Achte Szene

[267] Vorige ohne Schoferl und Tomerl. Die nächtliche Streife. Voran Kraft und Werner, dann auf einer Bahre, von vier Männern getragen, Frey. Es folgen Hutterer, Sidonie, Stöber, Seeburger und Gendarmen, welche einen Trupp Vagabunden beiderlei Geschlechts eskortieren; Bauern, als Begleiter der Streife, mit Laternen und Fackeln ausgerüstet.


KRAFT unterm Auftreten. Nur immer geradeaus, den kürzesten Weg!

WERNER. Für ihn ist auch der kürzeste zu lang. – Die Bahre erscheint im Hintergrunde. Er stirbt, ehe wir die offene Straße erreichen.

FREY schwach. Wasser!


Der Zug hält.


KRAFT. Was ist?

SEEBURGER. Er verlangt zu trinken.

KRAFT. So setzt ab und gebt ihm!

WERNER. Wer hat den Krug? Leuchtet!


Licht wird herzugebracht.


HEDWIG hat entsetzt den Vorgängen gelauscht; sie erhebt sich, wie die Bahre nahe bei ihr niedergestellt wird; jetzt,[267] wo die Lichter herangebracht werden, erkennt sie Frey. Allbarmherziger Himmel! Robert!


Wirft sich über die Bahre.


KRAFT. Mein Gott, was haben wir denn da wieder?

SIDONIE. Unser unglückliches Kind!

KRAFT. Ah, die Dame, nach der zu suchen Sie mich baten?


Während der folgenden Vorgänge ist die Bahre so umstellt, daß das Publikum wohl das Zureichen des Kruges, aber nicht den Sterbenden trinken sieht.


SEEBURGER welcher mit Stöber neben Martin und Josepha steht. Herr Adjunkt!


Kraft tritt auf die Gruppe zu.


STÖBER mit einer Laterne hinzuleuchtend. Da ist eine in unserm Bezirk Bekannte. Bedeutend. Ihr Name ist Schalanter!

KRAFT. Das ist der Bruder? Keines antwortet. Helft dem Burschen auf die Beine und bindet ihn!

MARTIN schnellt empor. Warum?

KRAFT. Das weißt du ganz gut, Lump! – Die Dirne zu dem übrigen Gesindel und den Mann noch heute an die kompetente Militärbehörde!


Martin und Josepha werden nach rückwärts geführt.


KRAFT zu Hutterer und Sidonie. Ich bitte, Ihre Tochter von da zu entfernen!

HEDWIG noch immer an der Bahre kniend. Nein, – nein!

KRAFT. Wir haben Eile, jeder Verzug ist für den ... Kranken gefährlich; wenn Sie an der Bahre nebenher gehen wollen, das kann ich gestatten. Zu den Trägern. Auf – langsam –


Die Bahre wird gehoben, Hedwig steht daneben und hält die herabhängende Rechte Freys in ihrer Hand und drückt sie an die tränende Wange.


FREY. Was ist das für eine Hand?

HEDWIG weinend. Die meine!

FREY. Hedwigs?

HEDWIG schluchzend. Ja![268]

FREY in dem singenden Tone, welcher den in letzten Delirien Liegenden eigen ist. Ah – die Nacht ist schön!

KRAFT winkt den Trägern, ergriffen, leise. Vorwärts!


Der Zug setzt sich in Bewegung. Hedwig hält die Hand des Sterbenden fest in der ihren. Wie die Bahre verschwindet und hinter ihr die letzten Personen sich verlieren, schießt eine leuchtende Sternschnuppe über den Nachthimmel.

Der Vorhang fällt rasch.


Quelle:
Ludwig Anzengruber: Werke in zwei Bänden. Band 1, Berlin und Weimar 21977, S. 267-269.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Das vierte Gebot
Anzengrubers Werke: Teil 3. Doppelselbstmord.-Der ledige Hof.-Ein Faustschlag.-Das vierte Gebot.-'s Jungferngift
Das Vierte Gebot (Dodo Press)
Das vierte Gebot

Buchempfehlung

Platen, August von

Gedichte. Ausgabe 1834

Gedichte. Ausgabe 1834

Die letzte zu Lebzeiten des Autors, der 1835 starb, erschienene Lyriksammlung.

242 Seiten, 12.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon