Dreissigster Gesang

[447] 1.

Wenn sich Vernunft vom Zorn ließ übermannen,

Vom Ungestüm, und Zunge dann und Hand

Im blinden Wüten allerlei begannen,

Darob sich mancher Freund beleidigt fand –

Ob Seufzer stiegen und ob Tränen rannen,

Wird doch der Fehler nicht dadurch verbannt.

Wie schmerzt mich, ach, was ich in Zornes Drange

Sprach ganz zuletzt im vorigen Gesange!


2.

Doch einem Kranken bin ich zu vergleichen,

Der sich, geduldig, lang hielt in Gewalt –:

Wenn allzu stark heran die Schmerzen schleichen,

So flucht er wohl und wütet ohne Halt.

Nun weicht der Zorn, sobald die Schmerzen weichen,

Die Anlaß waren, daß die Zunge schalt:

Er grollt sich selbst – bereut wird und geklagt wird,

Doch, was gesagt ist, drum nicht ungesagt wird.


3.

Ich hoff', ihr Fraun, mir wird von euch verziehen

(Ich fleh' zu eurer Huld und mildem Sinn),

Ließ herbes Weh Vernunft von mir entfliehen.

Der große Schmerz riß mich zum Faseln hin,

Und meine Feindin sei der Schuld geziehen:

So schlimm ist niemand dran, wie ich es bin.

Sie läßt mich schreiben, was ich sonst nicht schriebe;

Gott kennt ihr Unrecht, kennt auch meine Liebe.
[448]

4.

Ich bin, so sehr wie Roland, selbst von Sinnen

Und ebenso wie er des Mitleids wert,

Der, bald auf Auen, bald in Bergen drinnen,

Vom Reich Marsils ein großes Stück durchfährt.

Den toten Gaul stets schleppt er mit von hinnen

Viel Tage lang – kein Hindernis ihm wehrt –,

Dann, wo zum Meere Fluten sich ergießen,

Muß er das Tier zu lassen sich entschließen.


5.

Und weil er immer wie ein Fisch geschwommen,

So taucht er und gelangt zum andern Rain.

Da ist des Wegs zu Pferd ein Hirt gekommen,

Der führt gerad sein Tier zur Tränk' herein.

Daß Roland naht, hat er wohl wahrgenommen,

Doch achtet's nicht: er ist ja nackt, allein.

Der Tolle sprach: »Wir tauschen unsre Pferde:

Daß meine Stute jetzt die deine werde.


6.

Ich zeig' sie dir, willst du die Augen heben:

Tot liegt sie dort am Ufer auf dem Feld.

Du kannst sie heilen; ruf sie dir ins Leben;

Nichts andres ist, was mir an ihr mißfällt.

Magst mir dein Roß mit einem Aufgeld geben:

Nun steig hübsch ab, weil mir dein Pferd gefällt.«

Drauf lacht, doch keine Antwort gibt der Reiter

Und trabt vom Narren fort zur Tränke weiter.


7.

»Ich will dein Pferd; holla, wirst du verstehen?«

Ruft Roland und dringt nach in voller Wut.

Der Hirt hatt' einen Stecken, wohlversehen

Mit Knoten, und er traf den Tollen gut.

Den sollt' er nun in seinem Grimme sehen,

Denn wilder als noch jemals schäumt sein Mut:

Ein Faustschlag hat des Hirten Kopf zerbrochen;

Tot liegt er da, zermalmt den Schädelknochen.
[449]

8.

Aufs Pferd springt Roland, durch das Land zu streifen,

Und plündert viele Menschen weit und breit.

Nie Korn und Heu für seinen Klepper reifen,

Daß er zusammenbricht in kurzer Zeit.

Doch nicht zu Fuße drum will Roland schweifen,

Nein, sich bewegen in Bequemlichkeit.

Er nimmt sich, was er finden kann von Pferden,

Derweil der Tiere Herrn erschlagen werden.


9.

Allein das Ärgste hat er angerichtet,

Als er zuletzt kam hin nach Malaga:

Nicht Hab und Gut nur hat er dort vernichtet,

Daß man nach Jahren noch den Schaden sah,

Auch die Bevölkrung schrecklich zugerichtet,

So viele hingemordet fern und nah,

Zerstört, verbrannt die Häuser in der Runde –:

Ein Drittel aller Leute ging zugrunde.


10.

Zizera sah er dann (am Meeresstrande

Am Sund von Zibilterra liegt der Ort;

Sie nennen ihn auch Zibeltar im Lande,

Denn man verwendet beide Namen dort).

Es stieß gerad ein Boot vom Uferrande;

Drin fuhren viel vergnügte Leute fort,

Sich zu ergötzen in der Morgenstunde,

Denn ruhig war das Meer in weiter Runde.


11.

Ihm kam die Lust, im Boote mitzufahren,

Und »Halt!« und »Wartet dort!« so rief er laut.

Allein umsonst Geheul und Schreie waren:

Von solcher Ladung ist man nicht erbaut.

So hurtig streicht das Schifflein durch die klaren

Wellen, wie man die Schwalb' in Lüften schaut:

Er aber schlägt das Roß, weiß es zu zwingen

Und schließlich nach dem Meeressaum zu bringen.
[450]

12.

Nun muß es auch ins Wasser vom Gestade:

Vergebens stemmt es sich und scheut davor;

Es beut die Knie, den Bauch, das Kreuz dem Bade,

Den Kopf, und schließlich ragt's kaum mehr empor.

Nicht hoff' es Rückkehr von dem Wasserpfade,

Solang ihm hier die Gerte fährt ums Ohr!

Kann's nicht nach Afrika hinübertreiben,

So muß es tot, ach, in den Fluten bleiben.


13.

Das Boot, das ihn vom trocknen Strand gezogen

Zur See heraus, erblickt er nun nicht mehr:

Es ist zu fern und seinem Aug' entzogen,

Denn Wellen hüpfen spielend um ihn her.

Doch treibt er noch sein Roß hin durch die Wogen;

Er bleibt dabei: er will durchs weite Meer.

Weil Wasser viel dem armen Tier gegeben,

Luft wenig, läßt es Schwimmen sowie Leben.


14.

Es sinkt hinab und zög' auch mit den Reiter,

Hätt' er sich nicht zu rudern aufgerafft:

Mit Fuß und Hand hilft er sich rüstig weiter

Und drängt die Welle schnaubend fort mit Kraft.

Das Meer ist ruhig und die Lüfte heiter;

Die höchste Stille ist's, die Rettung schafft:

Wenn nicht die weite Meerflut völlig schliefe,

Er würde tot hinabgezogen in die Tiefe.


15.

Allein das Glück trieb ihn zum Strand von Sette

(Narren zu helfen, ist es stets bereit),

Unfern den Mauern war's, an eine Stätte,

Von dort wohl zweimal einen Pfeilschuß weit.

Aufs G'ratewohl lief er am Meeresbette

Viel Tage hin nach Ost mit Schnelligkeit,

Bis er von Schwarzen eine mächt'ge Bande

Gelagert fand an jenem Uferrande.
[451]

16.

Wir lassen Roland seinem Wanderleben;

Es kommt wohl später noch die Zeit für ihn.

Was, Herr, sich mit Angelika begeben,

Die, aus der Hand des tollen Paladin

Befreit, fortzog, mit gutem Schiff und eben-

So gutem Wetter, und zu Haus erschien,

Um Medor Indiens Krone dort zu bringen –

Ein andrer mag's mit beßrer Leier singen.


17.

So vieles bleibt ja sonst noch dem Berichte,

Daß, der zu folgen, nicht die Zeit mehr reicht.

Zum Skythen kehrt die liebliche Geschichte,

Der, weil der Gegner nun die Segel streicht,

Sich freut in jener Schönheit hellem Lichte,

Der in Europa keine zweite gleicht,

Seitdem Angelika nach Haus gezogen

Und Isabella himmelangeflogen.


18.

Mag Mandrikard sich in dem Schiedsspruch sonnen,

Den ihm zugunsten gab die schöne Dam',

Erfreun ihn doch nicht dessen ganze Wonnen,

Weil es ja noch zu andrem Streitfall kam.

Einen hat ihm Jung Roger angesonnen,

Als er den Aar für sich in Anspruch nahm;

Den andern sucht Gradaß ihm zu bescheren:

Er will ihm Durendal, das Schwert, verwehren.


19.

Der König sucht die Händel beizulegen;

Umsonst strengt auch Marsil mit ihm sich an.

Daß jene Wilden Fried' und Freundschaft pflegen,

Das Paar vergebens zu erreichen sann;

Sie können Roger nicht einmal bewegen,

So lang vom Schild zu lassen des Trojan,

Und nicht Gradaß, daß er aufs Schwert verzichte,

Bis diesen oder jenen Streit man schlichte.
[452]

20.

Herr Roger wollte nicht den Schild mehr geben

Zu andrem Kampf; Gradaß, der König fand,

Auf ihn nur dürfe jenes Schwert sich heben,

Das einst geführt des Helden Roland Hand.

»So laßt uns sehn: das Los entscheid' es eben!

Genug der Worte!« sprach Herr Agramant.

»Fortuna zeige, wem sie wohlgewogen,

Und wen sie vorzieht, der sei vorgezogen.


21.

Und wollt ihr auch noch weiter mir willfahren

(Ich wüßt' euch Dank dafür auf alle Zeit),

Lost, wer sich mit dem Skythen hat zu paaren,

Mit der Bestimmung: Einer geh' zum Streit,

Der andre lass' den eignen Handel fahren;

Wer siegt, zugleich dem zweiten Sieg verleiht;

Wenn aber sich der erste ließ besiegen,

Müss' auch der andre Mann mit ihm erliegen.


22.

Gradaß und Roger, beide Helden zeigen

Den gleichen oder fast den gleichen Wert:

Wer auch von ihnen mag zu Pferde steigen,

Der höchste Ruhm gewiß den Kämpfer ehrt.

Die Siegespalme werde dem zu eigen,

Dem sie des Himmels Ratschluß hat beschert.

Wer unterliegt, ist ohne Schuld geblieben;

Dem Glück nur sei der Ausgang zugeschrieben.«


23.

Mit Schweigen ward des Königs Wort vernommen

Von Roger und Gradaß: sie stimmten ein,

Wer auch durchs Los zum Kampfe werde kommen,

Beendet sollten beide Fehden sein.

Zwei gleiche Rollen wurden dann genommen,

Und ihre Namen schrieben sie hinein:

Man schloß die Rollen ein, dann ward gerüttelt

Die Urne mit den Losen und geschüttelt.
[453]

24.

Ein Knab' die Hand nun in die Urne legte

Und griff ein Los, und sieh, das Händchen trug

Die Rolle, die Herrn Rogers Namen hegte;

Des Serikaners Rolle blieb im Krug.

O wie voll Jubel Rogers Herz sich regte,

Als man den Zettel auseinanderschlug!

Der Serikaner aber muß sich grämen –:

Nun, was der Himmel schickt, hat man zu nehmen.


25.

Gradaß, bemüht, Herrn Roger eine Strecke

Den Weg zu ebnen, hilft ihm, was er kann,

Daß Sieger sei im Kampf der junge Recke;

Er zeigt ihm Vorteil, den er selbst gewann:

Wie bald das Schwert und bald der Schild ihn decke;

Wie echter Stoß, wie Finte komm' heran;

Wann man das Glück soll scheuen, wann ihm trauen,

Das alles läßt er nach und nach ihn schauen.


26.

Die Stunden, die vom Tage bleiben, gehen

Nun nach Vertrag und Ziehung so zu End',

Daß ratend ihrem Kämpfer beizustehen

Die Freunde sich bestreben, wie Ihr's kennt.

Die Menge, gierig, solchen Strauß zu sehen,

Drängt sich, weil sie auf gute Plätze brennt.

Vielen genügt's nicht, früh sich aufzumachen,

Sie kommen jetzt schon, um die Nacht zu wachen.


27.

Das dumme Volk, das ganz aus Rand und Band ist,

Will kämpfen sehn so hohes Ritterpaar.

Es sieht und faßt ja nichts, als was zur Hand ist

Und vor den Augen liegt der Pöbelschar.

Sobrin, Marsil, wer sonst noch bei Verstand ist,

Dem stellt die Sache sich ganz anders dar:

Sie tadeln sehr, daß sich die Fürsten schlagen

Und Agramant nicht fest war, nein zu sagen.
[454]

28.

Sie führen ihm vor Augen, welch Verderben

Jetzt leicht entstehe für das Mohrenheer,

Möge der Skythe, möge Roger sterben

(Das grimme Los schickt, was es will, daher),

Es fehl' im Kampf mit des Pipinus Erben

Von beiden einer doch und gelte mehr

Als zehnmaltausend, die vor ihm verschwänden,

Weil kaum im Schwarm sich gute Männer fänden.


29.

Der König sieht wohl ein: die Sach' ist richtig;

Doch weigern kann er nicht, was er versprach.

Er bittet die zwei Kämpfer sehr gewichtig:

Erlaßt mir, was gewährt ist, gebt doch nach!

Zumal der Grund des Streites also nichtig,

Für ernsten Waffengang ja viel zu schwach!

Doch, sollten sie zu folgen nicht belieben,

So möchten sie den Zweikampf bloß verschieben.


30.

Fünf Monat' oder sechs werd' er verschoben

– Ob mehr, ob minder – bis zu jener Zeit,

Da Karl von ihnen seines Reichs enthoben,

Und ohne Zepter, ohne Kron' und Kleid. –

Ob heimlich willig – hart wie Eichenkloben,

Unbeugsam, stehn die Trotzigen beiseit:

Schimpf nennt es jeder, sich des Herrn Beschlusse

Zu fügen, und verharrt bei dem Verdrusse.


31.

Doch mehr noch als der König, mehr als alle

Bittet das schöne Kind des Stordilan;

Mit Weinen und mit großer Klagen Schalle

Fleht sie um Frieden ihren Skythen an:

Er möge tun, was Agramant gefalle:

Den andern schein' es auch ein guter Plan.

Sie weint und klagt, sie müsse stets am Morgen

Bis spät zur Nacht um ihn vergehn in Sorgen.
[455]

32.

»Wie soll ich,« rief sie, »ach, ein Mittel finden,

Um auszuruhn von allem diesem Leid,

Treibt's Euch aufs neue stets, Euch umzubinden

Bald gegen den, bald den das Eisenkleid?

Was half's, im Herzen Freude zu empfinden,

Daß glücklich ausgelöscht sei jener Streit,

Der mit dem andern dort war abzumachen,

Soll gleich ein neuer, kleinrer nicht, erwachen!


33.

Ich Törin – weh mir! – fühlte Stolz im stillen:

Ein edler König und ein Ritter wert

Stürzen in Todesnot um meinetwillen,

In grausam blut'gen Zweikampf mit dem Schwert!

Nun seh' ich, daß Ihr jetzt aus leeren Grillen

Euch zur Gefahr des gleichen Loses kehrt.

Ihr folgtet Eures Herzens wildem Triebe

Viel mehr bei alledem als Eurer Liebe.


34.

Doch lebt in Euch die Liebe, jene heiße,

Die Ihr mir sucht zu zeigen allerwärts,

Fleh' ich bei ihr – und länger nicht zerreiße

Hier diese Seele Qual und bittrer Schmerz! –:

Steht auch in Rogers Schild der Aar, der weiße,

O so beschwert Euch nicht darum das Herz!

Vorteil und Schaden kann Euch nicht erreichen,

Ob er nun läßt und ob er trägt das Zeichen.


35.

Gewinn nur wenig, doch in vielen Stücken

Verderben wohl entspringt aus dieser Schlacht.

Und sollt' Euch auch den Aar zu nehmen glücken,

Hat große Mühe kleinen Lohn gebracht.

Kehrt aber Euch Fortuna gar den Rücken

(Daß Ihr den Schopf faßt, ist nicht ausgemacht),

Entsteht ein Unheil, dran auch nur zu denken,

Muß meine Seele tief und schmerzlich kränken.
[456]

36.

Ist Euch an Eurem Leben nichts gelegen,

Und steht Euch höher ein gemalter Aar,

Sollte sich Sorg' in Euch um meines regen,

Denn keins erlischt für sich allein fürwahr.

Vereint mit Euch ging ich dem Tod entgegen,

Im Leben Euer und in Todsgefahr;

Allein nicht gerne stürb' ich unzufrieden,

Wie dann, wenn Ihr vor mir dahingeschieden.«


37.

Mit diesen Worten, Tränen aus den Augen

Und schweren Seufzern aus des Herzens Grund

Gibt (daß dem Teuern Fried' und Ruhe taugen)

Sich in der Nacht ihr heißes Drängen kund.

Er spricht – und holde Flut und süße Pein zu saugen

Aus feuchten Strahlen sucht dabei der Mund

(Zwei rote Röslein ihm die Lippen scheinen) –

Zu ihr darauf, nun selber unter Weinen:


38.

»Bei Gott, nicht Grämen komm' Euch, o mein Leben,

Um einen so geringen Anlaß nah;

Wenn Frankenland und Mohrenvolk daneben

Und Karl und unser Herr aus Afrika

Die Banner sämtlich gegen mich erheben,

So wär' auch dann kein Grund für Sorge da.

Ihr habt zu mir fürwahr kein hoch Vertrauen,

Macht dieser eine Roger schon Euch Grauen.


39.

Gedenkt, allein, mit einem Lanzensplitter

(Denn ohne Säbel war ich, ohne Schwert),

Zerstreut' ich einen großen Haufen Ritter,

Der, wohlbewaffnet, mir den Weg verwehrt

(Gradaß, ob auch mit Scham und Ärger bitter,

Sagt's jedem, der zu hören es begehrt!

In Syrien saß er mir im Turm, gefangen),

Und tät doch andern Ruhm als der erlangen!
[457]

40.

Und weiter wird Gradaß Euch noch erzählen,

Auch weiß es Isolier und Sakripant;

Er, der Zirkassierfürst, wird's nicht verhehlen,

Auch Ritter Grifon nicht und Aquilant

(Noch hundert andern ging es an die Kehlen,

Die dort gefangen waren miteinand,

Getaufte Leut' und Volk vom Mohrenschlage),

Daß ich befreit sie hab' an einem Tage.


41.

Ihr Staunen drob will immer noch nicht enden:

Ich habe Größres jenen Tag vollbracht,

Als wenn vereint mir gegenüberständen

Die Mohrenschaft und alle Frankenmacht.

Was kann mir da geschehn von Rogers Händen,

Des jungen Grünspechts? Hab' ich dessen acht?

Wenn mein sind Durendal und Hektors Waffen: –

Wie kann ein Roger nun euch Schrecken schaffen?


42.

Was durft' ich, ach, nicht zu dem Zweikampf gehen,

Wo ich gewiß Euch mit dem Schwert errang?

Ihr hättet, was mein Wert ist, dann gesehen

Und wäret eher jetzt für Roger bang.

Trocknet die Tränen und – laßt mich's erflehen! –

Weissagt nichts Böses! Keinen Klaggesang!

Wißt, meine Ehre geht mir über alles!

Des weißen Vogels denk' ich keinesfalles.«


43.

So redet er; indes so gut dagegen

Spricht seine tiefbetrübte Dame jetzt:

Er ändert nicht den Sinn nur ihretwegen –

Nein, Säulen hätt' er gleich um sie versetzt.

Ob er auch Waffen trägt, doch überlegen

In ihrem Frauenkleid wär' sie zuletzt:

Des Königs Vorschlag will er sich bequemen,

Sobald er wiederholt wird, anzunehmen.
[458]

44.

So wär's geschehn. Doch als zur Morgenstunde

Schön Eos die gewohnte Bahn sich kürt,

Da bringt Herr Roger aller Welt die Kunde,

Daß ihm die hehre Wappenzier gebührt,

Und, um zu sichern, daß von Hand und Munde

Nichts weiter komme, was zum Aufschub führt –

Mit Hörnerschall dort, wo die Leute gaffen,

Stolz nach den Schranken sprengt er hin in Waffen.


45.

Sobald der Skythe hört das Horn ertönen,

Das ihn so trutzig ruft hinaus zum Streit,

Kein Wort mehr will er wissen vom Versöhnen;

Er springt vom Bett: nach Waffen laut er schreit.

Solch grimmes Antlitz zeigt er seiner Schönen,

Der Mut entschwindet jetzt ihr selber weit,

Von Aufschub und Verträgen noch zu sprechen: –

Es kommt – nun ist's gewiß – zum Haun und Stechen.


46.

Er wappnet sich und gönnt der Knappen Händen

Dabei die Zeit für ihre Dienste kaum,

Um eilig sich zum guten Hengst zu wenden

Des Schützers von Paris, dem Güldenzaum,

Und sprengt, die große Fehde zu beenden,

Das Schwert gezückt, zum abgesteckten Raum.

Der König und der Hof sind bald zur Stelle;

So geht es denn zum Kampf in aller Schnelle.


47.

Befestigt ist der Helm von lichtem Glanze,

Und beiden Rittern reicht man ihren Speer;

Laut ruft Trompetenschall zum blut'gen Tanze,

Und tausend Wangen werden bleich umher.

Sie nahn einand mit eingelegter Lanze;

Den Renner spornend, sprengen sie daher;

Mit welcher Wucht sie aufeinander prallen! –

Tut sich der Grund auf? Will der Himmel fallen?
[459]

48.

Den Vogel sieht man hier und dort sich wiegen,

Der durch die Luft den Göttervater trug.

So mocht' er öfter in Thessalien fliegen,

Mit andern Federn, aber gleichem Flug.

Wie jeder kühn ist und gewillt zu siegen,

Das zeigt des schweren Speeres Wucht genug,

Zumeist doch, daß sie fest gleich einem Turm sind

Und wie die Felsen in der Wellen Sturm sind.


49.

Die Splitter – und Turpin hat nicht gelogen,

Der's meldet – steigen bis zum Firmament;

Gar mancher hat den Feuerkreis durchflogen:

Man sieht, wie er, zur Erde sinkend, brennt.

Ein jeder Kämpe hat das Schwert gezogen,

Dringt als ein Held, der bleiche Furcht nicht kennt,

Auf seinen Gegner ein: – mit scharfer Schneide

Gerade aufs Visier drauf schlagen beide.


50.

Beim ersten Hieb wird aufs Visier geschlagen:

Sie zielen nicht, wie das wohl nützlich ist,

Aufs Pferd, um es zu fällen; Tiere tragen

Ja keine Schuld an ihrer Herren Zwist.

Wer an Vertrag hier denkt, ist weit verschlagen

Von Wahrheit fort und alten Brauch vergißt.

Ein Ritter mußte jederzeit sich schämen,

Auch ohne Pakt den Gaul zum Ziel zu nehmen.


51.

Die Helme, die sie doch gedoppelt hatten,

Die konnten kaum dem Wüten widerstehn:

Ein Hieb folgt auf den andern ohn' Ermatten;

Die Schläge so wie Schloßen niedergehn,

Die Laubwerk, Halm und Zweige auf den Matten

Und auch des Landmanns Hoffen niedermähn.

Was Durendal und Balisarda bringen,

Ihr wißt es – wenn sie solche Hände schwingen!
[460]

52.

Doch fielen Streiche, wie sich die gebühren

Für sie, noch nicht – so stehn sie auf der Wacht.

Den ersten sollte Roger jetzt verspüren:

Ihm hätte der beinah den Tod gebracht.

Mit solchem Hieb, wie ihn nur Helden führen,

Zerspellt den Schild ihm des Tataren Macht

Und legt darunter auch den Harnisch offen,

Bis noch das warme Fleisch dort wird getroffen.


53.

Schrecken und Furcht, eiskalt, zum Herzen steigen

Des dichten Volks, das um die Schranken hält,

Weil sich zu Roger Gunst und Wünsche neigen

Der allermeisten, wenn nicht aller Welt;

Und müßte sich Fortuna willig zeigen,

Zu tun, was hier dem größten Teil gefällt,

Tot wär' der Skythe oder doch gefangen,

Drum steht das ganze Lager jetzt in Bangen.


54.

Erschien vielleicht, wie das gar mancher glaubte,

Ein Himmelsengel zu des Jünglings Hut?

Antwort gab Roger rasch, der Rache schnaubte,

Schrecklich wie niemals noch in seiner Wut.

Sein Schwert traf mächtig Mandrikard am Haupte,

Doch allzu hastig war sein heißer Mut,

Und Zorn und Ingrimm er so jäh verspürte,

Daß er den Hieb nicht mit der Schneide führte.


55.

Wär' Balisard gerad herniedergangen,

So hielte Hektors Zauberhelm nicht stand.

Betäubt war Mandrikard, vom Schlag befangen,

Die Zügel glitten langsam aus der Hand.

Er wankt dreimal, läßt tief die Stirne hangen,

Und ungeleitet läuft umher im Sand

Hengst Güldenzaum (von dem bekannt der Nam' ist),

Der um die neue Last noch stets in Gram ist.
[461]

56.

Getretne Schlang' ist nie so aufgefahren,

Kein wunder Leu in wilden Grimmes Haft,

Wie nun, nachdem Besinnung dem Tataren

Zurückgekehrt er sich hat aufgerafft.

Je stärker Zorn und Stolz im Herzen waren,

Je mehr wuchs ihm die Kühnheit und die Kraft!

Er läßt auf Roger zu den Renner springen;

Hoch sieht man ihn das Schwert in Lüften schwingen.


57.

Er hebt sich, auf des Gegners Helm zu halten:

Des Glaubens ist er voller Sicherheit,

Ihn dieses Mal bis auf die Brust zu spalten;

Doch rascher nützt Herr Roger seine Zeit.

Denn eh der Arm kann seine Kraft entfalten,

Sticht er ins Panzerhemd ein Guckloch weit:

Die rechte Achselhöhle stand ihm offen;

Die hat sein Stoß von unten her getroffen.


58.

Und auf dem Rückweg zog des Bluts, des lauen,

Des scharlachroten, Balisard genug

Und wehrte Durendal, zu stark zu hauen:

Ihr ward gehemmt der allzu mächt'ge Flug,

Ob Roger gleich, aufzuckend mit den Brauen,

Sich bog vor Schmerz auf seines Pferdes Bug.

Zum Glück schützt ihn ein Helm so auserlesen:

Verhängnisvoll wär' sonst der Hieb gewesen.


59.

Er gibt nicht nach und laßt den Renner springen

Und stürmt von rechts auf den Tataren ein.

Der feinste Stahl, der schwer ist zu durchdringen

Und wohlgehärtet, kann nicht Schutz verleihn;

Den Weg zu finden, muß dem Schwert gelingen;

Es ist sogar gefeit noch obendrein,

Daß vor dem Streiche nichts zur Rettung diene,

Sei's Zauberpanzer oder Zauberschiene.
[462]

60.

Durch alles schnitt es durch, und in der Seite

Getroffen, blieb verwundet der Tatar,

Der Flüche bebend aussandt' in die Weite

Und lauter brüllt' als Meer im Sturm fürwahr.

Zusammen nahm er sich zum letzten Streite:

Den Schild – im blauen Feld den weißen Aar –,

Den wirft er grollend fort, den Kampf zu enden,

Und faßt sein gutes Schwert mit beiden Händen.


61.

»Ha, was das Wappen hat durch dich erlitten,«

Ruft Roger, »zeigt, du bist nicht seiner wert:

Jetzt wirfst du's fort; zuvor hast du's zerschnitten;

Daß dir es nicht geziemt, hast du gelehrt.«

Er spricht's und fühlt auf seines Hauptes Mitten,

Wie Durendal voll Wut herniederfährt.

Sie drückt auf seine Stirn mit solcher Schwere,

Als ob ein Berg herabgefallen wäre,


62.

Durchschneidet das Visier – zum guten Glücke

Für Roger traf sie nicht das Angesicht –,

Saust durch den Sattelbug (die Eisenstücke

Und doppelte Bekleidung schützen nicht),

Auch durch den Panzer, wie wenn Wachs sie drücke

(Der Stahl und was darüber liegt, zerbricht),

Und fährt noch tief in Rogers Schenkel nieder:

Lang sollt' es dauern, bis er heilte wieder.


63.

Als zwiefach in dem roten Strom den beiden

Das warme Blut vom Eisenpanzer rann,

Erschien es schwierig, sicher zu entscheiden,

Wer Vorteil in dem Streit bis jetzt gewann.

Den Zweifel löst das Schwert, das bittre Leiden

In Rogers Hand schon brachte dann und wann:

Es sucht die Stelle, die den scharfen Hieben,

Nachdem der Schild gefallen, frei geblieben,
[463]

64.

Und bohrt sich in des Panzers linke Seite,

Bis es zum Herzen hin die Straße fand

In einem Loch von über Spannenbreite;

Der Anspruch auf den Aar dem Skythen schwand;

Ein andrer Anspruch gab ihm das Geleite:

Der auf das hehre Schwert in seiner Hand,

Und – wichtiger als Schwert und Schild – daneben,

Ach, noch der Anspruch auf das teure Leben.


65.

Doch nimmer ohne Rache wollt' er enden:

Als ihn der Stoß traf, sollte grad in Eil'

Sein Schwert – kaum seins noch – einen Streich entsenden,

Daß Rogers Antlitz nie mehr würde heil.

Der aber hatte schon des Gegners Händen

Die Kraft geraubt; so schwand der Wucht ein Teil.

Zuviel an Kraft und Nachdruck war genommen,

Seit untern Arm er jenen Stich bekommen.


66.

Als Roger grade hatte zugestochen

(Der Skythe sank schon in den Tod hinein),

Ward durch des Gegners Hieb ihm selbst zerbrochen

Ein Eisenring, die Stahlhaub' obendrein;

Und Durendal zerschnitt ihm Haut und Knochen,

Zwei Zoll tief drang sie in den Schädel ein;

Er wird betäubt; es sinken ihm die Glieder;

Er fällt – ein Blutstrom fließt vom Kopfe nieder.


67.

Als ersten sah man Roger niederfallen;

Es währte lange, bis der andre lag.

Man denkt: ihm muß des Sieges Ruhm erschallen;

Er war der Stärkre mit dem letzten Schlag.

Und Doralis, im Irrtum selbst gleich allen

(Oft weint' und lachte sie an diesem Tag),

Die dankte Gott mit aufgehobnen Händen,

Daß er in solcher Art den Kampf ließ enden.
[464]

68.

Doch als sich's zeigt: es lebt, wer noch hat Leben,

Und tot ist, wer zu atmen ganz vergißt,

Wie da die Herzen andern Schlags sich heben!

Die Rollen sind vertauscht zu dieser Frist.

Der König und die andern Herrn umgeben

Roger, der mühsam aufgestanden ist,

Und küssen ihn und jubeln, wie sie können –

O wie sie Preis und Ehr' dem Helden gönnen!


69.

Mit Roger freun sich alle; tief im Grunde

Des Herzens fühlt ein jeder, was er spricht.

Gradassos Zunge nur gibt andre Kunde,

Und sein Gedanke folgt der Lippe nicht.

Sein Antlitz zeigt wohl Freude, gleich dem Munde,

Doch innen regt der Neid sich, fern dem Licht.

Er flucht, daß Rogers Name ward gezogen,

Weil dem das Glück, sei's Zufall, war gewogen.


70.

Was sag' ich von des Königs Zärtlichkeiten?

Von seiner Huld so liebevoll und wahr

Zu Roger, ohne den in frühern Zeiten

Kein Banner flattern sollte seiner Schar?

Mit ihm nur wagt er übers Meer zu gleiten

Und auf sein Heer zu traun, so groß es war.

Jetzt, nun vertilgt von Agrikan der Samen,

Hoch über allen steht ihm Rogers Namen.


71.

Und nicht nur Männergunst sollt' ihn erheben:

Nein, ihm geneigt sind auch die edlen Fraun,

Die sich aus Afrika zum Heer begeben,

Und von Hispanien, nach den fränk'schen Aun.

Selbst Doralis, die Schmerzen hingegeben,

Läßt um den bleichen Freund die Zähren taun,

Würd' unter ihnen auch vielleicht gefunden,

Wär' sie durch Zügel nicht der Scham gebunden.
[465]

72.

»Vielleicht«, sag' ich und will es nicht beschwören,

Doch soll's mich gar nicht wundern, wenn's geschieht,

Weil Ruhm und Schönheit Roger ja gehören,

Und artig ist er, wie man wen'ge sieht;

Sie läßt von raschen Launen sich betören,

Ich sang davon Euch früher schon ein Lied.

So könnte sie, um Liebe zu genießen,

Recht wohl ins Herz den jungen Roger schließen.


73.

Gut war des Skythen, des lebend'gen, Stärke;

Was fängt sie, seit er tot ist, mit ihm an?

Ihr fehlt ein Recke, der zum nöt'gen Werke

Bei Tag und Nacht ihr rüstig dienen kann.

Der beste Hofarzt kam; dem Augenmerke

Des Vielerfahrnen bot sich Roger dann:

Nachdem der Arzt die Wunden all gesehen,

Fürs Leben, spricht der Alte, könn' er stehen.


74.

Behutsam mußte man Herrn Roger legen

In König Agramantes eignes Zelt,

Damit er stets ihn sehen könn' und pflegen,

Bei Tag und Nacht; so lieb ist ihm der Held.

Die Waffen Mandrikards hängt er dem Degen

Ans Bett mit eigner Hand, und er behält

Nur Durendal allein: er will Gradassen,

Dem Serikanerkönig, diese lassen.


75.

Die Rüstung und die Beutestücke alle

Gibt man an Roger, Güldenzaum dabei,

Das schöne Tier aus Mandrikardos Stalle,

Das Roland ließ in seiner Raserei.

Er gab's dem König; daß es ihm gefalle,

Sah er, und daß es ihm willkommen sei.

Genug davon; das Lied will fort uns tragen,

Wo eine Rogers denkt mit Angst und Zagen.
[466]

76.

Ich muß das große Liebesleid Euch singen,

Das harrend dort erduldet Bradamant.

Hippalka eilte, Nachricht ihr zu bringen

Von ihm, der ihr allein im Herzen stand:

Von Rodomont und all den Nebendingen

Und wie er ihr Frontin, das Pferd, entwand,

Und wie sie Roger später finden konnte

Mit Richard und den Herrn von Agrismonte,


77.

Und wie er auf den Weg mit ihr sich machte

Zur Jagd nach jenem starken Sarazen;

Wie er ihn für die Schmach zu strafen dachte,

Die einem schönen Kind durch ihn geschehn;

Wie er dann aber nicht den Plan vollbrachte,

Weil ihn das Glück ließ andre Bahnen gehn;

Und wie nach Montalban er solchenfalles

Nicht kommen konnte; kurz, sie meldet alles


78.

Und gibt getreulich all die Worte wieder,

Damit er sich entschuldigen gewollt,

Und zieht danach das Schreiben aus dem Mieder,

Das sie der Herrin weitergeben sollt'.

Und diese sah betroffen vor sich nieder,

Nachdem die ganze Botschaft ihr entrollt.

Sie würde alles frohern Mutes lesen,

Wär' ihn zu sehn sie nicht erpicht gewesen.


79.

Sie hatte doch gehofft, ihn selbst zu schauen –

Nun abgespeist zu werden mit Papier!

Furcht, Leid, Enttäuschung trüben ihre Brauen;

Sie küßt das Schreiben hundert Male schier.

Die Tränen, die vom Auge niedertauen –

Denn zu dem Liebsten strebt das Herz in ihr –

Verhindern, daß es brenn' in hellen Flammen,

Von Seufzern, die aus heißem Busen stammen.
[467]

80.

Sie liest fünf-, sechsmal ihres Trauten Kunde,

Und immer neu, wovon das Schreiben spricht,

Will sie vernehmen aus der Botin Munde,

Die Nachricht brachte und den Briefbericht.

Sie weint und weint – ich glaube, bis zur Stunde

Tät' sie es noch, blieb' ihr die Hoffnung nicht

(Es ist der ganze Trost für sie, der eine):

Daß Roger doch in kurzem wohl erscheine.


81.

Rückkehr hatt' er gelobt in zwei, drei Wochen

Und zugesagt dem Mädchen unter Eid:

Er werde kommen, hatt' er fest versprochen;

Und Wortbruch kannt' er ja zu keiner Zeit.

»Ein Unfall hat schon manches Wort gebrochen,«

Sprach sie »und deren gibt es weit und breit,

Zumal, wie jetzt, in argen Kriegeswirren:

Wie viel kann ihn da hindern und verirren!


82.

Ach, Roger, ach! – Nun ich mit heißen Trieben

Dich so viel mehr geliebt als jemals mich,

Kannst du – nicht andre bloß –, nein, Feinde lieben,

Viel mehr als mich; und diese hassen dich!

Du hilfst, wo du vernichten sollst mit Hieben;

Wo's helfen gilt, da kränkst du bitterlich!

Zu lohnen falsch und falsch zu strafen gröblich,

Ich weiß nicht, scheint dir's häßlich, scheint dir's löblich?


83.

Dein Vater starb (ob dir es wohl bekannt ist?)

Durch den Trojan; die Steine wissen's ja:

Und all dein Sinn auf seinen Sohn gewandt ist,

Daß ihm nicht Unehr' und nicht Schande nah'.

Ist das die Rache, wie sie dir zur Hand ist?

Und die für dich als Rächer waren da,

Belohnst du, daß du mich, aus ihrem Blute,

Mit Qualen züchtigst und der Marterrute?«
[468]

84.

Zu Roger sprach sie so und rang die Hände

Und rief den Fernen unter Tränenflut,

Nicht nur ein einzigmal, nein, schier ohn' Ende.

Hippalka höbe gerne ihr den Mut:

Weil Roger es versprochen habe, wende

Er sich wohl her; hübsch warten tue gut

(Nichts Beßres gäb' es jetzt für Bradamante)

Bis zu dem Tage, den ihr Roger nannte.


85.

Hippalkas Trost und sie, die nicht entschwinden

Verliebten will, ihr ständiges Geleit,

Hoffnung, sie sind's, die Kraft dem Schmerz entwinden,

Und nicht mehr unaufhörlich klagt die Maid.

Sie will ans Schloß von Montalban sich binden,

Ohn' Unterbrechung, bis zu jener Zeit,

Da Roger ihr die Heimkehr hat versprochen,

Mit Schwüren, die er, ach, dann doch gebrochen.


86.

Nur lag die Schuld nicht an dem jungen Degen,

Wenn unerfüllt blieb sein gegebnes Wort:

Bald dies, bald das trat hindernd ihm entgegen

Und hielt ihn fern von dem verheißnen Ort.

Er mußt' als Kranker in das Bett sich legen

Und in Gefahr des Todes blieb er dort

Mehr als vier Wochen; also schmerzlich waren

Die Wunden nach dem Kampf mit dem Tataren.


87.

Sie harrt voll Sehnsucht und mit Kummermienen

An jenem Tag auf den geliebten Mann.

Nur was sie hörte, muß als Trost ihr dienen,

Erst von Hippalka, von dem Bruder dann:

Wie Roger ihm als Retter war erschienen

Und Malegis befreit ward und Vivian.

Fand sie auch diese Nachricht recht erfreulich,

War drin ein Beischmack, bitter und abscheulich:
[469]

88.

Sie hörte von Marfisas Rosenwangen,

Wie sie an Wert die Männer überwand

Und wie mit dieser Roger fortgegangen,

Hin, wie er sagte, wo an Abgrunds Rand

Auf schwachem Punkt in Nöten und mit Bangen,

Schwer von Gefahr bedräut, der König stand.

Das nicht zu loben, würde sie sich scheuen,

Doch kann sie nicht im Herzen drob sich freuen.


89.

Ein Argwohn – kein gelinder – will sie plagen:

Ist schön Marfisa wie voll Ruhm und Mut

Und stets mit ihm in allen diesen Tagen –

Ein Wunder wär's, fühlt' er nicht Liebesglut.

Sie schwankt, so daß sich Furcht und Hoffnung jagen.

Den Tag, der alles schlimm macht oder gut,

Erwartet sie und seufzt und lenkt die Schritte

Niemals hinweg aus ihres Schlosses Mitte.


90.

Dort stand sie noch; da kam zu dem Kastelle

Der Herr, der Brüder Haupt (die Jahre nicht,

Die Ehre setzt' ihn an die erste Stelle;

Zwei sahn vor ihm der Erde Angesicht),

Rinald, der seinem Haus gab Glanz und Helle,

Gleichwie dem Sternenheer das Sonnenlicht.

Man sah ihn um die Mittagszeit erscheinen;

Nur einen Knaben hatt' er mit, sonst keinen.


91.

Als er den Rückweg einst von Brava machte

(Ihr wißt, er ritt dahin oft von Paris,

Weil er die Spur dort aufzufinden dachte,

Die ihm die Näh' Angelikas verhieß),

Geschah's, daß man die schwere Mär ihm brachte

Von seinem Vivian und Malegis,

Die jener böse Mainzer sollte haben;

Er eilte drum, nach Agrismont zu traben:
[470]

92.

Vernahm, wie ihnen Rettung sei geworden

Und wie die Gegner tot und abgetan

(Den Brüdern schafften aus den Feindeshorden

Die Schwerter Rogers und Marfisas Bahn);

Wie Brüder dann und Vettern nach dem Morden

Zusammen gingen hin nach Montalban.

Jetzt will ein Stündchen schier ein Jahr ihm scheinen;

Es gilt, sich mit den Lieben zu vereinen.


93.

Er kommt nach Montalban, dort zu umschlingen

Die Mutter und die Brüder, Weib und Kind

Und Vettern, die zuvor in Ketten gingen:

Es scheint, wie alle so beisammen sind,

Ein Schwälbchen – Futter seiner Brut zu bringen

Nach Hungersnot – sei kommen durch den Wind.

Er bleibt zwei Tage; hat sodann gemieden

Das Schloß, und andre sind mit ihm geschieden.


94.

Die beiden Richard, Alard, ihm zur Seite

Quiscard der Ältere, umgeben ihn,

Und Malegis und Vivian als Geleite

In Waffen folgen hinterm Paladin.

Die Jungfrau, wähnend, daß nun näherschreite

Die Stunde, die ihr gar zu langsam schien,

Sagt (denn nicht gerne ginge sie in Waffen),

Es mach' ihr eine Krankheit jetzt zu schaffen.


95.

Wohl war sie krank, doch nicht von Fieber rannen

Die Pulse, nicht von körperlichem Schmerz:

Die Sehnsucht will im Busen übermannen

Mit arger Qual das liebeskranke Herz.

Rinald zieht nun von Montalban von dannen

Und führt des Hauses Blüte seinewärts.

Wie zu Paris Karl Hilfe von dem Helden

Erhielt, werd' ich im nächsten Sang Euch melden.[471]

Quelle:
Ariosto, Ludovico: Der rasende Roland. In: Sämtliche poetischen Werke, Berlin 1922, Band 3.
Lizenz:
Ausgewählte Ausgaben von
Der rasende Roland
Die Historia vom Rasenden Roland
Ludovico Ariosts Rasender Roland nacherzählt von Italo Calvino

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