[228] Sonntags wollte Helene allein, wie sie gekommen war, die Kirche auch wieder verlassen; als sie die breiten Steinstufen hinunterstieg, gesellte sich die Matzner Sepherl zu ihr und sprach sie an: »Grüß Gott, Kleebinderin, ich hör ja, dein Mon soll recht schlecht sein?«[228]
Helene nickte.
»Mein«, fuhr die Dirne fort, »mit ihm kannst noch a wahrs Kreuz habn; mir scheint, er is gern krank.«
»Ich wüßt nit, daß er's früher gwest wär!«
»O doch, hab ich nit schon einmal seiner Mutter krankenwarten gholfen?«
Die Kleebinderin blickte sie finster an.
Aber Sepherl achtete es nicht und sprach weiter und wunderte dazu immer mehr mit den Augen, als überrasche sie das ruhige Zuhören der anderen oder ihre eigene Rede. »Und wann d' nix dagegen hättst, ich sähet 'n wohl gern amal wieder und tät 'n auch öfter bsuchen, und wann dir recht wär, so ging ich dir auch an die Hand, und Übels denkst wohl nit von so einm Beisammsein?«
»Bist gscheit?« fragte Helene. »Wann d' 'n heimsuchen willst, werd ich dir's doch nit verwehren? Und wann d' mer beistehn willst in der Pfleg, so wünsch ich dir dafür Gotts Lohn, und Übels denken wär grad sündhaft, wo der Mann siech dahinliegt, keine argn Gedanken hat und auf keine bringt.«
»So ging ich gleich mit dir.«
»Is recht. Komm nur.«
Als die beiden in die Hütte traten, erhob sich die alte Zinshofer von der Waschbank, worauf sie gesessen. »Er hat sich die ganze Zeit über nit grührt, nit grufen, nix verlangt«, raunte sie ihrer Tochter zu, dabei blinkte sie mit den Augen verwundert nach Sepherl und schüttelte kaum merklich mit dem Kopfe.
Helene machte eine kurze, ärgerliche Bewegung, mit dem Kinne den Weg nach der Türe weisend, und nachdem die Alte duchsig davongeschlichen, drückte das junge Weib sachte an der Klinke und rief halblaut in die Krankenstube hinein: »Muckerl, schlafst? D' Matzner Sepherl wär da, dich heimsuchen.«
Der Kranke lächelte und sagte mit matter Stimme: »Schön, is ja rechtschaffen lieb von ihr. S' soll nur hreinkommen. Grüß Gott, Sepherl!«[229]
»Grüß dich Gott, Muckerl! No, was is's denn mit dir?«
»Was soll sein? Aus wird's!«
»Geh sei nit dumm und bild dir so was ein.«
»Werdn mer ja sehn, wer recht bhalt.«
»Schau nur so was«, rief die Dirne Helenen zu, die an der Schwelle stehengeblieben war. »Redt er nit, als möcht er frei aus Trutz und reiner Rechthaberei halber versterbn?!«
»Mein liebe Sepherl, jeder weiß, wie ihm is. Doch tu dich setzen, daß d' mir das bissel Schlaf, was ich hab, nit auch noch austragst.«
Während Sepherl einen Stuhl an das Bett trug, zog Helene die Türe ins Schloß und ließ die beiden allein.
Sie hielt es auch fürderhin damit so und gesellte sich nie zu ihnen. Obgleich sie den Kranken mit aller Sorgfalt und Geduld betreute und Nächte durch wach an seinem Bette saß, so litt er sie doch nur ungerne um sich, schickte sie unter manchen Vorwänden hinweg, verlangte nie eine Handreichung von ihr und ließ sich nur die allernotwendigsten widerwillig gefallen, aber Helene kam ihm zuvor, sie wußte zu erraten, was ihm fehle oder wonach er verlange, worauf die etwas beschränkte Dirne nie verfiel, und setzte, was not tat, flinker und geschickter ins Werk, als es jene bei ihrer Täppischkeit imstande war; trotzdem behagte sich Muckerl im Umgange mit der Sepherl, und diese brauchte sich dabei auch gar nicht den Kopf zu zerbrechen, denn ihr sagte er geradezu, was er wolle und sie zu tun habe, ja, er tyrannisierte sie förmlich.
Als er merkte, daß er jeden Abend auf ihren Besuch rechnen konnte, untersagte er Helene, daß sie in seiner Stube Ordnung mache, das werde die Sepherl besorgen, und wenn diese dann kam, so trug er ihr das »Zsammräumen« auf und lächelte über die Ängstlichkeit und Ungeschicklichkeit der Dirne, zankte auch oft »ganz rechtschaffen« mit ihr.
»Du mußt nit meinen«, sagte, als es damit anhob, Helene zu Sepherl, »ich ließ ein liederlich Wirtschaft einreißen im Haus oder mißbrauchet dein Gutheit, aber der Muckerl will[230] dich amal zu seiner Stubendirn, und ich soll mer da drin nix mehr z' schaffen machen.«
»Aber liebe Kleebinderin«, beteuerte Sepherl, »wie könnt ich nur so was von dir denken?! Kranke sein oft wunderlich, und ihnen muß mer halt nachgeben.«
Mit einmal ward es dem Herrgottlmacher ganz unleidlich, daß er so müßig 'n lieben langen Tag über daliegen solle, er verlangte, etwas zu schnitzen, nur ein »ganz Kleins«, und die Sepherl sollte ihm das Werkzeug samt dem »Holzblöckl«, es war ein bestimmtes, an das er dabei dachte, herbeischaffen; selbstverständlich griff sie vorerst öfter nach dem unrechten und schleppte es herzu, ehe ihr das rechte in die Hände fiel, und so jagte er sie denn wohl ein dutzendmal Stube aus und Stube ein, und sie schoß mit hochgerötetem Gesicht durch das Haus.
»Jesses, rein verzagt könnt eins werdn! Kleebinderin, weißt du's nit, wo mag das krumm Messer liegn, was er will? Und hast kein Ahndung, wo 's verflixt Blöcki wohl auch stecken könnt?«
Helene lächelte. »Du schaltst ja wie 's Weib da im Haus. No, Tschapperl, werd nit verlegen« – sie tätschelte ihr die Wange – »und werd auch nit bös, ich mein dir's ja auch nit so und sag's nur im Spaß. Komm, suchn wir allzwei, werdn wir's wohl finden.«
Mit zwei Griffen fand sie das Gewünschte heraus und händigte es der Sepherl ein, und nachdem diese hinter der Türe der Krankenstube verschwunden war, sagte die alte Zinshofer, die bisher kopfschüttelnd dem Treiben zugesehen hatte: »Daraus machst du ein Gspaß? Du wirst ja da bald der Niemand im Haus sein.«
»Unsinn!« zürnte Helene. »Wann d' meinst, so dummerweis ließ ich mich aufhetzen, gegn ein Kranks noch dazu, da gehst fehl. In dem Ganzen steckt doch kein Ernst drein, und 's kann auch zu keinm mehr führn; das is wie's Mon- und Weibspieln unter Kindern, und frei hraus, dö bedauern mich allzwei, was soll ich ihnen das bissel Freud noch verderbn?«[231]
Gar langsam ging diesmal dem Holzschnitzer die Arbeit vonstatten, während der Plauderstunden mit Sepherl ruhte sie ganz und lag sorgfältig versteckt unter der Bettdecke.
Von der Kinderzeit und besonders von jener, wo sie sich vor und nach der Schule miteinander herumgetrieben, sprachen die beiden am häufigsten und eingehendsten, und wie das gekommen, daß sie sich nachher fast ganz aus den Augen verloren. Ei wohl, auch Dorfkinder, wovon jedes an einem anderen Ende wohnt, kommen sich leicht aus dem Gesicht; nur Nachbarskinder hätten's gut, die sähen sich alle Tage und könnten immer beisammenstecken. Vorzeit wünschte die Sepherl gar oft und vielmal, daß sie Haus an Haus wohnen möchten, entweder Muckerl mit seiner Mutter auch im obern Ort oder sie mit der ihren im untern. Wer weiß ... aber es hat nicht sein sollen.
Eines Abends nahm Sepherl ihren gewohnten Sitz am Krankenlager ein. Sie hatte keine Zeit zu fragen, warum hart am Bettrande die Decke so merkwürdig aufgebauscht sei, Muckerl schlug die Umhüllung zurück und zeigte das Schnitzwerk, mit dem er endlich zustande gekommen. Es war eine spannehohe, schmerzhafte Muttergottes mit dem Leichnam Jesu quer über dem Schoße; wohl ein »recht zusammengerackert Frauenbild« und eine »zaunmarterdürre« Mannesgestalt, der Holzschnitzer hatte seine eigenen abgezehrten Glieder zum Modell genommen.
Sepherl betrachtete es lange nachdenklich, dann sagte sie: »Das is a rechts, heiligs Bild.«
Muckerl reichte es ihr mit vor Kraftlosigkeit zitternden Händen hin. »Da nimm, es is für dich. Es is mein Brautgschenk.«
»Vergelt dir's Gott, Muckerl, aber als ein solchs dürft ich's wohl nit annehmen, weil ich keins bedarf, ich heirat mein Lebtag nie.«
»So mein ich ja, ich schenk dir's als Bräutigam.«
»Geh, du hast's not, daß d' noch Eulenspiegelein treibst! Doch is mer recht lieb, daß d' so gut aufglegt bist.«
»Gar nit, Sepherl, gar nit, mir is heut schlecht wie niemal;[232] aber mir geht durch 'n Sinn, wann du dich rechtschaffen und ehrbar durch döselbe Welt brächtst, wer weiß, ob mer sich nit anderswo wieder zsammfinden könnten?«
Ein langes Schweigen lag dann über der Stube, bis der Holzschnitzer der Dirne seine Hand reichte und sagte: »Geh lieber heim, Sepherl, heut bin ich für nix.«
Das Mädchen erhob sich zögernd; vor Bangheit und Verwirrung keines Wortes mächtig, verabschiedete es sich mit wiederholten Händedrücken.
»He, du Sepherl«, rief Helene, als die Dirne mit traurigem Kopfnicken an ihr vorüber wollte, »was tragst mir da ausm Haus?« Sie wies nach der bauschigen Schürze.
Sepherl stand erschreckt, sie schlug das Vortuch zurück und zeigte das Bildnis. »Er hat mir's gschenkt«, flüsterte sie.
Die Kleebinderin besah es eine Weile. »Das schaut so unschön her.«
»'s soll auch nit anders, besser, er wär gleich vom Anfang dadrauf verfalln, eh 's Schön ihm selber kein gut getan hat.«
Des Herrgottlmachers Weib sah der Dirne scharf in die Augen, dann wandte es den Blick. »Kannst vielleicht recht habn.«
»Bhüt euch Gott!«
»Gute Nacht!«
Als Sepherl an der Brücke vorüberschritt, glaubte sie, fern, hinter sich, in einem lauten Schrei ihren Namen rufen zu hören. Sie blieb stehen, lauschte, es ließ sich nichts vernehmen; so setzte sie denn ihren Weg fort. Sie war bange, und da macht man sich eben leicht Einbildungen.
Sie hatte es nicht gesehen, daß die Kleebinderin eine Weile nach ihr paar Schritte vor das Haus gelaufen und gleich eilig dahin zurückgekehrt war.
Durch die kühle, klare Luft des darauffolgenden Morgens gellten die Klänge des Zügenglöckchens, und als am Abende Sepherl mit langsamen Schritten und gesenkten Kopfes der vorletzten Hütte am unteren Ende des Dorfes zuschritt, galt ihr Besuch einem toten Manne.[233]
Wieder über einen Tag, da begruben sie ihn.
Als die Leidtragenden und die Geleitgebenden sich entfernt hatten, machte sich der alte Veit, der Totengräber, sofort daran, das Grab zuzuschaufeln; seine blinzelnden Äuglein und die breit zusammengekniffenen Lippen gaben ihm das Aussehen, als empfände er dabei ein stilles Behagen, und das war auch der Fall; sooft er »so 'n Sakra« oder »a Sakrin« in der Grube hatte, erfreute ihn der Gedanke, daß nicht er es sei, der da drunten läge.
Erst polterte Scholle um Scholle auf den Sarg, bald aber fiel die Erde geräuschlos und umhüllte locker und weich den Menschen, der da, aller Lust und Leiden wett, in ihr gebettet lag. Mit der Qual eines anderen Wesens beginnt eines jeden Dasein, und dann geht es so weiter mit dem Quälen oder Gequältwerden, wie sich's eben trifft. Wer mehr Qualen bereitet als erleidet, den nennt man glücklich, und wem es seine Mittel erlauben, das erstere in großem Maßstabe zu tun, der heißt wohl auch groß.
Der ehrliche Herrgottlmacher hatte sich all sein leblang nur auf einem ganz winzigen Fleckchen Erde herumgetummelt – frohe Kindertage verlebt, jene Zeit, von der es heißt, der Mensch gehöre noch nicht sich selbst an, sondern anderen, und wo er doch so ganz er selbst und frei ist, wie nie hernach mehr im Leben – träumerische Bubenjahr, wo einer die Welt in den Sack steckt und sie höchstens unter seinen besten Freunden aufteilt, freilich nur jeder seine Welt, und die manches ist gar klein geraten – auch die Mannjahr hätten sich nicht übel angelassen, die schon mehr auf andere Bedacht nehmen und wo seiner Mutter Freud ein groß Teil der seinen war – da mit einmal war es aus.
Das Käferchen, das im warmen Sonnenschein über den rieselnden Sand dahingelaufen, vor dem sprühenden Regen sich unter duftigem Laubwerk verkrochen, mit seinesgleichen sich geneckt und gezerrt hatte, krampfte plötzlich die Füße zusammen und fiel vom halb erkletterten Halme zur Erde.
Nun liegt er taub, hohl, ein Gehäuse, eine leere Hülse;[234] und nichts verrät von all dem Sonnenschein, der ihn erwärmte, von den Regenschauern, die ihn erfrischten, von all dem, wie ihn im weiten oder engen die Welt ansprach.
In der Schlupflöcherzeile, die da längs des Wasserstreifens hinlief, in Zwischenbühel nämlich, war die Anteilnahme nicht gar groß. »Wieder einer weniger« oder »wieder einer mehr«, hieß es, je nachdem sich die Sprecher selbst dem Grabe ferner wähnten oder näher glaubten.
Als Helene mit dem kleinen Muckerl und der alten Zinshofer von dem Leichenbegängnisse heimkehrte, schritt sie mit einem scheuen Blicke an der Kleebinderschen Hütte vorüber und folgte der Mutter nach deren Behausung.
Sie saß dort auf der Gewandtruhe, wortkarg und in sich gekehrt, nur von Zeit zu Zeit dem Kinde, das sie an ihrer Seite hielt, leise zusprechend. Wie der Abend zu dämmern begann, griff sie einen Schlüssel aus der Tasche und sagte: »Mutter, ich tät dich bitten, sei so gut und hol uns a bissel Bettgwand von drüben, wir wolln sich da afm Fußboden a Lager zrechtmachen. Ich mag nit drenten schlafen.«
»Fürchtst dich?« fragte die Alte.
»Nein. Es is aber so entrisch allein in einm Haus, wo mer just ein Totes hinausgetragen hat. Der Kleine schlafet mir allzbald ein, und ich fühlet mich dann ganz wie verlassen.«
Die Alte tat, wie ihr geheißen. Später, als alle schon eine Weile lagen, setzte sich Helene plötzlich auf dem Strohsacke auf und sagte: »No, wär ich halt doch wieder da – afm Stroh – und, wie mich ziemt, auch nit viel besser dran wie a Bettlerin, und hätt's mich gtroffen, daß ich noch a Reih von Jahrn mit dem armen Teufel hausen mußt, stünd ich hitzt gar als alts Bettelweib.«
»Gwiß«, gähnte die Alte, »du darfst dich nit beklagen über, wie's gkommen is, und der is ja auch im Himmel gut aufghobn.« – –
Von da ab fand sich Sepherl an dem Allerseelentage jeden Jahres in der Kirche ein und kniete an einem Seitenaltare[235] inmitten der Kinder, die dort mehr zum geselligen Vergnügen als aus brünstiger Andacht den armen Seelen Wachslichtlein brannten; sie opferte ein Kerzchen für den Muckerl und betete für dessen Seelenheil, bis das Dochtendchen in das geschmolzene Fett sank und knisternd erlosch. An seinem Grabe zu beten, das kam seinem Weib zu, sie wollte sich dort nicht blicken lassen, nicht ihrer selbst willen, was läg an ihr? Aber es hätte – wie die Leut schon schlecht denken – dem Toten eine üble Nachred erwecken können, und die hat doch wahrlich er nicht verdient!
Die Sternsteinhofbäuerin hatte mit gefalteten Händen am Fenster gestanden, als der Leichenzug unten auf der Straße langsam sich fortbewegte.
Der Tod des Kleebinders bestürzte sie, es fiel ihr auf das Gewissen, daß die Enthüllungen, die sie ihm machte, volkstümlich gesprochen, der Nagel zu seinem Sarge gewesen; aber sie konnte dies nicht voraussehen, ebensowenig als sie vorhersah, wie sie es ergreifen würde, denn seit jener Fahrt ins Ort lag es ihr wie Blei in den Gliedern, und sie hatte mehr keinen Fuß außer die Stube zu setzen vermocht.
Nun war der einzige tot, von dem sie sich eine wahrhafte Abhilfe versprechen durfte, dessen selbsteigene Sache die ihre war, der den Willen haben mußte, dem Unfuge zu steuern, und auch das Recht und die Macht dazu besaß. Die eine Hälfte des argen Wunsches war den andern beiden in Erfüllung gegangen, und wie eine bange Ahnung befiel sie der Gedanke, wie bald vielleicht auch an sie die Reihe käme, gleichen Weges zu gehen!
Dieses Bangen vor dem Sterben, das sie zeitweilig durchschauerte, trat aber zurück gegen die unmittelbar sich aufdrängende Furcht vor dem, was sie nun wohl zu erleben haben werde!
Dieser Furcht gaben nur allzubald die Ereignisse recht.
Da die Bäuerin, nachdem sie dem Herrgottlmacher die Augen geöffnet, mit jener Heimholung Tonis alles abgetan[236] glaubte, so war bisher des Geschehenen halber kein Vorwurf über ihre Lippen gekommen, und der Bauer nahm keinen Anlaß, weder etwas abzuleugnen noch zu beschönigen; beide schwiegen beharrlich und lebten, sich gegenseitig entfremdet fühlend, nebeneinander fort. Als aber kaum eine Woche nach der Beerdigung Kleebinders der junge Sternsteinhofer für dessen Witwe eine warme Anteilnahme bekundete und sich verlauten ließ, er habe vor, ein gutes Werk zu tun und Helene samt dem Kinde herauf auf den Hof zu nehmen, da fuhr die kranke Bäuerin, fast wild, empor. »Was? Die? Die wolltst du dahersetzen? Hast du schon so weit kein Ehr mehr im Leib, daß d' auch nimmer kein Schand fürchtst? Aber, Gott sei Dank, da hab doch wohl ich noch ein Wörtl dreinzreden! Niemal, sag ich dir, kommt die mir ins Haus!«
»Übernimm dich nit so bei deiner Schwächen«, sagte mit verletzender Gleichmütigkeit der Bauer.
Das arme Weib lachte schrill auf und sagte, ihn mit einem giftigen Blicke messend: »Sorgst leicht um mich, du –? Und als was, wenn mer fragen darf, als was nähmst denn dö Kreatur hrauf? Zu was und wem soll die dienen?«
»Gleich erfahrst's«, erwiderte ruhig der Bauer. »Die alte Kathel kann mitm Hauswesen und 'm Krankenwarten zgleich nit aufkommen; die Kleebinderin aber is die beste Wärterin, die ich mir z' finden wußt, die soll dich pflegen.«
»Die? Mich? Die!« schrie die Bäuerin außer sich, dann verstummte sie und sah den Mann mit großen, angstvollen Augen an, sie rang die Hände ineinander und stammelte:
»Das, das könntst du mir wirklich antun?«
»Sei nit dumm«, sagte er roh. »Ich will's, und so gschicht's! Dich mit ihr zu vertragen, das steht dir zu, denn du hast eh a Unrecht gegn die arme Seel gutzmachen, dein unghörigs Einbilden –«
»Einbilden?!« kreischte die Bäuerin, die geballten Fäuste gegen ihn emporreckend. »Leugnst du? Laugnest du dein eigen Reden?!«
Er zog den Mund breit und zuckte mit den Schultern.[237] »Eigen Reden! Freilich, gar ein eigen Reden, was eins im Schlaf angibt! Wann d' drauf was gibst, verruckts Weibsstuck, so müßtst ja auch am Morgen 'n Mond in meiner Taschen suchen, wann ich im Traum ausraun, ich hätt 'n eingsteckt!«
»Ob d' hitzt hintnach Unsinn oder Gscheitheit redst, was ich ghört hab, das hab ich ghört, und aus dem, was du dir planst, wird nix!«
»Das werdn wir ja sehn«, sagte der Bauer. Er ging, die Türe hinter sich zuschlagend.
Und nun ereignete es sich öfter, daß er oben aus der Stube stürzte, die Treppe hcrabgepoltert kam, was vom Gesinde in der Nähe sich aufhielt, unnütze Horcher schalt und an die Arbeit gehen hieß, und wenn er dann nach dem Krankengemache zurückgekehrt war und die Türe geschlossen hatte, so spielte sich hinter derselben eine jener Szenen voll quälender Bitterkeit und rücksichtsloser Gehässigkeit ab, welche unter sich ferne Stehenden unmöglich sind und womit sich nur Menschen, die das Leben einander ganz nahe gebracht, letzteres verleiden und vergiften können und wo es – für einen Teil wenigstens – besser gewesen, beide wären sich all ihre Tage fremd geblieben.
Keines Menschen Seele verkehrt ganz ohne Hülle, ohne Schutzdecke mit der Welt, und es ist wohl gut so, denn wie makellose Schönheit des Körpers ist auch die seelische auf Erden selten; dem Umgange mit der nackten Seele eines andern sich auszusetzen, ihn zu ertragen, wagt und vermag nur die Liebe und die Freundschaft, und wo diese fehlen, wirkt die seelische Nacktheit, wie rohe körperliche Entblößung, abstoßend, schamlos, entwürdigend und verderblich.
Es bedurfte keiner langen Zeit, so trieb die Aufregung über den fortwährenden Hader die Kranke von dem Sorgenstuhle in das Bett. Ihr Widerstand war gebrochen und wurde immer schwächer. Welchem Ansinnen fügt sich der Mensch nicht, wenn es gilt, sich die Ruhe des Plätzchens zu sichern,[238] auf dem er zu sterben gedenkt, und für seine letzten Tage ein bißchen Nachsicht und Teilnahme zu erkaufen?!
Helene kam mit dem Kinde auf den Sternsteinhof und schien es mit der Krankenpflege sehr ernst nehmen zu wollen, aber die Bäuerin schreckte vor jeder Berührung des jungen Weibes zurück und wollte es weder am Kopf- noch am Fußende des Bettes sitzen haben; anfangs boten ihr die häufigen, halbe Tage langen Besuche des alten Sternsteinhofers willkommenen Anlaß, ihre Wärterin gar aus der Stube zu schaffen, dann lag sie und hielt oft durch Stunden mit ihren abgezehrten Fingern die rauhe, hörnerne Rechte des Alten über der Bettdecke fest, es war die einzige Hand, die sie zu halten hatte und dabei ein Vertrauen empfand, daß diese auch sie gerne halten möchte, während bei allen Handreichungen Tonis und Helenens sie das ängstliche Gefühl ankam, die beiden ließen sie zwischen den Armen hinabgleiten – oh, wie tief!
Wenn nach einem solchen Krankenbesuche der alte Bauer über den Hof seiner Ausnahm zuschritt, so fluchte und wetterte er laut, daß jeder, der um die Wege war, es hören konnte, und belegte dabei des Herrgottlmachers Wittib mit einem Titel, der in aller Kürze das strikte Gegenteil einer Vestalin besagt; aber es geschah das lediglich zu seiner eigenen Erleichterung, ohne der Geschmähten irgendwelchen Ärger zu bereiten, denn der Schimpf war so groß, daß es niemand wagte, denselben ihr ins Gesicht zu wiederholen.
Es war, wie gesagt, zu Anfang, daß der alte Sternsteinhofer seine meiste Zeit bei der kranken Bäuerin zubrachte, mählich kam er seltener, schließlich blieb er gar lange von dem einen auf das andere Mal weg; dazu bestimmten ihn zwei Gründe. Er hatte geglaubt, die Schwiegertochter würde ihres Siechtums Meister werden, bald wieder auf die Beine kommen, und darum suchte er sie zu zerstreuen, keine Gedanken an Vernachlässigung und Vereinsamung in ihr aufkommen zu lassen und sie bei gutem Mute zu erhalten; der Gesunden wollte er dann beistehen, ihre Rechte zu wahren[239] und mit den ungebetenen Gästen den Kehraus zu tanzen. Als er aber merkte, daß die Bäuerin immer mehr verfiel und von Kräften kam, da suchte er sie selten heim und blieb nur für kurz; zusehen, wie es mit solch einem Aufgegebenen Schritt für Schritt zu Ende ging, und sich so unmittelbar an sein eigenes mahnen zu lassen, das war nicht seine Sache. Andernteils machte ihm gerade dieser Stand der Dinge den Anblick Helenens nur um so verhaßter. So flüchtig auch alle bisherigen Begegnungen mit ihr gewesen, die zufälligen, wo beide ohne Gruß aneinander vorüberhuschten, und die unausweichlichen in der Krankenstube, wo sie ihm schweigend den Stuhl an das Bett rückte, mit der Schürze darüberwischte und dann zur Türe hinausging, von nun ab vermied er geflissentlich all und jedes Zusammentreffen, da er mit großem Unbehagen fühlte, wie ihm in der Nähe dieses Weibes die Fäuste zuckten, aber gleichzeit das Wort versagte. Was ihn diese Bettlerin, wenn nicht fürchten, so doch scheuen machte, er wußte es selbst nicht. Ja, die wußte, was sie wollte, hat unverrückt ihr Ziel im Aug behalten, gleich bereit, wenn es dasselbe zu erreichen galt, darnach zu laufen oder langsam Fuß vor Fuß zu setzen, und obwohl sie schon einmal nach einer Seite »abgekugelt« war, kommt sie jetzt von der anderen heran und erreicht's! Sie wird's erreichen. Ein harter Kopf und ein fester Will! Nicht, wie es sonst damit bei den Weibern bestellt ist. Schlüg ihr der Teufel ein Bein unter, jetzt, wo sie den Fuß zum letzten Schritt hebt, glaublich, sie wüßt doch auf den Fleck zu fallen, wo sie hinrechnet! – –
Nur Ärger war dort oben in der Krankenstube mehr zu holen, Gift und Galle einzuschlucken und der armen Seel damit nicht geholfen, überhaupt nimmer zu helfen. Der Alte hielt sich davon, und die Kranke mußte sich nun den langen, bangen Tag über die Gesellschaft Helenens gefallen lassen. Wenn dann manchmal der kleine Muckerl zur Türe hereinpolterte, die Mutter aufsuchen, wofür er jedesmal einen scharfen Verweis erhielt, so sah die Bäuerin in der ersten Zeit von dem gesunden, rotbäckigen Jungen weg nach der[240] Wiege, in der ihr eigenes, halblebiges Würmchen lag, ihre Augen wurden feucht, und langsam perlten schwere Tropfen über ihre Wangen; später aber ließ sie auch das gleichgültig, nur wenn ihr Mann in der Stube war und mit begehrlichen Blicken an dem schönen Weibe hing und dieses es ihm mit unwilligem Zublinken verwies, dann blitzte es in den tiefdunklen Sternen auf, rege und glühend folgten sie jedem Mienenspiel, jeder Gebärde der beiden und ließen nicht nach, ihnen zu folgen, bis zu dem Tage, wo diese Augen – voll lautloser, herber Anklage, voll stummer, weher Herzenspein – brachen und der alte Sternsteinhofer sie zudrückte, da die Scheidende diesen Liebesdienst von ihm erbeten.
»Hast nit viel Guts ghabt«, sagte er. »Warst wohl a reiche Bäurin, aber dabei a arms Weib. Der Herr laß s' ruhn in Frieden, und 's ewige Licht leuchte ihr. Amen.«
Ausgewählte Ausgaben von
Der Sternsteinhof
|
Buchempfehlung
1889 erscheint unter dem Pseudonym Bjarne F. Holmsen diese erste gemeinsame Arbeit der beiden Freunde Arno Holz und Johannes Schlaf, die 1888 gemeinsame Wohnung bezogen hatten. Der Titelerzählung sind die kürzeren Texte »Der erste Schultag«, der den Schrecken eines Schulanfängers vor seinem gewalttätigen Lehrer beschreibt, und »Ein Tod«, der die letze Nacht eines Duellanten schildert, vorangestellt. »Papa Hamlet«, die mit Abstand wirkungsmächtigste Erzählung, beschreibt das Schiksal eines tobsüchtigen Schmierenschauspielers, der sein Kind tötet während er volltrunken in Hamletzitaten seine Jämmerlichkeit beklagt. Die Erzählung gilt als bahnbrechendes Paradebeispiel naturalistischer Dichtung.
90 Seiten, 5.80 Euro
Buchempfehlung
Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Michael Holzinger hat für den zweiten Band sieben weitere Meistererzählungen ausgewählt.
432 Seiten, 19.80 Euro