IV

[322] Weit außerm Ort in einer armseligen Hütte, die an eine Felswand angebaut war und so recht bescheidentlich ihrem Erbauer die Errichtung einer vierten Mauer erspart hatte, wohnte der alte Lehner-Franzl – der Vater des »Ferdl«, von dem schon einmal die Rede gewesen – und führte ein recht beschauliches Leben.

Wie lange schon? Je nun, böse Leute im Ort – es gibt aber doch überall böse Leute! – meinten, gar so lange wäre das nicht her. Eben diese bösen Leute behaupteten, daß der Ferdl seinem Vater völlig nachgerate; der sei einmal geradeso ein Raufbold und Störenfried gewesen, hätte seinerzeit gleich tief in das Glas geguckt, wie derzeit sein Junge, und[322] hätte es auch gern mit den Dirnen gehabt; wenn eine so unvorsichtig war, ihm den kleinen Finger zu zeigen, so nahm er gleich die ganze Hand; aber das wäre nicht so schlimm gewesen, die ehrlichsten Bursche halten ja um die Hand ihrer Mädeln an, aber er nahm etwas mehr und ließ dann die Hand der Betrogenen fahren, und diese mußte recht froh sein, wenn sich später noch ein gutmütiger Bursche fand, der nicht nachfragte, was der Lehner-Franzl etwa vorweggenommen. Wollte man den bösen Leuten alles glauben, so kannten die Jägerbursche gar gut auch den Wilderer Lehner-Franzl, der aber stets so gerieben war, der Ehre einer gar zu nahen Bekanntschaft auszuweichen, und sich nie erwischen ließ.

Aber da kam denn die Zeit, wo der bisher im Rufe der Unbezwinglichkeit Stehende nicht mehr gefürchtet wurde, wo man ihn spottweise schon fragte, in welches Eck er geschupft sein wolle und ob er lieber rücklings oder kopfüber dorthin fiele. Und – o Schmerz – man stellte nicht nur diese beleidigenden Anfragen, sondern man löste auch die in drohendst abweisendem Tone erteilten Aufgaben auf das glücklichste, »prompt und billig«, wie die Kaufleute sagen.

»Ja, es kam die Zeit, wo ihn ein Trunk über den Durst zum Gespötte der Jungen machte und wo die willigsten Dirnen des Kirchspiels nimmer den kleinsten Finger ihm reichten, sondern – einem andern. Eine Zeit, wo sein Auge nicht mehr scharf auslugen und sein Arm nimmer gehorchen wollte, je nun, gar so lange war das nicht her, aber seit dieser Zeit war ihm die Beschaulichkeit eingeschossen, und seit es auf dieser Welt nicht mehr recht mit ihm fortwollte, verlegte er sich auf das »andere Leben« und, da er nicht zweifelte, dort in Gnaden angenommen zu werden, natürlich auf die »ewige Seligkeit«.

Sonderlich ist's schon, daß Leute, die oft für die Welt zu schlecht oder wenigstens zum übelsten Beispiel waren, sich noch immer gut genug für den lieben Gott halten; oder daß andere, so unverträglich und grillenhaft, daß kein Mensch ihrer begehren möchte, sich in ein Kloster versperren, zur[323] »himmlischen Brautschaft«. Nur soll nicht damit gesagt sein, daß nicht in letztgenannten Mauern manch Herz Zuflucht gesucht, dem in all seinem Hoffen und Träumen die Welt nicht Wort gehalten hat, aber kommt die entsagende Demut wohl da zu dem gleichen Gespan, wenn sie zur geistlichen Hochfahrt kommt?

Ich möchte wohl ein solches Herz fragen, aber es würde schweigen und – brechen.

Aber der Lehner-Franzl schwieg nicht von allen den Herrlichkeiten, deren er sich sicher glaubte; er besuchte fleißig die Kirche, er las in allen Büchern, die er habhaft werden konnte und in denen etwas stand vom »lieben Himmelreich«, und schließlich wußte er jedem, der es Lust zu hören hatte, mehr davon zu sagen als selbst der Herr Pfarrer.

Nun geht es aber noch sonderlicher zu auf der Welt, weiß nicht, woher es kommt, aber es ist einmal so, das läßt sich nicht abstreiten; wie einer einmal seinen Himmel sich recht sauber erbaut und ausgezimmert hat, da leidet es ihn nimmer allein drin, und wär der Himmel auch so schmal geraten, daß er nur einen Bettgeher darinnen aufzunehmen vermöchte, so wird er wenigstens den suchen. Größere Etablissements werden natürlich mit mehr Komfort und größerem Belegraum ausgestattet, und gibt es da auch mehr Türsteher und Ordnungsmacher. Nun weiß man zwar wieder nicht, woher das kommt, aber es ist einmal so, gleichwie der Mensch nicht gerne allein ist, nicht einmal im Himmel, so ist es auch ein menschliches Gefühl, daß ein jeder auf seine Kosten kommen will, und ist er erst einig, daß er etwas von seinem Himmelreich zu vermieten gedenkt, so kommt er auch auf einen gewissen Tarifsatz, und soviel kostet dann der mit Wolken gepolsterte Sitz und soviel der ordinäre Stuhl. Und nun wird jeder eingeladen, sich das Himmelreich zu betrachten und einzutreten; soweit wäre alles gut, aber wie gesagt, jeder will auf seine Kosten kommen, und da wird einer nicht lange gefragt: Willst du ins Himmelreich? Nein, da heißt es: Du mußt in das Himmelreich! – und das ist vom Übel.[324]

Es ist recht nutzbringend auf dieser Welt, daß der Mensch aus allem, was man weiß und wissen kann, seinen Vorteil zieht und daher seinen Beruf nimmt, vom Arzt bis zum Hundedoktor, vom Forstmann bis zum Holzfäller, vom Bergmann bis zum Steinklopfer, vom Maschinisten bis zum Rastelbinder, ja vom Chemiker bis zum Lumpensammler usw., aber daß der Mensch auch Vorteil von dem zieht, was man nicht weiß und nicht wissen kann, das ist mehr scharfsinnig als nutzbringend und war von jeher mehr betrübend als erfreulich.

Was soll mit dem allem gesagt sein? Wenn es so ist, man weiß zwar nicht warum, aber es läßt sich einmal nicht abstreiten, daß jeder, der sich mit dem Himmel abgibt, zugleich ein kleines irdisches Unternehmen damit verbindet, so wird doch nicht der alte Lehner-Franzl eine himmlische Kleinkrämerei betreiben?!

Und warum nicht? Jeder in seiner Art. Da war im Orte eine Bäuerin, gehörte als Dirndl auch zu denen, welche dem Lehner-Franzl den kleinen Finger gezeigt; der war es so gut geworden, einen gutmütigen Burschen zu finden, der sie heimführte, und das mußte man der Baltzer\150\Liese nachsagen, sie ist ein braves Weib geworden, und er hat's bis auf seine letzte Stund nicht bereut, daß er sie genommen hat. Seine letzte Stund war aber vor kurzem, kaum drei Monat her, und so war sie Witwe geworden.

Schlimmer noch war's, daß sie, obwohl die Ehe lange Jahr unfruchtbar blieb, zuletzt vor sechs Monaten niederkam – bei ihrem Alter wohl das erste und letzte Kind – und jetzt mit dem armen Würmlein verlassen in der Welt stand.

Das arme Kind, das ohnedies etwas zu spät für die Mutter zur Welt kam, kam also auch zur schlimmsten Zeit. Die Bäuerin hatte keine Augen für ihr Glück, keine Hände, zu schaffen für das kleine Ding. Sie brauchte die Augen zum Weinen, die Hände zum Ringen, und als man ihr Trost zusprach von allen Seiten, da hob sie Augen und Hände zum Himmel, gedachte des Seligen, und wenn ja einer sie auf das[325] arme, verlassene, verwahrloste Kind aufmerksam machte, da sagte sie: »Der arme Wurm! Ich kann ihm wenig mehr helfen, denn ich werde bald hinaufgehn zu meinem Jakob in das himmlische Reich, hier bin ich zu nichts mehr nütze.«

Das war gewiß recht fromm gesprochen, aber die Leute ärgerten sich darüber. Und wenn mich einer fragen würde, so würde ich sagen: Gott hatte gewiß seine Freude an diesem Ärger.

Indessen verwahrloste das arme Kind und nebenbei die kleine, aber doch einträgliche Wirtschaft, die Leute waren geärgert und zogen sich ohne weiteres Zureden zurück, und das war wieder nicht gut getan von den Leuten. Nur einer kam jetzt in das Haus, erst ein paarmal in der Woche, dann Tag für Tag, der alte Lehner-Franzl.

Wär sonst zu einer Witwe im Ort ein früherer Liebhaber so häufig auf Besuch gekommen, die Leute hätten das gewiß recht sündlich und schandbar gefunden, aber da beide über die Jahre der »Löffelei« hinaus waren, so dachte man allgemein, die Bäuerin würde dadurch auf andere Gedanken kommen, man wollte es selbst dem alten Lehner-Franzl gönnen, wenn er mit ihr die Wirtschaft erheiratete und rechtschaffen darauf hausen und arbeiten wollte, und das alles, damit es mit dem armen Kinde anders würde. Was doch so ein klein unschuldig Ding über alle Lästermäuler vermag! Und wie die »bösen Leute« oft gut sind, wenn sich's nur der Mühe lohnt.

Aber dem alten Lehner-Franzl Arbeit zuzumuten, das war wohl ein wenig zu weit gegangen, ihr lieben Leute! Er kam ja nur, weil er hörte, daß sie so gottseliger Gesinnung geworden sei und bald da hinaufgehen wollte zu ihrem seligen Jakob in das himmlische Reich, und da er da oben so gut Bescheid wußte, so wollte er sie nicht ohne Weisung lassen. So kam er denn in der ersten Woche ein paarmal zu plaudern vom himmlischen Reich und nebstbei etwas Kuchen zu essen und ein Gläschen Wein zu trinken. Und als er sah, daß seine Gespräche Beifall fanden, daß er als »Wegweiser[326] in das neue Jerusalem« bereits unentbehrlich geworden war, da kam er alle Tag, um die einzelnen Stationen der großen Reise eingehend durchzusprechen und – – sich ausfüttern zu lassen. So gut war es ihm schon lange nicht geworden, aber daß sich alles aufzehrt, wo nichts gearbeitet wird, daß er's einer Witwe und einer Waise von der Schüssel fräße und der Tag nahezu vorher zu bestimmen war, wo er mit einem heuchlerischen »Vergelt's Gott« von der leeren Schüssel weggehen würde auf Nimmerwiederkehr, und wie dann die Schüssel allnächster Tage leer bleiben würde und Mutter und Kind hungernd davor sitzen würden, das bekümmerte ihn wenig, oder, wenn wir ihm viel Ehre antun wollen, das vergaß er über dem frommen Eifer gottseliger Gespräch- und Gebetstunden!

Nun war den Leuten die Geduld gerissen, sie hatten einmal ausnahmsweise, wie sie meinten, Gnade für Recht ergehen lassen – hatten das Bessere über ihre Nebenmenschen gedacht und gesprochen und sahen sich jetzt getäuscht. Sie schämten sich förmlich ihres guten Herzens, nannten es eine Schwachheit und wurden, wie es in solchen Fällen geht, ärger wie je, ja einige verschworen es sogar im stillen: Einmal gut gewesen und nie wieder.

Aber hoffentlich werden sie alle wieder einmal eidbrüchig, und dann sollen die lieben Englein, was ich ihnen sonst immer, der braven Leute auf Erden wegen, nur höchst ungern gestattet habe, über einen von ihnen mehr Freude haben dürfen als über neunundneunzig Gerechte, und ich will selbst mittun, wenn sie mich früher unterweisen wollen, wie sich Engel freuen.

Jetzt aber war der Teufel los an allen Enden und Ecken, die Wirtschaft wurde mit den unsaubersten Namen belegt, die Gespräch- und Betstunden in ihrer »Gottseligkeit« arg beanstandet, die Bäuerin alles, nur keine brave Frau, und der Lehner-Franzl dafür alles geheißen, was sich an wortreichen Zusammensetzungen haarsträubender Eigenschaften ersinnen ließ.[327]

Dieses Gewitter mit seinem vernichtenden Grollen und zornigen Aufleuchten konnte nicht unbemerkt über dem Haupte der Bäurin wegziehen, und als der Lehner-Franzl, der für derlei eine härtere Haut hatte, zunächst zu einer Gesprächstund wieder bei ihr einsprach, fand er sie mit verweinten Augen auf ihrem Stuhle und zugleich zu seinem Mißvergnügen den Steinklopferhanns, den »Ketzer und Spöttler«, neben ihr sitzen.

»Grüß Gott ... miteinander!« sagte der Fromme mit einem aufrichtig bösen Seitenblick auf den unerwarteten Gast; dann sah er sich in der Stube um, da mußte etwas vorgegangen sein! – Da war ja aufgeräumt, und auch das Kind in der Wiege sah so frisch darein, das war offenbar einmal nach langer Zeit wieder gewaschen und gestriegelt worden, und die Bäuerin sah auch nicht so versudelt aus, hatte wenigstens in der Eil einen reinen Rock übergeworfen und sich die wirren Haare glatt gestrichen; war da der »Geist der Eitelkeit der Welt« wieder eingezogen? Dann ade, du lieb Himmelreich, und ade, du schon so hübsch angewohnte tägliche Atzung samt dem erfreulichen Tröpfchen Wein!

Der Fromme tat einen wehmütigen Seufzer.


Wie das Zorn- und Schimpfgewitter gerade im Ort am ärgsten tobte, kam auch der Steinklopfer wieder einmal des Weges daher und mußte sich, da er sich früher nicht darum bekümmert hatte, die ganze Sachlage vorschimpfen lassen. Das Schicksal des armen Weibes ging ihm nah, er und ihr verstorbener Mann mochten einander gut leiden, und bei sich dacht er, getröst ist sie wordn, erbaut ist sie wordn, und nix genutzt hat's, gelacht hat sie aber noch nicht.

Und so sann er hin und her, wie er's anstellen möchte, ihr zu helfen, verfiel aber auf nichts Rechtes. »Blitz Dunnerstreich«, sagte er, »zersinnt sich einer, kommt er erst recht auf nix. Da faß ich lieber grad an; hab ich sie nur so weit, daß sie mir lacht, so ist's richtig, ein lachendes Gesicht vor mir verspart mir alle Müh, da fällt mir 's närrischste und[328] richtigste Zeug ein.« So ging er schnurstracks vor die Hütte der Witwe, klopfte an und trat ein.

Ein Blick zeigte ihm die ganze Schmutzfinkwirtschaft, die dort eingerissen war.

»Grüß dich Gott, Baltzer\150\Lies«, sagte er, »einmal, hab ich mir denkt, müßt ich dich doch heimsuchen.«

Sagte sie: »'s ist schön von dir, Steinklopfer, daß d' dich auch einmal umschaust, mein Alter hat noch die letzt Zeit oft von dir gredt.«

Sagt der Hanns drauf: »Gott tröst ihn, dös freut mich, mir habn uns allzeit gut zsamm vertragn.«

Drauf fangt die Bäuerin zum weinen an. »Daß d' heut kommst«, hat s' unter Schluchzen vorbracht, »das zeigt, daß d' mir freund gesinnt bist. O mein Gott, mein Gott, was s' über mich für Reden führn ...«

»Wenn nur nix Wahrs dran ist«, tröst sie der Steinklopfer.

»Kein Tipferl«, sagt sie und legt die Hand aufs Herz, »aber völlig verfeinden tut sich jeder mit die Leut, der mit mir redt – und doch bist zu mir kommen, vergelt dir's Gott. Sag aber, Hanns, was haltst denn dein Hut in der Luft und legst ihn nit afn Tisch, und was setzt dich denn nit nieder?«

»Na weißt, Bäurin«, sagt der Hanns, »viel is an mein Hut net z' ruinieren, aber mutwillig riskier ich 'n doch nit und leg 'n do in den Schmier hnein.«

Da hat die Bäuerin kein Wörtel gsagt, is rot worden und hat mit ihrem Vortuch die Tischplatte sauber abgwischt.

»Leicht möchst mir 'n Sessel a a bissel abstaubn«, sagt der Hanns.

Die Bäurin tut auch das, und der Steinklopfer setzt sich, und wie er sitzt, so fahrt er so mitm Fuß übern unsaubern Stubenboden, da is gleich der Staub aufgflogen, und der Mist hat unter seinen Sohlen geknistert. »Ich siech schon«, sagt er, »du bist heut noch nit zum Auskehrn kommen, laß dich nit aufhalten, der weil d' mitm Besen hantierst, können wir akrat so gut reden, als ob d' neben meiner sitzest.«

Da holt die Bäuerin den Besen und kehrt aus.[329]

»No«, sagt der Hanns, »was du riegelsam bist, du zeppelst um wie a jungs Reh, nimmt man dich von rückwärts, könnt man glauben, d' jüngst Dirn schwänzelt durch die Stubn.« Da war's der Bäurin doch, trotz aller Kümmernis, als müßt sie ganz still vor sich hin lachen, aber sie unterdrückt's und sagt: »Du bist a narrischer Ding.«

»Dös sagn eh dö mehrern«, sagt der Steinklopfer. »Aber, Liesl, mein Treu, du warst allmal a rechte Schafferin, selb hat dir a dein Mann bei Lebzeiten viel tausendmal nachgsagt und dich drum belobt, und wie er kein zweite hätt finden können, die ihm 's Seine so zsammhalt. Drum hat er wohl a in Frieden seine Augen zutan, wenn er gleich sein arms Waserl da zrucklassen mußt, denn du wirst ihm nix verwirten, ehnder bleibt ihm amal mehr, als der Voter hinterlassen hat.«

Da war der Bäuerin, als ging ihr ein schneidiges Messer durch die Brust. »Jesses und Joseph«, sagt s', »na, na, Steinklopfer, er is zur Unzeit versturbn, ich taug auf derer Welt zu nix mehr.«

»War nit übel«, sagt der Hanns. Wie er aber das desperate Gesicht der Bäuerin sieht, denkt er, da mußt umsatteln, sonst kommst vor Traurigkeit selber nit auf. Sagt er: »Aber sag mal, Bäurin, wo hast denn dein Kleins, möcht doch sehn, ob's dem Selign a weng gleichschaut.«

Da schaut ihn die Bäurin groß an. »Aber znebn deiner steht ja die Wiegn, wo's drein schlaft.«

»Jesses, Jesses!« sagt der Steinklopfer und bückt sich tief herab, wie einer, der nicht weiß, ob er seinen Augen trauen darf. »Das wär's? Ich hab schon lang sinniert, was das sein möcht, und hitzt is dös dein Kind! Möchtst es nit a bissel säubern, daß man's anschaun kann?«

Da hat die Bäurin erst ein trotziges Gesicht gemacht, dann hat sie gesagt: »Du schaffst aber heut viel an in meiner Hütten!«

»Gang mir a schwer, wann ich's in der meinigen sollt«, lacht der Steinklopfer. »Weil wir aber grad dabei sein, möchst[330] mir nit a Glasel Kornbranntwein schenken, a bissel Herzstärkung kunnt einm net schaden, du hast wohl lang 's Kleine verabsäumt, und dös hat sich nit brav aufgführt, es riegelt einm d' Seel auf.«

Jetzt ist die Bäurin ernstlich bös worden. »Wann d' mich bloß heimsuchst, daß d' mich hruntermachst, war mir glei lieber, du warst nit kommen.«

Sagt der Hanns drauf: »Begehr nit auf, gib mir mein Herzstärkung, so mach ich dir a Kindsdirn und wasch dir 's Kleine.«

Drauf hat die Bäurin wieder lachen müssen, und wie sich der Hanns dann nach der Herzstärkung übers Kind hermacht und hat's waschen wollen, wie man ein Holzkübel scheuert, und wie das gründlich bös geworden ist und gegreint und gestrampft hat und wie ihm der Hanns wieder zugeredet hat mit dem Spruch vom seligen Vater: »Ob d' haltst oder net!«, da hat die Bäurin doch lachen müssen, und ganz laut noch dazu; völlig erschrocken ist sie darüber und hat um sich geschaut, ob es niemand hört, aber das Kind hat sie dem Steinklopfer aus seinen Fängen genommen und hat's selbst gewaschen, und wie das bei der Mutter war und der Steinklopfer hat ihm immer im Spaß gedroht, daß er wieder mit dem Striegel käm, da hat das Kind gelacht wie toll, und die Mutter hat gelacht, und der Steinklopfer hat die närrischsten Gesichter nach beiden geschnitten.

Und wie das abgetan war, da hat der Steinklopfer sich im Zimmer umgeschaut, hat gesagt: »Na, hitzt sieht's doch brav und manierlich aus, und braucht sich kein anständiger Besuch zu beklagen; wenn d' jetzt noch ein saubern Rock überwerfen und a bissel Ordnung mit deine Haar machen möchst – denn du tragst a Frisur, Bäurin, wie die Sunn im Kalender aufgmaln is –, so hättst mir alle Ehr antan, und ich wär zfrieden.«

Nachdem auch das geschehen, sagte der Hanns: »Na, so meint man doch wieder, man ist bei enk wie vorzeit, und kunnt der Jakob – Gott tröst 'n – glei bei der Tür da hreinkommen[331] und sagn: ›Heim sein mir wieder, ob's halt oder net.‹«

»Jo, mein armer Jakob!« sagt die Bäurin, und wie sie und der Steinklopfer wieder niedersitzen: »Jetzt red aber von was Gscheiten!«

»Ja, ja«, sagt der, meint aber, 's wär ihm lieber von allem andern eher zu reden, als was etwa die Bäurin gscheit nennt.

Und allzwei sind lang still gesessen, und gerad zur Zeit ist die Tür aufgegangen, und der Fromme ist hereingekommen.

»Grüß Gott ... miteinander!«

»Auch soviel«, hat der Steinklopfer gsagt und hat den Willkomm recht ehrlich gemeint, denn mehr zur Rechtzeit hätt ihm keiner kommen können und kein Erwünschterer schon gar nicht als der alte Lehner-Franzl.

Da hat der Fromme wehmütig geseufzt; warum? Das kann jeder, der es vergessen haben sollte, vorne wieder nachlesen. Dann aber ist er zornig worden und hat barsch den Steinklopfer gefragt: »Was machst denn du da?«

»Bissel Ordnung!« hat der gesagt.

»Geh zu denen, die dich rufen«, hat der Alte drauf gesagt.

Und drauf der Steinklopfer: »Grad dö mich brauchen, rufen mich oft nöt.«

Mittlerweil war die Wittib wieder melancholisch worden und hat sich jetzt ins Mittel gelegt. »Wartelts nit miteinander«, hat sie gesagt, »ös seids mir allzwei lieb und wert, mein Seliger war immer mitm Hanns gut, du« (den Lehner-Franz hat sie gemeint) »darfst mer 'n nit in mein Haus verunehrn. Er is a billiger Mon, und wenn ich dich bitt, du sollst mir vom ewigen Leben was derzählen, so kennt er schon a a Art und hört manierli zu.«

Der Lehner-Franz warf einen Blick, der besagte, daß er das sehr bezweifle, auf den Steinklopfer, schüttelte den Kopf und sagte: »Und spott halt und spott nachher!«

»Nachher, möglich, aber a erst nachher. Fang nur an, beim wievieltesten Himmel seids denn letzthin stehnbliebn?« – so[332] sagte der Steinklopfer und lehnte sich in seinen Sessel zurück.

Der alte Lehner-Franz faltete die Hände, blickte salbungsvoll zu den Balken auf, die querüber an der Decke der Stube hinliefen, und verfiel in tiefes Nachsinnen.

Er dachte aber in diesem Augenblicke nicht an das Himmelreich, sondern nur, wie er den Steinklopfer wegbringen möchte, und da hatte er einen frommen Wunsch, der mehr an das Gegenreich der Seligen gerichtet war, daß nämlich jenen der Teufel holen möchte, natürlich mit Zulassung Gottes.

Der Steinklopfer aber war im Innern von den freundschaftlichen Gesinnungen des Lehner-Franzl ganz durchdrungen und wurde durch den stillen, verzweiflungsvollen Ärger desselben in die heiterste Laune versetzt. Er fing an, sich höchst bedenklich hinter dem Ohr zu krauen, faltete gleichfalls die Hände und sah ebenfalls salbungsvoll in die Luft und sagte in dieser Stellung: »Lehner-Franzl, sag mir einmal, um welche Zeit herum hast denn du die letzten Nachrichten ausm Himmel kriegt?«

Keine Antwort.

Der Steinklopfer aber fuhr, ohne sich zu rühren, fort: »Weißt, ich möcht nicht gern, daß einer wider Wissen und Willen die Leut irrführt und Sachen sagt, wo er freilich selbst nicht weiß, daß sie schon lang nimmer wahr sein. Von was für ein Himmel verzählst denn der Baltzerin, vom alten oder vom neuchen?«

Diesmal brummte der Lehner-Franzl in die Luft: »Dumms Gred, 's gibt doch nur ein; vom alten natürlich! Möchts ös Ketzer leicht gar ein neun einführn?«

»No, so is's richtig so, wie ich mir denkt hab«, sagte der Steinklopfer, »du weißt halt nix davon, daß vor etwa drei Monat alle alten Himmeln kassiert wordn sein!«

Da zuckte der Lehner-Franzl zusammen, rückte die fromm gefalteten Hände voneinander und ballte sie zu sehr weltlich schlagfertigen Fäusten und richtete den Blick, aber nicht[333] salbungsvoll, auf den Sprecher. »Du Höllenbraten!« schrie er, »wo steht das geschrieben, wo is's geoffenbart? Halunk! Red!«

»Was braucht's geschrieben zu stehn«, sagte sehr gelassen der Steinklopferhanns, »hab ich's doch von ein, der dabei war.«

»Der dabei war? Du Narr, wer kann dabeigewesen sein, der's wieder hätt auf der Welt aussagn können? Wer denn?«

»Geduld dich a bissel, alles nach der Reih, nix durcheinander, so geht's nach der Ordnung. Vor a drei Monaten ist der Baltzer-Jakob – Gott hab 'n selig – verstorben, und kurz drauf, wies enk erinnern werdts, is a armer Teufel von Handwerksbursch ins Ort kommen, siech und elendig, und den hat man so hrumkugeln lassen – um ›Gotteslohn‹ – in ein Heuschober (so wie damal mich aufm Steinbruch, wie mir gleich übel gangen is), und hat sich kein Teufel um ihn umgschaut, und so hat er a paar Tag hinzogn und is verstorben. Am dritten Tag hat man ihn eingrabn wolln, na, ös werdts enk noch auf den Schrocken entsinna, wie er da auf einmal wieder lebendig wird. Dann hat er sich nach und nach zsammklaubt, und wie er wieder ganz beinander war, is er fortzogn aus der Gegend. Na, der wird doch dort gwesen sein? Von dem hab ich die Gschicht, und war auch a Auftrag vom seligen Baltzer dabei – aber mir habn 's immer verschobn, zwegn, es könnt die Wittib z' stark angreifen.«

»Von mein Jakob?« sagt die Bäurin halb freudig, halb ungläubig.

Da hat der Lehner-Franzl laut aufgeschrien: »Lies, laß dich nit betörn um dein Seelenheil, das ist wieder eine von dö höllischen Lugengeschichten, mit denen er die Leut verwirrt!«

»Möchst einm nur du nit ins Handwerk pfuschen mit die himmlischen Gschichten, wobei dir weniger um die Leut als um das Ihre is! Übrigens is mein Gschicht wohl a net besser und net schlechter als a andere, und kann man s' wohl anhörn. Und was die Botschaft an die Baltzer-Lies angeht, so[334] mein ich, du wartst's ab, ob sie meint, es wär verlogn und aus seiner Art, oder ob sie's dafür nimmt, es hätt ihr seliger Mon zu ihr gredt. Und no kusch dich, los zu, oder laß's bleiben, für dich reut einm die Müh, daß man sich eins ausdenkt, und für dich is's a net.«

Quelle:
Ludwig Anzengruber: Werke in zwei Bänden. Band 1, Berlin und Weimar 21977, S. 322-335.
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