Drittes Buch.

[53] Eben fuhr Aurora, ihren Rosenarm über das purpurne Gespann geschwungen, den Himmel herauf, als mich, der sorgenlosen Ruhe entrissen, die Nacht dem Tage wiedergab.

Erinnerung der gestrigen Tat überströmte mein Gemüt mit Angst und Sorge.

Mit übereinandergeschlagenen Füßen, die gefalteten Hände auf die Knie gestemmt, saß ich ganz krumm zusammen auf meinem Bett und weinte bitterlich. Ich stand schon im Geiste vor dem hochnotpeinlichen Halsgerichte, sah jede herzerschütternde Formalität, sah den Henker immer im Hintergrunde.

›Wo ist der gelinde, der gnädige Richter, der Dich von einem dreifachen Morde, von dem Blute so vieler Bürger, womit Du befleckt bist, lossprechen könnte? Ach, war dies der Ruhm, welchen der Wahrsager Diophanes Dir so zuverlässig auf Deiner Reise verhieß?‹

Also sprach ich mehrmals zu mir selber, aus Herzensgrund über mein trauriges Geschick heulend.

Unterdessen ließ sich ein wiederholtes Geklopfe an der Haustür hören und lautes Geschrei und Getümmel in der Gasse. Es währte nicht lange, so brach man zum Hause herein, und alles war mit Magistratspersonen und Gerichtsdienern nebst einem zahlreichen Gefolge von allerlei Leuten angefüllt.

Auf obrigkeitlichen Befehl bemächtigten sich meiner alsofort zwei Schergen und schleppten mich, ohne daß ich im geringsten widerstrebte, davon.

Sie waren mit mir noch nicht das Viertel der Straße[54] hinunter, so war schon die ganze Stadt in Auflauf und zog in dickem Schwarme hinter uns her.

Den Kopf zur Erde gesenkt oder, wenn ich so sagen darf, zur Hölle hinabgebeugt, ging ich tiefbetrübt vor mich hin. Als ich jedoch einmal von der Seite blickte, ward ich die sonderbarste Sache von der Welt gewahr. Wenn doch unter so vielen tausend Menschen, welche sich um mich herumdrängten, auch nur ein einziger gewesen, der nicht vor Lachen hätte bersten mögen!

Endlich, nachdem wir lange genug von Gasse zu Gasse gezogen und ich, wie ein Sühnopfer, durch alle Winkel der Stadt in Prozession geführt worden, so wurde ich auf dem Markte vor den Richterstuhl gestellt.

Schon saß der ganze Magistrat auf seinem erhabenen Gerüst, schon gebot der Stadtherold Stillschweigen, als mit einmal alle Anwesenden einstimmig riefen: ›Die Versammlung ist zu groß, das Gedränge gefährlich, dies so wichtige Gericht muß auf dem Theater gehalten werden!‹

Unverzüglich schwärmte der ganze Haufen des Volks dahin.

Sitze, Gänge, Dach sogar ward in weniger als einem Augenblick bis zum Ersticken angefüllt.

An den Säulen empor kletterte man, man saß auf Statuen, lag ganz oben aus den Kaplöchern und Fenstern bis übern halben Leib heraus. Vor Begierde zu sehen blind, achtete niemand der Lebensgefahr.

Die Gerichtsdiener führten mich über die Bühne hinweg und stellten mich mitten in das Orchester.

Abermals gebot der Herold mit brüllender Stimme Stillschweigen und lud den Ankläger vor.[55]

Ein alter Mann stand auf.

Man füllte die Wasseruhr, um ihm die Zeit zu bestimmen, welche er zu reden, und er sprach also zum Volke:

›Ich habe Euch, meine Mitbürger, eine höchst wichtige Sache vorzustellen. Eine Sache, welche die Ruhe der ganzen Stadt betrifft und die uns allen zu einer ernsten Warnung gereichen muß. Um so mehr ziemt es sich, daß Ihr insgesamt dem öffentlichen Ansehen gemäß dahin trachtet, daß dieser verruchte Mörder für das Blut so vieler Bürger mit eben der Strenge gestraft werde, als mit Grausamkeit er es vergossen hat. Glaubt indessen nicht, daß ich, nur von Privathaß angetrieben, meiner eignen Feindschaft durch diese eifrige Anklage Genüge zu leisten suche! Ich bin der Hauptmann der Schaarwache, ich tue nur meine Pflicht, die ich jederzeit mit der pünktlichsten Treue erfüllt habe. Hier ist die Sache, wie sie sich in vergangener Nacht zugetragen hat, ganz unverfälscht! Ich mache um Mitternacht mit möglichster Aufmerksamkeit meine Runde durch die Stadt; da sehe ich diesen schändlichen Burschen mit blankem Degen wie wütend um sich herumhauen, und drei Leute an der Zahl stürzen zu seinen Füßen, wälzen sich zappelnd in ihrem Blute und geben den Geist auf. Diese erschreckliche Tat vollbracht, säumte er nicht, sich zu retten. Unterm Schleier der Finsternis wischte er zu einem Hause hinein, worin er die ganze Nacht verborgen blieb. Allein die Vorsehung der Götter, welche jegliche Missetat an den Schuldigen heimsucht, machte, daß ich ihn diesen Morgen ganz früh, bevor er durch heimliche Schliche entrinnen konnte, belauerte. Hier stelle ich ihn vor Euer allerheiligstes Gericht. Seht da einen Missetäter, der mit dreifachem Morde befleckt, der auf der Tat ertappt worden und der noch dazu ein Fremder ist! So richtet denn kühn über ihn, über diesen Fremden, in einem Verbrechen, das selbst an[56] einem einheimischen Bürger mit exemplarischer Strenge müßte geahndet werden!‹

Nachdem mein Ankläger also mit heftiger Stimme gesprochen hatte, schwieg er still.

Nun ward ich vom Herold aufgefordert, was ich dagegen zu antworten hätte, vorzubringen. Allein noch vermochte ich nichts denn weinen, und das wahrlich nicht sowohl um der gräßlichen Anklage willen als wegen meines verletzten Gewissens.

Doch endlich kam mir Kühnheit und Kraft von oben herab, und ich begann:

›Ich fühle nur allzu sehr, welch eine schwere Sache es sei, hier neben den hingestellten Leichen dreier Bürger, wegen deren Ermordung ich angeklagt werde, durch aufrichtige Aussage der Wahrheit und selbst durch Eingeständnis der Tat eine so zahlreiche Versammlung von meiner Unschuld zu überzeugen. Gleichwohl, wenn Sie, meine Herren, mir auf wenige Augenblicke ein geneigtes Gehör vergönnen wollen, so bin ich gewiß, Ihnen auf das deutlichste zu erweisen, daß ich mich keineswegs durch eigenes Verschulden jetzt in dieser Lebensgefahr befinde, sondern daß allein ein unglücklicher Zufall über einen nur allzu gerechten Unwillen den Schein eines Verbrechens verbreitet. Gestern, als ich ganz spät von einem Schmause, wobei ich (die Wahrheit zu gestehen) ein wenig zu viel getrunken hatte, nach Hause gehe, sehe ich drei Räuber vor dem Hause des Milo, einem Ihrer biedern Mitbürger, bei dem ich logiere. Sie sind über die Tür her und suchen sie mit aller Gewalt zu erbrechen oder aus den Angeln zu heben. Schon stürzen Riegel und Schlösser gesprengt zur Erde, und sie beratschlagen untereinander über den Tod der Einwohner des Hauses. »Hört, Kerls!« spricht einer von ihnen, der mannhafter und von größerer Taille schien als die übrigen, »laßt uns sie wacker[57] und frisch im Schlafe anfallen. Kleinmut und Feigheit weiche aus unserem Herzen, und Mord wandle mit gezücktem Dolche durchs ganze Haus! Erwürgt werde, wer im Schlafe liegt, und das Schwert schlage den, der sich zu verteidigen aufsteht. Nur dann können wir mit Sieg gekrönt und Beute beladen sicher wiederum zurückziehen, wenn wir niemandes im ganzen Hause geschont haben!« Ich leugne es nicht, meine Herren (ich glaubte als ein braver Bürger zu handeln, ich glaubte es meinen Wirten, glaubte es mir selber schuldig zu sein), ich griff diese Banditen mit dem Degen an, den ich aus Vorsicht mitgenommen hatte, um im Notfall nicht wehrlos zu sein; ich dachte sie in Schrecken zu setzen und zu verjagen. Allein die verruchten Bösewichter gedachten an keine Flucht! Als sie mich mit bewehrter Faust auf sich zukommen sahen, machten sie Front gegen mich und taten tapfern Widerstand. Nach einem hartnäckigen Gefechte drang endlich ihr Rädelsführer auf mich ein, faßte mich mit beiden Fäusten bei den Haaren und zog mich nieder; indem er aber nach einem Steine ruft, mir den Rest damit zu geben, bringe ich ihm einen tödlichen Stich bei und strecke ihn glücklich zu Boden. Dem andern, der sich unterdessen in meinen Füßen verbissen hatte, stoß ich gleich darauf den Degen durch den Rücken, und der dritte rennt sich ihn selbst durch die Brust, indem er ganz blindlings auf mich hineinläuft. Nachdem ich dergestalt die öffentliche Sicherheit wieder hergestellt, meines Gastfreundes Haus und unser beiderseitiges Leben geschützt hatte, kam es mir nur nicht ein, daß ich eine strafbare Handlung begangen hätte, wohl aber eine Tat, die eher des öffentlichen Lobes und Dankes würdig sei. Dieser Gedanke stand mir um so mehr zu, da ich niemals in meinem Leben auch nicht des mindesten Verbrechens beklagt, sondern beständig in meinem Vaterlande als ein Bürger von unsträflichem[58] Wandel geachtet worden bin, der jederzeit ein reines, unbeflecktes Gewissen jeglichem Gewinne vorgezogen hat. Auch kann ich bis jetzt nicht begreifen, wie ich durch die allergerechtsamste Rache von der Welt an so abscheulichen Banditen mein Leben sollte verwirkt haben? Kann doch niemand erhärten, daß Privatfeindschaft zwischen uns obgewaltet, noch daß mir überall dieses Gesindel nur bekannt gewesen! Kann doch niemand auch nur einen Strohhalm hervorzeigen, aus Begier zu welchem ich eine solche Mordtat begangen haben möchte!‹

Nach dieser Rede flossen meine Tränen aufs neue, und mit ausgestreckten Händen bat ich gar tragisch bald diese, bald jene um der allgemeinen Menschenliebe willen, um ihrer Kinder willen, sich meiner zu erbarmen.

Bereits sollte nach meinem Bedünken jedes Herz gebrochen und genugsam zu Tränen gerührt sein. Ich rufe also das Auge der Sonne und der Gerechtigkeit zu Zeugen an und befehle mit möglichstem Pathos meine Sache der göttlichen Vorsehung.

Allein indem ich dabei meine Augen aufschlage, seh ich das ganze Volk im herzlichsten Gelächter begriffen und mitten drunter meinen teuren Gastfreund Milo sich ganz vor Lachen ausschütten.

›Da sehe man,‹ sprach ich betroffen und stillschweigend bei mir selbst, ›da sehe man heutige Freundschaft und Dankbarkeit! Du gutwilliger Tropf machst Dich, Deinem Wirte das Leben zu retten, zum Mörder und läßt Dich auf den Tod anklagen, und er, nicht zufrieden, Dir weder Trost noch Hilfe zu verschaffen, lacht sich noch scheckig über Deinen Untergang!‹

Indem kommt ein Weib in Trauer mit einem kleinen Kinde auf dem Arm heulend und schreiend übers Theater gerannt und hinter ihr her noch eine alte Runkunkel im jämmerlichsten Aufzuge von der Welt und mit einem ebenso kläglichen Geschrei. Beide Ölzweige in Händen.[59]

Sie stellen sich um das Bett, worauf die Leichen der Erschlagenen zugedeckt lagen, und erheben ein erbärmlich Geschrei und Wehklagen.

›Bei dem Mitleiden, das Bürger von Bürgern, bei dem Rechte, das Mensch von Menschen fordern darf,‹ riefen sie, ›habt Barmherzigkeit mit diesen so schändlich ermordeten Jünglingen und schenkt uns armen betrübten Witwen den Trost der Rache! Zum wenigsten steht dieser unglücklichen Waise bei, die so beim Eintritt ins Leben aller Hilfe beraubt worden, und vergießt wieder das Blut dieses Mörders zur Aufrechterhaltung Eurer heiligen Gesetze und zur Steuer aller bösen Zucht!‹

Hierauf erhob sich der Älteste unter den Magistratspersonen und sprach folgendergestalt zum Volke:

›Allerdings liegt uns ob, dieses Verbrechen, welches der Missetäter selbst nicht zu leugnen vermag, auf das allerschärfste zu ahnden. Inzwischen können wir nicht dazu schreiten, bevor wir nicht hinter die Mitgenossen dieser Schandtat gekommen sind. Wahrscheinlich ist es nicht, daß ein einzelner Mensch allein drei so handfeste Jünglinge entleibt habe. Also die Wahrheit herauszubringen, müssen wir zur Tortur erkennen. Denn da der Bursche, welchen der Missetäter bei sich gehabt, heimlich davongelaufen, so tut es not, ihn selbst auf der Folter seine Gehilfen bekennen zu lassen, damit wir die ganze Räuberbande mit einmal vertilgen und fernerhin davor nicht in Furcht stehen dürfen!‹

Unverzüglich werden mir, nach griechischem Brauch, Feuer, Rad und allerhand Geißeln vorgelegt.

Ich wollte im Leide vergehen, daß ich nicht einmal mit ganzer Haut sterben sollte.

Allein das Weib, das mit seinem Geheul alles weichherzig gemacht hatte, sprach:[60]

›Bevor Ihr, beste Bürger, diesen Straßenräuber, diesen Mörder meiner unglücklichen Kinder an das Kreuz schlagt, so gestattet mir, die Leichen der Erschlagenen aufzudecken, damit Ihr, durch Betrachtung ihrer Gestalt und ihres Alters je mehr und mehr zu einem rechtmäßigen Unwillen gereizt, Eure Strenge desto genauer nach der Größe der Missetat abmessen möget!‹

Allgemeiner Beifall wird dem Vorschlage zugeklatscht, und der alte Ratsherr befiehlt mir auf der Stelle, selber mit eigener Hand die hingestellten Leichen aufzudecken.

Ich weigerte mich mit aller Macht. Ich wollte schlechterdings nicht durch Vorzeigung der Erschlagenen die Anwesenden noch mehr gegen mich erbittern und aufbringen.

Allein auf des Magistrats Geheiß packen Stadtknechte mich an, strecken mir den Arm, mit dem ich nach der Bahre hinstand und den ich fest an den Leib angeklemmt hatte, gewaltsamlich aus und führen denselben trotz allem Widerstreben auf die Leichen.

Überwältigt, schicke ich mich endlich in die Not, fasse wider meinen Dank das Tuch und reiße es von den toten Körpern herunter.

Allmächtige Götter, welch ein Anblick! Welch ein Wunder! Welcher schleunige Wechsel meines Schicksals! Denn, war ich bereits ein Raub des Todes, war ich nicht mehr unter die Lebendigen zu zählen, so war auch im Nu alles, alles umgekehrt!

Worte fehlen mir, den Grund dieser sonderbaren Erscheinung zu erzählen.

Genug, jene Leichen der erschlagenen Jünglinge waren nichts anderes, denn – drei aufgeblasene Schläuche, die verschiedentlich und, wie ich mich noch ganz wohl aus dem gestrigen Gefecht erinnern konnte, gerade da durchstochen waren, wo ich die Straßenräuber verwundet hatte.[61]

Das Lachen, welches man bisher aus Schalkheit verbissen hatte, brach nunmehr frei und allgemein aus.

Die Freude war ohne Grenzen.

Die einen wünschten mir Glück, die andern hielten sich vor Lachen den Leib. Kurz, alle insgesamt gingen höchst vergnügt aus dem Theater heraus, das Gesicht immer auf dem Rücken nach mir hingekehrt.

Aber ich – ich blieb von dem Augenblick an, da ich das Leichentuch berührt, dornsteif und eiskalt wie eine von den Statuen oder Säulen des Theaters, auf demselben Flecke dastehen.

Ich kam nicht eher wieder zu mir, bis mein Wirt Milo mich anfaßte und, alles meines Weigerns ungeachtet, mit freundlicher Gewalt mit sich fortriß. Die Tränen stürzten mir häufig die Backen hinunter, und ich schluchzte aus allem Vermögen.

Milo vermied alle volkreichen Straßen mit mir und führte mich durch lauter entlegene Gäßchen nach Hause.

Unterwegs ließ er es an keinerlei Zuspruch ermangeln, um mich zu trösten. Aber das war nur umsonst. Ich zitterte am ganzen Leibe und konnte mich schlechterdings nicht zufriedengeben, das Gefühl der mir angetanen Schmach war zu tief in das Innere meiner Seele gedrungen.

Nach einer Weile kam selbst der Magistrat mit all seinen Insignien zu uns ins Haus und suchte mich durch folgende Worte zu besänftigen:

›Ihr Stand, Herr Lucius, und Ihre Familie sind uns allen sehr wohl bekannt, da sowohl hier als in der ganzen Provinz Ihr vornehmes Geschlecht höchst ausgebreitet ist. Was Ihnen also jetzt widerfahren und Sie so außerordentlich schmerzt, ist Ihnen sicherlich nicht zum Schimpf von uns angetan worden.[62]

Lassen Sie Ihre Betrübnis darüber fahren und vertreiben Sie den Gram aus Ihrem Herzen. Alles war nur ein Scherz zu Ehren unsers holdseligen Gottes des Lachens, dessen Fest wir bei jährlicher Wiederkehr jedesmal durch eine neue lustige Erfindung feiern. Es wird sich dieser Gott dafür allewege Ihnen dankbar erzeigen. Von nun an wird er Ihnen beständig seinen wohlgefälligen Schutz angedeihen lassen, jegliche Traurigkeit von Ihnen entfernen und stete Fröhlichkeit auf Ihre Stirn lagern. Unsere Stadt aber entbietet Ihnen, aus Erkenntlichkeit für die ihr erwiesene Gunst, ihre höchste Verehrung. Sie erklärt Sie zu ihrem Schutzpatron und will Ihnen eine eherne Bildsäule errichten.‹

Hierauf antwortete ich, ich erwiderte Thessaliens hochlöblicher Hauptstadt den gebührendsten Dank für die große Ehre, die sie mir anzutun gesonnen sei. Indessen, mein Rat wäre, sie behielte lieber für verdientere und größere Männer als ich wäre, Schutzpatronat und Bildsäulen auf.

Nach diesem glimpflichen Komplimente, das ich mit einem freundlichen Lächeln begleitete, stellte ich mich so vergnügt als ich nur konnte, und als der Magistrat endlich wieder wegging, nahm ich von ihm mit der größten Höflichkeit und Ehrerbietung Abschied.

Unmittelbar darauf kam ein Bedienter herein und sagte zu mir:

›Ihre Frau Tante Byrrhenna läßt ihre Empfehlung machen und Sie erinnern, daß Sie sich gestern bei ihr auf heute zum Essen versagt hätten; Sie würden sich doch einstellen? Bald wäre es Zeit.‹

Vor Furcht und Abscheu bei bloßer Erwähnung dieses Hauses zurückschaudernd, geb ich dem Kerl zur Antwort:

›Von Herzen gern wollte ich dem Befehl meiner Tante[63] Gehorsam leisten, allein ich darf es mit gutem Gewissen nicht tun. Mein Wirt Milo hat mich bei des heutigen Tages obwaltender Gottheit beschworen, heute mich bei ihm zu versprechen, und er läßt mich nun ebensowenig weg, als er selbst von mir gehen würde. Ich bitte meine Tante also, mich für diesmal zu entschuldigen.‹

Ich war noch nicht einmal hiermit fertig, als mich schon Milo bei der Hand faßte, das Badezeug uns nachzubringen befahl und mit mir in das nächste Bad ging.

Aller Augen meidend und dem Gelächter der Vorübergehenden, das ich selbst veranlaßt hatte, ausweichend, schlich ich ihm zur Seite mit verdecktem Gesichte.

Kein Wort weiß ich davon, wie ich gebadet, abgetrocknet worden und wieder nach Hause gekommen bin. So sehr außer aller Fassung war ich über alles Ansehen, Winken und Fingerzeigen!

Als ich endlich in der Geschwindigkeit Milos armseliges Mahl eingenommen, schützte ich Kopfweh vor, welches das beständige starke Weinen mir verursacht, und erhielt gar bald Erlaubnis, schlafen zu gehen.

Ich warf mich auf mein Bett hin und dachte traurig allem nach, was sich zugetragen hatte, bis endlich meine Fotis ihre Frau zu Bett gebracht hatte und zu mir kam.

Sie war sich selbst ganz unähnlich. Freude lachte nicht auf ihrem Gesicht. Von ihren Lippen floß kein Scherz. Finster, die Stirn gerunzelt, stumm trat sie herein.

Nach einer Weile fing sie endlich schüchtern und stockend an:

›Ich,‹ sprach sie, ›von freien Stücken bekenn ich's selber, ich allein bin an allem schuld, was Dir begegnet ist.‹

Hiermit holte sie aus ihrem Busen einen Riemen und reichte ihn mir dar.[64]

›Da!‹ sprach sie, ›ich bitte Dich, räche Dich damit am treulosen Mädchen! Oder weißt Du noch eine andere, härtere Strafe? Ich erlaube es Dir, wähle sie! Doch beteure ich Dir, glaube nicht, daß ich Dir mit Willen diesen Kummer gemacht habe! Eher sollten mich die Götter verderben, ehe ich Dir das geringste Leid zufügen möchte! Ja, könnte ich mit meinem Blute ein Unglück abkaufen, welches Dein Haupt treffen soll, ich tät's! Allein ich mußte etwas zu ganz anderer Absicht tun, das durch mein böses Geschick zu Deinem Unheil ausgeschlagen ist.‹

Meine alte Neugier erwachte sogleich wieder. Ich fühlte ein unwiderstehliches Verlangen, der Sache geheime Bewandtnis zu wissen.

›Eher,‹ hub ich an, ›eher soll dieser schändliche, verwegene Riemen, welchen Du Dir zur Geißel ausersehen hast, in tausend Millionen Stücke von mir zerschnitten und zerhackt werden, ehe er deine sammetne Lilienhaut nur berühren soll! Ich bitte Dich aber, erzähle mir aufrichtig, was das für eine Tat gewesen, die unglücklicherweise so zu meinem Nachteil ausgefallen ist! Denn bei Deinem mir unaussprechlich teuren Haupte kann ich's Dir zuschwören, daß weder die ganze Welt noch Du selbst mich zu überreden vermagst, daß Du die Absicht gehabt haben könntest, mir wehe zu tun! Der unglückliche Ausgang aber einer auf Gutes abzweckenden Handlung macht niemanden einiger Schuld teilhaftig.‹

Mit Entzücken heftete ich nach diesen Worten die zärtlichsten Küsse auf Fotis feuchte, zitternde, wollusttrunkene und bereits halbgeschlossene Augen. Hierdurch zur Freude wieder aufgerichtet, sprach sie:

›Ich bitte Dich, laß mich die Stubentür nur erst zumachen, damit ich mir durch mein Geklatsche kein Unglück zuziehe.‹

Indem sie das sagte, verriegelte und verkettelte sie dicht und[65] fest die Tür. Dann fiel sie mir mit beiden Armen um den Hals und fuhr ganz leise und heimlich also fort:

›In der Tat trag' ich Bedenken und fürchte ich mich herzlich, dieses Hauses Heimlichkeiten aufzudecken und die Geheimnisse meiner Frau zu verraten. Doch kann ich mich unmöglich Böses zu Dir und Deiner Klugheit versehen; Du bist ja auch so edler Abkunft, hast einen so hohen Geist und bist überdies in so mancherlei heilige Geheimnisse eingeweiht, daß Dir die heilige Unverbrüchlichkeit des Stillschweigens notwendig auf alle Weise bekannt sein muß. Was ich also nur dem Schreine Deines Herzens anzuvertrauen habe, das wirst Du alles mit Vorsicht darin verwahren und wirst mir gewiß mein ungemessenes Zutrauen zu Dir mit ewiger Verschwiegenheit vergelten, wenn ich Dich auch nicht ausdrücklich und feierlich darum beschwöre und bitte. Nur die Gewalt der Liebe, womit ich an Dir hänge, treibt mich an, Dir dasjenige zu entdecken, worum ich unter allen Sterblichen allein weiß. Vernimm denn die ganze Beschaffenheit unseres Hauses. Höre die erstaunlichen Geheimnisse meiner Frau, durch welche sie über die Verstorbenen Gewalt hat: Sterne verdunkelt, Geister bannt, und ihr alle Elemente dienstbar sind. Dieser Macht aber bedient sie sich niemals so ganz, als wann ihr die Reize eines jungen Menschen das Herz gefangen haben, welches gar oft ihr Fall ist.‹

Alleweile ist sie sterblich in einen schönen Böotier verliebt. Seinetwegen zieht sie alle Saiten ihrer Kunst auf und setzt mit dem heißesten Eifer alle ihre Triebräder in Bewegung.

Meine Ohren haben es gestern abend noch gehört, daß sie die Sonne mit Verdunkelung und ewiger Finsternis bedrohte, wo sie nicht sofort vom Himmel wich und der Nacht Platz machte, damit sie desto früher ihre Bezauberungen vollführen könnte.[66]

Gestern, als sie aus dem Bade kam, hatte sie diesen jungen Menschen von ungefähr in einer Barbierstube sitzen sehen. Gleich mußt ich hin, die ihm abgeschornen, auf der Erde liegenden Haare heimlich wegzuholen.

So verstohlen als ich auch dabei zu Werke ging, so ertappte mich dennoch der Barbier darüber, und weil wir einmal allenthalben schädlicher verbotener Künste wegen verschrien sind, so fuhr er mich auch an wie die Sau den Bettelsack.

›Du Spitzbübin,‹ schrie er, ›wirst Du mir bald das Wegstibitzen der Haare unserer schönen Kerls lassen? Wo Du mir das noch lange so treibst, so werde ich Dich ohne Gnade und Barmherzigkeit bei den Gerichten angeben.‹

Bei der schönen Anrede ließ er es aber nicht bewenden, sondern faßte mich und visitierte mich vom Kopf bis auf die Füße und riß mir in größter Bosheit alle aufgelesenen Haare wieder aus dem Busen, wohin ich sie gesteckt hatte.

Höchst betrübt über den Vorfall, denk' ich nicht anders, als ich muß nun zum Tore hinauslaufen. Denn ich kenne meine Frau schon. So eine fehlgeschlagene Hoffnung kann sie wie rasend machen, und gewöhnlich muß ich es entgelten.

Dennoch, aus Liebe zu Dir, konnte ich mich zur Flucht nicht entschließen. Ich mache mich also wieder nach Hause auf.

Um gleichwohl nicht mit leeren Händen zu erscheinen, nehme ich ein paar Ziegenhaare mit, welche ich unterwegs von einigen fix und fertigen Schläuchen abscheren sah.

Sie waren dem blonden Haar des Böotiers sehr ähnlich, und meine Frau ward richtig davon getäuscht.

Wie wahnsinnig steigt meine Pamphile bei einbrechender Nacht, noch ehe Du vom Schmause zurück warst, auf ihren Erker. Mit Schindeln gedeckt, allenthalben frei, dem Winde offen und nach jeglicher Himmelsgegend aussehend, ist dieser[67] zu den magischen Hantierungen höchst bequem und wird von ihr immer insgeheim besucht.

Erst rüstet sie diese ihre Werkstatt mit all ihrem abscheulichen Geräte aus. Mit jeglicher Art von Spezereien, mit Platten, die mit unkennbaren Zeichen beschrieben, mit alten Steuern gescheiterter Schiffe. Auch tote, halbverweste Körper müssen mit ihren Gliedmaßen aufputzen helfen. Hier stellt sie Nasen und Finger auf, dort Galgennägel mit Stücken Armersünder-Fleisch, da aufbewahrtes Blut von Erschlagenen, dort verstümmelte Schädel, welche den Zähnen wilder Tiere entrissen worden.

Sodann bespricht sie rauchende Eingeweide und gießt opfernd bald Quellwasser aus, bald Kuhmilch, bald Berghonig, bald auch Meth.

Endlich, nachdem sie die vermeinten Haare ihres Liebhabers in mancherlei Knoten geknüpft und vielfach durcheinandergeschlungen, übergibt sie dieselben lebendigen Kohlen und läßt sie nebst vielem Rauchwerke verbrennen.

Nicht sobald knistern und knastern diese Haare in der Glut, als vermöge der unwiderstehbaren Kraft der Magie und der Hilfe gebannter Geister jene Maschinen, denen sie zugehören, menschliches Leben annehmen. Sie fühlen, hören und gehen, und dem Geruche ihrer verbrannten Hülle folgend, kommen sie, anstatt des Böotiers, gegen unsere Tür anmarschiert und wollen herein.

›Da mußtest Du, mein Lucius, nun eben mit einem kleinen Räuschchen nach Hause kommen, von Wein und Finsternis getäuscht, sie wer weiß wofür ansehn und mit gezücktem Sehwerte, gleich dem rasenden Ajax, über sie herfallen, um nicht zwar wie er eine Herde lebendiger Schafe niederzumetzeln, sondern noch weit eine herrlichere Heldentat zu verrichten, um[68] drei aufgeblasene Bockschläuche zu entseelen, damit ich Dich nach rühmlich vollbrachter Niederlage Deiner Feinde, unbesudelt von Blut, nicht als Menschen-, sondern als Schlauchmörder in meine Arme schließen möchte.‹

Um Fotis an Witz nichts schuldig zu bleiben, versetzt' ich: ›Ei, so kann ich ja diesen ersten meiner Siege schon neben die zwölf Arbeiten des Herkules stellen! Denn gleichwie er den dreifachen Geryon oder den dreiköpfigen Cerberus, so habe ich drei Schläuche mit einmal besiegt. Allein willst Du, daß alle Schuld, die mir so viel Herzeleid verursacht hat, Dir aufrichtig und ganz von Herzen vergeben sei, so mußt Du mir zugestehen, worum ich Dich jetzt auf das inständigste bitte: Zeige mir einmal Deine Frau, liebe Fotis, wann sie in einem magischen Prozeß begriffen ist und die Götter anruft, oder laß sie mich nur sehen, wann sie sich verwandelt hat! Denn von Magie kann niemand ein eifrigerer Liebhaber sein als ich. Auch bist Du gewiß selbst nichts weniger als neu und unerfahren darin, das merke ich am besten. Würdest Du sonst einen Menschen, der sich nie etwas aus Mädchen gemacht hat, durch diese funkelnden Augen, diese Rosenwangen, dies glänzende Haar, diese wollüstigen Küsse, diesen duftenden Busen so sehr an Dich haben fesseln können, daß er Dir freiwillig wie ein Leibeigener zugetan ist? Denn frage ich wohl nach meiner Heimat oder denke ich an die Abreise? Ich lebe, webe und bin allein in Deiner Umarmung.‹

›Wie sehr wünscht' ich,‹ antwortete Fotis, ›daß ich Dir gewähren könnte, was Du von mir verlangst, lieber Lucius! Wenn nur meine Frau nicht immer aus Abgunst die Einsamkeit suchte und jedermanns Gegenwart mied, sobald sie dergleichen heimliche Sachen vornimmt! Indessen soll dennoch Dein Begehren meiner Gefahr vorgehen und bei erstem gelegenem Augenblick, den ich wahrnehme, ihm Genüge geschehen. Aber[69] Du mußt in dieser wichtigen Sache auch hübsch verschwiegen sein, so wie ich es gleich anfangs von Dir gefordert habe.‹

Während dem Gespräche waren unvermerkt unsere Lüste und Begierden wach geworden und hatten unsere Sinne erregt.

Wir entledigen uns jeglicher Hülle und überlassen uns also dem Taumel der Wollust.

Schon ermattete ich und glaubte alles Vergnügen erschöpft, als Fotis aus eigener Freigebigkeit eine neue Quelle der Lust mir eröffnete und zum Beschluß mich noch der Freuden Übermaß schmecken ließ.

Nun sank auf unsere vom Wachen schweren Augenlider der Schlaf und schloß sie bis zum hellen Morgen.

Kaum waren uns auf diese Art noch ein paar Nächte in Wonne verstrichen, als Fotis eilfertig und schüchtern eines Tags zu mir hereinhuscht und mir verkündigt: Diese Nacht würde ihre Frau sich befiedern und zu ihrem Geliebten hinfliegen; denn ihre übrigen Künste wollten bei dieser ihrer Liebe nicht anschlagen. Ich sollte mich also fertig halten, diesen wichtigen Prozeß insgeheim mitanzusehen.

Sobald es Nacht war, holt sie mich ab und führt mich leisen, unhörbaren Tritts hinauf an die Erkerstube. Da zeigt sie mir eine verborgene Ritze in der Tür und läßt mich hindurchgucken; wo ich denn folgendes sah:

Allererst zieht sich Pamphile fasernackt aus. Nachher schließt sie eine Lade auf, woraus sie verschiedene Büchschen nimmt. Eines von diesen Büchschen öffnet sie und holt daraus eine Salbe, die sie so lange zwischen beiden Händen reibt, bis sie völlig zergangen ist, alsdann beschmiert sie sich damit von der Ferse bis zum Scheitel.

Nun hält sie ein langes, heimliches Gespräch mit ihrer Lampe. Darauf schüttelt und rüttelt sie alle ihre Glieder. Diese sind[70] nicht sobald in wallender Bewegung, als daraus schon weicher Flaum hervortreibt. In einem Augenblick sind auch starke Schwungfedern gewachsen, hornicht und krumm ist die Nase; die Füße sind in Krallen zusammengezogen.

Da steht Pamphile als Uhu!

Sie erhebt ein gräßliches Geheul und hüpft zum Versuche am Boden hin. Endlich hebt sie sich auf ihren Flügeln in die Höhe und in vollem Fluge hinaus zum Erker!

Also ward Pamphile vorsätzlicherweise durch ihre magische Wissenschaft verwandelt. Sonder Zauber aber und vor bloßem Wunder über das Gesehene wußt ich nicht, was aus mir geworden war. Die Haare standen mir auf dem Kopfe zu Berge, ohne alle Besinnung phantasierte ich.

Ich rieb mir lange Zeit die Augen und fragte, ob ich wirklich wache.

Wie ich endlich wieder zum Bewußtsein meiner selbst und dessen, was vorgegangen, gelangt war, so ergriff ich Fotis' Hand und drückte sie gegen meine Augen und sprach:

›Teures, liebes Mädchen! schlage mir jetzt, da die Gelegenheit sich dazu darbietet, den seltensten Beweis Deiner Zuneigung nicht ab! Bei Deinen schönen Augen bitte ich Dich: gib mir von der Salbe da und verbinde Dir durch diese unaussprechliche Wohltat Deinen Sklaven auf ewig! Mache, daß ich befiedert hier neben Dir stehe, wie der Venus zur Seite Kupido!‹

›So?‹ versetzte sie hastig. ›Ei, über Dich schlauen Gast! Ich sollte mir so selbst eine Grube graben? sollte meinen Lucius den thessalischen Mädchen mutwillig in die Hände spielen? Nein, nein, guter Freund, daraus wird nichts, laß Dir das vergehen! Wo in aller Welt sollt' ich Dich suchen, wenn ich Dich zum Vogel gemacht hätte, und wann würde ich Dich wohl einmal wiedersehen?‹[71]

›Behüten mich die Götter vor der schweren Sünde,‹ war meine Antwort, ›daß selbst als Adler, dessen stolzem Fluge der ganze Himmel offensteht, der Botschafter des erhabenen Zeus und rüstiger Waffenträger ist, daß, sag ich, trotz aller Würde des Königs der Vögel ich dennoch nicht beständig hier herab in mein geliebteres Nest steigen sollte! Ich schwöre Dir bei diesen Deinen verschlungenen Locken, die mir das Herz gefangen haben, daß unter der Sonne mir kein Mädchen lieber ist denn Du, meine Fotis! Bedenkst Du denn auch nicht, daß, wenn ich einmal durch diese Salbe zu solchem Vogel geworden bin, ich vorsichtiglich alle Häuser zu meiden habe? Denn geschweige, daß ein Uhu eben kein so reizender Liebhaber für die Schönen ist, so darf sich der arme Kauz auch nur in einem Hause blicken lassen, gleich hat man ihn beim Schlafittchen und nagelt ihn an die Tür, wo er unter jämmerlichen Qualen für alle bösen Vorbedeutungen, die je sein unseliger Flug den Leuten gegeben hat, büßen muß. Aber hätt' ich doch bald mich zu erkundigen vergessen, was ich denn nachher zu sagen oder zu tun habe, um die Federn abzulegen und wiederum Lucius zu werden?‹

›Was dies betrifft, sei ganz unbesorgt,‹ versetzte Fotis, ›meine Frau hat mir schon alles gezeigt, was wiederum zum Menschen umwandelt, und nicht etwa aus Wohlgewogenheit hat sie's getan, sondern lediglich, damit ich ihr, wenn sie nach Hause kommt, zu ihrer Wiedermenschwerdung hilfreiche Hand leiste. Übrigens solltest Du nicht glauben, mit wie wenigen unbedeutenden Kräutern solch ein Wunderwerk öfters zu bewerkstelligen ist! Heute zum Beispiel bereite ich ihr nur ein Bad und einen Trunk Brunnenwasser mit etwas Dille und ein paar Lorbeerblättern vermischt.‹

Unter hohen Beteuerungen, daß dies die genaue Wahrheit sei,[72] schleicht sie zitternd und zagend in den Erker, nimmt in der Geschwindigkeit eine Büchse aus der Lade und bringt sie mir.

Ich empfange diese mit Entzücken, küsse sie inbrünstig und bete, sie wolle mir eine glückliche Reise durch die Lüfte verleihen.

Und so mit allen Kleidern herunter, gierig die Hände in die Salbe, eine ganze Menge genommen, und über und über alle Glieder meines Leibes gerieben.

Schon schwinge ich zu wiederholten Malen die Arme und versuche zu fliegen. Hoch klopft mir vor Verlangen das Herz, mich nun als Vogel zu sehen.

Umsonst!

Nicht Busen, nicht Federn wachsen hervor.

Zu kurzen Borsten erstarren alle Haare an meinem Leibe, statt der zarten Haut umhüllt mich ein dickes derbes Fell.

Die Zahl der Finger und Zehen verliert sich an jeder Hand und jedem Fuße in einem Huf, und am Ende des Rückgrats hinten streckt sich ein langer Zagel hinunter.

Unförmlich wird das Gesicht und dehnt sich je mehr und mehr. Mit großem Maule, weit offenen Naslöchern und schlotternden Lippen schließt es unten. Oben recken sich ein paar lange, rauhe, spielende Ohren empor.

Das einzige, was in dieser unglücklichen Verwandlung noch meinen Trost hätte abgeben können, wenn für mich Armen nun noch eine Fotis gewesen, war der Zuwachs des Werkzeugs des sechsten Sinnes.

Wie ich mich nun betrachte, seh ich mit Entsetzen, daß ich statt des Vogels zu einem Esel geworden bin.

Ich wollte mich bei Fotis beklagen, allein mit menschlicher Stellung und Gebärde hatte ich zugleich auch die Sprache verloren. Alles, was ich tun konnte, war, daß ich mit bebender[73] Unterlippe und nassem Blick sie von der Seite ansah und also stillschweigend ihr Vorwürfe machte.

Sobald sie mich aber als Esel sah, fuhr sie sich mit beiden Händen ins Gesicht und schrie:

›Ich bin des Todes! In Eile und Angst habe ich mich vergriffen und eine unrechte Büchse genommen. Zum Glück ist ein höchst leichtes Mittel zur Wiederverwandlung vorhanden. Denn sobald Du Rosen ißt, legst Du den Esel wieder ab und bist wiederum mein Lucius. Und wenn ich nur wie gewöhnlich diesen Abend Kränze für uns in Bereitschaft hätte, so dürfte es nicht die Nacht damit Anstand haben; so aber mußt Du bis morgen früh warten, eher kann ich Dir Dein Rettungsmittel nicht verschaffen.‹

Also Fotis mit großem Herzeleid.

Indessen, so vollkommen ich auch dem Äußern nach von Lucius zu Meister Langohr geworden, so war ich doch innerlich Mensch und ganz ich selbst geblieben.

Lange ging ich darüber zu Rate, ob ich nicht an der boshaften Hexe mein Mütchen kühlen und sie für den schnöden Schabernack zu Tode beißen und schlagen sollte?

Den raschen Gedanken ließ ich aber bald wieder fahren, als ich überlegte, daß ich leicht durch diesen Mord mich um alle Mittel, mich zu enteseln, bringen könnte.

Lieber fraß ich die mir angetane Schmach in mich, faßte auf die kurze Zeit Geduld und trollte ganz tiefsinnig mit gesenktem Haupte und hängenden Ohren in den Stall hinunter, wo mein getreues Reitpferd stand, nebst noch einem Esel meines gewesenen Wirts Milo.

Ich dachte: ›Wenn die stummen Tiere irgend etwas Sympathetisches in ihrer Natur haben, so wird Dein Roß gewiß Dich erkennen und gastfreundlich bei sich aufnehmen und bewirten.‹[74]

Aber Jupiter, Gott der Gastfreundschaft, und Du, heilige Treue, steckt nicht der elende Gaul mit dem Esel den Kopf zusammen und verschwört sich mit demselben zum Untergange seines Herrn?

Wie sie mich nur der Krippe näherkommen sehen, denken sie, es ist auf ihr Futter gemünzt und gebärden sich ganz unbändig. Sie legen beide die Ohren zurück, und somit, hast Du nicht gesehen, aus Leibeskräften hintenaus nach mir gesengelt, und weit mich von der Gerste weggetrieben, die ich den Abend noch mit eigenen Händen meinem treuen Tiere vorgeschüttet hatte!

Nach diesem garstigen Willkommen dränge ich mich ganz abseits in einen engen einsamen Winkel.

Indem ich da voller Mißmut die Unhöflichkeit meiner beiden Herren Kollegen überdenke und mir heilig vornehme, es den boshaften Bestien andern Tags, wenn ich durch Hilfe der Rosen wieder Lucius geworden, schon wieder einzutränken, so werde ich beim Umsehen, ungefähr in der Mitte des Stalles, in dem Hauptpfeiler, auf dem alles Gebälke ruhte, der Vorsteherin der Ställe, der Göttin Epona, Bild gewahr, das eben mit frischen Rosen bekränzt worden.

Kaum habe ich dieses mein Entzauberungsmittel entdeckt, so wende ich auch voller Hoffnung alles an, es zu erhalten.

Ich klettere, so hoch ich kann, mit den beiden Vorderfüßen an dem Pfeiler empor, und mit langgestrecktem Halse und vorgereckter Schnauze strebe ich unter beständigem Getrampel und manchem kräftigen Satz auf das begierigste nach den Kränzen.

Unglücklicherweise aber muß mein Reitknecht dieses fruchtlose Bemühen bemerken; grimmig springt er von seiner Streue auf und ruft:

›I, was richtet denn der verdammte Klopphengst da all für[75] Unfug an! Frißt erstlich dem Vieh das Futter weg und will nun auch nicht einmal die Bilder der Götter verschonen? Warte, Du gottlose Bestie, Dein Frevel soll Dir übel bekommen, ich will ja Dich gleich kreuz- und lendenlahm schlagen!‹

Damit so sieht er sich allenthalben nach einem Prügel um und findet leider nur allzu bald ein ganzes Bündel Knüttel. Daraus sucht er sich den dicksten, knotigsten aus, und nun läßt er auch solch ein Wetter von Schlägen auf mich Unglücklichen niederfallen, daß ich zuverlässig noch darunter hätte erliegen müssen, wenn nicht plötzlich mit entsetzlichem Getöse und Gepolter wider die Haustür wäre geschlagen und gerannt worden und die ganze Nachbarschaft in Angst und Schrecken ›Diebe! Diebe!‹ gerufen hätte. Dies hemmte den geschäftigen Arm meines Schinders und jagte ihm so viel Furcht ein, daß er, ohne sich weiter zu besinnen, über Hals und über Kopf davonlief.

Es währte nicht lange, so war die Tür mit Gewalt aufgesprengt. Eine ganze Diebesbande drang herein. Diese plünderten alles aus; jene umringten die Hausgenossen mit bewaffneter Hand, und noch andere besetzten die Zugänge und hielten Wache, daß die von allen Seiten zu Hilfe eilenden Leute ihnen nichts anhaben möchten.

Allesamt mit blanken Degen und brennenden Fackeln versehen, erleuchteten sie die Nacht. Es schimmerte das Feuer und der Stahl wie die aufgehende Sonne.

Mitten im Hofe stand ein Magazin wohlverrammelt und verschlossen und von unten bis oben mit Milos Reichtümern vollgestopft.

In einem Augenblick war das mit Äxten an mehreren Orten geöffnet und ausgeleert. Der ganze Raub wurde in aller Eile in Bündel geschnürt und verteilt. Allein da waren mehr Hucken als Träger.[76]

Äußerst in Verlegenheit über die Fülle des Reichtums, womit sie nicht wußten wohin, machten sie endlich unsern Stall ausfindig.

Mein Pferd und wir beide Esel wurden sogleich herausgezogen und bepackt, was nur das Zeug halten wollte.

Als nun das ganze Haus ausgeräumt, trieben sie uns mit Stöcken heraus, ließen einen von sich zum Kundschafter in der Stadt zurück, um sie wegen der wahrscheinlichen Nachforschung zu benachrichtigen, und darauf jagten sie uns unter verdoppelten Schlägen durch unwegsame Gebirge immer vor sich her.

Schon war ich von übermäßiger Bürde, die ich trug, von dem steilen Aufsteigen der Berge und von dem starken übereilten Marsche dermaßen abgemattet, daß ich hätte umfallen mögen. Da faßte ich, zwar spät, aber um desto ernstlicher, den Entschluß, mich der Gerechtigkeit in die Arme zu werfen und den heiligen Namen des Kaisers anzurufen, um mich aus diesem Trübsale zu erretten.

Es war schon ganz heller Tag, als wir eben durch einen ansehnlichen Flecken kamen, worin Jahrmarkt war. Wie wir nun mitten in dem größten Gewimmel der Leute waren, so versuchte ich es, mit lauter Stimme in der Landessprache den Namen des glorreichen Kaisers auszurufen.

Oh! – brachte ich ganz klar und deutlich zur Welt. Nur mit des Kaisers Namen selbst wollt' es nicht gehen; er blieb mir zwischen den Zähnen stecken, und an seiner Statt kam das lauteste, langgedehnteste, unangenehmste Yanen hervor.

Die Räuber ärgerten sich über meinen übel angebrachten, mißtönenden Gesang und luden mir dafür von allen Seiten eine[77] solche Tracht Prügel auf, daß meine Haut auch nicht einmal zum Siebe noch tauglich blieb.

Endlich aber, ehe ich es mich versah, bescherte mir der allgütige Jupiter mein Rettungsmittel.

Denn, nachdem wir schon vor manchem kleinen und großen Landhause vorbeigezogen, so sah ich mit einmal in einem geringen Gärtchen unter anderen herrlichen Blumen schöne jungfräuliche Rosen in frischem Morgentau gebadet vor mir stehen.

Voller Begierde nach denselben und voller Freude über die nunmehrige Erlösung aus dem leidigen Eselsstande trabte ich hastig und munter darauf zu.

Zum guten Glück mußte mir noch, indem ich schon die Lippen spitzte, um sie abzufressen, einfallen, welcher offenbaren Lebensgefahr ich mich aussetzte, wenn ich so vor den sichtlichen Augen der Räuber mit einmal von einem Esel zum Menschen würde; denn ebensowohl aus Furcht vor Zauberei, als weil ich sie verraten könnte, müßten sie mich ja notwendigerweise auf der Stelle ermorden.

Stracks ließ ich die Rosen wieder fahren, blieb lieber noch Esel und verbiß in dem Gebisse meinen Schmerz über das gegenwärtige Mißgeschick.

Quelle:
Apulejus: Der goldene Esel. Berlin 1920, S. 53-78.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Der goldene Esel
Der goldene Esel
Der goldene Esel: Metamorphosen. Lateinisch und deutsch (Sammlung Tusculum)
Der goldene Esel - Bibliothek der Antike
Der goldene Esel (insel taschenbuch)
Der goldene Esel: Roman (Fischer Klassik)

Buchempfehlung

Anonym

Schau-Platz der Betrieger. Entworffen in vielen List- und Lustigen Welt-Händeln

Schau-Platz der Betrieger. Entworffen in vielen List- und Lustigen Welt-Händeln

Ohnerachtet Schande und Laster an ihnen selber verächtlich / findet man doch sehr viel Menschen von so gar ungebundener Unarth / daß sie denenselben offenbar obliegen / und sich deren als einer sonderbahre Tugend rühmen: Wer seinem Nächsten durch List etwas abzwacken kan / den preisen sie / als einen listig-klugen Menschen / und dahero ist der unverschämte Diebstahl / überlistige und lose Räncke / ja gar Meuchelmord und andere grobe Laster im solchem Uberfluß eingerissen / daß man nicht Gefängnüsse genug vor solche Leute haben mag.

310 Seiten, 17.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Michael Holzinger hat für den zweiten Band sieben weitere Meistererzählungen ausgewählt.

432 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon