IV

[311] Daß sich die Bursche montagabends im Wirtshause versammelten, war hergebracht, daß ein oder der andere Bauer dorthin kam, um seinen Abendtrunk zu sich zu nehmen, war nichts Besonderes, heute aber hatten sich auch die Frommen eingefunden, der Lange, der Schuster und der Schneider und die andern, deren Art das sonst nicht war, und darum gab es an dem Burschentische verwunderte Gesichter und lange Hälse, und die gewöhnlichen Gäste saßen ziemlich unbehaglich unter den seltenen.

»He, Wirt!« rief der Lange.

»Bin schon da«, sagte der Gerufene hinzueilend.

»Weißt's schon?«

»Was?«

»Wirst bald ein Kundschaft verlieren.«

»Wär mir nit lieb.«

»Wird dich nit kränken, 'n Einsam mein ich, der soll austrieben werdn. Freilich, was d' ihm gestern noch auf Borg geben hast, das kannst wohl mit der Kohlen in Rauchfang schreiben.«

»Soll's hinsein, ich büß's gern ein, wenn wir den nur loswerdn! Aber wieso geht denn dös mit einmal so schnell?«

»Der Burmeister is weggfahrn«, sagte der Schuster.

»Heut fruh noch beizeit«, krähte der Schneider.

»Weiß ich ehnder«, meinte der Wirt, »aber wohin denn?«

»Laß dir sagen, laßt euch sagen«, begann der Lange, »ich hab's vom Gmeindschreiber. Der Herr Pfarrer is heut fruh auf d' Kanzlei grennt kommen und hat gsagt, der Einsam müßt weg; in gutem, dasselbe hätt er schon heraust, wär mit dem nix z' richten –«

»War eh unser Reden«, brummten etliche dazwischen.

»Ganz unbotmäßig hätt er sich gegen ihn, 'n hochwürdig Herrn, aufgführt, und – dös hat mer der Gmeindschreiber gsagt – nit schlecht muß er aufbegehrt haben, weil der Hochwürdig nachträglich noch völlig gsprungen is vor Gift. Na,[311] der Alte wollt erst a Gschrift aufsetzen und ans Schandarmeriekomanda schicken, aber der Pfarrer hat gleich gsagt, selb dauert z' lang, gäb leicht a unnötig Schreiberei hin und her, gscheiter, der Burgermeister setzet sich selber auf, fahret nach der Kreisstadt und brächt vorm Herrn Kommandanten die Beschwernus vor, so daß mer ohne viel Federlesen den Burschen aufgreift, zum Ausweis verhalt und dahin abschiebt, wohin er zuständig is.«

»Ah, so mir nix, dir nix laßt sich der nit aufgreifen«, sagte der Schuster, »ich hab ja ghört, er hat sich verschworn, daß er auf sie schießt.«

»Und der halt sein Wort, da gibt's Mord und Totschlag!« schrie der Schneider.

»Nur zu, nur zu«, rief der Lange, »soll sich nur zur Wehr setzen, wann s' 'n dann kriegn, lassen s' ihn nimmer so bald wieder aus!«

»Jesses, nein«, sagte der gutmütige Behäbige, »wann ich denk, wie leicht da eins zum Krüppel gschossen werden kann, da bedauern mich doch die armen Leut, die Schtandari.«

»Ach was«, entgegnete der Lange, »das is ihner Brot, und ohne uns Bauern gäb's gar kein Brot, und drum muß der Kaiser auf uns schaun, und seine Leut müssen uns beistehn.«

»No, ein schweren Stand werden s' schon haben«, meinte der Schuster, »denn selb ist gwiß, was sich für Gsindel da in der Gegend aufhalt, dös wird alls 'm Einsam zurennen und ihm helfen.«

»An die hundert finden sich sicher zsamm!« schrie der Schneider.

»Laß dich nit auslachen«, sagte der Lange. »Ein oder der andere möcht's etwa willens sein, wann er davon erfahret, dazu bleibt aber gar kein Zeit, daß a Kundschaft auskommt, dafür is ja alles so eingfädelt, daß vielleicht morgen schon der ganze Rummel vorbei is! Ah, der Herr Pfarrer, der weiß sich aus, der fackelt nit lang hrum, dös is unser Mann, und dös sag ich, Manner, daß mer sagen kann, von heut[312] an hebt sein Herrschaft an und die unsre, was wir zu ihm halten!«

Die Herrschaft derjenigen, welche zu dem Pfarrer hielten, war wenigstens schon so weit gediehen, als sie jetzt aufbrachen – weil kein anständiger Christmensch das Abendläuten im Wirtshaus abwarte –, daß auch jene, deren Mann der Pfarrer just nicht war, gleichfalls zahlten und gingen.

Die Bursche waren jetzt unter sich, und der Schneider-Tomerl beugte sich über den Tisch und flüsterte: »Hörts, Bubn, solltn wir nit zsammhalten und 'm Einsam helfen d' Schtandari verjagen?«

»Ah, daß mer etwa ein Banganetstich in Leib krieget oder angschossen wurd?« sagte einer.

»Dazu sein mer uns z' gut«, meinte ein anderer.

»Und der Einsam z' schlecht«, ein dritter.

»Und Kamerad is er ja nit zu uns!« erklärte der erste. »Nein, er is kein Kamerad«, murmelten alle.

»Aber verwarnen sollt mer 'n doch«, sagte der Tomerl.

»Das kannst schon tun«, sagte einer, »das tu nur, daß 'n nit unversehens überfallen und ausm Nest nehmen wie ein nacketen Vogel; er soll sich nur wehrn für sein Teil. Wieviel werden s' ihm denn auch zutraun?«

»Zwei, mehr nit.«

»Hat er zu seiner Schneid a wengerl Glück, wird er selb alleinig mit dö fertig. Zahln, Wirt!«

Auch die Bursche gingen, sie wollten nicht länger beim Weine sitzen bleiben, am Ende hätte doch die Rauflust erwachen und den klugen Entschluß, sich nicht einzumengen, rückgängig machen können, denn ein kluger Entschluß ist es immer, zuzuwarten, bis neu Regiment älter wird und Klauen und Zähne, die es anfangs so bedrohlich wies, sich abstumpfen.


Der Pfarrer hatte den Tag über auf seiner Stube gesessen, Bücher lagen vor ihm aufgeschlagen, mochten ihn aber wohl nur wenig beschäftigen, denn oft hob er sich von seinem[313] Sitze, ging mit raschen Schritten auf und nieder, hielt dann inne und blickte eine geraume Weile zum Fenster hinaus, von welchem man weit die Straße übersah; von Zeit zu Zeit zeigte sich auf derselben ein Gefährte, aber wenn die Staubwolken verflogen und es sich erkennen ließ, war es ein anderes als das erwartete. Nun es Abend geworden war, griff der Pfarrer nach Hut und Stock, verließ den Pfarrhof und ging hinaus aus dem Dorfe, der Straße nach. Eine gute Strecke hatte er zurückgelegt, da hörte er ein Wägelchen heranrasseln, er blickte auf, der Bürgermeister saß auf dem Kutschbocke, er rief ihn an, und der Dicke riß die Zügel an sich. »Je, Hochwürden, da aufm beschwersamen Weg? Mein Jesus, ich hätt mer ja doch selber die Ehr genommen und heut noch aufm Pfarrhof zugsprochen.«

»Laßt's gut sein. Was gibt's Neues?«

»Morgen kommen s'! Hab selber den Befehl an den nächsten Posten ausfertigen und durch eine Ordinanz abschicken sehn.«

»Ist gut.«

»Hab auch gsagt, daß mer sich fein in acht nehmen möcht, sie hätten's mit einm rabiaten Kerl zu tun.«

»Schon recht.« Der Pfarrer rückte den Hut ein wenig zurück und fuhr sich mit dem Taschentuche über die Stirne. »Es bedrückt mich, daß ich da Menschen in eine Gefahr schicke –«

»Jo mein, wann's anders nit geht.«

»Aber der Bursche muß uns aus den Augen, ich habe es gesagt, und mit ihm muß der Anfang gemacht werden; mögen sie ihre Pflicht tun, ich kann ihn da nicht mir zu Trotz sitzen lassen –«

»Das is sicher! Gwiß nit!«

»Sonst brächte auch für weiter Ernst und Strenge kein Gedeihen.«

»Freilich, freilich.«

»Also morgen! Wollen hoffen, es verläuft nicht so übel.«

»Beileib, wird nit so arg werdn. Wolln Hochwürden nit[314] aufsteigen?« Der Dicke rückte auf dem Kutschbocke zur Seite.

»Nein. Ich danke, Bürgermeister. Gute Nacht!«

»Küß d' Hand, Hochwürden.«

Der Pfarrer schritt über die Straße und schlug einen Fußsteig ein, der ihn, quer durch die Felder, auf kürzerem Wege nach dem Dorfe zurückführte. Er nahm den Hut ab und setzte langsam Fuß vor Fuß. »Also morgen«, murmelte er, »gut, wenn das vorbei sein wird. Keine Schwäche! Schwäche ist sündhaft, denn sie führt zur Sünde!« Er seufzte tief auf, dann reckte er sich hastig empor, als würfe er etwas von sich ab, und begann die Felder aufmerksamer zu mustern; er sah nach den leeren und vollen Ähren, nach dem Stande des Klees, er streifte Käfer von den Rispen und schälte Körner aus der Hülse, bald aber warf er den Halm, der ihn eben noch beschäftigt hatte, achtlos weg und ging wieder im gewohnten strammen Schritte dahin.

Der Steig führte an dem Küchengarten vorüber, der hinter dem Wirtshause lag; derselbe war nicht eingeplankt, aber von so dichtem, hohem Buschwerk umfriedet, daß man die Leute, welche sich daselbst aufhielten, nicht sehen noch von ihnen wahrgenommen werden konnte, dagegen gestattete die grüne Wand das Horchen wie das Behorchtwerden und hatte Ohren wie manche andere.

Der Pfarrer blieb stehen.

»Das hab ich ja gleich heraustghabt«, sagte der Wirt im Garten, »daß 'm neuchen Herrn Pfarrer sein Reschen nit ohne is. Morgen schon jagen s' auf sein Anstiften 'n Einsam davon.«

»Ei, du mein, was macht er sich denn auch mit dem Bubn z' schaffen?« fragte die alte Martha.

»Wird doch kein Schad sein um den?«

»No, schau, er is halt doch zeither in Ruh und Fried da gsessen, wer weiß, wohin 's 'n führt und wozu 's 'n treibt, wann mer ihm hitzten mit einmal gröber kimmt als grob? Dasselbe hätt ich mir nit erwart von dem geistlichn Herrn, von ihm schon gar nit!«[315]

Da ließ sich die Kellnerin vernehmen: »Dö Ahnl redt, sie dürft ihn kennen.«

»Ei, freilich wohl bsinn ich mich auf ihn. Hab ich dös noch nit gsagt? Ach, das is nit schlecht, daß ich dös noch nit beredt hab! Wohl, wie noch mein Alter glebt hat und wir drüben in Gutenhofen ghaust haben, zur selben Zeit, wo wir einig worden sein, daß wir da das Wirtshaus kaufen wolln – selb is wohl auch schon über fünfundzwanzig Jahr her –, da hab ich 'n gut kennt, 'n Eisner, 'n hochwürdigen Herrn, als blutjungs Kaplanerl hab ich 'n kennt. Ja.«

»Ah, da schau, is dös der nämlich!« wunderte sich der Wirt.

»Derselb, der nämlich nit! Damal war er anderscht. Je, da habn s' ihn bissel gut leiden mögen, weil er halt gegen arme Leut ein so viel erbärmlicher Herr gwest is. Einer guten Bekennten von mir, der Auhoferin, is er in ihren letzten Nöten beigstanden; mein, die arme Seel hat a grimme Angst ghabt vorm Tod und vorm Teuxel, aber er hat ihr nit die Höll heiß und 's Sterben bitter gmacht, gar lieb hat er ihr zugredt, von der Erbarmnus Gottes und der himmlischen Freud, so daß s' getröst und ergeben die Augen gschlossen hat. Ja, dasselb hat 'n Leuten rechtschaffen gfalln, und weil er bis zum End gegn d' Mutter so gut gwesn is, hat auch die verwaiste Dirn, die Julian, zu ihm aufgschaut wie zu ein Heiligen.«

»Wird ihr nit schwer ankommen sein«, sagte die Liesel, »er is ja noch heut a sauberer Mann.«

»Geh zu, du Unend! Freilich, da redst du denen ganz nachm Maul, die ihm damal aufbracht habn, daß er öfter in der Dirn ihrer Hütte zugsprochen hätt.«

»No mein, wir sein alle sündige Leut, hätt der Herrgott lauter Engerln wolln, hätt er d' Welt nit erschaffen. Was hat denn der Pfarrer auch in der Hütte z' suchen ghabt? Wär ihm ums Beten gwest, hätt er ja bleiben können, wo er daheim war, in der Kirche.«

»Ei, Liesel, laß dir sagen«, lachte der Wirt, »ein Schelm denkt halt allmal, wie er is.«[316]

»Fragn mer doch voreh d' Ahnl, ob der Schelm nit recht hat!«

»Ich kann da nix sagen«, entgegnete die Alte, »weil ich nix weiß, und man muß auch nit alles sagn, was mer weiß, aber da wüßt ich wirklich nix.«

»Aber eins wird d' Ahnl wissen, was s' uns wohl noch sagen könnt. Was ist denn weiter mit der Dirn gschehn?«

»Mit der Auhofer-Julian? No, bald hat sie 's klein Anwesen verkauft und is nach der Stadt fort.«

»So?!«

»Was lachst denn da dazu so fletsch übers ganze Gsicht?«

»No, eins möcht ich halt noch gern wissen. Ist s' leicht vom Ort weggangen, oder hat s' schwer tragn?«

Da erschraken die im Garten, denn außen stürzte jemand hastig an den Büschen vorüber, einzelne vorstehende Zweige schnellten hinter ihm zurück, andere knickten.


Als der Pfarrer in seiner Stube angelangt war, schraubte er den Docht der Lampe empor und versuchte ihn anzuzünden; seine Rechte, in der er das Zündholz hielt, zitterte, er war bleich, und Schweißperlen standen ihm an der Stirne. Jetzt schlug die Helle auf. Aber heute war der Himmel wolkenleer, und zwischen den dunklen Fensterrahmen erschien aufdringlich grell das Bild der mondbeleuchteten Gegend; hoch ragte der Berg an, dessen beide Zacken wie verkalkte Knochen gleißten. Der Pfarrer ließ rasch die Vorhänge herab. Dann saß er, den Kopf in beide Hände vergraben, über der Legende der Heiligen, und da las er, Blatt für Blatt, von Tag zu Tag des Jahres, Namen um Namen – daß sie stark gewesen in der Gnade vor dem Herrn, ohne diese auch arm, schwach, reuig ...

Die Lampe verflackerte im Frührot.[317]

Quelle:
Ludwig Anzengruber: Werke in zwei Bänden. Band 2, Berlin und Weimar 21977, S. 311-318.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Prévost d'Exiles, Antoine-François

Manon Lescaut

Manon Lescaut

Der junge Chevalier des Grieux schlägt die vom Vater eingefädelte Karriere als Malteserritter aus und flüchtet mit Manon Lescaut, deren Eltern sie in ein Kloster verbannt hatten, kurzerhand nach Paris. Das junge Paar lebt von Luft und Liebe bis Manon Gefallen an einem anderen findet. Grieux kehrt reumütig in die Obhut seiner Eltern zurück und nimmt das Studium der Theologie auf. Bis er Manon wiedertrifft, ihr verzeiht, und erneut mit ihr durchbrennt. Geldsorgen und Manons Lebenswandel lassen Grieux zum Falschspieler werden, er wird verhaftet, Manon wieder untreu. Schließlich landen beide in Amerika und bauen sich ein neues Leben auf. Bis Manon... »Liebe! Liebe! wirst du es denn nie lernen, mit der Vernunft zusammenzugehen?« schüttelt der Polizist den Kopf, als er Grieux festnimmt und beschreibt damit das zentrale Motiv des berühmten Romans von Antoine François Prévost d'Exiles.

142 Seiten, 8.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier. Neun Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Dass das gelungen ist, zeigt Michael Holzingers Auswahl von neun Meistererzählungen aus der sogenannten Biedermeierzeit.

434 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon