Achtes Buch.

[185] Gegen das Hahnengeschrei kam ein Bursche aus der Stadt, ich hielt ihn für einen von den Leuten Charitens, der Dame, welche mit mir bei den Räubern gleiche Trübsal erlitten hatte. Er setzte sich zu den Knechten ans Feuer und erzählte denselben folgende wunderbare und traurige Geschichte von ihrem Tode und dem Unglücke ihrer ganzen Familie.

›Ihr Hüter der Pferde, Schafe und Rinder,‹ hub er an, ›die unglückliche Charite ist nicht mehr! Ein schrecklicher Zufall hat sie uns entrissen! Doch ist sie nicht ohne Geleite von hinnen gegangen; aber Ihr müßt alles wissen! Ich will die ganze Begebenheit von Anfang erzählen! sie wäre wert, von gelehrten Händen niedergeschrieben und für die Nachwelt aufbehalten zu werden.

In der Stadt war ein junger Ritter von sehr edler Abkunft und großem Vermögen, mit Namen Thrasyll. Schmausen, Buhlen, Zechen war sein Geschäft, Gauner seine Gesellschaft, und Menschenblut hatte schon mehrmals seine Hände befleckt. So wahr dies alles, so bekannt war es auch. Gleichwohl war er einer der Eifrigsten, die sich um Charitens Hand bewarben, als diese mannbar geworden.

Von allen Mitbewerbern der Vornehmste von Geburt, suchte er noch durch sehr ansehnliche Geschenke die Eltern für sich einzunehmen; doch umsonst! Seine schlechte Aufführung überwog, und er hatte den Schimpf, einen Korb zu bekommen.

Charite ward dem Tlepolem zugestanden.

Thrasyll ließ darum seine Leidenschaft für sie, so hoffnungslos[186] sie auch war, nicht fahren, sondern nährte dieselbe zugleich mit dem Unwillen über die erlittene Verschmähung und suchte nur durch eine blutige Tat seine Rache und Liebe zu vergnügen. Eine günstige Gelegenheit bot sich ihm dazu dar, und er ließ sie nicht ungenutzt vorbeigehen.

An dem Tage, als Charite durch die List und Tapferkeit ihres Bräutigams glücklich aus den Händen der Räuber befreit worden war, kam er, unter die Menge der Gratulanten gemischt, und tat außer sich vor Freuden über ihre gegenwärtige Erhaltung und über das darauffolgende Beilager, aus dem, wie er sagte, notwendig die allerglänzendste Nachkommenschaft ersprießen müßte.

Er ward von der Zeit an, besonders um seiner Familie willen, unter die vorzüglichsten Gastfreunde unseres Hauses aufgenommen. Weislich verbarg er seine heimliche Tücke und spielte den Herzensfreund in größter Vollkommenheit. Durch seine Gespräche, durch häufige Besuche, durch kurzweilige Gesellschaft bei der Mahlzeit, beim Weine, wußt er sich täglich mehr und mehr beliebt zu machen. Jedoch versank er darüber unversehens selbst in den tiefsten Abgrund der Liebe, und ganz natürlich! Denn der erste Funke der Liebe ist klein und erwärmt angenehm das Herz; aber wenn er durch den Umgang angefacht wird, so lodert er in Flammen auf, die endlich in wilder Glut unser ganzes Wesen verzehren.

Thrasyll dachte also lange bei sich selbst nach, wie er sich Chariten heimlich entdecken könnte. Allein, wie ihr anzukommen, da sie beständig von Leuten umgeben und bewacht war? Wie es zu wagen, ihr von seiner Liebe vorzureden, da ihre Neigung zu ihrem Gemahle im ersten Wachstume war und mit jedem Tage stärker wurde? Ja, fänd' er, welches doch im mindesten nicht wahrscheinlich, fänd' er auch Gehör bei Charite;[187] ihre jungfräuliche Unerfahrenheit würde dem Manne sogleich ihre verstohlene Liebe verraten.‹

Doch alle diese unüberwindlichen Schwierigkeiten schreckten ihn nicht ab. Einer so heftigen Leidenschaft als der seinigen, dünkte nichts unmöglich. Hört, ich bitte Euch! hört mit bekümmertem Herzen, welch einen entsetzlichen Weg seine rasende Liebe einschlug!

Eines Tages nahm ihn Tlepolem mit sich, als er Wild zu jagen ausging, wofern man anders Rehe Wild nennen kann; denn andere, mit Hauern oder Hörnern bewehrte Tiere ließ Charite aus Besorgnis ihren Gemahl nicht aufsuchen. Schon war der Hang eines dicht mit Wald bewachsenen Hügels mit Netzen umstellt, und die Jäger gingen auf den Anstand; man ließ die Spürhunde los, das im Lager liegende Wildpret aufzutreiben. Stracks verteilten sich dieselben allenthalben durch das Dickicht, und wohl abgerichtet, wie sie waren, jagten sie mit heimlichem Gekläff, bis sie Witterung aufnahmen. Nun wurden sie laut, daß weit umher der ganze Forst vom heftigsten Gebell erscholl.

Kein flüchtiges Reh stand vor ihnen auf, kein schüchtern Damtier, keine vor anderen Tieren zahme Hindin; aber ein gewaltiger Keiler, den man noch nie da gesehen hatte. Seine hangende Wamme, dick mit Kot gepanzert, gleich einem Bären über und über zottig; hoch die Borsten des Rückens gesträubt, schäumt' er vor Wut, fletschte die Zähne und drohte Gefahr aus feuerflammenden Augen. Wie ein Blitzstrahl fährt er unter die Hunde, die sich ihm am kühnsten genaht, haut rechts, links um sich her mit seinen gekrümmten Gewehren, und sie liegen tot am Boden gestreckt. Nun rennt er gerade gegen das Zeug an, stürzt es im ersten Anlauf nieder, und davon, ins Freie!

Wir alle waren schier verscheucht. Keiner anderen als gefahrloser[188] Jagden gewohnt und noch dazu ohne Waffen, ohne Schutz, stoben wir auseinander und verkrochen uns, so gut wir nur konnten, hinter Gesträuchen und Bäumen; allein dem Thrasyll dünkte dies die schönste Gelegenheit zur Ausübung hinterlistiger Anschläge.

›Ei!‹ rief er dem Tlepolem zu, ›wir werden uns doch nicht die Schande antun und, gleich den feigen Memmen da, vor Furcht und Schreck eine so fette Beute uns entwischen lassen? Unsere Pferde her! Wir müssen nach! Nimm Du einen Jagdspieß, ich nehme eine Lanze!‹

Gesagt, getan. Sie sitzen zu Pferde und sprengen hinter dem Eber her; dieser, seiner angeborenen Stärke eingedenk, stand und schien in weilender Wut zu überlegen, welcher von beiden seinen mörderischen Zahn zuerst empfinden sollte.

Tlepolem flog vorauf und schoß mit seinem Jagdspieße den Eber in den Rücken. Unterdessen richtete mein Thrasyll seine Lanze anstatt nach dem Keiler nach dem Pferde des Tlepolem und schneidet demselben die Hessen ab. Das Pferd sank sogleich, als es sich verwundet fühlte, mit dem Hinterteile nieder und warf wider Willen seinen Reiter ab. Wie dieser fiel, saß der Eber auf ihm und zerfetzte erstlich seine Kleider, als er aber aufstand, ihn selbst auf das jämmerlichste.

Nun freute der Busenfreund sich der gelungenen Tücke und hütete sich wohl, sich von der großen Gefahr zum Mitleiden rühren zu lassen. Vielmehr, indem der arme Tlepolem in Todesangst sich vor den Wunden zu decken sucht und erbärmlich um Hilfe ihn anruft, rennt er ihm seinen Spieß durch die rechte Hüfte, damit er ja auf der Stelle bliebe. Er tat's mit aller Zuversicht, da er wußte, daß diese Wunde von den Hieben des Ebers nicht zu unterscheiden sein würde. Darauf nahm er es mit dem Schweine auf, und nachdem er es mit leichter Mühe erlegt, rief[189] er uns allesamt aus unseren Schlupfwinkeln hervor und verkündigte uns den Tod unseres armen Herrn. In größter Bestürzung und Betrübnis liefen wir hinzu.

Thrasyll, ungeachtet er sich in seinem Herzen freute, daß er glücklich den Mord vollbracht, den er sich angelobt, wußte dennoch seine Freude zu verstellen und eine ernste, betrübte Miene anzunehmen. Er warf sich auf die Leiche hin, die er selbst gemacht hatte, und umarmte sie brünstigst; unterließ nichts, was der erste heftige Schmerz zu tun pflegt. Nur weinen, das konnt' er nicht!

Da er in seinem erdichteten Leide der Wahrheit des unsrigen so ganz gleichkam, so ließ sich niemand einfallen, ihn wegen des Mordes in Verdacht zu haben, und wir glaubten ihm auf sein Wort, daß der Eber unsern Herrn erschlagen habe.

Kaum war dies Unglück geschehen, so trug das Gerücht auch schon die traurige Nachricht davon nach Tlepolems Wohnung, zu den Ohren seiner unglücklichen Gattin.

Sobald diese die entsetzliche Nachricht vernommen, fährt sie halb sinnlos in wilder Hast auf, stürzt wie eine Rasende vollen Laufs durch die volkreichen Gassen, läuft querfeldein, laut schreiend über das Unglück ihres Mannes. Scharenweise und traurig strömen die Leute hinter ihr her; wer ihnen begegnet, gesellt sich und seinen Schmerz zu ihnen. Die ganze Stadt wird darüber leer.

Bereits war man zum Orte gelangt, wo Tlepolems Leichnam lag. Mit scheidender Seele sank Charite auf denselben nieder und wollte da ihr Leben aufgeben, das sie ihrem Tlepolem ganz geweiht. Mit Not ward sie noch von den Ihrigen hinweggerissen und wider Willen beim Leben erhalten.

Man nahm die Leiche auf und brachte sie im Geleite des ganzen Volkes nach dem Begräbnis.[190]

Da hättet Ihr den Thrasyll sehen sollen, wie überlaut er schrie, wie er sich zerschlug; die Tränen, die ihm bei Bezeugung der ersten Betrübnis versagt waren, die flossen ihm nun, vermutlich vor immer zunehmender Freude. Allerlei Namen der Liebe wurden von ihm verschwendet, die Wahrheit zu hintergehen; unter dem kläglichsten Leidwesen rief er beständig:

O mein Tlepolem! mein Freund, mein Gespiele, mein Kamerad, mein Bruder!‹

Ja, zuweilen fiel er Chariten in die Arme und hielt sie ab, sich den Busen zu zerschlagen; beschwor sie, ihre Trauer zu mäßigen und nicht so zu weinen, suchte durch liebreiches Zureden den Stachel des Schmerzes zu stumpfen und sie durch allerlei herbeigezogene Beispiele ähnlicher Zufälle zu trösten. Dabei vergaß er nicht, unterm Scheine der innigsten Teilnahme an ihrem Verluste das schöne Weib aufs vertraulichste zu liebkosen, und seiner häßlichen Leidenschaft durch diese ungebührliche Lust Nahrung zu geben.

Allein nach vollbrachtem Leichenbegängnisse wünschte die junge Witwe nichts sehnlicher, als ihrem Manne recht bald nachzufolgen. Sie bedachte bei sich alle Mittel dazu und wählte endlich jenes sanfte, geruhige, das keines Gewehrs bedarf, sondern dem stillen Schlafe ähnlich ist: das Verhungern.

Bleich, verfallen, sich gänzlich vernachlässigend, saß sie hin in tiefer Finsternis und hatte schon abgerechnet mit dem Leben. Doch Thrasyll ruhte nicht. Mit den dringendsten Bitten stürmt' er auf sie ein, lag unablässig durch ihre Freunde, durch ihre Eltern ihr an. Sie mußte nachgeben und ihren vor Mattigkeit, Totenblässe und Vernachlässigung entstellten Körper durch Bad und Speise wieder erquicken. Sie tat's aus Ehrfurcht vor ihren Eltern; machte aus Not eine Tugend und unterzog sich – zwar nicht mit fröhlichem, jedoch mit heiterem Gesicht – den[191] Verrichtungen der Lebendigen, so wie man es verlangte. Allein in ihrem Innern nagte Harm und Betrübnis ihr beständig am Leben. Tag und Nacht hing sie der zärtlichsten Sehnsucht unter unaufhörlichen Tränen nach. Ja, sie hatte ihren Verstorbenen unter der Gestalt des Bacchus gebildet, und stets stand sie vor ihm und erwies ihm göttliche Verehrung. Das war ihr einziger schmerzlicher Trost.

Thrasyll konnte es nicht erwarten, daß sich ihr Schmerz ausgeweint, der Sturm ihrer Seele gelegt und die höchste Betrübnis durch die Länge der Zeit sich verloren hätte. Aus Übereilung und Unbesonnenheit stand er nicht an, sich ihr zur Ehe anzutragen, da sie noch ihren Gemahl beweinte, noch ihre Kleider zerriß, noch sich die Haare zerraufte. Der einfältige Schritt deckte alle Geheimnisse seines Herzens auf und verriet sein heilloses Spiel.

Charite schauderte mit Abscheu zurück vor dem schändlichen Antrag, und nicht anders, als ob die Pest sie angehaucht oder der Strahl des Jupiter sie getroffen hätte, sank sie ohnmächtig nieder, und vergingen ihr die Sinne. Nach einer Weile kam sie zwar wieder zu sich selbst und erhob ihr jämmerliches Klagegeschrei von neuem; indessen, die Augen waren ihr nun über den abscheulichen Thrasyll aufgegangen.

Sie erteilt' ihm zur Antwort: sie könne sich nicht sogleich erklären, sie müsse die Sache erst reiflicher überlegen.

Mittlerweile erschien der Schatten des grausam ermordeten Tlepolem dem tugendhaften Weibe im Traume. Von Blut und Totenblässe war sein Antlitz entstellt.

›Du meine Gattin!‹ sprach er zu ihr, ›wenn mein Andenken Deinem Herzen wert bleibt, wird nie ein anderer also Dich nennen dürfen! Doch, hat mein unglückseliger Tod den Bund unserer Liebe zerrissen, so lebe glücklich mit jeglichem andern,[192] nur dem gottlosen Thrasyll gib Deine Hand nicht! Er sei ewig von Deinem Gespräche, von Deinem Gastmahle, von Deinem Bette verbannt! Fliehe seine blutige Rechte! Hochzeit mit ihm wäre Todschlag; denn er ist mein Mörder! Die Wunden, die Deine Tränen gebadet, waren nicht alle mir vom Eber geschlagene Wunden! Ach! allein die Lanze Thrasylls hat uns voneinander getrennt!‹

Er fügte alles übrige hinzu und entdeckte die Schandtat ganz umständlich. Charite, die, unter Betrübnis das Gesicht ins Kissen gedrückt, eingeschlummert war und selbst im Schlafe noch ihre schönen Wangen mit Tränen netzte, fuhr wie von einem Geschütz erweckt aus dem rastlosen Schlummer auf; erneute ihre Klagen, wimmerte und schluchzte, zerriß ihr Gewand und zerkratzte mit wütenden Händen ihre schönen Arme. Dennoch vertraute sie niemandem die nächtliche Erscheinung, noch tat sie, als ob ihr irgend etwas von der Ermordung ihres Mannes entdeckt wor den; aber stillschweigend beschloß sie bei sich: erst den verhaßten Mörder zu strafen und dann sich selbst vom jammervollen Leben zu befreien.

Siehe, der schamlose Freier stellte sich wieder ein und lag ihr ohne Unterlaß mit seinem Antrage, wovon ihre Seele nichts wissen mochte, in den Ohren. Was sagte er nicht, ihr Herz mit Liebe zu bestechen; wie bat und flehte er nicht in weichem Tone!

Sie verlarvte sich mit List, hörte ihn leutselig an und gab ihm zur Antwort: ›Noch schwebt Ihres Freundes, meines teuren Gemahls, reizendes Bild mir beständig vor Augen, noch schallt in meinen Ohren der liebliche Klang seiner Stimme, noch lebt mein Tlepolem ganz in diesem Herzen. Wollen Sie denn seine betrübte Witwe nicht wenigstens das von den Gesetzen bestimmte Trauerjahr abwarten lassen? Meinerseits erfordert dies der Anstand ebensosehr als Ihrerseits die Sorge für Ihre Sicherheit; denn durch unsere zu frühe Verbindung würde mein seliger[193] Mann im Grabe zum Unwillen gereizt werden und Sie, Thrasyll, würden es dann mit dem Leben entgelten müssen.‹

Thrasyll, dem nichts von Arglist schwant, begnügte sich mit dieser erhaltenen Hoffnung noch nicht, sondern fuhr ohne Schonung fort, Charitens Widerstand bei jeder Gelegenheit mit der süßesten Beredsamkeit zu bestürmen.

Endlich stellt sie sich überwunden und spricht zu ihm: ›Alles, was ich tun kann, geliebter Thrasyll, ist dies einzige, daß wir bis zur Vollendung des Trauerjahres in geheimer Vertraulichkeit miteinander leben. Allein es muß aufs Sorgfältigste vor unseren Freunden verborgen bleiben!‹

Dieser trügerische Vorschlag verfing. Thrasyll willigte mit tausend Freuden in das geheime Verständnis und hätte gewünscht, es wäre schon Nacht, damit nichts mehr seinem Glücke entgegenstände.

›So komm denn, Geliebter,‹ sprach Charite, ›komm mit einbrechender Nacht leise an meine Haustüre, aber wohlvermummt und sonder Begleitung! Du darfst einmal nur pfeifen; meine Amme soll Dein mit dem Ohre am Schlüsselloche warten. Sie wird unverzüglich Dich einlassen und im Dunkeln nach meiner Kammer führen, daß Dich niemand sieht.‹

Thrasyll war entzückt über diese Anordnung der Hochzeit, die, ach! so schrecklich ablaufen sollte. Kein Verdacht kam ihm in den Sinn. Von Ungeduld gequält, seufzt er nur über des Tages trägen Gang, über den tödlichen Verzug der Nacht.

Als endlich seinem sehnlichen Verlangen die Sonne untergegangen war und die nächtlichen Schatten herrschten, da vermummt er sich, wie es ihn Charite geheißen, stellt an der Tür sich ein, folgt der Amme, die bereits auf ihn mit Schadenfreude lauschte, still schweigend mit leisem Tritte nach und schlüpft, voll der süßesten Hoffnung, in Charitens Schlafgemach.[194]

Den Befehlen ihrer Gebieterin treu, tut die Alte mit ihm sehr freundlich und heftet ihm auf, ihre Frau sei nur noch bei ihrem kranken Vater, sie werde aber augenblicklich kommen. Unterdessen reicht sie ihm ein Glas Wein nach dem andern, worin sie heimlich einen Schlaftrunk gemischt hatte. Thrasyll, nichts Böses gewärtig, trinkt, seine Ungeduld zu täuschen, so hastig hinein, daß er nur allzu bald im härtesten Schlafe begraben, jeglicher Schmach bloßgegeben, daliegt. Nun wird Charite gerufen.

In wilder Hitze stürzt sie herbei, hängt mit männlichem Trotz über den Meuchelmörder hin und ruft: ›Ha! bist Du da, Du treuer Gefährte meines Gemahls! Du trefflicher Weidmann! Du zärtlicher Liebhaber! Ist das die Faust, die das Blut meines Herzens verspritzt hat? Sind das die Augen, denen ich zu meinem Unglück gefallen habe? Ha, sie ahnen schon die Finsternis, die hinfort sie decken wird, und kommen der Strafe zuvor! Ruhe sanft! Träume süß! Kein Dolch, kein Schwert soll Dich verletzen! Fern sei's von mir, durch ähnliche Todesart Dich meinem Gemahle gleichzustellen! Leben sollst Du, aber Deine Augen sollen ersterben, und nur im Schlafe sollst Du künftighin sehen. Ich will machen, daß Du den Tod Deines Feindes glückseliger preisen sollst als Dein Leben. Wenigstens wirst Du das Licht nicht wieder schauen und nur an fremder Hand hinfort Dich leiten. Du wirst Chariten nicht umfangen, nicht mit ihr der hochzeitlichen Freuden genießen! Wirst weder die Ruhe des Todes noch die Wonne des Lebens schmecken! Als ein elendes Scheusal wirst Du zwischen Himmel und Hölle umherwanken, wirst lange nach der Hand forschen, die Dich des Gesichts beraubt hat, und zum Übermaß des Unglücks nicht einmal wissen, über wen Du zu klagen hast, unterdessen ich am Grabe meines Tlepolem stehen und das Blut Deiner Augen ausgießen werde; ein Opfer seinem seligen Geiste! Aber was zögere[195] ich? was verweile ich Deine Strafe einen Augenblick, in dem Du Dich vielleicht noch glücklich in meinen Armen träumst? So erwache denn aus den Finsternissen des Schlafs zu anderen ewigen Finsternissen! Schlage Deine leeren Augenlider auf, erkenne meine Rache, fühle Dein Unglück und überdenke Dein Elend! Siehe, also gefallen Deine Augen einem tugendhaften Weibe, also erleuchten die Hochzeitsfackeln Deine Brautkammer! Merk auf! Die Furien sind Brautführerinnen, Blindheit ist Dein Geleite, und ewig nagendes Gewissen breitet Dir die Arme entgegen!‹

Nachdem sie also in wütender Begeisterung dem Thrasyll sein künftiges Schicksal geweissagt, nimmt sie eine Haarnadel vom Kopfe und sticht ihm die Augen aus.

Schier entfliegen diesem Schlaf und Rausch vor dem unbekannten Schmerz.

Sie aber reißt das Schwert aus der Scheide, womit ihr Tlepolem sich zu umgürten pflegte, und mit dem Vorsatz irgendeiner schrecklichen Tat läuft sie wild mitten durch die Stadt, geradenwegs zu dem Grabmale ihres Gemahls hin.

Wir anderen und das ganze Volk lassen die Häuser leer stehen, und in vollem Lauf hinter ihr her, und einer den andern ermahnt, das Schwert ihr aus den Händen zu winden!

Neben der Gruft des Tlepolem blieb sie stehen, mit dem blanken Schwerte einen jeglichen von sich abhaltend, und wie sie sah, daß alles um sie weinte und lamentierte, sprach sie:

›Trocknet diese unzeitigen Tränen, stellet diese Klagen ein; sie entehren meinen Mut! Ich habe mich gerächt an dem Meuchelmörder meines Gemahls, habe meinen schandbaren Freier gestraft. Jetzt ist es Zeit, daß dies Schwert mir den Weg zu meinem Tlepolem bahne!‹

Als sie darauf alles nach der Ordnung erzählt, was ihr Gemahl[196] ihr im Traume entdeckt hatte, und wie sie den Thrasyll durch List gefangen, stieß sie sich das Eisen durch die rechte Brust, sank zur Erde und hauchte, sich in ihrem Blute wälzend und unvernehmliche Worte stammelnd, ihre männliche, edle Seele aus.

Die Freunde nahmen alsbald den Leichnam der Unglücklichen auf, wuschen ihn ab und legten ihn zu dem Tlepolem ins Grab. Beide Gatten sind also auf ewig vereint.

Wie dies Thrasyll vernahm, wußte er nicht, wie er genugsam für alles angerichtete Unglück büßen sollte. Mit dem Schwerte sich das Leben nehmen, dünkte ihm ein viel zu leichter Tod. Er ließ sich in Tlepolems und Charitens Gruft bringen. Allda schrie er zu wiederholten Malen überlaut:

›Empfangt hier, Ihr Geister, die ich beleidigt, empfangt Euer freiwilliges Opfer!‹

Darauf schloß er fest die Türen des Grabmals hinter sich zu und ließ sich, nach eigenmächtig über sich gefälltem Urteile, Hungers sterben.

Also erzählte der Bediente aus der Stadt unter langen Seufzern und öfteren Tränen den Stutereiknechten, die ihm insgesamt mit der größten Rührung zuhörten. Sie beklagten sehr das Unglück ihrer gewesenen Herrschaft, beschlossen aber endlich, aus Furcht vor der zukünftigen davonzulaufen.

Der Gestütmeister, dem meine Pflege so eifrig war anbefohlen worden, stahl alles rein weg, was nur von einigem Werte im Hause war, packte es mir und noch anderen Tieren auf, und so wanderte er fort aus der alten Herberge. Wir trugen Weiber und kleine Kinder, trugen Hühner und Gänse, junge Ziegen und junge Hunde. Kurz alles, was nicht geschwind genug fortgekonnt und also die Flucht verweilt hätte, mußte mit unseren Füßen laufen. So überschwer auch die Last war, die[197] mir zuteil geworden, so fühlt' ich sie doch kaum, weil ich mit Freuden vor dem grausamen Räuber meiner Mannheit floh.

Wir hatten einen rauhen, waldigen Berg überstiegen und schon ein ganz Stück Wegs in der Ebene zurückgelegt, als es dämmerig ward und wir zu einer volkreichen, wohlhabenden Burg kamen. Die Einwohner warnten uns, weder in der Nacht noch des Morgens in der Frühe weiterzugehen. Sie sagten, es gäbe in der Gegend eine abscheuliche Menge großer, starker, reißender Wölfe, die alles anfielen und sogar wie Räuber den Reisenden an der Straße auflauerten; ja, jetzt triebe sie der Hunger schon so weit, daß sie in die benachbarten Dörfer einbrächen und der Menschen so wenig als des Viehes schonten. Auf dem Wege, den wir zu passieren hätten, läge mancher halbverzehrte Leichnam, manches abgenagte Gerippe. Wir sollten uns also ja vorsehen! Das Beste, was wir tun könnten, wäre, daß wir uns erst am hellen lichten Tage, wenn die Sonne schon hoch stünde, wieder auf den Weg begäben, denn das Licht mache die Tiere doch etwas schüchtern. Inzwischen müßten wir immer vor unvermuteten Überfällen auf der Hut sein und nicht einzeln zerstreut, sondern in einem dichten Haufen beisammen marschieren, sonst könne es uns dennoch übel gehen.

Allein unsere Führer kümmerten sich viel um diese heilsame Warnung! Die Schelme fürchteten weiter nichts als das Nachsetzen und suchten nur ihre heimliche Flucht bestens zu beschleunigen. Sie warteten nicht einmal, bis es hell ward, sondern gleich nach Mitternacht trieben sie uns mit unserer Ladung wieder aus.

Ich, der ich mir die bedrohte Gefahr fein hinter die Ohren geschrieben, ich stieß und drängte, was ich wußt' und konnte, damit ich nur mitten unter den anderen Eseln und Pferden zu gehen kam und meinen Hintern vor den Anfällen der reißenden[198] Wölfe deckte. Wie frisch konnte ich nicht laufen! Um nicht hinten zu bleiben, schritt ich dermaßen zu, daß sich jedermann über meine Schnelligkeit verwunderte. Furcht beflügelte mich wie einst den Pegasus, denn der ehrliche Gaul hat zuverlässig seine Flügel auch nur der Feigheit zu danken. Er fürchtete sich vor den Bissen der feuerspeienden Chimära und tat Sätze bis an den Himmel, da sagte man, er sei beschwingt!

Indessen waren unsere Treiber wie zum Treffen gerüstet. Der eine schwang eine Lanze, der andere einen Jagd-, der dritte einen Wurfspieß, der vierte einen Knüttel. Andere trugen Steine, woran es überhaupt in der felsigen Gegend nicht fehlte. Noch andere führten spitze Zaunpfähle, die meisten aber suchten durch brennende Fackeln dem Feinde Schrecken einzujagen. Es fehlte an weiter nichts als an der Trompete, so war das Kriegsheer fertig.

Jedoch unsere Furcht war vergeblich. Es traf uns aber ein anderer Unfall.

Die Wölfe, entweder vom Gelärme der gedrängt einhermarschierenden Schar oder vom hellen Glanze der Fackeln verscheucht, oder auch anderwärts streifend, fielen uns nicht allein nicht an, sondern ließen sich auch nicht einmal in der Ferne blicken. Allein die Bauern in einem Dorfe, vor dem wir nahe vorbeizogen, hielten uns, unserer Menge wegen, für Räuber, gerieten deshalb in große Bestürzung und hetzten uns ihre ungeheuren, grimmigen Hunde, ärger noch als Wölfe und Bären, die sie zur Sicherheit hatten, mit lautem, heftigem Geschrei auf den Hals. Die Bestien, von Natur böse und durch die Stimmen ihrer Herren noch mehr angereizt, stürzten wütend auf uns ein. Den Augenblick hatten sie uns umzingelt und nun Menschen und Vieh ohne Unterschied gepackt, zerbissen, zu Boden geworfen. Wahrlich, ein tragischer Anblick, wie die Rotte Hunde[199] wild unter uns wütete, hier Fliehende faßte, dort Stillstehende an der Kehle hielt oder niederzog, anderwärts Gefallene an der Erde kneterte und rechts und links, was ihr nur vorkam, mit unbarmherzigen Zähnen zerfleischte. Doch das war noch nicht alles! Es kam besser. Von den Häusern und von den nächsten Hügeln herab ließen die Bauern unablässig Steine auf uns hageln. Wir wußten nicht mehr, ob wir uns vor den Hundebissen oder Steinwürfen schützen sollten.

Endlich wurde die Frau Gestütmeisterin, die ich zu tragen die Ehre hatte, an ihr wertes Haupt getroffen. Sie fing Zetermordio zu schreien an, so daß der Herr Gemahl gleich zur Hilfe herbeieilte. Das Blut strömte ihr übers Gesicht; er wischte es flugs ab, war bemüht, es zu stillen, und rief dabei aus vollem Halse den Bauern zu:

›Aber um Gottes willen! Was fallt Ihr uns arme Leute, uns harmlose Wanderer denn so feindselig an und richtet uns zugrunde? Wir sind ja keine Räuber, die Euch Gut und Blut zu nehmen kommen, getan haben wir Euch auch nichts, und Ihr bewohnt ja weder Höhlen der wilden Tiere, noch rauhe Felsen wie Barbaren, daß Ihr Euch am Blutvergießen ergötzen könntet!‹

Kaum hatte er das gesagt, so hörte der Steinregen auf und wurden die angehetzten Bullenbeißer zurückgerufen und angenommen. Einer von den Bauern rief aus dem Wipfel einer hohen Zypresse hinunter: ›Ei, berauben wollen wir Euch nicht, wir fürchteten es aber von Euch: darum empfingen wir Euch also. So gebet immer ruhig und in Frieden weiter!‹

Äußerst übel zugerichtet zogen wir unsere Straße. Der zeigte eine große Beule von einem Steinwurfe, der eine klaffende Wunde von einem Hundebiß vor. Ein jeder hatte seinen Teil.

Als wir ein gut Stück Wegs weiter vorgerückt waren, kamen wir zu einem Walde mit hohen Bäumen und luftigen, offenen,[200] grünen Plätzen. Da gefiel es unseren Treibern, stillzuhalten, um auszuruhen und sich gehörig zu verbinden.

Sie lagerten sich hin und wieder aufs Gras, und nachdem sie sich erst ein wenig erholt hatten, sorgte jeglicher für seine Verletzung. Dieser wusch sich im vorüberfließenden Bache das Blut ab, jener legte nasse Schwämme auf eine Geschwulst. Ein anderer band wieder eine weit voneinanderstehende Wunde mit Leinwand zu. Solchergestalt waren alle beschäftigt, sich Linderung und Hilfe zu verschaffen.

Mittlerweile sah ihnen ein alter Kerl oben von einem Hügel herunter zu. Ziegen, die um ihn her weideten, kündigten ihn für einen Hirten an.

Einer von den unsern fragte denselben, ob er keine Milch oder frischen Käse zu verkaufen hätte. Er schüttelte etlich Male mit dem Kopfe und rief darauf: ›Wie? Hier denkt Ihr an Essen und Trinken oder an anderlei Erquickung? Ihr müßt nicht wissen, wo Ihr seid!‹ Mit den Worten trieb er seine Herde zusammen, schwenkte sich und zog hinweg.

Des Hirten Rede und Flucht jagte unseren Leuten keine kleine Furcht ein. Indem sie aber erschrocken nachforschten, was dies wohl für ein Ort sein möchte, doch niemand finden konnten, der ihnen Auskunft gegeben hätte, so stand mit einmal ein anderer alter Mann neben ihnen am Wege; groß, viele Jahre auf dem Nacken, krumm auf den Stab gebeugt, matt die Beine nachschleppend und übermäßig weinend.

Sobald er sie sah, umfaßte er unter dem heftigsten Tränensturze eines jeglichen Knie und bat also flehentlichst: ›Bei allem, was Euch lieb und teuer ist, bei Eurem Leben, das reich sein möge an Glück und Heil und dem meinen an Länge gleichen, helfet mir armem, schwachem Greise, rettet meinen Kleinen vom Tode und gebt ihn meinem grauen Haupte wieder! Ach, mein[201] Enkel, meines Wegs süßer Gefährte, wollte dort ein singendes Vögelchen haschen und fiel in eine tiefe unter Gesträuchen verborgene Grube. Er schwebt in der äußersten Lebensgefahr; noch aber lebt er. Er ruft mich, er schreit, er weint. Schwach, wie ich bin, kann ich ihm nicht helfen. Ihr aber, jung und stark, leicht könnt Ihr mir unglücklichem Alten die größte Wohltat erweisen und den letzten Zweig meines Stammes, meinen einzigen Nachkommen, vom Untergange erretten!‹

Also flehte er, sein graues Haar zerraufend. Alle waren von Mitleid gerührt. Ein junger Kerl, mutiger, straffer denn alle anderen und noch dazu der einzige, der unbeschädigt aus dem vorigen Treffen entronnen war, machte flugs sich auf, fragte, wo der Knabe versunken, und ging hastig mit dem Alten fort, welcher mit dem Finger nach nicht weit davon stehendem Gesträuche hindeutete.

Man ließ uns darauf weiden und sorgte ferner für sich selbst. Nach einer Weile packte man wieder zusammen und wollte weiter, allein der junge Kerl war noch nicht wieder zurück. Man schrie, man rief ihn bei Namen: er kam nicht! Man wartete länger und länger: vergebens! Endlich schickte man ihm jemand nach, der ihn aufsuchen und, wenn er sich etwa verirrt, zurechtweisen sollte.

Dieser war kaum weg, so kehrte er schon leichenblaß wieder zurück und erzählte voller Wunder, daß er den Jungen zwar gefunden und gesehen habe, aber wie! Ein entsetzlicher Drache habe auf ihm gesessen und an ihm mit großer Gier genagt; fast sei er damit zu Rande gewesen. Kein Alter aber habe sich irgendwo blicken lassen.

Als sie das hörten und mit der Rede des Hirten zusammenhielten, zweifelten sie nicht mehr, daß dieser sie vor dem Drachen, der in diesem Walde hause, habe warnen wollen. Wie[202] machten sie, daß sie von dem grausigen Orte wegkamen! Wir mochten noch so sehr eilen, dennoch war der Knüttel hinter uns her, um uns besser anzutreiben.

Nachdem wir in größter Geschwindigkeit einen weiten Weg zurückgelegt hatten, kamen wir nach einem Dorfe, wo wir übernachteten. Dort erfuhren wir eine sonderbare Geschichte, die für den Liebhaber des Erzählens schon wert ist.

Ein Sklave, dem sein Herr die Aufsicht über das Gesinde anvertraut hatte und der als Verwalter auf dem großen Gute gesessen, wo wir eingekehrt waren, hält es mit einer fremden Freien, ungeachtet er mit einer von den Sklavinnen des Meierhofes verheiratet war. Seine Frau, aus rasender Eifersucht über dies Kebsweib, legt Feuer an und verbrennt ihres Mannes Rechnungen mit allem Vorrate; ja, nicht zufrieden mit dieser Rache ihres befleckten Ehebetts, wütet sie noch gegen ihr eigen Fleisch und Blut. Sie legt sich einen Strick um den Hals, bindet daran das Kind, das sie mit ihrem Manne gezeugt, und zusamt diesem Anhange stürzt sie sich in einen tiefen Brunnen. Den Herrn reizte der Mord zum Zorne. Er ließ den Sklaven, durch dessen Liederlichkeit die Frau doch zu der Untat gebracht worden, beim Felle nehmen, splitterfasernackt ausziehen, von Kopf bis zu Fuße mit Honig beschmieren und an einen alten verfaulten Feigenstamm, worin alles von Ameisen kribbelte und wibbelte, dicht und fest anbinden. Wie die Ameisen bei ihrem Auf- und Abpatroullieren den süßen Honiggeruch witterten, fielen sie in unzähliger Menge über den armen Unglücklichen her, und unter ihren kleinen, emsigen Bissen mußte er des langsamsten, erbärmlichsten Todes sterben; sie schroteten so lange, bis alles Fleisch vom Gebein herunter war. Noch fanden wir das kahle, weiße Gerippe am Marterholze hangen.

Nachdem wir auch diesen abscheulichen Aufenthalt mit seinen[203] betrübten Bewohnern verlassen, ging es wieder weiter. Den ganzen Tag durchmaßen wir flaches, ebenes Land, bis wir ermüdet in einer vornehmen, volkreichen Stadt eintrafen. Da beschlossen unsere Treiber für immer zu bleiben; denn so weit würde niemand ihnen nachspüren, und wegen der gesegneten Fruchtbarkeit des Bodens sei hier wohlfeil zu leben.

Drei Tage lang gaben sie ihrem Vieh Ruhe, Rast und Mast, damit es desto verkäuflicher würde, und dann ging's damit zu Markte. Der Ausrufer verkündigte mit lauter Stimme eines jeglichen Preis; zu den Pferden und anderen Eseln fanden sich gar bald fette Käufer. Allein vor mir ging alles mit Verachtung vorüber; mich konnten sie nicht los werden. Zuletzt ward ich's satt, mich von müßigen Feilschern, die mein Alter aus den Zähnen beurteilen wollten, herumhudeln zu lassen, und aus Verdruß faßt ich die stinkende Hand eines derselben, der mit seinen unflätigen Fingern mir gar zu oft am Zahnfleische kratzte, und zerkaute sie brav. Das schreckte vollends alle Umstehenden von meinem Ankauf ab; mit einer so erzbösen Bestie mochte sich keine Seele behängen.

Der Ausrufer, der sich heiser und zu schanden geschrien hatte, fing nun an, sich auf meine Kosten lustig zu machen. ›Was wollen wir denn auch,‹ rief er, ›an dem ledernen Klopphengste da verkaufen? Ist er doch so abgetragen und abgelaufen, so schäbig und bei all seiner dumpfen Trägheit noch so wild, daß er auch zu gar nichts weiter taugt, als höchstens sein Fell noch zu einem Schuttsiebe. Ich dächte also, wir verschenkten ihn lieber, wenn sich anders jemand finden will, der sich das Futter, das er frißt, nicht dauern läßt.‹

Darüber entstand ein großes Gelächter unter den umstehenden Leuten.

Allein mein feindseliges Geschick, dessen schwere Hand trotz[204] meiner Flucht durch so viele Länder noch immer auf mir lag und das durch alles vergangene Elend lange noch nicht versöhnt war, blickte auch jetzt wieder mich scheel an. Ein Käufer, recht wie er sein mußte, um mein Unglück zu vollenden, mußte sich dennoch wunderbarerweise darbieten. Wißt Ihr, was für einer? – Ein alter Kastrat, ein Glatzkopf, nur auf dem Hinterhaupte noch mit einigen wenigen langen, krausen, gräulichen Haaren versehen, einer aus der Zunft desjenigen Pöbels, der mit der syrischen Göttin, beim Klange der Zymbeln und Krotalen, durch Städte und Dörfer betteln geht.

Höchst kauflustig trat er zum Ausrufer hin und fragte: ›Wo ist der Esel her?‹

›Aus Kappadozien,‹ versetzte jener, ›er hat recht Mark in den Knochen!‹

›Ist er schon alt?‹ fragte er wieder.

›Ein Sterndeuter,‹ antwortete voller Schalkheit der Ausrufer, ›der ihm neulich die Nativität gestellt hat, gibt ihm gerade fünf Jahre, aber das weiß er wohl selbst am besten aus seinem Geburtsbriefe. Übrigens, ist es gleich dem Kornelischen Gesetze zuwider, daß ich Euch einen römischen Bürger zum Sklaven verhandele, so kauft die gute ehrliche Haut immer, sie kann Euch in und außer dem Hause nützlich sein.‹

Hiermit hatte das Fragen meines allerliebsten Käufers noch kein Ende. Von einem kam er auf das andere. Endlich erkundigte er sich auch gar ängstlich, ob ich auch recht fromm sei.

O, was das betrifft,‹ erwiderte der Ausrufer, ›fromm wie ein Lamm. Er hält zu allem stille, beißt nicht, schlägt nicht; er könnte nicht besser sein, wenn gleich der duldsamste Mensch in seiner Haut steckte. Ihr könnt Euch den Augenblick davon überzeugen. Schiebt ihm nur einmal den Kopf zwischen die Schenkel, ob er nicht alles leidet.‹[205]

Also hohnneckte der Ausrufer den armseligen Schlucker.

Dieser merkte den Spott sehr gut, tat, als ob er darüber rappelköpfisch würde, und sprach:

›Möchte doch die allmächtige, allgebärende, syrische Göttin samt dem heiligen Sabazius und Bellonen, der idäischen Mutter und Venus, der Allherrscherin mit ihrem Adonis – Dich altes Totengerippe von Ausrufer auf ewig taub, stumm und blind machen, daß Du Lästerzunge mich so mit Deinem Narrenspaße zum besten hast! Denkst denn Du Gimpel, daß ich meine Göttin einem wilden Tiere anvertrauen könne? Es würde ja, sobald es kollerig würde, das heilige Bild abwerfen, und dann könnte ich mit zerstreuten Haaren umherrennen und für meine arme am Boden gestreckte Göttin einen Arzt suchen!‹

Als ich ihn so sprechen hörte, wollte ich sogleich wie besessen springen und setzen, damit er vom Kaufe abstehen möchte, wenn er mich so wild sähe; allein er war zu hitzig. Er kam meiner Absicht zuvor und bezahlte flugs die verlangten siebzehn Denar an meinen Herrn. Dieser freute sich herzlich, mich los zu werden, und säumte nicht, an einem Ginstseile mich meinem neuen Eigentümer, der Philebus hieß, zu übergeben. Er zog mich nach Hause.

Kaum hatte er die Hausschwelle betreten, so schrie er schon:

›Schaut, Mädchen! schaut doch den allerliebsten Sklaven, den ich Euch vom Markte mitbringe!‹

Diese seine Mädchen waren nichts anderes als ein Schwarm Verschnittener, die voller Freuden herbeistürzten und mit feinen, grellen Weiberstimmchen ein höchst unangenehmes Gekreisch erhoben. Sie dachten wirklich, Philebus habe irgendein junges artiges Kerlchen von Sklaven zu ihrem Dienste erkauft. Als sie sich aber betrogen fanden und nicht eine Hindin für eine Jungfrau, sondern statt eines Kerls einen Esel untergeschoben[206] sahen, zogen sie verzweifelte Gesichter und höhnten ihren Herrn aus.

›Nicht also!‹ riefen sie, ›wo wäre das ein Sklave für uns? Ein Buhle für Euch ist es! Aber Ihr werdet ihn doch nicht lediglich auf Euern Leib Euch halten, sondern uns auch zuweilen uns damit erlustieren lassen?‹

Unter diesem und dergleichen Geschnatter führten sie mich an eine Krippe und banden mich an.

Es war bei ihnen ein junger, ziemlich vierschrötiger Kerl, ein geschickter Zinkenist, der für das Geld, das sie ihrem Maule abgespart hatten, war angeschafft worden. Bei den Umzügen mit der Göttin mußte er auf dem Zinken blasen; zu Hause bedienten sie sich desselben um die Wette zu ihren Lüsten. Sobald dieser mich sah, bracht' er mir von freien Stücken reichlich zu essen und sprach erfreut zu mir:

›Herzlich willkommen, teurer lieber Vicarius des allerschmutzigsten Dienstes in der Welt! O möchtest Du recht lange leben und unseren Herren gar wohlgefallen, damit ich nicht völlig ausgemergelt werde und wieder ein wenig zu Kräften komme!‹

Als ich das hörte, ging mir über meine künftige Bestimmung der heiße Greuel an.

Andern Tags legte die gesamte Priesterbande Gewänder von allerlei Farben an, putzte sich aufs lächerlichste heraus, schminkte sich zierlich das Gesicht, malte die Augenbrauen und zog in Prozession aus. Einige von ihnen mit safrangelben, leinenen, auch seidenen Binden, weiß und purpurn gestreiften Kleidern, von einer Schärpe umgürtet, und mit braunen Schuhen, setzten die Göttin, in einen seidenen Mantel gehüllt, auf meinen Rücken. Die Arme entblößt bis an die Schultern, große Schwerter und Äxte schwingend, hüpften sie jauchzend[207] einher; von dem Geflüster der Flöten je mehr und mehr zu ihrem ekstatischen Tanze ermuntert.

Nachdem sie vor vielen schlechten Hütten vorübergezogen, kamen sie zum stolzen Landsitze eines vornehmen Reichen. Mit dem ersten Fuß, den sie hineinsetzten, gerieten sie in fanatische Wut, erhoben ein mißtönend Geheul und machten das seltsamste Getümmel. Sie wirbelten lange mit gesenktem Haupte, den Hals aufs sonderbarste biegend und wendend und das lose Haar schüttelnd, im Kreise herum. Zuweilen bissen sie sich in die aufgeschwollenen Muskeln, und zuletzt zerritzten sie sich gar die Arme mit ihren zweischneidigen Schwertern.

Einer unter ihnen raste noch toller als die übrigen; er rollte fürchterlich die Augen, schnaufte, brauste, schäumte, stellte sich wahnsinnig: und das zum Beweis, daß er ganz göttlichen Geistes voll sei, gerade als müsse die Gegenwart der Götter den Menschen nicht stärken und erheben, sondern schwächen und niederdrücken. Aber hört, was die göttliche Vorsehung ihm dafür zum Lohne gab!

Sie ließ ihn überlaut weissagen; gleißnerisch sich selbst anklagen, als habe er sich gegen die heilige Religion einer Sünde schuldig gemacht, und zur Buße für sein schweres Verbrechen eigenhändige Kasteiung von sich seihst fordern. Nun nahm er eine Geißel, welche dergleichen dies Halbmannsgesindel immer führt, mit einer wollenen Schnur, die unten weit aufgefasert und mit vielen spitzigen Schafknöchelchen versehen ist, und zerpeitschte sich damit gottserbärmlich, ohne jedoch die allergeringste Empfindlichkeit gegen den Schmerz erblicken zu lassen.

Der Boden schwamm vom Blute, das aus den Schnitten und Hieben dieser Weiblinge floß. Ich geriet über solch ein Blutvergießen in die größte Angst. Ich fürchtete, die fremde Göttin[208] möchte endlich auch noch auf Eselsblut (wie manche Leute auf Eselsmilch) Appetit bekommen. Indessen, sie wurden endlich müde oder vielmehr sie hatten es satt, sich weiter zu zerfleischen, und machten der Schinderei ein Ende. Die Leute drängten nun herbei und schenkten ihnen reichlich eherne, ja auch silberne Münzen, die sie mit aufgehaltenem Schoße einsammelten; auch gab man ihnen ein Faß Wein, Milch und Käse und Roggen-und Weizenmehl; ja sogar Gerste für den Träger der Göttin.

Sie rafften alles sehr gierig zusammen, taten es in Säcke, welche sie mit Fleiß dazu eingerichtet hatten, und hingen es mir über den Rücken, so daß ich gedoppelt schwer zu tragen hatte und zu gleicher Zeit als Magazin und als Tempel einherging. Solchergestalt zogen sie beständig umher und setzten die ganze umliegende Gegend in Kontribution.

Erfreut über ihre gesegnete Ernte, wollten sie sich nun einmal traktieren. Was haben sie zu tun? Als sie nach einer Burg kommen, wird ein Orakel geschmiedet: ›Es hungere die syrische Göttin, der Pächter solle ihr einen fetten Hammel zum Opfer bringen.‹

Das geschieht. Nun richten sie die leckerste Mahlzeit zu, gehen ins Bad, waschen sich und lesen sich da einen recht stammhaften, wohlversehenen Bauernkerl aus, den nehmen sie mit zu Gaste.

Kaum ist die Vorkost berührt, als schon das ausgelassene Gesindel sich der abscheulichsten Unzucht überläßt. Nackend wird der arme Bauer ausgezogen, und alle sind zugleich über ihn her und muten ihm die allerschändlichsten Dinge zu.

Ich konnte diese Greuel nicht mit ansehen. ›O ihr Bürger, Hilfe!‹ wollte ich rufen; allein nichts als O und keine Silbe weiter kam heraus, doch laut und so stark, daß sich dessen kein Esel zu schämen gehabt hätte.[209]

Ich hätt's nicht besser treffen können; denn in verwichener Nacht hatte man aus dem nächsten Dorfe einen Esel gestohlen. Die Eigentümer desselben hatten schon vergeblich danach in allen Herbergen umhergesucht. Sie hörten mein Gigaken im Innern des Hauses, dachten, man halte ihr Tier in irgendeinem Schlupfwinkel verborgen, und stürmten, desselbigen wieder habhaft zu werden, Knall und Fall zu uns in die Stube herein, wo sie denn die Unfläter bei ihrem heillosen Spiele überrumpelten. Augenblicklich riefen sie die Nachbarn zusammen und eröffneten ihnen diesen schmutzigen Auftritt, nicht ohne den bittersten Spott über die keusche Zucht der hochehrwürdigen Herren. Im Nu wußte es alle Welt.

Die Priester wußten sich vor Schimpf und Schande nicht zu bergen. Hurtig packten sie alles zusammen und machten sich bei Nacht und Nebel aus dem Staube.

Nachdem wir noch vor Sonnenaufgang ein großes Stück Wegs gemacht, befanden wir uns mit Tagesanbruch in einer abgelegenen einsamen Gegend. Da steckten sie eine Weile die Köpfe zusammen, und das Ende vom Liede war, mit mir das Garaus zu spielen.

Sie nahmen mir die Göttin vom Rücken und setzten sie auf die Erde, zogen mir alle Decken ab; und somit an eine Eiche mich gebunden und mit der zusammengekettelten, mit Tierknöchelchen bewaffneten Geißel schier zu Tode gehauen! Einer wollte mir sogar mit der Axt die Hessen abhacken, daß ich so öffentlich seine unbescholtene Tugend befleckt hätte; doch die übrigen widersetzten sich, zwar nicht um meinetwillen, sondern wegen der am Boden liegenden Göttin. Also kam ich noch mit dem Leben davon. Sie packten mir alles wieder auf, und mit flachen Degen mich vor sich hertreibend, gelangten sie zu einer ansehnlichen Stadt.[210]

Wie sie hierselbst ihre Zymbeln und Trommeln ertönen ließen und die sanfte Weise des phrygischen Gesanges anstimmten, kam ihnen alsbald ein vornehmer, religiöser, ausnehmend gottesfürchtiger Herr entgegen, flehte demütig die Göttin, bei ihm einzukehren, nahm uns insgesamt mit in seinen weitläufigen Palast und trachtete durch die tiefste Verehrung, durch die fettesten Opfer, sich unsere Gottheit geneigt zu machen.

Allhier war es, ich erinnere mich dessen gar wohl, wo ich die allergrößte Lebensgefahr lief.

Ein Pächter hatte unserem Wirte, seinem Herrn, eine schöne feiste Hirschkeule zum Geschenk gemacht. Man hatte sie, unvorsichtigerweise, nicht allzu hoch hinter der Küchentüre aufgehängt, und ein Jagdhund, der sie ausgewittert, hatte sich, höchst vergnügt über den Fund, derselben bemächtigt und heimlich davongeschlichen. Sobald der Koch diesen Verlust inne ward, machte er sich die größten Vorwürfe über seine Nachlässigkeit und lamentierte und weinte entsetzlich. Was sollte er seinem Herrn nun zu essen vorsetzen? Er hatte von dessen Unwillen alles zu fürchten. Aus Verzweiflung läuft er hin, nimmt von seinem kleinen Sohne zärtlichst Abschied und holt dann einen Strick und will sich erhängen.

Zum Glück erfuhr sein treues Weib noch zur rechten Zeit, was ihm begegnet. Sie läuft zu ihm, reißt ihm den unglücklichen Strick aus den Händen und spricht:

›Du hast ja wohl über Dein Unglück den Verstand verloren, daß Du nicht einmal das Rettungsmittel siehst, was Dir die barmherzigen Götter in dieser Not beschert haben. Bist Du noch irgendeiner vernünftigen Vorstellung fähig, so sammle Dich und höre mich an: Führe den fremden Esel da abseits und schlachte ihn. Löse ihm dann eine Keule just so ab, daß sie wie die verlorene aussieht, richte sie mit einer schmackhaften Brühe zu[211] und trage sie keck dem Herrn auf; ich gebe Dir mein Wort, er merkt es nicht!‹

Der verdammte Kerl ließ sich den Rat, sein Leben durch meinen Tod zu retten, wohlgefallen. Hoch strich er die Klugheit seiner trauten Hälfte heraus und ging alsofort und schärfte sein Schlachtmesser, um ihren Vorschlag zu vollziehen.

Quelle:
Apulejus: Der goldene Esel. Berlin 1920, S. 185-212.
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