Vierte Szene


[68] Vorige. Alles.

Wallfahrerzug: Voran Anton, dann Klaus, Mathies, Veit und die andern Bauern, Altlechner, nebenher, vorsingend. Alle sind gekleidet, wie Altlechner schon im vorhergehenden Akte beschrieben ist; sie haben die Hüte tief ins Gesicht gedrückt und den Kopf in große Gebetbücher gesenkt, die sie mit beiden Händen vor sich halten, so daß sie die Stöcke wie »Gewehr im Arm«, nur in den verschiedensten Richtungen und Neigungswinkeln tragen. – Hierauf die Dirndln, Liesel voran, alle sehr züchtig, die Tücher bis zum Hals hinaufgebunden. Jede trägt einen roten Regenschirm, und da sie ebenfalls große Gebetbücher, ganz so wie die Männer, halten, so haben sie die Schirme in allen erdenklichen Querlagen unter dem rechten oder linken Arm. Zuletzt, in Gruppen nachdrängend, die Bäuerinnen, darunter Marthe, und dann die Bursche, worunter Michl, Sepp, Martin und Loisl. Die Wallfahrer kommen unter Gesang vor.


ALTLECHNER vorplärrend.

Mir sein schon bereit –

CHOR.

Voll Bußhaftigkeit

ALTLECHNER.

Der Weg is zwar weit –

CHOR.

Voll Bußhaftigkeit!

ALTLECHNER.

Dös is's, was uns gfreut –

CHOR.

Voll Bußhaftigkeit!

ALTLECHNER klappt das Gebetbuch zu. Na alsdann, Gelbhofbauer, dir habn mir noch 's Geleit gebn. Hitzt[68] mach aber, daß amal ernst wird. Hol dein Wegzehrung und nimm schleunig Abschied. Mir könnten schon längst 's erstmal im Nachbarsdorf im Wirtshaus rasten.


Die Gruppen lösen sich. Anton tritt, Liesl an der Linken haltend, vor zu Josepha, ebenso kommt jeder Bauer zwischen seinem Weib und einem Dirndl zu stehen.


Lied mit Chor


ANTON singt.

No bhüt dich Gott, Sepherl!

Wir sein hitzten fromm

Und gehen da übri

Dort enten nach Rom!


Chor singt, dasselbe begleitend, mit Brummstimmen, nur daß jeder einen andern Namen für »Sepherl« – also etwa Regerl, Gretl, Rosl etc. – singt.


ANTON allein.

No bhüt dich Gott, Sepherl!

Und halt mir fein Haus,

Es wird dir schwer aufliegn,

Doch mach dir nix draus!


Du bist – no, dös weiß ich,

Dös weiß ich ja eh –

Du bist nur froh, daß ich

Nach Rom abigeh!


Kurzer Jodler mit Chor.


JOSEPHA die sich diese Strophe mit über die Brust gekreuzten Armen, vorgesetztem Fuß und zurückgeworfenem Kopf angehört hat, überschlägt den Jodler und schließt ihn lachend. Und sagt zum Steinklopfer, indem sie zu Anton näher tritt. Jetzt paß auf den Juchatzer auf! – Du, Tonl, wann dir d' Wirtschaft gar so aufn Herzen liegt ... schau, kannst schön bitten, laß ich dich hoam!

ANTON. Mein lieb Sepherl, was kümmert mich d' Wirtschaft?! Indem er die Liesel an sich zieht. Alle irdenen Gedanken[69] habn wir aufgebn. – Besser, da herunt gedeihn als da oben verderben – na, na, besser da herunt verderben als da oben gedeihen – na aber, Jesses und Joseph – besser, da herunt verderben und da oben gedeihn!

ALTLECHNER ungeduldig. No fing der a Stund zum gigazen und gagezen an! Vorplärrend.


Mir sein schon bereit!


Sogleich beginnt der Zug sich wie früher zu ordnen.


STEINKLOPFERHANNS für sich. Dressiert sein s' wie die Jagdhund! Selbstgefällig. Ja, was halt a orndlicher Kommandant is!


Josepha und die anderen Bäuerinnen stürzen rasch zu und führen ihre Männer wieder vor. Die Dirndln nehmen dieselbe Stellung wie früher ein.


JOSEPHA zornig. Dös wär der ganz Abschied?!

ANTON. Ah na! Ich hätt dir schon noch was z' sagn. Singt.


No bhüt dich Gott, Sepherl

Und bleib mir fein treu,

Denn wir sein verheirat

Und gschieden dabei!


Chor wie oben.


Verheirat, no freilich,

Und gschieden, o Gfrett,

Ja gschieden vom Tisch

Und a gschieden vom Bett! –


Dich fecht's nix an, weiß ich,

Dös weiß ich ja eh –

Du bist nur froh, daß ich

Nach Rom abigeh!


Kurzer Jodler mit Chor.


JOSEPHA singt zornig lachend den Jodler mit, tritt Anton ganz nahe zu Leibe, sehr bestimmt. Gelt? Wär eng eh um jede Bitt leid, daß mer eng bleiben ließ? Aber blind müßt mer sein, wann man nit sähet, woher eng auf einmal d'[70] groß Bußhaftigkeit eingschossen is! Wär a schön Bußfahrt! Aber ich sag dir's, Tonl, du bleibst da, mach mich net wild, du bleibst hoam, und a Red is's! Schauts, da ließ jeder 's Weib wie a Wittib, die arm Kinder wie Waserln z' Haus sitzen! Nöt alleinig – wann a dö Menscher im Ort verbleibeten – ließn wir eng fort mit so nixnutzig Fürnehmen in engere Köpf! Hoam bleibts! Bei engere Weiber schickt sich schon auch Zeit, Ort und Glegnheit gnug zum Bußtun!

MEHRERE WEIBER. No freilich – wohl – wohl!

ALTLECHNER dreht sich rasch um, vorsingend.

Mir sein schon ...

ANTON unterbrechend. Aber Sepherl! No kenn sich doch der Teuxel bei eng Weibsleut aus! Hitzt machts auf einmal so a Wesen, weil man tut, wie enger Willn is – ös habts es ja selber angschafft!

JOSEPHA mißmutig. Müßts denn a allmal dabei sein, wann was Dumms angschafft wird?!

ALTLECHNER. Auf dös werds doch auf kein Antwort studiern?! Wendet sich und singt vor.


Mir sein schon bereit!


Der Zug will sich wie früher ordnen, kommt aber nicht dazu, da Anton von Josepha und die andern Bauern von ihren Weibern rasch am Arm zurückgehalten werden.


ANTON. Was willst denn noch, Sepherl?

JOSEPHA der das Weinen nahe ist und die schon mit ihrem Schürzenzipfel spielt, trotzig. Da sollst bleibn!

ANTON. Schau, Sepherl, selb geht nit! Singt.


Drum bhüt dich Gott, Sepherl,

Wir sein hitzten fromm

Und gehen da übri

Dort enten nach Rom!


Chor wie oben.


Und hitzten, wo ich mich

In d' Buß einifind,[71]

Da därfst mich nit halten,

Dös war ja a Sünd!


Der frumm Vorsatz, weiß ich,

Steht fester wie eh,

Mich halt gar nix, daß ich

Nach Rom abigeh!


Jodler mit Chor.


JOSEPHA der die Tränen ins Auge schießen, singt den Jodler melancholisch, mit der Schürze um die Augen hantierend, mit – spricht, indem sie, wie man im Volksmunde sagt, »der Bock stößt«. Tonl – ich bitt dich gar schön – Tonl – verbleib! – Ich – ich komm mit der Wirtschaft – mit der Wirtschaft komm ich nit auf – und wir sein erst so kurze Zeit beinand – später amal – wann's dir a Freud macht – von mir z' gehn, hab ich vielleicht a nix dagegn – aber hitzten, hitzt weiß ich mich gar nit aus! – Wann d' mich gern hast, Tonl – so verlaßt mich nöt – und – und wann d' mich nimmer gern hättst – Heulend. – Tonl – öh – Tonl, so geh ich ins Wasser!

LIESEL gibt Anton einen Rippenstoß. Derbarmt s' dir denn noch nit?

ANTON. Ah!!

STEINKLOPFERHANNS. Hitzt is Zeit zum Nachgebn!

ANTON durch den erhaltenen Rippenstoß ganz grimmig gemacht, reibt die getroffene Stelle, heftig. Ich mag aber noch nit!

STEINKLOPFERHANNS ebenso. Ah, so gehts allzsamm zum Teufel, dumm Volk – da kann der best Kommandant nix machen!

ALTLECHNER durch das Warten erbittert. No, was is's denn nachher? Da stehn s' herum – wie die Patzenmandln vorn wachsern Jesukindl in der Krippen. Gehn wir amal! Singt.


Mir sein schon bereit!


Diesmal arrangiert sich der Zug und setzt sich in Bewegung.[72]


CHOR fällt singend ein.

Voll Bußhaftigkeit!


Der Zug hat unterdem sich so geschwenkt, daß Anton als der erste eben den Hof verlassen will.


JOSEPHA nimmt in diesem Augenblick die Schürze vom Gesicht. Tonl!


Anton bleibt stehen und wendet sich um.


JOSEPHA sehr freundlich. Bhüt dich Gott, Tonl – geh nur mit deiner Dirn ins Wällische – ich such mir derweil 'n säubrigsten Bubn im Ort aus!

ANTON stürzt in langen Sätzen vor. Himmelheiligkreuzdonnerwetter! Dös gang übern Spaß! Bleibt mit aufgehobener Faust vor ihr stehen.

JOSEPHA. Na, so schlag zu – schlag nur her – dös will ich ja – da renn ich in mein Kammerl und riegel mich ein – ohne a gut Wort wirst doch nit von mir gehn wolln – und so halt ich dich doch da, solang mir beliebt!

ANTON jubelnd. Na, heilig Mutter Anna, dös halt a anderer aus! – Haun ließ sie sich a von mir! Jujuju! Goldig Sepherl, was d' mich aber gern habn mußt! – No bleib ich da! Freilich bleib ich da!


Wirft den Brotsack in die Luft und umarmt Josepha.


DIE BAUERN. Mir a! – Mir bleibn a do!


Überall Umarmungsgruppen.


ALTLECHNER mittendurch davonrennend. Aber i nöt –! Erscheint gleich in hastiger Flucht oben auf dem Fußsteig.

ANTON stolz sich aufrichtend. No Manner! Was, Manner, sein wir Manner?! Wir habn's zeigt, daß wir auf unsern Willen und unser Wort halten können! Gelts, Weiber?!


Die Männer liebkosen die Weiber. Steinklopferhanns fällt angesichts dieser Gruppen in einem Lachkrampf auf die Steinbank.


ANTON wendet sich bestürzt zu ihm. No, Steinklopfer, willst leicht versterbn?

STEINKLOPFERHANNS ringt nach Atem. Auweh! –[73] Auweh! – War kein Wunder, 's wurd eins hin! Zeigt auf die Gruppe. Dös heißen s' in der Stadt »Gewissensfreiheit«!

CHOR.

Kreuzelschreibn, Kreuzelschreibn,

Tust's, so sollst a dabei bleibn!

Kreuzelschreibn, Kreuzelschreibn

Muß man ehrlich treibn!


Der Vorhang fällt.


Quelle:
Ludwig Anzengruber: Werke in zwei Bänden. Band 1, Berlin und Weimar 21977, S. 68-74.
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