XXIII

[268] Bisher hatte es dem jungen Sternsteinhofer Spaß gemacht, zu den jährlichen Waffenübungen einzurücken, es war das doch für paar Wochen ein »anderes«, man kam aus allem Gewohnten heraus; es gaudierte ihn, mit dem Gelde herumzuwerfen und sich von den armen Teufeln anstaunen zu lassen, die mit ihm in Reih und Glied standen, und sie außer demselben trunken zu machen und zu allerlei Unfug aufzustiften, den sie hinterher oft schwer genug zu verbüßen hatten, während man bei ihm, wo es irgend anging, ein Auge zudrückte oder ihn wenigstens so glimpflich als möglich durchwischen ließ. Es konnte ihm gar nicht fehlen, daß er nächstens zu den Unteroffizieren aufrückte, denn diese gönnten schon lange den Gemeinen seine Kameradschaft nimmer, die für lustige Brüder und durstige Kehlen so vielverheißend war, und sie rapportierten über ihn als den besten Mann, der je unter ihnen im »Zuge« gestanden. Freilich konnte ihm diese bevorstehende Kameradschaft ein gutes Stück Geld mehr kosten wie die bescheidene frühere, aber er hatte es ja. Toll und liederlich trieb er es jedes Jahr diese Zeit über, die er seinen Fasching nannte, und hegte nicht den leisesten Wunsch nach einer Änderung in dieser Hinsicht, und es waren wohl wenige im Lande, welche mit gleicher Befriedigung wie er die Einberufungsbollette empfingen, vielleicht nur einige Allerärmste, die sich im Übungslager besser verpflegt wußten wie daheim. Nun kam ihm aber, ausnahmsweiser Zeit, eine Ordre ins Haus, die ihn zu seinem Regimente[268] abberief, und da geschah es doch, daß er sie mit allen »Himmelherrgottssakkermenten« und »Heiligkreuzdonnerwettern« empfing, denn es verlautete allerwärts und die Zeitungsblätter erzählten davon, daß irgendwo da unten im Reich halbwilde Leut sich gegen den Kaiser aufgelehnt hätten und nun die Soldaten dorthin müßten, sich mit denen herumzuschlagen.

Himmelherrgottssakkerment! Kämen Feind von fremd her über d' Grenz, so wollt er ihnen wohl 'n Weg weisen und heimleuchten helfen, der Sternsteinhofer Toni; aber kriegshalber extra ausm Land laufen, wo außerhalb mer nix z' suchen hat und nix z' finden is, das hatte für ihn keinen Sinn. Solln hraufkommen, die notigen Kerle, wenn sie was wollen, möcht mer bald mit ihnen fertig sein! Aber ihnen 'n Karst hnauf nachjagen, den Schuften, die d' Wehrlosen verstümmeln und verschänden sollen ... Heiligkreuzdonnerwetter!

Doch es war nichts zu tun als zu gehorsamen, und so fuhr denn der Toni, als es an der Zeit war, vom Sternsteinhofe weg. Helene, welche ihn bis nach der Kreisstadt begleiten wollte, saß mit den beiden Kindern im Wagen, und er hatte auf dem Kutschbocke neben dem Knechte Platz genommen und lenkte, um sich unnütze Gedanken fernzuhalten, die Pferde.

Es war ein trüber Tag, unter grauen Regenwolken trieben wallende Nebel an den Bergeshöhen dahin. Als der Wagen über das Pflaster der Stadt rasselte, fleckte dieses schon von den ersten fallenden Tropfen, und als er das Bahnhofgebäude erreichte, strömte es in stoßweisen Güssen vom Himmel nieder.

Der Bauer warf dem Knechte Peitsche und Leitriemen zu. »Bhüt dich Gott, Heiner«, sagte er.

»Bhüt Gott, Bauer! Schau dazu, daß d' uns fein wiederkimmst!«

»Sorg nit«, rief Toni noch zurück, als er mit Weib und Kindern, denen er aus dem Wagen geholfen, unter dem Tore verschwand.[269]

In der Halle reichte ihm die Bäuerin erst den Knaben, dann das Dirnlein zum Kusse hinauf, nun hing sie selbst an seinem Halse.

Er hatte die Kleinen rasch wieder weg und auf ihre Füßchen gestellt, jetzt machte er sich aus der Umarmung Helenens frei. »Laßt's gut sein, mach dir nit unnötig 's Herz schwer, du weißt, ich mag solche Gschichten nit leiden.«

Er drückte ihr die Hand und ging, um in den Wagen zu steigen.

Als sich der Zug in Bewegung setzte, winkte er noch einmal flüchtig mit der Hand aus dem Fenster, dann trat er von selbem zurück – und war fort!

Die Bäuerin erinnerte sich später oft an diesen Augenblick. Alles Fauchen der Maschine, alles Kettengeklirre und Rädergerassel erstarb in dem Gebrause der stürzenden Wasser, die wie ein wehender Vorhang über die nächste Umgebung fielen, so daß unweit der Halle die Schienen sich im fahlen Grau verloren, und dahinein glitt, wie lautlos und richtlos, der Zug und verschwand ohne Spur.


So hauste nun die Sternsteinhofbäuerin allein auf dem großen Anwesen. Sie kam damit schlecht und recht zustande, die Nachbarn waren freundlich und das Gesinde willig, denn Helenens Lage erachtete man als ein hartes Müssen und in keinem Vergleich zu der Tonis, der mutwilligerweis den Alten verdrängt und sich unberaten als Herrn aufgespielt hatte, den man mit rückhältiger Genugtuung gerne in Verlegenheiten steckenließ, wenn nicht gar aus Bosheit in solche setzte. Der Bäuerin gegenüber ließ man es an keiner Wohlmeinung fehlen.

Der Reif begann sich auf den Wiesen zu zeigen und das Laub auf den Bäumen zu vergilben, und unter der langen Zeit war nur ein Schreiben von fremder Hand auf dem Sternsteinhofe eingetroffen, das von Toni Nachricht brachte; der junge Bauer hatte dasselbe, in offenbar mißlauniger Stimmung, einem schreibfertigen Kameraden in die Feder diktiert,[270] er berichtete kurzweg, daß er – Gott sei Dank – guter Gesundheit sei, aber die Rackerei bis an den Hals satt habe und kaum glaube, das Ende davon erwarten zu können. Selbst zu schreiben, fände er keine Zeit und käme ihm ungelegen.

Weitere Botschaft blieb aus, aber diese in ihrer Kürze und Schneidigkeit ließ seine Leute sowie das Gesinde erwarten, er werde mit einmal ins Haus fallen, eh wer einen Gedanken daran hätte!

An einem sonnigen Nachmittage, als die Zwischenbüheler vom »Segen« heimgingen, verließ die Sternsteinhofbäuerin unter den letzten die Kirche; nachdenklich stieg sie die breiten Stufen vor derselben hinab, vor ihr hastete nur mehr ein altes Mütterchen in zappeliger Unbeholfenheit hinunter, sie erkannte in demselben die Matznerin, holte sie ein, leitete sie und brachte sie ungefährdet auf ebenen Boden.

»Je, je«, lächelte die Alte, »wie du gut bist, Bäuerin. Vergelt dir's Gott!«

»Nix z' danken, gern geschehn. Aber sag mir nur, eilt's dir so?«

»Ei, freilich, ich muß ja zu meiner Sepherl hoam.«

»Was is denn mit der? Ich hab s' d' längste Zeit nimmer gsehn.«

»So is's dir nit z' Ohren kämma? Beim Grummetschneiden im albern Necken hat dös dumme Mensch – der arme Hascher – einer andern in d' Sichel griffen und sich d' Hand arg zerschnitten, und hitzt hab ich s' daheim sitzen; sie kann nix verdienen, und was richt ich, was mehr kaum kraln kann?«

Die Alte sah Helenen mit feuchten Augen an.

»Warum seids auch nit gleich zu mir kommen, wie das gschehn is?« fragte diese.

»Hätt mer därfen?«

»Ich denk, 's wär nix Bsonders, wanns mir vertrauets und ich euch aus alter Freundschaft hilf.«

Die Matzner hustete verlegen. »Ich hab wohl gleich an dich denkt, aber sie wollt's nit leiden.«[271]

»Dalket gnug von ihr.«

Die Alte nickte, dann sagte sie mit zutraulicher Geschwätzigkeit: »Du stellst dir's nit vor, Bäuerin, was für a Kreuz ich mit derer Dirn hab! Sie hat amal kein Glück af der Welt, und no verscherzet s' gar darbotene Hilf! Warum s' dir nit kommen wollt, denkst dir wohl, wirst's ja gmerkt habn, wie ihr dein Seliger ins Herz gwachsen gwest is? Aber ihm war an ihr nix glegen. No, mach einer ein Knopf, wo der Schnur 's andere End fehlt!«

Die Bäuerin senkte nachdenklich den Kopf. »Ich will mit der Sepherl nit drüber streiten, ob er's mit ihr nit besser gtroffen hätt, 's war sein Sach und – wann ja – sein Schaden; aber das sein alte Gschichten, Matznerin, die mehr nimmer herghören. Sag ihr, ich ließ sie grüßen, und wann s' wieder heil is, soll sie sich anschaun lassen bei mir. Ich gäbet sie gern als Aushelferin der alten Kathel bei, und wann s' anstellig is, wer weiß, was sich noch schickt. Bis dahin komm du, wann's euch an was fehlt, ich helf dir aus, das geht sie nix an. Du bist doch nit z' stolz?«

Das alte Weib schied mit tausend Dankesbezeugungen von der Bäuerin.

Als Sepherl von dem »großen Glück«, das ihr bevorstünde, und von der Unterstützung, die ihrer Mutter zuteil werden sollte, erfuhr, sagte sie: »Du magst von der Sternsteinhoferin nehmen, was du kriegst und was sie dir vermeint; dir möcht ich nit zumuten, du solltst dir ein Abbruch tun noch ihr ein christlich Werk verleiden; aber ich nehm nit 's gringste von ihr, und unter einm Dach mit ihr z' hausen, das brächt ich nit zuweg. Versteh mich auch recht, meinerwegen trag ich ihr nix nach, obwohl vielleicht allein mein Unglück war, daß sie gleichzeit mit mir und an einm Ort af der Welt gwesen is, aber wie s' an ihm ghandelt hat, der mir der Liebere war als ich mir selber, das mag ich ihr verzeihn, wozu mich mei Christentum verpflicht, doch vergessen – vergessen kann ich ihr's nit!« – –

Nie, während ihres noch langen Lebens, betrat Sepherl den[272] Sternsteinhof, Jahre durch half sie sich allein in der Welt fort, und als altes Mütterchen gab sie ihr kleines Anwesen an ein armes, junges Brautpaar, nur dürftigen Unterhalt für ihre wenigen Tage und die rückwärtige Kammer als Wohnraum ausbedingend. In ihrer letzten Stunde legte sie die »schmerzhafte Gottesmutter« in die Hand des Priesters, der an ihrem Sterbebette saß. »Ein rechtes, heiliges Bild und ein gar teuer Angedenken«, und sie bat: daß man dasselbe »gut halten« möge, ihr zum Trost und einem »anderen Verstorbenen« zur Ehr, mit dem sie nun zusammenzutreffen hoffe, falls ihr von Gott diese Freude bestimmt sei. – –

Als die Sternsteinhofbäuerin vom Kirchgange heimkehrte, empfing die alte Kathel sie an der Haustüre: »A Brief is kämma, Bäuerin, ich hab dir 'n hnauf in d' Stuben afn Tisch glegt. Papier und Siegelwachs is nit dran gspart; wird wohl was Obrigkeitlichs sein.«

»Hm, ein neu Steuerauflag vielleicht.« Damit stieg die Bäuerin hastig die Treppe empor. Wenige Augenblicke später hielt sie das Schreiben in Händen, es kam vom Notar in der Kreisstadt, dessen Adresse stand vorne daraufgedruckt; Helene zerriß den Umschlag, ein beschriebenes Blatt und eine Nummer der Provinzialzeitung, welche die amtlichen Verlautbarungen brachte, fielen ihr daraus entgegen.

Sie begann zu lesen, plötzlich erblaßte sie und sank auf den danebenstehenden Stuhl, wie tot lag der Arm, welcher die Blätter gefaßt hielt, über dem Tische. Nach einer Weile raffte sie sich auf und schlich an das Fenster, die Papiere raschelten in ihren zitternden Händen, noch einmal las sie aufmerksam Zeile für Zeile; als sie geendet, sank ihr die Hand mit dem Schreiben schwer herab, während sie mit der andern hastig das Taschentuch herausgriff und vor die tränenden Augen drückte.

Darnach stand sie lange, selbstvergessen und verloren, das feuchte Tuch an die Stirne pressend, und starrte hinaus in die Gegend, ohne zu sehen. Ein laut aufächzender Seufzer, den es ihr unversehens herausstieß, machte sie zusammenschrecken,[273] sie wandte sich und verließ die Stube und das Haus. Als sie in den Hof trat, kam um eine Scheunenecke der kleine Muckerl, die Juliane auf dem Rücken, dahergaloppiert.

»Mutter«, rief er lustig, »da schau, wie sich dös Mehlsackl schleppen laßt! Wie s' müd wird, weint s', und dabei will s' übrall sein!«

Die Bäuerin winkte abwehrend mit der Hand und sagte ernst: »Sei still.« Sie nahm die Kleine vom Rücken des Knaben herab und stellte sie an dessen Seite. »Is brav, wann du dich schon jung um d' Weibsleut annimmst. Gar um dein Schwesterl wirst's wohl müssen, armer Bub.« Sie fügte die Hände der Kinder in einander und schritt mit den Kleinen gegen das Ausgedinghäusel des alten Sternsteinhofers.

Dieser saß auf der Bank davor und neben ihm der Käsbiermartel; als letzterer der Bäuerin ansichtig wurde, sagte er: »Guck mal, geht dort nit der Drach? Wie kommst denn aus mit ihm?«

»A Drach is s' wohl«, murrte der alte Bauer, »aber was ein Schatz hüt; ließ mer so einm sein Fleckl aussuchen und 'n drauf in Ruh, hätt mer 's beste Auskommen; doch wer sieht denn so 'n Untier gern afm Seinm? Übrigens, was wahr is, is wahr, breit gnug sitzt s' afm Ganzen, vor Schaden weiß sie sich z' wahren, muß sich nur noch weisen, ob sie sich auch aufn Nutzen verstehn lernt, dann is sie da der Bauer; mein Bub taugt amal nie dafür. Und was recht is, du hast kein Grund, ihr aufsässig z' sein, dein Tochterkind halt s' wie ihr eignes. Ich aber – der s' von allm Anfang da wegwehren wollt und dem s' hitzt z' Trutz da sitzt –, ich will nix mit ihr.«

»Ich aber auch nit, schon dir zlieb nit. Und no will s' gar daher, da geh ich. Bhüt Gott!« Käsbiermartel erhob sich und ging, doch nicht ohne der Bäuerin mit süßlichem Lächeln gute Tagzeit zu bieten und etwas von »immer schöner werden« verlauten zu lassen.

Helene nickte ihm einen kurzen Gruß zu und schritt vorüber,[274] und der alte Sternsteinhofer nahm die Pfeife aus dem Mund und spuckte hinter dem »Kerl« aus, »der gute Worte ins Gesicht und üble hinterm Rücken gebe«.

Als die Bäuerin ganz nahe herzutrat, blickte der Alte an ihr hinauf, und da er ihr bleiches Gesicht und ihre geröteten Augen wahrnahm, fragte er: »Was hast?«

»Nachricht vom Toni.«

»Was schreibt er?«

»Andre tun's.«

Der Bauer starrte sie an. »Doch nit –?«

Sie schüttelte den Kopf.

»Blessiert?«

»Nein.«

»Auch nit? Was denn nachher?«

Sie reichte das Schreiben hin.

Zögernd faßte er darnach und las es stille für sich.

Der Notar, als langjähriger Geschäftsfreund und aufrichtiger Anteilnehmer an den Geschicken seiner verehrlichen Klienten, bedauerte unendlich, sich zu einer schweren, traurigen Pflicht gedrängt zu fühlen. Indem er voraussetzen müsse, daß direkte Mitteilungen vom Kriegsschauplatze bei den in solchen unruhigen Zeitläuften häufigen Störungen des Postverkehrs oftmals durch die amtlichen Verlautbarungen überholt würden und daß diese wieder den werten Angehörigen nicht sofort zugänglich wären, so erlaube er sich mit dem Ausdrucke wahrsten Beileids, aber auch mit dem beherzigenswerten Hinweis auf die Hoffnung, daß eine gütige Fügung des Himmels doch immerhin noch das Ärgste abgewendet haben könne, ein Zeitungsblatt mit der amtlichen Verlustliste aus den letzten Gefechten zur Einsichtnahme anzuschließen. – –

Das Papier knitterte unter dem Finger, der von Zeile zu Zeile, von Namen zu Namen rückte, plötzlich hielt er, zusammenzuckend, inne.

»Vermißt.« Der alte Mann sah langsam auf, doch hastig gab er Raum an seiner Seite, Helene sank neben ihm auf die Bank.[275]

»No, gscheit sein. Mer weiß halt hitzt nit, wo der Toni steckt, doch der Notarjus hat recht, mer braucht nit gleich 's Ärgste z' glauben, er kann sich allmal wieder finden. Ich bin überzeugt, er findt sich wieder. Unkraut verdirbt nit.«

Er machte den Versuch, ein verschmitztes Gesicht zu ziehen, und Helene versuchte zu lächeln, aber das war nur ein flüchtiges Zucken um Augen- und Mundwinkeln, sie fühlten gegenseitig sich wie über einer Lüge ertappt und blickten wieder ernst.

Mit Tränen kämpfend, begann die Bäuerin: »Wir wollen 's Beste hoffen, aber wir müssen uns doch aufs Schlimmste einrichten. Ich möcht dich wohl bitten, daß d' hnaufziehest zu mir, damit ich nit so verlassen in dem weiten Gemäuer haus, auch, daß d' mir in der Wirtschaft an d' Hand gingest; aber wann d' nit mit mir unter ein Dach willst und mir kein Rat gönnst, so magst es ja lassen, ich tracht mich dann schon einzgwöhnen und alles allein z' richten, wie gut ich's vermag. Aber die Gnad hab« – sie drückte die gefalteten Hände gegen seine Brust –, »umn Bubn nimm dich an, du bist sein Ehnl, er is dein Fleisch und Blut, du solltst's, und von dir kann er was lernen, und ohne Mannanleitung wird aus einm Bubn nix! Anfangs wird wohl 's kleine Menscherl da häufig mitrennen, denk nit, ich wär so albern, dich zu einm Kindshüter machen z' wolln, in den Jahren halten Kinder halt gern zsamm, aber wie unser Dirndl größer wird, nehm ich's schon zu mir, und 's soll mein Sorg sein, sie rechtschaffen z' leiten und z' lehren, wie mir zukommt, aber 'n Bubn weis und lehr du, laß ihm's nit entgelten, was d' etwa noch von früher her gegen mich hast.« Sie erhob sich, schwer die Hand auf seine Schultern aufstützend, und schob ihm den Knaben zwischen die Knie. »Schau, wenn halt hitzt nit wär, was sich geschickt hat und geworden ist, nit nur ich stünd verlassen af der Welt, auch du wärst nun vereinsamt af deinm weiten, reichen Anwesen.«

Der Alte runzelte die Brauen, sah finster vor sich hin, dann nickte er paarmal mit dem Kopfe und legte die breite Hand auf den Scheitel des kleinen Muckerl.[276]

Über eine Weile hob er sich sachte vom Sitze, ohne die Rechte wegzuziehen, mit dem Rücken der Linken aber strich er sich dicht unter dem Hutrande über die Stirn und keuchte: »Heiß ist's, Bäuerin, heiß – hätt's nit denkt, um die Zeit noch ...« Plötzlich warf er die Hand vor sich und stöhnte laut auf: »Ah, 's is arg.«

»Gar arg«, weinte sie leise.

Quelle:
Ludwig Anzengruber: Werke in zwei Bänden. Band 2, Berlin und Weimar 21977, S. 268-277.
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