VII

[65] Schon einige Male hatte die Sepherl, wenn sie vom oberen Ende nach dem unteren kam, um Helene aufzusuchen, diese nicht daheim getroffen.

Die alte Zinshofer sagte, sie wäre in den toten Wald gegangen, und lachte über die närrische Dirn, die jetzt fast jeden andern Tag dahin liefe, Klaubholz sammeln, wobei sie immer für einen gesunden Span hundert mit Wurmmehl heimbrächte; aber besser sei doch, sie tue etwas, wenn sie damit auch nichts richte, als sie möcht gar faulenzen und etwa auf dumme Gedanken gebracht werden.

Eines Tages aber setzte sich 's Sepherl in den Kopf, die Kameradin wiederzusehen, und entschloß sich, selbe auf dem Heimweg oder an Ort und Stelle zu überraschen. Sie ging nach dem toten Walde. Die lange Strecke bis hin hatte sie keine Begegnung, doch als sie vor den Tannen stand und eben beide Hände hohl vor den Mund legte, um durch einen lauten Ruf ihre Anwesenheit und Wartestelle der Gesuchten kundzugeben, da krachten im Gehölze dürre Zweige unter nahenden Tritten. Sie ließ erschreckt beide Arme sinken, als sie an der Seite Helenens den Toni vom Sternsteinhof herankommen sah. Der Bursche duckte sich allerdings sofort hinter die Stämme, aber es war zu spät, um nicht bemerkt zu werden.

Helene schritt auf Sepherl zu. »Je, du bist da? Grüß dich Gott!«

»Grüß dich auch Gott«, antwortete kurz die Angesprochene.

Helene faßte die Dirne an der Rechten, um Hand in Hand[65] mit ihr dahinzuschlendern, aber da Sepherl mit unwilliger Gebärde sich losriß, fragte sie: »Na, was is's denn? Was hast denn?«

»Du warst nit allein!«

»Wer sollt denn bei mir gwest sein?«

»Für blind müßts mich nit nehmen und Verstecken is vor klein Kindern gut. Ich hab 'n ganz gut gsehn, 'n Bauerssohn vom Sternsteinhof.«

»Und wann er's war? Kann ich ihm 'n Ort verwehren?«

»Davon is kein Red, aber heut is nit 's erste Mal, daß d' hertriffst. Er sucht dich da, und du laßt dich finden. Solltst dich wohl schämen!«

»Ich wüßt nit warum. Denkst du von mir Schlechts?«

»Ich will just nix Schlechts von dir denken, aber Rechts kann ich doch auch nit, wo du zu noch ein haltst nebn 'm Muckerl.«

»Du sollst dich hüten, z' sagn, daß ich's mit ein andern halt. Wo hast denn 'n Beweis? Übrigens, schätz ich, bist du weder zu mein Richter noch zu sein Wachter bstellt!«

»Trutzig tun steht dem gar wohl an, den man af üblen Wegn betrifft.«

»Auf üblen Wegn?!« schrie Helene.

»Ja, af üblen Wegn«, ereiferte sich Sepherl, »ich sag, af üblen Wegn, weil s' seitab von Ehrlichkeit und Ehrbarkeit führn. Von zwein muß doch allweil einer der Betrogene sein, nit? Und wer's da wär, is für mich gar kein Frag! Was willst denn mit dem reichen Bauerssohn? Vielleicht dein Gspaß habn, weil's doch zu kein Ernst führen kann? 's selbe steht schon einm Weibsleut übel gnug an und is nit ehrlich gegn den, der's ernst meint; denn ehrlicherweis kann man nur einm anghörn fürs Leben, oder verlangst du s' leicht paarweis für Zeit und Weil?!«

»Purr! Hast du ein Maul! Kann mich aber von dir nit beleidigen. Ich weiß ja, gegn eine, die bei mehr Mannleuten Anwert findt, da redt der Neid aus euch, bei denen sich der eine einzige fürs Leben ewig nit einstelln will! Überhaupt[66] versteh ich nit, wie du da so aufbegehrn magst! Dir kann ja recht sein, wenn ich mich mitm Muckerl entzwei, vielleicht wirst du dann eins mit ihm.«

»Laß dir sagen«, schrie zornrot Sepherl, »laß dir sagen, du bist 'n gar nit wert, du grauslichs Ding du! Und daß d' es weißt, mit dir geh ich auch gar nimmer.« Sie lief etliche Schritte voraus.

»Geh zun Teuxel, wann d' willst! Wer bist denn du, daß ich mir a Gnad aus deiner Freundschaft machen müßt?!«

Schweigend rannten die beiden auf der Straße dahin, eine voran, die andere hinterher.

Helene biß sich auf die Lippen. Nach einer Weile rief sie: »Du, Sepherl!«

»Was gibt's?« fragte die Angerufene, ohne stehenzubleiben oder den Kopf zu wenden.

»Du wirst doch von dem Heutigen nix weiter verlauten lassen? Gelt nein?«

»Wenn ich nit darnach gfragt werd, nit!« lautete die trockene Antwort.

Sepherl wurde aber gar bald darnach gefragt, die Entfremdung zwischen ihr und Helenen fiel zuerst der alten Matzner Resl auf, und diese machte das in Erfahrung Gebrachte der Kleebinderin zu wissen, welche den Muckerl davon in Kenntnis setzte und am Schlusse einer sehr eindringlichen Rede fragte, ob er nach allem, was er sich schon habe gefallen lassen, sich auch das noch gefallen lassen wolle.

Muckerl erklärte mit aller Entschiedenheit, die ihm zu Gebote stand, daß er das nicht gesonnen sei und die Dirne rechtschaffen zur Rede stellen werde. Er machte sich auch denselben Abend noch auf den Weg nach dem toten Walde; doch als er des Gehölzes ansichtig wurde, stand er von dem Gedanken ab, es zu betreten. Scheute er ein Zusammentreffen mit dem Burschen, oder fürchtete er, bei einer Überraschung vielleicht mehr zu sehen, als ihm lieb sein möchte? Darüber gab er sich keine Rechenschaft, meinte nur, daß er[67] es eigentlich ja doch nur mit der Dirne allein zu tun habe, und setzte sich unweit des Tanns auf einen Geröllhaufen, um die Heimkehrende zu erwarten; als er sie endlich herankommen sah, erhob er sich und ging ihr entgegen.

Als er vor ihr stehenblieb, tat sie noch einen Schritt auf ihn zu und stand so hart an ihm, daß er hätte aufblicken müssen, um ihr in die Augen zu sehen, aber er hob den Kopf nicht und sagte leise: »Ich hätt mit dir z' reden.«

»So red!«

»Ich weiß, wo du herkommst.«

»Das is kein Kunst, es weiß jeder, woher der Weg führt.«

»Ich mein, von wem du herkommst, mit wem du warst, weiß ich.«

»Nun?«

»Mitm Sternsteinhofer-Bubn treibst d' dich da herum.«

»Was weiter?«

»Das brauch ich mir nit gfallen z' lassen!«

»Wann d' dich überhaupt drum z' bekümmern hättst, freilich nit!«

»Was sagst du?« fragte, durch die kurzen Reden der Dirne erregt, der kleine Bursche mit erhobener Stimme. »Was sagst du? Ich hätt mich da drum nit zu bekümmern? Ich mich nit?! Mußt ich nit dastehn, wie ausn Wolken gfalln, wie d' Mutter davon z' reden anghobn hat?!«

»So, dein Mutter hetzt dich also gegn mich auf? Gut, daß ich's weiß.«

»Sag du nur nix gegn mein Mutter, damit kommst du nit auf; mein Mutter is ein Ehrenweib –«

»Mag sie zehnmal ein Ehrenweib sein«, schrie jetzt Helene, »deßtwegen bin doch ich auch noch kein schlechte Dirn! Ein einzigs find mer auf im ganzen Ort, das mir a Schlechtigkeit nachsagen kann!«

»So? Und zeigt das von einer Ehrlichkeit und Rechtschaffenheit und Bravheit, wann du mit einm andern gehst?«

»Wann ich ging – ich sag wann –, so ging ich allweil nur mit einm, von ein andern weiß ich nix!«[68]

»Von ein andern weißt nix? Wer wär denn nachher ich, wenn ich nit der eine bin, mit dem zu gehn hast?«

»Mit dem ich z' gehn hab? No hörst, Muckerl, jetzt seh ich wohl, du willst eifern, und dazu hast du doch gar kein Recht.«

»Bin ich nit dein Schatz?«

»Warst's vielleicht, kannst's noch sein, oder bist's gar niemal gwesen. Schatz nennt auch der Fuhrmann d' Kellnerin vom Wirtshaus, wo er alle heilige Zeit einmal einkehrt. Das Wörtl Schatz wird viel beredt, aber sagt nix.«

»Und du redst jetzt auch nur, weil d' nix z' sagen weißt! Ich hab's vom Anfang nit anders gmeint, als daß du mein Weib werdn solltst, und ich durft nach deinm Bezeign wohl auch voraussetzen, daß du dazu 'n Willen hast; und daß du mein Bewerben gar nit oder anders verstanden hättst, das glaub ich nit, denn von der Zeit, wo s' 'n ersten Schuh selber an d' Füß bringt, is jede Dirn so gscheit, daß sie sich in denen Sachen auskennt; und wann du meinst, es könnt dir kein einzigs im ganzen Ort a Schlechtigkeit nachweisen, so irrst dich! Einm einzigen fragt freilich 's ganze Ort wenig nach, und wie d' Sach zwischen uns zwein steht, so bringt's dich just auch nit ins Gschrei; schlecht handelst aber trotzdem gegen mich, wann du mir hinterm Rücken mein ehrlich Meinung so übel vergiltst!«

»Tu jetzt dein Maul zu und d' Ohren auf, damit ich dir beibring, wie wir eigentlich zueinand stehen. Davon, daß ich dein Weib werden sollt, war zwischen uns, wann d' dich recht bsinnen willst, niemal die Red! Präsent hast mir gmacht, eingladen hast mich zu euch h'nüber, das war alles! Das hast du freiwillig; ich hab dir nix nit abgebettelt und mich euch auch nit aufdrängt. Daß ich 's gschenkte Gewand nit zruckgwiesen und af gute Bissen an eurem Tisch kein Spott glegt hab, das kann mir auch nur verübeln, wer mich nit bloß und hungrig hat herumrennen gsehn. Da draufhin konnt ich mich aber doch nit unfreundlich gegn dich bezeigen? Kein Hund knurrt die Hand an, die 'n streichelt und füttert. Ich konnt[69] mir wohl denken, daß dir nit alleinig drum sein würd, an mir a gut Werk z' tun, aber ich braucht's auch nicht anders aufznehmen, denn bis afn heutigen Tag hast du mich ungfragt neben dir herlaufen lassen. Reut dich jetzt dein Weggschenkts, so schick ich dir zruck, was ich davon noch im Bsitz hab, aber das Recht räum ich dir nit ein, mit mir z' eifern und mich z' Red z' stellen! So steht die Sach zwischen uns zwei, und damit habn wir ausgredt!«

Muckerl begann sich hinter dem Ohr zu krauen. »Mein Gschenkts nimm ich nimmer zruck«, stotterte er, »und was 'es Fragen anlangt, so hab ich's nur unterlassen, weil ich gmeint hab, es verstünd sich doch alles von selber. Wann d' aber gfragt sein willst, so könnt ich dös doch gleich hitzt an der Stell.«

»Nach dem, was d' heut schon alls gredt hast, verlang ich mir nix mehr von dir z' hören. Wann überhaupt, so dürft's a ziemliche Weil dauern, bis ich dir das Geredte vergiß!«

»Aber schau, Helen – wann 's noch bös gmeint gwest wär! – Aber, geh zu – du wirst doch nit so sein?«

»Eingedenk deiner Gutheit gegn mich will ich dir was sagn. Wann dir anständig is, mit mir zu verkehren wie bisher und anders nit, wie ich dir vorhin ausdeut hab, so will ich's weiter mit dir versuchen und dir dein dumm Aufbegehren verzeihn.«

»Dadrauf gib mir d' Hand!«

»Da hast's.«

»Gelt ja, es gilt aber auch dafür, daß d' 's mit kein andern haltst?«

Sie zog die Hand zurück. »'s kann dir wohl gnügen, wenn ich sag, daß ich's mit keinm andrerweis halt wie mit dir!«

»No, nit zürn dich! 's machet mich völlig unglücklich, wann ich dich bös af mich wüßt. Werd mir nur bald wieder ganz gut, daß ich dir abfragen mag, was ich gern höret.«

»Vor allm laß nur du dich nit wieder aufhetzen, und wär's auch von einm Ehrnweib, wie dein Mutter is! Wann der Sau 's[70] Ohr fehlt, so faßt's kein Hund dran, und wann a Gred kein Grund hat, so sucht mer ihm vergebens ein Anhalt.«

Muckerl begann nun seine Mutter zu entschuldigen. Sie hätte, nur aus Sorg um ihn, verlogenen Bescheid für wahr genommen; es also im Grunde niemandem übel gemeint, auch nicht der Helen, der sie ja bislang, eh sie durch das unbschaffene Gered irrgemacht wurde, alles Gute gegönnt habe und wieder gönnen werde, nachdem sich jetzt all das Nachgesagte als falsch herausgestellt. Doch, über das hartnäckige Schweigen und die trotzigen Gesichter der Dirne sich mehr und mehr ereifernd, gelangte er mählich dahin, seiner Mutter immer weniger Dank für ihre Sorge zu wissen, schließlich es ganz ungerechtfertigt zu finden, daß sie sich überhaupt da eingemengt habe, und als er sich von der Dirne bei deren Hütte verabschiedete, war er der alten Frau ernstlich böse geworden.

Die Kleebinderin hatte alle Mühe, dem verdrossenen Burschen das Vorgefallene abzufragen, dann schlug sie darüber im Geiste die Hände über dem Kopfe zusammen. Sie beschloß, Helene nun öfter ins Haus zu laden und jedmal, solange es anginge, daselbst zu verhalten; für die rauhe Jahrzeit sollte Muckerl an Kleidern nicht mehr schenken, als notwendig, sich aus der Türe zu wagen, damit die Dirne, auch ungeladen, den warmen Ofen aufsuchen käme und sich gewöhne, in der Stube zu sitzen, und schon mit dem nächsten Fasching sollte dann alles zu gutem Ende gebracht und Hochzeit sein. Ein verheiratet Weib hat weniger Anfechtung und mehr Furcht vor üblen Ruf; welchs sich nit dazu verstund, Ungebühr dem Haus fernzhalten und derselbn außerhalb auszuweichen, das müßt schon gar ein schlechts Geschöpf sein – und für ein solches mochte die Kleebinderin ihre künftige, wenn auch unwillkommene Schwiegertochter doch nicht halten.[71]

Quelle:
Ludwig Anzengruber: Werke in zwei Bänden. Band 2, Berlin und Weimar 21977, S. 65-72.
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