X

[103] Am Morgen darauf war im Dorfe von nichts anderem die Rede als von dem Überfall der Schwenkdorfer unter der Führung des Toni vom Sternsteinhof, und die Dirnen, die mit letzterem an einem Tische gesessen, erzählten auch, daß er die Zinshofer Helen für sein künftige Bäuerin erklärt habe, was viel Spaß gemacht hätte, da die hochnäsige Gredl es für Ernst zu nehmen schien.

Die Schürze voll dieser Neuigkeiten, kam die Matzner Sepherl zur alten Kathel, die sich über das Gehörte bekreuzigte[103] und segnete. Knechte und Mägde auf dem Sternsteinhofe, die gestern dabeigewesen, zeigten sich zwar sehr rückhältig bei der Umfrage, welche die Alte unter ihnen hielt, als sie aber aus deren eigenem Munde hörten, was sie sich auszuschwatzen scheuten, da nickten alle bestätigend und lachten: »Was fragst denn, wann d' eh alles weißt?!«

Der Bauer stand nachdenklich inmitten des Hofes, als sich die getreue Schaffnerin an ihn heranschlich. Er sann gerade darüber nach, wo wohl der Toni Roß und Wagen gelassen haben mochte, die nirgends zu sehen waren. Es sind das doch keine Gegenständ, die einer wie Pfeife und Tabaksbeutel unter einer Wirtshausbank mag liegenlassen und vergessen.

Die Kathel hatte ihre Meldung kaum beendet, als der alte Müller von Schwenkdorf auf den Hof gefahren kam. Er führte hinter seinem eigenen Wagen das vermißte Gefährt und Gespann mit. »Grüß Gott, Sternsteinhofbauer«, sagte er.

»Grüß Gott«, murrte der und zog ein finsteres Gesicht. Von allen Menschen, die ihm zuwider waren, war ihm der Alte der zuwiderste.

Der Müller blinzte ihn boshaft an, schnalzte paarmal mit der Peitsche, dann begann er: »Bring dir da dein Wagerl und dein Rösserl zruck, was uns gestert der Toni gliehen hat, zun einmal hrüber- und wieder umhifahren. Ein Mordsbursch, dein Toni! Wünschet ich mir einen zweiten, wünschet ich mir den. An dem kannst noch dein Freud erlebn, Sternsteinhofbauer. Hihi. Kommt da angfahrn, packt 'n ganzen Rudel, dö rarsten Bubn, zsamm – heidi –, lassn mer d' Schwenkdorfer Urseln sitzen und fahrn mer raufen nach Zwischenbühel! Ladt s' afn Leiterwagen und teufelt mit sö davon, 'm Bräunl sein d' Augen ausm Kopf und d' Zungen ausm Hals ghängt. Na, dann war aber auch bei uns drenten a Verdrießlichkeit und ein Erbosen! Der Käsbiermartel hat sein Sali beizeiten aufpackt und is heim, und in seiner Stubn war er mehr mitm Kopf an die Tram wie mitn Füßen af der Erd, so gsprungen is er, wie ein greizter Aff im Käfig. Na[104] und da herenten bei enk muß auch nit schlecht grauft wor den sein. Mein Bub liegt mit drei Löcher im Kopf, in jeds könnt mer an Faust stecken. Gschieht ihm recht, dem Sakra. Mer muß nit nur schaun, wo mer selber hinhaut, sondern auch, wo ein anderer herhaun könnt. So habn wir's ghalten unserer Zeit. Was? Han? Nit?«

Der Sternsteinhofbauer runzelte die Stirne.

»Ah, ja richtig! Nix für ungut!« fuhr der Alte fort. »Fallt mer grad bei, du warst ja ein schwacher Raufer; wie oft hab ich dich selber wo in einm Winkerl ghabt und abtöllnt, daß's a Freud war. Viel Schur hab ich dir antan, bei dö Dirndeln auch. Jesses, wie lang dös schon her is! Wenn mer bedenkt, wie die Zeit vergeht! Na, 's hat mich gfreut, daß ich dich bei derer Glegenheit wieder einmal gsehn hab, weil d' mer ja sonst völlig überall ausweichst. Also bhüt Gott! Aber eins noch, daß ich nit vergiß. Er schlaft wohl noch, dein Bub? Könntst ihm's ausrichten, wann d' so gut sein möchtst. Mein Bub laßt dein Bubn schön grüßen, und wann der Toni wieder einmal Kameraden sucht, dö d' Schläg af ihnere Buckeln nehmen, während er sich mit einer saubern Dirn wegschleicht, so soll er nur ja nit afn Simerl vergessen; laßt der ihm sagen! A Feine muß dö aber wohl sein! Drei Löcher im Kopf von meinm Bubn sein mir lieber, als der setzet sich so was drein! Ja, so zwei, dö d' nit zsammgibst und nit auseinandkriegst, können dir viel Unglegenheit machen. Hihi!«

Er riß sein Wägelchen herum und jagte davon.

Der Sternsteinhofbauer mußte zur Seite springen, wollte er nicht die Räder über den Zehen haben. Er schickte einen schweren Fluch dem »alten Lump« nach, dann wandte er sich an die alte Kathel und hieß sie das Mittagessen auftragen.

Er selbst begab sich hinauf nach der Schlafkammer seines Sohnes. Er pochte an die Türe. »Schon wach?« fragte er barsch.

»Ja«, tönte es von innen.

»So komm, essen.«[105]

»Ich mag nix.«

»Du könntst einm wohl auch 'n Appetit verderben«, murrte der Alte, dann sagte er laut: »Paar Löffel Suppen werdn deinm wüsten Magen ganz zutraglich sein. Komm nur!«

Als die beiden einander bei Tische gegenübersaßen, tat der Junge, über den Teller weg, einen raschen Blick nach dem Alten, der mit zusammengezogenen Brauen vor sich hinstarrte.

Sicher, der wußte genug. Mag er –! Vielleicht alles, was die wußten, die dabei waren, und auch nichts, wovon keiner! – Noch einmal blickte der Bursche auf, wie ein Schalk, dann senkte er den Kopf und legte den Löffel weg.

»Schon abgspeist?« begann der Alte.

»Ja.«

»Ich hör, du hast dich gestert nit lang in Schwenkdorf verhalten?«

»Gar nit. Wir habn d' Langweil gfürcht, ich und d' andern.«

»Dann seids hrüber?«

»Dann sein wir hrüber.«

»Habts euch gut unterhalten?«

»So ziemlich.«

»Sollst ja auch grauft habn?«

»Ja, 'n Herrgottlmacher hab ich wohl hinglegt, daß er afs Aufstehn vergessen hat.«

»Rar dös! Wann der klagbar wird, kann mer noch 'n Bader zahln. Wegn was is's denn hergangen?«

»Er wollt sein Dirn nit an unsern Tisch sitzen lassen.«

»Und da mußtst du dich drum annehmen? Versteht sich. Bist wohl in die Seine verschameriert?«

»Kann's nit laugnen.«

»Is dö gar so sauber?«

»Kein so Saubere hast du noch gar nit gsehn, nit mal d' Mutter.«

»Dös is wenig gsagt, dein Mutter war nit sauber, aber zugbracht hat s' brav. Wie heißt denn dieselbe?«[106]

»Zinshofer Helen.«

»Zinshofer? Das is ja die Alte, die unter den Hungerleidern da unten am allermeisten nix hat?«

»Habn tun s' nix, das is wohl wahr.«

»Trotzdem hör ich, daß d' hättst verlauten lassen, du nahmst die Dirn zur Bäurin?«

»So hab ich gsagt.«

»Ein schlechter Gspaß, dös.«

»Kein Gspaß! 's is mir völlig ernst.«

»Du bist a Narr!«

»Kann sein, man sagt ja, Verliebte wärn närrische Leut. Ich hab mir nur denkt, weil mer doch eh 's mehrste haben von alle da in der Gegend, so möcht just nit so dumm sein, wann afn reichsten Hof auch d' schönste Bäurin z' sitzen käm!«

»Laß mich aus mit der Schönheit! 's erst Kindbett nimmt dö oft mit fort; dann hast 'n Schleppsack afn Hals, aber 'n leeren. Kein Kind bist nimmer. Dö Gschichten, was wir als klein anghört habn, wo Betteldirn'n von Kaisern und Königen heimgführt wordn sein, dö habn sich im Fabelland zutragn; daß aber der Sternsteinhof weit außerthalbn von selbm liegt, das brauch ich dir wohl nit erst z' sagn!« Er erhob sich und strich mit der flachen Hand über das Tischtuch. »Nun is gnug! Schlag dir die Dummheit ausm Kopf.«

»Das geht nit an«, sagte der Bursche. »Ich muß dir noch was eingstehn.« Er spreitete die Beine auf dem Sitze auseinander, beugte sich vor und sah starr nach dem Salzfasse, während er langsam sprach: »Wann ich auch die Dirn sitzenlassen möcht, was mir nit einfallt, so braucht sie's nit z' leiden. Sie hat's schriftlich.«

»Was schriftlich?«

»Mein Ehversprechen.«

»Dein Ehversprechen?« lachte höhnisch der Alte. »Ja, bist denn du in Jahrn, wo d' ohne mein Einwilligung eins geben kannst? Wärst drein, ich jaget dich jetzt af der Stell vom Hof! So aber hat a Schriftlichs von dir noch gar kein Gültigkeit.[107] Hat dir die Dirn drauf Glauben gschenkt, dumm gnug von ihr, dann kannst du dir in d' Faust lachen, und sie muß sich gfalln lassen, wann s' noch hinterher d' Leut verspotten.«

»Ich geb denen kein Anlaß dazu. Schriftlich oder mündlich, ich halt mein Wort.«

»Du Himmelherrgottssakkermentslotter du!« brüllte der Sternsteinhofbauer, mit der Faust in den Tisch schlagend. »Traust du dich, mir ins Gsicht z' trutzen, mir ins Gsicht? Wo du dasitz'st und Wörtl für Wörtl zugebn mußt, daß mir nit um eins zviel bericht wordn is über dein gestrig Stückel?!«

Der Bursche fuhr vom Stuhl empor und schrie dazwischen: »Dös is 's erste nit, aber wann d' dich dreinschickst, so könnt's wohl 's letzte sein!«

»Daß 's letzte sein wird, dafür laß nur mich sorgen, aber 's Dreinschicken, das is dein Sach. Bisher hab ich dir allein Unbsonnenheiten und dumme Streich nachzsehen ghabt, gestert aber hast dich offen gegn mein Willn – gegn deins leiblichen Vaders Willen – aufglehnt! Ich denk, du hast noch z' wollen, wie ich will, und drum frag ich dich kurz und mein dir's gut: heiratst du seinzeit, dö ich dir bestimm, und gibst von heut alln Verkehr mit der Dirn da unten auf?«

»Dadrauf sag ich dir ebnso kurz, daß ich kein andere heirat und 'n Verkehr mit derer Dirn nit laß! Verhalt mich dazu, wann d' kannst! Sperr mich ein, so brech ich dir aus. Tu, was d' willst, so find ich mein Weg zu ihr und dort mein Bleiben.«

Der Sternsteinhofbauer fuhr mit beiden Fäusten nach der Brust und schüttelte sich an der Jacke. Nachdem er eine Weile nach Atem gerungen, sagte er langsam und leise, doch dröhnte jedes Wort halblaut nach: »Merk dir's gut, was d' mer gsagt hast: du nahmst kein andere und vom Verkehr mit derer Betteldirn vermöcht ich dich nit abzbringen!«

Toni nickte trotzig mit dem Kopfe.

»Du hast mir damit«, fuhr der Alte fort, »'n kindlichen[108] Gehorsam aufkündt. Versteh mich wohl! Es darf dich daher gar nit wundern, wann ich mein Hand von dir abzieh. Dadrauf mach dich nur gfaßt.«

Er ging aus der Stube.

Der Bursche blickte ihm verblüfft nach. Wie war das diesmal doch ganz anders gegen sonst alle Male, wo der Alte, wenn er ausgescholten hatte, begütigt davonging? Freilich, die Sache war gewichtiger wie noch keine, und gleich, so auf das erste Wort hin, mochte der wohl nicht nachgeben! Doch was er gesprochen, war sicher auch nicht sein letztes! Bald, vielleicht morgen schon, kommt er wieder angerückt und dann so oft, bis er es müde werden wird. Da heißt's eben, sich mehrmal mit ihm herumbeißen, und heute, fürs erstemal, war es ja ganz gut abgelaufen. Ein blinder Schuß mag Spatzen und Diebe scheuchen und ein leeres Drohen Kinder und Narren!

Toni eilte hinab nach Zwischenbühel. Er hielt den Kopf hoch, als er rasch an den Hütten vorüberschritt, und wenn er merkte, daß er beobachtet wurde, so sah er mit herausfordernden Blicken hinter sich.

Als er in der Zinshoferschen Hütte die Dirne, die auf seinem Schoße saß, in den Armen hielt, da vergaß er ganz, warum er eigentlich gekommen, und erst auf die Nachfrage Helenens erzählte er, was vorgefallen war; da die beiden Frauenzimmer doch etwas ängstlich dareinsahen, so beruhigte er sie, es stünde ja alles ganz gut, würde nur immer besser werden, anders könne er es selber nicht sagen.

Während er unten im Dorfe saß, fand sich der Käsbiermartel oben auf dem Sternsteinhofe ein.

»Ich komm, mich über dein Bubn beklagen«, war sein erstes Wort, als er den Bauer erblickte.

»Ich weiß eh alles«, murrte der.

»Wann d' eh alles weißt«, fuhr der Käsbiermartel fort, »so weißt auch, daß 's hitzt mit unserer Verschwiegerung nix mehr sein kann.«

»Warum nit?« brauste der Sternsteinhofbauer auf. »Ist dir[109] mein Bub etwa mit einmal z' schlecht oder dein Dirn zu rar?!«

Der Käsbiermartel sah ihn groß an, dann sprach er langsam, die verkniffenen Lippen mehr als sonst bewegend, als spräche er Brocken, die er vorher noch ein wenig glätten wolle: »Wann d' mer so kommst, dann, frei hraus, ja!«

»Käsbiermartel!«

»Sternsteinhofer! Was willst? Is mer gleich dein Bub z' schlecht, so bleibst doch du mir recht. Davon is der Beweis, daß ich heut schon da bin. D' Verschwiegerung aufsagn hätt Zeit ghabt; das geht mir nit gar so nah, wie ich auch siech, daß's dir nit nahgeht. Aber wann d' dein Sohn von d' Soldaten freikriegen willst, so wär jetzt d' höchst Zeit, daß ich geh a gut Wort einlegn und du ...« Er machte eine allgemein verständliche Bewegung mit Daumen und Zeigefinger.

»Spar du dir d' guten Wort, ich spar 's andere.«

»Was meinst?«

»Daß ich mich für dein Freundlichkeit bedank, aber kein Gebrauch davon mach.«

»Aber dann nehmen s' dir 'n heilig.«

»Solln s' 'n.«

»So redst hitzt, hintnach aber reut's dich.«

»Gott bewahr, niemal, sag ich dir, Käsbiermartel! Er soll nur 'm Kalbsfell folgen oder neuzeit der Blechblasen. Dös is ihm gsund, dös is 's einzige Mittel, um ihm d' Unbotmäßigkeit ausztreiben, mit der er mir zugstiegen käm; 's is nit erhört, denk dir, einm Bettelmensch wegn!«

»Na siehst, das kimmt von ewigm Zuwarten. Hättst ihn gleich zsammgebn mit der Sali, wär ihm d' andere gar nit in Sinn kämma.«

»Verlaß dich drauf, dö exerzieren s' und manövrieren s' ihm schon wieder hraus. Das geht hitzt in einm! Eigentlich wär ja für dein Dirn dabei gar nix verlorn.«

»Drei Jahr.«

»Drei Jahr! Was sein drei Jahr? Drei Jahrn frag ich nit[110] nach, so alt ich bin! Und wann bis dahin dein Sali noch nit unter der Hauben wär ...«

»Deinm Bubn wegn werd ich s' nit in d' Selchkuchel hängen!«

»Dös brauchst nit, sie erhalt sich wohl auch so frisch. Ich sag ja nur, wann der Fall wär, dann –!«

»Na ja, dann, wann! Da is noch allweil Zeit z' reden, bis d' Zeit sein wird.«

»Hast recht. Hitzt davon reden, hat wirklich kein Schick und kein Absehn und möcht uns nur allzwein d' Gall riegeln.«

»Wohl, is eh a so.«

Sie schüttelten sich die Hände und schieden.

Quelle:
Ludwig Anzengruber: Werke in zwei Bänden. Band 2, Berlin und Weimar 21977, S. 103-111.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Der Sternsteinhof
Anzengrubers Werke: Teil 13. Der Sternsteinhof
Der Sternsteinhof.
Der Sternsteinhof
Der Sternsteinhof

Buchempfehlung

Lessing, Gotthold Ephraim

Philotas. Ein Trauerspiel

Philotas. Ein Trauerspiel

Der junge Königssohn Philotas gerät während seines ersten militärischen Einsatzes in Gefangenschaft und befürchtet, dass er als Geisel seinen Vater erpressbar machen wird und der Krieg damit verloren wäre. Als er erfährt, dass umgekehrt auch Polytimet, der Sohn des feindlichen Königs Aridäus, gefangen genommen wurde, nimmt Philotas sich das Leben, um einen Austausch zu verhindern und seinem Vater den Kriegsgewinn zu ermöglichen. Lessing veröffentlichte das Trauerspiel um den unreifen Helden 1759 anonym.

32 Seiten, 3.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten. Elf Erzählungen

Romantische Geschichten. Elf Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für diese preiswerte Leseausgabe elf der schönsten romantischen Erzählungen ausgewählt.

442 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon