes Malchen, welchen Aufzug die verrückten Kerls durch unser ehrbares Deutschland hindurch gemacht haben.

Louise hatte nur eine Kammerjungfer des Grafen bei sich. Der Kutscher war ein Lohnkutscher und eine alte Volleule.

Es war mir an dem Tage, als ich deine Mutter wieder sehen sollte, liebe Monika, ich weiß gar nicht wie. Ich konnte nicht zu Hause bleiben, mein Gemahl hatte Geschäfte, allein lief ich weg über Feld und Stein, über Klee und Hanf, erst als ich das Birkenwäldchen erreicht hatte, wurde meine Seele ruhiger.

Und nun stell dir vor, was ich in diesem Wäldchen erblickte.

Kaum hatte ich es erreicht, so stürzte mir ein Frauenzimmer entgegen, dem der Schrecken alle Sprache genommen hatte. Sie warf sich mir in die Arme und lispelte kaum hörbar und atemlos: »Um Gottes willen – hel-fen Sie ... Kommen Sie der gnädigen Gräfin zu Hilfe ... Vier – vier sind über ihr.«

Und damit zog sie mich so hastig über Dorn und Busch hin, daß meine Kleider hängenblieben, und die Dornen mir durch die Strümpfe drangen.

Wenige Schritte noch, und wir befanden uns auf einer lieblichen Waldwiese meines Gebietes, und jener an Schönheit ähnlich, auf welcher die gefiederten Seelen[135] Platons sich ergötzten, zu denen ich leider meine Hühner und Gänse nicht zählen darf.

Gütiger Himmel, was erblickte ich. Ich will es dir so vorstellen, wie deine Mutter es mir erklärte.

In der Mitte der Wiese hielt nämlich der Reisewagen der Gräfin. Der Kutscher lag neben den Pferden. Die Kammerjungfer stand mir zur Seite und zeigte mir die erstaunlichste Szene.

Louise lag mit halbem Leibe im Schlag des Wagens, der verfluchte Jean de Paris saß oben auf ihm und hielt ihre Füße und zwischen denselben seine Violine hoch in die Höhe – und geigte: La Fideltá von Kanne.

Louises Röcke und Hemd, weggefallen vom schneeweißen Hintern, entblößten alle ihre geheimen Reize.

Der verteufelte Hildebrand hatte seine Kosakenlanze tief durch Louises Röcke und Hemd hindurch in die Erde gestoßen und benediktierte: »Nous jouissons, et s'il plaît au Seigneur, nôtre posterité la plus reculée jouira la prosperité de la sainte liberté qui nous est échue en partage.«

Neben ihm kniete Budäus und blies mit seiner Trompete: Es ritten drei Reiter zum Tore hinaus, gerade in Louises Kerbe hinein – und deklamierte zürnend, wenn er das Maul von der Trompete wegtat:

»Die meisten Menschen, sagt Abt Mably, sind nur darum unglücklich, weil sie dumm genug sind, die Glückseligkeit, die ihnen die Natur (id est – die nackende Hure!) auf ihrem Wege anbietet, nicht zu verachten und lieber den Chimären ihrer Leidenschaften nachjagen.«

Beck hatte ihren Busen entblößt und hielt mit heftigen Küssen und Geifern seinen Stoßdegen auf der anderen Seite des Wagens an ihr geängstigtes Herz und schrie:[136]


»Suum cuique!

Omne tulit punktum!

Dictum et factum!«


Paulini aber, mit der Pistole in der Hand, zog ihre Lenden voneinander und wußte sich stillschweigend so gut bei ihr zu empfehlen, daß ich wohl sah, wie vergeblich es sein würde, hier eine andere Art von Menschlichkeit geltend zu machen.

Wie ich nachher von Louise hörte, so haben sich Hildebrand und Budäus, Paulini und Beck miteinander duelliert. Paulini hatte mit seiner ungeladenen Pistole Becks Stoßdegen so trefflich gepackt und besser als Budäus mit seiner Trompete die verwünschte Kosakenlanze, als welche beinahe, wie Idomeneus den Ares getroffen, beinahe die Hand ihm durchstoßen hätte, daß ihm einmütig Louises Reize zuerst überlassen wurden.

Als Paulini seine Lust gebüßt hatte, kamen die übrigen drei an die Reihe – und da auch diese sich gesättigt hatten und Jean von Paris seine Gefesselte niederlassen mußte, schien es uns Zeit, der Armen zu Hilfe zu eilen.

Aus vollen Kehlen schrien wir also »Hilfe! Hilfe!« Die fünf Schurken aber schwangen sich auf ihre Pferde, und deine Mutter, liebes Malchen, erwachte in den Armen ihrer ehemaligen Freundin.


ENDE[137]

Quelle:
E. T. A. Hoffmann: Schwester Monika. München 1971, S. 121-138.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Anonym

Li Gi - Das Buch der Riten, Sitten und Gebräuche

Li Gi - Das Buch der Riten, Sitten und Gebräuche

Die vorliegende Übersetzung gibt den wesentlichen Inhalt zweier chinesischer Sammelwerke aus dem ersten vorchristlichen Jahrhundert wieder, die Aufzeichnungen über die Sitten der beiden Vettern Dai De und Dai Schen. In diesen Sammlungen ist der Niederschlag der konfuzianischen Lehre in den Jahrhunderten nach des Meisters Tod enthalten.

278 Seiten, 13.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Dass das gelungen ist, zeigt Michael Holzingers Auswahl von neun Meistererzählungen aus der sogenannten Biedermeierzeit.

434 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon