Zehntes Buch.

[249] Ich weiß nicht, was den folgenden Tag aus meinem armen Herrn, dem Gärtner, geworden sein mag; denn der Soldat, der seiner überschwenglichen Grob- und Frechheit halber so brav war ausgeprügelt worden, zog mich, ohne jemandes Widerrede, aus meinem Stalle und führte mich, wie es mir vorkam, nach seinem eigenen Quartier. Nachdem er mich allda mit seiner Bagage bepackt und recht militärisch ausgeputzt und gerüstet hatte, nämlich alle seine Waffen, wie es bei der Armee gehalten wird, überm Gepäck oben sehr zierlich angebracht, den blitzenden Helm, den spiegelnden Schild, ja sogar auch eine baumlange Lanze, die er nach der Regel zwar nicht brauchte, sondern nur den armen Reisenden zum Schrecken führte, begab er sich mit mir auf den Marsch.

Nach einem nicht allzu mühsamen Weg durch eine Ebene gelangten wir zu einem Städtchen, wo wir in keinem Gasthof, sondern in der Wohnung eines Rittmeisters einkehrten. Der Soldat empfahl mich einem Knechte und verfügte sich hurtig zu seinem Obersten.

Ich erinnere mich, daß sich nach einigen Tagen daselbst eine höchst gottlose Geschichte zutrug, die ich hier einrücken will, damit Ihr sie auch erfahrt.

Unser Hausherr hatte einen trefflich unterrichteten und, demzufolge, höchst tugendhaften und bescheidenen Sohn; möge der Himmel einem jeglichen von Euch einen ähnlichen bescheren! Dieses jungen Menschen Mutter war schon vorlängst verstorben; der Vater hatte ihm aber eine Stiefmutter gegeben, mit[250] welcher er noch einen Sohn gezeugt, der bereits über zwölf Jahr alt war.

Es sei nun, daß diese Dame, die überhaupt im Hause mehr ihrer Schönheit als ihres Charakters wegen geachtet wurde, von Natur unzüchtig war, oder daß nur ihr böses Geschick sie zu der äußersten Schandtat hintrieb. Genug, sie warf ein Auge auf ihren Stiefsohn. – Mache Dich nunmehr, bester Leser, nicht auf ein Lust-, sondern auf ein Trauerspiel gefaßt! Jetzt verlasse ich die Socken und gehe auf Kothurnen einher.

Anfangs, als das erste zärtliche Verlangen in das Herz der Dame einschlich und sanft ihre Wangen rötete, bekämpfte sie es zwar und unterdrückte es stillschweigend; allein als endlich der Liebe ganze Glut unbändig in ihrem Innern tobte, da verließen sie die Kräfte, und sie erlag unter der Gewalt der Leidenschaft.

Sie stellte sich unpäßlich und verbarg die Wunde ihrer Seele unter einer vorgegebenen Krankheit des Leibes. Wie leicht dies sei, weiß ein jeder, da Kranke und Liebende einander nicht allein im schmachtenden Ansehen, sondern auch im übrigen Befinden vollkommen ähnlich sind. Totenbleich war ihr Gesicht; ihre Augen matt, es zitterten ihre Knie. Sie schlief äußerst unruhig und stöhnte ohne Ende.

Man glaubte, sie habe das Fieber; nur daß sie auch weinte!

O der blödsinnigen Ärzte! Nicht zu merken, was ein heftig schlagender Puls, eine innere Hitze, ein schwacher Atem, ein öfteres Herumwerfen von einer Seite zur anderen andeuten! Doch braucht's, ihr guten Götter, der Arzneikunde so wenig und nur einigermaßen Bekanntschaft mit der Liebe, um das Rätsel einer sonder körperliche Hitze brennenden Kranken auf den ersten Blick zu erraten!

Aufs äußerste getrieben vom Übermaße ihrer Leidenschaft, entschloß sich zuletzt die Dame, das lange gehaltene Stillschweigen[251] zu brechen. Sie ließ den Gegenstand ihrer Liebe, ihren Stiefsohn – ach! daß sie ihn mit keinem andern Namen benennen konnte, um nicht zu erröten! – zu sich rufen. Er kam sofort, dem Befehle seiner kranken Stiefmutter gehorsam, und mit einem männlichen Ernst trat er in das Schlafgemach der Gattin seines Vaters und der Mutter seines Bruders.

Sie, die Augenblicks zuvor so fest entschlossen war, das Geständnis ihrer Liebe zu wagen, versank jetzt mit einmal wieder in die alten Zweifel und Bedenklichkeiten. Noch einmal sträubte ihre Tugend sich. Sie hat das Herz nicht mehr, ein Wort von dem hervorzubringen, was ihr vorher zur gegenwärtigen Unterredung schicklich geschienen. Sie weiß nicht, was sie sagen soll. Sie stammelt. Sie stockt.

Mit niedergeschlagenen Augen kam der Jüngling, der noch nichts Böses ahnte, ihrer Verlegenheit durch eine Erkundigung nach der Ursache gegenwärtiger Krankheit zu Hilfe.

Nun hat sie wieder Mut, die unglückliche Gelegenheit der Einsamkeit zu nutzen. Sie bedeckt sich das Gesicht mit ihrem Kleide, und unter einem Strom von Tränen spricht sie also mit zitternder Stimme:

›Wisse, die einzige Ursache und Quelle meines Leidens sowie das einzige Rettungsmittel meines Lebens und meiner Wohlfahrt bist allein Du! Deine Augen sind, ach! durch die meinen in mein Herz gedrungen und haben mein innerstes Mark entzündet. Oh, erbarme Dich meiner, die um Dich stirbt! und verbanne die Furcht vor Deinem Vater; erhältst Du ihm doch seine sterbende Gattin! Ach, ich liebe Dich bloß, weil Du sein wahres Ebenbild bist; und ich liebe Dich mit Recht! Nutze nur Zeit und Gelegenheit und sei außer Sorge! Wir sind allein; ungewußt ist ungetan.‹

Bestürzt über diese unerwartete Zumutung, stutzte der[252] Jüngling. Der bloße Gedanke, sich so sträflich an seinem Vater zu vergehen, machte ihn im Herzen schaudern; dennoch faßte er sich, und um durch unzeitige Strenge seine Stiefmutter nicht aufzubringen, suchte er lieber durch leere Versprechungen, sie zu täuschen. Er beschwor sie, sich nur vor der Hand zu beruhigen und für ihre Gesundheit und Wiederherstellung Sorge zu tragen, bis durch irgendeine Reise sein Vater ihnen freiere Gelegenheit gäbe, ihre beiderseitigen Wünsche zu vergnügen. Und schüchtern floh er der Verführerin aus den Augen.

Um sich bei diesem unglücklichen Vorfall desto besser zu beraten, verfügte er sich sogleich zu seinem alten vormaligen Hofmeister, einem Manne von bewährter Klug- und Rechtschaffenheit. Nach langer Überlegung schien ihnen nichts heilsamer, als durch eine schnelle Flucht dem Ungewitter zu entgehen, welches das zürnende Glück zusammenzöge.

Indessen die Dame liebte viel zu heftig, als daß sie den mindesten Verzug hätte leiden können! Nur allzubald hatte sie durch irgendeine unbegreifliche List ihren Gemahl dazu bewogen, nach seinen entlegensten Gütern eine Reise zu unternehmen, und kaum daß er fort war, so überließ sie sich dem Taumel ihrer üppigen Hoffnung und forderte vom Jünglinge die Erfüllung seines Versprechens.

Unter bald diesem, bald jenem Verwande wußte der Jüngling ihr eine Zeitlang auszuweichen. Sie merkte aber endlich aus seinen mannigfaltigen Antworten nur gar zu deutlich, wo er hinauswollte. Und dies merken und ihre abscheuliche Liebe in einen noch weit abscheulicheren Haß verwandeln, war eins.

Sie macht einen Sklaven, der ihr von Hause war mitgegeben worden, einen erzverruchten Bösewicht, zu ihrem Vertrauten und geht mit demselben über ihre gottlosen Absichten zu Rate. Nichts schien ihnen besser, als den armen jungen Menschen aus[253] dem Wege zu räumen. Also ging der Gaudieb gleich, holte das geschwindeste Gift, mischt' es mit Wein und hielt es zu dessen Hinrichtung bereit. Allein, während sie noch zusammen über die Art und Weise beratschlagen, wie es dem armen Unschuldigen beizubringen sei, kommt der jüngere Bruder desselben, der Dame leiblicher Sohn, nach den Frühstunden aus der Schule heim. Es dürstet ihn, weil er eben gegessen hatte. Er sieht den Wein, läßt sich ja nicht einfallen, daß Gift darin gemischt sei, und trinkt ihn rein aus.

Kaum hatte er den, seinem Bruder bereiteten, Trank hinunter, so sank er bewußtlos zur Erde. Erschreckt durch einen so plötzlichen Tod, erhob der Hofmeister ein so jämmerlich Geschrei, daß Mutter und Gesinde hinzulief. Es war klar, daß der Wein vergiftet gewesen, doch niemand wußte, wem die Schuld davon beizumessen. Einer hatte den andern in Verdacht. Das grausame Weib verriet sich nicht. Ja, als ein echtes Muster stiefmütterlicher Bosheit ließ sie sich nicht vom herben Tode ihres rechten Sohnes, nicht vom Bewußtsein eines Meuchelmords, nicht vom Unglück ihres Hauses, nicht von dem Schmerze rühren, welchen der Verlust seines Kindes dem Vater verursachen mußte; sondern einzig darauf bedacht, aus diesem unglücklichen Zufall für ihre Rache Vorteil zu ziehen, schickte sie hurtig einen Läufer an ihren Gemahl ab, der ihm die Botschaft von der Ermordung seines Sohnes hinterbringen mußte. Und als der unglückliche Vater auf diese traurige Nachricht in aller Geschwindigkeit nach Hause zurückgekehrt, klagte sie mit teuflischer Ruchlosigkeit ihren Stiefsohn bei demselben an: Mit seinem Gifte sei ihr Sohn vergeben worden.

In der Tat war dies keine Lüge, da der Knabe an dem Gifte gestorben, das eigentlich dem Bruder zugedacht gewesen; doch also wollte sie es nicht verstanden wissen. Ihr Stiefsohn hatte[254] ihr in ihrer sträflichen Begierde nicht zu Willen sein, hatte an seinem Vater nicht zum Blutschänder werden wollen. Für einen Brudermörder sollte er also angesehen werden! Und hiermit noch nicht zufrieden, setzte sie hinzu: Sie selbst drohe er mit seinem Schwerte zu durchbohren, wo sie nicht verschwiege, was er ihr Schändliches zugemutet.

Dem armen Rittmeister brach das Herz vor Gram über den Verlust seiner beiden Söhne; denn beider sah er sich schon im Geiste verlustig; der jüngste lag auf der Bahre, und der älteste, Brudermords und Blutschande schuldig, hatte nur allzu gewiß sein Leben verwirkt.

Doch die verstellten Klagen seiner leider! zu zärtlich geliebten Gemahlin besiegten bald in ihm das Vaterherz und flammten ihn so sehr mit dem äußersten Haß gegen sein eigen Blut an, daß, sobald nur die Leichenbestattung seines Jüngsten vollbracht war, er, das Gesicht von noch frischen Tränen beströmt, das graue Haar von Asche beschmutzt, geraden Weges nach dem Gerichtsplatz hinlief und, unbewußt des entsetzlichen Betruges seiner Frau, mit Tränen, mit fußfälligen Bitten, kurz, mit dem heftigsten Affekt die Richter um Rache gegen seinen einzigen Sohn anflehte, indem er mit der innigsten Wehmut denselben öffentlich anklagte: Er habe das Bett seines Vaters mit Blutschande befleckt, Meuchelmord an seinem Bruder verübt und seiner Stiefmutter den Tod angedroht!

Der Anblick des jammernden Greises erregte bei Rat und Volk so viel Mitleid, daß man aus Unwillen gegen den Angeklagten alle Form Rechtens als langweilig und überflüssig verwarf und, ohne die nötigen Beweise des Klägers noch die förmliche Verteidigung des Beklagten anzuhören, einhellig schrie: ›Zu Tode gesteinigt das Unkind! Zu Tode gesteinigt den Auswurf der Natur!‹[255]

Indessen der Oberrichter, der nicht ohne Grund befürchtete, es möchte endlich aus diesem in seinem Anfange unbedeutenden Unwillen ein Unfug entstehen, der sowohl für ihn selbst als für die bürgerliche Ordnung und für die ganze Stadt verderblich werden könnte, widersetzte sich laut diesem raschen Ausspruch. Er erhob sich und ersuchte höflichst seine Herren Kollegen, den Bürgern aber gebot er ernstlich, die Sache nach der Väter Weise zur gerichtlichen Erörterung gedeihen zu lassen. Es gezieme sich keineswegs, einen Ausspruch zu tun, bevor nicht die Gründe und Gegengründe beider Parteien kaltblütig geprüft wären. Er würde nimmermehr zugeben, daß jemand bei ihnen wie bei wilden babarischen Nationen oder bei selbstherrischen Tyrannen unverhörter Sache verurteilt und der Welt mitten im Frieden ein so abscheuliches Beispiel von Ungerechtigkeit gegeben würde!

Diese kluge Vorstellung war nicht fruchtlos. Augenblicklich erhielt der Herold Befehl, auszurufen: ›Die erwählten Väter sollen zu Rate sitzen!‹

Sobald ein jeglicher nach seinem Range Platz genommen, trat abermals auf des Herolds Ruf der vorige Ankläger auf. Auch der Beklagte ward vorgeladen und eingeführt, und wie im Marsgerichte zu Athen ward den Sachwaltern angedeutet, sonder Einleitung in die Reden und ohne Erregung der Leidenschaften zu sprechen!

Daß sich dies alles so zugetragen, weiß ich aus verschiedenen Gesprächen, die ich mitanzuhören Gelegenheit hatte. Mit welchen Worten aber Ankläger seine Klage vorgebracht und wie Beklagter sich dagegen verteidigt, ferner ihre gegenseitigen Repliken, Dupliken, Tripliken weiß ich nicht, da ich nicht selbst dabei zugegen gewesen, sondern daheim an meiner[256] Krippe blieb, und was ich nicht weiß, kann ich Euch auch nicht erzählen. Doch was ich sonst erfahren, will ich treulich hier niederschreiben.

Nachdem der Wortwechsel beider Parteien ein Ende genommen, tat der Rat folgenden Spruch: ›Die Wahrheit so schwerer Beschuldigungen sei durch gründliche Beweise an den Tag zu legen. Verdacht und Mutmaßung allein seien nicht hinlänglich. Kläger müsse notwendig den Sklaven stellen, der ganz allein um die Sache wissen solle‹.

Es geschah.

Allein dieser Schurke, den weder der Ungewisse Ausgang dieses großen Gerichts noch der Anblick der hochansehnlichen Ratsversammlung oder sein böses Gewissen aus der Fassung zu bringen vermochten, erzählte lauter selbsterdichtete Lügen her, die er für die wirkliche Wahrheit ausgab. Er sagte aus:

Der Jüngling habe aus Unwillen, daß er bei der Stiefmutter kein Gehör gefunden, ihn zu sich gerufen, habe, um an derselben sich zu rächen, ihm aufgetragen, ihren Sohn umzubringen, habe ihm eine große Belohnung für seine Verschwiegenheit versprochen, habe auf seine Weigerung ihn zu erstechen gedroht, habe ihm eigenhändig zubereitetes Gift gegeben, um es seinem Bruder beizubringen; habe aber endlich aus Verdacht, als zaudere er nur mit der Vergiftung, um ihn zu verraten, dem Kinde den Giftbecher mit eigner Hand gereicht.

Nach dieser mit aller Wahrscheinlichkeit ausgeschmückten und mit verstellter Furcht vorgebrachten Aussage des Bösewichts schritt man zum Rechtsspruch.

Keiner der Richter blieb dem Jüngling günstig genug, um ihn nicht als offenbar überführt zum Säcken zu verurteilen.

Bereits sollten die Stimmtafeln, die insgesamt mit dem Zeichen der Verdammung beschrieben waren, nach uralter Sitte[257] in die eherne Urne geworfen werden. Dies getan, wäre das Schicksal des armen Beklagten unwiderruflich entschieden gewesen, und er wäre unverzüglich den Händen des Nachrichters zur Vollziehung des Urteils überliefert worden.

Allein ein alter grauköpfiger, biederer Ratsherr, ein Arzt von anerkannter Geschicklichkeit, hielt mit der Hand die Öffnung der Urne zu, damit niemand seine Stimmtafel hineinwürfe, und sprach also zur Versammlung:

›Da Sie, meine Herren, mich in diesem hohen Alter mit Ihrer Achtung beehren, freue ich mich, daß ich so lange gelebt habe, und um so weniger kann ich jetzt zugeben, daß an diesem fälschlich beschuldigten Jüngling ein offenbarer Meuchelmord begangen werde noch daß Sie, von einem nichtswürdigen Sklaven belogen, wider Eid und Pflicht richten. Religion und Gewissen fordern von mir Gerechtigkeit. Hören Sie, wie sich die Sache eigentlich verhält!

Vor kurzem kam der Schurke da (auf den Sklaven zeigend) zu mir und bot mir hundert Goldstücke, wenn ich ihm das allerschleunigst wirkende Gift verkaufen wollte; es sei für einen Kranken, der unsäglich an einem unheilbaren Übel leide und sich dadurch von der Qual des Lebens befreien wolle. Ich merkte zwar bald aus dem üblen Zusammenhang seiner Reden Unrecht; gleichwohl gab ich ihm einen Trank, doch nahm ich Bedacht auf die darauf zu erwartende Untersuchung und nahm das mir gebotene Geld nicht so schlechtweg an, sondern sagte: Da leicht eins von den Goldstücken unwichtig oder falsch sein könnte, so möchte er sie mir lieber mit seinem Petschierringe in dem Beutel versiegeln; morgen wollten wir sie zusammen in Gegenwart eines Wechslers untersuchen. Er tat's, und er ist gefangen! Sobald dieser (auf den Jüngling zeigend) vor Gericht gefordert wurde, schickte ich gleich in aller Geschwindigkeit[258] jemand von meinen Leuten nach diesem Gelde. Hier ist's, ich zeige es öffentlich vor! Lassen Sie's ihn besichtigen, meine Herren, ob er es nicht am Siegel für das seinige erkennen wird? Und dann frage ich: Hat dieser Kerl das Gift von mir gekauft, wie kann dann der Jüngling des Brudermords bezichtigt werden?‹

Damit ergriff den Bösewicht ein mächtiges Zittern und Beben; an die Stelle seiner lebhaften Gesichtsfarbe trat schreckliche Totenblässe, und ein kalter Schweiß floß ihm über alle Glieder. Nicht einen Augenblick stand er stille vor Unruhe; bald kratzte er sich hier, bald da am Kopfe. Er murmelte unverständliche Worte zwischen den Zähnen daher oder schwatzte lauter dummes Zeug.

Alle Welt erkannte ihn stracks für schuldig.

Indessen, es währte nicht lange, so hatte sich der Ruchlose wieder ermannt; er leugnete alles und hieß den Arzt mit der größten Hartnäckigkeit lügen.

Der alte, ehrliche Arzt, den Eid und Pflicht zur Gerechtigkeit verbanden und der so öffentlich seine Rechtschaffenheit in Zweifel ziehen sah, wendete alle ersinnliche Mühe an, den verstockten Bösewicht zu widerlegen. Umsonst!

Endlich bemächtigten sich auf des Rats Befehl die Gerichtsdiener des Schelmes Hände und fanden ein eisernes Petschier, das mit dem Siegel des Beutels zusammengehalten wurde. Beider vollkommene Übereinkunft bestärkte den vorgefaßten Verdacht.

Nun ließ man, wie es der Gebrauch bei den Griechen ist, Folterrad und Folterbank herbeibringen und tat, als solle der Missetäter hierauf gespannt werden; doch es rührte ihn nicht! er blieb standhaft. Ja, mit Feuer und Geißel setzte man ihm zu: aber auch das vergebens! er gestand kein Wort.[259]

›Ich werde nimmermehr dulden,‹ sprach darauf der Arzt, ›wahrlich! ich werde nicht dulden, daß die Unschuld wider Recht und Gerechtigkeit den Tod leide, während dieser Bösewicht, unseres Urteils spottend, seiner wohlverdienten Strafe entrinne! Sehen Sie hier, meine Herren, ein neues, untrügliches Kennzeichen der Wahrheit meiner Aussage!

Als der gottlose Schurke da zu mir kam, das heftigste Gift zu kaufen, so glaubt' ich, es gezieme sich nicht für mich und meinesgleichen, irgend jemand etwas zu geben, das ihn töten könne, da die Medizin dem Menschen das Leben zu erhalten erfunden ist, nicht aber, es ihm zu rauben. Ich fürchtete indessen auch, wenn ich ihm sein Begehren geradezu abschlüge, so möcht' ich durch diese unzeitige Weigerung nur desto mehr zur Vollbringung seiner vorhabenden Schandtat beitragen, indem er unfehlbar entweder anderwärts tödliches Gift kaufen oder auch wohl mit einem Dolche oder anderen Gewehr seinen bösen Anschlag ausführen würde. Also gab ich ihm nicht Gift, sondern nur Alraun, das, wie bekannt, einen plötzlichen, todähnlichen Schlaf bewirkt. Er weiß das nicht, der Bösewicht. Im Wahne nun, daß er sich wirklich des Todes schuldig gemacht, nimmt er lieber mit der Folter fürlieb, als daß er bekennen sollte. Indessen, hat das Kind den von meinen Händen zubereiteten Trank bekommen, so ist es nicht tot! es ruht nur, es schläft! Rüttelt es; der schwere Schlummer wird sogleich verfliegen, und es wird wieder zum Tageslichte hervorgehen. Falls es aber nicht wieder erwacht, falls es jenen ewigen Totenschlaf schläft, so hat es mit der Ursache seines Todes eine andere Bewandtnis. Untersuchen Sie!‹

Die Rede des alten Graukopfs erhielt Beifall. Man ging stracks in großer Eile zum Grabmale, wo der Körper des Kindes war beigesetzt worden. Kein einziger von den Ratsherren, kein[260] Vornehmer, kein Geringer blieb zurück. Die Neugier trieb sie alle dahin.

Mit eigenen Händen hob der Rittmeister selbst die Decke des Sarges ab. Sowie er das Kind rüttelte, siehe, so ermunterte es sich aus dem Schlafe und stand vom vermeinten Tode wieder auf. Entzückt fiel ihm der Vater um den Hals, zeigte seinen wiedererhaltenen Sohn mit lallender Freude dem Volke und trug ihn, eingehüllt in Leichentücher, wie er war, auf seinen Armen vor Gericht.

Die Schandtat des ruchlosen Sklaven und der noch ruchloseren Stiefmutter wurde nunmehr entdeckt, und die nackte Wahrheit kam an den Tag. Das Weibsbild wurde auf ewig ins Elend verwiesen, der Sklave aufgehängt; dem biedern Arzt aber wurde mit allgemeiner Übereinstimmung der mit Gold angefüllte Beutel zugestanden für den so sehr zur gelegenen Zeit angebrachten Schlaftrunk.

Also endigte sich, zu nicht geringer Verherrlichung der göttlichen Vorsicht, diese so verworrene tragische Begebenheit des alten Rittmeisters, der sich in so kurzer Zeit völlig kinderlos und wiederum als Vater zweier Söhne sah.

Was mich betrifft, mit mir spielte das Schicksal ferner also:

Der Soldat, der mich für nichts gekauft hatte, mußte, aus schuldigem Gehorsam gegen die Order seines Obersten, einen Brief an den allergroßmächtigsten Kaiser nach Rom bringen, und für elf Denare verhandelte er mich nebenan an zwei Brüder, die beide einem reichen Herrn dienten, der eine als Brot-, Zucker- und Pastetenbäcker, der andere als Leib-, Mund- und Magenkoch. Sie wohnten und wirtschafteten selbander auf einem Zimmer und kauften mich zum Tragen der Gerätschaft, welcher sie auf der Reise ihres Herrn durch verschiedene Länder nötig hatten.[261]

Nie ist mir das Glück holder gewesen, als da ich der Stubengesell dieser zwei Brüder war. Abends, wann ihr Herr abgespeist hatte, brachten sie gewöhnlich eine Menge delikater Schüsseln von der reichlich besetzten Tafel in ihre Zelle getragen. Der eine Überbleibsel von Schweinefleisch, von jungen Hühnern, von Fischen und dergleichen Leckerbissen mehr, der andere Brot, Gebackenes, Pasteten, Torten, Konfekt die Fülle. Darauf gingen sie ins Bad, um sich zu erquicken, und schlossen mich bei allen den Näschereien ein, wovon ich's mir denn gar vortrefflich schmecken ließ. Denn so dumm und ein so wahrer Esel war ich nicht, daß ich des Himmels liebliche Gaben hätte verschmähen und an das spröde Heu mich hätte halten sollen!

Lange ging mir mein verstohlenes Handwerk glücklich vonstatten, weil ich's mit Vorsicht und Bescheidenheit trieb. Ich begnügte mich von dem ansehnlichen Vorrate allemal mit wenigem, und meinen Herren fiel es gar nicht ein, daß sie Mißtrauen in mich zu setzen hätten.

Allein als ich mehr und mehr Vertrauen gewann, unentdeckt zu bleiben, und immer das Wohlschmeckendste wegnaschte und das Schlechtere liegen ließ, da wurden meine Brüder aufmerksam. Zwar von mir ließ sich noch keiner von ihnen so was träumen; doch paßten sie scharf auf, wer sie alltäglich so bestehlen möchte. Ja, sie beargwohnten sich sogar untereinander selbst, und jedweder bemerkte, überzählte und bezeichnete seinen Teil auf das allergenaueste.

Endlich riß dem einen die Geduld: ›Ist's wohl billig? ist's wohl zu verantworten,‹ sprach er zu seinem Bruder, ›daß Du mir täglich erst das Beste von meinem Anteile wegstiehlst, es verkaufst und das Geld für Dich heimlich zurücklegst und dann noch mit mir in gleiche Teile gehen willst? Höre! Steht's Dir nicht mehr an, in Kompanie mit mir zu bleiben? Gut![262]

Wir können ja in allem übrigen Brüder sein und haben nur die Gemeinschaft unter uns aufgehoben, denn das sehe ich wohl ein, wenn nicht bald den Klagen über die Verteilung unter uns abgeholfen wird, so nimmt unsere Freundschaft noch ein Ende mit Schrecken.‹

›Nun, das ist wahr,‹ entgegnete der andere, ›das nenne ich mir eine edle Unverschämtheit! Du bemaust mir Tag für Tag meine Portion, und während daß ich in der Stille darüber seufze und meinen Bruder nicht eines niederträchtigen Diebstahls beschuldigen will, kommst Du mir auch noch in der Beschwerde zuvor! Aber gut, daß wir darüber einmal miteinander sprechen, so kann allem Übel noch vorgebeugt werden, damit der heimliche Groll nicht endlich noch eine Feindschaft unter uns anrichtet, wie zwischen Eteokles und Polynikes.‹

Nachdem die Gebrüder sich lange herumgezankt, sich untereinander die bittersten Vorwürfe gemacht, sich beiderseits hoch und teuer zugeschworen hatten, daß sie von allem Betrug und Diebstahle rein wären, so kamen sie friedlich überein, alle mögliche List anzuwenden, ihren gemeinschaftlichen Dieb ausfindig zu machen. Sie konnten durchaus nicht spitzkriegen, wo immer just das Delikateste von ihren Gerichten hinkäme. Unmöglich könnte doch der Esel von solcherlei Speisen versucht werden, und so große Fliegen, wie vormals die Harpyien waren, welche dem Phineus die Mahlzeit wegfraßen, die kämen doch auch nicht zu den Fenstern herein!

Indessen, die herrliche Tafel, die ganz menschliche Kost, in der ich so täglich schwelgte, schlug bei mir gar zu gut an. In kurzer Zeit war ich speckfett. Weich und sanft war meine Haut anzufühlen, und mein Haar glitzerte wie ein Spiegel.

Über diese Schönheitsblüte merkten meine Herren Unrat, zumal da sie auch gewahr wurden, daß ich das Heu immer[263] unberührt liegen ließ. Sie paßten mir auf. Um die gewöhnliche Zeit schlossen sie die Tür ab, als ob sie nach dem Bade gingen, belauerten mich aber draußen. Durch eine Ritze sahen sie denn bald, wie ich nach Appetit jetzt von diesem, jetzt von jenem hingesetzten Gerichte naschte.

Sie hatten solch ein Wunder über diese sonderbare Leckerhaftigkeit eines Esels, daß sie den Schaden vergaßen, der ihnen dadurch zugefügt wurde, und vor Lachen bersten wollten. Sie riefen noch andere von ihren Kameraden herbei und zeigten denen auch, was sie für einen geschmackvollen Langohr besäßen. Da war ein Gelächter! Endlich kam noch der Herr dazu und fragte, was es denn so zu lachen gebe. Man sagte ihm die Ursache. Er trat an die Spalte, guckte durch und sah all seine Freude an mir. Er lachte, daß ihm der Leib weh tat, und daß er gar nicht mehr konnte. Endlich ließ er die Tür aufmachen und kam herein und sah mir in der Nähe zu. Denn da ich merkte, daß die Sache eine so lustige Wendung genommen, und es mir schien, als ob das Glück mich anlächle, so schöpfte ich Mut aus der Freude der Anwesenden und ließ mich im mindesten nicht stören, sondern fraß ganz sorglos fort, bis der Hausherr, über die Neuheit des Schauspiels erfreut, mich in seinen Speisesaal führen ließ, oder vielmehr selbst mit eigenen hohen Händen hineinführte und Befehl gab, für mich die Tafel zu decken und ordentlich, wie es sich gehört, anzurichten.

Ich hatte mich zwar schon ganz artig vollgestopft, jedoch, um mich bei dem Herrn desto beliebter und angenehmer zu machen, verzehrte ich alles, was mir vorgesetzt wurde, mit großem Appetit. Noch dazu waren es allerhand stark gewürzte Gerichte, die sonst wohl einem Esel widerstehen möchten, die man aber recht vorsätzlich, um mich desto besser auf die Probe zu stellen, gewählt hatte: Ragouts mit Assaf, tüchtig gepfefferte[264] Frikassees, Fische mit einer ausländischen Brühe, kurz, lauter Hochgeschmack. Der Saal erscholl während meines Geschmauses von hellem Gelächter.

›Oh!‹ schrie endlich ein Spaßvogel, der zugegen war, ›gebt doch dem Burschen auch ein wenig Wein! Er wird dursten!‹

›Wohlgesprochen, Schelm!‹ sprach der Herr, der das Wort auffing, ›leicht könnte der Kauz auch wohl mit einem Gläschen Meth fürlieb nehmen. He! Junge, spüle gleich da den großen silbernen Pokal aus und reich' denselben voller Meth unserm Schmäcksbrädel hin! Sage ihm zugleich, ich brächt's ihm zu.‹

Alle Anwesenden standen voller Erwartung. Ich meinesteils, ich sah nicht ab, warum ich hätte den Schüchternen spielen sollen. Fröhlichen Muts spitzte ich aufs possierlichste meine Lippen und schlürfte den ganzen Pokal auf einen Zug hinunter. Einstimmig schrie alles miteinander: ›Wohl bekomm's! wohl bekomm's!‹

Kurz, ich gewährte dem Herrn so viel Kurzweil, daß er auf der Stelle meine Eigentümer hereinkommen ließ und ihnen für mich viermal so viel bezahlte, als ich ihnen gekostet hatte.

Er tat mich, nicht ohne die angelegentlichste Empfehlung, zu einem Freigelassenen, der bei ihm sehr in Gunst stand und ziemlich begütert war. Dieser hielt mich ziemlich menschlich und artig, und, um sich noch beliebter bei seinem Patrone zu machen, war er auch beflissen, zu allerhand Gaukeleien mich abzurichten, die denselben belustigen könnten.

Er lehrte mich nicht allein, wie die Menschen auf dem Ellbogen bei Tische liegen, sondern auch ringen und mit aufgehobenen Vorderfüßen tanzen. Ja, was das Allerpossierlichste und Wunderbarste schien, er lehrte mich sogar, ihn aufs Wort verstehen und durch Winke antworten. Verlangte ich etwas, so nickte ich mit dem Kopfe, schlug ich etwas aus, so schüttelte[265] ich. Durstete ich und wollte zu trinken haben, so sah ich mich nach dem Mundschenken um und blinzelte demselben mit einem Auge ums andere zu.

Ich stellte mich um so gelehriger an, da ich auch ohne Anweisung alle die Faxen machen konnte, nur damit zurückhalten mußte, weil zu fürchten stand, daß, wenn ich mich so ohne Lehrmeister als Mensch geberdete, man mich als ein Wunder- und Unglückstier schlachten und den Geiern des Himmels zum Fraße überlassen möchte.

In kurzem verbreitete sich das Gerücht von meinen Wunderkünsten so sehr unter die Leute, daß mein Herr sich nur sehen lassen durfte, so hieß es: ›Seht, seht! das ist der, der den neckischen Esel hat, welcher wie ein Mensch speist und ringt und tanzt, und Schnaken macht und alles versteht, was man ihm sagt, auch durch Winke sich wieder verständlich machen kann!‹

Doch ich muß Euch wohl erst sagen (was ich allerdings gleich zu Anfang hätte sagen sollen), wer und woher mein Herr war.

Thyasus (also nannt' er sich) war aus Korinth, der Hauptstadt von ganz Achaia, gebürtig. Seiner Geburt und seinem Stande gemäß hatte er sich von einer Ehrenstufe zur andern, bis nun endlich zum fünfjährigen Oberrichteramt, wozu er eben ernannt worden war, emporgeschwungen. Um diese hohe Würde mit allem erforderlichen Pompe anzutreten und den ganzen Umfang seiner Freigebigkeit sehen zu lassen, hatte er sich zu Kampfspielen, die drei Tage dauern sollten, anheischig gemacht, und weil er wünschte, bei dem Volke Ehre einzulegen, so war er selbst bis nach Thessalien gereist, um die edelsten wilden Tiere und die berühmtesten Fechter aufzukaufen. Bereits war seine Absicht erreicht und alles nach Wunsch angeschafft, und er eilte wieder nach Hause. So viele schöne Wagen, Kutschen und Kaleschen er auch mit sich hatte, so fuhr er dennoch auf[266] der Reise in keiner einzigen; sie mußten alle nebst den Sänften, nebst den stolzen thessalischen Zeltern, nebst den köstlichen gallischen Zuchthengsten ledig hinten nachfolgen. Vorauf paradierte er auf mir, der ich auf das stattlichste mit goldenem Geschirr, prächtigem Sattel, purpurner Schabracke, gesticktem Gurte und hellklingenden Schellen herausstaffiert war. Er koste im Reiten oftmals sehr liebreich mit mir und versicherte mir unter anderem, daß es ihm eine unsägliche Freude sei, so in mir zu gleicher Zeit seinen Gesellschafter und Träger gefunden zu haben.

Als wir nun unsere Reise teils zu Lande, teils zur See zurückgelegt hatten und zu Korinth ankamen, so strömte das Volk allenthalben haufenweise zusammen; nicht sowohl, wie's mir vorkam, um dem Thyasus Ehre zu erweisen, als aus Begierde, mich zu sehen. So sehr war der Ruf von meiner Geschicklichkeit vor uns hergegangen!

Das machte sich der anschlägige Freigelassene, mein Verpfleger, zunutze; er merkte nicht so bald, daß die Leute so großes Verlangen nach meinen Künsten trügen, als er mich unter dem Schlosse hielt und mich niemand anders als für Geld sehen ließ. Das brachte ihm täglich keine Kleinigkeit ein.

Unter den vielen Leuten, die sich die Neugier, mich zu sehen, was kosten ließen, befand sich auch eine reiche, vornehme Dame. Diese belustigte sich so sehr an meiner Drolligkeit und meinen mannigfaltigen Gaukeleien, daß sie sich gar zuletzt, nachdem sie mich lange aufs lebhafteste bewundert hatte, sterblich in mich verliebte. Sie verschmähte jedes andere Mittel, sich von dieser unsinnigen Leidenschaft zu heilen, und strebte nur wie eine andere Pasiphae nach meinem Genusse. Kurzum, sie bot meinem Wächter eine große Summe Geldes für eine einzige Nacht von mir. Leider fand sie in der eigennützigen Denkart[267] desselben keinen Widerstand! Ohne Bedenken gestand ihr der Nichtswürdige ihr Begehren zu, und abends, als wir von der Tafel unseres Herrn zurückkamen, fanden wir die Dame schon unserer vor der Kammertür warten.

Alle Welt! was wurden da für Anstalten gemacht! Vier Verschnittene bereiteten flugs auf der Erde ein weiches Lager. Über große, von leichtem Flaum hochgeblähte Pfühle deckten sie ein mit Gold und tyrischem Purpur gesticktes Laken und legten darauf Kissen von allerhand Größe, womit das zärtliche Frauenzimmer teils die Wangen, teils den Nacken zu unterstützen pflegt. Dies getan, und das ganze Zimmer mit schimmernden Wachskerzen so hell wie bei Tage erleuchtet, verweilten sie nicht länger die Wollust ihrer Gebieterin und begaben sich hinweg.

Nun entkleidete sich die Dame ganz und gar, legte auch die Binde ab, womit sie ihren schönen Busen eingeschnürt hatte, trat an das Licht und salbte aus einem zinnernen Gefäß sich und mich reichlich mit Balsam; vorzüglich aber badete sie damit meine Schenkel und Lenden samt den Werkzeugen der Wollust, welche sie vorher mit chiischem Rosenwasser gereinigt. Priapus, sofort durch ihre niedlichen Hände herbeigezaubert, winkte ihr gefällig mit starrem, erhobenem Zepter. Sobald sie die günstige Gegenwart des Gottes vernommen, umhalste sie mich aufs zärtlichste und küßte mich; aber nicht, wie in liederlichen Häusern feile Dirnen ihre kampflustigen Buhler zu küssen pflegen, sondern mit dem wärmsten, innigsten Gefühle der Seele. Sie liebkoste mich mit all den süßen Worten der Liebe, womit die Weiber ihre Zuneigung an den Tag legen, um die unsrige zu erwecken.

›Dich lieb ich!‹ rief sie, ›nach Dir sehnt mein Herz sich! Du, mein Einziger! mein Auserwählter! Ohne Dich kann ich nicht leben!‹ und so dergleichen.[268]

Endlich faßte sie mich bei dem Halfter und zog mich zu sich auf das Bett nieder. Ich machte ihr keine sonderliche Mühe; denn Behendigkeit hatt' ich gelernt, und meine Begierde, nach so langer Zeit einmal wieder bei einem hübschen Weibe zu schlafen, war ganz rege, um so mehr, da ich mir vorher in gutem Weine gütlich getan und der wohlriechende Balsam meinen Kitzel aufs äußerste gereizt hatte.

Angst und bange war ich aber dennoch, wie bei so langen Stakbeinen den Thron der Liebe zu besteigen? wie so sanfte, zarte, glänzende, von lauter Milch und Honig geknetete Glieder mit eisernen Hufen zu um fassen? wie so kleine ambrosiaduftende Purpurlippen mit einer so plumpen Schnauze, mit ungeheuren garstigen Zähnen zu küssen? und wie endlich, möchte die Dame auch vor Lust bis in die äußersten Fingerspitzen glühen, ein so übergroßes Opfergefäß hinein in das enge Heiligtum der Wollust zu bringen sei?

›Wehe Dir,‹ dacht' ich bei mir selbst, ›wo Du eine so vornehme Dame sprengst! Dann kannst Du Dich nur gefaßt machen, bei Deines Herrn Kampfspielen mit zu figurieren und den reißenden Tieren vorgeworfen zu werden!‹

Unterdessen verdoppelte die Dame ihre Liebkosungen, herzte, küßte mich und girrte und verdrehte im Taumel stechender Begierden die Augen. Zuletzt rief sie: ›Ha, nun hab ich Dich! hab ich Dich, mein Täubchen! mein Vögelchen!‹ Und mit den Worten zeigte sie, daß alle meine Besorgnis und Furcht töricht und überflüssig war; denn sie umschlang mich und nahm mich ganz, ganz sage ich, auf!

So oft ich, ihrer schonend, mein Hinterteil zurückzog, so oft flog sie elastisch in jähem Schwunge mir nach, und, je fester und fester mit ihren Armen mein Rückgrat umfassend, schloß, drückte, preßte, schmiegte sie sich brünstiger an mich, so daß[269] ich, beim Herkules! gar glaubte, es mangle mir noch etwas zur Befriedigung ihrer Üppigkeit, und im Ernst auf den Argwohn geriet: die Mutter des Minotaurs müsse sich wohl nicht ohne Grund lieber einen brüllenden Liebhaber zur Kurzweil erkoren haben.

Nachdem die Dame auf die Art die Nacht mit mir sehr geschäftig und des Schlafes uneingedenk hingebracht hatte, dingte sie von meinem Wärter für denselben Preis die folgende wieder und begab sich, um von niemand gesehen zu werden, noch vor Tage hinweg. Der Freigelassene vergönnte ihr um so williger, sich abermals nach ihrem Gefallen mit mir zu erlustigen, weil er, ungerechnet, daß er reichlich dafür bezahlt wurde, auch seinem Patrone das Vergnügen dieses neuen Schauspiels geben wollte.

Sobald wir die Szene aufs neue eröffnet, rief er diesen unverzüglich herbei. Thyasus machte ihm ein großes Geschenk dafür und bestimmte mich sogleich, bei seiner Lustbarkeit dieselbe Komödie öffentlich vor dem Volke zu spielen. Da aber weder meine holdselige Dame, ihres Standes wegen, noch sonst jemand anders eine Mitactrice abgeben mochte, so mußte man für vieles Geld eine Missetäterin annehmen, die vom Statthalter der Provinz verurteilt war, den wilden Tieren vorgeworfen zu werden. Wie ich hörte, war ihre Geschichte ungefähr diese:

Der Vater des Mannes, den sie gehabt, hatte vormals bei einer vorhabenden Reise seinem Weibe, die er gesegneten Leibes zurückließ, befohlen, daß, wenn sie eine Tochter zur Welt brächte, sie dieselbe so gleich umbringen sollte. Die Frau war in der[270] Abwesenheit desselben wirklich von einer Tochter entbunden worden; aus natürlicher mütterlicher Zärtlichkeit aber hatte sie's nicht über ihr Herz bringen können, den Befehl des Mannes zu erfüllen, sondern hatte das Kind in ihre Nachbarschaft zum Erziehen gegeben, und als ihr Mann wieder zurückkam, sagte sie, sie habe eine Tochter geboren und sie, seinem Willen gemäß, getötet.

Das Mädchen wuchs heran. Als es nun mannbar und, ohne Wissen des Vaters, die Mutter es nicht standesmäßig aussteuern konnte, entdeckte sich dieselbe in dieser Verlegenheit ihrem Sohne; um so mehr, da sie auch zu verhüten hatte, daß Bruder und Schwester nicht, aus Jugend und Unwissenheit, zu genau miteinander bekannt würden.

Der Jüngling, von dem besten Herzen, tat, was die Pflicht gegen seine Mutter und Schwester ihm auferlegte. Er verschwieg das ihm anvertraute Geheimnis aufs heiligste, und unter dem Scheine eines allgemeinen Mitleids gegen eine arme verlassene Waise übte er die zärtlichste Bruderliebe gegen das Mädchen. Er nahm sie zu sich in sein Haus, bestimmte ihr von seinem eigenen Vermögen eine ansehnliche Mitgift, und eben wollte er sie an seinen vertrautesten Freund verheiraten, als das Glück diese so löbliche, so großmütige Absicht auf die grausamste Weise vereitelte.

Von höllischer Eifersucht war dieses edeln Jünglings Gattin, obgedachte Missetäterin, besessen. Sie sah das Mädchen für ihre Nebenbuhlerin, für eine Beischläferin ihres Mannes an, ward derselben von Tag zu Tag gehässiger und trachtete ihr endlich mit schrecklicher Mordlust nach dem Leben. Sie ging dabei folgendermaßen zu Werke:

Sie bemächtigte sich heimlich des Ringes ihres Gemahls, begab sich aufs Land und sandte von dort aus einen mit ihr[271] einverstandenen, aber aller Treue und Redlichkeit abgeneigten Sklaven an das Mädchen. Dieser mußte sagen: ›Der junge Herr, der eben nach dem Landhause gekommen, schicke ihn, sie möchte ihm doch unverzüglich dahin folgen: aber allein, ohne alle Begleitung‹. Zum Kreditiv seiner Gesandtschaft mußte er den gestohlenen Ring produzieren.

Auf dies Merkmal stand das Mädchen um so weniger an, dem Befehle ihres Bruders Gehorsam zu leisten. Ohne Verzug und Begleitung, wie es verlangt worden, machte sie sich auf und fing sich in der ihr in so hinterlistiger Weise gelegten Schlinge.

Das vor Eifersucht rasende Weib versicherte sich derselben sogleich, ließ sie nackend ausziehen und zerpeitschte sie halbtot. Das Mädchen schrie und beteuerte, was die Wahrheit war: nicht Beischläferin, sondern Schwester ihres Mannes sei sie! mit Unrecht hege man Eifersucht gegen sie. Doch anstatt die wilde Furie zu besänftigen, brachten sie diese Worte nur noch mehr auf; sie hielt sie für nichts als Unwahrheit und Arglist. Sie nahm einen glühenden Feuerbrand und fuhr damit ihrer Schwägerin zwischen die Lenden. So mußte das beste, harmloseste Mädchen des entsetzlichsten Todes sterben!

Auf die Nachricht dieses unglücklichen Vorfalls stürzten Bruder und Bräutigam in Eile herbei; aber all ihr Jammern, ihr Wehklagen rief die arme Unglückliche nicht wieder ins Leben zurück! Das einzige, was ihnen noch zu tun übrig blieb, war – sie zur Erde zu bestatten.

Der elende Tod seiner so zärtlich geliebten Schwester, und zwar durch eine Hand, welche am wenigsten dazu berechtigt war, war indessen mehr, als das empfindliche Herz des Bruders zu erdulden vermochte. Aus der schwärzesten Melancholie verfiel er bald in ein so heftig-hitziges Fieber, daß er schon am äußersten Rande des Lebens stand. Demungeachtet ging dennoch seine[272] Gattin, wenn anders ein Weib von solchen Gesinnungen mit einem so ehrwürdigen Namen zu benennen ist, zu einem übelberüchtigten Arzt, welcher wohl mehr als einen zählen konnte, dem er durch seine tiefe Wissenschaft aus der Welt geholfen hatte. Sie bot demselben fünfzig bare Sestertien, wenn er ihr von seinem schleunigsten Gifte abließe, um ihren Mann damit desto gewisser fortzuschaffen. Der Arzt war nicht unerbittlich; er verfügte sich mit zu dem Kranken, interrogierte, observierte, meditierte, dissertierte, alles nur zum Schein, und verordnete endlich, zur Bruststärkung und Abführung der Galle, jenen Trank, der seiner Heilsamkeit halber bei den Arzneikundigen den Namen des heiligen Trankes führt. Als er aber dem Patienten anstatt dieses Lebenstrankes einen Sterbetrank eingerührt und ihm denselben in Gegenwart einiger Freunde und Verwandten und des Gesindes reichen wollte, da fiel ihm das Weib, das gern des Mitwissers ihres Verbrechens überhoben sein und das versprochene Geld ersparen wollte, plötzlich in die Arme, ergriff den Becher und sprach:

›Nicht also, bester Herr Leibmedicus! Nicht einen Tropfen von dieser Medizin darf mein lieber Mann einnehmen, bevor Sie nicht selbst einen guten Teil davon ausgetrunken haben! Wer weiß, es könnte ein tödliches Gift darinnen sein! Und Sie sind ein viel zu kluger Mann, als daß Sie diese kleine Vorsicht einer Frau übelnehmen könnten, die so aus inniger Seele für das Leben ihres Mannes besorgt ist!‹

Kam je etwas irgend jemand unerwartet, so war es der verzweifelte Streich dieses gottlosen Weibes dem Leibarzte. Er stutzte gewaltig und hätte fast alle Fassung verloren; doch hier galt nicht langes Bedenken! Sollte er durch Zögern und Zagen sich verraten? Er tat frisch einige starke Züge aus dem Becher.

Nachdem er also kredenzt, nahm der Kranke den Becher und[273] leerte ihn aus. Dies geschehen, wollte der Arzt flugs nach Hause eilen, um die Wirkung des getrunkenen Giftes durch ein starkes Gegengift zu zerstören; allein der Teufel von Weib hielt ihn fest und setzte hartnäckig durch, was sie kühn begonnen hatte. Sie wollte ihn durchaus nicht aus der Stelle lassen, bis der Trank zu wirken angefangen und dessen Heilsamkeit am Tage läge. Durch vieles Bitten und Flehen ließ sie sich aber dennoch bewegen und erlaubte ihm, fortzugehen. Unterdessen hatte sich das Gift schon durch den ganzen Körper verbreitet und war bis ins innere Mark eingedrungen, als der Arzt seine Wohnung erreichte. Unter den größten Schmerzen und die Augen schon halb vom Todesschlafe geschlossen, konnte er kaum noch seiner Frau, was vorgefallen war, erzählen und ihr auftragen, den Lohn für den zweifachen Mord einzufordern: so erlag er den gewaltsamsten Verzuckungen und gab den Geist auf.

Der junge Mann blieb eben auch nicht länger am Leben; unter seines Weibes erdichteten Tränen verschied er auf die nämliche Art. Einige Tage nach seiner Beerdigung und nach den gebräuchlichen Totenopfern kam die Frau des Arztes und verlangte von seiner Witwe den bedingten Lohn für die gedoppelte Vergiftung. Ihrem Charakter zu allen Zeiten treu, bewies sich die Gottlose sehr höflich und bekannte sich mit vieler anscheinenden Redlichkeit zu dieser Schuld, versprach auch, sie alsofort zu entrichten, ja noch goldene Berge hinzuzutun, wofern ihre Gläubigerin ihr noch ein wenig von demselben Gifte zur gänzlichen Vollbringung ihres angefangenen Vorhabens ablassen wollte. Die Frau des Arztes war leider leicht durch ihre glatten Worte und schlauen Ränke angeführt. Unverzüglich ging sie nach Hause, holte die Büchse, worin das Gift enthalten war, und überließ sie ganz dem reichen Weibe, um sich bei derselben ein desto größeres Verdienst zu erwerben.[274]

Kaum sah sich diese so viele Macht zu schaden in Händen, als sie auf weiter nichts bedacht war, als die Anzahl ihrer Verbrechen zu vergrößern.

Sie hatte von ihrem, soeben vergifteten Manne eine kleine Tochter. Unzufrieden, daß die Gesetze diesem Kinde des Vaters ganze Hinterlassenschaft zusprachen, die sie so gern selbst gehabt hätte, trachtete sie ihrer Tochter nach dem Leben (wie hätte sie sich auch als eine bessere Mutter denn Ehegattin erweisen sollen?), da ihr bekannt war, daß die Mütter ihre Kinder beerben! Genug, aus dem Stegreif hatte sie stracks ein Mahl veranstaltet, wobei sie ihrer eigenen Tochter mitsamt der Frau des Arztes Gift beibrachte.

Der armen zarten Kleinen Eingeweide waren bald davon verzehrt, und sie starb auf der Stelle. Wie aber des Arztes Witwe schneidende Schmerzen ihr Inneres durchirren fühlte, so argwohnte sie gleich, was ihr geschehen. Bald, da auch der Atem ihr schwer wurde, war sie nur allzu gewiß, daß sie Gift bekommen. Sie sprang also auf und rannte geradeswegs nach des Statthalters Wohnung. Ihr lautes Geschrei um Hilfe, ihr wiederholtes Rufen, daß sie die abscheulichsten Schandtaten zu entdecken habe, erregten einen großen Zusammenlauf des Volks und machten, daß sie bei dem Statthalter unmittelbar vorgelassen und angehört wurde. Sie erzählte von Anfang an die ganze Reihe Missetaten ihrer ruchlosen Giftmischerin, und eben war sie damit zu Ende, als ein Schwindel sie ergriff und ihre noch halbgeöffneten Lippen schloß. Sie knirschte mit den Zähnen, sie wand sich, sie ächzte, sie sank tot hin zu des Statthalters Füßen.

Der Statthalter, ein tätiger Mann, ließ der schändlichen Giftmischerin vielfache Freveltaten nicht durch langwierigen Verzug erkalten, sondern alsobald ihre Bedienten ergreifen und[275] dieselben durch die Gewalt der Folter zum Geständnis der Wahrheit bringen. Darauf verurteilte er die arge Missetäterin, den wilden Tieren vorgeworfen zu werden: eine Strafe, die freilich noch unter ihrem Verbrechen, jedoch die allerqualvollste war, die nur erdacht werden konnte.

Mit diesem Weibe nun sollt' ich öffentlich Beilager halten!

Ich erwartete den Tag der Schauspiele mit dem beängstigtsten Herzen. Ehe ich mich mit einem so lasterhaften Weibe befleckte und mit Verachtung aller Scham auf eine so schändliche Weise öffentlich zur Schau stellte, eher hätt' ich mich tausendmal lieber selbst umbringen mögen; hätt' ich nur nicht plumpe Hufe statt der menschlichen Hände gehabt, so daß ich keinen Degen herausziehen konnte! Die einzige Hoffnung, die bei dem Trübsale mich noch so einigermaßen aufrecht hielt, war: allbereits schmückte der Frühling in seinem Beginnen jegliche Staude mit blühenden Knospen, bekleidete die Wiesen mit Schmelz, und schon prangten auf grünem Dornenthrone die Wohlgeruch atmenden Rosen, welche mich wieder zu weiland Lucius umwandeln sollten.

Es erschien endlich der Tag der Spiele. Unter lautem Jauchzen und Freudengeschrei des Volkes wurd' ich in Pomp nach dem Amphitheater geführt.

Pantomimische Tänze eröffneten die Lustbarkeit. Während der Zeit, wo man sich daran ergötzte, blieb ich außen vor der Tür und weidete allda mit großem Belieben das hin und wieder hervorgekeimte Gras ab. Bisweilen stellt' ich mich auch in das offene Portal und vergnügte meine Neugierde an den angenehmen Vorstellungen, die gegeben wurden.

Blühende Jünglinge und Mädchen von reizender Gestalt führten in schimmerndem Putze mit unnachahmlicher Anmut den griechischen pyrrhischen Reigen auf. Nachdem sie sich wohl[276] in Ordnung gestellt hatten, begannen sie allerlei zierliche Wendungen: jetzt drehten sie wie ein Rad im Kreise sich herum, jetzt, bei den Händen sich haltend, bildeten sie eine lange schräge Reihe, jetzt stießen sie ins Gevierte zusammen, jetzt trennten sie sich wieder und kreuzten verwirrt durcheinander.

Nach mannigfaltiger Abänderung und Wiederholung dieser Bewegungen gebot endlich der Schall der Trompete dem Tanze ein Ende. Der Vorhang fiel, und die Verzierung der Bühne ward zum Urteil des Paris verändert.

Von Holz war ein hoher Berg errichtet, der den berühmten, von Homer besungenen Ida vorstellte. Gesträuche und allerlei lebendige Bäume deckten die Seiten. Von dem Gipfel rann ein klarer, künstlicher Bach. Einige Ziegen weideten am Ufer, ein Jüngling machte den Hirten, gleich dem Paris mit köstlichem, von den Schultern herabfließendem phrygischen Gewande und einem goldenen Bunde geschmückt.

Jetzt trat ein bildschöner Knabe auf, nackend, nur daß ein kurzer Mantel um die linke Schulter flatterte. Blondes Haar, aus dem zwei goldene und durch ein goldenes Band vereinigte Fittiche hervorstachen, krönte seinen Scheitel und wallte auf dem entblößten Rücken. Der geflügelte Schlangenstab, den er trug, kündigte ihn für den Merkur an. Tanzend schwebte er herbei, überreichte dem Paris den Apfel und deutete demselben durch Geberden den Willen Jupiters an. Sofort zog er sich behend wieder zurück und verschwand.

Es erschien darauf ein Mädchen von hohem Ansehen, der[277] Göttin Juno um so ähnlicher, da ein weißes Diadem ihre Stirn umwand und sie ein Zepter in der Hand trug.

Dieser folgte eine andere, die man sogleich für Minerven erkannte. Sie hatte einen schimmernden, mit einem Ölzweig umkränzten Helm auf, führte einen Schild und schwang eine Lanze, wie die Göttin, wenn sie im Kampf erscheint.

Eine dritte schlüpfte hinter diesen beiden her. Unnennbare Grazie war über ihr ganzes Wesen verbreitet, und die Farbe der Lilie blühte auf ihrem Antlitz. Es war Venus, aber die jungfräuliche Venus. Kein Gewand versteckte die tadellose Schönheit ihres Leibes; sie ging nackend einher, nur ein durchsichtiger seidener Schleier beschattete ihre Blöße. Bald erhoben buhlerische Winde mutwillig den leichten Flor, und die Blume der Jugend prangte unverhüllt; bald drückte denselben ihr brünstiger Hauch fest an den Körper an, und unter der luftigen Hülle ward sichtbar jeglicher wollüstige Umriß verborgen. Man bemerkte nur zweierlei Farben an der Göttin: weiß der Leib, denn sie stammt vom Himmel ab; grün ihr Schleier, weil sie aus dem Meere entsprossen.

Ein jegliches der drei Mädchen, welche die Göttinnen machten, hatte ein eigenes Gefolge.

Mit der Juno kam Kastor und Pollux, von zwei Schauspielern vorgestellt, welche runde Helme trugen, oben mit zwei funkelnden Sternen geziert. Unterm lieblichen Getön der Flöten ging Juno mit ruhiger Majestät einher und versprach dem Hirten durch ernste Geberden die Herrschaft über ganz Asien, falls er ihr den Preis der Schönheit zuerkenne.

Minerven, im Waffenschmuck, begleiteten ihre gewöhnlichen Gefährten und Schildknappen in den Schlachten: Schrecken und Furcht, tanzend mit entblößten Schwertern. Ein Pfeifer, der hinter ihnen herging, spielte einen kriegerischen Marsch und[278] ermunterte oder mäßigte ihren rüstigen Schritt abwechselnd bald durch hohe, schmetternde, bald durch gedämpfte pathetische Töne. Die Göttin, mit unruhigem Haupte, drohendem Blicke, raschem, gebeugtem Gange, gab dem Paris durch eine lebhafte Gebärdensprache zu verstehen: falls er sie den Sieg der Schönheit davontragen ließe, so wolle sie ihn durch Tapferkeit und durch erfochtene Kriegstrophäen berühmt machen.

Venus war von einem ganzen Volke fröhlicher Amoretten, umgaukelt. Süßlächelnd stand sie mit dem ihr eigenen Liebreiz mitten unter demselben, zum allgemeinen Entzücken des Schauplatzes. Man hätte die runden, zarten Knaben allesamt für wahre Amors halten mögen, die aus Himmel oder Meer herbeigeflattert, so sehr entsprachen sie ihrer Rolle durch ihre kleinen Fittiche und Pfeile und überhaupt durch ihre niedliche Leibesgestalt. Sie trugen der Göttin flammende Fackeln vor, als ginge sie zum Hochzeitsschmause. Auch die lieblichen Töchter jungfräulicher Schönen, die holden Grazien und die reizenden Horen, umflossen die Göttin. Schalkhaft warfen sie dieselbe mit Sträußen und Blumen und schwebten in künstlichem Reigen einher, nachdem sie also mit den Erstlingen des Lenzes der Mutter der Wollust gehuldigt.

Jetzt flüsterten die viellöcherigen Flöten süße, lydische Weisen. Jegliches Herz wallte vor Vergnügen. Nun hub, lieblicher denn alle Musik, Venus sich zu bewegen an. Langsam erhob sich ihr Fuß, es schmiegte anmutig sich ihr Körper mit sanft auf die Seite gebogenem Haupte, jede reizende Stellung in Harmonie mit dem weichen Getöne der Flöten! Bald lächelte Huld und Milde auf ihrer Stirn, bald schreckte drohender Ernst; zuweilen tanzte sie allein mit den Augen.

Wie sie vor den Richter hintrat, schien die Bewegung ihrer Arme demselben zu verheißen: daß, wenn er ihr vor den übrigen[279] Göttinnen den Vorzug gäbe, sie ihm eine Gemahlin zuführen würde, die an Schönheit ihresgleichen nicht auf Erden fände und ihr ganz und gar ähnlich sein sollte. Alsofort reichte ihr mit Freuden der phrygische Jüngling den goldenen Apfel hin, das Zeichen des Sieges.

Wundert Ihr Euch nun noch, Ihr einfältigen Schöpse, oder vielmehr Ihr gierigen Geier von Advokaten, daß heutzutage die Gerechtigkeit jeglichem Richter feil sei, da schon im Anfang aller Dinge in einen zwischen Göttern und Menschen zu entscheidenden Handel Parteilichkeit sich eingemischt; da der allererste Richter – den Zeus, der höchste Zeus, noch dazu selbst bestellt, und der nur ein schlichter Hirte war – durch Wollust sich hat bestechen lassen, und das zum gänzlichen Verderben seines Geschlechts! Traun! auch aus der Folgezeit sind ähnliche Beispiele von den edlen Heerführern der Achiver bekannt. Ist doch der gelehrte, erfindungsreiche Palamedes nicht anders als auf falsche Beschuldigungen der Verräterei wegen verdammt; ist doch des hohen Ajax unüberwindliche Tapferkeit auch den Ränken des lügenhaften Ulysses nachgestellt worden! Und war etwa die Gerechtigkeit bei den Atheniensern, diesen Gesetzgebern, diesen Weisen, diesen Lehrern aller Künste und Wissenschaften, war sie etwa da besser bestellt? Wurde nicht bei ihnen jener Greis von göttlicher Klugheit, welchen der delphische Apollo selbst für den weisesten aller Sterblichen erklärt hat, wurde nicht Sokrates bei ihnen auf die verleumderische Anklage einer schändlichen Rotte, als sei er, der die Jugend besserte, ein Verderber derselben, mit Gift hingerichtet? Ein Schandfleck in der Geschichte dieses Volks, den keine Ewigkeit auszubleichen vermag! Anstatt daß bis auf den heutigen Tag die allervortrefflichsten Philosophen dieses Weisen herrliche Lehrsätze vor allen anderen annehmen und aus brünstigem[280] Verlangen nach Glückseligkeit zu seinem Namen schwören, wenden sie sich vielmehr geflissentlich von ihm ab!

Doch, damit nicht etwa jemand diesen Ausfall tadeln und bei sich selbst sprechen möge: ›Da haben wir's! Nun liest der Esel uns gar die Moral!‹, so kehre ich von meiner Digression wieder zur Geschichte zurück.

Nachdem Paris also das Urteil gesprochen, so traten Juno und Minerva unzufrieden und zornig von der Bühne ab. Eine jede drückte auf eine eigentümliche Art den Unwillen über ihre Verschmähung durch Geberden aus; Venus aber legte ihre Freude über den erhaltenen Sieg durch einen hüpfenden Tanz mit ihrem ganzen Gefolge an den Tag.

Hierauf sah man oben auf dem äußersten Gipfel des Berges aus einer verborgenen Röhre in Wein aufgelösten Safran hoch in die Luft springen und dann als ein wohlriechender Regen auf die weidenden Ziegen herniedersprühen, so daß bald ihre blendende Weiße sich in Safrangelb verwandelte. Nachdem der ganze Schauplatz mit diesem angenehmen Wohlgeruch angefüllt war, so eröffnete sich plötzlich die Erde, und weg war der quellenströmende Ida!

Nun trabte ein Scherge fort, um auf Verlangen des Volkes aus dem öffentlichen Gefängnis die Missetäterin zu holen, die, wie ich oben erzählt habe, ihrer vielfachen Mordtaten halber verurteilt war, den wilden Tieren vorgeworfen zu werden, sich vorher aber noch öffentlich mit mir vermählen sollte. Auch wurde das Bett mit großer Sorgfalt bereitet, das uns zum hochzeitlichen Lager dienen sollte; es glänzte von indischem Elfenbein und strotzte von Polstern mit Flaumfedern ausgestopft und mit bunter Seide überzogen.

Allein, außerdem daß ich mich schämte, mit einer so gottlosen, schandbaren Kreatur angesichts des ganzen Volkes Beilager[281] zu halten, so fürchtete ich mich auch, mein liebes Leben dabei einzubüßen. ›Welches Tier,‹ dacht' ich bei mir selbst, ›man auch herauslassen mag, das Weibsstück zu zerreißen, so wird es doch nimmermehr weder klug noch künstlich abgerichtet, noch enthaltsam genug sein, daß, wenn es uns selbander im Liebesknoten verschlungen antrifft, es gerade nur die Delinquentin hinwegnehmen und Dich, weil Du nichts verbrochen hast, unverletzt liegen lassen sollte!‹

Da es mir also noch weit mehr um die Rettung meines Lebens denn um die Schonung meiner Schamhaftigkeit zu tun war, so nahm ich wohl des Augenblicks wahr, wo mein Wärter eben seine ganze Aufmerksamkeit auf Zubereitung des Bettes geheftet hatte, das andere Gesinde aber teils mit Zurüstung der Tiergefechte, teils mit Erwartung des schlüpfrigen Schauspiels beschäftigt, auf mich zahmen, frommen Esel gar nicht acht hatte, stahl mich zum Stadttore, das ziemlich in der Nähe war, unvermerkt hinaus, und nun aus Leibeskräften ausgerissen!

Sechstausend Schritte hatt' ich in vollem Galopp zurückgelegt, als ich mich vor Cenchreä befand, das der edeln korinthischen Kolonie zugehört, vom Ägäischen und Saronischen Meere bespült wird und einen sehr sicheren, schiffreichen Hafen hat.

Ich mied das Gefummel der Menschen und begab mich lieber beiseite auf das einsame Gestade. Allda streckt' ich dicht an der Brandung meine müden Glieder gemächlich auf weichen Sand hin. Bereits hatte die Sonne das äußerste Ziel des Tages erreicht. Der süßeste Schlaf sank auf mich hernieder.

Quelle:
Apulejus: Der goldene Esel. Berlin 1920, S. 249-282.
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