Dreiundvierzigster Gesang

[306] 1.

Verruchter Geiz! O Hunger, zu erwerben!

Mich wundert's wenig, daß gemeiner Sinn

(Bei dem bricht alles Gute ja in Scherben)

Gefangen bleibt in deinen Netzen drin:

Doch reißt der gleiche Strick auch zum Verderben,

Der gleiche Griff der Klaue einen hin,

Den man, wenn er nur dir entgangen wäre,

Von hohem Geiste nennte, wert der Ehre.


2.

Der hat den Himmel, Erd' und Meer gemessen,

Kennt der Natur Gesetze groß und klein,

Darf alles zu erklären sich vermessen

Und blickt dem Herrgott in die Brust hinein –

Und weil dein Giftzahn ihn hat angefressen,

Läßt er's sein heißestes Bestreben sein,

Gold anzuhäufen; dieses zu gewinnen,

Ist Hoffnung ihm und Heil, ist all sein Sinnen.


3.

Der schlug aufs Haupt der Feinde Kriegesbanden,

Bis er im Tor genommner Städt' erschien;

Wenn sie die tapfre Brust als erste fanden

Beim Sturm, so sah man auch als Letzten ihn: –

Du hältst ihn fest in deinen dunklen Banden;

Dir kann er – bis zum Tod – sich nicht entziehn.

In Kunst und Studien nimmst du andern Ehren,

Die ohne dich berühmt, gefeiert wären.
[307]

4.

Was soll ich von den hohen Damen sagen,

Die wackerm Freunde, schönem, treuem Mann,

Und seinem langen Dienste sich versagen,

Wie Marmor hart, in ihrer Spröde Bann?

Da naht der Geiz: – welch anderes Betragen!

O seht nur: wie verzaubert sind sie dann,

Und plötzlich, ohne Liebe (soll man's glauben?)

Darf sie ein Greis, ein Fratz, ein Untier rauben.


5.

Beklag' ich mich, so hab' ich meine Gründe

(Versteh's, wer kann; ich selbst verstehe mich).

Was ich mir vorgenommen habe, künde

Ich auch, vergess' es niemals freventlich.

Doch daß der Strom nicht bei Vergangnem münde!

Was noch zu sagen, daran gehe ich.

Wir wollen hin zum Paladin uns wenden,

Der dastand, mit dem Weinkrug in den Händen.


6.

Ich sagte, sinnend stand er eine Weile,

Eh er zum Munde hob den Krug empor.

Dann sprach er: »Wer da suchen geht in Eile,

Was er nicht finden will, der ist ein Tor.

Mein Weib ist Weib, und Schwachheit ward zuteile

Jedweder; laß mich glauben wie zuvor!

Bis jetzt ist mir mein Glaube gut bekommen:

Was kann mir weiter noch die Probe frommen?


7.

Verlieren kann ich viel und nichts gewinnen;

Versuch' ich Gott, am Ende sagt er nein.

Ob töricht sei, ob weise mein Beginnen,

Genügend ist mir Wissen, das schon mein.

So nehme man den Weinkrug nur von hinnen,

Ich bin nicht durstig, will es auch nicht sein.

Gewißheit hat uns Gott nicht geben wollen,

Wie Adam nicht vom Baum hat essen sollen.
[308]

8.

Dieweil er in den Apfel einst gebissen,

Was Gott mit eignem Munde untersagt,

Hat er, aus Seligkeit in Leid gerissen,

Sich immerfort im Elend nur geplagt.

So fällt aus Fröhlichkeit, wer alles wissen

Will von der Frau, was sie getan – gesagt,

Heraus, um sich in Leid und Weh zu finden;

Und nimmermehr kann er empor sich winden.«


9.

So hört den Paladin, den wackern, sprechen

(Rinald stieß jenen argen Becher fort),

Und laut beginnt in Tränen auszubrechen,

Der hier gebeut an diesem schönen Ort.

Etwas erholt sodann von seinen Schwächen,

Spricht er: »Oh, daß ich folgte jenem Wort

Und, ach, der bösen Probe war beflissen,

Die mein geliebtes Weib mir hat entrissen!


10.

Was kannt' ich nicht, um Rat dich zu befragen,

Dich in den Jahren, die vergangen sind,

Eh noch begonnen hatten Leid und Klagen,

Der Tränenstrom, durch den ich fast schon blind!

Ich will vor dir des Schleiers mich entschlagen,

Damit dein Mitleid meinen Jammer find';

Ursach und ersten Anfang sollst du kennen

Der Qual, die ohnegleichen ist zu nennen.


11.

Dort oben hast du eine Stadt gelassen,

Ein Fluß umschließt sie wie ein Landsee klar;

Der wächst und läßt sich dann vom Po umfassen;

Sein Ursprung stellt sich im Benacus dar.

Die Stadt entstand, nachdem in Trümmermassen

Gestürzt des Kadmus Drachenmauer war,

Zur Welt dort kam ich, arm an Erdengute,

In niederm Dach, wenngleich aus edlem Blute.
[309]

12.

Ließ so das Glück den Reichtum mich entbehren,

Ward mir Ersatz durch die Natur gebracht:

Sie wollt' erlesne Schönheit mir bescheren,

Und manche Liebesglut hab' ich entfacht,

Sah Fraun und Mädchen sich um mich verzehren

In meiner Jugendzeit; ich war bedacht

(Mag man auch Eigenlob befremdlich finden),

Damit ein artig Wesen zu verbinden.


13.

Es lebt in unsrer Stadt, gelehrt, erfahren

Gar sehr in jeder Kunst, ein weiser Mann;

Gelangt zu hundertachtundzwanzig Jahren

War er, als seine Lebensfrist verrann.

Der wußte streng und einsam sich zu wahren,

Bis ihn zuletzt der Liebe Netz umspann:

Er hat – durch Geld – sich seine Frau erkoren;

Ein Töchterlein ward heimlich ihm geboren.


14.

Damit das Kind nicht seiner Mutter gleiche –

Sie gab die Ehre hin um schnödes Geld,

Die doch ein höhres Gut, als was die reiche

Erde ringsum an blankem Gold enthält –,

Bestimmt er, in die Einsamkeit entweiche

Das Kind, den Menschen fern; auf ödem Feld

Baut er dies schöne Schloß, um drin zu wohnen,

Durch Zauberkunst ihm dienender Dämonen.


15.

In Obhut züchtiger und alter Frauen

Zu großer Schönheit wuchs das Kind empor.

Niemals bekam sie einen Mann zu schauen,

Kein Wort, das einem Mann galt, traf ihr Ohr.

Um sie nur gutem Beispiel zu vertrauen,

Ließ er die keuschen Damen, die das Tor

Des Herzens schlossen vor verbotnen Dingen,

In Stein und Farben ihr vor Augen bringen.
[310]

16.

Nicht bloß, die, aller Tugend zugewendet,

Dem grauen Altertume Glanz verleihn

Und deren Ruhm der Keuschheit nimmer endet,

Weil die Autoren ihr Bewundrung weihn, –

Auch die ein gutes Schicksal später sendet,

Durch reinen Sinn Italiens Schmuck zu sein,

Gab er, mit ihren Zügen, dieser Stelle,

Wie deren acht du sahst schon an der Quelle.


17.

Als drauf das Mädchen reif erschien dem Alten,

Daß ihre Frucht gehöre rechtem Mann,

Ward ich vor allen ihrer wert gehalten.

(War's Glück, war's Unglück, daß ich sie gewann?)

Als Mitgift hab' ich den Palast erhalten,

Den herrlichen, fischreiche Seen und dann

Noch Länderein, neun Stunden in der Runde;

Das alles gab er mir beim Ehebunde.


18.

Sie war so hold, so lieblich anzusehen

(Unmöglich schien da Sehnsucht nach noch mehr!),

Im Sticken äußerst kundig und im Nähen,

Als ob es Göttin Pallas selber wär'.

O hört sie singen, seht das Kind nur gehen!

Ein Engel sang, ein Engel schritt daher!

Auch in die Künste war sie eingedrungen:

Fast wie dem Vater war es ihr gelungen.


19.

Ward sie voll Geist und Schönheit, ach, befunden

(Ein Stein ja würde weich und mild bei ihr),

Hat sich damit noch Süßigkeit verbunden, –

Denk' ich daran, mich übermannt es schier!

Die größte Lust war ihr zu allen Stunden,

Bei mir zu sein, zu stehn, zu gehn mit mir.

So lebten wir, ohn einmal uns zu streiten;

Streit gab's – durch mich – genug in spätern Zeiten.
[311]

20.

Nachdem ihr Vater war dahingegangen

In meiner Ehebande sechstem Jahr,

Beeilten sich die Leiden anzufangen,

Die noch ich fühle. Höre, wie es war!

Als Liebe zu der Holden mich umfangen

Hielt mit den starken Flügeln ganz und gar,

Stand eine von den edlen Fraun im Lande

Von heißer Leidenschaft für mich im Brande.


21.

Die kennt so viel von Spuk und Zaubersachen,

Wie es die größte Hexe mag verstehn:

Kann schwarz den Tag und hell das Dunkel machen,

Hält fest die Sonne, läßt die Erde gehn;

Doch kann sie nicht die Lust in mir entfachen,

In dieser Liebespein ihr beizustehn.

Unmöglich war es, Heilung ihr zu schenken,

Ohne mein liebes Weib zu sehr zu kränken.


22.

Nicht weil ich sie als hübsch und niedlich kannte,

Nicht weil ich sah der großen Liebe Spur,

Nicht weil sie alle Lockungen verwandte,

Mich mit Versprechung drängend stets und Schwur,

Blieb ich bei meiner ersten Glut, entwandte

Für jene nichts, auch nicht ein Fünkchen nur,

Weil, daß ich treu die liebe Gattin wußte,

Mich von der andern stets entfernen mußte.


23.

Bei dieser Hoffnung, Sicherheit und diesen

Gefühlen für die treue gute Frau

Hätt' ich der Leda Tochter abgewiesen,

Trotz ihrer Herrlichkeit, mit fester Brau,

Und was als Lohn dem Hirten ward gewiesen –

Macht und Verstand – auf Idas Bergesau.

Doch, mocht' ich mich als treu und fest entdecken,

Umsonst war alles, jene abzuschrecken.
[312]

24.

Sie trifft mich eines Tags in Waldgehegen

(Melissa heißt die böße Zauberin)

Und kann in Muße sprechen; aufzuregen

Aus seinem Frieden weiß sie meinen Sinn,

Die Saat des Mißtrauns mir ins Herz zu legen;

Mein gläubiges Vertrauen geht dahin.

Sie lobt die gute Absicht dort aufs neue,

Ihr treu zu sein, die mir bewahre Treue.


25.

›Nur, daß sie treu sei, kannst du ja nicht sagen,

Solang es einer Probe noch gebricht.

Erst, wenn Versuchung ward zurückgeschlagen,

Weiß man, daß sie bei Ehre blieb und Pflicht.

Doch, darf sie nicht allein vors Haus sich wagen,

Und zeigt kein andrer Mann ihr sein Gesicht,

Wie kannst du glauben und es kühn bekennen,

Sie sei untadelhaft und rein zu nennen?


26.

Geh fort einmal, und daß du fortgeritten,

Laß es erzählen rings in Stadt und Land:

Sie sei allein mit ihren guten Sitten!

Gib Boten und Verliebten freie Hand!

Und bleibt sie, den Geschenken und den Bitten

Trotz bietend, fest in ihrem Widerstand,

Da sie doch sünd'gen kann verstohlner Weise,

Dann ist es Zeit, daß man sie rühm' und preise.‹


27.

So bohrt die Zauberin, bohrt ohne Ende,

Bis ich zuletzt erklär', es sei mir recht,

Daß eine Probe die Entscheidung sende,

Ob meiner Gattin Tugend gut und echt.

Gesetzt den Fall, so sagt' ich, daß man fände,

Was jetzt zu glauben häßlich sei und schlecht,

Wodurch erlang' ich denn die rechte Probe,

Ob ich sie strafen soll, ob ich sie lobe?
[313]

28.

Sie sprach: ›Ich will dir zur Verfügung stellen

Ein Trinkgefäß, mit Wunderkraft bedacht.

Morgana hat's, den Fehler aufzuhellen

Ginevras, für den Bruder einst gemacht.

Wes Gattin keusch ist, trinkt des Weines Wellen;

Nicht, wem die Gattin ward zu Fall gebracht.

Er kann den Krug nur an die Lippen führen:

Der Wein bleibt draußen, wird die Brust berühren.


29.

Erprobe nun den Krug noch vor der Reise:

Der Wein wird ganz gewiß hinuntergehn;

Denn rein ist noch dein Weib in jeder Weise.

Ich glaub' es gern; allein du wirst ja sehn.

Ob er sich nach der Rückkehr so erweise,

Ob anders, dafür wag' ich nicht zu stehn.

Man muß, vermagst du trinkend dich zu letzen,

Dich als den glücklichsten der Gatten schätzen.‹


30.

Sie reicht den Krug. Drauf mach' ich, einverstanden,

Die Prob': es geht vortrefflich überaus.

Ganz wie's mein Wunsch war, keusch und gut erfanden

Wir mein geliebtes Eheweib zu Haus.

Melissa sprach: ›Nun geh nach andern Landen!

Bleibe zwei Monat' oder einen aus,

Dann komm zurück und sieh, ob dich aufs neue,

Statt dich zu netzen, solch ein Trunk erfreue.‹


31.

Mich wollt' es hart bedünken, fortzugehen:

Nicht daß ein Zweifel mir gekommen wär' –

Ach nein, daß mir ein einz'ger Tag vergehen

Soll ohne sie – nur dieses fiel mir schwer.

›Du sollst die Wahrheit‹, sprach Melissa, ›sehen:

Auf anderm Wege führ' ich dir sie her.

Ich kann ja Stimmen dir und Kleid maskieren;

Als Fremdling magst du dann dich präsentieren.‹
[314]

32.

Fluten des Po, Herr, Hörnern zu vergleichen,

Bilden für eine nahe Stadt die Wehr.

Ihr Wille, ihre Macht und Satzung reichen,

Bis wo da kommt und wieder geht das Meer.

An Alter muß sie Nachbarstädten weichen,

An Schönheit und an Reichtum nimmermehr.

Dort war's, daß Söhne Trojas wohnen blieben,

Als sie die Geißel Attilas vertrieben.


33.

Ein junger Herr, der hier die Zügel führte,

An Schätzen reich und Wohlgestalt und fein,

Folgt, als sein Falk hierher die Flügel rührte,

Ihm nach und stellt im Schloß bei uns sich ein!

Er sah mein Weib: beim ersten Blicke spürte

Er tief im Herzensgrund der Liebe Pein,

Versuchte dies und das und hatt' im Sinne

Nichts andres mehr, als wie er sie gewinne.


34.

Dann endlich ließ er ab, ihr zuzusetzen,

Weil sie mit Deutlichkeit ihn von sich stieß;

Allein ihr Bild, geschmückt mit Amors Schätzen,

Ihn im Gedächtnis nimmermehr verließ.

In dieses Herrn Gestalt mich zu versetzen,

War, was Melissa als das Beste pries:

Sie weiß mir wunderbar durch Zaubereien

Sein Antlitz, Stimm' und Aug' und Haar zu leihen.


35.

Nachdem ich meinem Weib gesagt, zu fahren

Sei ich genötigt nach dem Morgenland,

Kehrt' ich zurück mit jenes Jünglings Haaren

Und Gang und Stimme, Antlitz und Gewand.

Mit eines Pagen Aussehn und Gebaren,

Wobei Melissa mir zur Seite stand,

Die köstlichsten Juwelen in den Händen,

Die Indien oder Erythräa spenden.
[315]

36.

Im Schloß bekannt mit allen Weg' und Stegen,

Tret ich, mit mir die Zauberin, herein,

Und, siehe da! – es trifft sich sehr gelegen;

Wir finden seine Herrin ganz allein.

Erst bitt' ich, und, zum Bösen anzuregen,

Den argen Stachel brauch' ich hinterdrein.

Smaragd erglänzt, Rubine, Diamanten,

Die auch das stärkste Herz wohl übermannten.


37.

Dies alles, sagt' ich, seien kleine Teile

Von dem, was an Geschenken sei bereit;

Worauf ich bei dem günst'gen Stern verweile.

Daß jetzt ihr Gatte just auf Reisen weit.

Erwägen möge sie, von Amors Pfeile

Verwundet, harr' ich schon so lange Zeit;

Nur billig sei's, wenn sie belohn' und labe,

Wer solche Lieb' und Treue für sie habe.


38.

Ich sah sie unmutvoll zuerst erbeben;

Errötend weist sie uns schon fast vom Ort;

Doch als den lichten Schein die Steine geben,

Wie Feuer hell, da schwand die Härte fort,

Und stockend sagt sie schließlich – ach, das Leben

Entschwindet mir, gedenk' ich an das Wort! –:

Sie wolle mir willfahren nach Gefallen,

Wenn es verborgen bleibe stets vor allen.


39.

Giftig ins Herz hinein sich bohrend, glichen

Die Worte einem Pfeil, der mich durchdrang,

So daß durchs Mark mir kalte Schauer schlichen,

Gehemmt im Schlunde blieb der Stimme Klang,

Als durch Melissa jetzt die Zauber wichen,

Und mich die eigne Form aufs neu umschlang.

Bedenk, in welche Farb' ihr Rot sich wandte,

Als, so verirrt, den Gatten sie erkannte.
[316]

40.

Die Lippen stumm, die Wangen fahl, so standen

Wir beide da, die Augen auf dem Grund;

Schwer löste sich die Zunge aus den Banden;

Es klang, vernehmlich kaum, aus meinem Mund:

›So gibst du, ist ein Käufer nur vorhanden,

Die Ehre hin für Gold und Steine bunt?‹

Nicht Antwort gab sie, keine Worte klangen,

Nur Tränen, Tränen rollten auf die Wangen,


41.

Weil groß die Scham, doch größer noch der Groll war,

In meiner Gegenwart beschimpft zu sein;

Wuchs Zorn, von dem sie bis zum Bersten voll war,

In einen wilden, blinden Haß hinein.

Ihr Plan, nachdem ihr so die Galle schwoll, war

Zu fliehn; als Phöbus' Wagen sinkt, hinein

Steigt sie an Flusses Bord in einen Nachen,

Abwärts die Nacht hindurch die Fahrt zu machen.


42.

Und in der Früh' ist sie bei ihm erschienen,

Der schon sein Herz ihr schenkte ganz und gar:

Mit dessen Aussehn und mit dessen Mienen

Ich, sie zu prüfen – weh! –, gekommen war.

Daß ihn, der noch bereit war ihr zu dienen,

Ihr Kommen höchlich freute, das ist klar.

Von dort hat ihre Botschaft mich getroffen,

Ich dürf' auf ihre Liebe nimmer hoffen.


43.

Zusammen nun in Freuden bleiben beide

Seit jenem Tage, und sie spotten mein;

Und ich verzehre mich in meinem Leide,

Das niemand heilt, und selbstgeschaffner Pein.

Das Übel wächst –: daß ich den Tod drum leide,

Ist nur gerecht, und bald schon wird es sein.

Ich wäre längst vom Kummer überwunden,

Hätt' ich in einem Ding nicht Trost gefunden:
[317]

44.

Der ist: daß allen, die noch Rast genossen

Hier im Palast – zehn Jahre sind es jetzt –

Der Wein sich auf den Busen hat ergossen;

Denn jedem wird der Weinkrug vorgesetzt.

Ich hab' in meinem Leide viel Genossen;

Das ist noch, was ein wenig mich ergetzt.

Du warst bis diesen Tag der einz'ge Kluge,

Der sich hat ferngehalten von dem Kruge.


45.

Weil ich erkennen wollt' auf seinem Grunde,

Was man bei seiner Frau nicht suchen soll,

Genieß' ich keine ruhevolle Stunde,

Sei kurz, sei lang mein Leben jammervoll.

Melissa lachte wohl mit höhn'schem Munde,

Jedoch die Freude wurde bald zu Groll:

Denn weil durch sie das Unheil war geschehen,

So haßt' ich sie, – ich konnte sie nicht sehen.


46.

Es schmerzt sie, Haß des Mannes zu erleben,

Der mehr ihr (sagte sie) als Herzblut galt;

Hier Herrin sein, war früher all ihr Streben

(Nachdem mein Weib nahm andern Aufenthalt);

Nicht mehr den Blick auf dieses Haus zu heben,

Ging sie vom ganzen Land hinweg, und bald.

Nie hört' ich mehr von ihr; sie blieb verschwunden

Von jener Zeit an bis auf diese Stunden.«


47.

Nicht weiter hat der arme Herr gesprochen.

Rinald (verstummt war der betrübte Mann)

Hat eine Zeit das Schweigen nicht gebrochen,

Des Mitleids voll; die Antwort gab er dann:

»Daß solch ein Wespennest werd' aufgestochen,

Das riet Melissa dir zum Unglück an.

Du hättest nimmer also suchen sollen,

Was du doch keineswegs hast finden wollen.
[318]

48.

Wenn Habsucht deine Frau ins Wanken brachte,

Und wenn sie strauchelte – so lang dir treu –,

Staunst du? 's ist nicht die erste, nicht die achte,

Die also fiel: sie wimmeln ja wie Spreu,

Von denen manche Ärgres noch vollbrachte,

Um weit geringern Preis, ganz ohne Scheu.

Haben nicht Männer oft mit Schurkentaten

Für Gold den Gönner und den Freund verraten?


49.

So mächtig stürmen durftest du ja nimmer,

Wofern du ernsthaft ihren Sieg gewollt:

Auch Stahl und Marmor, sie erliegen immer

Vor Edelsteinen und vor rotem Gold.

So stark sie zu versuchen, scheint mir schlimmer

Als der Tribut, den sie der Schwäche zollt.

Hätt' also dich zu prüfen ihr gefallen,

Wer weiß? Am Ende wärst du selbst gefallen.«


50.

So schließt Rinald, steht auf zugleich vom Tische,

Ein wenig noch zu schlummern in der Nacht,

Ein Stündlein wohl; denn vor der Morgenfrische

Hätt' er sich gerne auf den Weg gemacht.

Zeit fehlt; daß er die rechte Stund' erwische,

Die kurze Frist benutzend, hat er acht.

Belieb' ihm, meint der Wirt, sich hinzulegen,

Mög' er in seinem Schloß der Ruhe pflegen,


51.

Wo schon bereit das Bett im Zimmer stehe;

Allein er könne, folg' er seinem Rat,

Nach Wunsche schlafen, bis die Nacht vergehe,

Und manche Meile tun auf seinem Pfad.

»Es liegt ein Nachen«, sprach er, »in der Nähe,

Den richt' ich her, und wie im Bett gerad,

Schläfst du und fährst zugleich durchs Wasser leise,

Und einen Tag gewinnst du deiner Reise.«
[319]

52.

Rinald war dieser Vorschlag nicht zuwider;

Er nahm ihn gern, dem Schloßherrn dankend, an.

Ohne zu säumen, nach dem Fluß hernieder,

Wo Schiffer seiner harrten, stieg er dann.

Behaglich streckt er dort zum Schlaf die Glieder,

Der Nachen gleitet unterdes voran,

Von drei Paar Rudern leicht dahingetragen,

Wie durch die Lüfte rasche Vögel jagen.


53.

Kaum läßt er seinen Kopf aufs Kissen sinken,

So schläft der Paladin von Frankreich ein:

Er sagte, wenn Ferraras Mauern winken,

So wünsch' er alsobald geweckt zu sein.

Melara bleibt am Uferrand zur Linken,

Sermide folgt am rechten hinterdrein,

Figarolo, Stellata drauf sich zeigen,

Wo sich des zorn'gen Flusses Hörner neigen.


54.

Das linke Horn den Venezianern lassend,

Hat sich das Boot zum rechten hingewandt.

Bondeno naht sich. (Allgemach erblassend

Im Osten schon der blaue Schatten schwand,

Und rot und weiß, den Blumenkorb erfassend,

Streut' holde Blüten aus Auroras Hand.)

Als sich die Felsen zeigten des Tealdo,

Hob aus dem Schlaf sein Haupt empor Rinaldo.


55.

Er sprach: »O Stadt, das Glück will dich geleiten!

Denn Malegis, mein Vetter, sagt es ja,

Der es – ein Sehergeist stand ihm zuseiten –

Aus Sternen- und Planetenlauf ersah:

Du wirst, so kündigt er, in spätern Zeiten

(Wir machten miteinand die Reise da)

So hoch an Ruhm und hoher Ehre steigen:

Italias ganzer Preis wird dir zu eigen!«
[320]

56.

Er spricht's. Der Nachen fliegt, als hätt' er Schwingen,

Den königlichen Strom hindurch derweil,

Um nach dem kleinen Eiland vorzudringen

(Von da zur Stadt ist's eine kleine Weil'),

Und wenn sich Unkraut hier und Dickicht schlingen,

Freut sich Rinald und ruft dem Platze Heil.

Er sah im Geist, wie dieses Stückchen Erde

Im Lauf der Jahre schön und herrlich werde.


57.

Durch Malegis ward ihm Bescheid und Lehre

(Er ging mit ihm): wenn siebenhundertmal

Im Kreise sich gedreht die vierte Sphäre

Mitsamt dem Widder, werd' ein Sonnenstrahl

Kein holder Eiland schaun in Fluß und Meere

Und in den schönsten Seen im Erdental.

Wer hier auf diese Pracht den Blick gehoben,

Der werde kein Phäakenland mehr loben.


58.

Er hört, die Bauten werden überragen

Die schönen der Tiberiusinsel all;

Der Boden werd' erlesne Pflanzen tragen –

Hesperien steh' zurück in jedem Fall,

Und Tiere geb' es, wie sie nimmer lagen

Bei Kirkes Zauberschloß in Hürd' und Stall.

Man werde nicht in Zypern mehr und Knidos

Den Sitz der Grazien suchen und Kupidos.


59.

Durch einen Herrscher, der mit Können, Wissen

Das Wollen eine, solle dies geschehn;

Er werde, ihres Schutzes ganz beflissen,

Sie fest mit Mauern und mit Wall versehn,

Daß sie der andern Hilfe könne missen,

Um gegen eine Welt auf sich zu stehn.

Als Herkuls Sohn werd' er die Welt begaben

Und einen Herkules als Sprossen haben.
[321]

60.

Da solcher Zukunft Herr Rinald gedachte,

Wie sie geweissagt war durch Malegis

(Wenn seine Seherkunst in ihm erwachte

Und er dem Vetter ferne Zukunft wies),

Und nun die dürft'ge Stadt sich kenntlich machte,

Sprach er bei sich: »Hier wird ein Paradies?

Wie mag die Kunst entblühn in Wüsteneien?

Wie Studium hier und Wissenschaft gedeihen?


61.

Wie mag erwachsen aus so kleinem Flecken

Doch eine Stadt, jedweder Schönheit voll?

Und wo jetzt Sümpfe sich und Schlamm erstrecken,

Ein fröhliches Gefild sich dehnen soll?

Stadt! Deinen Herrn, den ritterlichen Recken,

Und ihrer Huld bring' ich der Ehrfurcht Zoll,

Wie deine Großen, deine Bürger, weise

Und jedes Ruhmes wert, ich ehr' und preise.


62.

Dir sei des Heilands Gnade stets beschieden!

Durch sie und deiner Herrn Gerechtigkeit

Genieße frohen Mutes Lieb' und Frieden

Und reicher Felder Frucht für alle Zeit!

Der Feinde Fallstrick werde klug vermieden:

Du trotzest ihrer Wut in Sicherheit!

Weckt andrer Scheelsucht dein Gedeihn und Segen,

Soll dir doch niemals einer Neid erregen!«


63.

Derweil Rinald es spricht, schießt durch die Wogen

Der Kahn in solcher Eile leicht und frei,

Nicht rascher kommt zur Lockspeis' hergeflogen

Der Falk, gerufen von des Jägers Schrei.

Zum rechten Ast des Horns wird eingebogen:

Es ziehen Dach und Mauer sanft vorbei.

San Giorgio flieht; vorüber flieht am Kahne

Der Fossaturm, der Turm dann von Gaibane.
[322]

64.

Wie ein Gedanke will Gedanken bringen,

An diese wieder neue bald sich reihn,

So denkt Rinald des Herrn vor allen Dingen,

Der ihn am Abend nahm ins Schloß hinein

(Der konnte, traun, der Stadt kein Loblied singen:

Und hatte Grund zu Zorn und schwerer Pein);

Darauf an jenes Weingefäß aufs neue,

Daraus ersichtlich wird der Gattin Treue,


65.

Und denkt an das zugleich, was von den Proben

Ihm durch Bericht des Ritters wurde kund:

Wie keiner, der den Becher noch erhoben,

Ihn leeren konnte bis auf diese Stund'.

Es reut ihn bald, bald sagt er: 's ist zu loben,

Führt' ich den bösen Krug nicht an den Mund.

Gelang es, stand es so, wie ich mir dachte;

Wie aber, wenn ich's nicht zustande brachte?


66.

Mein Glaub' ist fest, so fest wie sichres Wissen;

Auch wachsen, mein' ich, könnt' er kaum noch mehr.

Den Vorteil von der Sache kann ich missen,

Verlief die Probe gut von ungefähr;

Erführ' ich aber Böses von Clarissen,

Bedrückte solch ein Fall mich wahrlich sehr;

Tausend zu eins, – das wär' der Satz des Spieles;

Wenig gewänn' ich und verlöre vieles.


67.

Derweil nun dies Rinalds Gedanken waren

Und seine Augen nicht vom Boden sahn,

Blickt' einer sehr gespannt auf sein Gebaren,

Der grad ihm gegenüber saß im Kahn.

Den Grund des Sinnens möcht' er gern erfahren

Und, was für Dinge wohl dem Herrn geschahn:

Er spricht mit klugen Worten und mit kecken,

Und den Bericht vernimmt er von dem Recken.
[323]

68.

Sie kommen beide zu den gleichen Sätzen:

Fürwahr ein großer Tor ist jener Mann!

Die Gattin der Versuchung auszusetzen,

Der größten, die ein Weib bestehen kann!

Die Frau, die reichem Golde trotzt und Schätzen,

Und keuschen Herzens da den Sieg gewann,

Die wahrt viel leichter gegen tausend Speere,

Und mitten in der Feuersglut, die Ehre.


69.

Der Schiffer sprach: »Genötigt beizupflichten

Bin ich: sie so zu locken war nicht recht;

Nicht recht, so schwer Geschütz auf sie zu richten:

Gar manche Brust verträgt das allzuschlecht.

Du hörtest wohl von jener Frau berichten

(Vielleicht, daß Ihr bei Euch darüber sprecht),

Die fand heraus: das gleiche tat ihr Gatte,

Wofür er sie zum Tod verurteilt hatte.


70.

Ein goldner Schatz trägt allen Trotz von hinnen –

Die Weisheit kennt man wahrlich doch schon lang:

Doch wollte sich mein Herr nicht drauf besinnen

Und sorgte so für seinen Untergang.

Auch kannt' er ja, was in den Mauern drinnen

Dort in der Stadt aus einem Fall entsprang,

In unsrer Heimat, die mit Sumpf und Graben

Des Menzo Dämme rings umschlossen haben.


71.

Adonio mein' ich, der mit einem Hunde

Des Richters Gattin ein Geschenk gemacht.«

»Mir ward davon«, sprach jener, »nicht die Kunde;

Über die Alpen ward sie nicht gebracht.

In Frankreich und den Ländern in der Runde

Ist noch kein Echo von der Mär erwacht.

Drum wenn es dir gefällt, magst du berichten;

Ich lausche mit Vergnügen den Geschichten.«
[324]

72.

»Es lebt ein Mann Anselmus hier im Lande

Aus würdigem Geschlecht,« der Schiffer sprach,

»Der forschte lang in wallendem Gewände

Der Lehre Ulpians mit Eifer nach.

Er sucht' ein Mädchen für die Ehebande,

Adlig und schön, wie es dem Stand entsprach.

In einer Stadt von hier nicht allzuferne

Fand er ein solches, schön gleich einem Sterne,


73.

Mit holdem Wesen, lieblichen Gebärden:

Das schien die Lieb' und Anmut selbst fürwahr;

Zu sehr vielleicht, um dessen Weib zu werden,

Für den dergleichen gar nicht nötig war.

Kaum hat er sie, bot er wie nie auf Erden

Das Bild des eifersücht'gen Ehmanns dar;

Nicht, daß sie jemals Anlaß ihm gegeben –

Nur allzu schön und reizend war sie eben.


74.

Die Stadt hatt' einen Ritter, einen jungen

Aus altem Hause, gut und wohlgetan,

Vom stolzen Stamm, der sich der Saat entrungen –

So meldet man – aus gift'gem Schlangenzahn.

Manto und alle sind aus ihm entsprungen,

Die meiner Heimat öffneten die Bahn.

Der Rittersmann – Adonio war sein Name –

Verliebte sich in diese schöne Dame.


75.

Und um das Ziel der Liebe zu erreichen,

Gab er sein Geld hinaus ohn' Unterlaß,

Für Kleider, Prunk und Feste sondergleichen,

Wie's je ein größrer Herr sich nur vermaß.

Tiberius' Schatz, der würde hier nicht reichen

Bei solcher Gutvergeudung ohne Maß.

Zwei Winter, glaub' ich, hatten nicht geendet,

Da war des Vaters Erbe ganz verschwendet.
[325]

76.

Das Haus, wo doch zuvor in Glanz und Schimmer

Stets Gäste wandelten, treppauf, treppab,

Stand jetzt verlassen, seit es drinnen nimmer

Rebhühner, Wachteln und Fasanen gab.

Er, sonst des frohen Haufens Hauptmann immer,

Blieb dort allein fast mit dem Bettelstab.

Nachdem er also in sein Unglück rannte,

Dacht' er zu gehn – hin, wo kein Mensch ihn kannte.


77.

Er zieht, ohn' andern nur ein Wort zu sagen,

Aus seinem Heimatort mit trübem Sinn,

Seufzend und weinend, und die Füße tragen

Ihn nach dem Sumpfe vor den Mauern hin.

Allein inmitten noch von seinen Plagen

Vergaß er nicht des Herzens Königin –

Als freundlich ihn aus seinem Leid, dem tiefen,

Zum höchsten Glück des Schicksals Launen riefen.


78.

Er sieht, ein Bauer stößt mit einem Stecken

Auf einen Fleck Gestrüpp und Strauchwerk los.

Adonio fragt den Mann, zu welchen Zwecken

Er so in Zweigen wühle, Stein und Moos.

Der sagt, er sah sich im Gebüsch verstecken

Dort eine Schlange, mächtig, alt und groß.

So groß und dick, wie er noch niemals eine

Gesehen habe, noch zu sehen meine.


79.

Erst wenn er sie aus ihrer Ruhe störte

Zum Töten, geh' er von dem Platze fort.

Als ihn Adonio dies sagen hörte,

Unwillig war er ob des Bauern Wort,

Da seine Gunst den Schlangen stets gehörte;

Zeigte doch Schlangen als des Hauses Hort

Sein Wappen; denn es war in fernen Landen

Aus Schlangenzähnen sein Geschlecht entstanden.
[326]

80.

Dem Bauern wußt' er solchen Rat zu geben,

Daß er (ungern) nicht auf der Jagd bestand;

Und jene Schlange blieb durch ihn am Leben,

So daß sie keine Störung weiter fand.

Adonio hat sodann sich wegbegeben

Nach einem Orte, wo er unbekannt.

Der Heimat fern ist er der Jahre sieben

In Trauer und in Ungemach geblieben.


81.

Trotz der Entfernung, trotz der Not, der bangen,

Die den Gedanken wenig schweifen läßt,

Hält Amor ihn gebunden und gefangen;

Der Pfeil wird tiefer nur ins Herz gepreßt:

Er muß zurück zu jenen holden Wangen,

Die anzuschauen seiner Augen Fest.

Bärtig, in schlechten Kleidern und beklommen

Ging er den Weg zurück, den er gekommen.


82.

Zum Fürsprech bei dem Papst in Rom entsandte

Die Stadt nun damals einen rechten Mann;

Der sollte dort verweilen, und man kannte

Bei uns den Zeitpunkt nicht genau, bis wann.

Der Richter war es, den das Los verbannte: –

O welch ein großes Klagen stimmt' er an!

Welch Sträuben und Versprechen, Flehn und Bitten!

Zuletzt, gezwungen, ist er fortgeritten.


83.

Ihm war, als ob dies Qualen ihm bereite,

So grausigen und fürchterlichen Schmerz,

Als öffne ihm ein Messerschnitt die Seite,

Und eine Hand nehm' aus dem Leib sein Herz.

Er fleht in bleicher Furcht (eh in die Weite

Er von der Frau sich wendet tiberwärts)

Mit vielen Gründen, dringlich, klug und weise,

Sie mög' ihm treu sein während seiner Reise.
[327]

84.

Nicht Adel, sagt er, Reichtum nicht und Schöne

Für eine rechte Frau genügend sei –

Und ob die höchste Ehre gleich sie kröne –

Besitze sie nicht Keuschheit auch dabei;

Das größte Loblied jener Frau ertöne,

Die aufrecht bleib' in Angriff mancherlei.

Nichts sei so wohl geeignet wie die Reise,

Daß sie voll echter Tugend sich beweise.


85.

Mit solchen Worten sucht er sie zu binden

An rechte Treue und an Sittsamkeit.

Sie muß die Trennung – o wie hart empfinden!

Und wie sie weint, o Gott, und wie sie schreit!

Eh werde man die Sonne dunkel finden,

Schwört sie, bevor ihn kränke solches Leid,

Wie Treuebruch! O nimmer! – Nein, man solle

Sie sterben sehen, eh sie dieses wolle.


86.

Ist seiner Sorge nun ein Teil geschwunden,

Denn nach dem Schwur fühlt er Vertraun zu ihr,

So ruht er nicht und schlägt sich neue Wunden,

Verleitet von zu großer Wißbegier.

Ihm lebt ein Freund, dem sind der Zukunft Stunden,

So rühmt man, klar, wie vor den Augen schier.

Es heißt, daß ihm bekannt von Zaubereien,

Wenn alle nicht, so doch die meisten seien.


87.

Den bittet er, ihm freundlich aufzuhellen,

Ob seine Gattin (die Argia heißt)

Treu werde sein und keusch in allen Fällen,

Nachdem er aus der Stadt sei fortgereist.

Der willigt ein, das Horoskop zu stellen,

Und forscht, was hier der Himmel wohl verheißt.

Anselm läßt ihn das Nötige besorgen

Und holt die Antwort sich am nächsten Morgen.
[328]

88.

Der Astrolog nun möcht' ihm Pein ersparen

Und will nicht sagen, wie die Sache steht;

Er weiß, er würde Schmerzliches erfahren.

Doch als der Doktor auf Bescheid besteht,

Sagt er: ›Sie wird die Treue nicht dir wahren,

Sobald dein Fuß von eurer Schwelle geht;

Nicht, weil sie Schönheit lockt und Bitten rühren,

O nein, weil Gold sie und Gewinn verführen.‹


89.

Wie ihm zumut ist, als zu seinem Zagen

Und seiner Furcht die Drohung sich gesellt

Der Sterne, magst du leicht dir selber sagen,

Ist Liebesglück und Liebesleid dein Feld,

Doch eins muß ihm die schlimmste Wunde schlagen:

Was ihm am schwersten auf die Seele fällt,

Ist der Gedanke, ach: – er soll erleben,

Sie werd' aus Habsucht ihre Keuschheit geben.


90.

Nach Kräften sie der Klippe fernzuhalten,

Die, wie man ihm berichtet, sie bedroht,

Stellt er (denn selbst mit Tempelgute schalten

Die Menschen räuberisch, wenn in der Not)

Ihr, was sein voller Geldschrank mocht' enthalten,

Geld und Juwelen, alles zu Gebot:

Einkünfte, Renten, Reichtum schier ohn' Ende;

Was er besaß, gab er in ihre Hände.


91.

Er sprach: ›Du magst damit nach Wunsch dich laben

Und die Verwendung schreib' ich dir nicht vor:

Verkauf' es oder schenk' es fort als Gaben,

Wirf's weg, wie deine Laune sich's erkor.

Und keine Rechnung will ich drüber haben,

Nur, daß ich so dich finde wie zuvor.

Bist du mir so, wie jetzt du bist, geblieben,

Mag Hab und Gut verschwinden nach Belieben.‹
[329]

92.

Er bittet, daß sie nicht im Stadthaus bleibe,

So lang er fern; viel angenehmer sei

Der Landsitz, wo man sich die Zeit vertreibe

Bequem, von lästigen Besuchen frei.

Er sagt's, und meint, es drohe seinem Weibe

Gefahr beim biedern Landvolk keinerlei:

Wo man das Feld bestell' und Tiere weide,

Da tue man der Keuschheit nichts zuleide.


93.

Argias schöne Arm' indessen schlangen

Sich um den Hals dem sorgerfüllten Mann,

Bis heiße Zähren aus den Augen sprangen

Und eine Salzflut auf die Wangen rann.

Als habe sie den Treubruch schon begangen,

So höre sie ihn reden, klagt sie dann.

Und wenn er voller Argwohn auf sie schaue,

Gescheh's, weil er der Gattin nicht vertraue.


94.

Zu lange währt es, wollt' ich Euch erzählen,

Was sie beim Abschied sprachen Wort für Wort.

›Laß meine Ehre mich dir anempfehlen!‹

Sprach er zuletzt noch und verließ den Ort.

Und wie beim Reiten Schmerz und Leid ihn quälen!

Ihm ist, als reiße man das Herz ihm fort.

Sie schaut ihm nach, so lang sie kann: es brechen

Aus ihren Augen Tränen, ach, in Bächen.


95.

Adonio ist indes, gedrückt, befangen –

Ich sagt' es –, bärtig und verhärmt und bleich,

Den Heimweg in der Zuversicht gegangen,

Es kenn' ihn keine Seel' im Stadtbereich.

So mußt' er nach der Stelle hingelangen,

Wo er der Schlange damals half am Teich,

Die jener Bauer mit dem mächt'gen Stecken

So eifrig suchte tot dahinzustrecken.
[330]

96.

Da (eben mit dem ersten Morgengrauen –

Noch blinkt herab vom Himmel Sternenschein –)

Sieht er sich nahen, fürstlich anzuschauen,

In grünem Kleid ein hehres Mägdelein

Am Ufer her, ganz ohne Knapp' und Frauen:

Voll Hoheit schreitet sie des Wegs allein.

Sie grüßt den Wandersmann mit holdem Nicken

Und spricht zu ihm mit freundlich hellen Blicken:


97.

›Ich bin, magst du mich, Ritter, gleich nicht kennen,

Dir sehr verbunden und dir anverwandt;

Verwandt, weil wir als Sprossen uns bekennen

Des großen Kadmus aus der Griechen Land.

Manto bin ich, die eine Fee sie nennen,

Und gründete dies Dorf mit meiner Hand.

Von mir ist auch – du hast es wohl vernommen –

Der Name Mantua dem Ort gekommen.


98.

Der Feen, wie ich dir sagte, bin ich eine:

Erfahre, wie's bestellt ist mit den Feen.

Von allen Erdenplagen fehlt uns keine

Und keins der Übel, außer Sterbengehn.

Doch mit der ew'gen Dauer im Vereine

Ist etwas, herb wie Sterben anzusehn:

Uns ward bestimmt, daß alle sieben Tage

Der Schlange Haut als Schlange jede trage.


99.

Zu sehn, wie Schuppen unsern Leib bedecken,

Zu kriechen ist ein Ekel, eine Last –:

Kaum hat die Welt noch solchen Graus und Schrecken;

Das Leben ist den Feen all verhaßt.

Was ich dir schulde (denn ich will entdecken,

Mit welchem Dienst du mich verpflichtet hast),

Vernimm nunmehr: an jenem Tag, als Schlangen,

Sind wir von Übeln und Gefahr umfangen.
[331]

100.

Kein Tier ist, das die Menschen also hassen

Wie Schlangen: Schlangen sind wir nach der Haut

Und müssen Unbill uns gefallen lassen:

Wer uns nur sieht, der jagt uns, sticht und haut.

Will uns im Boden keine Zuflucht passen,

Wird uns die Wucht des Bauernarms vertraut.

Viel lieber möchten wir des Todes sterben,

Als so zerstückelt werden und verderben.


101.

Nun hast du mich zu großem Dank verbunden:

Du lenktest hier zum kühlen Strand den Schritt;

Durch dich ward ich des Bauern Hand entwunden,

Von der ich Ungemach und Schmerzen litt.

Ich habe Rettung nur durch dich gefunden;

Sonst nahm ich ein zerbrochen Rückgrat mit.

Konnt ich auch sterben nicht von seinen Hieben,

So wär' ich doch zerquetscht und lahm geblieben.


102.

Wenn wir uns so am Boden kriechend plagen,

Die Brust im Staub, in eklem Schlangenkleid,

Dann will der Himmel uns die Gunst versagen

Und Zauberkraft, die er uns sonst verleiht.

Die Sonne hemmen wir an andern Tagen

Und wandeln ihren Glanz in Dunkelheit.

Die feste Erde dreht sich um im Kreise;

Das Eis wird Glut, das Feuer wird zum Eise.


103.

Die Stunde, dir zu danken, kam soeben,

Und dir es zu beweisen, bin ich hier.

Ein Wunsch wird zur Erfüllung sich erheben,

Wenn abgestreift die Schuppenhaut von mir.

Reichtümer, dreimal mehr als dir gegeben

Ward als des Vaters Erbe, schenk' ich dir.

Verarmen können sollst du fürder nimmer:

Je mehr du brauchst vom Schatze, wächst er immer.
[332]

104.

Ich weiß vom alten Netze dich umfangen,

Mit dem vor Zeiten Amor dich umwand.

Zu einem Mittel sollst du jetzt gelangen,

Zu löschen deines Sehnens heißen Brand.

Der Ehemann ist aus der Stadt gegangen,

Ich bin mit gutem Rate dir zur Hand.

Du sollst sogleich die schöne Dame sehen

Auf ihrem Gut, und ich will mit dir gehen.‹


105.

Sie sagt ihm, wie er dort erscheinen solle,

Um bei der Frau mit Ehren zu bestehn,

Bestimmt sein Kleid und seine ganze Rolle

Und sagt ihm, wie er bitten soll und flehn;

Auch, welche Form sie selber nehmen wolle;

Denn, von den Schlangentagen abgesehn

Konnte Gestalt sie wählen und Gebärde

Von jedem Wesen auf der ganzen Erde.


106.

Sie wandelt ihn in jener Pilger einen,

Wie sie gar oft von Tür zu Türe ziehn;

Sie selbst als Hund – der kleinste von den kleinen,

Die je Natur erschuf – begleitet ihn,

Lieblich zu schaun, mit Haaren langen, feinen,

Weiß wie der allerschönste Hermelin.

Als sie so umgestaltet sind, bewegen

Sie sich dem Gut der schönen Frau entgegen.


107.

Eh sie nach einem andern Orte gingen,

Vor Bauernhütten macht der Jüngling halt

Und läßt Musik aus seinem Rohr erklingen;

Das Hündlein tanzt mit wichtiger Gestalt.

Die Töne und das Schrein zur Herrin dringen:

Um zuzuschauen, kommt sie selber bald,

Und läßt in ihren Hof den Pilger treten,

So wie's dem Doktor sagten die Planeten.
[333]

108.

Adonio heißt das Tierlein Künste zeigen,

Und augenblicklich folgt der kleine Hund,

Tanzt heim'sche Tänze, tanzt auch fremde Reigen

Und tut Geschmack in Schritt und Haltung kund;

Dann mit Manieren, wie sie Menschen eigen,

Vollführt er alles nach des Herren Mund,

So sorglich, daß die Leute, die ihn schauen,

Nicht blinzeln, kaum zu atmen noch sich trauen.


109.

Die Dame staunt, Verlangen will sie plagen:

Der allerliebste Hund liegt ihr im Sinn.

Sie schickt, Verkauf dem Pilger vorzuschlagen

Zu nicht geringem Preis, die Schaffnerin. –

›Und legte man auch Schätze, die Behagen

Der Frauenhabsucht bringen, vor mich hin,‹

Spricht der, ›so wäre nicht genug geboten,

Um zu bezahlen meines Hundes Pfoten.‹


110.

Der Wahrheit Probe will er gleich bestehen,

Und mit der Botin hält er sich beiseit

Und läßt ans Hündlein den Befehl ergehen:

›Ein Goldstück bringe fein mit Höflichkeit!‹

Es schüttelt sich – ein Goldstück ist zu sehen.

Adonio schenkt es ihr; zu gleicher Zeit

Spricht er zu ihr: ›Wieviel mag es nun gelten,

Solch auserlesnes Tierlein, schön und selten?


111.

Was ich als Wunsch ihm nur zu Ohren bringe,

Es läßt mich niemals gehn mit leerer Hand,

Es schüttelt jetzt mir Perlen, schöne Ringe

Heraus und dann ein köstliches Gewand.

Sag' deiner Herrin, Gold und solche Dinge,

Ihn zu erwerben, sei das nicht imstand.

Sie wird den Hund nur dann besitzen können,

Will sie mir eine Liebesnacht vergönnen.‹
[334]

112.

Er spricht's, und ein Juwel, gerad vom Hunde

Geschüttelt, für die Herrin gibt er ihr.

Sie meint, daß solche Zahlung besser munde,

Als wenn man zehn Dukaten da verlier',

Und zu der Herrin bringt sie heim die Kunde

Und drängt, erwerben möge sie das Tier,

Den wunderschönen Hund, zu einem Preise,

Der, wenn gezahlt, doch nicht Verlust beweise.


113.

Die Schöne spielt zunächst die Aufgebrachte;

Teils weil sie Treue wahren möchte fein,

Teils aber auch noch deshalb, weil sie dachte,

Unmöglich könne, was die sage, sein.

Indessen bohrt und feilt die Alte sachte:

Gar selten stelle solch ein Glück sich ein!

Und weiß der Frau den Auftrag abzuringen,

Das Hündlein in ihr Schlafgemach zu bringen.


114.

Adonio kam gegangen, und es kamen

Des Doktors Tod und Untergang zugleich:

Es regneten, daß sie kein Ende nahmen,

Dublonen, Edelstein und Perlen reich

Und machten stolzen Herzens Kraft erlahmen;

Es wurde um so mehr nun mürb und weich,

Als sie im Pilger jenen Herrn erkannte,

Der schon in fernen Zeiten für sie brannte.


115.

Der Zuspruch ihrer kupplerischen Alten,

Des Freundes Gegenwart und Schmeichelein,

Die goldnen Schätze, die sich hier entfalten,

Des armen Doktors langes Fernesein,

Hoffnung, die Sache stets geheim zu halten –

Bestrickten ihre Seele keusch und rein:

Sie ließ den Hund sich als Geschenk gefallen

Und dann – sich in des Ritters Arme fallen.
[335]

116.

Adonio lag in aller Ruh' und pflückte

Die süße Frucht, derweil voll Freundlichkeit

Die Fee mit ihrer Huld die Frau beglückte:

Sie mußte bei ihr weilen allezeit.

Als drauf die Sonne durch die Zeichen rückte,

Ward Anselm von dem Botenamt befreit.

Er kam zurück zur Stadt, jedoch von Bangen,

Ob dessen, was verkündet ward, umfangen.


117.

Kaum angelangt, ins Haus des Astrologen

Begibt er sich in Eil' und bittet ihn,

Zu sagen, ob die Gattin ihn betrogen,

Ob Lieb' und Treue, ihm zum Heil gediehn.

Der hat des Poles Linien gezogen

Und den Planeten ihren Platz verliehn.

Vergeblich, sagt' er drauf, sei solches Hoffen:

Was er vorausgesagt, sei eingetroffen.


118.

Sie hab' indes sich einem Mann ergeben,

Verführt durch Prachtgeschenke wunderfein.

Das hat dem Doktor einen Stoß gegeben,

Dagegen wären Lanzenstiche klein.

Mocht' auch kein Zweifel mehr sein Herz umweben,

So ging er doch, um ganz gewiß zu sein,

Zur Alten hin, mit großer Kunst beflissen,

Ihr zu entreißen, was sie möge wissen.


119.

Er sucht sie erst von weitem zu umkreisen,

Ob dieses oder jenes bringe Licht.

Im Anfang wollte keine Spur sich weisen,

Wie sehr er auf die kleinste auch erpicht;

Denn sie, gar wohl vertraut mit solchen Weisen,

Leugnet und zeigt ein steinernes Gesicht

Und läßt den Herrn in zweifelnden Gedanken

Von ja zu nein durch einen Monat schwanken.
[336]

120.

An die Gewißheit hätt' er denken sollen,

Dann schiene Zweifel köstlich wohl dabei!

Vergeblich bittet er, läßt Münzen rollen,

Damit die Alte spreche, frank und frei.

Als schließlich keine Taste wahrheitsvollen

Klang gab, da sagt er sich, das Beste sei

– Ein kluger Mann! –, er harr' auf Zwistigkeiten:

Wo Frauen sind, gibt's Zanken auch und Streiten.


121.

Und wie gedacht, so hat sich's zugetragen:

Die Alte kommt nach ihrem ersten Zwist,

Sagt alles – und er braucht nicht erst zu fragen –

Und ohne daß sie nur ein Haar vergißt.

Welch herbes Leid der Richter da getragen,

Das zu beschreiben, kaum mir möglich ist:

Er stand geknickt, wie mit gebrochnem Herzen,

Und kam fast von Verstand vor wilden Schmerzen.


122.

Sein Weib zu töten, selber dann zu sterben,

Das ist's, was er beschließt im Zornesmut:

Sein Leiden tilgend, ihre Schmach, soll färben

Das gleiche Eisen ihrer beider Blut.

Den Sinn auf Mord gerichtet und Verderben,

Kehrt er zur Stadt zurück in blinder Wut.

Einen Vertrauten schickt er dort von hinnen,

Gebeut ihm ein entsetzliches Beginnen:


123.

Zum Landgut reiten und Argia bringen

In seinem Namen soll er dieses Wort:

Ein heftig Fieber werd' ihn bald bezwingen,

So daß sie kaum ihn lebend find' am Ort.

Sie solle schleunig auf ein Pferd sich schwingen:

Das trage sie ohn' ein Geleite fort.

(Sie werde kommen und nicht widersprechen,

Und unterwegs soll er sie niederstechen.)
[337]

124.

Der Bote ging, die Frau nach Haus zu holen,

Und gab ihr seines Herren Willen kund.

Sie stieg zu Pferde, so wie ihr befohlen,

Doch nahm sie auf das Pferd den kleinen Hund.

Der warnte vor Gefahren sie verstohlen;

Indes zu bleiben, sagt er, sei kein Grund.

Er habe schon gesorgt und vorgesehen,

Um in der großen Not ihr beizustehen.


125.

Der Diener ritt, seitab den großen Wegen,

Auf öden Pfaden hin durch wüstes Feld,

Und einem Bache führt er sie entgegen,

Vom Apennin, der in den Strom dort fällt:

Da stand ein Hag mit dunklen Waldgehegen,

Von Stadt und Dorf entfernt und aller Welt.

So menschenleer und düster war es drinnen:

Dem Diener schien's der Ort für sein Beginnen.


126.

Er zieht das Schwert, und seines Herrn Verlangen,

Den blut'gen Auftrag, teilt er jener mit.

Verzeihung möge sie von Gott erlangen

Und beten, eh zum Tode geh' der Schritt.

Ich weiß nicht recht, wie sie es angefangen:

Eh noch des Dieners Stahl herniederglitt,

Ist sie verschwunden; wie er auch mag spähen,

Er findet nichts, muß als Geprellter stehen.


127.

Er kehrt zurück, dem Herrn Bescheid zu geben,

Verblüfft und starr, das Antlitz rot vor Scham,

Und er berichtet ihm, was sich begeben;

Er könne nicht erklären, wie es kam;

Wobei, daß Manto auf dem Gute neben

Argia stand, der Gatte nicht vernahm,

Weil jene, die sonst alles ihm erzählte,

Ihm dies – ich weiß nicht recht, warum – verhehlte.
[338]

128.

Was soll er tun? die Schande schwer und bitter

Ist nicht gerächt, sein Leiden nur vermehrt.

Ein Balken ist, was früher war ein Splitter

Und wie ein Balken ihm das Herz beschwert.

Der Fehl war ihr bekannt und jenem Ritter;

Er sorgt, daß jetzt es alle Welt erfährt.

Erst konnte sich die Schmach verhehlen lassen;

Jetzt wird man sie verkünden auf den Gassen:


129.

Nun er des Herzens Absicht ließ durchschauen,

Wird sie – das sieht der arme Ehmann ein –

Wohl einem mächt'gen Herrn sich anvertrauen,

Nicht in Gewalt des Gatten mehr zu sein.

Man wird sie halten, darauf kann sie bauen,

Und den Verlaßnen höhnen obendrein,

Vielleicht gar wird sie einem sich vereinen,

In dem sich Buhle sowie Kuppler einen.


130.

Das zu verhindern, läßt er Boten gehen,

Briefschaften oder Leute schickt er fort,

Läßt jede Stadt der Lombardei durchspähen;

Hier sucht der eine, und der andre dort.

Am Ende treibt's ihn selber, nachzusehen;

Spione schickt er aus von Ort zu Ort.

Doch wie er auch sich müht, sie bleibt verschwunden:

Auch nicht die kleinste Spur wird aufgefunden.


131.

Zuletzt ruft er dem Mann, dem aufgetragen

Die Bluttat war, die niemals ward vollbracht,

Und geht mit ihm zum Ort, wo fehlgeschlagen

Die Sache, so wie ich es kundgemacht:

Sie könn' am End' nicht aus dem Busch sich wagen

Und irgendwo sich bergen über Nacht.

Der Diener führt ihn hin, doch keine Bäume stehen

Mehr dort: ein glänzend Schloß nur ist zu sehen.
[339]

132.

Das stellte hier, aus Alabastersteinen,

Im Nu die Fee auf Wunsch Adonios hin;

Von hellem Golde, inn und außen, scheinen

Gerät und Zierat durch die Zauberin.

Kein Sinn ermißt, kein Mund sagt, wie sich einen

Reichtum von außen und die Schätze drin.

Des Herzogs Haus, das gestern dir gefallen,

Wär' eine Hütte gegen jene Hallen.


133.

Wandteppiche, gewirkte, Webereien,

Behänge köstlich, mannigfalt und fein,

Schmücken die Ställ', als ob es Säle seien,

Auch Keller noch, die Zimmer nicht allein.

Vasen von Silber, Gold, in langen Reihen,

Rot, blau, grün, manch geschnittner Edelstein,

Geformt zu großen Schüsseln, Becken, Schalen –

In Gold und Seide spielen Sonnenstrahlen.


134.

Der Richter fand – Ihr habt es schon erfahren –

Ganz unversehns des Schlosses lichte Pracht,

Wo nichts als Bäume zu erwarten waren,

Und er kein Hüttchen vorzufinden dacht':

Es hätt' ihn Staunen um des wunderbaren

Anblicks beinah um den Verstand gebracht.

Er weiß nicht, ob er trunken sei, ob träume,

Ob sein Gehirn entflog in luft'ge Räume.


135.

Am Tore sah er einen Neger stehen,

Des Antlitz wulst'ge Nas' und Lippen wies.

Noch niemals hab' er ein Gesicht gesehen,

Meint Anselm, das mehr Abscheu hinterließ;

Wie ein Äsop – mit ihm vereint, vergehen

Würd' einem schier die Lust am Paradies;

In bettelhafter Kleidung, schmutzig, gräßlich;

Das sagt nicht halb, wie sehr der Neger häßlich.
[340]

136.

Da niemand sonst vorhanden, ihm zu sagen,

Wer im Palaste Hausherr möge sein,

Tritt Anselm näher, um den Mohr zu fragen.

Der gibt die Antwort: ›Dieses Haus ist mein.‹

Der Richter nimmt's für unverschämt Betragen

Und andres nicht als eitel Flunkerein.

Der Neger aber wiederholt und schwört ihm:

Er sprach die Wahrheit und das Haus gehört ihm.


137.

Er schlägt ihm vor, im Schloß Besuch zu machen

Und nach Belieben dort sich umzusehn;

Was ihm gefallen sollt' an schönen Sachen,

Das werd' ihm alles gern zu Diensten stehn.

Der Richter läßt den Mann das Pferd bewachen

Und eilt, in den Palast hineinzugehn,

Durchschreitet viele Säle, viele Zimmer,

Und sieht voll Staunen all den Glanz und Schimmer.


138.

Blickt auf die Form, den Zierat hin, den reichen,

Schaut zu der königlichen Pracht empor

Und sagt: ›Dies zu bezahlen würde reichen

Kein Gold der Welt, soviel man grüb' hervor.‹ –

›Hat alles Preis, hat ihn das Schloß desgleichen,‹

Erwidert drauf der mißgestalte Mohr.

Bezahlen das nicht Summen ungeheuer,

Bezahlt es etwas doch, das nicht so teuer.


139.

Er läßt darauf den gleichen Vorschlag hören,

Mit dem Adonio die Frau gewann,

Anselm vernimmt die Worte mit Empören

Und hält für viehisch und für toll den Mann.

Der läßt sich durch den Widerstand nicht stören,

Drei-, viermal, immer wieder kommt er an

Und weiß geschickt das Schloß herauszustreichen,

Bis er den andern sieht der Lockung weichen.
[341]

140.

Argia stand verborgen im Gemache.

Als sie in ihr Vergehn ihn fallen sah,

Sprang sie hervor und rief: ›O würd'ge Sache

Von meinem weisen Doktor seh' ich ja!‹ – –

Entdeckt in also lasterhaftem Fache,

Rot stand er – ihr begreift's – und schweigend da.

Was tatest du den Schlund nicht auf, du Erde,

Damit er ganz von dir verschlungen werde?


141.

Sich zu entlasten, ihn in seinen Nöten

Noch zu beschämen, schrie sie auf ihn ein

Und sprach: ›O welche Strafen, sag' mir, böten

Wohl Sühne für Verbrechen so gemein?

Ich folgte der Natur: du willst mich töten,

Weil ich dem Liebsten mußte willig sein,

Der, schön und hold, mir Schätze dargebracht hat,

Dergleichen nicht dies Schloß mit seiner Pracht hat.


142.

Wenn ich dir schuldig eines Todes scheine,

Wie viele hundert dann verdienest du?

Bin ich gleich hier so mächtig, daß ich deine

Geschicke lenk' und meinen Willen tu,

So nehm' ich doch für deinen Fehler keine

Rache zu dieser Strafe noch hinzu.

Laß Soll und Haben, mein Gemahl, sich heben:

So wie ich dir, so magst du mir vergeben!


143.

Laß in Vergessenheit den Fehl uns senken,

Und Frieden sei fortan und Einigkeit!

Nicht Wort noch Tat mehr zeige, daß wir denken

Des andern großer Schuld, für alle Zeit!‹ –

Und sieh, zur Nachsicht ließ der Mann sich lenken,

Denn der Gedanke schien ihm recht gescheit.

In Eintracht lebten sie fortan und Frieden,

Und Lieb' und Glück ward ihnen neu beschieden.«
[342]

144.

So sprach der Schiffersmann. Bei der Geschichte,

Glaubt mir, daß Herrn Rinald ein Lachen kam,

Und rot wie Feuer ward er im Gesichte,

Als der erzählte von des Doktors Scham.

Er lobt Argia sehr nach dem Berichte,

Daß sie zu schlauem Spiel die Zuflucht nahm,

Den Vogel in dem gleichen Netz zu fangen,

Darein sie – mit geringrer Schuld – gegangen.


145.

Hoch stieg die Sonne; als sie stärker brannte,

Da richtet man Rinald die Tafel her,

Die nachts zuvor der Mantuaner sandte,

Mit Speisen, fein und reich, beladen schwer,

Worauf das Land sich links von hinnen wandte,

Und rechts entwich der Sumpf, groß wie ein Meer,

Argenta und der Strand vorüberzogen,

Wo der Santern sein Haupt verbirgt in Wogen.


146.

Die Schanze, glaub' ich, war noch nicht vorhanden,

Die Spanien hat gar wenig Ruhm gebracht

Zur Zeit, als droben seine Banner standen;

Doch schlimmer ging's der Romagnolermacht.

Nach Filo stracks entlang den Uferlanden

Wird wie im Fluge dann der Weg gemacht.

Vorüber geht es an dem toten Graben,

Bis sie Ravenna mittags vor sich haben.


147.

Mocht' oft des Ritters Tasch' an Geldnot kranken,

War's gut, daß sie für diesmal g'nug umschloß:

Geziemend konnt' er so den Schiffern danken,

Eh er zur Weiterreise sich entschloß.

Er kam noch, als die Abendschatten sanken,

Nach Rimini mit neuem Pferd und Troß,

Ließ dann noch vor dem Morgen Montefiore

Und stand im Frühlicht vor Urbinos Tore.
[343]

148.

Kein Friedrich oder Guido war vorhanden,

Nicht Lisabeth mit gastlich holdem Wort,

Nicht Franz Maria und Lenora standen

Mit freundlichem (nicht stolzem) Zwange dort,

Den Gast zu schlagen in der Güte Banden –

Der Glückliche kommt dann so bald nicht fort –,

Wie sie seit Jahren tun und auch noch heute,

Wenn Damen nahn des Wegs und Rittersleute.


149.

Rinald stieg dann, von niemand dort gehalten,

Nach Cagli ab, wo er den Berg betrat,

Den der Metaurus und der Gaurus spalten

(Nicht rechts mehr blieb der Apennin); gerad

Durch Umbrien und Etrurien ging's; entfalten

Sah er sich Rom und Ostia; auf dem Pfad

Des Meers fuhr er zur Stadt, die einst vom frommen

Aeneas hat Anchises Leib bekommen.


150.

Er läßt von einem andern Schiff sich fahren

Nach Lipadusa hin, dem Inselstrand,

Zum Streit gewählt von jenen Kämpferpaaren,

Von denen jeder schon sich dort befand.

Wiewohl die Schiffer – rudernd – fleißig waren

Und taten, was in ihren Kräften stand,

Wollte der Wind doch nicht dem Plane dienen;

So sind sie, wenig nur, zu spät erschienen.


151.

Gefallen durch des Ritters von Anglante

Glorreiche Taten war bereits das Los;

Gradaß dahin und König Agramante;

Jedoch der Preis für diesen Sieg war groß:

Tot lag im Blut der Sohn des Monodante,

Und von gefährlichem und schwerem Stoß

Färbt Oliver den Sand mit seinen Wunden

In Schmerz und arger Pein, den Fuß zerschunden.
[344]

152.

O wie aus Rolands Augen Tränen tauen,

Als er Rinald umarmt: den Paladin

Läßt er den toten Brandimarte schauen,

Der so voll Lieb' und Treue war für ihn.

Rinald auch mußte weinen, als, zerhauen,

Das edle Haupt des Freunds vor ihm erschien.

Man führte ihn zu Oliver zum Gruße,

Hin, wo er ruhte mit gebrochnem Fuße.


153.

Was er an Trost besaß, das gab er ihnen,

Wiewohl er selbst sich ohne Trost befand:

Er war zu spät, zum Nachtisch erst, erschienen,

Vielmehr, als abgeräumt die Tafel stand.

Die Diener tragen nach den Stadtruinen

Die Leichen hin, Gradaß und Agramant,

Besorgen in den Trümmern das Begräbnis

Und künden in Biserta das Begebnis.


154.

Die Helden Samsonet und Astolf zeigen

Befriedigung bei diesem Siegsbericht;

Doch rechte Freude wäre ihnen eigen,

Sähe noch Brandimart das Tageslicht.

Vor seinem Tode muß der Jubel schweigen:

Zur Heiterkeit zwingt keiner das Gesicht.

Wer bringt es übers Herz von beiden Helden,

Nun Flordelis das große Leid zu melden?


155.

Die Nacht, die diesem Tag vorhergegangen,

Sah Flordelis im Traume das Gewand,

Das Brandimarte jüngst von ihr empfangen,

Verfertigt und gestickt von ihrer Hand:

Als wär' ein Wetter drüber hingegangen,

In roten Tropfen nach der Mitt' entsandt.

Und diese stickten, schien es, ihre Hände:

Ihr war, als ob sie drüber Schmerz empfände,
[345]

156.

Sprechend: »Mir war vom Herrn doch aufgegeben,

Ihm herzustellen ein ganz schwarzes Kleid?

Wie konnt' ich seinem Willen widerstreben

Mit Stickerei von solcher Seltsamkeit?«

Und schlimme Ahnung schien sie zu umschweben,

Bis dann die Nachricht kam zur Abendzeit,

Die Astolf lange zu verhehlen dachte,

Bis er mit Samsonet sie selber brachte.


157.

Die treten ein –: sie schaut's an ihrem Munde,

Nach solchem Sieg so gänzlich freudeleer!

Sie braucht nicht Nachricht, braucht nicht weiter Kunde:

Sie weiß, ihr Brandimart – er ist nicht mehr.

Das schlägt dem Herzen eine böse Wunde:

Das Aug' erträgt das Licht der Sonne schwer;

Sie steht wie sinnverwirrt und wie betrunken –

Wie tot ist sie zu Boden dann gesunken.


158.

Als ihr Besinnung kommt, schlägt sie die Wange,

Rauft sich das Haar und fängt zu jammern an;

Umsonst den teuren Namen ruft sie bange

Und tut sich Leides, was sie immer kann,

Und schreit so gräßlich, wie im Wahnsinnsdrange

Ein Wahnbeseßner je zu schrein begann

Und wie Mänaden sich zusammenballten

Und wälzten, wenn der Hörner Klänge schallten.


159.

Ein Messer, um das Herz sich zu durchbohren,

Verlangt sie: enden will sie ihre Qual;

Will dann zum Hafen (wo der Leib der Mohren

Nun angelangt), am Schiffe mit dem Stahl

An beiden, die das Leben schon verloren,

Schreckliche Rache üben noch einmal;

Will übers Meer dann, suchen in der Weite

Und sterben an des lieben Gatten Seite.
[346]

160.

»Mein Brandimart, zu solchem Strauße gehen,

Wie konntest du's«, so rief sie, »ohne mich?

Nie hat man sonst allein dich fortziehn sehen;

Denn Flordelis war bei dir sicherlich.

Ich hätt' es auch vermocht, dir beizustehen,

Die Augen stets gerichtet nur auf dich,

Damit ich dich mit einem Schreie warnte,

Eh noch Gradaß von hinten dich umgarnte.


161.

Den Hieb vielleicht vermocht' ich aufzufangen,

War ich auf Schnelligkeit nur wohl bedacht:

Und wär' er auf das Haupt mir niedergangen,

Gern hätt' ich es zum Schild für dich gemacht.

Zum Tode werd' ich nun auch so gelangen;

Doch wird dadurch kein Nutzen mehr gebracht.

O hätt' ich, dich beschützend, sterben können!

Nichts Schönres kann ein andrer Tod mir gönnen.


162.

Und weigert es der Himmel, daß ich wende

Dein hartes Los; und durft' ich helfen nicht,

Den letzten Kuß doch gab ich dir vorm Ende,

Mit Tränen doch benetzt' ich dein Gesicht.

Bevor zum Schöpfer hin dein Geist entschwände

Mit Engelsscharen nach dem ew'gen Licht,

Sagt' ich: zu harren meiner, geh in Frieden!

Bald dir zu folgen, ist mein Wunsch hienieden.


163.

Muß dies, mein Lieb, als Königreich dir frommen?

Warst du auf solche Krone denn bedacht?

Läßt du nach Dammogir mich also kommen?

Führst du mich ein in solche Herrscherpracht?

O, welche Pläne hast du fortgenommen,

Schicksal! Um welche Hoffnung mich gebracht?

Nun ich verlor mein höchstes Gut im Leben,

Was säum' ich, auch den Rest noch hinzugeben?«
[347]

164.

Sie spricht's und wird aufs neue fortgerissen

Zu wildem Wüten und zu Raserein:

Als wär' ihr schönes Haar der Tat beflissen,

Ihr schönes Haar zerrauft sie sich zur Pein,

Zerfleischt die Hand mit Schlägen und mit Bissen

Und gräbt die Nägel in die Lippen ein.

Wir lassen sie in Schmerzen sich verzehren,

Zu Roland und den andern hinzukehren.


165.

Roland, um seinen Vetter wohl zu pflegen,

Der einen Arzt braucht, und an würd'gem Ort

Den toten Freund in seine Gruft zu legen,

Begibt sich mit dem Schiff zum Berge dort,

Der hell das Dunkel macht durch Feuerregen

Und mit dem Rauch nimmt Tages Helle fort.

Der Wind ist günstig ihrem Wasserpfade,

Und rechts, nicht fern mehr, zeigt sich das Gestade.


166.

Die Taue sind gelöst, von dannen fliegen

Sie mit dem Winde, wie der Abend sinkt,

Und sehen deutlich ihre Straße liegen,

Weil hell das Horn der stillen Göttin winkt.

Als sie am andern Tag zum Strande stiegen,

Wo lieblich Agrigents Gefilde winkt,

Bestellte Roland, was sie nötig hatten,

Den Freund am nächsten Abend zu bestatten.


167.

Alles verläuft, wie's Roland hat gefallen,

Nachdem die Sonne schwand am Firmament

(Zur Trauerfeier viele Gäste wallen

Vom Adel aus dem Land um Agrigent,

Indessen Weheruf und Klagen schallen,

Und am Gestad' ein Meer von Fackeln brennt),

Hat Roland sich zum Toten hinbegeben,

Den er so treu geliebt in Tod und Leben.
[348]

168.

Da steht Berdin, gebeugt von vielen Jahren,

Und an der Leichenbahre weint er sehr.

Er hat geweint schon beim Herüberfahren

Und hat vor Tränen fast kein Auge mehr.

Daß Gott und Sterne viel zu grausam waren,

Gleich krankem Leuen brüllt und stöhnet er.

Im grauen Haare wüten ohne Ende,

Und in der welken Haut, ruchlose Hände.


169.

Und stärker scholl das Jammern und das Klagen,

Als Roland jetzt, dem Toten zugewandt,

Zum Sarge trat und, ohn' ein Wort zu sagen,

Mit starrem Aug' und bleichem Antlitz stand,

Bleich wie am Abend – wenn gepflückt beim Tagen –

Ligustrum wird und zärtlicher Akanth.

Mit tiefem Seufzer, stets der Blicke Lichter

Auf ihn gerichtet, schließlich also spricht er:


170.

»O Starker, Lieber! Treuster der Genossen!

Wenn hier du starbst, du gingst zum Himmel ein.

Dort hat sich dir ein Leben aufgeschlossen,

Da dringt nicht – tötend – Hitz' und Kält' hinein.

Verzeih die Tränen, die für dich geflossen!

Ich weine, noch auf dieser Welt zu sein,

Und daß mir's nicht vergönnt, dein Glück zu teilen;

Nicht, daß du nimmer sollst auf Erden weilen.


171.

Ich bin allein: nichts mehr wird hier gefunden,

Was ohne dich mir lieblich scheint fortan.

War ich mit dir in Sturms und Kampfes Stunden,

Warum nicht auch in Ruh' und Freude dann?

Mein Fehl ist groß: er hält mich hier gebunden,

Daß aus dem Schlamm ich nicht dir folgen kann.

War ich bisher bei dir in Not und Leiden,

Von deinem Glücke soll ich nun mich scheiden.
[349]

172.

Du hast Gewinn – ich muß Verlust beklagen;

Du hast das Glück – ich nicht das Leid allein.

Mein Schmerz wird Wellen durch ganz Frankreich schlagen,

Nach deutschem und ital'schem Land hinein.

Wie schwer wird dies mein Ohm und König tragen!

Wie werden trüb die Frankenhelden sein!

Wie singt man in der Kirche Trauerlieder!

Wann kommt ihr solch ein Hort und Schützer wieder?!


173.

Wie wird der Schrecken jetzt den Feinden schwinden!

Wie kommt dein Tod dem Heidenvolk zugut!

Wie wird man's stärker und verwegen finden!

Wie wächst ihm jetzt Vertraun und neuer Mut!

Wie wird in Schmerz sich deine Gattin winden!

Ich hör' ihr Schrein, seh' ihrer Zähren Flut.

Anklagen wird sie mich, vielleicht mich hassen:

Du hast – ihr Hoffen – sie um mich verlassen!


174.

Doch eins, o Flordelis, kann Trost uns geben,

Sind wir um Brandimart in schwerem Leid:

Die Krieger all, die jetzt auf Erden leben,

Sie fühlen ob so hohen Ruhmes Neid.

Kodrus, den die Argiver hoch erheben,

Die Decier, die dem Abgrund sich geweiht,

Sind für ihr Land nicht herrlicher gestorben

Und haben nicht mehr Ehre sich erworben.«


175.

So sprach der Graf. Da läßt der Zug sich sehen

Der frommen Brüder schwarz und grau und weiß.

Mit ihnen all die andern Priester gehen

In langer Reihe, feierlicherweis,

Um für den Toten jetzt zu Gott zu flehen,

Daß er ihm gönne seinen sel'gen Preis.

Von Fackeln – vorn, rings, mitten – das Gefunkel

Könnte zum Tage wandeln nächtig Dunkel.
[350]

176.

Man nahm den Sarg; nun trugen sie den Toten

Abwechselnd, manch ein Graf und Rittersmann.

Die Decke war aus Seidenstoffen, roten,

Und stolzer Schmuck von Perl und Gold daran,

Kissen von höchstem Reichtum, und sie boten

Die feinste Arbeit, die man je ersann.

Dort lag der tote Held in einem Kleide

Von gleichen Farben aus derselben Seide.


177.

Dreihundert waren schon vorausgedrungen

– Die ärmsten aus dem Land – gleich zu Beginn,

Ein schwarz Gewand um ihren Leib geschlungen:

Gleichförmig allen hing's zur Erde hin.

Auf starke Rosse hatten sich geschwungen

Dann hundert junge Pagen, kühn von Sinn;

Und die Schabracken ihrer Schlachtenpferde

Streiften mit ihrem Trauerrand die Erde.


178.

Und vorn und hinten kommen mit Fanfaren,

Fahnen, entfaltend vieler Wappen Pracht,

Und wallen um den Sarg; besiegten Scharen,

Wohl Tausenden, entrissen in der Schlacht

Für Cäsar und die Kirche in Gefahren

Durch seines Armes nun gebrochne Macht;

Auch Schilde mit den Namen würd'ger Krieger,

Die er von ihnen sich erstritt als Sieger.


179.

Hundert und hundert kamen unverdrossen,

Für den und jenen Zweck, im Zug; die Hand

Hielt eine Fackel; jeder war umschlossen

Mehr als bekleidet durch ein schwarz Gewand.

Dann folgte Roland, seine Tränen flossen;

Er blickte trüb; rot war der Augen Rand.

Nicht froher ging Rinald. Es konnt' um seinen

Gebrochnen Fuß nicht Oliver erscheinen.
[351]

180.

Weitläufig wär's, wollt' ich in Verse bringen

Die Zeremonien alle miteinand:

Wie Trauermäntel auf den Schultern hingen,

Wie viele Fackeln wurden abgebrannt.

Als sie im Zug zur Kathedrale gingen,

Kein einzig Auge ohne Tränen stand:

So jung, so schön, so gut! – Mitleid gebührte

Dem Toten, der sie alle innig rührte.


181.

Man legt ihn nieder: fürder nicht erschallten

Der Fraun unnütze Klagen laut und leis,

Auch Sang der Priester und Gebet verhallten,

Das Sanktus und Eleison gleicherweis';

Zwei Säulen nun den Schrein des Toten halten

(Bedeckt schön, auf des Paladins Geheiß,

Mit Goldbrokat): hier soll er ruhn so lange,

Bis eine stolze Gruft ihn einst umfange.


182.

Roland bestellte Alabasterplatten

Und Porphyrstein, eh er Sizilien ließ,

Wo – hochbelohnt – den Plan gefertigt hatten

Die Meister, die man als die ersten pries.

Der Quadern, Säulen Bau geht dann vonstatten;

Für alles sorgt mit Liebe Flordelis.

Sie kam herüber aus dem Libyerlande,

Als Roland fern war dem Sizilierstrande.


183.

Und wie die Tränen unermüdlich quellen,

Und immer neu empor der Seufzer dringt,

Und, was sie auch an Messen mag bestellen,

Doch ihrer Sehnsucht nichts Genüge bringt,

Will sie dem Ort für ewig sich gesellen,

Bis aus dem Körper sich die Seele ringt,

Und läßt im Grab sich eine Zelle bauen,

Dem Stein bis an ihr End' sich zu vertrauen.
[352]

184.

Der Graf schickt nicht nur Boten oder Schreiben,

Er lenkt zu ihr auch selber hin den Schritt:

Glänzend belohnt, soll sie in Frankreich bleiben

Bei Galerana, das ist seine Bitt';

Und wolle Sehnsucht sie zum Vater treiben,

Bis Lizza komm' er als Begleiter mit.

Wenn sie die Magd des Himmels werden wolle,

Ein Kloster ihr errichtet werden solle.


185.

Sie blieb im Grabmal, ganz der Buß' ergeben,

Versenkt in frommes Beten Tag und Nacht.

Nicht lange währt' es, bis dem edlen Leben

Der grimmen Parze Scheer' ein Ende macht'.

Schon hatten sich vom Eiland fortbegeben,

Wo Grotten sahen der Zyklopen Macht,

Die drei von Frankreich: mit betrübten Sinnen

Ohne den vierten zogen sie von hinnen.


186.

Sie wollten sich zur Reise nicht verstehen

Ohn' einen Arzt für ihren Oliver.

Es war im Anfang manches ja versehen,

Darum die Heilung mühevoll und schwer.

Vor Schmerzen schien der Arme zu vergehen;

Sie sorgten sich um seine Wunden sehr.

Dann ist dem Schiffer etwas eingefallen

Zu guter Letzt, das Anklang fand bei allen.


187.

Er meinte, daß man einen Klausner fände

Nicht weit von hier an felsig wildem Ort,

An den man niemals sich vergebens wende;

Ohn' Hilf' und Rat geh' keiner weg von dort,

Weil er die Toten noch ins Leben sende;

Und Dunkelheit nehm' er den Blinden fort;

Er banne Winde mit des Kreuzes Zeichen,

So daß die wilden Stürme plötzlich weichen.
[353]

188.

Man dürf' in Zweifel nimmermehr verfallen,

Daß dieser Gottesmann, dem Höchsten wert,

Den Wunden heile, weil bisher noch allen,

Und schlimmer Kranken, Rettung ward beschert.

Der Vorschlag hat dem Grafen sehr gefallen,

Worauf das Schiff zum heil'gen Orte fährt:

Ohn' andre Richtung jemals ihm zu geben,

Sahn sie die Klipp' am Morgen sich erheben.


189.

Geführt von Männern, auf der See erfahren,

Naht sich das Schiff dem Fels in Sicherheit.

Herrn Oliver ans Land zu bringen, waren

Bemüht die Diener mit Behutsamkeit:

Durch Brandung mußte man zum Felsen fahren;

Von dort war's nach dem heil'gen Haus nicht weit,

Dem heil'gen Haus mit jenem selben Alten,

Durch den einst Roger seine Tauf' erhalten.


190.

Er, der dem Himmelsherren pflegt zu dienen,

Empfängt den Grafen und die Kumpanei

Und segnet alle mit erfreuten Mienen

Und fragt nach ihren Wünschen auch dabei

(Ihm waren Engel kurz zuvor erschienen,

Zu melden, daß die Schar im Anzug sei).

Er hat vom Grafen den Bescheid empfangen,

Sie möchten für den Wunden Hilf' erlangen,


191.

Der ja für Christi Lehre focht im Streite;

Er schwebe jetzt in äußerster Gefahr.

Der Heil'ge bannte gleich die Furcht ins Weite:

Er werd' ihn heilen, sagt' er, ganz und gar.

Und ohne daß er Salben zubereite

– Der Menschenheilkunst war er völlig bar –,

Ging er zur Kirche: zum Erlöser bat er,

Und dann heraus mit großer Kühnheit trat er
[354]

192.

Und ließ im Namen von den ew'gen Dreien,

Vom Vater und vom Sohn und Heil'gen Geist,

Dem Kranken seinen Segen angedeihen: –

Und seht, wie er den Schmerz vergehen heißt

(Oh, Wunderkraft will Glaube ja verleihen)!

So daß der Fuß sich als gesund erweist,

Geschmeidig, fest, von Kräften auserlesen –

Zugegen ist auch Fürst Sobrin gewesen.


193.

Er war gar übel dran mit seinen Wunden,

Und schlimmer fühlt' er sich von Tag zu Tag.

Als er den Kranken durch den Mönch gesunden

Sah also wunderbar mit einem Schlag,

Da war sein Glaub' an Mohammed geschwunden:

Christum bekannt er, der so viel vermag,

Und bat, das Herz zerknirscht und voller Bangen,

Des Christentumes Lehre zu empfangen.


194.

Der Klausner tauft ihn; durch sein frommes Flehen

Stellt er in voller Kraft ihn wieder her.

Roland und die Genossen alle sehen

So froh Sobrins Bekehrung, wie vorher

Das Wunder, das an Oliver geschehen,

Als er genas von gräßlicher Beschwer.

Am frohsten doch hat Roger es empfunden

Und sich im Glauben stärker noch gefunden.


195.

Er war, seit er zur Klippe hergeschwommen,

Geblieben in der Felsenwüstenei.

Der Greis ermahnt mit Reden, heil'gen, frommen,

Die Krieger alle, daß ihr Streben sei,

Rein durch die trübe Lache hinzukommen,

Die Leben heißt, von Schmutz und Kote frei

(Sie könnte ja den Toren nur gefallen),

Und immer nach des Himmels Ziel zu wallen.
[355]

196.

Vom Schiffe holt man Proviant indessen

Und läßt nicht Brot, Wein, Käs' und Schinken ruhn,

Der Gottesmann, der den Geschmack vergessen

Bei seinen Früchten längst von Schnepf' und Huhn,

Muß zur Gesellschaft auch vom Fleische essen

Und trinkt vom Wein und tut, was alle tun.

Als sie gesättigt drauf vom Tische gingen,

Da führten sie Gespräch von vielen Dingen.


197.

Wie es bei Unterhaltung mag geschehen,

Daß eines leicht zum andern sich gesellt:

Rinald und Oliver und Roland sehen

Zuletzt in Roger jenen großen Held,

Des Taten in so hohem Ansehn stehen

Und den zu preisen einig ist die Welt,

Wiewohl Rinald nicht gleich den Feind erkannte,

Der gegen ihn einst in den Schranken rannte.


198.

Sobrin allein vermocht' es zu bekunden,

Als er ihn mit dem Alten kommen sah;

Jedoch zu schweigen hielt er sich verbunden:

Die Möglichkeit des Irrtums gab es ja.

Nachdem die andern nun herausgefunden:

Roger, der große Held, sei dieser da,

Des edler Sinn und Kraft verherrlicht werde,

Und hohe Kühnheit, auf der ganzen Erde,


199.

Und sei von denen jetzt, die Jesu dienen –

Da kamen sie zu frohem Gruß heran

Und drückten ihm die Hand mit hellen Mienen,

Umarmten ihn mit Küssen, Mann für Mann.

Am meisten ehrt ihn doch Rinald von ihnen:

Er tut ihm Liebes, was er irgend kann.

Den Grund zu sagen, möcht' ich nun verschieben

Zum nächsten Sange, will es Euch belieben.

Quelle:
Ariosto, Ludovico: Der rasende Roland. In: Sämtliche poetischen Werke, Berlin 1922, Band 3, S. 306-356.
Lizenz:
Ausgewählte Ausgaben von
Der rasende Roland
Die Historia vom Rasenden Roland
Ludovico Ariosts Rasender Roland nacherzählt von Italo Calvino

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