[239] Doktor Hammer, dann Fähnlein.
HAMMER aus dem Kabinett. Widerlicher Patron, dem ich am liebsten die Thür gewiesen hätte; aber gesellschaftliche Rücksichten zwangen mich, in zu ertragen, er gehört ja zur Familie. Denselben Rücksichten verdanke ich es, daß ich mein Haus nicht mehr für mich allein haben kann, ich habe es vom Anfange an für andere behaglich zu machen gesucht – Ganz gedämpft erklingt, von Piano und Geige gespielt, ein Walzer; an den Gardinen gegenüber sieht man manchmal den Schatten eines tanzenden Paares vorbeihuschen, das währt, bis der Walzer zu Ende gespielt ist. und nun behagen sie sich darin bis zum Ende. Ein Geräusch im Vorzimmer – was ist das? Er geht zur Thüre rechts im Hintergrunde, öffnet sie halb. Ist jemand da draußen?
FÄHNLEIN außen. Ich. – Herr Doktor! Er stößt das »ich« besonders hell heraus.[239]
HAMMER öffnet die Thüre ganz. Wer?
FÄHNLEIN unter die Thüre tretend, wie oben. Ich, – Herr Doktor!
HAMMER. Sie. Herr Fähnlein, was suchen Sie um diese Zeit noch hier?
FÄHNLEIN kommt vor, er ist angeheitert, geht sehr vorsichtig, schwankt aber nicht, nur in seinen Gesten ist er etwas unsicher, sein Gesicht ist stark gerötet. Nichts! – Eine kleine Unterredung. – Aber schicken Sie den andern da fort.
HAMMER. Welchen andern?
FÄHNLEIN macht mit der echten einen Schirm vor den Augen und fixiert den Doktor. Ah, ja so – hehe – ich glaubte, es stünde ein Herr so schief. Fährt mit der Hand schräg aufwärts. Neben Ihnen.
HAMMER. Mir scheint, Sie haben gar auf! Fähnlein.
FÄHNLEIN. Auf!? Er fährt mit der Rechten über die Glatze und zeigt den Hut, den er in der Linken hält. Nein! – Ah ja – hehe Herr Doktor, belieben auf meinen Zustand anzuspielen.
HAMMER. Allerdings! Gehen Sie zu Bette, Alter.
FÄHNLEIN. Bettlägerig bin ich gar nicht; dieser Zustand encouragiert mich, und Sie, Herr Doktor, kann er doch nicht genieren; es ist hier im Hause besserer Wein getrunken worden, als Fähnlein je verkostet hat, und mehr Wein getrunken worden, als Fähnlein vertragen würde – nur zwei Gläser – Krätzer oder Retzer – gut war er.[240]
HAMMER. Ich muß es nachsehen, wenn Gäste mein Haus so verlassen, aber das dulde ich nicht, daß mein Personal es so betritt.
FÄHNLEIN etwas nähertretend, vertraulich. Aber, Doktorchen, Sie wissen doch am besten, ob ich überhaupt noch Personale bin.
HAMMER. Was wollen Sie damit sagen?
FÄHNLEIN. Daß Sie fertig – kaput – ruiniert sind.
HAMMER einen Schritt zurücktretend. Fähnlein – was berechtigt Sie, das zu glauben?
FÄHNLEIN. Die Bi–lan–zen. Die Jahre her übersteigen die Aus gaben die Einläufe und nun stehen wir auf dem funkte, wo es nichts mehr zu übersteigen gibt, weil alles ausgegeben ist und nichts mehr einläuft.
HAMMER. Sie könnten sich doch täuschen, Herr Fähnlein!
FÄHNLEIN. Das gebe Gott, Doktorchen, das gebe Gott! Faltet die Hände. Ach, überzeugen Sie mich davon, haben Sie die Gnade, überzeugen Sie mich davon.
HAMMER. Wieso denn?
FÄHNLEIN beide Hände mit gespreizten Fingern gegen den Tisch drückend. Zahlen Sie mir hier mein Erspartes zurück, das ich Ihnen seinerzeit anvertraute, damit ich es fasse – halte – an mich nehme –[241]
HAMMER. Das ist's? Um Ihr Geld bangt Ihnen? Darüber sprechen wir ein andermal, – heute nicht. – Nach den Feiertagen.
FÄHNLEIN gedrückt. Nach den Feiertagen. Plötzlich wieder vertraulich. Also nach den Feiertagen! Aber, lieber Doktor, verderben Sie mir diese gesegnete Zeit nicht, ich hätte vor Sorge keine ruhige Stunde, geben Sie mir Ihre Hand und Ihr Wort als Ehrenmann.
HAMMER rauh unterbrechend. Meine Versicherung muß Ihnen genügen. Gute Nacht!
FÄHNLEIN setzt den Hut auf, um ihn respektvoll wieder abzunehmen; des Doktors Hand schüttelnd. Gute Nacht, Herr Doktor! Geht ein paar Schritte, wendet sich dann, mit dem Finger drohend. Eh, hehe, gestehen Sie nur, Doktorchen, heute hätten Sie es gar nicht gehabt – keinen Kreuzer – aber in kurzem; – warum sollten Sie nicht schon auf den rettenden Gedanken verfallen sein, der mir plötzlich durch den Kopf schoß? Sie!! Nickt ihm mit pfiffigem Lächeln zu. Gute Nacht!
HAMMER. Herr Fähnlein!
FÄHNLEIN. Befehlen?
HAMMER. Bleiben Sie! Für sich, nach der linken Seite des Tisches gehend. Sollte mir in letzter Stunde das Glück durch diesen Alten die Hand reichen wollen? Setzt sich und bedeutet Fähnlein, das Gleiche zu thun. Setzen Sie sich!
FÄHNLEIN. O, bitte, zu viel Ehre![242]
HAMMER. Ohne Umstände. Nachdem Fähnlein ihm gegenüber Platz genommen. Rauchen Sie?
FÄHNLEIN. Kurze.
HAMMER reicht ihm eine Zigarrentasche hinüber. Versuchen Sie diese.
FÄHNLEIN. Danke. Greift eine Zigarre heraus, einen Augenblick, sie von sich haltend, betrachtet er sie bedenklich, dann bringt er sie nahe vor das Auge. Zwei? Nein!
Er steckt sie in den Mund und beißt die Spitze ab.
HAMMER schiebt ihm das Feuerzeug hin. Ich will Sie nur aushorchen, lieber Fähnlein, ob Sie auch auf der richtigen Fährte sind. Es sollte mich überraschen, denn offen gestanden, ich habe Ihnen nie sonderlich viel Gedanken zugetraut.
FÄHNLEIN. Eh hehe, – und gar rettende! Das Denken ist auch von jeher meine schwache Seite gewesen, aber der Wein – ja, der Wein! Hat sich umsonst bemüht, Feuer zu stande zu bringen. Wie man so ungeschickt sein kann!
HAMMER sich erhebend. Warten Sie, ich helfe Ihnen. Gibt ihm Feuer. Und nun sprechen Sie sich aus. Er setzt sich nieder und lehnt sich in das Fauteuil zurück, mit Spannung auf Fähnlein blickend.
FÄHNLEIN lehnt sich gleichfalls zurück, er will ebenso nonchalant erscheinen, man merkt ihm aber die Unbequemlichkeit an, die es ihm verursacht. Ja, – jetzt weiß ich, was ich weiß! Als ich heute hier vom Bureau wegging und mich fragte, was wird nun werden, da wußte ich es nicht. Als ich vorhin eintrat, wußte ich es auch nicht, aber als Sie mir da so herabwürdigend eh, herablassend – wie immer begegneten: der noble Herr bin ich, der noble Herr bleib' ich! da fielen mir die Gedanken[243] ein, die mir zwischen dem ersten Und zweiten Glas Wein durch den Kopf gingen. Dummkopf, sagte ich zu mir, zwischen dem ersten und zweiten Glas Wein, der Doktor ist doch ein anderer Kerl, – ja, hm, nichts für ungut, da waren so meine Gedanken.
HAMMER. Sprechen Sie nur zu, wie Sie gedacht haben.
FÄHNLEIN. Dummkopf, sagte ich zu mir, – das heißt, ich sagte es nur einmal, verzeihen Sie die Wiederholung, – der Doktor ist doch ein anderer wie du und deinesgleichen! Ei Streber, vom Anfang an, wo er hier mit der Tochter des Hauses die reiche Partie einfädelte und den Kopf klar behielt, während er ihn dem Fräulein verdrehte, so daß man sie zuletzt ihm geben mußte, geben mußte mit Kußhand. Er will eine Kußhand werfen, greift dabei an die brennende Zigarre, mit der Hand schlenkernd. Ah, brennt die gut! Bläst auf die Finger.
HAMMER. Lassen Sie sich nicht unterbrechen.
FÄHNLEIN. Danke! Sie sind zu gütig, Doktorchen! Ja, Sie waren ein Streber vom Anfange bis später, wo Sie Stellung in der Gesellschaft suchten und ein Haus machten, und dazu muß einer mit allen altväterischen und engbürgerlichen Vorurteilen gebrochen haben. In einer vornehmen Wirtschaft kennt man nicht Eltern noch Geschwister, wenn sie nicht präsentabel sind – fort, bleib wo du willst, pauveres Pack! Kennt man nicht Weib und Kind, plärrende, unsaubere fangen, die das Haus auf den Kopf stellen, während deren Mutter stolz darauf ist, die Windeln selber zu waschen, herumläuft mit aufgequollenen Fingern und nach Seife riecht, – pfui, – und zwar keinem anderen gefällt, aber bald auch dem Manne nimmer; – nein, da braucht es eine gnädig Frau vom Hause, die nichts zu machen hat als die Honneurs,[244] und um nicht zu stören, müssen Söhne und Töchter in die Erziehung, bis sie sich als junge gnädige Herren und gnädige Fräulein sehen lassen können; diese Schonung erhält eine Dame angenehm für den Gemahl Und gefällig für die Gäste – Und schließlich, hat man dem Fräulein nicht auf die Finger gesehen, als es Geld ins Haus brachte, raucht man es bei der Frau ja auch nicht. Hehe! Schlägt in den Tisch. Doktorchen, ich gebe Ihnen vollkommen recht in allem, was Sie gethan und thun werden.
HAMMER. Nun, was werde ich thun!
FÄHNLEIN sich über den Tisch vorneigend, pfiffig. Sie werden sich der gnädigen Frau anvertrauen Und diese wird sich ihrem Cousin, dem jungen Banker, anvertrauen, und die Sache macht sich wie von selbst.
HAMMER sieht ihn überrascht an, ihn an der Hand fassend. Sagen Sie, Fähnlein, sollten Sie etwa davon reden gehört haben, daß schon eine gewisse Vertraulichkeit zwischen den beiden bestände?
FÄHNLEIN. I bewahre, aber das macht sich ja von selbst. Solche Damen sind ja nicht wie ordinäre Weiber, die fortwährend von ihren Kindern beschäftigt und von diesen an den Mann als Vater derselben erinnert werden. – Ja, – solche Damen haben ja nichts zu thun, als jahraus, jahrein sich zu putzen und ein Schock neuester Romane zu lesen, und da träumt dann wohl so eine Gnädige gar leicht, wenn ihr Gemahl sanftmütiger Natur ist, so nebenher von einem feurigen Schwerenöter, der sich aus unbändiger Leidenschaft an ihr vergreift, oder wenn sie einen strengen Herrn hat, von einem, der sie als unterthänigster Knecht anschmachtet. Hehehe, ja die noblen Damen! Hui! Das macht sich wie von selbst, Doktorchen, Sie brauchen bloß die Augen zuzudrücken.[245]
HAMMER auffahrend. Mensch!
FÄHNLEIN erhebt sich gleichfalls. Sie verkennen mich! Glauben Sie, ich werde mir merken lassen, daß ich etwas merke? Keine Spur! Sie wären ja auch nicht der erste und einzige, der, um ein Haus zu machen, seiner Frau den Hof machen läßt.
HAMMER. Entfernen Sie sich! Augenblicklich entfernen Sie sich und kommen Sie mir nie wieder vor Augen.
FÄHNLEIN vor Bestürzung stotternd. Sie – Sie – haben sich mit diesem rettenden Gedanken nicht vertraut gemacht? Sie – Sie – weisen ihn zurück Und ich – ich frage Sie aus Ihr Ge–wis–sen, wie komm ich nun zu meinem Gelde?!
HAMMER. Sie können nicht verlangen, daß ich Sie von der Schande meines Weibes zahlhaft mache.
FÄHNLEIN. Sie – Sie haben aber ja gar kein Weib! Sie haben ein Fräulein zur gnädigen Frau gemacht und wenn sie das aufhört zu sein, so weiß sie in aller Welt nichts mit sich selber anzufangen, noch mit Ihnen! Und Sie, Herr – Dok – Sie, Herr, Sie – was gelten denn Sie, dem es immer nur gegolten, der Gesellschaft etwas zu gelten, wenn, was Sie galten, nichts mehr gilt? O Gott, mein Geld! –
HAMMER heftig. Ich rate Ihnen, alter Mann, gehen Sie!
FÄHNLEIN hat sein Taschentuch gezogen, trocknet sich den Schweiß von der Stirne und lockert seine Halsbinde. Hm – Ihr Rat ist gut – vielleicht wird mir in der frischen Luft besser – aber ich habe Ihnen denselben nicht[246] abverlangt, schicken Sie mir darüber keine Expensnote! Sie sehen, ich nehme guten Rat an, wenn Sie das nicht thun, so lassen Sie nur auch, was Sie etwa noch thun zu können glauben. Pfiffig. Doktorchen, durchgehen wollen müssen Sie nicht! –
HAMMER tritt auf ihn zu. Machen Sie nicht, daß ich mich vergesse!
FÄHNLEIN retiriert, bis er mit dem dicken an die Thüre stößt. Na, na, na, – ich erinnere Sie ja nur! Sie können mir die Thüre Ihres Hauses, aber nicht das Hausthor weisen, und das werd' ich bewachen als mein eigener Detektiv – so tief durch Sie! Oh! – und werde das Verbrechen verhindern, daß Sie, ein Mann in besten Jahren, die letzten Tage eines Greises in Ihrer Reisetasche mit fortnehmen; ja, das werd' ich! Er hat unterdem hinter sich gegriffen nach der Thürklinke, aber an falscher Seite. Gute Nacht! Er wendet sich um und ergreift nun den Drücker. Wenn auch die Schnalle auf der andern Seite ist. Ab.
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