Achtzehnter Gesang

[84] 1.

Großmüt'ger Herr, gelobt zu allen Zeiten,

Euch lobt' ich, und ich lob' Euch noch mit Fug,

Wenn einen Teil von Euren Trefflichkeiten

Mein ungelenker Sang auch unterschlug.

Doch eine Tugend will als erste schreiten,

Die preisen Herz und Zunge nie genug:

Daß jeder hat Gehör zu allen Stunden,

Doch leichten Glauben nicht, bei Euch gefunden.


2.

Oft sucht Ihr, wenn man einen kommt verklagen,

Was für den Armen sprechen kann, hervor;

Bis er imstand, den Fall Euch vorzutragen,

Schließt ihr, zugunsten ihm, das eine Ohr;

Eh Ihr verurteilt, wollt Ihr ihn befragen

Nach Gründen, ihm ins Antlitz schaun zuvor;

Aufschub gewähren Tage, Monde, Jahre,

Eh einer durch das Urteil Leid erfahre:


3.

Hätte die Vorsicht Norandin verwendet,

Geschehen wäre nicht, was jetzt geschah.

Zu Ehr' und Ruhm hat alles Euch geendet,

Doch schwarz wie Pech er seinen Namen sah.

Sein Heervolk ward durch ihn zum Tod gesendet,

Weil mit zehn Hieben, Stichen Grifon ja

Voll Zorn und Grimm so raste um den Wagen,

Daß ihrer dreißig tot am Boden lagen.
[85]

4.

Entsetzt fliehn alle andern von der Stätte,

Hier-, dorthin, durch die Straßen und durchs Feld;

Ein jeder sucht, daß er zur Stadt sich rette;

Am Tor der eine übern andern fällt.

Grifon bleibt stumm, als ob kein Wort er hätte;

Allein das Mitleid bannend aus der Welt,

Läßt er das Schwert in Waffenlosen wühlen

Und mächt'ge Rache seinen Ingrimm kühlen.


5.

Ein Teil von denen, die am Tor erschienen

(Am Fuß mit flücht'ger Sohle wohlversehn),

Um mehr sich selbst als andrer Heil zu dienen,

Ließ rasch die Brücke in die Höhe gehn,

Ein Teil floh bleich und heulend fort von ihnen,

Ohne ein einzig Mal sich umzudrehn,

Und rings im Ort und unter allen Scharen

Groß das Geschrei und Lärm und Auflauf waren.


6.

Grifon packt zwei heraus von den Gesellen,

Vor denen man die Brücke höher zog,

Ließ einem gleich am Stein den Kopf zerschellen,

Daß das Gehirn rings auf den Boden flog,

Darauf den andern in die Höhe schnellen

Über die Mauer in das Volksgewog.

Das Mark gefror auf den Terrassen allen,

Als man den Menschen sah vom Himmel fallen.


7.

Über die Mauern sei der Held gesprungen,

So meinten viele, in die Stadt hinein;

Wäre der Sultan vor Damask gedrungen,

Nicht größer könnte die Verwirrung sein:

Ein Rennen, Waffenlärm, aus vollen Lungen

Vom Minarett der Rufer lautes Schrein,

Gemisch von Trommel- und Trompetenschallen,

Betäubend, läßt den Himmel widerhallen.
[86]

8.

Indes: ein andermal ich Euch berichte

Von dem, was hier sich weiter noch begab.

Jetzt führt zum König Karl uns die Geschichte:

Er ist auf Rodomonte hin im Trab –

Der macht ihm ja sein Bürgervolk zunichte –.

Ich sagt' Euch schon, daß ihm Geleite gab

Der große Däne, Naims mit Oliveren,

Avin, Avol, Otto und Berlingeren:


9.

Acht Lanzen, von der Kraft acht solcher Ritter

Zu gleicher Zeit auf jenen Mohr gekehrt!

Doch jeder Stoß, unschädlich weiter glitt er

Vom Schuppenpanzer, der die Brust bewehrt.

So wie das Schiff, wenn man beim Ungewitter

Das Raaseil nachläßt, rasch in Deckung fährt –

So schnell erhob sich wieder Rodomonte

Vom Stoß, davon ein Felsen stürzen konnte.


10.

Guido, Renier mit Salomon, Turpinen,

Huget und Ganelon, dem schlimmen Mann,

Mit Ivon, Angiolier und Angiolinen,

Mark und Matthäus von Sankt Michel dann,

Die acht auch, die genannt schon sind, mit ihnen,

Umringen all den wilden Muselman,

Auch Edward, Ariman, die erst gezogen

Von Engelland herbei durch Meereswogen.


11.

So knirscht nicht auf der Alpenhöhe droben

Des festgestützten Hauses Dach und Wand,

Wenn sich Südwest, sei's Boreas, erhoben

Und Esch' und Tanne reißt vom Bergesrand,

Wie jener stolze Mohr knirscht, der mit Toben

Nach Blute lechzt, von Grimm und Wut entbrannt:

Wie Blitz und Donner scheint dieselbe Sache,

So hier des Wilden Zorn und seine Rache.
[87]

12.

Man sah ihn auf das Haupt des Nächsten halten:

Ach, Hugo von Dordogne mußt' es sein!

Zur Erde sank er, bis zum Mund gespalten,

War auch sein Helm von gutem Stahl und fein.

Zu gleicher Zeit ihm selbst viel Streiche galten;

Man meint, er sei zerhauen kurz und klein:

's ist, was dem Amboß tut ein Nadelstechen;

Den Schuppendrachen kann ihm nichts zerbrechen.


13.

Verlassen steht die Stadt und stehn die Wälle,

Die Straßen rings herum sind öd und leer;

Nur auf den Marktplatz, weil an dieser Stelle

Jetzt Wichtigers im Gang ist, strömt man her.

Zum Marktplatz eilt der Schwarm: auf alle Fälle

Nützt ja zumeist das Fliehen wenig mehr.

Des Königs Gegenwart das Herz entzündet,

Daß jeder Waffen nimmt und Mut verkündet.


14.

Ward in der Löwin Käfig eingeschlossen –

Der alten, längst gewohnt der blut'gen Schlacht –

(Das Schauspiel wird ja gern vom Volk genossen)

Der wilde Stier, den nichts hat zahm gemacht –:

Verwirrt und furchtsam stehn die Löwensprossen

(Sie hatten niemals solcher Hörner acht),

Verwirrt und schüchtern bleiben sie beiseiten,

Wenn sie so stolz ihn sehn und brüllend schreiten;


15.

Stürzt aber wild die Mutter ihm entgegen

Und packt mit scharfem, grimmem Zahn sein Ohr,

Will auch in ihnen sich der Blutdurst regen,

Und kühn zur Hilfe kommen sie hervor;

Der beißt am Rücken, der am Bauch verwegen –

So macht's das Volk jetzt gegen jenen Mohr.

Aus Dach und Fenster regnet auf die Glieder

Ihm ein gewalt'ger Hagel Waffen nieder.
[88]

16.

Von Reitern und von Fußvolk ein Gedränge

Ohn' Ende schier; der Marktplatz faßt es nicht.

Aus allen Straßen kommt heran die Menge

Und wimmelt jetzt um ihn wie Bienen dicht.

Die Waffenlosen hinzumähn, gelänge

Leichter als Kohlstrünk' oder Rübenschicht;

Doch käm' er nicht zu End' in zwanzig Tagen,

Und wären die gleich aufgereiht in Lagen.


17.

Allmählich will das Spiel den Mohr verdrießen;

Er weiß nicht recht, was macht er wohl daraus?

Mag Blut von Tausenden am Boden fließen,

Nimmt doch nur wenig ab die Menge drauß.

Die Brust droht ihm den Atem zu verschließen,

Und er sieht ein: kommt er nicht jetzt hinaus,

Nun er gesund sich fühlt, voll Kraft des Lebens,

So ist es, wenn er später will, vergebens.


18.

Als ringsumher die Schreckensaugen dringen

Und finden, daß versperrt der Ausgang sei,

Denkt er ihn durch ein Blutbad zu erzwingen

Von tausend Leichen, und er macht ihn frei.

Er läßt das Schwert im Kreise wild sich schwingen

Und stürzt – o schaut! – in wilder Raserei

Hin, wo der neue Heereszug der Briten

Mit Edward kommt und Ariman geritten.


19.

Wer jemals aus den Schranken sah gebrochen,

Um die da wogt der Menschenmenge Well',

Unbänd'gen Stier, dem taglang man gestochen

Und blutig aufgerissen hat das Fell –

Wie dem und jenem er zermalmt die Knochen

Und die entsetzten Leute flüchten schnell:

Der hat wohl eine Ahnung von dem Grimme,

Mit dem daher der Heide stürzt, der schlimme.
[89]

20.

Fünfzehn bis zwanzig sind die Quer' gespalten;

Gleich vielen fliegt vom Halse Kopf und Hut;

Nur einen Hieb, sei's grad, sei's quer, erhalten

Sie stets, wie man's mit Weid' und Rebstock tut.

Hin über Köpf' und zuckende Gestalten

Trat dieser Wütrich, ganz bespritzt mit Blut,

Ließ einzle Glieder, Schultern, Schenkel, Hände,

Wo er erschienen war – und geht am Ende.


21.

Man sieht es klar, wie er vom Platze schreitet,

So ruhig stolz: es ficht ihn Furcht nicht an,

Wenn auch die Frage Schwierigkeit bereitet,

Wie er wohl heil hinaus gelangen kann.

Wo aus den Mauern fort die Seine gleitet

Hinunter nach der Insel, kommt er dann.

Krieger und Leute, die jetzt Mut sich fassen,

Verfolgen ihn, ohn' ihn in Ruh' zu lassen.


22.

Wie man Numidiens Hirsch sieht waldwärts ziehen,

Wenn auf das edle Tier wird Jagd gemacht,

Das seine hohe Art noch zeigt im Fliehen

Und ins Gebüsch tritt dräuend und bedacht –

Hat er, den man der Feigheit nie geziehen,

Des Eisenwalds, der ihn umgibt, nicht acht:

Durch aller Lanzen, Speere, Pfeile Mitten

Langsam ist er zum Fluß hinabgeschritten.


23.

Dreimal, vom Zorn gepeitscht, stieg er verwegen,

Als er schon draußen war, aufs neu hinauf,

Nochmals mit Blut zu färben seinen Degen,

Und hundert Mann erschlug er von dem Hauf.

Zuletzt ist der Vernunft die Wut erlegen

(Daß Frevel stinke nicht zu Gott hinauf):

Vom Ufer, bessern Rates sich besinnend,

Sprang er ins Wasser, der Gefahr entrinnend.
[90]

24.

Mit allen Waffen sprang er in die Wellen,

Als hab' er Blasen rings sich umgehängt.

Kannst, Afrika, zur Seit' ihm niemand stellen;

Antäus ist und Hannibal verdrängt!

Der Rettung Freude will ihm eins vergällen:

Daß er nicht gänzlich hat zerstört, versengt

Die Stadt, durch die er sich hindurchgeschlagen

Und die er hinten noch sieht aufrecht ragen.


25.

So hielt der Zorn, der Hochmut ihn gefangen,

Daß umzukehren im Begriff er war;

Mit Seufzern stand er da, mit schweren, langen;

Die Stadt wollt' er vertilgen ganz und gar.

Doch jemand kam den Fluß entlang gegangen,

Und alles Zorns und Hasses ward er bar.

Gleich sollt Ihr hören, wer da kam zum Helden;

Allein zuvor muß ich noch andres melden.


26.

Ich habe von der Zwietracht Euch zu künden:

Sankt Michael gab dieser an die Hand,

Zu Kampf und wildem Streite zu entzünden

Die Stärksten in dem Heer des Agramant.

Sie ließ die Brüder abends ihren Sünden;

Ein andrer schon an ihrer Stelle stand:

Der Trug, daß er statt ihrer Zwist beschere

Und Feuer schüre, bis sie wiederkehre.


27.

Ihr schien, daß es die Sache recht verstärke,

Wär' ihr der Hochmut zugesellt; und der

War ja mit ihr in gleicher Zell' am Werke,

Ihn aufzutreiben fiel darum nicht schwer.

Der Hochmut kommt, doch daß es keiner merke,

Sorgt für Vertretung in dem Stift auch er:

Zurück zu sein dacht' er in aller Schnelle

Und ließ die Heuchelei an seiner Stelle.
[91]

28.

Zwietracht, die nie versöhnte, jetzt verbunden

Mit Hochmut, hat sich auf den Weg gemacht

Und auf demselben Wege noch gefunden,

Gleichfalls zum Mohrenheer zu gehn bedacht,

Die Eifersucht, trostlos zu allen Stunden;

Ein Zwerglein schritt an ihrer Seite sacht;

Dies sandte Doralis, Nachricht zu bringen

An Rodomont von den geschehnen Dingen.


29.

Als sie geriet in Mandrikardens Hände

(Ich hab' Euch schon erzählt das Wo und Wie),

Gebot sie leise, jener Bote wende

Sich an den König; sicher hoffte sie,

Daß sie die Nachricht nicht vergebens sende;

Mit all der Kraft, die ihm Natur verlieh,

Werd' er sie rächen und zurückerlangen

Vom bösen Räuber, der sie abgefangen.


30.

Die Eifersucht traf's Zwerglein auf den Wegen,

Und als sie seines Kommens Grund erfuhr,

Beschloß sie, die Gesellschaft gleich zu pflegen,

Denn nützen konnte ja der Fall ihr nur.

Die Eifersucht zu finden, kam gelegen

Der Zwietracht, und zumal, als sie die Spur

Des Reisezwecks erspähte: Fördrung leisten

Konnt' ihren Zielen Eifersucht am meisten.


31.

Daß Rodomont und Mandrikard sich hassen,

Dafür scheint alles trefflich angetan;

Für andre wird sich andres finden lassen,

Für jene zwei geht's gut auf dieser Bahn.

Der Stadt, wo sie des Heiden Klauen fassen,

Beginnen sie mit ihrem Zwerg zu nahn

Und sind gerad am Ufer angekommen,

Als dieser Wütrich hat den Fluß durchschwommen.
[92]

32.

Wie Rodomont den Zwerg erkennt, den alten,

Erlischt (er naht ja als ihr Bote hier)

Sein großer Zorn, es glätten sich die Falten,

Sein Herz ist wie von Freud' erleuchtet schier.

Für möglich würd' er alles andre halten –

Allein – ein Mensch vergriffe sich an ihr?

Er kommt zum Zwerg, fragt heiter: »Nun, wie steht es

Mit unsrer Herrin denn? Und wohin geht es?«


33.

»Nicht Herrin nenn' ich«, sprach das Zwerglein bitter,

»Von dir und mir, die andrem dienen muß.

's war einer gestern, und des Weges ritt er,

Der nahm sie fort; ihm folgen mußt' ihr Fuß.«

Bei diesem Wort trat Eifersucht zum Ritter

Und gab ihm, kalt wie Nattern, ihren Kuß.

Der Zwerg erzählte, wie sie fiel als Beute

Dem einen, der ihr tötete die Leute.


34.

Die Zwietracht nahm den Stahl jetzt in die Hände

Und Feuerstein und schlug sie aneinand;

Hochmut hielt rasch daran des Zunders Ende,

Und augenblicklich gab es hellen Brand:

Des Mohren Seel' ergriff die Glut behende,

Daß er beinahe keinen Atem fand.

Er knirscht und stöhnt mit schrecklicher Gebärde

Und droht dem ganzen Himmel und der Erde.


35.

So wie die Tigrin, die sich eingefunden

Im leeren Höhlenraum und sucht und rennt

Und ihre lieben Jungen sieht verschwunden

Und plötzlich fürchterlich von Zorn entbrennt

Und rast und tobt in wilden Schmerzes Wunden

Und nicht durch Strom und Dunkel Hemmung kennt –

Kein langer Weg, kein Hagelschauer zügelt

Den Haß, der hinterm Räuber sie beflügelt –,
[93]

36.

So tobt der wilde Mohr, um dann zu sagen,

Zum Zwerg gekehrt: »Du sei in kurzem dort!«

Er wartet nicht auf Renner oder Wagen

Und gönnet der Gesellschaft nicht ein Wort.

Schnell, wie die Eidechs an Gewittertagen

Huscht übern Weg, so schleunig eilt er fort.

Ihm fehlt ein Pferd; das erste will er nehmen

Von allen, die da zu Gesicht ihm kämen.


37.

Die Zwietracht sah's in seines Herzens Falten

Und blickte lachend nach dem Hochmut hin:

Er solle, sprach sie, schon ein Pferd erhalten,

Das bringe eines neuen Streits Gewinn.

Sie wollte sich die Gegend frei erhalten:

Es zeige sich kein andres Roß darin.

Schon ist ihr Aug' auf solch ein Pferd gerichtet;

Doch laß ich sie: von Karl wird jetzt berichtet.


38.

Er schickt, als ausgelöscht die Gluten drinnen,

Sobald von dannen ging der Sarazen,

All seine Scharen wohlgereiht von hinnen

(Ein Teil nur bleibt an schwachen Punkten stehn).

Schach will er bieten und das Spiel gewinnen

Und läßt mit Macht die Seinen vorwärts gehn:

Nach jedem Ausgang sendet er ein Korps hin,

Von Sankt Germans bis nach Sankt Viktors Tor hin:


39.

Man solle warten dort vor Sankt Marcellen,

Wo sich die Ebne dehnet weit und breit,

Und sich zu einem Heer zusammenstellen,

Vereinigt allesamt zum großen Streit,

Und sich zu einem Morden dann gesellen,

Des man gedenke noch in fernster Zeit.

Er heißt die Banner in den Reihen heben

Und zum Beginn der Schlacht das Zeichen geben.
[94]

40.

Auf neuen Renner war schon aufgesessen,

Dem Christenheer zum Trotz, Herr Agramant:

Er hielt in scharfem, grimmem Strauß indessen

Dem Bräutigam der Isabella stand.

Mit Fürst Sobrin hat sich Lurcan gemessen;

Ein ganzer Schwarm kam auf Rinald gerannt,

Der sie durch Mut und weil das Glück ihm lachte,

Traf, niederhieb, durchstach, zum Fliehen brachte.


41.

Derweil sie hier so miteinander stritten,

Griff Kaiser Karl des Nachtrabs Truppen an,

Wo mit Marsilius' Fahne kam geritten

Der span'schen Kämpfer auserlesner Bann.

Zur Seite Reiter, Fußvolk in der Mitten,

Führt Kaiser Karl sein Heldenvolk heran:

Trommeln, Drommeten solchen Lärm erheben,

Man meint schier, daß der Erde Fugen beben.


42.

Allmählich fingen an zurückzugehen

Der Heiden Scharen, und sie wären schon,

Sich dann geschlagen und zersprengt zu sehen,

In völliger Vernichtung, wohl geflohn –

Doch Schlimmres wußten Männer zu bestehen:

Es kamen jetzt Grandon und Falsiron

Und Balugant und Serpentin, der grimme,

Und Ferragu, der rief mit lauter Stimme:


43.

»O tapfre Brüder, wollet euch besinnen!

Genossen, haltet eure Stellung ein!

Es gleicht der Feinde Tun dem Werk der Spinnen,

Stehn, treu der Pflicht, wir fest in unsern Reihn.

Der Ehre denkt und was uns zu gewinnen

Das Glück vergönnt und heut muß unser sein!

Denkt, wie wir Schmach und ungeheuren Schaden,

Wenn wir dem Feind erliegen, auf uns laden.«
[95]

44.

Auf Berlingier nun kommt er angeritten

Mit großer Lanze, die man ihm gebracht:

Der hat gerad mit Argaliff gestritten,

Und diesem war der Helm bereits zerkracht:

Zu Boden sank er; gleiches Los erlitten

Mit ihm durch Berlingier wohl gegen acht;

Gesichert schien es, daß bei jedem Hiebe

Ein Heidenritter auf der Erde bliebe.


45.

Derweil hat umgebracht Rinald, der Degen,

So viele, daß ich nicht sie zählen kann.

Geschlossen steht ihm keine Reih' entgegen,

Man macht ihm schleunigst Platz, kommt er heran.

Zerbin, Lurcan sind ebenso verwegen,

Und ihren Ruhm verkündet jedermann:

Der warf gerad Balaster zu den Toten,

Und der hat Finadur den Helm zerschroten.


46.

Der eine Fürst kam mit Alzerbes Heere,

An dessen Spitze jüngst Tardokko stand;

Der andre leitete Marokkos Wehre

Und die vom Zamor- und vom Saffiland.

»Und bei den vielen Afrikanern wäre

Kein Held mit speer- und schwerteskund'ger Hand?«

Mögt Ihr wohl sagen? – Aber sachte, sachte!

Ich lasse keinen, der verdient sich machte.


47.

Zumaras König bleibe unvergessen,

Der edle Dardinel, Sohn des Almont

(Er ließ von Mirford Hubert Erde essen),

Claudius vom Busch, Eli, Dulfin von Mont;

Durch dessen Schwert ist Anselm abgesessen

Von Stanford, Raimund auch und Pinamont

Von London – alle wirft er nieder;

Betäubt zwei, tötet vier, bricht einem Glieder.
[96]

48.

Doch ob er selbst ein Held ganz ohnegleichen,

Nicht halten konnt' er seine Schar allein:

Sie müssen mählich vor den Unsern weichen,

Die tapfrer sind, ist ihre Zahl auch klein,

Geübt in Lanzenstoß und Schwerterstreichen

Und was zum Kampfe sonst mag nötig sein.

Es flieht das Mohrenvolk, das von Zumara,

Von Setta, von Marokko und Canara.


49.

Am meisten fliehn die Leute von Alzerbe;

Dagegen stemmt der Jüngling sich mit Macht;

Er hat durch flehnde Worte und durch herbe

Den Mut aufs neu in ihrer Brust entfacht:

»Hat Almont es verdient, daß sich vererbe

Sein Nam' auf euch, sei's kenntlich jetzt gemacht!

Ich will doch«, sprach er, »sehn, ob seine Scharen

Mich, seinen Sohn, hier lassen in Gefahren.


50.

Steht, fleh' ich, steht! Bei meiner Jahre Blüte,

Darauf ihr voller Hoffnung habt vertraut:

Daß nicht in euch des Schwertes Schärfe wüte,

Bis keiner unsres Stamms die Heimat schaut!

Stehn wir nicht eng vereint, fest im Gemüte,

Sind überall die Straßen uns verbaut.

Zu hohe Mauer und zu breiten Graben

Würde an Berg und Meer die Rückkehr haben.


51.

Viel lieber sterben doch, als sich ergeben

Der Christenhunde Willkür oder Qual!

Ein Mittel gibt es, alle Qual zu heben:

Steht fest, um Gott, ihr Freunde, fest wie Stahl!

Hat jeder Feind doch nur ein einzig Leben,

Wie wir, zwei Händ' und einen Geist zumal!«

Anfeuernd so zum Kampf die schwanken Glieder,

Streckt er von Otonley den Grafen nieder.
[97]

52.

Und siehe, das Gedächtnis Almonts schürte

So heiße Glut dem fluchtbereiten Heer,

Daß jeder Arm und jede Hand sich rührte:

Den Rücken bot dem Feinde keiner mehr.

Als längster Mann das Heer von England führte

Wilhelm von Burnich; diesen kürzte sehr

Jetzt Dardinel, um Aramon dem Alten

Von Cornwall gleich darauf das Haupt zu spalten.


53.

Zusammen war Herr Aramon gebrochen,

Als ihm zu Hilf' eilt' seiner Mutter Kind.

Doch Dardinel durchhaut ihm Fleisch und Knochen,

Bis wo des Magens Gabelung beginnt.

Buco von Vergall wird der Leib durchstochen,

Und alle Schulden ihm erlassen sind:

Er hatte Heimkehr seiner Frau versprochen,

Als Lebender, in fünfundzwanzig Wochen.


54.

Nun mußte Dardinel Lurcan erschauen:

Der stach Herrn Dorkin in den Hals hinein,

Hatt' auch dem Ritter Gard den Kopf durchhauen,

Hinunter tief bis auf das Zahngebein.

Altäus wollt' entfliehen voller Grauen,

Dem Jüngling teuer wie das eigne Sein;

Allein auch diesen hat Lurcan erschlagen

Mit mächt'gem Hiebe durch den Panzerkragen.


55.

Den Speer faßt Dardinel: falls ihm gelinge,

Schwört er dem Mahom (wenn es der vernimmt),

Daß er den Gegner tot zu Boden bringe,

Sei dessen Rüstung der Moschee bestimmt.

Er sprengt durchs Feld: mit Kräften nicht geringe

Stößt er den Ritter in die Seit' ergrimmt,

Und aus dem Leibe ragt des Speeres Ende;

Die Leiche plündern seiner Leute Hände.
[98]

56.

Nun braucht Ihr eines wirklich nicht zu fragen:

War traurig wohl der Bruder Ariodant?

Verlangt es ihn, den Mörder hinzujagen,

Wo der Verdammten Rotte sich befand?

Doch konnt' er nicht dem andern an den Kragen;

Zu dicht war dort der Kämpfer Scheidewand,

Sucht er auch mit dem Schwert, um sich zu rächen,

Bald hier, bald dort sich einen Weg zu brechen.


57.

Und rings mit Hieben, Stichen hinzumähen,

Wer immer nur sich in den Weg ihm stellt.

Gern möcht' ihn Dardinel als Gegner sehen;

Denn wohl versteht, was jener meint, der Held.

Doch weil zu viele zwischen ihnen stehen,

So wird den beiden ihre Lust vergällt.

Wenn viele Mohren dem den Tod verdanken,

Schlägt dieser Schotten, Engelländer, Franken.


58.

Das Schicksal ließ sie niemals sich vereinen;

Sie kamen nicht zusammen diesen Tag:

Berühmtrer Hand bestimmt es ja den einen,

Kein Mensch entging noch des Geschickes Schlag.

Da sieht man – schaut! – Rinald des Wegs erscheinen,

So daß den einen nichts mehr schützen mag;

Rinald erscheint –: das Glück vergönnt dem Degen

Die Ehre, jenen Jüngling zu erlegen.


59.

Doch lassen wir, was Rühmliches geschehen

An Heldentaten dort im Abendland:

Zeit ist's, nach Grifon jetzt uns umzusehen,

Der Dinge tat, von Zorn und Grimm entbrannt,

Daß dort die Leut' in ärgrem Schrecken stehen

Als je und angstvoll laufen durch das Land.

Auch Norandin, der Fürst, vernahm das Lärmen

Und kam herbei mit tausend Mann in Schwärmen.
[99]

60.

Als Norandin, die Heeresmacht zur Seite,

All jenes Volk sah fliehen Hauf um Hauf,

Zum Tore führt er sie, gereiht zum Streite;

Bei seinem Nahen machte man ihm auf.

Grifon inzwischen, der schon in die Weite

Gejagt das dumme Volk in tollem Lauf,

Muß noch einmal die schmachbedeckten Waffen,

Wie sie sich bieten, von dem Boden raffen.


61.

Vor einem Tempel, fest und stark gelegen,

Um den ringsum ein tiefer Graben war,

Auf einem Brücklein Stellung nahm der Degen:

Uneingeschlossen blieb er so fürwahr.

Sieh da! Mit drohndem Schrei sprengt ihm entgegen

Zum Tor heraus gewalt'ge Reiterschar.

Der tapfre Held ist unbewegt zu schauen,

Und vor dem Angriff scheint ihm nicht zu grauen.


62.

Als er den Kriegerhauf sah näherrücken,

Ging er des Weges eine Streck' entlang,

Und eine Menge hieb er gleich in Stücken,

Da er sein Schwert mit beiden Händen schwang,

Zog sich zurück dann; auf der engen Brücken

Gönnt er sich Ruhe, doch nicht allzulang.

Aufs neue fällt er aus und wendet wieder

Und läßt als grausig Merkmal blut'ge Glieder.


63.

Er haut gerad und quer: zur Erde sendet

Fußvolk und Reiter dieses Kämpfers Mut.

Das ganze Volk ist gegen ihn gewendet,

Und immer wilder wird die Kampfeswut.

Der Strom verschlingt ihn, bald ist's nun beendet,

Fühlt er: so wächst um ihn die Meeresflut;

Am Schenkel, an der Schulter hat er Wunden,

Und fast ist ihm der Atem schon geschwunden.
[100]

64.

Doch Tüchtigkeit kommt oft dem Mann zugute:

Sie mahnte zur Verzeihung Norandin.

Er naht und sieht die Kriegerschar im Blute,

Sieht auch die vielen Toten dort um ihn;

Die Wunden zeugten all von Kraft und Mute;

Von Hektor jede, traun, geschlagen schien;

Ein Zeichen, daß man sehr mit Unrecht bitter

Gekränkt hat einen auserlesnen Ritter.


65.

Nun kam der Held ihm näher zu Gesichte,

Der vor dem Berg von blut'gen Leichen stand

Und jene Kriegerschar gemacht zunichte,

Das Wasser rötend und den Grabenrand; –

Da meint' er, vor ihm steh' im Sonnenlichte

Horatius gegen alles Tuskerland:

Voll Reu' und Scham gebot er Einhalt allen;

Es schien den Kriegern gar nicht zu mißfallen.


66.

Die nackte Rechte sah man ihn erheben,

Des Friedens Zeichen und der Freundlichkeit:

»Ich muß mir selber«, sprach er, »Unrecht geben

Und offen dir gestehn, es tut mir leid.

Aufreizen ließ ich mich von andern eben;

Mein Fehler war die Unbesonnenheit.

Was ich an schlechtem Mann zu tun gedachte,

Am alleredelsten ich so vollbrachte.


67.

Mag auch den Schimpf (man ließ ihn dir bezeigen

Unwissentlich und in Verblendung hier)

Ausgleichen – ja, vielmehr noch übersteigen

Die Ehre, die du selbst errangst, soll dir

Nach Wissen und nach Kräften, die mir eigen,

Genugtuung geschehen auch von mir,

Wenn ich vermag den Fehler gutzumachen

Durch Städte, Schlösser oder Goldessachen.
[101]

68.

Verlange du die Hälfte meiner Lande,

So ist sie noch am heut'gen Tage dein!

Mich selber schlug dein hoher Wert in Bande,

Drum schenk' ich dir mein Herz noch obendrein.

Gib mir die Hand derweil zum Unterpfande,

Daß ew'ge Lieb' und Treue dein und mein!«

So sprechend steigt er ab und streckt dem Degen

Die königliche rechte Hand entgegen.


69.

Als Grifon gütig sah den Hochgemuten

Zum Gruße kommen voller Herzlichkeit,

Ließ er sein Schwert und seines Grolles Gluten

Und küßt ihn ehrerbietig auf das Kleid.

Der König sieht ihn aus zwei Wunden bluten,

Ruft einen, der da heilt mit Sicherheit,

Und läßt ihn tragen sanft der Stadt entgegen,

Im Königsschlosse dort der Ruh' zu pflegen.


70.

Hier mußt' er ein paar Tage lang verweilen,

Bis er die Kräfte, sich zu wappnen, fand.

Ich laß ihn, ins gelobte Land zu eilen

Zu Astolf und zum Bruder Aquilant.

Nach Grifon hatten sie gesucht derweilen,

Seit aus den heil'gen Mauern er verschwand,

An jeder Stätte, Frömmigkeit geweihter,

Auch außerhalb Jerusalems und weiter.


71.

Wie sehr sich beide drob den Kopf zerbrechen,

Kein Schlüssel bietet sich des Rätsels dar,

Bis sie den Pilgrim, jenen Griechen, sprechen;

Er gab Bescheid wie ein Spion fürwahr,

Daß Orrigill durch Syriens sand'ge Flächen

Nach Antiochien auf der Reise war,

Weil eine neue Liebe sie entflammte

Zu einem, der dort aus der Gegend stammte.
[102]

72.

Ob er vielleicht an Grifon dies zu künden

Den Anlaß fand, befragt' ihn Aquilant.

Als der's bejahte, konnte man ergründen,

Aus welchem Grund er also rasch verschwand.

Er ließ von Liebessehnsucht sich entzünden

Und folgte jener nach dem Syrerland,

Um ihres Buhlen Hand sie zu entwinden:

Und grimme Strafe für den Kerl zu finden.


73.

Nicht soll allein der liebe Bruder stehen,

Sprach Aquilant bei sich, in diesem Strauß:

Er nimmt die Waffen, um ihm nachzugehen.

Vorher bedang er sich von Astolf aus,

Frankreich und England früher nicht zu sehen,

Als bis er aus dem Syrerland heraus.

Er geht zu Schiff in Joppe, weil ihn besser

Und kürzer dünkt der Weg durchs Meergewässer.


74.

Es scheint, der Wind – Südost – will für ihn sorgen,

Weil er so kräftig und so günstig weht,

Daß man das Land von Sur am nächsten Morgen

Erblicken kann und bald darauf Sarphet;

Dann Bairut, Zibelett. Es bleibt verborgen

Die Insel Zypern, die zur Linken steht.

Tortosa, Tripolis und Lizza kommen;

Dann ist das Schiff zum Lajazz-Golf geschwommen.


75.

Nun läßt der Schiffer gegen Osten gleiten

Des flinken Kieles leichtbeschwingten Lauf,

Auf dem Orontes ihn stromauf zu leiten,

Und, wohl berechnend, fährt er dort hinauf.

Die Landung heißt nun Aquilant bereiten

Und macht gewappnet mit dem Roß sich auf.

Den graden Weg stromauf hat er erkoren,

Folgt ihm und kommt zu Antiochiens Toren.
[103]

76.

Jetzt gilt es, den Martan noch zu erfragen:

Mit Orrigill zog nach Damask er fort.

So hört er auch, daß in den nächsten Tagen

Der Fürst beginn' ein festlich Kampfspiel dort.

Sicher, daß dieser Weg ward eingeschlagen,

Ging er ihm gerne nach an jenen Ort:

Am gleichen Tag sah ihn Antiochien scheiden,

Doch dieses Mal den Weg zur See vermeiden.


77.

Lydia, Larissa strebt er jetzt entgegen,

Aleppos Schatz lag oberhalb der Bahn.

Gott ließ, zu zeigen, daß den guten Wegen

Lohn wird und bösen hier schon Strafen nahn,

Den Kerl in jener Gegend sich bewegen:

Unweit Mamuga ritt der Herr Martan.

Und vor ihm her in prahlerischer Weise

Trugen die Diener des Turnieres Preise.


78.

Beim ersten Anblick meinte Aquilante,

Der Bruder sei es, weil er an Martan

Die weiße Rüstung Grifons gleich erkannte,

Mit der kein Glanz des Schnees sich messen kann.

Mit einem »O!«, das Jubel hell entsandte,

Begann er, um nach kurzer Weile dann

Ganz andern Ton zu zeigen, andre Brauen,

Als seine Augen jenen Menschen schauen.


79.

Durch den und durch die Frau zu seiner Seiten

Sei Grifon, wähnt er, wohl ein Leid geschehn,

Und ruft: »Du Urbild aller Schändlichkeiten,

Dieb und Verräter, willst du wohl gestehn:

Wie kannst du meines Bruders Renner reiten?

Wie läßt du dich in seiner Rüstung sehn?

Lebt noch mein Bruder? Sprich, ist er gestorben?

Wie hast du Roß und Rüstung dir erworben?«
[104]

80.

Das Weib hört seine zorn'ge Stimme klingen

Und wendet ihren Zelter, um zu fliehn;

Doch Aquilant weiß sie zum Stehn zu bringen,

Ob gern sie bleibe, ob mit trüber Mien'.

Und wie zum Ohr Martans die Rufe dringen

Des Ritters, der so unversehns erschien,

Bebt er, wie Laub im Wind, an allen Gliedern

Und weiß nicht, was er tun soll, was erwidern.


81.

Laut wettert Aquilant und schreit auf beide,

Das Schwert dabei vor Gurgel und Gesicht,

Und droht, daß er den Kopf vom Rumpfe schneide

Ihm und der andern auch, sobald er nicht

Den Fall enthülle, jeden Trug vermeide.

Nun schluckt ein Weilchen noch der arme Wicht

Und sinnt im stillen, wie er sein Verbrechen

Beschönige, um schließlich so zu sprechen:


82.

»Herr, dies ist meine Schwester! Von geehrten

Und tugendhaften Leuten stammt sie ab;

Ob auch ihr sittsam Leben dann verkehrten

Die bösen Lehren, die ihr Grifon gab.

Da diese Schändlichkeiten mich beschwerten

Und ich im Körper nicht die Kräfte hab',

Um mit Gewalt sie jenem zu entreißen,

Mußt' ich der List und Schlauheit mich befleißen.


83.

Ich machte mit ihr aus (denn zu dem braven

Dasein zurückzugehn, war sie bedacht),

Sie solle heimlich, ging Herr Grifon schlafen,

Von ihm entweichen, fliehn mit aller Macht.

Sie tat es; daß er uns nicht könne strafen,

Den Plan vereitelnd, den wir ausgedacht,

Haben wir Roß und Waffen ihm genommen

Und sind, wie du nun siehst, hierher gekommen.«
[105]

84.

Mit großer Schlauheit hatt' er sich gebettet:

Man hätt' ihm leicht geglaubt auf diese Art;

Er hätte Roß und Rüstung bloß verwettet

Und alles andre Unheil sich erspart;

Allein der Trug war allzu fein geglättet,

Daß er zu einer schlimmen Lüge ward:

Trefflich war alles sonst, bis auf die Märe,

Daß jene Dirne seine Schwester wäre.


85.

Der Held hatt' in Antiochien schon lange

Gehört, daß sie des Menschen Buhle sei;

Drum schrie er jetzt, in heller Wut: »Du Range!

Du lügst, du falscher Dieb, 's ist Flunkerei!«

Es klatscht' ein Schlag auf des Halunken Wange

Und jagt' ihm in den Schlund der Zähne zwei,

Dann auf den Rücken band ihm beide Hände

Der Ritter, ohne daß er Sträuben fände.


86.

Was Orrigill auch sagt, daß sie sich rette,

Durch Aquilant wird ihr das gleiche Los.

Er schleppt sie mit durch Schlösser und durch Städte

Und läßt sie bis Damaskus hin nicht los.

Tausend und aber tausend Meilen hätte

Er sie geschleppt mit Pein und Qualen groß,

Bis er sie zu dem Bruder bring' am Ende:

Der könne schalten, wie er's passend fände.


87.

Zur Stadt zurück nun auch die Knappen kamen

Sowie das Zugvieh, das die Preise trug.

Gefeiert fand er seines Grifon Namen:

Durchs ganze Land hin nahm sein Ruhm den Flug;

Es wußten's groß und klein und Herrn und Damen:

Er war's, der so gewalt'ge Hiebe schlug

Und den ein falscher Mann durch arge Lügen

Wollt' um des Kampfspiels Ruhmeskranz betrügen.
[106]

88.

Verachtung folgt Martan; die Leute schmähen,

Zeigen den Feigling mit den Fingern sich:

»Läßt dort nicht«, rufen sie, »der Kerl sich sehen,

Der Lob für eines andern Tat erschlich?

Die Tugend, die versäumt sich vorzusehen,

Mit eigner Schmach bedeckt hat freventlich?

Und dort die Undankbare, die den Rechten

Verrät, den Helden, beizustehn dem Schlechten?«


89.

Und andre: »Seht, wie sie zusammenpassen!

Vom gleichen Stempel und an Rasse gleich!«

Der flucht und knirscht: »Man soll sie pfählen lassen!«

Der schreit: »Auf, prügelt, haut sie windelweich!«

Das Volk läuft nach dem Markt und auf die Straßen

Und stößt und drängt sich hin in ihr Bereich.

Der König hört die Nachricht so zufrieden,

Als ob ein neues Reich ihm sei beschieden.


90.

Ohne sich erst mit Knappen zu umgeben,

So wie er ist, hat er sich aufgemacht,

Zu Aquilant sich eilig zu begeben,

Der seinem Grifon Rache hat gebracht,

Und ihn mit Lob und Ehren zu erheben;

Er nimmt ihn auf in seines Schlosses Pracht,

Derweil mit seinem Willen jene beiden

In Turmes Grund Gefangenschaft erleiden.


91.

Zusammen gehn sie zu dem Bett mit Bangen,

Von dem der wunde Held noch nicht erstand.

Ihm röten sich vor Aquilant die Wangen;

Er ahnt, des Handels Grund ist ihm bekannt.

Nachdem der ins Gericht mit ihm gegangen

Gelind, beraten beide miteinand,

Wie jene zwei in ihrer Gegner Händen

Am besten wohl gerechte Strafe fänden.
[107]

92.

Der Fürst mit Aquilant will, Qualen leiden

Soll dieses Paar, und Grifon nur sagt nein:

Man möge doch verzeihen allen beiden

(Er darf nicht sagen »Orrigill allein«),

Und weiß die Gründe trefflich einzukleiden.

Man widerspricht; und kommt dann überein,

Martan dem Henker in die Hand zu geben,

Der stäup' ihn gründlich, aber lass' ihn leben.


93.

Man band ihn (aber nicht »auf Blumenauen«)

Am andern Tag, worauf gestäupt er ward.

Gefangen bleibt die schlechteste der Frauen,

Bis heim Lucina kehrt von ihrer Fahrt.

Man will das Urteil ihrem Mund vertrauen,

Ob es nun mild sei, ob von strenger Art.

Und Aquilante blieb und Ruh' sich gönnte,

Bis Grifon wieder Waffen führen könnte.


94.

Fürst Norandin stieg aus des Irrtums Fluten

Als weiser Mann, besonnen wundersam.

Bei dem Gedanken will das Herz ihm bluten,

Erfüllt von Reue, Schmerz und grimmer Scham,

Daß er hat Schmach gehäuft auf einen Guten;

Von neuem schuf es Kummer ihm und Gram.

Des Nachts im Bett beschäftigt ihn die Sache,

Wie er den Helden ganz zufrieden mache.


95.

Und er beschloß, vor jenem Stadtvolk eben,

Das da die Schuld an solchem Unrecht trug,

Mit aller Ehre, wie sie nur erleben

Ein Held durch einen König kann mit Fug,

Nachträglich ihm den Siegespreis zu geben,

Den jener schlaue Gauner unterschlug:

In einem Monat, ließ durchs Land er melden,

Lad' er zu neuem Kampfspiel ein die Helden.
[108]

96.

So festlich rüstet man zu diesen Dingen,

Wie es vermögen Königsprunk und -pracht:

Die Kunde hat auf Famas raschen Schwingen

Den Weg durchs ganze Syrerland gemacht,

Weiß dann nach Palästina vorzudringen,

Und wird zuletzt vor Astolfs Ohr gebracht.

Er und der Vizekönig, sie beschließen:

Es soll nicht ohne sie das Fest verfließen.


97.

Oft wird als Krieger hochberühmt und weise

Von der Historia Samsonet genannt.

Ihn taufte Roland, Karl gab ihm zum Preise

(Schon sagt' ich's) Herrschaft übers Heil'ge Land.

Das Paar macht nach der Stadt sich auf die Reise,

Davon des Ruhmes Lied tönt unverwandt,

So daß ringsum schon alle Ohren klingen

Von dem Turnier und seinen Wunderdingen.


98.

Gemächlich, langsam, um sich recht zu pflegen,

Ziehn sie Damaskus zu, ins Land hinein,

Mit kurzen Strecken, auf bequemen Wegen,

Es gilt ja, am Turniertag frisch zu sein.

An einem Kreuzweg kommt dem Paar entgegen

Ein Wesen; männlich ist es nach dem Schein,

Nach Tracht und Haltung; doch in Wahrheit weiblich,

Im Kampf von einer Kühnheit unbeschreiblich.


99.

Jungfrau Marfisa (wie sie sich benannte)

War stark, wenn vor ein Waffenwerk gestellt,

Daß oft die Stirne Rolands Schweiß entsandte,

Und keuchend stand von Montalban der Held.

Bei Tag und auch bei Nacht gewappnet, wandte

Sie sich von Ort zu Ort, durch Wald und Feld,

Mit jedem fahrnden Ritter anzubinden

Und Ruhm, unsterblichen, für sich zu finden.
[109]

100.

Als Astolf nun und Samsonet erscheinen

Und sie die reiten sieht so wohlbewehrt,

Hochragend, stark an Brust und Arm und Beinen,

Hält sie die beiden gleich für Kämpen wert,

Sie wäre flugs darüber gern im reinen

Und hat den Renner gegen sie gekehrt;

Doch wie sie näher zu dem Paar sich wandte,

Geschah es, daß sie Astolf dort erkannte.


101.

Sie denkt der Zeit, als in Katai sie waren

(Wie dient' er ritterlich und eifrig ihr!),

Läßt nicht den Handschuh mehr die Hand verwahren

Und ruft ihn an mit offenem Visier,

Umarmt ihn dann mit freudigem Gebaren,

Sie, die so stolz sonst und unnahbar schier,

Worauf er voller Ehrfurcht sich verneigte

Und alle Huldigung der Dam' erzeigte.


102.

»Wohin des Wegs?« fragt man einand am Ende,

Und Herzog Astolf gibt zuerst Bescheid

Und sagt, daß er sich nach Damaskus wende,

Wohin der König für die nächste Zeit

Mutige Herzen lad' und starke Hände,

Dort zu bewähren rechte Tapferkeit.

Marfisa spricht, die stets zur Tat Bereite,

»Ich gebe zum Turnier euch das Geleite.«


103.

Erfreut war Astolf, Samsonet desgleichen,

Ob solcher Kampfgenossin ungemein.

Am Tag vorm Feste sind sie da, erreichen

Damask und kehren in der Vorstadt ein,

Wo sie, bis Eos aus dem Schlaf, dem weichen,

Den Alten weckt, der einst ihr lieb allein,

Mit mehr Behagen sich in Ruhe wiegen,

Als wären sie im Schlosse abgestiegen.
[110]

104.

Und als vom jungen Morgen allen Dingen

Mit lichtem Strahl ward neuer Glanz gebracht,

Die Krieger und die Maid sich waffnen gingen.

Derweil stehn Boten in der Stadt auf Wacht,

Die ihnen, als es Zeit ist, Kunde bringen,

Es sei, zu schaun, wie Esch und Buche kracht,

Fürst Norandin an jenem Platz erschienen,

Der für das Spiel zum Schauplatz solle dienen.


105.

Sie brechen augenblicklich auf und gehen

Zur Hauptstraß' und zum großen Platze hin,

Wo hier und dort die Krieger wartend stehen,

Des Zeichens harrend, all von hohem Sinn:

Die Siegespreise für den Tag bestehen

In Schwert und Kloben, mit viel Steinen drin,

Gar reich verziert; ein schönes Roß daneben,

Würdig des hohen Herrn, der es gegeben.


106.

Dem König will es ausgemacht erscheinen,

Daß, wie der erste, so der zweite Preis

Und beider Spiele höchste Ehr' an einen,

An Grifon, fällt, den Rittersmann in Weiß.

Zu spenden, was zur Wehr sich mag vereinen

Und was ein guter Held zu brauchen weiß,

Hat er dem letzten Preis noch zugeschoben

Das auserlesne Pferd und Schwert und Kloben.


107.

Die schon fürs frühre Spiel bestimmten Waffen

(Grifon zu Recht gehörten sie fürwahr),

Die mit Betrug Martan sich zu erraffen

Verstand, der sich als Grifon stellte dar,

Ließ Norandin vor aller Augen schaffen;

Das schöne Schwert darumgeschlungen war;

Den Kloben sieht man an dem Sattel hangen –

All diese Preise soll der Held erlangen.
[111]

108.

Wenn diese schönen Pläne sämtlich scheitern,

So lag es in der kühnen Kriegrin Hand,

Die, eben angelangt mit den zwei Reitern,

Dort auf dem Platz für die Turniere stand.

Als sie die Rüstung sah vor allen Streitern,

Ward diese gleich von ihrem Aug' erkannt:

Sie war ihr eigen einst und lieb geblieben,

Wie man nur Auserlesenes kann lieben.


109.

Sie ließ sie freilich, weil ja von Gewichte

Zu schwer und hinderlich, an jener Straße dort,

Als sie Brunel nachlief, dem Bösewichte

(Sie nahm das Schwert dem Galgenvogel fort).

Nicht meld' ich Euch aufs neue die Geschichte,

Ihr kennt sie, denk' ich; drum davon kein Wort!

Genüg' es Euch, von mir jetzt zu erfahren,

Daß es die Waffen der Marfisa waren.


110.

Als ihre Blicke sich auf diese heben

Und sie bestimmt ihr Eigentum erkennt,

Sie hätte für das höchste Gut im Leben

Von ihrem Schatz sich nimmermehr getrennt.

Ihr fällt nicht ein: mag's andre Wege geben

Zur Rückerlangung dieser Ding' am End'?

Schon ist sie dort, jedwede Rücksicht lassend,

Die Rüstung mit erhobner Hand erfassend.


111.

Sie nimmt in ihrer Eile von den Sachen

Das eine fort und schleudert andres hin.

Des Königs Blick genügt, Krieg zu entfachen;

Zu sehr beleidigt hat sie seinen Sinn,

Und seiner Leute Wut und Grimm erwachen:

Sie wollen Rache an der Frevlerin,

Vergessend, wie doch erst vor wenig Tagen

Verdruß mit Rittern ihnen angeschlagen.
[112]

112.

Nicht unter Blumen, roten, gelben, blauen,

Mag wohl ein Kind in junger Frühlingszeit –

Bei Sang und Tanz mag nicht so fröhlich schauen

Die reichgeschmückte, hold erblühte Maid,

Wie unter Waffenlärm, bei Stechen, Hauen,

Bei Pfeil- und Lanzenflut in wildem Streit,

Wo Blut fließt und der Tod, der grimme, schreitet,

Hier diese blickt, wenn sie zum Kampfe reitet.


113.

Hin nach dem Schwarm läßt sie den Renner schießen

Und senkt dabei den ungestümen Speer,

Um den am Hals, den an der Brust zu spießen,

Und von dem Anprall stürzt noch der und der.

Sie nimmt das Schwert, und blutge Bäche fließen:

Den macht sie kopflos und den Sattel leer;

Zermalmt muß der, durchstochen jener sinken,

Der ohne rechten Arm, der ohne linken.


114.

Nun haben Stahl und Schuppen auch genommen

Astolf und Samsonet, die Helden gut.

Sind sie auch nicht zu solchem Zweck gekommen,

So senken sie, entflammt von Kampfeswut,

Nachdem sie das Getümmel wahrgenommen,

Doch Speer und Helmvisier mit frischem Mut,

Worauf die Schwerter auf den Pöbel krachen,

So daß die beiden eine Straße machen.


115.

Als aus so manchem Reich die edlen Ritter,

Die zum Turniere kamen in das Land,

Den Wettstreit sahn verkehrt in Ungewitter

Und Waffenspiel in ernsten Zornes Brand

(Der Grund, daß sich der niedre Haufen bitter

Beklagen durfte, war noch nicht bekannt,

Noch, welch ein Schimpf dem König widerfahren),

Verblüfft und schwanken Sinnes viele waren.
[113]

116.

Hält's mit dem Volk der eine von den Degen

(Was zu bereun er bald wird Anlaß sehn),

Will der, dem an der Stadt nicht mehr gelegen

Als an den Fremden ist, sie trennen gehn.

Andre, bedächt'ger, schauen dem entgegen,

Stillhaltend, was wohl weiter mag geschehn.

Grifon und Aquilant sind mit den Braven,

Die jenen Raub der Rüstung wollen strafen.


117.

Als sie den König sahn voll Durst nach Rache,

Die Augen wie berauscht von Gift und rot,

Und nun durch Zeugen hörten von der Sache

Und, was den Anlaß zu dem Zwiste bot,

Meint Grifon, daß auch ihm sich fühlbar mache

Der Schimpf, der König Norandin bedroht.

Sie nahmen von den Knappen rasch die Speere

Und flogen hin, als ob der Blitz es wäre.


118.

Von drüben sieht man Astolf sich bewegen:

Auf Rabikan ist er vorausgerannt.

Die goldne Zauberlanze führt der Degen,

Die jeden Gegner hinstreckt auf den Sand.

Er naht, um auf den Boden stracks zu legen

Grifon zuerst, danach auch Aquilant;

Ob bloß der Schildesrand getroffen werde,

Kopfüber fliegt der Reiter auf die Erde.


119.

Gepriesne Ritter, vielbewährt im Streite,

Herr Samsonet jetzt aus dem Sattel hebt.

Vom Platz hinweg das Volk stäubt in die Weite,

Vor Zorn und Groll der König schäumt und bebt.

Dann nimmt die erste Rüstung und die zweite

Marfisa – seht nur, wie sie vorwärts strebt!

Als Siegerin, weil alle vor ihr fliehen,

Darf sie vom Platz nach jener Herberg' ziehen.
[114]

120.

Astolf und Samsonet, die kühnen Ritter,

Folgten ihr schnell bis an das Tor nach Haus

– Denn alle machten Platz –, und dort am Gitter

Hielt man sich fertig für den Kampf hinaus.

Grifon und Aquilant, voll Trauer bitter,

Daß sie besiegt sich sahn in einem Strauß,

Sie müssen tiefbeschämt die Häupter neigen

Und wagen nicht, sich Norandin zu zeigen.


121.

Sobald sie wieder saßen auf den Rossen,

Sprengten dem Feind sie nach in eil'gem Lauf,

Zur Rache oder blut'gem Tod entschlossen;

Der König folgt mit seiner Großen Hauf.

Fern steht das Volk und wartet unverdrossen

Mit lautem Schreien: »Immer drauf, nur drauf!«

Grifon erscheint, wo jene drei Gesellen

Sich für die Abwehr auf die Brücke stellen,


122.

Von denen er den Herzog gleich erkannte,

Der immer noch dieselben Zeichen trug

Und noch das Pferd, die Waffen auch verwandte

Wie damals, als er den Orril erschlug.

Er sah das nicht, als jener auf ihn rannte,

Denn zur Betrachtung war nicht Zeit genug;

Hier kannt' er ihn und eilte, Gruß zu sagen,

Darauf nach den Genossen ihn zu fragen:


123.

Warum die Rüstung sie herabgerissen,

Ehrfurcht vorm König ließen außer acht? –

Astolf war des Bescheids hierauf beflissen

Und Wahrheit ihm zu melden nur bedacht.

Zwar von der Rüstung meint er nichts zu wissen,

Die allzuerst den Krieg hier angefacht.

Sie seien mit Marfisa hergeritten

Und hätten darum auch für sie gestritten.
[115]

124.

Kam Aquilant, als sie zusammenstanden:

Auch er erkannte gleich den Paladin,

Als jener sprach; die bösen Launen schwanden,

Mit denen er vor jenem Haus erschien.

Von ferne sahn's, jedoch den Mut nicht fanden

Heranzureiten die mit Norandin.

Sie standen, die Besprechung nicht zu stören,

Lautlos und still, gespannt nur zuzuhören.


125.

Einer vernahm, daß dort Marfisa weile,

Der übermächt'ge Stärke sei verliehn.

Er wendet um, sagt's Norandin in Eile,

Um Rettung vor Verderben fleht er ihn.

Bevor Vernichtung allen werd' zuteile,

Mög' er der Würgrin Händen sie entziehn.

Marfisa selber sei es ja gewesen,

Die auf dem Platz die Rüstung aufgelesen.


126.

Als Norandin gehört hat jenen Namen,

So sehr gefürchtet rings im Morgenland,

Daß viele Schreckensschauer schon bekamen,

Wenn er nur in der Ferne ward genannt,

Ist klar ihm: was die Ohren just vernahmen,

Geschieht, wenn er nicht Rettung hat zur Hand.

Er sammelt seine Leute, die – zu Schrecken

Ward schon ihr Ingrimm – sich beinah verstecken.


127.

Die Sprossen Olivers mit feinen Sitten,

Desgleichen Samsonet und Ottos Sohn

Bestürmen so die Maid mit flehnden Bitten,

Daß man ein Ende sieht des Kampfes schon.

Zum König kommt Marfisa stolz geritten

Und sagt: »Ich weiß nicht, Herr, wie du zum Lohn

Des Sieges im Turnier kannst Waffen zeigen

Und sie verschenken, die gar nicht dein eigen.
[116]

128.

Mein sind sie: eines Tags ließ ich sie liegen

Am Weg, der aus Armenien leitet fort,

Nach einem Räuber seitwärts abzubiegen,

Der mich genug geschädigt hatte dort.

Und Zweifel mag dies Wappen hier besiegen:

Sieh dir es an, ob Wahrheit spricht mein Wort.«

Und eine Krone läßt sie ihn erkennen

An ihrem Harnisch, die drei Risse trennen.


129.

»Sie wurden«, sprach der Fürst, »mir angetragen;

Feil hielt sie ein armen'scher Handelsmann.

Und hätt' es dir beliebt nur, anzufragen,

Gehörten sie – dein oder nicht – dir an.

Als Preis gedacht für Grifon, dort sie lagen;

Doch würd' er wohl, wie ich vertrauen kann,

Mir gerne die für ihn bestimmten Gaben,

Sie dir zu lassen, abgetreten haben.


130.

Und nicht bedarf es, mich zu überführen,

Des Wappens hier auf deinem Panzerkleid:

Ein Wort genügt; dir selber wird gebühren

Mehr Glauben stets als sonst'ger Sicherheit.

Daß dein die Rüstung ist, läßt du ja spüren

Durch größrer Dinge würd'ge Tapferkeit.

So nimm sie hin – das Streiten hab' ein Ende,

Derweil ich höhern Lohn für Grifon spende.«


131.

Nur wenig Grifon jene Waffen galten,

Den König zu befried'gen trieb es ihn.

Er sprach: »Ihr könnt mich für entschädigt halten,

Habt Ihr mir weiter Eure Huld verliehn.«

Marfisa denkt: »Mir ehrenvoll gestalten

Muß sich die Sache« – und mit heitrer Mien'

Will sie an Grifon alle Rüstung schenken –

Und nimmt sie dann von ihm zum Angedenken.
[117]

132.

Zurück in eitel Lieb' und Frieden wallen

Sie nach der Stadt, wo doppelt Jubel klang.

Nun ließ man das Turnierspiel sich gefallen,

Und alle Ehre Samsonet errang.

Astolf, die Brüder, auch Marfisa, allen

Voraus, empfanden keinen Kampfesdrang;

Als Freunde wollten sie und Kameraden

Auf Samsonet Ruhm und Gewinne laden.


133.

In Herrlichkeit und Freude sind geschwunden

Bei Norandin acht Tage oder zehn,

Bis Frankreichs Bild sich mahnend eingefunden:

Es soll nicht länger ihrer wartend stehn.

Sie scheiden, mit der Kriegerin verbunden;

Denn sie gedachte gleichen Weg zu gehn:

Schon lang ist ja ihr großer Wunsch gewesen,

Den Preis zu schaun der Helden auserlesen


134.

Und zu erproben, ob dem großen Namen

Auch in der Tat die Wirklichkeit entspricht.

Die heil'gen Stätten einen Herrn bekamen,

Und sie vermißten so den alten nicht.

Die fünf hier, wie gefaßt in einen Rahmen

(Kaum sieht solch Fähnlein noch der Sonne Licht),

Sind jetzt von Syrien aus davongezogen

Nach Tripolis und an die Meereswogen.


135.

Nach Westen ging gerad ein Schiff mit Waren

(Aus Luna kam der alte Schiffer dort);

Bald fügte sich's, daß sie im Einklang waren:

Er nahm sie samt den Pferden all an Bord.

Der wolkenlose Himmel ließ gewahren,

Es daure gutes Glück noch weiter fort.

Sie stießen ab, die Luft war hell und linde

Und alle Segel voll von gutem Winde.
[118]

136.

Der Liebesgöttin heil'ges Eiland baden

Des ersten Hafens Wellen, aber ach!

Dort bringen Lüfte nicht nur Menschen Schaden:

Man lebt da kurz, das Eisen selbst wird schwach.

Ein Sumpf ist schuld, Giftdünste hat geladen

Natur zu Famagostas Ungemach;

Denn sie, so gnädig sonst dem Kyprosreiche,

Begabt es leider mit Costanzas Teiche.


137.

Die schweren Dünste, die vom Sumpf her weben,

Gestatten kurzes Bleiben nur am Strand.

Als im Nordost sich frisch die Segel heben,

Geht's um die Insel hin nach rechter Hand:

Zum schönen Paphos will man sich begeben,

Und dort steigt alles aus dem Schiff ans Land,

Teils um am Ufer Waren zu erstehen,

Teils um das Land der Lieb' und Lust zu sehen.


138.

Sechs, sieben Meilen kann man aufwärts steigen,

Sanft und allmählich einen Berg hinan,

Drauf sich Zitrone, Myrt' und Lorbeer zeigen;

Ein Wald von holden Bäumen füllt ihn an.

So mächt'ger Duft ist dem Gelände eigen

Durch Krokus, Ros' und Lilie, Thymian:

Man kann ihn auf den Meereswogen spüren,

Wenn Winde ihn vom Land herüberführen.


139.

Ein frischer Bach aus klarer Bergesquelle,

Die Au benetzend, rieselt munter fort.

Man sagt mit Recht: Durch Venus licht und helle

Und wonnevoll und lieblich ist es dort.

So schöne Mädchen gibt's auf alle Fälle,

So schöne Fraun an keinem andern Ort,

Und glühen läßt die Göttin all zusammen,

Jung', Alte, bis zuletzt in Liebesflammen.
[119]

140.

Sie hören von Lucina dort berichten,

Des sie von Syrien her schon kundig sind,

Wie zu Nikosia sie die Heimkehr richten,

Daß sie den Gatten endlich wiederfind'.

Der Schiffer läßt darauf die Anker lichten

(Sein Werk ist fertig, günstig weht der Wind),

Den Kiel nach Westen drehn, die Segel spannen,

Daß voll sie schwellen – und es geht von dannen.


141.

Die Segel werden links gespannt, sie dringen

Getrieben vom Nordwest hinaus ins Meer;

Doch ein Südwest beginnt emporzuspringen,

Solang die Sonne hoch steht, noch nicht schwer,

Um gegen Abend wilden Sturm zu bringen,

Anprallend an das Schifflein mehr und mehr,

Mit Donnerkrachen und mit Blitzesflammen,

Als stürze brennend rings die Welt zusammen.


142.

Ein Schleier, schwarz, von Nebelnacht gewoben,

Der Sonne wie der Sterne Licht verhüllt:

Das Meer brüllt unten und der Himmel oben,

Und Windsbraut rings von allen Seiten brüllt;

Regen und Hagel und des Sturmes Toben

Die arme Menschenbrust mit Zagen füllt,

Und immer tiefer will die Nacht sich strecken

Auf der erzürnten, graus'gen Wogen Schrecken.


143.

Die Schiffer zeigen jetzt, was sie verstehen

Von jener Kunst, die ihnen Ruhm gebracht:

Der bläst die Pfeife hell beim raschen Gehen

(Die, was geschehn muß, klingend kenntlich macht),

Am Rettungsanker kann man diesen sehen,

Der hat aufs Tau und der aufs Reffen acht;

Der schafft am Steuer, der hantiert am Maste;

Der räumt das Deck, daß nichts es mehr belaste.
[120]

144.

Das Wetter sollte nachts noch weiter schwellen:

So schwarz und finster ist die Hölle nicht.

Der Schiffer sucht des hohen Meeres Wellen,

Weil dort die Woge sich gelinder bricht;

Er will den Fluten sich entgegenstellen,

Den Kiel grad auf den Wogenschuß gericht't,

Nicht ohne Hoffnung, bei dem Morgengrauen

Den Sturm geschwunden oder schwach zu schauen.


145.

Er wird nicht schwächer, hat noch Kraft gefunden

Am Tag, wofern man das kann nennen Tag,

Was man erkennt am Zählen nur der Stunden,

Doch an der Helle nicht erkennen mag.

Der Schiffer gibt sich, bang und überwunden,

Der Wucht des Windes und dem Wellenschlag.

Er läßt sich von dem wilden Meere wiegen,

Um mit demüt'gen Segeln hinzufliegen.


146.

Hält das Geschick die auf dem Meer in Nöten,

Läßt es darum nicht ausruhn die zu Land.

In Frankreich hauen ja einand und töten

Das Mohrenvolk und die aus Engelland.

Rinald stürmt an, zu öffnen und zu röten

Des Feindes Reihn, und reißt die Fahn' in Sand.

Er hatte, sagt' ich, seinem Bajard eben

Die Sporen gegen Dardinel gegeben.


147.

Er sieht das Wappen an Almontes Sohne,

Darauf war stolz der junge Held gar sehr,

Und meint', daß hoher Sinn in jenem wohne,

Denn sich mit ihm zu messen wünscht auch der.

Als er sich naht, erscheint's ihm zweifelsohne:

Ein Berg von Leichen lag ja um ihn her.

»Bevor dies üble Pflänzlein größer werde,«

Ruft er, »ausreuten will ich's von der Erde!«
[121]

148.

Wo immer mag der Paladin erscheinen,

Wird freie Straße ihm sogleich gewährt,

Und Christ und Mohr sind vor ihm auf den Beinen:

So fürchtet man das vielberühmte Schwert.

Nur einen sieht er: Dardinel den kleinen,

Ihm nachzusetzen ist der Müh' nicht wert.

»In arge Nöte,« rief er, »Knirps, dich brachte,

Wer dir als Erbe solchen Schild vermachte!


149.

Erproben will ich, wie es wird ergehen,

Wenn du mir standhältst, deinem Rot und Weiß.

Kannst du mit ihm nicht gegen mich bestehen,

Vor Roland schützest du's in keiner Weis'.« –

Sprach Dardinel:»Trag' ich's, dann sollst du sehen,

Daß ich es wohl auch zu verteid'gen weiß

Mit Ehre, die ja größer als die Not ist,

Mit Vaters Wappen hier, das weiß und rot ist.


150.

Denk nicht, ich werde, weil ich jung bin, fliehen

Oder ich gäbe dieses Wappen hin:

Du magst es mit dem Leben mir entziehen,

Doch anders geht es wohl, erhofft mein Sinn.

Sei's drum! Des Vorwurfs werd' ich nie geziehen,

Daß meiner Stammesart ich unwert bin.«

Und hat mit kühnem Mut das Schwert geschwungen,

Und auf den Grafen ist er eingedrungen.


151.

Im Herzen stockt vor kalter Furcht und Grauen

Ringsum den Afrikanern alles Blut,

Als sie Rinald, den Schrecklichen, erschauen,

Wie er auf ihren Prinzen stürmt voll Wut,

Dem Löwen gleich, der vor sich auf den Auen

Ein Stierlein sieht, des Liebestrieb noch ruht.

Der Sarazen war schneller, dreinzuschlagen,

Allein der Helm Mambrins kann viel vertragen.
[122]

152.

Da lacht Rinald: »Ich kann die Adern spießen,

Und besser, wirst du fühlen sicherlich.«

Er spornt und ließ dem Roß die Zügel schießen

Und führte so gewaltig einen Stich,

Daß Brust und Rücken sich durchbohren ließen

Und hinten zeigte noch die Spitze sich,

Zwang Blut und Geist, dem Eisen nachzuwallen:

Kalt, blutleer muß der Leib vom Sattel fallen.


153.

Wie sich im Sterben Purpurblumen neigen,

Wenn sie der Pflug durchschneidet auf dem Feld,

Und, wo sich übermäß'ge Säfte zeigen,

Das Haupt der Mohn im Garten senkt und fällt,

So sinkt – schon ist die Todesfarb' ihm eigen –

Jung Dardinel und scheidet aus der Welt;

Er nimmt, die sich im Tode ihm vereinen,

Mit sich, Kraft, Mut und Hoffnung all der Seinen.


154.

Wie Wasser, das der Menschengeist mit Dämmen

Lange umschlossen hielt und festgebannt,

Sobald die Wände brechen, die es hemmen,

Mit lautem Brausen hinstürzt durch das Land –

So konnte sich das Mohrenvolk noch stemmen,

Solang die Kühnheit Dardinels es band;

Nun flieht es, weit zerstreut nach allen Seiten,

Als es ihn sterbend sah vom Sattel gleiten.


155.

Rinald läßt fliehn, wer sich zur Flucht will wenden,

Und sprengt auf sie nur, die noch stehen, an.

Ein Haufe sinkt von Arïodantes Händen,

Der heut selbst an Rinald fast reicht heran.

Zerbin und Lionel ins Jenseits senden,

Wetteifernd, ihre Gegner Mann für Mann.

Karl schlägt, wie Oliver, mit mächt'gen Streichen,

Guido, Turpin und Salomon desgleichen.
[123]

156.

Den Mohren droht Gefahr, so schwer zu leiden,

Daß nicht nach Hause komm' ein einzig Haupt.

Doch klug weiß Spaniens Fürst sich zu bescheiden

Und geht mit dem, das noch das Glück erlaubt.

Geraten scheint es, mit Verlust zu scheiden,

Bevor das Spiel ihm Rock und Beute raubt;

Mit wen'gem lieber jetzt davonmarschieren,

Als feststehn, um dann alles zu verlieren.


157.

Die Fahnen gehn dem Lager jetzt entgegen,

Das wohlverwahrt durch Graben ist und Wall,

Mit Stordilan, dem Andalusierdegen,

Und einer großen Schar aus Portugal.

Der Berberfürst soll sich zurückbewegen

So rasch wie's möglich ist in diesem Fall.

Genug hab' er vollbracht, wenn er die Stätte,

Dazu sich selber, aus Gefahren rette.


158.

Der hatte sich verloren schon gegeben

Und glaubte nicht, Biserta mehr zu schaun,

Niemals zuvor in seinem ganzen Leben

Zeigte Fortuna ihm so grimme Braun.

Froh war er, daß Marsil ein Teilchen eben

Des Heers gerettet hat vor ihrer Laun'.

Zum Rückmarsch dann des Feindes Fahnen wehten,

Und rings zum Abzug bliesen die Trompeten.


159.

Die meisten aber der geschlagnen Leute

Drommet und Trommel nicht noch Fahne zwingt:

So groß ist Furcht und blasse Feigheit heute,

Daß eine Menge in die Seine springt.

Der König bat umsonst und schalt und dräute;

Auch Fürst Sobrin sie nicht zum Stehen bringt.

Mit ihnen mühen sich die Feldherrn alle,

Das Lager zu erreichen hinterm Walle.
[124]

160.

Die Führer mit den Fürsten sich vereinen,

Doch keiner zwingt, mit Drängen, Drohn und Flehn

Den dritten Mann – geschweige jeden –, seinen

Verlaßnen Reihn und Fahnen nachzugehn.

Geflohen, tot sind immer zwei für einen,

Der bleibt, auch selber kläglich anzusehn:

Denn der hat vorn, der hinten eine Wunde,

Erschöpft, todmüde sind sie all im Grunde.


161.

Bis zu des starken Lagers Toren lassen

Sie voller Angst sich treiben bei der Jagd:

Auch dieses will als sichrer Ort nicht passen,

Wie sehr man auf das Schutzwerk sei bedacht

(Denn Karl weiß wohl das Glück am Schopf zu fassen,

Wenn es das Antlitz einmal zeigt und lacht);

Da sank zum Glück die dunkle Nacht hernieder,

Die Unruh' bannend, stärkend müde Glieder,


162.

Vielleicht vom Schöpfer früher ausgesendet,

Zu lindern seiner Kreaturen Leid.

Ein Blutstrom fließt, der durchs Gefild sich wendet,

Er überschwemmt die Straßen weit und breit.

Man zählte achtzigtausend, die geendet

An diesem Tage hat des Schwertes Schneid'.

Und nächt'ge Stunden Leichenräuber bringen

Und Wölfe, die die Leichen rasch verschlingen.


163.

Karl sucht nicht in der Stadt geschützte Stelle:

Er schließt des Feindes Zelte draußen ein

Und schlägt ein Lager rings in aller Schnelle;

Es loht der hohen Feuer heller Schein

Der Heide sieht sich vor, errichtet Wälle,

Wirft Schanzen auf, macht Gräben und Bastein,

Stellt Wachen auch, schickt hin und wieder Runden,

Im Harnisch immer all die nächt'gen Stunden.
[125]

164.

Durch alle Zelte, drin die Mohren lagen,

Die arg bedrängten, klang die ganze Nacht

Ein Jammern, Seufzen und ein Weheklagen,

Nur leis und unterdrückt mit aller Macht:

Dem ward ein Vetter oder Freund erschlagen,

Der weint, weil sich die Wunde fühlbar macht,

Und der, weil Not und Elend ihn beladen,

Zumeist jedoch aus Furcht vor künft'gem Schaden.


165.

Zwei Mohren, die im Heere sich befanden,

Aus Tolomitt, von niederem Geschlecht,

Waren vereint durch seltner Liebe Banden:

Euch dieses zu erzählen, scheint mir recht.

In Glück und Unglück stets beisammen, standen

Medor und Kloridan in Treuen echt

Zu Dardinel und waren durch die Wogen

Ohnlängst mit ihm ins Frankenland gezogen.


166.

Von hohem Wuchs, an Gliedern stark und schnelle,

Von jung auf Jägersmann war Kloridan;

Rötlich war Medors Wange, licht und helle,

Mit allem Jugendzauber angetan;

Und von dem ganzen Kriegsvolk hier zur Stelle

An holder Schönheit konnt' ihm keiner nahn:

Mit schwarzen Augen, krausen goldnen Haaren,

Ein Engel schien er aus den höchsten Scharen.


167.

Sie standen, zur Bewachung ausgesendet,

Mit vielen andern vor dem Lagertor,

Als mit verschlafnen Augen, halb vollendet,

Die Nacht aufblickte zu der Sterne Chor.

Für Medor steigt, wie sich die Red' auch wendet,

Stets Dardinels, des Herren, Bild empor:

Daß er, noch ungeehrt von seinen Mohren,

Da draußen liegt, will ihm das Herz durchbohren.
[126]

168.

»O Kloridan,« begann er zum Genossen,

»Nicht sagen kann ich dir, wie sehr mir leid,

Daß drauß im Feld der Leib des Königssprossen

Für Rab' und Wolf zur Speise sei bereit.

Denk' ich, wie stets ich Huld von ihm genossen,

Scheint mir's, – gäb' ich auch dieser Seele Kleid

Zu seiner Ehr', ich doch nicht tilgen würde

Der Dankesschulden ungeheure Bürde.


169.

Ihn zu bestatten, will ich suchen gehen,

Bis ich ihn finde, draußen auf dem Feld.

Gott gönnt vielleicht, daß sie mich dort nicht sehen,

Wo Schweigen Karls Gebiet umfangen hält.

Du bleibst: sollt' es in Gottes Ratschluß stehen,

Daß ich nun sterbe, sei's dem Heer gemeld't;

Und macht das Schicksal auch mein Werk zunichte,

Von meiner Treue du der Welt berichte.«


170.

Es staunt der Freund, in einem halben Kinde

Zu finden solche Lieb' und treuen Sinn;

Er sucht, wie er dem Vorsatz ihn entwinde,

Stellt diesen als verkehrt und nichtig hin;

Umsonst – so großen Schmerz macht nichts gelinde;

Fest bleibt der Jüngling wie zu Anbeginn.

Medor will seinem Herrn ein Grab erwerben,

Und kann er's nicht vollbringen, will er sterben.


171.

Als fest er blieb und nicht war abzubringen,

Sprach Kloridan: »So komm' auch ich mir dir!

Ich weihe mich wie du so hohen Dingen;

Willkommen ist glorreicher Tod auch mir.

Was könnte denn die Freude noch mir bringen,

Blieb' ich allein, mein teurer Medor, hier?

Und besser ist's, mit dir in Waffen sterben

Als dann aus Gram, daß du mir fehlst, verderben.«
[127]

172.

Also gesinnt der nächsten Wache gaben

Sie ihren Postenplatz und gingen fort.

Bald sind sie, über Schanzen und durch Graben,

Bei unsern Kriegern, die nichts ahnen, dort.

Weil vor den Mohren keine Furcht sie haben,

Erlosch das Feuer: alles schläft am Ort:

Sie liegen bei Gerät und Waffen trunken,

In Wein und Schlaf bis an den Kopf versunken.


173.

»Man soll Gelegenheiten nicht verpassen«,

Jetzt Kloridan im Stehenbleiben sprach.

»Soll ich dem Haufen nicht zur Ader lassen,

Medor, der uns den teuern Herrn erstach?

Damit sie uns nicht unversehens fassen,

Halt Aug' und Ohr nach allen Seiten wach!

Denn ich erbiete mich, mit meinen Waffen

Dir durch die Feinde breiten Weg zu schaffen.«


174.

Er spricht es, hat sich selber Wort gehalten

Und geht, wo Alfeus schlafend er gewahrt;

Den ließ Herr Karl seit einem Jahre schalten

Als Arzt und Astrologen hochgelahrt.

Jetzt wollt' ihm seine Kunst sich nicht entfalten,

Dieweil er ganz von ihr belogen ward:

Er hatte sich geweissagt, hoch an Jahren

Werd' er, bei seiner Frau, von hinnen fahren.


175.

Blitzschnell fährt diesem mit des Schwertes Spitze

Tief in den Schlund hinein der schlaue Mohr;

Vier andre schlachtet seiner Rache Hitze,

Kein einziger bringt einen Laut hervor.

Ich habe nicht die Namen im Besitze,

Weil sie die Zeit schon vor Turpin verlor.

Auch der von Moncalier schied von der Erden,

Der dort in sichrem Schlaf lag zwischen Pferden.
[128]

176.

Hin kommt er, wo den armen Grill er lehnen

Sieht, aufgestützt das Haupt ans liebe Faß.

Er hatt' es ausgeleert, sich dann zu dehnen

Zu sanftem Schlafe bei dem edlen Naß.

Fort fliegt sein Kopf vom Hieb des Sarazenen,

Und mit dem Blut fließt Wein ohn' Unterlaß,

Denn manche Kannen hat er schon im Magen;

Er trank im Traum – im Traum ward er erschlagen.


177.

Ein Deutscher und ein Grieche mit zwei Hieben,

Konrad und Andropon, sind umgebracht.

Sie hatten sich im Frein die Zeit vertrieben

Mit Wein und Würfelspiel die halbe Nacht.

Wohl ihnen, wären sie am Tisch geblieben,

Bis Phöbus wieder seinen Weg gemacht!

Doch um die Macht des Schicksals wär's geschehen,

Könnte der Mensch in ferne Zukunft sehen.


178.

So wie der grimme Leu im vollen Stalle,

Von langem Hunger dürr und abgezehrt,

Tötet, verschlingt, zerfleischt mit scharfer Kralle

Die schwachen Schafe, deren keins sich wehrt,

So würgt der wilde Mohr die Schläfer alle

Und schlachtet ab, was ihm das Los beschert.

Indes ist Medors Schwert nicht stumpf geworden,

Doch er verschmäht, unedles Volk zu morden.


179.

Zum Herzog von Labret war er gedrungen,

Der schlief bei seiner Dam' in Glückes Schoß;

Sie hielten also enge sich umschlungen:

Es glitte kaum hindurch ein Lüftchen bloß.

Auf beide hat der Mohr das Schwert geschwungen: –

O selig Sterben! Freudenreiches Los!

Vereint, wie aneinand sie hier sich schmiegen,

Sind ihre Seelen auch emporgestiegen.
[129]

180.

Malind und Ardalich hat er erschlagen

(Der beiden Vater Graf von Flandern war),

Gemacht zu Rittern erst vor wenig Tagen

Von Karl; die Lilien gab er auch sogar,

Weil blut'ge Schwerter sie hinausgetragen,

Mit vielem Ruhme, aus der Feinde Schar.

Auch friesisch Land, das er dazu geboten,

Sollt' ihrer sein: – doch Medor hat's verboten.


181.

Schon nahen sich die hinterlist'gen Klingen

Den Zelten, um des Kaisers Zeit gereiht,

Wo seine Helden ihre Nacht verbringen;

Zur Wache sind sie nacheinand bereit.

Da wenden jene zwei von blut'gen Dingen

Das Schwert und kehren um zu gleicher Zeit.

Unmöglich schien es, daß im großen Heere

Nicht einer ohne Schlaf geblieben wäre.


182.

Sie könnten reich mit Beute sich versehen,

Doch ists genug, wenn sie sich nur befrein.

Wo Kloridan glaubt sichern Weg zu sehen,

Den wählt er, der Genosse hinterdrein.

Zum Schlachtfeld kommen jetzt die zwei und stehen,

Wo Herr und Knecht gestreckt liegt, schlecht und fein,

Bei Schwert, Schild, Bogen, Speer in roten Teichen

Und auf den Menschen drauf die Pferdeleichen.


183.

Der Leiberhaufen schreckensvolle Dichte,

Von denen voll das Feld ist in der Rund',

Machte die treue Sorge wohl zunichte

Der zwei Gesellen bis zur Morgenstund',

Dränge nicht Luna mit dem Silberlichte

Auf Medors Bitten durchs Gewölk jetzund.

Der Mohr blickt fromm empor zum Himmel dorten

Und fleht zum Mond hinauf mit diesen Worten:
[130]

184.

»O heil'ge Göttin, die von unsern Alten

Zutreffend dreigestaltig ward genannt,

Weil deine hohe Schönheit sich entfalten

In Höll' und Erde will und Himmelsrand,

Und du, sieht man als Jägerin dich walten,

Dem Wild folgst und dem Ungetier durchs Land:

Zeig' mir den Königssohn, der mir entrissen

Und lebend deines Dienstes war beflissen.«


185.

Und Luna sieht er aus den Wolken schweben

(War's Zufall? War es des Gebetes Lohn?),

So schön wie damals, als sie sich gegeben

Nackt in die Arme des Endymion,

Daß Land, Berg und Paris im Licht sich heben,

Und aus der Ferne noch als Höhenkron'

Der Hauptstadt beide Hügel deutlich blinken:

Montmartre rechts, und Montlhéry zur Linken.


186.

Klar sind des Mondes Strahlen, doch sie scheinen

Am hellsten, wo der Jüngling schläft im Tod.

Und Medor geht den teuren Herrn beweinen

(Er hat erkannt das Wappen weiß und rot)

Und badet ihm das Angesicht mit seinen

Tränen (ein Bächlein jede Wimper bot),

Mit Klagen hold und lieblichen Gebärden

(Die Winde rasten, Lauscher hier zu werden),


187.

Ganz leise, nicht aus Furcht, daß man ihn höre

(Er kümmert um sein Leben sich nicht mehr

Und haßt das Dasein, das er gern verlöre),

Nein, nur erfüllt von der Besorgnis schwer,

Daß jemand nahe und das Werk ihm störe,

Das fromme Tun, das ihn gebracht hierher.

Sie nehmen auf den Königsleib derweilen,

Wobei die Schultern sich die Bürde teilen.
[131]

188.

Sie suchen rasch sich vorwärts zu bewegen,

So weit es nur vergönnt die hehre Last!

Des Lichtes Herrin kommt dem Paar entgegen,

Vor der das Dunkel flieht, der Stern erblaßt;

Mit ihr erscheint Zerbin, der junge Degen;

Wo's nottut, kennt er Schlummer nicht noch Rast:

Er hat die Nacht verbracht mit Mohrenjagen

Und kommt zum Lager, da's beginnt zu tagen.


189.

Er hatte manche Krieger noch zu Seiten,

Die schon von fern die zwei Genossen sahn,

Und alle fingen an, drauflos zu reiten,

Voll Hoffnung, reicher Beute dort zu nahn:

»Laß, Bruder, jetzt die Bürde niedergleiten –

Und auf die Fersen rasch!« sprach Kloridan;

»Denn von der Weisheit wird es nicht geboten,

Daß zwei zugrunde gehn für einen Toten.«


190.

Er warf die Bürde hin, im Wahn befangen,

Der tu' es auch und folge hinterdrein;

Doch inniger am Herrn tät Medor hangen:

Er nahm ihn auf die Schulter ganz allein.

Der andre ist voll Eile fortgegangen,

Als müsse der Gefährte mit ihm sein.

Denn wüßt' er, welchem Los er den gelassen,

Er würde lieber tausendmal erblassen.


191.

Die Reiterschar zerstreut sich, um die beiden

Zu fangen, sei es lebend oder tot,

Hierhin und dorthin – sucht sie abzuschneiden

Von jedem Ort, wo ein Entkommen droht.

Nun naht sich auch der Führer selbst den Heiden,

In dem die Jagelust noch höher loht,

Denn deutlich ward durchs ängstliche Gebaren,

Die beiden zählen zu der Feinde Scharen.
[132]

192.

Dort stand ein alter Wald in jenen Zeiten,

Voll von Gestrüpp und wildester Natur.

Auf eng verschlungnen Pfaden kann man gleiten

Durchs Labyrinth, gekannt von Tieren nur.

Die beiden hoffen, freundlich werd' er breiten

Sein dichtes Baumgezweig auf ihre Spur. –

Doch wem bis hierher hat mein Lied gefallen,

Der komme, wenn's aufs neue wird erschallen.

Quelle:
Ariosto, Ludovico: Der rasende Roland. In: Sämtliche poetischen Werke, Berlin 1922, Band 2, S. 84-133.
Lizenz:
Ausgewählte Ausgaben von
Der rasende Roland
Die Historia vom Rasenden Roland
Ludovico Ariosts Rasender Roland nacherzählt von Italo Calvino

Buchempfehlung

Wieland, Christoph Martin

Musarion. Ein Gedicht in drei Buechern

Musarion. Ein Gedicht in drei Buechern

Nachdem Musarion sich mit ihrem Freund Phanias gestrittet hat, flüchtet sich dieser in sinnenfeindliche Meditation und hängt zwei radikalen philosophischen Lehrern an. Musarion provoziert eine Diskussion zwischen den Philosophen, die in einer Prügelei mündet und Phanias erkennen lässt, dass die beiden »nicht ganz so weise als ihr System sind.«

52 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Sturm und Drang. Sechs Erzählungen

Geschichten aus dem Sturm und Drang. Sechs Erzählungen

Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Michael Holzinger hat sechs eindrucksvolle Erzählungen von wütenden, jungen Männern des 18. Jahrhunderts ausgewählt.

468 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon