Zweites Buch.

[25] Sobald nach vertriebener Nacht die aufgehende Sonne den Tag erneuet, erwachte ich und verließ mein Bett voll ängstlicher Begierde, die Seltenheiten und Wunder der Stadt zu sehen. Der Gedanke, daß ich mitten in Thessalien, der Magie weltbekannter Heimat, mich befände, und die Erzählung, wozu diese Stadt den ehrlichen Aristomenes veranlaßt, befeuerten meine ohnehin heiße Phantasie noch mehr, und mit höchst gespannter Neugier staunte ich links und rechts alles mit großen Augen an.

Es war in ganz Hypata nichts, das ich für das, was es war, angesehen hätte. Alles und jedes mußte durch Hexerei in eine andere Gestalt verwandelt worden sein. Die Steine sogar, die ich antraf, hielt ich für vormalige Menschen. Die Vögel, die ich singen hörte, die Bäume, die im Zwinger standen, die Brunnen in den Gassen schienen mir alle ebensoviel befiederte, belaubte, zu Wasser zerflossene Menschen. Ja, ich erwartete, daß Bilder und Statuen einherspazieren, Wände reden, Ochsen und Vieh weissagen und vom Himmel herab mit einemmal aus der Sonnenscheibe Göttersprüche erschallen sollten.

So in schwärmerischen Vorstellungen entzückt, oder vielmehr von übernatürlichen Wünschen verrückt, schwindelte ich umher, ohne auch nur eine Anzeige oder überhaupt eine Spur von alledem anzutreffen, was ich mir einbildete.

Ich taumelte wie ein Betrunkener Straße auf, Straße ab, bis ich endlich ganz unvermutet auf den Marktplatz komme.

Ein Frauenzimmer, von sehr vielen Bedienten umgeben, zog da meine Augen auf sich, und ich beschleunigte meine Schritte,[26] sie einzuholen. Kostbarer Schmuck und goldgestickte Kleider verrieten in ihr eine sehr vornehme Frau. Zu ihrer Seite befand sich ein Herr, schon ziemlich bei Jahren.

Dieser ward mich nicht sobald gewahr, als er rief: ›Beim Herkules, das ist ja Lucius!‹

Er umarmte mich sogleich und raunte dann der Dame, ich weiß nicht was, ins Ohr.

›Wollen Sie nicht,‹ sprach er jetzt, ›näher herzutreten und hier eine Anverwandte begrüßen?‹

›Ich weiß nicht, ob ich es mich unterstehen darf, da ich nicht die Ehre haben, sie zu kennen,‹ antwortete ich und blieb stehen, indem ich errötend die Augen niederschlug.

Die Dame lenkte ihre Blicke auf mich und sagte: ›In der Tat, das ist der Sohn der vortrefflichen Salvia! Sie leibt und lebt in ihm. Ist doch sein ganzer Körper in unaussprechlichem Ebenmaß gebildet! Just die rechte Größe, die rechte Stärke! Welch eine sanftgemischte Gesichtsfarbe! Welch natürlich gelocktes blondes Haar! Die blauen Augen, wie voller Leben, voller Feuer, gleich den Augen des Adlers! Wie schön in allem Betrachte! Wie edel, wie ungezwungen sein ganzes Wesen! Ich freue mich, Sie wiederzusehen, mein lieber Lucius,‹ redete sie mich endlich an, indem sie auf mich zukam. ›Oft genug habe ich Sie sonst auf meinen Armen getragen; denn Sie sehen in mir eine Blutsverwandte Ihrer Mutter, die mit mir zusammen auferzogen worden ist. Wir stammen beide von Plutarchs Geschlecht ab und sind dazu Milchschwestern. In geschwisterlicher Eintracht und Gleichheit sind wir miteinander aufgewachsen, und nur unsere Verehelichung hat einen Unterschied zwischen uns gemacht; indem sie einen sehr vornehmen, ich aber einen Privatmann geheiratet. Ich bin die Byrrhenna, deren Namen Sie vielleicht oft von Ihren Erziehern gehört haben. Sie sind mir höchst[27] willkommen, lieber Lucius, und Sie dürfen das Gastrecht nirgends anders als bei mir nehmen!‹

Da sich während ihrer Rede meine Röte und Verlegenheit wieder verloren hatten, so antwortete ich:

›Für diesmal muß ich es sehr verbitten, liebe Tante! Ich würde sonst meinen Wirt Milo beleidigen, der mich sehr höflich bei sich aufgenommen hat. Indessen, so oft ich künftig wieder hierher reise, soll mir gewiß nichts angelegener sein, als dieser Gastfreundschaft unbeschadet Ihren Befehlen zu gehorchen und bei Ihnen abzutreten.‹

Unter diesen und anderen gegenseitigen Komplimenten gelangten wir zu Byrrhennens Wohnung, die nur wenige Schritte entfernt war. Ich wurde in einen überaus schönen Saal geführt.

In jeder der vier Ecken desselben stand eine Säule mit einer Victorie. Die Flügel ausgebreitet, den einen ihrer rosigen Füße zum eilenden Schritt vorgeworfen und mit der Spitze des andern eine rollende Kugel kaum noch berührend, schien die Göttin jetzt emporzufliegen.

Mitten im Saale prangte eine Diana aus parischem Marmor. Man kann nichts Herrlicheres sehen! In vollem Laufe, das Gewand flatternd im Winde, fällt sie gleich beim Hereintreten ins Auge und jagt durch überirdische Majestät Ehrfurcht und Schrecken ein. Hunde, aus demselbigen Steine gebildet, sitzen zu ihren Seiten. Drohend blicken sie um sich, recken die Ohren, halten die erweiterten Nasenlöcher in die Höhe, schnuffeln und schnaufen, und erschallt irgend aus der Nachbarschaft ein Gebell, so glaubt man getäuscht, es aus ihren Marmorrachen zu hören. Worin sich aber der vortreffliche Bildner am meisten hervorgetan, ist in der Stellung dieser Tiere. Gleichsam in völligem Sprunge schweben Brust und Vorderläufe in der Luft, die Hinterfüße stehen auf.[28]

Hinter dem Rücken der Göttin steigt ein Fels empor und wölbt sich eine Grotte, allenthalben mit Moos, Kräutern und Blättern, Stauden, Reben und blühenden Gesträuchen, wiewohl auch nur von Stein, verwachsen und bis in das Innerste von dem Abglanze der marmornen Bildsäule erleuchtet. Um den Eingang der Grotte ziehen sich verwebte Ranken mit Früchten und meisterlichst gearbeiteten Weintrauben, in denen die Kunst so mit der Natur gewetteifert, daß sie der Wahrheit gleich sind. Hauchte der mostreiche Herbst die Farbe der Reife über sie, man würde lüstern die Hände nach ihren Beeren ausstrecken. Und neigt man über die Quelle sich hin, welche unter dem Fußtritte der Göttin entspringt und rieselnd sich weiterergießt, so glaubt man, es gebreche derselben so wenig als den herniederhangenden Reben mit ihren Trauben, bei den übrigen Merkmalen der Wahrheit, auch nicht einmal die Bewegung.

Unter dem verschränkten Laube hervor erblickt man den Aktäon. Schüchtern, als wäre er schon Hirsch, richtet er seinen vorwitzigen Blick auf die Göttin und hofft, sie jetzt im Marmorquell baden zu sehen.

Indem ich dies alles mit Verwunderung und ausnehmendem Vergnügen nicht oft genug betrachten konnte, sagte Byrrhenna zu mir: ›Sehen Sie dies alles als Ihr Eigen an!‹ – und mit den Worten läßt sie alle übrigen hinausgehen.

Als wir nun ganz allein waren, sprach sie:

›Bei Dianen! liebster Lucius, ich bin um Ihretwegen in tausend Ängsten und wie um meinen eigenen Sohn bekümmert! O, hüten Sie sich vor Pamphilen, vor Ihres Wirtes Frau! Nehmen Sie sich äußerst vor ihren bösen Künsten und schändlichen Verführungen in acht! Sie gilt in der ganzen Stadt für eine Erzzauberin, eine recht ausgelernte Meisterin der Schwarzkünstelei, die durch das bloße Anhauchen gewisser Kräuter und Steinchen[29] und solcherlei Kleinigkeiten imstande ist, das Licht des Sternenhimmels in die Tiefen des Tartarus zu versenken und hinwiederum das alte Chaos hervorzurufen. Sieht das Weib irgendeinen schönen jungen Menschen, gleich steht sie in voller Glut, hängt mit Blick und Seele an ihm und lockt ihn so lange durch alle ersinnliche Schmeichelei an sich, bis sie ihn endlich fängt; dann legt sie ihn in unzerreißliche Liebesbande. Ist ihr Bestreben aber umsonst, und bleibt der Gegenstand ihrer Zuneigung unbeweglich, oder entspricht er in seiner Leidenschaft nicht der von ihr gefaßten Erwartung, so verwandelt sie ihn voller Unwillen in einen Stein, ein Tier oder was ihr sonst einfällt. Ach, und wie manchen hat sie nicht gar aus dem Wege geräumt! Lassen Sie sich das von mir, lieber Lucius, zur Warnung gesagt sein; denn verliebt wie Ihre Wirtin ist, ist Ihre Jugend und Schönheit gerade ihre Sache.‹

Also Byrrhenna zu mir in aufrichtiger Besorgnis.

Inzwischen wollte die Standrede bei mir nicht verfangen. Vielmehr ging mir das Herz auf, sobald ich nur ein Wort von Magie hörte, und weit gefehlt, Pamphilen darum zu meiden, stach mich erst der Kitzel recht, zu ihr, es koste was es wolle, in die Lehre zu gehen und also geraden Weges in den Abgrund des Verderbens hineinzurennen.

Kurz, ich mache mich in dem Schwindel eiligst von der Hand Byrrhennens wie von einer Kette, die mich zurückhielt, los, nehme plötzlich Abschied und fliege in aller Geschwindigkeit heim in mein Quartier. Unterwegs sprach ich bei mir selbst, während ich wie ein Unsinniger lief:

›Jetzt, Lucius, aufgeweckt und fein bei Dir! So eine erwünschte Gelegenheit, Deinen alten Durst nach Wundern zu löschen, bekommst Du nicht wieder. Nur alle kindische Furcht beiseite! Tritt, so nahe Du kannst, hinzu und beschaue Dir alles[30] recht beim Lichte. Zwar mit Deiner Wirtin mußt Du Dir nichts zu schaffen machen. Ehre als ein rechtschaffener Kerl des redlichen Milos Ehebette. Inzwischen auf Fotis keck den Angriff gewagt! Das Mädchen ist hübsch und wohl ebensowenig dumm als hartherzig. Gestern abend wenigstens, als Du schlafen gingst und sie Dich zu Bett brachte, war sie ziemlich scherzhaft und zutunlich; schien ganz zärtlich, als sie Dich zudeckte und zur guten Nacht auf den Kopf küßte, und mich dünkt, ihre Mienen, ihr öfteres Umsehen beim Hinausgehen und ihr Stehenbleiben in der Tür sagten auch deutlich genug, daß sie weit lieber bei Dir geblieben als weggegangen wäre. Frisch also, Glück und Stern an Fotis versucht!‹

Unter dem Selbstgespräch und mit dem Entschluß komme ich zu Milos Wohnung. Weder er noch seine Frau war zu Hause.

Ich finde meine teure Fotis ganz allein in der Küche vor der Anrichte, wo sie ihrer Herrschaft ein Ragout zubereitete, dessen lieblicher Geruch mir schon von weitem den Mund wässerig machte.

Sie hatte ein nettes Leinenkleid an und war dicht unterm Busen mit einer schönen, fleischfarbenen Binde hoch und zierlich gegürtet.

Soeben schwenkte sie mit niedlichen Händen die Kasserole um, worin sie das Essen zurechtmachte. Durch ihre rasche Bewegung gerieten alle ihre zarten Glieder, gleich Gallert, in das sanfteste Beben. Hin und her wallten die wohlgepflegten Lenden, und wollüstig zitterten unter ihnen die runden Hüften. Ich stutzte bei dem Anblick und erstarrte fast vor Erstaunen und Bewunderung. Jeder schlummernde Sinn erwachte und empörte sich. Endlich rief ich:[31]

›Ei, allerliebst, Fotis! Ja, mit solchem regen Kreuz läßt sich schon das Kasserölchen schwenken und was Gutes zubereiten! O, wahrhaftig, mehr als glücklich, wer da nur mit dem Finger hineintunken darf!‹

Das Mädchen, dem es gar nicht an Maulwerk fehlte, sah sich sogleich mit schelmischer Miene nach mir um und versetzte schalkhaft:

›Lassen Sie mich ungeneckt, mein schöner Herr, und verbrennen Sie sich nicht an meinem Herde, oder es wird Ihnen schlecht ergehen. Niemand als ich kann Ihnen dann helfen, und ungeachtet ich gleich geschickt im Bett als in der Küche bin, so dürft ich Sie doch wohl ein wenig zappeln lassen.‹

Ich ließ mich hierdurch nicht abschrecken, sondern blieb stehen und betrachtete mir ganz aufmerksam alle Reize dieses drolligen Mädchens. Ich schweige der übrigen, da ich für Kopf und Haar von jeher vorzüglich eingenommen gewesen. Bin ich in Gesellschaft, so sehe ich mich beständig danach um, und in der Einsamkeit habe ich im Stillen meine Lust und Freude daran.

Der Grund, den ich mir von diesem Vorzuge anzugeben weiß, ist dieser:

Wäre der Kopf nicht der vornehmste Teil des Körpers, wie würde die Natur denselben so frei in die Augen fallend und, wie auf ein Fußgestell, auf die Schultern erhoben haben? Das Haar aber ist durch seine eigentümliche Schönheit dem Haupte, was den übrigen Gliedern kaum nur der gesuchte Schmuck lachender Farben und prachtreicher Kleider ist. Ja, will eine Schöne recht sich sehen lassen und in all ihrem Reize erscheinen, so wirft sie die Bekleidung ab, jeglicher Schleier fällt: sie tritt allein in ihrer nackten Schönheit auf und vertraut mehr auf die Rosen ihrer Haut als auf das Gold ihres Gewandes. Allein (Frevel ist's, es nur zu sagen, und niemals müsse sich ein[32] Beispiel einer so abscheulichen Untat ereignen) entblößet das Haupt des schönsten Mädchens seines Haares, Ihr raubt zugleich auch dem Gesicht all seine Liebenswürdigkeit! Und käme sie von dem Himmel hernieder, wäre sie aus dem Meere geboren und von den Wellen erzogen, ja wäre sie Venus selbst, umtanzt von den drei Huldgöttinnen, gefolgt von dem ganzen Volke der Amoretten, mit ihrem Gürtel geschmückt, duftete sie Zimmet und tröffe von Balsam, ginge aber kahlköpfig einher, – gefallen könnte sie ihrem Vulkane selbst nicht. Im Gegenteil, was kann bezaubernder sein, als ein Haar von schöner Farbe und blendendem Glanze, das hell in der Sonne blitzt oder nur einen sanften Wiederschein von sich gibt und durch wechselnde Anmut seinen Anblick vervielfältigt; das jetzt wie Gold schimmernd, sanft zur Farbe des Honigs sich verdüstert, jetzt bei Rabenschwärze mit der Täubchen blauspielenden Hälsen wetteifert oder, gesalbt mit arabischem Wohlgeruch, von künstlicher Hand geteilt und glatt zurückgebunden, wie ein Spiegel des gegenüberstehenden Liebhabers Bild verschönert zurückwirft? Was kann man Edleres sehen, als wenn die Fülle desselben, in einem Schopf gewunden, den Scheitel krönt oder ringelnd über den Rücken hinabfließt? Kurz, die Würde des Haares ist so groß, daß, geht eine Schöne auch noch so geschmückt mit Gold, Stoff, Edelgesteinen und allem übrigen Staate und hat nur nicht für die Zierlichkeit ihrer Haare gesorgt, sie deswegen allein von niemand für angeputzt gehalten wird.

Meine Fotis trug die ihrigen mit einer glücklichen Nachlässigkeit geziert und war darum nur desto reizender. Aufgerollt am Ende und verloren auf dem Wirbel durch eine Schleife befestigt, fielen sie in ihrem ganzen Reichtum auf den Nacken herab, verteilten sich um den Hals herum und ruhten an desselben gekräuseltem Streif.[33]

Ich konnte mich vor Übermaß der Wollust nicht mehr halten. Ich umfing Fotis und drückte den Spitzen ihrer Haare, wo sie sich über der Stirn in einen Knoten verschlangen, den honigsten Kuß auf.

Sie bog den Hals zurück, sah mich seitwärts mit durchtriebenen Augen an und sprach:

›He, kleiner Lecker, das ist bittersüße Ware! Lassen Sie die Näscherei, oder Sie werden sich mit dem zuvielen Honig endlich den Magen vergällen!‹

›Wenn's weiter nichts ist, immerhin!‹ versetzte ich. ›Für einen einzigen Kuß von Dir, Du allerliebstes Mädchen, laß ich mich wohl lebendig auf diesen glühenden Kohlen braten.‹

Mit diesen Worten drückte ich sie fester an mich und küßte sie. Und schon umschlang sie mich, von gleichen Trieben hingerissen und wie ich schmachtend von lechzendem Verlangen; schon sog ich ihren Zimmetatem aus halbgeöffnetem Munde ein, saugte Nektar von ihrer der meinigen begegnenden Zunge und fühlte mich unwiderstehlich zum völligen Genusse der Wollust hingerissen, als ich ausrief:

›Ich sterbe, Fotis; erbarme Dich, ich sterbe!‹

Unter wiederholten feuervollen Küssen antwortete sie:

›Sei gutes Muts! Dein Wunsch ist auch der meine, und später denn diesen Abend soll unser Vergnügen nicht verschoben sein. Sobald Licht angesteckt, bin ich auf Deinem Zimmer. Jetzt geh und rüste Dich zum Kampfe. Ich kündige Dir Fehde auf die ganze Nacht an.‹

Nach diesem und ähnlichem Gekose schieden wir voneinander.

Kaum war es Mittag, so schickte mir Byrrhenna zum Gastgeschenk einen fetten Schweinsbraten, fünf junge Hühner und einen guten Vorrat köstlichen alten Weins.

Ich rief gleich Fotis.[34]

›Sieh hier,‹ sagte ich, ›der Venus Ermunterer und Waffenträger, Bacchus, ist auch schon da. Schonen wir seiner heute nicht, auf daß er in uns alle träge Scham ertränke und rüstige Wollust dafür herbeischaffe! Denn frisch segelt das Schiffchen der Venus die Nacht hindurch, wenn nicht in der Lampe das Öl noch im Becher der Wein versiegt.‹

Der Rest des Tages ging über dem Bade hin und dem schmalen Abendessen beim Milo, wozu ich eingeladen war.

Byrrhennens Warnung eingedenk, vermied ich bei Tische, soviel ich konnte, die Augen meiner Wirtin, und sah ich sie ja einmal an, so war es so schüchtern, als ob ich in die Hölle blickte. Ich hielt mich dafür an Fotis schadlos; denn mit innigem Vergnügen schielt ich immer nach ihr hin, als sie hinter uns aufwartete.

Wie es etwas später hinkam, sah Pamphile die Lampe an und rief: ›Ei, was werden wir morgen für Regen kriegen!‹ – ›Woher weißt Du denn das?‹ fragte der Mann. – ›Das sagt mir die Lampe,‹ antwortete sie.

Milo fing darüber laut zu lachen an und sprach: ›Potz Stern! Hab ich doch nimmermehr gedacht, daß wir an unsrer Lampe eine so kluge Sibylle hätten, die auf ihrer Leuchter-Warte alle Verrichtungen des Himmels und selbst die Sonne beobachtet!‹ – Darauf nahm ich das Wort.

O, von dergleichen Weissagungen,‹ sprach ich, ›hat man Beispiele die Menge. Sie lassen sich auch leicht erklären. Denn ist gleich dieses Feuer klein und nur durch Menschenhände angezündet, so waltet dennoch zwischen ihm und dem großen himmlischen Feuer (als wovon es ursprünglich abstammt) eine starke Sympathie ob. Es kann daher nicht allein selbst durch geheime Ahnungen die Veränderungen des hohen Äthers vorauswissen, sondern sie uns auch recht wohl vorher verkündigen. Wir[35] haben auch jetzt einen gewissen Chaldäer bei uns zu Korinth, der die ganze Stadt mit seinen wunderbaren Antworten in Verwirrung setzt und den Leuten die Geheimnisse des Schicksals für Geld aufschließt. Er weiß auf ein Haar anzugeben, welcher Tag das eheliche Band am festesten knüpfe, welcher den Grund der Stadtmauern verewige, welcher dem Kaufmann vorteilhaft, welcher den Reisenden zu Lande und zu Wasser glücklich sei. Mir selbst hat er auf mein Anfragen über den Erfolg dieser Reise allerhand höchst wundersame und bunte Sachen prophezeit; denn er sprach bald von großem Ruhm, den ich erlangen, bald von einer sonderbaren, fast unglaublichen Geschichte, die mir widerfahren, bald von mancherlei Büchern, die ich schreiben würde.‹

Milo lächelte und fragte:

›Wie sieht er denn aus und wie heißt er denn, die ser Chaldäer?‹

›Es ist ein langer, schwarzbrauner Mann,‹ erwiderte ich, ›und heißt Diophanes.‹

›Ja, ja!‹ sagte er, ›es ist derselbige, der auch bei uns gewesen ist. Dem ehrlichen Kerl begegnete hier ein garstiger Streich. Er hatte sich von unseren Neugierigen schon ein hübsches Geld durch seine Wahrsagereien verdient und stand eines Tages mitten unter einer Menge Leute, denen er seine Orakel verkündigte, als mit einmal ein gewisser Kaufmann Cerdo zu ihm kommt und ihn um den besten Tag befragt, den er zu einer vorhabenden Reise zu erwählen hätte. Mein Diophanes, nach tausenderlei Krimskrams, bestimmt ihm einen Tag, und schon zieht der Kaufmann einen Beutel heraus, schüttet das Geld aus und fängt an, die hundert Denare aufzuzählen, die er für die Weissagung[36] zu entrichten hat. Siehe, da drängt sich von hintenher ein junger Edelmann zu dem Seher hin, zupft ihn beim Rocke, und als dieser sich umsieht, fällt er ihm um den Hals und küßt ihn mit großer Freude. Diophanes bewillkommnet ihn sogleich auch, nötigt ihn, niederzusitzen, und ganz außer sich über die plötzliche Erscheinung, vergißt er darüber sein vorhabendes Geschäft und sagt zu dem Edelmann: »Welch eine Freude hab ich, Sie endlich einmal wiederzusehen! Wann sind Sie angekommen?« – »Mit einbrechendem Abend,« antwortete jener. »Aber erzählen Sie mir doch auch, lieber Freund, wie es Ihnen zu Wasser und zu Lande ergangen ist, seit Sie so eilig von (der Insel) Euböa abfuhren?« – Der gute ehrliche Chaldäer, der noch gar nicht wieder bei sich selbst war, versetzte: »Unsern Neidern und Feinden mag ich eine so grausame und wahrhaft Ulyssische Reise nicht wünschen, als ich gehabt habe! Das Schiff, worauf wir fuhren, von Wind und Wellen gemißhandelt, verlor bald Ruder und Mast, und als wir es gleichwohl mit genauer Not an die jenseitige Küste trieben, strandete es und versank mit unsrer ganzen Habe in die Tiefe, kaum daß wir selbst noch mit dem Leben davonkamen. Alles, was wir noch durch das Mitleiden Fremder und durch die Bemühungen unsrer Freunde retteten, das nahmen uns kurz darauf Räuber wieder ab und erschlugen, noch dazu vor meinen Augen, meinen geliebten Bruder Arisuatus, der mit Tapferkeit sich ihnen widersetzte.« –

Derweile Diophanes dies ganz betrübt erzählt, streicht mein Cerdo sachte sein Geld, das er bezahlen sollte, wieder ein und heidi, lauf, was du kannst, fort!‹

Nun ward mit einmal Diophanes aus seinem Traume wach und merkte, was für ein dummes Stückchen er hatte ausgehen lassen. Um so mehr, da wir Umstehenden alle ein lautes Gelächter aufschlugen.[37]

›Indessen wünsch' ich von Herzen, Herr Lucius, daß der Chaldäer Ihnen nichts als Wahrheit möge prophezeit haben, daß Ihnen tausend Glück begegnen und Ihre Reise höchst ersprießlich sein möge!‹

Während dieser endlosen Salbaderei des Milo seufzte ich stillschweigend und war bitter und böse, daß ich selbst das verdrießliche Gespräch aufgebracht, wodurch ich so um einen guten Teil des Abends und süßer Ergötzungen kam.

Endlich riß dennoch meine Geduld aus, und ich sagte zu Milo:

›Überlassen wir den Diophanes seinem Schicksale, mag er doch ferner dem Meere und dem Lande alles Geld wieder entrichten, was er den Blöden durch Lug und Trug abgenommen hat! Für mich, ich bin von meinem gestrigen Ritte noch herzlich müde und bitte mir die Erlaubnis aus, etwas früher schlafen zu gehen.‹ – Und damit macht ich Aufbruch und begab mich in mein Zimmer, wo ich schon alles sehr artig zum Schmause zubereitet fand. Das Bedientenbett aus der Stube genommen und ganz weit von der Tür weg in einen Winkel gesetzt, damit man uns in der Nacht nicht behorchen könnte. Neben meinem Bett ein wohlbesetztes Tischchen mit zwei Bechern, schon halb mit Wasser angefüllt und nur auf die Vermischung des Weines wartend. Nächstdem eine ansehnliche Flasche, die zum desto bequemeren Herausschöpfen mit recht weiter Mündung versehen. Kurzum, alles auf einen echten Vorschmaus zum Liebeskampfe eingerichtet!

Kaum war ich im Bett, so hatte auch schon meine Fotis ihre[38] Frau zur Ruhe gebracht und flog mir, mit Rosen bekränzt und eine einzelne Knospe vorm schwellenden Busen, in die Arme.

Nachdem sie mir den feurigsten Kuß auf die Lippen gedrückt, windet sie mir Kränze um die Schläfe und bestreut mich mit Blumen. Dann nimmt sie einen Becher Wein, mit Wasser vermischt, reicht mir ihn hin, läßt mich daraus nippen, und ehe ich ihn noch ganz geleert, zieht sie mir ihn wieder sanft vom Munde hinweg und schlürft mit lieblich zugespitzten Lippen, zärtlich auf mich die Augen gerichtet, wollüstig den Rest aus.

Zwei- und drei- und mehrmals wechselten wir also den Becher untereinander.

Bald war mir der Wein zu Kopfe gestiegen. Geist und Körper sehnten sich mit gleicher Ungeduld nach der Liebe süßem Spiel. Aus Übermaß von Mutwillen und brünstigem Verlangen schlug ich endlich meinen Rock zurück und zeigte meiner Fotis meinen leidigen Zustand.

›Erbarme Dich,‹ sagt ich, ›und hilf mir beizeiten! Du siehst, ich bin ganz fertig, den Kampf ohne Gnade zu kämpfen, wozu Du mich aufgefordert hast. Sobald ich Amors ersten Pfeil tief im Innern fühlte, spannte ich gleich aus voller Kraft meinen Bogen, daß Horn und Sehne springen möchten. Allein, willst Du mir ganz meine Wünsche gestatten, so löse Dein Haar, daß es Dich frei umwalle, und überlaß Dich also meiner Umarmung.‹

Ohne Verzug werden Speisen und Geräte beiseite geschafft und, aller Kleidung entblößt, die Haare entfesselt zur süßen – Lust, steht Fotis da, wie Venus, die des Meeres Fluten entsteigt und lügenhaft-züchtig ihren marmornen Schoß mit rosiger Rechten beschattet, nicht deckt.

›Auf denn,‹ ruft sie, ›zum Kampf! Mutig zum Kampfe! Ich halte Dir Stand und weiche nicht. Zeige, daß Du ein Mann[39] bist, sei tapfer und stirb tötend; denn heute gibt's keinen Pardon!‹

Mit den Worten ist sie in meinem Bette, sitzt rittlings auf mir, und schäkernd läßt sie ihr reges Kreuz so lange spielen, bis unser Vergnügen den Gipfel erreicht, die Sinne uns übergehen und, in gegenseitiger Umarmung die Seele aushauchend, wir beide hinsinken.

Unter diesen und ähnlichen Kämpfen durchwachten wir die Nacht bis nahe an den Morgen. Frische Becher stärkten von Zeit zu Zeit die ermatteten Kräfte, reizten die Begierden wieder und erneuten das Gefühl der Wollust.

Noch manche Nacht verfloß uns nach diesem Muster.

Eines Tages bat mich Byrrhenna sehr inständig zu sich zu Gaste. Ich lehnte es ab, soviel ich konnte; allein sie bestand schlechterdings darauf. Was war zu tun? Ich mußte zur Fotis gehen und aus ihren Augen wie aus dem Fluge der Vögel mir Rats erholen.

Sie sah es zwar ungern, daß ich mich weiter als einen Finger breit von ihr entfernte; inzwischen erteilte sie mir dennoch in Huld und Gnaden Urlaub.

›Aber höre,‹ sprach sie, ›komm auch ja nicht so spät nach Hause; denn eine liederliche Rotte vornehmer junger Leute aus der Stadt macht des Nachts die Straßen unsicher, hin und wieder trifft man beständig in den Gassen Erschlagene an, und da die Truppen des Statthalters so weit von uns liegen, so ist dem Unwesen gar nicht zu steuern. Dein Staat und die Geringschätzung, die man hier gegen Fremde hegt, könnten Dich leicht Nachstellungen aussetzen.‹

›Ich bitte Dich, sei dieserhalb ohne Sorgen, liebe Fotis,‹ antwortete ich. ›Ich würde ja selbst darunter leiden, wenn ich dem Schmause vor dem Vergnügen, bei Dir zu sein, den Vorzug gäbe. Und jetzt, da es gar darauf ankommt, Dich von dieser Furcht[40] zu befreien, werde ich gewiß um so früher wieder hier sein. Gleichwohl will ich nicht ohne Geleit gehen. Ich will meine Lenden mit meinem treuen Schwerte gürten, um doch im Notfall einige Bedeckung bei mir zu haben.‹

Also geschah es, und ich begab mich zum Gastmahl.

Ich fand große Gesellschaft und, als in einem der ersten Häuser von Hypata, lauter schöne Welt.

Das Mahl war herrlich. Die Tischbetten glänzten von Elfenbein und waren mit goldnen Decken überhangen. Die Pokale groß, von mancherlei schönen Formen, doch von gleicher Kostbarkeit. Hier prangte künstlich geschliffenes Glas, dort heller Kristall. Anderwärts schimmerte blankes Silber oder glühte das feinste Gold. Auch Bernstein, zu den schönsten Gefäßen ausgehöhlt, lud den Mund zu trinken ein. Kurz alles, was nur Reichtum und die seltenste Kunst vermag, war allhier anzutreffen.

Vorleger die Menge; alle aufs stattlichste gekleidet. Gerichte im Überfluß.

Zur Aufwartung die artigsten Mädchen und schönfrisierte und wohlgeputzte Knaben, die in Gemmen-Gläsern fleißig alten Wein herumreichten.

Man brachte Licht, und das Tischgespräch nahm überhand, ward lebhaft. Man lachte, scherzte, witzelte hin und wieder.

Da fing Byrrhenna zu mir an:

›Nun, mein lieber Lucius, wie gefällt es Ihnen bei uns? Meines Wissens tun wir uns vor anderen Städten durch Tempel, Bäder und andere öffentliche Gebäude hervor. Auch haben wir ganz hübsche Möbel. Übrigens hat man hier völlige Freiheit, zu leben, wie man will. Der Freund der großen Welt findet bei uns das geräuschvolle römische Leben, und wiederum, wer die Eingezogenheit liebt, – die Ruhe und Stille des Landes.[41] Wer sich nur in der Provinz ein Vergnügen machen will, der kommt zu uns gereist.‹

›Ich stimme Ihnen in allem bei, liebe Tante,‹ antwortete ich, ›was Sie sagen. In der Tat habe ich mich auch nirgends noch so frei gefühlt als hier. Wenn nur die böse Magie nicht wäre! Um ihretwillen bin ich immer in Ängsten. Sie schleicht hier so im Finstern, daß kein Mensch sich davor in acht nehmen kann. Selbst die Toten in ihren Gräbern sollen nicht davor sicher sein; man holt Reste und Gliedmaßen von Leichen, von Brandstätten und Scheiterhaufen hinweg, den Lebendigen damit Unheil zuzufügen. Ja, die Schwarzkünstlerinnen sollen es sogar oftmals mit den Verstorbenen nicht zum Begräbnisse kommen lassen, indem sie die Leichen mit unglaublicher Geschwindigkeit während des Begängnisses von den Bahren herunterstehlen.‹

›Ei, was noch mehr ist,‹ fiel ein anderer ein, ›nicht die Lebendigen einmal werden hier verschont. Ich kenne jemanden, der ein Lied davon singen kann. Der arme Teufel hat Nase und Ohren eingebüßt und ist jämmerlich entstellt.‹

Die ganze Gesellschaft schlug bei den Worten ein mutwilliges Gelächter auf, und aller Augen suchten jemanden, der in einer Ecke des Saales ganz allein gelagert war. Dieser ward äußerst beschämt und böse. Er sprang auf, schimpfte und fluchte etwas in den Bart hinein und wollte fort.

O, nicht doch, lieber Telerophon,‹ sprach Byrrhenna zu ihm, ›Sie werden doch nicht böse werden und fortgehen wollen? Bleiben Sie bei uns, ich bitte Sie, und haben Sie nochmals die Höflichkeit, uns Ihre Geschichte zu erzählen, damit mein Vetter Lucius auch das Vergnügen habe, sie zu hören!‹

›Sie, Madame,‹ versetzte er aufgebracht, ›sind immer die Güte und Verbindlichkeit selbst. Aber gewisser Leute unverschämte Grobheit ist nicht auszustehen.‹[42]

Indessen, Byrrhenna ließ nicht nach. Sie setzte ihm auf eine so einnehmende, unwiderstehliche Art zu und sagte ihm so viel Verbindliches, daß Telerophon, er mochte nun wollen oder nicht, sich endlich besänftigen und bequemen mußte, ihrem Verlangen ein Genüge zu leisten.

Er legte den Teppich, worauf er lag, auf einen Haufen zusammen, stützte den Ellbogen darauf, richtete sich auf dem Bett etwas in die Höhe, erhob die Rechte mit einer Rednergebärde, indem er die beiden untersten Finger der Hand zumachte und die andern, vom Daumen gestützt, ausstreckte und hub also an:

›Als ich noch minderjährig war, tat ich von Milet eine Reise nach den olympischen Spielen, und da ich auch gern die merkwürdigsten Plätze dieser hochberühmten Provinz in Augenschein nehmen wollte, so durchzog ich Thessalien die Kreuz und Quer, bis ich endlich, von meinem bösen Schicksal geleitet, nach Larissa kam.‹

Mein Reisegeld war dünn geworden, und um Mittel zu finden, die Schwindsucht meines Beutels zu heilen, rannte ich lange überall herum, bis ich mitten auf dem Markte einen langen alten Mann wahrnahm, der auf einem Steine stand und mit lauter Stimme ausrief: ›Wer einen Toten zu bewachen Lust hat, der melde sich und fordere, was er dafür haben will!‹

›Was höre ich da?‹ sage ich zu einem Vorbeigehenden, ›pflegen denn hier die Toten davonzulaufen?‹

›Spottet nicht!‹ antwortete dieser, ›Ihr seid noch zu jung und unerfahren, Ihr würdet sonst wohl wissen, daß mitten in Thessalien, wo Ihr Euch jetzt befindet, es gar nichts Seltenes ist, daß alte Hexen den Toten das Gesicht abfressen, weil sie davon allerhand als Ingredienzien zu ihren Schwarzkünsteleien brauchen.‹

›Und könnt Ihr mir nicht sagen,‹ erwidere ich, ›worin eigentlich diese Leichenwache besteht?‹[43]

›Vor allen Dingen,‹ versetzt er, ›kommt es darauf an, daß man die ganze geschlagene Nacht hindurch wirklich wache. Nicht blinken darf man, geschweige denn ein Auge zutun. Die Blicke müssen beständig auf den Leichnam geheftet sein und nie davon abgewendet werden. Verdreht man nur das Schwarze im Auge, gleich hat sich ein Alräunchen herbeigeschlichen! Denn sie wissen so gut die Gestalt von allerhand Tieren anzunehmen, daß sie darunter den Augen der Sonne und der Gerechtigkeit selbst entgehen könnten. Bald sind sie Vögel, bald Hunde, dann einmal wieder Mäuse, ja wohl gar Fliegen. Auch schläfern sie die Wächter durch gewisse Beschwörungsworte ein. Kurz, es läßt sich nicht alles sagen, was sie für Mittel und Wege anwenden, zu ihrem Endzweck zu gelangen! Bei alledem wird für dieses saure und gefährliche Geschäft niemals mehr als vier bis sechs Dukaten gegeben. Ach! und was ich bald vergessen hätte: Kann der Wächter andern Morgens die Leiche nicht unversehrt wieder abliefern, so ist er gehalten, alles dasjenige, was derselben abgebissen oder -gerissen worden ist, aus seinem eigenen Gesicht sich schneiden zu lassen, um den Schaden damit wieder gutzumachen.‹

Als ich dies gehört, ermanne ich mich alsbald und gehe an den Ausrufer heran.

›Hört nur auf zu schreien, guter Freund,‹ sprech ich, ›hier ist schon ein Wächter! Wieviel wollt Ihr mir geben?‹

›Tausend Nummen,‹ sagt er, ›sollen für Euch zur Belohnung deponiert werden. Nur müßt Ihr auch die Leiche auf das Allersorgfältigste vor den bösen Harpyien bewachen; es ist der Sohn eines der Vornehmsten dieser Stadt!‹

›Alles nur Kleinigkeit, wahrer Spaß für mich!‹ antwortete ich. ›Denn Ihr müßt wissen, ich bin wie von Stahl und Eisen[44] und kenne gar den Schlaf nicht, wenigstens bin ich ganz Auge, ein echter Lynceus, ein Argus.‹

Kaum daß ich ausgeredet, so nimmt er mich unverzüglich mit sich nach einem Hause, dessen Eingang versperrt war. Er läßt mich durch eine kleine Hintertür hinein und führt mich in ein düsteres Zimmer mit verhangenen Fenstern, wo eine Dame in Trauer saß und weinte.

Er trat zu ihr und sagte:

›Hier bringe ich Ihnen jemand, Madame, der sich anheischig gemacht hat, Ihren Gemahl wohl zu bewachen.‹

Die Dame strich die Haare zurück, die von beiden Seiten über ein Gesicht hingen, das selbst in der Betrübnis entzückend schön war, sah mich an und sprach:

O, lieber Freund, ich bitte Euch, tut es auch ja mit aller Sorgfalt!‹

›Seien Sie unbesorgt, Madame,‹ gab ich zur Antwort, ›und halten Sie mir nur ein gutes Trinkgeld parat!‹

Das versprach sie mir, stand darauf schleunig auf und brachte mich in ein anderes Zimmer. Da stand die Leiche in schneeweiße Leilachen eingeschlagen. Nachdem sieben Zeugen herbeigeholt, schlägt die Dame die Tücher voneinander, weint eine Weile über dem Toten und ruft endlich die Anwesenden zu Zeugen an, daß der Körper durchaus unversehrt sei.

Sie zeigte, indem sie das tat, pünktlich ein Glied nach dem andern an, und ein Notarius protokollierte es auf der Stelle.

›Sehen Sie, meine Herren,‹ sprach sie, ›daß nichts der Nase fehlt, den Augen nichts, daß die Ohren unversehrt sind, die Lippen unbeschädigt, daß ganz ist das Kinn? Seien Sie hiervon meine Zeugen!‹

Hierauf ward das Protokoll unterzeichnet und die Dame ging hinweg.[45]

›Nun, Madame,‹ rief ich ihr nach, ›seien Sie nur so gut und lassen mir alles geben, was ich brauche!‹

›Und was ist das?‹ fragt sie.

›Eine große Lampe,‹ sagt' ich, ›mit zureichendem Öl, sie, bis es wieder hell wird, brennend zu erhalten, eine Flasche Wein nebst einem Glase und ein Tellerchen Brosamen von Ihrer Tafel.‹

›Geht,‹ sprach sie und schüttelte den Kopf. ›Ihr seid nicht gescheit: Wie könnt Ihr Überbleibsel von Mahlzeiten in einem Trauerhause suchen, worin seit so vielen Tagen kein Rauch gesehen worden ist? Denkt Ihr etwa, Ihr seid zum Schmause hierher gebeten? Laßt Euch das nicht einkommen und setzt Euch lieber hin und weint und wehklagt, wie es sich an einem solchen Orte geziemt!‹

Hiermit wendete sie sich zu ihrem Mädchen und sagte:

›Myrrhina, gib ihm gleich eine Lampe und Öl!‹

Als dies geschehen, ging sie samt den andern aus dem Zimmer, und ich ward eingeschlossen.

Also allein zum Schutze der Leiche gelassen, reibe ich mir die Augen aus, und nachdem ich sie genugsam zum Wachen gerüstet, fang' ich mir eins zu singen an, um mich vor Furcht zu verwahren. Darüber wird es dämmerig, finster, Nacht, und tiefer und tiefer Nacht. Je später hin, je grausiger.

Mit einmal, siehe, da kommt ein Wiesel herbeigekrochen! setzt sich mir gerade gegenüber und guckt mir so starr ins Gesicht, daß ich über die Keckheit eines so winzigen Tierchens um ein Haar gänzlich die Fassung verloren hätte. Doch rufe ich ihm endlich zu:

›Willst Du wohl fort, Du garstige Bestie? Willst Du bald zu Deinesgleichen, oder es soll Dir übel ergehen! Willst Du fort?‹

Damit das Wiesel wie der Blitz um und zur Stube hinaus.[46] Aber auch nicht einen Augenblick darauf, befällt mich ein so tiefer Schlaf, daß der delphische Gott selbst nicht hätte unterscheiden mögen, wer, von der Leiche und mir, dem Scheine nach am meisten tot sei. Ganz sinnlos liegend und selbst eines Wächters bedürftig, war es so gut, als wär ich nicht da.

Eben störten die munteren Hähne mit ihrem kreischenden Geschrei die tiefe Stille der Nacht, als ich wieder erwachte.

Äußerst erschrocken, raffe ich mich auf, springe nach der Leiche hin, decke sie auf, beleuchte sie und wollte eben untersuchen, ob auch noch alles daran sei, was mir überliefert worden, als auch die betrübte Witwe mit den gestrigen Zeugen ängstlich zur Tür hereintritt, über den Körper hinfällt, oft und lange ihn küßt und beim Scheine der Lampe Musterung seiner Gliedmaßen hält.

Bald, so wendet sie sich um, ruft ihren Haushofmeister Philodespotus und befiehlt ihm, mir für die wohlgehaltene Wacht den ausgemachten Lohn nicht länger vorzuenthalten.

Er wurde mir auf der Stelle ausgezahlt, und sie setzte hinzu:

›Ich danke Euch höchlichst, junger Mensch! Ihr habt mir mit Eifer gedient, und beim Herkules, ich werde Euch beständig dafür unter meine Freunde zählen!‹

Von Freuden über einen so unerwarteten ansehnlichen Verdienst berauscht und mit schmachtendem Entzücken meine blanken Dukaten in der Hand von allen Seiten betrachtend, erwiderte ich:

›Zählen Sie mich lieber unter Ihre treuen Diener, Madame, und befehlen Sie, so oft Sie meine Dienste wieder brauchen.‹

Kaum habe ich das gesagt, so speien alle Hausgenossen über die böse Vorbedeutung aus und fallen stracks alle, jeglicher nach seiner Weise bewaffnet, über mich her. Der eine ohrfeigt mich brav mit den Händen ab, der andere zerbläut mir die[47] Schultern mit dem Ellbogen, ein dritter versetzt mir mit geballten Fäusten derbe Rippenstöße. Man tritt mich mit Füßen, rauft mich bei den Haaren, zerreißt mir die Kleidung, mißhandelt, zerfleischt mich nicht minder denn den schönen Adonis oder den Sohn der pimpleischen Muse und wirft mich zur Tür hinaus.

Derweile ich mich in einer Nebengasse von dieser unsanften Behandlung wieder zu erholen suchte und meine unselige Rede leider nur ein wenig zu spät bedachte, auch mir selbst eingestand, daß ich von Rechts wegen wohl noch mehr Prügel dafür verdient hätte, derweilen war der Tote schon zum letzten Male zu Hause beweint und gerufen worden, und langsam und mit großem Pompe, wie es bei Vornehmen nach Landes Brauch und Sitte zu geschehen pflegt, kam der Leichenzug über den Markt daher.

Zugleich lief ein alter Mann, der unter lautem Jammer sein ehrwürdiges Haar zerriß, aus Leibeskräften seitwärts hinzu, faßte die Bahre mit beiden Händen an und rief mit zwar starker, doch von Schluchzen unterbrochener Stimme:

›Hilfe, Ihr Larissäer! Ich beschwöre Euch bei Eurem Bürgereide, bei Eurer Liebe fürs Vaterland! Hilfe! Nehmt Euch dieses ermordeten Mitbürgers an und rächet nach der Strenge die allerschändlichste Tat an diesem abscheulichen Weibe! Denn sie, sie und kein anderer Mensch in der Welt, hat diesen Unglücklichen, der mein Schwestersohn ist, aus Liebe zu einem Buhlen und aus Lüsternheit nach seiner reichen Verlassenschaft mit Gift vergeben.‹

So der Greis, wimmernd und weinend.

Das Volk nahm Anteil an seinem Leid. Die Wahrscheinlichkeit[48] des Vorwurfs machte es leichtgläubig gegen die Tat. Es ward wütend, rief nach Feuer, suchte Steine und hetzte die Jungen an, die Dame zu vertilgen. Mit erlogenen Tränen aber schwur diese hoch und teuer bei allen Gottheiten, dergleichen Schandtat sei ihr nie in den Sinn gekommen.

›So lassen wir,‹ sprach der Greis wieder, ›die Entscheidung der Wahrheit auf die göttliche Vorsehung ankommen! Hier ist Zachlas, ein vornehmer ägyptischer Prophet. Ich habe für ein Ansehnliches von ihm erhalten, daß er mir den Geist des Verstorbenen aus der Hölle zurückrufe und diesen Körper auf einen Augenblick wieder belebe.‹

Mit den Worten führt er einen Jüngling herbei, in Leinen gekleidet, Palmenschuhe an, und das Haupt über und über geschoren.

Er küßt' ihm lange die Hände, umfaßte selbst seine Knie und sprach zu ihm:

›Erbarme Dich, heiliger Priester, erbarme Dich! Bei den ewigen Sternen des Himmels, bei den Gottheiten der Unterwelt, bei dem Urstoffe des ganzen Alls, bei dem nächtlichen Schweigen, bei Koptos Heiligtume, bei des Nils Anwachs, bei den memphitischen Geheimnissen und bei den pharischen Sistrums – flehe ich zu Dir: Wolle diesem Leichnam nur einen kurzen Genuß der Sonne verleihen! Wolle nur ein geringes Licht den ewig verschlossenen Augen wieder eingießen! Nicht, daß wir den Gesetzen der Natur widerstrebten noch der Erde ihr Eigentum verweigerten: nein, nur um des Trostes der Rache willen erbitten wir von Dir diesen Augenblick Lebens.‹

Durch diese Anrufung günstig gemacht, legte der Prophet dreimal ein gewisses Kraut dem Toten auf den Mund und ein[49] anderes auf die Brust. Darauf kehrt' er sich gen Aufgang und richtete ein Gebet an die Sonne, zwar nur stillschweigend, aber mit so vieler Feierlichkeit und Andacht, daß er allen Anwesenden die tiefste Ehrfurcht einflößte und eines jedweden Geist vollkommen zur Erwartung des großen Wunders vorbereitete.

Sofort mischt' ich mich unter die Menge, stellte mich dicht hinter der Bahre auf einen etwas erhabenen Stein und sah da mit neugierigen Augen dem ganzen Wesen zu.

Alsbald begann die Brust des Toten, sich zu heben; es schlägt die Pulsader. Belebt ist die Leiche!

Sie richtete sich auf und sprach:

›Warum rufst Du mich, ich bitte, zu einem augenblicklichen Leben zurück? Geleert war der lethäische Becher, schon schwamm ich auf dem stygischen Pfuhl. Laß mich, ich flehe, laß mich und störe mich in meiner Ruhe nicht!‹

Jedermann hörte ganz deutlich diese Worte.

In großem Zorne antwortete der Prophet:

›Sage unverzüglich dem Volke an, wie es mit Deinem Tode zugegangen ist, und bringe dies Geheimnis ans Licht, oder Du sollst erfahren, daß selbst die Plagegöttinnen meine Beschwörungen hören und ich nach Belieben Deine müden Glieder martern kann.‹

Da sagte der Auferweckte von der Bahre herab mit einem tiefen Seufzer zum Volke:

›Durch die Schandtat meiner vor kurzem genommenen Frau bin ich ums Leben gekommen. Sie hat mir Gift in den Trunk getan, damit ich mein Hochzeitbett noch ganz warm einem Ehebrecher einräumte.‹

Hierauf raffte sich das saubere Weibsbild zusammen, trat ihrem Manne frech unter die Augen und hieß ihn mit der gottlosesten Dreistigkeit lügen und zankte sich tapfer mit ihm herum.[50]

Das Volk tobt, ist geteilt.

›Einen solchen Ausbund von Weibern müsse man gleich mit dem Manne lebendig begraben,‹ rufen die einen.

›Die Aussage eines Toten verdiene keinen Glauben,‹ die andern.

Allein alles kam aufs reine durch folgende Rede der Leiche:

›Ich will,‹ hub sie an, abermals tief seufzend, ›ich will Euch sonnenklare Beweise geben, daß ich nichts als die lautere Wahrheit rede. Hört, was niemand sonst weiß als ich.‹

Hiermit zeigt sie mit dem Finger auf mich und fährt also fort:

›Diese Nacht, als dieser, mein treuer Hüter in seinem besten Wachen war, kamen alte Hexen und trachteten meinem Körper nach. Allein nachdem sie sich öfters in allerlei Gestalten verwandelt und doch seine genaue Achtsamkeit in nichts täuschen können, so warfen sie endlich einen Schlummernebel um ihn, vergruben ihn in den allertiefsten Schlaf und hörten dann nicht auf, mich bei Namen zu rufen, bis endlich meine kalten, erstarrten Glieder langsam und träge sich anschickten, der Magie zu gehorchen. Doch vor mir war auf das Gerufe dieser hier, der einerlei Namen mit mir führt, im Schlafe schon aufgestanden und wie ein Toter zur Tür gegangen. Allda schneiden ihm die Hexen durch das Schlüsselloch Nase und Ohren an meiner Statt ab und setzen ihm zur Verhehlung des Betrugs dergleichen aufs ähnlichste aus Wachs verfertigt, ganz genau wieder an. Er kann es selbst bezeugen. Betrachtet ihn nur, da steht er, der Unglückliche, mit dem Gelde in der Hand, das er minder der Wacht als seiner Verstümmelung wegen verdient hat.‹

Betroffen über die Neuigkeit, fuhr ich gleich, die Wahrheit zu untersuchen, mit der Hand zur Nase; sie blieb darin, ich faßte an die Ohren, sie fielen ab. Ich war wie mit kaltem Schweiße begossen.[51]

Da hätte man das Fingerzeigen, das Gegucke, das Gelache sehen sollen!

Allein wie der Blitz bückte ich mich und verschwand unter der Menge.

Und von der Zeit an habe ich mich zu Hause nicht wieder blicken lassen; denn ich war auf eine zu lächerliche Art entstellt. Ich habe die Haare auf beiden Seiten über die Schultern herunterhängen lassen und auf die Art den Mangel der Ohren verhehlt. Der fehlenden Nase Übelstand aber habe ich bestmöglichst durch dies säuberlich aufgeklebte Pflaster zu maskieren gesucht.

Sobald Telerophon seine Geschichte geendigt, erhoben die Zechbrüder alle von neuem ein großes Gelächter und fingen dann wieder an, allerhand Gesundheiten zu trinken.

Unterdessen sagte Byrrhenna zu mir:

›Morgen haben wir einen Tag, der unsrer Stadt von ihrer Erbauung an feierlich ist. Wir allein unter allen Sterblichen begehen an demselben mit lustigen und fröhlichen Gebräuchen das Fest des heiligen Gottes des Lachens. Ihre Gegenwart, lieber Vetter, wird dabei unser Vergnügen vermehren. Besonders würden Sie uns aber verpflichten, wenn Sie als ein witziger Kopf etwas erfinden wollten, was zur Verherrlichung unseres Gottes beitragen könnte.‹

›Mit Freuden, Madame, werde ich Ihrem Befehle nachkommen,‹ erwiderte ich, ›und glücklich mich schätzen, wenn ich eines Einfalls fähig bin, der einer so großen Gottheit wohlgefallen mag!‹

Jetzt erinnerte mich mein Kerl, daß es spät sei. Ich erhob mich also und empfahl mich bei Byrrhennen.

Beim Zechen hatte ich mich nicht gespart, ich taumelte, als ich nach Hause ging. Und zu unserm Verdrusse blies uns auch[52] der Wind an der ersten Straßenecke das Licht in der Laterne aus. Pechfinster war's. Was haben wir uns nicht da Zehen und Schienbeine zerstoßen und hundsmüde gelaufen, ehe wir uns wieder zu finden wußten!

Endlich, als wir in die Gasse kamen, wo wir wohnten, sahen wir drei große starke Maschinen wider unsre Tür mit aller Gewalt Sturm rennen. Unsere Dazwischenkunft zerstreute sie im geringsten nicht. Vielmehr schienen sie nur desto geflissener in ihrem Bestreben, miteinander zu wetteifern.

Wir dachten nicht anders, als daß es die entschlossensten Banditen wären.

Besonders war ich ganz fest davon überzeugt; also gleich meinen Degen unter dem Rocke hervor, wo ich ihn schon bar und blank trug, und unter sie hinunter. Ich hieb und stach fürchterlich um mich herum, bis ich endlich meine Gegner alle drei, je wie sie mir im Kampfe begegnet, vor meinen Füßen, zerstochen und zerfetzt, den Odem aushauchen sah.

Fotis, vom Tumulte erwacht, öffnete eben die Tür, als das Gefecht zu Ende war. Keuchend und triefend von Schweiß, schleppte ich mich hinein, und ermüdet von dem Siege über die vermeinten Banditen, als ob ich den dreifachen Geryon bekämpft hätte, übergab ich mich alsbald dem Bette und der Ruhe.

Quelle:
Apulejus: Der goldene Esel. Berlin 1920, S. 25-53.
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