Dreiundzwanzigster Gesang

[242] 1.

Andern zu helfen, sollst du immer streben,

Meist trägst du die Belohnung mit nach Haus.

Und wenn auch nicht, nun, so entsteht dir eben

Doch weder Tod noch Schad' und Schimpf daraus.

Wer andern Böses tut, muß Rechnung geben

Früh oder spät: die Ahndung bleibt nicht aus.

Das Sprichwort sagt: Der Mensch wird wiedersehen

Den Menschen, während fest die Berge stehen.


2.

Da sieh doch, wie es Pinabel ergangen,

Weil er getan hat gegen Recht und Pflicht:

Er hat der Strafe volles Maß empfangen,

Die Billigkeit dem argen Sinn verspricht!

Das Fräulein aber ist dem Tod entgangen;

Daß Unschuld leide, will der Schöpfer nicht.

Er sandt' ihr Rettung und will Rettung senden

Jedwedem, der an Herzen rein und Händen.


3.

Längst glaubte Pinabel tot und begraben

Die Maid im Abgrund bei dem Felsenpfad;

Nie mehr vor Augen meint er sie zu haben,

Die schwere Sühne fordernd für Verrat.

Nichts half ihm Vaters Schloß und Wall und Graben;

Sie schützten wenig vor der Rächertat.

Umsonst im Tal die Zinnen Hauterives blinken,

Umsonst die nahen Aun von Pontier winken.
[243]

4.

Des Grafen Anselm war die Burg, des alten,

Aus dessen Blut der Bösewicht entsprang,

Dem Clermonts Rächerhand sich fernzuhalten

Durch Beistand und Genossen nicht gelang:

Er mußt' an eines Berges Fuß erkalten,

Da ohne Müh' das Eisen ihn durchdrang;

Zu seiner Rettung konnt' er nichts erfinden,

Als schreiend, Gnade flehend, sich zu winden.


5.

So wurde Tod dem falschen Mann bereitet,

Der einst ihr selbst so böses Ende sann.

Als sie den Weg zurück zu nehmen reitet,

Steht dieses ihrem bösem Stern nicht an.

Sie wird auf einen Seitenpfad geleitet,

Wo öd und einsam graus'ger Wald begann,

Gar dicht und wild verwachsen, zum Erschrecken,

Derweil die Welt schon Abenddunkel decken.


6.

Da sie sich keiner Wohnung kann vertrauen,

Beschließt sie hier zu bleiben über Nacht,

Im Frein, teils schlafend, bis beim Morgengrauen

Auf grüner Lagerstatt der Tag erwacht,

Teils nach Saturn und Jupiter zu schauen,

Venus und Mars und andrer Götter Pracht.

Doch wähnt sie stets mit Roger hier zu säumen,

Er ist bei ihr im Wachen und im Träumen.


7.

Vor Schmerz und Reue, die sie wild erfassen,

Seufzt sie aus tiefstem Herzen schwer und bang,

Denn größer als die Liebe war ihr Hassen:

»Vom Liebsten riß mich Zornes Überschwang,«

Sprach sie, »hätt' ich ein Zeichen nur gelassen,

Eh ich zu übler Jagd ins Dickicht drang!

Das könnte mir, ihn aufzufinden, taugen;

Ich hatte kein Gedächtnis, keine Augen!«
[244]

8.

Wenn weitre Klagen aus dem Munde gehen,

Bewegt mehr noch im Innern still ihr Herz,

Derweilen Seufzer gleich den Winden wehen;

Die Tränen bilden Regenflut von Schmerz.

Nach langem Warten läßt das Licht sich sehen,

Danach sie eifrig spähte morgenwärts.

Ihr Rößlein grast ringsum in Waldgehegen;

Sie nimmt's und zieht dem jungen Tag entgegen.


9.

Sie ritt nicht weit, da war der Wald verschwunden,

Vor dem das Schloß einst, das verhexte, stand,

Wo sie so lang, von Zauber überwunden,

Als jenes Argen Spielball sich befand.

Dort traf sie Astolf, und er hielt gebunden

Im Zaum das Flugtier mit geschickter Hand.

Sie fand ihn in Gedanken, in der Schwebe,

Unschlüssig, wem den Rabikan er gebe.


10.

Zufällig trifft es sich, daß nach dem Reiten

Den Helm vom Haupte nahm der Rittersmann,

So daß sie, als die Blicke dorthin gleiten,

Den Vetter alsogleich erkennen kann.

Sie winkt ihm voller Freude schon vom weiten,

Kommt grüßend näher und umarmt ihn dann,

Und ihren Namen eilt sie ihm zu nennen

Und hebt's Visier: er soll sie doch erkennen.


11.

Kein Mensch schien Astolf trefflicher zu passen

Zum Wächter, traun, für Rabikan, das Pferd,

Daß es in guter Obhut sei gelassen,

Bis, es zu holen, er zurückgekehrt,

Als, deren Arm' ihn schwesterlich umfassen,

Das Herzogskind –: Gott selbst hat's ihm beschert.

Wenn ihm ihr Anblick immer Freude machte,

So jetzt noch mehr, weil er ihm Nutzen brachte.
[245]

12.

Als sie aufs neu sich liebevoll umfangen,

Geschwisterlich, zwei-, dreimal, und darauf

Mit Zärtlichkeit gefragt, wie es ergangen

Dem andern sei in all der Zeiten Lauf,

Spricht er: »Zu lange weil' ich; mein Verlangen

Zieht mich ins luft'ge Vogelreich hinauf,«

Erzählt von seinen Plänen voll Vertrauen

Und läßt sie den beschwingten Renner schauen.


13.

Als sie den Hengst die Flügel sieht entfalten,

Ist ihr Erstaunen drob nicht allzugroß:

Sie schaute ja darauf einmal den Alten,

Als er sie angriff grad auf diesem Roß,

Auch hatte sie im Auge Schmerz behalten

Am Tag, da Roger in die Lüfte schoß,

Auf diesem Pferd von ihr sich fortbewegend

Auf graus'gem Weg in unbekannte Gegend.


14.

Er lass' ihr gern, sagt er, an dieser Stätte

Des Pferdes Rabikan Geschwindigkeit,

Das, wenn ein Pfeil mit ihm flög' um die Wette,

Den überhole ganze Strecken weit;

Lieb wär's ihm auch, wenn sie die Waffen hätte

Bei sich in Montalban für diese Zeit

Und sie gebrauche, bis er wiederkehre;

Denn augenblicks bedürf' er nicht der Wehre.


15.

Sich durch das Reich des Äthers zu bewegen,

Woll' er doch gern so leicht wie möglich sein.

Er trage ja das Horn und auch den Degen,

Ausreichend sei ihm schon das Horn allein.

Sie nimmt des Argalia Speer entgegen,

Des Sohns von Galafron, noch obendrein,

Den Speer, der jeden Kriegesmann von allen,

Die er berührte, ließ zu Boden fallen.
[246]

16.

Astolf hat nun den Flügelhengst bestiegen

Und läßt ihn sich erheben sachte, sacht,

Dann so geschwind mit einem Male fliegen: –

Schon aus den Augen ist er ihr gebracht.

So läßt das Boot erst leis' der Schiffer wiegen,

Der mit dem Lotsen hat der Klippen acht;

Wenn aber Strand und Hafenraum verschwinden,

Gibt er die vollen Segel all den Winden.


17.

Die Dame blieb, als Astolf flog von hinnen,

Gedankenvoll in großen Nöten stehn:

Sie weiß nicht recht, wie soll sie es beginnen,

Nach Montalban mit Waff' und Roß zu gehn!

Auch glüht und nagt der Wunsch im Herzen drinnen,

Roger in Vallombrosa doch zu sehn,

Wenn nicht schon früher; drum in allen Fällen

Muß sie jetzt suchen, dort sich einzustellen.


18.

Als sie so stand, nicht wissend, was nun werde,

Da kam ein Bäuerlein des Wegs daher:

Das nahm für sie die Rüstung von der Erde

Und legt' auf Rabikan die ganze Wehr;

Geleitete dann auch die beiden Pferde,

Beladen eines und das andre leer.

Sie war vorher mit zweien schon versehen,

Denn Pinabels Roß mußte mit ihr gehen.


19.

Nach Vallombrosa will sie sich bewegen,

Sie hofft, dort möge wohl ihr Roger sein;

Nur weiß sie nicht, wie's stehe mit den Wegen;

Man geht nicht gern so in die Welt hinein.

Vom Bauer kommt ihr keine Hilf' entgegen:

So werden sie denn irre gehn zu zwein.

Doch wählt sie eine Straße mit dem Pferde,

Die, meint sie, wohl zum Orte führen werde.
[247]

20.

Hier-, dorthin, um die Richtung zu erfragen,

Späht sie, allein es will kein Mensch sich nahn.

Da sieht – zur Mittagszeit – ein Schloß sie ragen,

Als sie vom Walde kommt auf ihrer Bahn,

Wie Kronenschmuck von einem Berg getragen;

Sie schaut –: ihr ist, als sei das Montalban.

Und Montalban ist's, wo sich Mauern heben.

Drin ihre Mutter und ein Bruder leben.


21.

Kaum hat die Dame diesen Ort gesehen,

Erschrickt sie tief, mehr, als ich sagen kann.

Sie wird entdeckt, bleibt sie ein wenig stehen,

Und weiter fortzuziehn geht nicht mehr an.

Und zieht sie nicht davon, vor Leid vergehen

Und heißer Liebessehnsucht muß sie dann:

Der Anblick Rogers, ach, ist ihr genommen,

Und was geplant, wird nicht zustandekommen.


22.

Sie sann ein Weilchen und beschloß am Ende,

Schloß Montalban den Rücken zuzudrehn,

Damit sie bald in der Abtei sich fände;

Jetzt kannte sie die Wege, die zu gehn.

Da ließ sie – noch in dieses Tals Gelände –

Ihr Stern, ob bös er oder gut war, sehn

Einen der Brüder grad, Alard den Recken;

Nicht war mehr Zeit, vor ihm sich zu verstecken.


23.

Er kam aus der Umgebung dort gegangen

Und hatt' an Kriegervolk Quartier verteilt

(Dies auszuheben rings auf Karls Verlangen

In jener Gegend, war er hergeeilt).

Geschwisterlich die beiden sich umschlangen

Und tauschten Grüß' und Küsse unverweilt,

Worauf sie plaudernd, bald von diesen Dingen

Und jenen bald, nach Montalbano gingen.
[248]

24.

Dort zog nun ein die Schöne mit den Rossen,

Für die umsonst auf die vergrämte Wang',

Ach, der Beatrix Muttertränen flossen,

Als man im Frankenreich sie suchte bang.

Daß Mutter sie und Bruder heiß umschlossen

Mit Küssen, nur ganz schwach ins Herz ihr drang,

Weil sie der Küsse Rogers stets gedachte,

An die zu denken, ach, sie selig machte.


25.

Da sie nun selber nicht dahin die Schritte

Kann lenken, sucht sie einen Mann am Ort,

Der mit der Meldung stracks zu Roger ritte,

Sie könne nicht vorerst von Hause fort

Und bitte (falls es brauche solcher Bitte),

Er möge doch sich taufen lassen dort

Und dann, wie abgemacht, im Schloß erscheinen,

Damit sie durch Vermählung sich vereinen.


26.

Sie ließ darauf zurück zu Roger führen

Vom gleichen Boten auch sein gutes Pferd,

Das er so liebte – liebte nach Gebühren,

Denn zweifellos war es die Liebe wert:

Unmöglich wär's, ein beßres auszuspüren

Im Mohrenreich wie unterm Kaiserschwert,

Und mut'geres von all den andern Rossen,

Nur Güldenzaum und Bajard ausgeschlossen.


27.

Als Roger kühn die Schwingen ließ entfalten

Den Hippogryphen und im Blau verschwand,

Da blieb zurück sein Renner, und behalten

Mußt' ihn, Frontin (so hieß er), Bradamant.

Er kam nach Montalban, ward gut gehalten:

Wenn man einmal die Zügel nahm zur Hand,

Geschah's zu kurzem Ritt und leichtem immer;

Drum war er glänzend auch und feist wie nimmer.
[249]

28.

Rasch läßt sie nach den Fraun und Mädchen schicken:

Es gälte, gleich, mit ihr vereint, in feinstem Stich

Auf weiß und braunes Seidenzeug zu sticken

Goldfäden, allerbeste, säuberlich,

Damit sich Zaum und Sattel allen Blicken

Geschmückt darböten; wählt dann eine sich,

Der Kallitrephia Tochter, von den Frauen,

Der Amme, der sie alles tät vertrauen.


29.

Ihr muß sie wohl viel tausendmal erzählen,

Wie sie im Herzen trägt den teuren Mann:

Wie keine Tugend ihm noch Schönheit fehlen;

Ihr Loblied steigt begeistert himmelan.

Sie sprach: »Ich muß als Boten dich erwählen,

Weil ich hierfür nicht bessern finden kann;

Du bist mir treuer und bist viel gewandter,

Hippalka, als sonst irgendein Gesandter.«


30.

Hippalka hieß sie. »Auf, du sollst mir gehen!«

Spricht Bradamant, zeigt ihr den Weg dabei

Und hat mit aller Weisung sie versehen,

Was ihrem Herrn zu sagen nötig sei.

Er soll entschuld'gen, ward sie nicht gesehen

Im Kloster, und es sei nicht Flunkerei,

Nein, Fügung nur des Glückes, dessen Walten

Ja mehr vermög' als menschliches Verhalten.


31.

Sie setzt sie auf ein Pferd, und in die Hände

Gibt sie Frontins gestickte Zügel ihr;

Wenn einen sie so toll und niedrig fände,

Daß er zu rauben trachte dieses Tier,

Ein einzig Wörtlein sie als Schutz verwende!

Sie werde sehn: sein Hirn gesunde schier.

Denn keinen kenne sie von kühnen Rittern,

Der Rogers Namen höre ohne Zittern.
[250]

32.

Oftmals ermahnt, recht gut sich einzuprägen,

Was sie als Meldung hin zu Roger trug,

Säumt nicht Hippalka, sich's ans Herz zu legen,

Und sprengt davon ohn' weiteren Verzug.

Durch dunkle Wälder auf verschlungnen Wegen

Kommt sie zehn Meilen weit, und mehr, im Flug,

Ohne daß einer Störung ihr bereite,

Oder auch frage nur, wohin sie reite.


33.

Zu Tale steigend – Mittag war's gerade –

In felsigen und öden Wüstenein,

Traf sie Fürst Rodomont auf engem Pfade;

Ein kleiner Zwerg zu Fuß ging hinterdrein.

Der Mohr blickt finster, setzt sich kerzengrade

Und flucht bei seinen Göttern groß und klein,

Daß dies geschmückte Pferd – schön ohne Frage –

Nicht einen Ritter auf dem Rücken trage.


34.

Geschworen hatt' er ja – und Schwüre binden –,

Das erste beste Pferd, das halt' er an.

Er muß als erstes Pferd nun dieses finden,

Ein schönres Tier er gar nicht finden kann.

Doch einem Mädchen müßt' er es entwinden;

Des schämt er sich, und schwankend steht er dann.

Er schaut und schaut – dann spricht der wilde Streiter:

»Wär' doch auf diesem Pferd sein Herr als Reiter!«


35.

»Ja, wär' er's doch!« schallt's aus Hippalkas Munde,

»Du würdest andern Sinnes alsogleich;

Denn er ist mehr als du: im Erdenrunde

Ist ihm an Wert kein andrer Ritter gleich.«

»Und wer schlägt andrer Ehre solche Wunde?«

Fragt er; sie spricht: »Herr Roger ruhmesreich.«

Darauf der Mohr: »Nun muß das Tier ich haben,

Nehm' ich es fort so hochberühmtem Knaben,
[251]

36.

Ihm muß ich – ist es ein so großer Degen

Daß gar kein andrer reicht an ihn heran –

So Pferd wie Reitgeld wohl zu Füßen legen,

So hoch, wie er es nur bestimmen kann.

Sag' ihm, stell' er sich Rodomont entgegen

Zum Kampf, zu jeder Zeit bin ich sein Mann.

Er wird, wo ich nur gehen mag und stehen,

Mich stets im Scheine meines Lichtes sehen.


37.

Ich lasse solche Spuren, wo ich reite,

Wie sie kein Blitz läßt am getroffnen Ort.«

Er spricht es, dreht den goldnen Zaum zur Seite

Und sprengt auf dem geschmückten Renner fort.

Hippalkas Seufzer geben das Geleite,

Und manch ein drohend und verachtend Wort

Schickt sie ihm nach und weint und schmäht den Reiter.

Der hört sie nicht und trabt bergaufwärts weiter,


38.

Auf den von jenem Zwerg gezeigten Wegen

Zu finden Doralis und Mandrikard.

Hippalka muß sich hinterdrein bewegen

Und schilt und flucht noch mehr in ihrer Art.

Was dann kam, tritt uns anderswo entgegen –

Turpin schweift ab, durch den uns Kunde ward –

So gilt es, nach dem Ort uns durchzufragen,

Wo jener Mainzer Ritter lag erschlagen.


39.

Kaum war die Tochter Haimons dort verschwunden,

Sie hatte Eile, von dem Ort zu fliehn,

Als, an die falsche Alte noch gebunden,

Auf anderm Pfad Zerbin, der Prinz, erschien.

Er hat den Toten dort im Tal gefunden,

Nicht weiß er, wen; ein Fremder ist's für ihn.

Als frommer Mann muß er dem schmerzensvollen

Und trüben Fall indessen Mitleid zollen.
[252]

40.

Entseelt liegt Pinabel im Felsengrunde;

Aus so viel Wunden strömt ein rotes Meer,

Als hätten sich zu einem blut'gen Bunde

Vereint wohl hundert Schwerter oder mehr.

Den frischen Spuren folgend in der Runde,

Blickt suchend rings der Schottenprinz umher,

Ob er zur Kunde möge wohl gelangen,

Durch welche Hand die Bluttat sei begangen.


41.

Er sagt Gabrina dann, er komme wieder,

Sie soll' ein Weilchen auf ihn wartend stehn.

Die läßt sofort sich an der Leiche nieder

Und forschend auf und ab die Augen gehn.

Nichts ist der Alten Seele so zuwider,

Wie Tote sonder Zweck geschmückt zu sehn.

Denn, lassen wir das andre auch beiseite,

Habgierig war das Weib wie keine zweite.


42.

Wär' fortzuschaffen, was bequem zu stehlen

(Und wär' die Hoffnung drauf auch noch so klein),

Sie würde gleich die reiche Kleidung wählen,

Die schönen Waffen sämtlich obendrein.

Doch nimmt sie, was sich bergen läßt und hehlen –

Was bleiben muß, drückt fast das Herz ihr ein.

Ein schöner Gürtel ist beim Raub zu finden,

Den nimmt sie, unterm Kleid ihn umzubinden.


43.

Bald kommt Zerbin, der Bradamantes Schritten

Zu folgen hat umsonst sein Roß gelenkt:

Verschlungen war der Pfad, den sie geritten,

Und hatte sich gehoben und gesenkt.

Derweil war fast der Tag hinabgeglitten.

Weil er an Nachtquartier im Frein nicht denkt,

Kehrt er, um eine Herberg' zu erhalten,

Dem schlimmen Tal den Rücken mit der Alten.
[253]

44.

Sie kamen zu dem Schlosse eines Grafen

Zwei Meilen weiter, Hauterive war's genannt;

Da hielten sie, um hier die Nacht zu schlafen,

Die schon im Flug aufstieg am Himmelsrand,

Als plötzlich Klagen ihre Ohren trafen

Und ringsumher ein laut Geschrei entstand.

Die Leute sämtlich, die sie sehen, weinen,

Als ob sich alle gleichem Schmerz vereinen.


45.

Zerbin vernahm sodann auf seine Fragen,

Dem Grafen Anselm ward gemeldet grad,

Es liege Pinabel, sein Sohn, erschlagen

Im Felsental auf einem engen Pfad.

Der Prinz sieht fort und schweigt bei diesen Klagen,

Verdacht nicht zu erregen solcher Tat;

Doch denkt er wohl, es sei der Mord geschehen

An jenem, den er tot am Weg gesehen.


46.

Bald war die Leichenbahre nun zur Stelle,

Latern- und Fackelschein ins Auge drang:

Das Volk schlug sich die Brust, Wehrufe, grelle,

Und Kreischen noch vermehrt zum Himmel klang,

Und stärker von den Lidern rann die Quelle

Und strömt in wahren Bächen auf die Wang'.

Am schwärzesten doch waren anzuschauen

Des armen Vaters kummervolle Brauen.


47.

Sie rüsteten, den Toten zu bestatten,

Prunkvoll und feierlich, den Bräuchen nach

(Wie alte Zeiten sie geschaffen hatten,

Dran stets sich etwas ändert allgemach);

Dann, in des Herren Namen, ging vonstatten

Ein Aufruf, der sogleich den Lärm durchbrach,

Belohnung dem verheißend, nicht geringe,

Der Nachricht von des Sohnes Mörder bringe.
[254]

48.

Von Ohr zu Ohr schallt und von Mund zu Munde

Ruf und Verheißung durch die Gegend hin:

Da hört die böse Hexe jene Kunde,

Die grimmer ist als Bär und Tigerin.

Von Haß erfüllt, plant sie von dieser Stunde

Fortan nur das Verderben von Zerbin,

Sei's, um zu prahlen, daß in ihrem Leibe

Allein nichts sei vom Menschen oder Weibe,


49.

Sei's, daß sie nur ward angelockt vom Preise –

Sie tritt an den betrübten Herrn heran;

Einleitend spricht sie erst geschickterweise,

Nennt den Begleiter als den Täter dann.

Den schönen Gürtel gibt sie zum Beweise,

Den ja der Arme nicht verkennen kann:

Er muß die Sache nach dem Wort der Alten

Und diesem Zeugnis für erwiesen halten.


50.

Zum Himmel hebt er weinend auf die Hände

Und schwört dem Leichnam, daß die Rache wacht,

Die Wohnung wird umzingelt; alle Wände

Zu sichern hat das Volk sich aufgemacht.

Vermeinend, daß kein Feind sich nah befände,

Hat Prinz Zerbin des Überfalls nicht acht.

Im Wahn, von ihm sei jener Mord begangen,

Nimmt Anselm ihn im ersten Schlaf gefangen.


51.

An finsterm Ort, von Ketten schwer umschlossen,

In großen Leiden blieb er diese Nacht.

Eh noch der Sonne Strahlen sich ergossen,

Ward ungerechter Urteilsspruch gemacht:

Da, wo das Blut des Grafen sei geflossen,

Werd' er gevierteilt und zum Tod gebracht.

Man dachte nicht zu prüfen, wie man sollte,

Es war genug, daß es der Herr so wollte.
[255]

52.

Es stellt sich weiß und gelb – mit hellen Röten –

Auroras Nahn am Morgenhimmel dar,

Da schrie das ganze Volk: »Ihn töten, töten!«

Zu strafen den, der gänzlich schuldlos war.

Der dumme Schwarm folgt ihm in seinen Nöten,

Zu Fuß, zu Roß auch, aller Ordnung bar.

Und Schottlands Ritter kommt auf kleinem Pferde,

Gebunden, das Gesicht geneigt zur Erde.


53.

Doch wer auf Gottes Huld setzt sein Vertrauen,

Den läßt er nicht vergehen in der Not;

Der Schottenprinz wird solche Hilfe schauen,

Daß er zur Zeit gesichert ist vor Tod:

Roland erscheint, den Jüngling aus den Klauen

Zu reißen des Verderbens, das ihm droht.

Er war der Leut' im Tale wahrgeworden,

Wie sie den Ritter schleppten, ihn zu morden.


54.

Mit ihm war jenes Mägdelein zur Stelle,

Das er in wilder Felsenhöhle fand,

Kind des Galicierkönigs, Isabelle,

Damals gefallen in der Räuber Hand,

Nachdem ihr Schiff von graus'gen Sturmes Welle

Zerschellt geblieben war am Klippenstrand;

Sie, die Zerbin so innig war ergeben,

Daß er ihr mehr galt als das eigne Leben,


55.

Sie blieb an ihres Retters Roland Seiten,

Nachdem er aus der Höhle sie befreit.

Als sie die Leut' im Tale sieht vom weiten,

Fragt sie, wozu der Haufe sei bereit.

»Ich weiß nicht«, sagt er im Vondannenreiten

Und läßt sie auf dem Berg für eine Zeit.

Er sieht Zerbin: Der will ihm edel scheinen;

Er hält ihn für der wackren Ritter einen.
[256]

56.

Und wie er nah ist, fragt er ihn, weswegen

Man ihn gefangen fortführ' und wohin.

Der Arme hebt sein Antlitz ihm entgegen,

Und als er ganz versteht der Worte Sinn,

Sagt er die Wahrheit: sagt sie klar dem Degen,

Und Rolands Helferhand wird sein Gewinn.

Das Wort Zerbins ließ Unschuld ja erkennen

Und daß sein Tod ein Frevel war zu nennen.


57.

Wie Roland hört, all dies ist ausgegangen

Von jenem Grafen Anselm, alt und schlecht,

Da braucht er nicht im Zweifel mehr zu hangen:

Der tut nichts andres, als was ungerecht.

Es kommt dazu: beim Haß, dem jahrelangen,

Von Clermont gegen Mainz und sein Geschlecht,

Feind waren sie einand seit alten Tagen:

Schmach, Schaden, Mordtat zwischen ihnen lagen.


58.

Er rief: »Ihr Lumpenvolk, macht los den Ritter!

Wo nicht, ich schlag' euch alle kurz und klein!« –

»Wer ist's, der zuhaut so gewaltig bitter?«

Sagt einer, der der Keckste wollte sein.

»Und wär' er Feuer, Blitz und Ungewitter,

Wir Wachs und Stroh, nicht ärger könnt' er schrein!«

Und macht sich wider Roland auf zum Tanze.

Der Paladin senkt gegen ihn die Lanze.


59.

Die Rüstung licht, dem Prinzen abgenommen

Und angelegt vom Mainzer in der Nacht,

Kann gegen Rolands Wucht gar wenig frommen

Und hat dem Träger keinen Schutz gebracht.

Die rechte Wange hat den Stoß bekommen;

Wohl hielt der Helm, aus feinem Stahl gemacht,

Doch so war die Erschütterung im Haupte,

Daß sie den Hals zerbrach, das Leben raubte.
[257]

60.

Die Brust durchsticht er – Rast wird nicht dem Speere –

Dem zweiten Reiter in dem gleichen Lauf,

Läßt da den Spieß, nimmt Durendal, die Wehre,

Und sprengt hinein, wo just recht dicht der Hauf:

Trennt einen Kopf vom Rumpf wie mit der Schere,

Und in zwei Teile bricht ein Schädel drauf.

Den Schlund durchbohrt er hier und dort den Magen –

Im Nu sind hundert fort – geflohn, erschlagen.


61.

Ein Drittel liegt; die andern alle springen

Hinweg, er stößt und haut, spießt und zerspellt.

Sie werfen Waffen fort, die Hindrung bringen,

Speer, Schild, wobei der Helm vom Kopfe fällt.

Der sucht gradaus, der in die Quer' zu dringen,

Der nach der Felsschlucht, der in Wald und Feld.

Heut ist Herr Roland ohne Mitleid eben:

Er gönnt nicht einem einzigen das Leben.


62.

Von hundertzwanzig sind zugrund gegangen

(Turpin zählt) sicher achtzig nacheinand.

Wie bebte doch Zerbin das Herz voll Bangen,

Bis Roland sich am Ende zu ihm fand!

Zum Ausdruck kann in Versen nicht gelangen

Der Jubel, den er in der Seel' empfand.

Er fiele, ihn zu ehren, vor ihm nieder,

Doch fest aufs Roß gebunden sind die Glieder.


63.

Wie Roland diesem, ledig nun der Banden,

Anlegen half so Helm wie Waffenkleid,

Die sich am Führer jener Schar befanden

(Er schmückte sich damit zu seinem Leid),

Des Prinzen Augen Isabella fanden,

Die auf der Höh' geblieben war die Zeit.

Als sie den Kampf vollbracht sah auf den Auen,

Ließ sie ihn näher ihre Reize schauen.
[258]

64.

Die traute Holde sieht der Prinz erscheinen,

Die alles Glück ihm war auf dieser Welt,

Die seine Augen schon als tot beweinen,

Weil man ihm falsche Kunde hat bestellt,

Ein wenig bebt er wohl an Arm und Beinen,

Das Herz ist ihm erstarrt zu Eiseskält' –;

Allein die schwindet; und an ihrer Stelle

Durchströmt ihn Liebesglut mit süßer Welle.


65.

Er schlösse sie sogleich in seine Arme,

Wär' nicht der Ritter von Anglant dabei:

Er wähnt – und glaubt es fest, zu seinem Harme –,

Daß Roland jetzt des Fräuleins Liebster sei:

Von Qualen fällt in Qualen so der Arme,

Und mit dem Jubel ist es bald vorbei.

Daß er sie eines andern Braut sich dachte,

War, was ihm Schmerz, mehr als ihr Tod selbst, machte.


66.

Am meisten aber muß ihn eines grämen:

Sie des zu wissen, der ihm Gutes tat.

Unedel wär' es, sie ihm wegzunehmen,

Und außerdem wohl auch nicht leicht gerad.

Bei keinem andern würd' er sich bequemen,

Sie ruhig ziehn zu lassen ihren Pfad.

Doch gegen den hat er so große Schulden,

Er muß den Fuß auf seinem Nacken dulden.


67.

Nach stillem Ritte nahn sie einer Quelle

Und steigen ab, ein Weilchen da zu ruhn.

Ermüdet, löst den Helm am Flutgefälle

Der Graf und heißt Zerbin dasselbe tun.

Beglückt erkennt den Teuren Isabelle,

Erblaßt und gleicht der lieben Blume nun,

Die, ganz beschwert von Tau und langem Regen,

Das feuchte Haupt der Sonne streckt entgegen.
[259]

68.

Den Hals des Heißgeliebten zu umschlingen

Kam sie, nicht Rücksicht kennend in dem Drang:

Dem Busen konnte sich kein Wort entringen,

Nur Tränenfluten strömten auf die Wang'.

Gespannt folgt Roland den verliebten Dingen;

Er sucht nach größrer Sicherheit nicht lang;

Denn alle Zeichen deutlich sich vereinen:

Sie weisen auf Zerbin nur, sonst auf keinen.


69.

Als ihr die Sprache wieder ist gegeben,

Weiß Isabell, noch feucht auf Wang' und Kinn,

Nicht hoch genug den Ritter zu erheben,

Der immerdar bewiesen edlen Sinn.

Zerbin, dem sie so viel gilt wie sein Leben

Und der für sie auch dieses gäbe hin,

Wirft segnend sich zu Rolands Füßen nieder:

Er gab ihm zwiefach ja das Leben wieder!


70.

Noch weitre Zeit verginge wohl den Degen,

Einander Dank zu weihn und Artigkeit,

Doch plötzlich schallt ein Lärm her von den Wegen,

Die ganz verhüllt des Waldes Dunkelheit.

Kaum ist noch Zeit, die Helme anzulegen

(Barhäuptig waren sie ja allebeid),

Und sieh, ein Ritter und ein Fräulein fliegen

Des Wegs daher, als kaum sie aufgestiegen.


71.

Herr Mandrikard, der Mohr, ist dieser Ritter,

Der hinter Roland war so eilig her,

Alzird und Manilard zu rächen bitter,

Die glorreich hat gefällt des Helden Speer.

Indes, seit Doralis ihm folgte, ritt er

Nicht mehr mit solchem Eifer wie vorher,

Sie, die sein Eichenstamm, wie wir schon wissen,

Jüngst hundert starken Kriegern hat entrissen.
[260]

72.

Nicht weiß der Sarazen, daß hier zur Stelle,

Von ihm verfolgt, der Herr ist von Anglant;

Doch sagen ihm die Zeichen klar und helle,

Ein Ritter sei's von hohem Wert und Stand;

Er hat zu ihm, Zerbins nicht achtend, schnelle,

Von Kopf zu Fuß ihn musternd, sich gewandt:

Als jedes Zeichen stimmt, ruft er in Eile

Dem Grafen zu: »Dich sucht' ich alldieweile!


73.

Zehn Tage müh' ich mich, dir nachzugehen,

So daß ich nie von deinen Spuren ließ.

Mir stach's ins Herz, stets deinen Ruhm zu sehen

(Er drang hinein ins Lager vor Paris):

Daß einer kaum dem Tode konnt' entgehen

Von tausend, die dein Arm zum Hades stieß;

Verkündet wurde dort, wie du verfahren

Mit Tremisenes und Norizias Scharen.


74.

Da brach ich auf sogleich, dich zu erreichen:

Dich sehn, bekämpfen, dazu treibt es mich;

Und weil's dein Wappen lehrt mit allen Zeichen,

So weiß ich nun, du bist es sicherlich.

Und wüßt' ich's nicht und gingst du, zu entweichen,

Und bärgest unter hundert andern dich,

Dein stolzes Aussehn würd' es klar verraten:

Du mußt er sein, der Mann von solchen Taten!«


75.

Sprach Roland drauf: »Man muß dir zugestehen,

Du bist ein wackrer und beherzter Mann;

Niemals kann einer Niedrigkeit begehen,

Der auf so Kühnes und so Hohes sann.

Wenn du gekommen bist, um mich zu sehen,

Schau' mich von innen wie von außen an!

Vom Haupte nehm' ich dieses Helmes Hülle,

Daß, was du wünschest, sich dir gleich erfülle.
[261]

76.

Doch hast du mich studiert in allen Stücken,

Zu dem, was sonst du wolltest, sei bereit;

Den Anlaß gilt's, der dich in meinem Rücken

Auf diesem Wege traben ließ so weit,

Und was mein Aussehn schien dir auszudrücken,

Sieh zu, ob's stimme mit der Wirklichkeit.« –

»Wohlauf zum zweiten Falle!« rief der Heide,

»Ich bin gesättigt von der Augenweide.«


77.

Der Graf muß sich den Mohren nun betrachten;

Von Kopf zu Fuß blickt er an ihm umher:

Da Flank' und Sattel nirgends kenntlich machten,

Daß eine Waffe dort zu finden wär',

So fragt er: wenn umsonst die Speere krachten,

Wie setz' er sich in solchem Fall zur Wehr?

Der sprach: »Nicht sorge, was das mag bezwecken!

Ich bracht' auch so schon vielen andern Schrecken.


78.

Ich schwur, so lang kein Schwert mir anzulegen,

Bis mein die Durendal des Grafen sei;

Ihn suchen geh' ich nun auf allen Wegen,

Gern mit ihm teilen möcht' ich manches Ei.

Ich schwur's (wenn's deine Teilnahm' kann erregen)

Und legte damals diesen Helm mir bei.

Er und die andern Waffen alle waren

Des Hektor einst, der starb vor tausend Jahren.


79.

Es fehlt ein Stück: ich weiß dir nicht zu sagen,

Von wem's gestohlen ward, das gute Schwert.

Mir scheint, es wird vom Paladin getragen;

Daher kommt ihm der kühne Mut und Wert.

Ich denke, hab' ich einmal ihn am Kragen,

Daß mir zurück das schnöd Geraubte kehrt.

Ich such' ihn, denn ich gab mir das Versprechen,

Den hehren Vater Agrikan zu rächen.
[262]

80.

Roland – es konnt' ihm anders nicht gelingen –

Hat ihn getötet bloß mit List und Trug.« –

Nicht länger konnte Roland sich bezwingen;

Er rief: »Du lügst, daß ich ihn so erschlug.

Doch Glück will deinem Wunsch Erfüllung bringen:

Ich, Roland, tötet' ihn mit Recht und Fug.

Du suchst das Schwert – ei, nimm es doch von hinnen;

Dein ist es, kann es deine Kraft gewinnen!


81.

Ist es auch mein, auf edle Art entscheiden

Soll sich, wem es gehör', an diesem Ort.

Im Kampfe dien' es keinem von uns beiden,

Nicht mir, nicht dir; am Baume häng' es dort.

Sobald dein Arm mich läßt vom Leben scheiden

Oder das Schwert du nimmst – so trag es fort!«

Mitten ins Feld bei diesen Worten sprengt er,

Und Durendal an einen Baumzweig hängt er.


82.

Schon sind auf eine halbe Pfeilschußweite

Getrennt die beiden Helden voneinand;

Schon spornt ein jeder seines Rosses Seite

Und kommt mit losen Zügeln angerannt;

Schon dröhnt der erste Lanzenstoß im Streite

Vorn, wo die Spalte vor dem Aug' sich spannt –

Die beiden Speere just wie Eis zerspringen,

Daß sie in Stücken sich zum Himmel schwingen.


83.

In Stücke sind die Lanzen beid gegangen;

Nachdem der Stoß nicht einem Unheil schafft,

Sucht jetzt der Stumpf zum Ziele zu gelangen,

Der Rest, der noch geblieben war vom Schaft.

Sie, die bisher nur immer Eisen schwangen,

Sind wie zwei wilde Bauern, die errafft

Zwei Knüttel dick und um die Grenz' am Hügel,

Oder am Bach beginnen den Geprügel.
[263]

84.

Die Stümpfe überdauern nicht vier Schläge,

Sie gehen drauf in diesen Prügelein.

Stets wächst der Zorn und sucht sich seine Wege,

Um dreinzuschlagen, bleibt die Faust allein.

Etwas zu finden, drauf die Hand man lege,

Hauen sie Schien' und Schuppe kurz und klein.

Man wünsche nicht zu irgendeinem Werke

Zang' oder Hammer von noch größrer Stärke!


85.

Wie kann der Sarazen mit Ehren enden

Das Stelldichein, dem kein Gewinn entspringt?

Dumm wär' es ja, mit etwas Zeit verschwenden,

Das Schläger wie Geschlagnem Unheil bringt:

Zu ringen gilt es –: mit den starken Händen

Der Heide schnell den Paladin umschlingt;

Er sucht ihn zu ersticken auf dem Rosse,

Wie den Antäus einst der Göttersprosse,


86.

Packt ihn mit voller Wucht, hält ihn umfangen,

Reißt, drückt und zerrt an ihm die Kreuz und Quer'

Und ist in seine Wut so ganz verfangen:

Er gibt nicht acht auf seine Zügel mehr.

Der Graf sitzt lauernd, Vorteil zu erlangen,

Und sinnt: Wie schaff' ich jetzt den Sieg mir her?

Fährt übern Kopf des Pferdes mit der Linken

Und läßt behutsam dann die Zügel sinken.


87.

Roland herabzureißen, zu ersticken,

Strengt sich der Sarazen gewaltig an.

In keins von beiden will der Graf sich schicken

Und stemmt die Knie so fest, wie er nur kann.

Bei solchem Zerren, Drücken und Verstricken

Der Sattelgurt zu lösen sich begann:

Der Held liegt unten, ohne zu begreifen:

Der Schenkel schließt, der Fuß ist noch im Reifen.
[264]

88.

So wie ein Sack mit Waffen dröhnt am Grunde,

So dröhnt des Grafen Körper auf dem Feld;

Des Mohren Hengst, der, keinen Zaum im Munde,

Nunmehr den Kopf frei in die Lüfte hält,

Sieht weder Weg noch Baum mehr in der Runde,

So daß er blind in wilden Lauf verfällt:

Hier-, dorthin treibt ihn Angst zu wilden Sätzen;

Er schleppt den Reiter mit sich voll Entsetzen.


89.

Als Doralis ihn sieht von dannen eilen,

Vom Felde weg und weit hinaus ins Land,

Hat sie, aus Furcht, allein am Ort zu weilen,

Im Trab ihr Rößlein hinterdrein gewandt.

Voll Ärger schilt der Mohr sein Pferd derweilen,

Droht, tritt und schlägt drauf zu mit Fuß und Hand,

Als könn' es gleich wie Menschen sich besinnen,

Und heißt es stehn und treibt's nur mehr von hinnen.


90.

Das scheue Tier lief, voll von Schreck und Bangen,

Den Weg nicht achtend, blindlings querfeldein,

Ein Stündchen weit, und wär' noch weiter 'gangen;

Jedoch ein Graben willigt nicht darein:

Der hat sie beide, Mann und Roß, empfangen,

Wenn's auch kein Bett gab oder Kissen fein.

Der Mohr stieß auf den Grund mit starkem Pochen,

Doch blieb er heil und brach nicht einen Knochen.


91.

Hier endlich bleibt der böse Renner stehen;

Doch ohne Zaum zu lenken, geht nicht gut.

Vor Grimm und Zorn will der Tatar vergehen

Und packt das Tier am Haar in seiner Wut.

Er denkt und denkt, weiß nicht, was soll geschehen.

»Nimm meine Zügel hier zu seiner Hut,«

Die Dame sprach, »ich bleibe fest im Bügel,

Mein Pferd ist sanft, ob mit, ob ohne Zügel.«
[265]

92.

Als ihm nun dergestalt der Dame Gaben

Zu brauchen wenig ritterlich erschien,

Sollt' er auf einmal andre Zügel haben;

Das Glück war heute gut gelaunt für ihn

Und ließ des Wegs die alte Hexe traben,

Die, seit von ihr verraten ward Zerbin,

Floh, einer Wölfin gleich im Waldesgrunde,

Die kommen hört die Jäger und die Hunde.


93.

Sie trug mitsamt den schönen Kleidungsstücken

Den jugendlichen Zierat all die Zeit,

Der jener Witzigen voll Spaß und Tücken,

Zum Schmuck für sie, genommen war vom Kleid,

Und kam geritten auf des Zelters Rücken,

Der von den guten war an Trefflichkeit.

Das alte Weib dem Sarazen schon nah war,

Bevor sie noch bemerkte, daß er da war.


94.

Der Aufputz brachte Mandrikard zum Lachen

Und ebenso das Kind des Stordilan,

Denn jene glich in all den schönen Sachen

Einem Gorilla oder Pavian.

Nun will der Mohr sich an die Zügel machen,

Und alsobald wird ausgeführt der Plan.

Er nimmt den Zaum, erschreckt das Tier durch Schreien

Und droht, so daß es flieht, sich zu befreien.


95.

Es flieht davon, hin über Waldespfade

(Die Alte meint des Todes schier zu sein),

Bergauf, bergab, auf Wegen krumm und grade,

Wie's kommt, in Schlucht und Graben stracks hinein.

Doch mehr von ihr zu sprechen, wäre schade,

Und ihre Stelle nehme Roland ein,

Der, was der Sturz am Sattel schlecht gemacht hat,

In aller Ruh' in Ordnung hübsch gebracht hat.
[266]

96.

Er steigt aufs Pferd und läßt es stillestehen

Und harrt des Sarazenen lange Zeit.

Der aber läßt sich gar nicht wieder sehen,

Drum, ihn zu suchen, macht er sich bereit.

Doch, wie's nach feiner Art pflegt zu geschehen,

Empfiehlt er sich zuvor mit Artigkeit

Und Worten, die geziemend sind beim Scheiden,

Aufs höflichste von den Verliebten beiden.


97.

Sehr nahe ging dem Prinzen dieses Scheiden,

Derweil in Tränen Isabella stand.

Sie dachten mitzugehn; er wollt's nicht leiden,

Wie schön und gut er die Gesellschaft fand,

Und trennte sich mit diesem Grund von beiden:

Für Ritter gäb' es keine größre Schand'

Als, wenn ihm Helfer und Genossen kämen,

Wo's einen Waffentanz gilt aufzunehmen.


98.

Er bat sie, dem Tataren doch zu sagen,

Wenn sie ihn träfen, daß – bei seinem Wort –

Roland bis nach dem Ablauf von drei Tagen

Bleib' in der Nachbarschaft von diesem Ort;

Den Weg dann heimwärts denk' er einzuschlagen

Und ziehe nach dem Lilienbanner fort,

Um mit dem Heere Karls sich zu verbinden;

So könn' ihn jener, wenn er wolle, finden.


99.

Dies gern zu tun versprachen sie dem Degen

Und was noch sonst etwa ein Herz begehrt,

Drauf gehn sie so, daß auf getrennten Wegen

Zerbin sich hierhin, Roland dorthin kehrt.

Zuvor jedoch nimmt aus den Waldgehegen

Graf Roland noch vom Baum herab das Schwert.

Den Hengst dann läßt er in der Richtung eilen,

Wo er vermeint, der Heide möge weilen.
[267]

100.

Der tolle Lauf des Pferds, das ohne Pfade

Durchs Waldesdickicht mit dem Mohren bricht,

Läßt Roland irregehn drei Tag' gerade:

Er hört vom Heiden nichts und sieht ihn nicht.

Da kommt er an kristallnen Bachs Gestade

Mit blühnder Au, gar lieblich voll und dicht,

Wo schöne Bäume sich zum Himmel heben,

Von farbenreichen Blumen hold umgeben.


101.

Dem nackten Hirt und seiner Herde brachte

Ein Windhauch Kühlung vor des Mittags Glast,

So daß dem Grafen nicht sich fühlbar machte

Des Schildes, Helms, der ganzen Rüstung Last,

Und er im Schatten auszuruhn gedachte:

Unmilden Ort fand er für seine Rast,

Gar rauhen, bösen – mehr, als ich kann sagen,

An diesem schlimmsten, ach, von allen Tagen.


102.

Gezeichnet sah er, als er um sich wandte,

Der Bäume viel an schatt'gem Uferrand.

Als die sein Auge traf, sogleich erkannte

Er an den Zeichen seiner Göttin Hand.

's war einer von den Orten, die ich nannte;

Oft auf dem Weg vom Hirtenhaus befand

Sich hier mit Medor jene Anmutreiche,

Holdselige aus dem Katai-Reiche.


103.

»Angelika und Medor!« – schön verbunden,

Liest er die hundert Mal' auf dieser Trift;

So viele Nägel ihm das Herz verwunden,

Wie er der Zeichen sieht in dieser Schrift.

Gern hätt' er andre Deutung nun gefunden

Von dem, was ihn mit solchem Schmerze trifft:

Ein andres Mädchen, das den Namen trüge,

Schrieb ja vielleicht hier dieses Namens Züge!
[268]

104.

Drauf sprach er: »Nein, zu oft hab' ich gelesen

Hier diese Schrift; sie ist mir wohlbekannt.

Vielleicht bin Medor ich für sie gewesen,

Und mit dem Namen hat sie mich benannt.«

So hat den Selbstbetrug für sich erlesen

Und von der Wahrheit ganz sich abgewandt

Der arme Roland, Hoffnung zu erraffen,

Von der er fühlt, daß er sie selbst geschaffen.


105.

Nur immer stärker macht er so sich regen,

Den er ersticken möchte, den Verdacht,

Wie unvorsicht'ge Vögel sich bewegen,

Wenn Leim und Rute sie zu Fall gebracht:

Mit Zucken und mit all den Flügelschlägen

Wird die Umstrickung fester nur gemacht.

Der Graf geht weiter hin, wo wie ein Bogen

Der Berg sich wölbt ob klarer Bacheswogen.


106.

Mit krummem Fuß den Eingang hold umwanden,

Den schön geschmückten, Efeurank' und Wein;

Hier, wenn des Tages Glut sie recht empfanden,

Pflegte das Paar der Liebe sich zu weihn.

Innen und außen rings geschrieben standen,

Mehr als an andern Orten auf Gestein

Teils mit der Messerspitz' die Namen beide,

Teils mit der Kohle oder mit der Kreide.


107.

Vom Pferd stieg der Betrübte vor der Pforte,

Und an dem Eingang jener Höhle sah

Er eingeritzt von Medor glühnde Worte

Von Lust und hohem Glück, das ihm geschah

Durch die Geliebte hier am Felsenorte.

Gefaßt in Verse stand es deutlich da.

In seiner Sprache mocht' es lieblich klingen;

Man kann es etwa so in unsre bringen:
[269]

108.

»O froh Gesträuche! Gras, wo Wellen spielen

Und Schatten kühlend um die Höhle rückt,

Drin oftmals, die umsonst begehrt von vielen,

Tochter des Galafron, mich hat beglückt,

Angelika, nachdem die Hüllen fielen,

In meinem Arm! Was ich genoß entzückt,

Kann ich euch lohnen nicht auf andre Weise,

Als daß ich armer Medor stets euch preise,


109.

Und daß ich alle Treuverliebten bitte:

Wer immer, Ritter oder Mägdelein,

Sei's Herrin oder Bäurin, seine Schritte

Mit Absicht oder Zufall lenkt herein

Zu Bach und Höhl' in schatt'ger Pflanzen Mitte,

Spreche: ›Mög' Sonn' und Mond euch freundlich sein

Und auch die Schar der Nymphen euch begnaden,

Daß niemals Herd' und Hirt komm', euch zu schaden‹.«


110.

Arabisch war's und ward von ihm verstanden,

Vollkommen deutlich, wie Latein fürwahr,

Von allen Sprachen aus gar vielen Landen

Dem Paladin just die geläufig war,

Hatt' ihn bewahrt auch oft vor Not und Banden,

Bedrohte ihn im Mohrenland Gefahr.

Doch ist kein Grund, daß er damit jetzt prahle,

Denn ausgeglichen wird's mit einem Male.


111.

Drei-, viermal liest die Inschrift bis zu Ende

Der Arme, strengt mit aller Macht sich an,

Ob man vielleicht sie anders noch verstände;

Doch immer klarer kam es nur heran.

Und jedesmal, als ob ihm kalte Hände

Grausam das Herz zuschnürten, war ihm dann –

Sein Aug' und Sinn blieb haften an den Steinen,

Und steinern könnte man ihn selber meinen.
[270]

112.

Fast wär' ihm das Bewußtsein jetzt geschwunden,

So riß ihn die Gewalt des Schmerzes hin.

Glaubt ihm, der all dies hat an sich empfunden:

So wühlt kein andres Leid im Busen drin!

Der Stirn war ganz der kühne Mut entwunden,

Gesunken auf die Brust herab das Kinn.

Und was er duldet, muß er lautlos tragen;

Die Träne stockt, die Stimme fehlt zum Klagen.


113.

Der ungestüme Schmerz, er haftet innen,

Weil er hinausdrängt mit zu großer Hast:

So bleibt die Wassermeng' im Kruge drinnen,

Wenn viel der Bauch, die Mündung wenig faßt,

Denn allzu eilig will die Flut entrinnen,

Da man den Krug umkehrt: die Wasserlast

Muß nun den engen Weg sich selbst verstopfen,

Durch den sich mühsam Tropfen drängt um Tropfen.


114.

Dann kommt er zu sich, sucht zu überlegen,

Ob es vielleicht nicht doch nur Gaukelei,

Um seiner Dame Namen bloßzulegen,

Und sehnt und hofft und meint, daß es so sei,

Erdacht, um Eifersucht ihm zu erregen –

Daß Gram ihn töte – durch Betrügerei:

Ein Fälscher möge wohl die Kunst entfalten,

Der Dame Handschrift ähnlich zu gestalten.


115.

Solch Hoffen, klein und schwach, weiß Mut zu bringen

Und hebt ihm die gedrückte Stimmung leicht.

Er spornt den Güldenzaum und läßt ihn springen,

Derweil der Sonnengott der Schwester weicht.

Bald sieht er Herdesrauch aus Häusern dringen,

Der um den höchsten Rand der Dächer streicht.

Vieh hört er brüllen, hört die Hunde bellen

Und kommt zum Hof, sich Wohnung zu bestellen.
[271]

116.

Matt steigt er ab und gibt, um ihn zu pflegen,

Den Hengst in eines wackern Knechtes Hut.

Ein andrer nimmt ihm Panzer, Helm und Degen,

Die goldnen Sporen, putzt ihm alles gut.

Das Haus ist's, wo verwundet einst gelegen

Medor und in des Glückes Schoß geruht.

Von Kummer satt und nicht von andern Dingen,

Läßt Roland sich sogleich zur Ruhe bringen.


117.

Doch Ruh' und Frieden ganz sich ihm versagen,

Zu Leid und Not hat alles sich gewandt:

Von den verhaßten Worten, die ihn plagen,

Ist jedes Fenster voll und Tür und Wand.

Er möchte gern, doch wagt er nicht zu fragen,

Weil dann am Ende jeder Zweifel schwand,

Und er noch Nebel will darüber decken,

Etwas zu mildern allzugroße Schrecken.


118.

Doch nützt ihm nicht, sich selber zu betrügen:

Man spricht zu ihm, ob stumm auch bleibt sein Mund.

Der Hirt bemerkt den Gram in seinen Zügen,

Und meldet, um ihn zu zerstreun, jetzund,

Was mancher schon vernommen mit Vergnügen

(Denn wer es hören will, dem tut er's kund):

Von dem verliebten Paare die Geschichte,

Und recht genau ist er mit dem Berichte.


119.

Wie er den Wunden in sein Haus getragen

Auf Bitten jenes schönen Mägdelein;

Wie sie geheilt ihn hab' in wenig Tagen,

In kurzer Zeit ihm stillend Schmerz und Pein;

Wie größre Wund' ihr Amor dann geschlagen

Und wie gemach ein Fünkchen, winzig klein,

Zu einem Feuer ward, das nichts mehr bannte

Und, sie verzehrend, ihr im Herzen brannte.
[272]

120.

Als Königskind, Sproß mächtigsten Geschlechtes,

Wie keins im Abendlande mochte sein,

Das Weib zu werden eines armen Knechtes,

Trieb sie der heißen Liebe holde Pein.

Und als Beweiseszeichen, als ein echtes,

Bringt dann der Hirt das Prachtjuwel herein,

Mit dem, als sie sich auf die Reise machte,

Angelika zum Danke ihn bedachte.


121.

Dem Beilhieb kann dies Ende sich vergleichen,

Wenn er das Haupt mit eins dem Hals entrafft,

Nachdem sich mit unzählig vielen Streichen

Scharfrichter Amor Sättigung verschafft.

Nach Fassung ringt der Graf, doch muß er weichen

– Er kann's nicht hehlen – solchen Schmerzes Kraft,

Gezwungen, ob er woll', ob nicht, mit Bächen

Von Tränen jäh in Stöhnen auszubrechen.


122.

Allein gelassen, als der Hirt gegangen,

Dem wilden Weh er freien Zügel gab,

Und von den Augen rann und von den Wangen

Ein Strom der Zähren auf die Brust herab:

Er wälzte sich mit Seufzern, tiefen, langen,

Auf seinem Bett und härmt' in Pein sich ab.

Das Lager möcht' er harte Kiesel nennen,

Und fühlt wie Nesseln heiß die Kissen brennen.


123.

Und plötzlich will sich der Gedanke regen,

Daß viele Mal' an dieser selben Stell'

Die undankbare Schöne wohl gelegen

Und in der Falschen Armen ihr Gesell.

Da springt er auf, als wär's von Geißelschlägen,

Und flieht aus den verhaßten Federn schnell,

Dem Bauer gleichend, der am Bergeshange

Zu ruhn gedacht und nahen sieht die Schlange.
[273]

124.

Das Bett, das Haus, der Hirt sind ihm zuwider,

Urplötzlich haßt er sie voll Bitterkeit.

Er wartet nicht, daß Luna kehre wieder,

Und harrt nicht auf die junge Morgenzeit;

Nein, Stahl und Eisen legt er um die Glieder

Und sprengt ins Dickicht in der Dunkelheit.

Sobald er fühlt, daß er allein im Freien,

Öffnet er Tür und Tor dem Schmerz mit Schreien.


125.

Er klagt und weint und gönnt sich keinen Frieden

Und hört bei Nacht nicht auf und nicht am Tag.

Jetzt werden Stadt und Dorf von ihm gemieden,

Im Freien liegt er, hart, im dichten Hag.

Er staunt, daß ihm ein Tränenquell beschieden,

Der also reich dem Aug' entströmen mag,

Und seltsam auch will ihm sein Seufzen scheinen,

Und zu sich selber spricht er dann mit Weinen:


126.

»Den Fluten, die sich aus dem Aug' ergießen,

Der Name Tränen fürder nicht gebührt,

Weil ungemildert meinen Schmerz sie ließen;

Der hat nur immer stärker sich gerührt.

Nein, Lebenssäfte sind's; von dannen schießen

Sie auf dem Wege, der durchs Auge führt,

Und führen, während sie von hinnen streben,

Von Glut gejagt, so Schmerzen mit wie Leben.


127.

Und die als Boten meines Schmerzes dringen

Zum Himmel auf, gar keine Seufzer sind.

Die Seufzer fehlen, die Erleichtrung bringen,

Denn nichts macht mir das Leid der Brust gelind.

Nein, Amor regt so mächtig seine Schwingen,

Die Gluten schürt der starken Flügel Wind.

Sprich, Amor, wie du dieses Wunder nennest,

Daß du das Herz mir sengst und nicht verbrennest!
[274]

128.

Nicht ich, nicht ich bin, was die Züge sagen.

Roland war das; tot ist er und im Grab.

Die falsche Herrin hat ihn ja erschlagen:

Den Todesstreich ihr Treuebruch ihm gab.

Ich bin sein Geist und muß in Qualen jagen

Durch diese Höll' – ach, immer – auf und ab.

Sein Schatten nur, der ist in mir zu schauen,

Zur Warnung allen, die auf Amor bauen.«


129.

So irrt er durch den Wald, bis morgens helle

Des Tages Leuchte flammt am Himmelstor.

Da führt ihn sein Geschick an jene Quelle,

Wo auf den Fels die Verse schrieb der Mohr.

Er liest am Berge seine Schmach – mit Schnelle

Schießt, alles sonst verdrängend, jetzt empor

Zum Haupt Wut, Haß und Grimm in heißen Wogen,

Und unverweilt hat er das Schwert gezogen.


130.

In Stücken nach den Wolken fliegt, zerhauen,

Der Felsen und mit ihm die böse Schrift.

Der Höhle weh! Der Säule auf den Auen

Und wo man sonst die beiden Namen trifft!

Vergebens wird fortan nach Kühlung schauen

Der Schäfer und die Herde von der Trift.

Sogar das Wasser hell und klar im Borne,

Es ist bedroht vom fürchterlichen Zorne.


131.

Denn unaufhörlich wirft er Zweig' und Steine

Und Klötz' und Stämm' und Stümpf' ins Wasser her,

Bis er von Grund aus trübt die Flut, die reine

(Und eine hellre kennt die Welt nicht mehr).

Matt stürzt er hin sodann am Bergesraine,

Von Schweiß erschlafft und keuchend tief und schwer.

Vor Grimm hat er nicht Atem mehr gefunden

Und stöhnt empor, vom Wüten überwunden.
[275]

132.

Er bleibt betrübt und müd im Grase liegen

Und starrt zum Himmel stumm und regungslos,

Ißt nicht, läßt sich durch nichts in Schlummer wiegen,

Und dreimal sinkt die Sonn' in Meeresschoß.

Die ihn zum Wahnsinn führten, sind gestiegen.

Nur immer mehr, die Qualen übergroß.

Im Wüten, als der vierte Tag erschienen,

Vom Leibe reißt er Schuppenring und Schienen.


133.

Dort ist der Helm, und weit getrennt vom Schilde;

Der Harnisch hier, die Halsberg' auf der Hald';

Und alles liegt (ich ende mit dem Bilde)

Recht durcheinander und zerstreut im Wald.

Die Kleider riß er ab: nackt zeigt der Wilde

Brust, Rücken, Bauch, die zottige Gestalt.

So tät die grimme Raserei entstehen,

Gräßlich, wie keine noch die Welt gesehen.


134.

Bande der Nacht sich um die Seele schlingen,

Die Wut hat seine Sinne hingerafft.

Er denkt nicht dran, sein gutes Schwert zu schwingen;

Sonst hätt' er, glaub' ich, Wunder schier geschafft.

Auch Beil und Axt nicht soll ihm Hilfe bringen,

Ihrer bedarf nicht seine Riesenkraft.

Und diese Kraft wird offenbar zur Stunde:

Ein Ruck reißt eine Ficht' aus ihrem Grunde.


135.

Er reißt heraus und bricht noch mehr dergleichen,

Als ob es Fenchel, Dill und Attich wär',

Und alten Ulmen geht es so und Eichen

Und Buchen, Eschen, Tannen ringsumher.

Dem Vogelsteller mag er sich vergleichen,

Der für die Netze macht die Stätte leer:

Wie der sucht Bins' und Nessel wegzuräumen,

Springt er mit Eichen um und andern Bäumen.
[276]

136.

Die Hirten, die vernommen dieses Krachen,

Dieweil die Herde grast an wald'gem Ort,

In aller Hast sich auf die Beine machen,

Um zu erkunden, was es gäbe dort. –

Doch sind an einem Punkt jetzund die Sachen,

Daß Ihr vielleicht genug habt; drum sofort,

Damit nicht Länge stör' und Langeweile,

Gedenk' ich auszusetzen eine Weile.

Quelle:
Ariosto, Ludovico: Der rasende Roland. In: Sämtliche poetischen Werke, Berlin 1922, Band 2, S. 242-277.
Lizenz:
Ausgewählte Ausgaben von
Der rasende Roland
Die Historia vom Rasenden Roland
Ludovico Ariosts Rasender Roland nacherzählt von Italo Calvino

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