Einunddreissigster Gesang

1.

Welch süßern, holdern Zustand könnt' es geben,

Als den die lieberfüllte Brust sich schafft?

Was bringt ein sel'ger, freudenreicher Leben,

Als sich zu finden in der Liebe Haft?

Wenn nicht die bösen Zweifel sich erheben,

Des Argwohns Stachel, jener Unheilskraft,

Mit Leid und Qualen, die das Herz zerreißen,

Der Wahn, die Tollheit: Eifersucht geheißen.


2.

Was sonst an Bitternis sich widersetzen

Mag dieser wonnigsten und größten Lust,

Vermehrt nur und erhöht noch das Ergetzen,

Der Liebe Reiz verfeinernd in der Brust.

Das Wasser wird viel mehr beim Durst uns letzen,

Hunger macht guter Speis' uns recht bewußt.

Wem nicht zuvor war Krieges Pein beschieden,

Der kennt und achtet nicht den holden Frieden.


3.

Man trägt es, wenn die Augen nicht erblicken,

Was allezeit die Seele doch gewahrt.

Wie sehr wird uns das Wiedersehn erquicken,

War die Geliebte fern auf weiter Fahrt!

In lange Knechtschaft selbst will man sich schicken,

Wofern der Hoffnung nur ein Plätzchen ward.

Wird treuer Dienst auch danklos hingenommen,

Und säumt der Lohn: er muß doch schließlich kommen.
[1]

4.

Ablehnung, Härte, Trotz, vermeintes Hassen,

Kurz, alle Liebesqual und Liebespein

Wird bald in der Erinnerung erblassen;

Wie mundet dir's, stellt Gutes spät sich ein!

Ließ aber von der Höllenpest sich fassen

Ein kranker Sinn, vergiftet wird er sein.

Wenn spätre Tage Lust und Freude brachten,

Der Kranke wird's nicht schätzen und nicht achten.


5.

Das ist die giftige, die schlimme Wunde,

Bei der kein Pflaster hilft, kein Heilgetränk,

Kein Spähn, ob gut und glücklich sei die Stunde;

Kein Sprüchlein, des die Hexe eingedenk,

Und keine Weisheit oder Zauberkunde,

Von Zoroaster selber ein Geschenk.

Die Wunde bringt unsäglich herbe Schmerzen:

Der Mensch muß sterben mit gebrochnem Herzen.


6.

O Weh, unheilbar, in die Seele windet

Es heimlich sich hinein mit Leichtigkeit

(Ob man Verdacht mit Recht, mit Unrecht findet)!

So grausam drückt den Menschen schweres Leid,

Daß die Vernunft und der Verstand verschwindet

Und ihm der Schmerz ein andres Aussehn leiht.

Ach, Eifersucht, du gingst, den frommen Glauben

(Wie sehr mit Unrecht!) Bradamante rauben!


7.

Nicht red' ich von dem Schmerz, den die Geschichte

Hippalkas und der Brüder ihr gebracht,

Vielmehr von einem häßlichen Berichte,

Den man ihr ein paar Tage drauf gemacht,

Vor diesem sank die erste ganz zunichte:

Wir haben seiner etwas später acht.

Zuvörderst von Rinald erzähl' ich heute:

Er führte nach Paris hin seine Leute.
[2]

8.

Am zweiten Abend sprengt auf dem Gefilde

Mit einer Dam' ein Reitersmann daher

In schwarzem Waffenkleid, mit schwarzem Schilde;

Ein weißer Streifen nur zog sich die Quer'.

Voraus ritt Richardet, der ganz dem Bilde

Kampffrohen Ritters glich: den fordert er.

Und da er niemals einen Strauß versagte,

So nahm er Feld, worauf er vorwärts jagte.


9.

Stumm, ohn' ein einzig Wort zum Streite gehen

Die beiden Ritter, fragen sich nicht aus.

Rinald und all die Seinen bleiben stehen

Und warten, wie verlaufen mag der Strauß.

»Den werden wir jetzt gleich am Boden sehen,

Find' ich mein Fleckchen nur an ihm heraus«,

Sprach Richardet zu sich in aller Stille;

Allein ganz anders war des Schicksals Wille.


10.

Denn auf den Helm traf ihn der fremde Streiter,

Und unter dem Visier, mit solchem Stoß –

Aus seinem Sattel flog der junge Reiter,

Und die Entfernung war zwei Lanzen groß.

Sogleich sprengt, ihn zu rächen, vor als Zweiter

Alard und liegt betäubt gleich auf dem Moos,

Übel verstaucht: der Schild ist ihm gespalten,

So wuchtig sah man jenen Fremden schalten.


11.

Herr Guiscard eilt die Lanze einzulegen,

Als jene fielen von des Speers Gewalt,

Umsonst ruft: »Ich bin dran!« Rinald, der Degen,

»Als Dritter: du sollst bleiben, halte, halt!«

Doch Guiscard sprengt dem Rittersmann entgegen,

Eh noch den Helm hat umgeknüpft Rinald.

Indes auch Guiscard wußte nicht zu siegen,

Er muß als Dritter auf dem Boden liegen.
[3]

12.

Nun rühren die drei andern auch die Hände,

Herr Richard, Malegis und Vivian;

Allein Rinald macht ihrem Streit ein Ende:

In Wehr vor allen kommt er nun heran;

»Zeit ist es, daß man nach Paris sich wende:

Zu lange währt' es, ließ ich Mann für Mann

Euch alle miteinand zum Kampfe gehen,

Um euch der Reih' nach hingestreckt zu sehen.«


13.

Er sprach's bei sich: es wurde nicht vernommen,

Denn kränkend würd' es für die andern sein.

Nun haben beide Herren Feld genommen

Und dringen mächtig aufeinander ein.

Rinald ist nicht vom Stoß zu Fall gekommen:

Die andern alle wiegt er auf allein.

Wie Glas zerbrochen fort die Speere fliegen,

Ohne daß zollbreit sich die Ritter biegen.


14.

Den beiden Rossen schuf der Stoß Beschwerde;

Sie stürzen auf den Grund vom argen Prall.

Bajard erhebt sogleich sich von der Erde:

Kaum unterbrach den Lauf ihm dieser Fall.

Doch mißlicher erging's dem andern Pferde,

Denn Bug und Rückgrat sind zerschmettert all.

Vom toten Tier hat sich der Herr geschwungen

Und auf die Füße rasch ist er gesprungen.


15.

Zum Haimonssprossen, der mit leeren Händen

Schon fort sich wandte, sprach er: »Herr, das Tier,

Das dir in Sinn kam, in den Tod zu senden,

Und das im Leben wert und teuer mir, –

Müßt' es – so mein' ich – ungerächt verenden,

Für mich wär's eine Pflichtversäumung schier.

Komm her! und wohl zu kämpfen dich bereite,

Denn stehen sollst du mir im ernsten Streite!«
[4]

16.

Rinald versetzte: »Kam das Tier ums Leben

Und lockt kein andrer Grund dich zum Gefecht,

Mag man aus meiner Schar ein Pferd dir geben,

Du wirst es finden, denk' ich, grade recht.«

Der andre drauf: »Du mißverstehst mich eben,

Um einen Gaul bekümmer ich mich schlecht.

Willst du vom Wink dich nicht belehren lassen,

So muß ich, scheint es, deutlicher mich fassen.


17.

Mir däucht's ein Fehler – dieses möcht' ich sagen –,

Erprobt ich dich nicht auch mit meinem Schwert,

Zu sehn, ob du verstehn wirst, mich zu schlagen

Im neuen Tanz, ob mir der Kranz beschert.

Steig ab nun oder laß vom Pferd dich tragen!

Wenn nur die Hand den Reigen nicht verwehrt!

Um mit dem Schwert erproben dich zu können,

Will ich dir gerne jeden Vorteil gönnen.«


18.

Nicht lange hielt Rinald ihn in der Schwebe

Und sprach: »Wohl, ich verspreche dir die Schlacht.

Damit die Schar dir nicht Besorgnis gebe,

Und deinen Sinn durchkreuze kein Verdacht,

Will ich, daß jene sich von dannen hebe:

Ein Knappe nur soll bleiben hier und acht

Derweil auf diesen meinen Renner haben.«

Er sprach's und ließ die andern weitertraben.


19.

Der Fremde sah den Paladin entfalten

So hohen Rittersinn – und lobt' es sehr.

Rinald stieg ab, ließ von dem Knappen halten

Das Streitroß Bajard, seine gute Mähr'.

Und als nun ferner schon die Fähnlein wallten

(Sie schwanden beider Blicken immer mehr),

Den Schild ergriff er, und den Degen schwang er,

Und auf den Fremden ein zum Angriff drang er.
[5]

20.

Und nun begann ein urgewaltig Streiten,

Wie man es mächtiger noch niemals fand:

Die Kämpfer staunten – just zu gleichen Zeiten –

Über des Gegners zähen Widerstand:

Sie hielten immer Schritt auf beiden Seiten.

Als keiner fröhlich, keiner traurig stand,

Da ließen sie den Stolz und Ärger fahren,

So daß sie nur bedacht auf Vorteil waren.


21.

Von schweren Hieben dröhnen die Gefilde,

Und laut wird ringsumher das Echo wach:

Die Kanten fliegen ab vom dicken Schilde,

Von Schupp' und Eisenring mit lautem Krach.

Parieren gilt's, nicht Hauen stark und milde,

Sonst steht der eine leicht dem andern nach.

Es kostet ew'gen Schaden oder Leben,

Hat man die erste Blöße sich gegeben.


22.

Sie kämpften fast zwei Stunden ohn' Ermatten,

Bis schon im Meer der Sonnenball verschwand.

Lang ausgebreitet lag der finstre Schatten

Am Horizont, bis an den fernsten Rand,

Und nie geruht und nie gerastet hatten

Die Krieger mit der stahlbewehrten Hand,

Das Paar, das nicht von Groll und Hassestrieben,

Nein, nur von Ehre ward zum Kampf getrieben.


23.

Inzwischen sinnt Rinald, wer wohl der Degen

Sein möge, dieser fremde Rittersmann,

Der nicht nur stand ihm hält kühn und verwegen,

Nein, oft den Tod ihm schon zu drohn begann

Und ihm so heiß macht, daß sich Zweifel regen,

Was wohl des Kampfes Ende werden kann,

Und daß er gern bereit zum Schlusse wäre,

Wenn sich's vereinen ließe mit der Ehre.
[6]

24.

Der fremde Ritter auf der andern Seite

(Ihm machte noch bis jetzt kein Ahnen kund,

Daß Herr Rinald, dem Ruhm gab das Geleite

Zu aller Heldenschaft im Erdenrund,

Mit nacktem Schwert ihn hier bedräu' im Streite,

Und zwar um so geringen Feindschaftsgrund),

War sicher, daß von einem größern Helden

Kein Buch des Waffenruhmes könne melden.


25.

Er wünschte jetzt vom Handel abzustehen

Und seiner Rache für das tote Pferd,

Und, könnt' es ohne Tadel nur geschehen,

Hätt' er dem Tanz den Rücken gern gekehrt.

Die Hiebe müssen jetzt daneben gehen,

Weil Finsternis schon durch die Lande fährt.

Sie können nicht parieren, kaum noch hauen,

Weil sie das Schwert nicht in den Händen schauen.


26.

Rinald war's, der zuerst den Vorschlag machte,

Den Kampf zu lassen auf dem dunklen Feld;

Bis seinen Lauf der träge Stern vollbrachte,

Arctur, sei alle Feindschaft eingestellt;

Worauf er ihn als Gast zu haben dachte:

Er finde Sicherheit in seinem Zelt,

Bedienung und Willkomm mit reichen Ehren;

Und rät ihm, nicht woanders einzukehren.


27.

Er brauchte nicht geraume Zeit zu bitten,

Der edle Ritter nahm die Ladung an,

Worauf selband zur Schar Rinalds sie schritten,

Die schon gelagert war auf sicherm Plan.

Ein schönes Pferd – ein Knapp' hatt' es geritten –

Nahm dort Rinald, voll Kraft und wohlgetan,

Zu Schwert- und Speergebrauch im Kampfesreigen

Und gab's dem fremden Rittersmann zu eigen.
[7]

28.

Der Fremde hatt' inzwischen doch erfahren,

Daß es Rinald sei; solches ward ihm klar,

Als jenem selber war der Nam' entfahren,

Eh er ins Zelt trat zu der andern Schar.

Nun überkam ihn, weil sie Brüder waren,

Ein süß Gefühl im Busen, wunderbar:

Er weint, das Herz ergriffen von Bewegung,

Vor Lust und Lieb' und heller Freude Regung.


29.

Guido, der wilde, war's, den als Genossen

Marfisa hatte auf des Meeres Well',

Und Samsonet, von Oliver die Sprossen,

Wie's Euch berichtet ward an andrer Stell'.

Und daß viel Zeit, bis er nun kam, verflossen,

Daran war schuld der arge Pinabel,

Der ihn gefangennahm, um ihn zu zwingen,

Zur Geltung dort sein schlimm Gesetz zu bringen.


30.

Er hört, dies sei Rinald, der schlachtbewährte,

Von dem die ganze Welt bewundernd spricht,

Und den zu schaun er heißer ja begehrte

Als ein Erblindeter verlornes Licht, –

Und ruft erfreut: »Daß mir das Los bescherte,

Euch zu bekämpfen, dessen Angesicht

Ich lange hab' ersehnt mit heißem Triebe

Und den ich über alles ehr' und liebe!


31.

Guido bin ich: an Schwarzen Meers Gestade,

Am fernsten Rand, Konstanze mich gebar.

Ich rühm' mich hohen Stamms, wie Ihr gerade:

Haimon, der edle Held, mein Vater war.

Die Sehnsucht trieb mich fort die weiten Pfade,

Nach Euch und all den andern unsrer Schar.

Da, wo ich kam, um Ehrfurcht Euch zu zollen,

Hab' ich Beleidigung nun bringen sollen!
[8]

32.

Mir komme die Entschuldigung zugute:

Ich kannt' Euch selbst und auch die andern nicht!

Und Sühne zahl' ich Euch mit frohem Mute;

O nennt sie mir! Gehorchen ist mir Pflicht.«

Nachdem nun schließlich das Umarmen ruhte,

Das stets erneute, Herr Rinaldo spricht:

»Nun wollet der Entschuldigung vergessen,

Daß wir in einem Kampfe uns gemessen!


33.

Um darzutun und klar zu zeigen eben,

Daß Ihr von unserm Stamm ein echtes Reis,

Kein besser Zeugnis könnt' es wahrlich geben;

Der große Wert war deutlichster Beweis.

Wär' Eure Art mehr friedlich, glatt und eben,

Unglaube regte dann vielleicht sich leis.

Nicht von der Hindin kann der Leu entspringen,

Die Taube wird nicht Aar noch Falken bringen.«


34.

Sie lassen nicht vom Sprechen ab im Reiten

Und setzen ihren Weg beim Reden fort

Und kommen, wo die Zelte sie bereiten:

Den Seinen meldet da Rinald sofort,

Dies sei Herr Guido, den seit langen Zeiten

Sie zu erblicken wünschten, und dies Wort

Schuf gleich Bewegung, eine freudenreiche:

Sie fanden all, daß er dem Vater gleiche.


35.

Nicht meld' ich weiter, wie sie ihn empfingen,

Alard und Richardet und andre mehr,

Wie Malegis, Vivian ihn grüßen gingen,

Und gleicherweis der Vetter Aldiger;

Wie sie ihn ehrten hoch in allen Dingen;

Was sie gesprochen und dann wieder er;

Ich sage nur: es ging recht gut vonstatten,

Weil alle von der Sipp' ihn gerne hatten.
[9]

36.

Wohl würde Guido stets von seinen Leuten

Begrüßt, das weiß ich ja, mit Herzlichkeit;

Doch um des großen Werkes willen freuten

Sie sich wohl mehr noch als in andrer Zeit.

Als früh die jungen Strahlen sich erneuten,

Ihr goldnes Licht vergießend weit und breit,

Sahn sie, wie Guido sich zum Waffenstreite

Mit Brüdern, Vettern unters Banner reihte.


37.

Zwei Tage lang nun hieß es vorwärts eilen,

Bis der umringten Stadt am Seinestrand

Sie nahgekommen sind auf wenig Meilen.

Das Fähnlein hatte gutes Glück: es fand

Die Brüder, die gar hohen Ruhm sich teilen:

Den weißen Grifon und Herrn Aquilant,

Den schwarzen, weitgenannt als Kampfgenossen,

Gismonda und Herrn Oliver entsprossen.


38.

Mit einem jungen Fräulein sprachen beide,

Das war dem Aussehn nach von hohem Stand

Und trug ein weißes Kleid aus feiner Seide,

Mit goldnem Streifen hübsch verbrämt am Rand.

An Schönheit, Anmut eine Augenweide,

War sie voll Trauer, weinte unverwandt,

Und man erkannt' an Antlitz und Gebärde,

Daß hier von Wichtigem gesprochen werde.


39.

Gesellt war Guido noch vor ein paar Tagen

Den beiden Brüdern, und so kannt er sie;

»Seht dort die beiden!« hört Rinald ihn sagen;

»An Heldenschaft erreichen wen'ge die.

Wenn sie mit uns jetzt auf die Mohren schlagen,

So dächt' ich, daß es denen schlecht gedieh.

Rinald hat gleiche Meinung von den zweien

Und sagt, daß es erlesne Krieger seien.«
[10]

40.

Er hat an der gewohnten Tracht derweilen

Die Helden schon von fern erkannt: er weiß,

Es schmückt sie reiche Tracht, wo sie nur weilen:

Schwarz geht der eine und der andre weiß.

Man sieht, daß drüben beide sich beeilen:

Und Freude zeigen sie auf jede Weis',

Rinald wie einen guten Freund umfassend

Und ganz den alten Haß beiseite lassend.


41.

Lang ist es her, daß jener Zwist entbrannte

Um Truffaldin (was ich nicht melden kann),

So daß man jetzt nur Lieb' und Freundschaft kannte:

Sie herzten sich, der alte Groll zerrann,

Worauf Rinald zu Samsonet sich wandte

(Der kam ein wenig später erst heran)

Und Ehr' ihm zollte, wie sie dem gebührte,

Der einen solchen Heldennamen führte.


42.

Des Fräuleins Blick ruht auf Rinaldos Mienen;

Dann meldet sie (denn sie erkannt' ihn gleich,

Weil wohlvertraut mit allen Paladinen)

Ihm eine Nachricht schwer und schmerzenreich:

»Dein Vetter, den wir stets der Kirche dienen

Sahn«, also sprach sie, »und dem hohen Reich,

Roland, ist toll, der hochgeehrte, weise,

Und macht im Wahnsinn durch die Welt die Reise.


43.

Was diesen argen Zustand hat geschaffen,

Ich weiß es nicht: mir ward's nicht aufgehellt.

Ich sah sein Schwert nur und die andern Waffen,

Umhergestreut von ihm, auf einem Feld;

Sah einen Ritter sie zusammenraffen:

Der hat darauf sie sorglich aufgestellt.

Er ließ sie alle wie Trophäen prangen,

Gar stolz und schön von einem Baume hangen.
[11]

44.

Doch fortgenommen wurde von dem Sohne

Des Agrikan das Schwert am gleichen Tag.

Du kannst ermessen, Herr, wie das zum Hohne

Der ganzen Christenheit gereichen mag,

Daß Durendal aufs neu den Heiden frone,

In deren Banden sie schon einmal lag.

Auch Güldenzaum, der, wo die Waffen waren,

Frei schweifte, ward geraubt von dem Tataren.


45.

Vor ein paar Tagen sah ich Roland rennen;

Schamlos und sinnlos, nackt lief er umher,

Mit Heulen, Schreien, gräßlich schier zu nennen;

Kurzum, ich sage dir: verrückt ist er.

Wär's nicht, daß meine Augen gut ihn kennen,

So Greuliches, ich glaubt' es nimmermehr.«

Sie kündet, wie von Rodomont umschlungen,

Er von der Brücke war hinabgesprungen.


46.

»Scheint einer mir dem Grafen wohlgewogen,

Dem sag' ich dies«, so fuhr sie weiter fort:

»Ob jemand nicht, von Mitgefühl bewogen,

Versuchen möge, daß der Arme dort

Zur Heilung werde nach Paris gezogen

Oder auch sonst nach einem Freundesort.

Bereit zu helfen Brandimarte wäre,

Das weiß ich sicher, hört er diese Märe.«


47.

Und Flordelis (der Brandimart ergeben

In heißer Liebe), war die edle Dam'.

Sie wollt', ihn suchend, nach der Seine streben,

Wobei von ihr die Ritterschar vernahm,

Daß es zu Zwist und Kampf auf Tod und Leben

Zwischen Gradaß und dem Tataren kam:

Und daß, als Mandrikard sein Blut gelassen,

Die Wehre Durendal fiel an Gradassen.
[12]

48.

Manch Seufzer tief und Weheruf entwindet

Sich Herrn Rinald beim kläglichen Bericht:

Das Herz im Leibe schmilzt ihm und entschwindet,

Wie Eis zerschmilzt bei warmem Sonnenlicht;

Und suchen will er, bis er Roland findet;

Drauf ist, unwandelbar, sein Sinn gericht't!

Er hofft, sei nur der Paladin gefunden,

Werd' er von seiner Tollheit schon gesunden.


49.

Doch, weil Verstärkung kam in seine Reihen

(Ob das nun Fügung, ob es Zufall war),

Wollt er zuerst die Stadt Paris befreien,

Von ihr verjagen alle Mohrenschar;

Und zwar, nachdem genaht die Schatten seien

Der tiefen Nacht – den Vorteil nimmt er wahr –,

Wenn erst die dritte, vierte Wacht verflossen

Und Lethes Flut vom Schlaf sei ausgegossen.


50.

Im Wald versteckt hielt er sein Volk so lange,

Bis auch der letzte Rest des Tags verschwand;

Doch als die Welt im Dunkel schwer und bange

Und fern im Meer die Sonne sich befand

Und Bär und Bock und giftelose Schlange

Und anderes Getier am Himmel stand,

Verhüllt erst durch des großen Lichts Gefunkel,

Führt' er die Schar im stillen durch das Dunkel


51.

Und kam mit Grifon, Alard, Aquilante,

Guido, dem wilden, auch und Vivian

Und Samsonet, der hell vor Eifer brannte,

Lautlos, mit leisem Tritt zur Stell' heran,

Wo schlafend lag die Wacht des Agramante:

Getötet werden alle, Mann für Mann.

Nun gilt's, das andre Mohrenvolk bestehen:

Sie werden nicht gehört und nicht gesehen.
[13]

52.

So unversehns gepackt, beim ersten Pralle

Ward aufgerieben diese ganze Wacht:

Kein einz'ger lebt, erschlagen liegen alle.

Nachdem der Vorhut ward dies End' gemacht,

Steht's für die Mohren schlimm in jedem Falle

Und keiner ist zu sehn, der jetzt noch lacht.

Schlaftrunken, bang und furchtsam, ohne Waffen,

Geben sie solchen Kriegern nicht zu schaffen.


53.

Rinald läßt, mehr Entsetzen noch zu bringen,

Miteinemmal, beim ersten Überfall,

Gewaltig Hörner und Drommeten klingen

Und seinen Namen schrein mit lautem Schall.

Er spornt Bajard, läßt ihn hinüberspringen

Ins Lager, hoch ob Pallisad' und Wall,

Wirft Reiter um, zerstampft des Fußvolks Glieder

Und schmettert Zelte und Baracken nieder.


54.

Dem kühnsten Mann geht da der Mut verloren,

Und bleich Entsetzen sträubt das Haar bergan,

Als ihm der Schreckensruf dröhnt in die Ohren,

Der grausige: »Rinald von Montalban!«

Da flieht der Spanier mit den Libyermohren

Und nimmt nicht Zeit zu sorgen für Gespann.

Erwarten wollen nicht die bangen Scharen

Die Wut, die sie gar schmerzlich schon erfahren.


55.

Nicht minder stark haut Guido auf die Heiden,

Die Sprossen gleicherweis des Oliver,

Alard und Richardet, die andern beiden:

Gewaltig stürmt Herr Samsonet daher.

Hei, wie so mächtig jetzt die Klingen schneiden

Von Vivian und auch von Aldiger!

Und überall, wo Clermonts Banner wehen,

Die Krieger mit dem alten Ruhm bestehen.
[14]

56.

Von denen, die in Schloß und Dörfern wohnen,

Hat siebenhundert bei sich Herr Rinald.

Sie tragen Waffen wie die Myrmidonen

Achills, zu jeder Zeit, sei's warm, sei's kalt,

Und ihrer hundert scheun nicht Legionen,

So trauen sie des starken Arms Gewalt,

Und viele sind von diesen Kampfgesellen,

Die sehr berühmte Herrn in Schatten stellen.


57.

War auch Rinald nicht überreich an Golde,

An Schätzen nicht und stolzer Städte Pracht,

So machten Wort und Miene, freundlich holde,

Und weil er auch zu spenden stets bedacht,

Daß nie ein andrer Herr mit höherm Solde

Einen verlockte seiner Kriegermacht.

Er war von Montalban nur, wenn es nötig,

Zu einem Zug mit dieser Schar erbötig.


58.

Jetzt aber – daß Herrn Karl geholfen werde –

Ließ er in kleiner Hut sein Montalban;

Dem Afrikaner bringt die Schar Beschwerde,

Die ich besing' auf ihrer Ruhmesbahn;

Denn ihm geschah, was oft der Wolf der Herde

Tut auf phalantischen Galesus' Plan

Oder der Leu dem Bärt'gen, am Gestade

Des wilden Cynips, auf dem Beutepfade.


59.

Karl, der zuvor hat von Rinald erfahren,

Daß er sich nahe bei Paris befand,

Zu nächt'gem Überfall auf die Barbaren,

Zur rechten Zeit des Tags gerüstet stand.

Er kam Rinald zu Hilfe mit den Scharen

Und Paladinen, samt des Monodant,

Des mächt'gen, Sohn, dem kühnen Brandimarte,

Der treuen Sinnes der Geliebten harrte.
[15]

60.

Sie hatte viele Tag' auf weiten Wegen

Nach ihm gesucht ringsum im Frankenreich:

Am Wappenzeichen kannte sie den Degen,

Das stets er trug, aus weiter Ferne gleich.

Und Brandimart kam eilig ihr entgegen

Und ließ den Krieg und wurde gut und weich,

Sie hold mit tausend Küssen zu umschlingen

(Ein paar nur sind in Abzug wohl zu bringen).


61.

Zu Fraun und Mädchen hatte man Vertrauen

In jenen Zeiten stets in hohem Grad:

Sie gingen ungeleitet durch die Auen,

Durch Berg und Täler, oft auf wildem Pfad,

Und waren nach der Rückkehr lieb zu schauen

Und schön, und keiner dachte an Verrat.

Der Ritter hört aus der Geliebten Munde

Von Roland von Anglant die trübe Kunde.


62.

Den andern Leuten glauben, was die Traute

Ihm Schlimmes sagt, das könnt' er nimmermehr:

Allein auf seine Flordelis, da baute

Er fest (und noch ganz andres glaubt er der),

Die ihm nicht nur, was sie gehört, vertraute:

Vor ihren Augen kam der Narr daher.

Sie kannte Roland ja, sah, was sein Los war,

Und meldet ihm ganz deutlich, wann und wo's war.


63.

Und von der Brücke weiß sie zu berichten,

Wo Rodomont den Übergang bewacht,

Und wie er dort ein Grabmal läßt errichten

Und es verziert mit der Besiegten Tracht.

Von Roland sah sie Dinge – kaum erdichten

Ließ sich, was er vor ihrem Aug' vollbracht;

Wie er den Mohr ließ in der Flut versinken

Und selbst dabei Gefahr lief zu ertrinken.
[16]

64.

Er liebt den Grafen, wie man Gutgesellen,

Dem Bruder oder Sohn ist zugetan:

Entschlossen ist er, alles anzustellen

(Durch Not und Leid verfolgt er seine Bahn),

Bis daß durch Ärzte, Magier, Zauberquellen

Dem bösen Wahnsinn Einhalt sei getan;

Drum, wie er war, im Sattel, ohne Mannen,

Ritt er mit der Geliebten stracks von dannen.


65.

Hin, wo die Dame jüngst ihn noch gesehen,

Wird von dem treuen Paar der Weg gemacht:

Sie reiten unablässig, bis sie stehen,

Wo Algiers stolzer König hält die Wacht.

Der Wächter läßt ein Zeichen rasch ergehen:

Das hat den Rodomont ins Feld gebracht,

Mit Roß und Wehr, gerad, als dort am Stege

Ihm Ritter Brandimart kommt ins Gehege.


66.

Der Heide ruft mit wuterfüllter Stimme:

»Wer du auch sein magst, steig herab vom Pferd,

Ob du verirrt dich hast, ob dir das schlimme

Geschick mit Wahnsinn hat das Hirn versehrt!

Die Rüstung gib! Sonst fällst du meinem Grimme.

Und hier das Grabmal sei von dir verehrt,

Bevor dich ohne Gnade packt Verderben:

Ein Opfer ihrer Schatten, mußt du sterben.«


67.

Der ließ zu keiner Antwort sich bewegen;

Der Speer gibt sie dem stolzen Mann allein:

Vor stürmt auf seinem Roß Batold der Degen

Und legt so herzhaft seine Lanze ein:

Man sieht, an hohem Mut ihm überlegen

Kann kaum ein Ritter auf der Erde sein.

Im vollen Lauf mit vorgestreckter Lanze

Kommt Rodomont auf engem Steg zum Tanze.
[17]

68.

Sein Renner, der das Brücklein oft beschritten,

Drauf abgerichtet, daß zur Wasserflut

Durch ihn die Kämpfer in die Tiefe glitten,

Kam her zum Waffenstrauß mit sicherm Mut.

Das andre Tier ging mit besorgten Tritten,

Schwankend und zitternd, immer auf der Hut.

Der Steg auch bebt, es neigen sich die Ränder;

Eng ist die Bahn – und nirgends ein Geländer!


69.

Die Ritter, die den Kampf gleichgut verstanden

Und Speere hatten wie die Balken groß,

So wie sie einst im Waldesgrunde standen,

Stachen nicht zärtlich aufeinander los.

Daß sie die Pferde gut und kräftig fanden,

Das half nicht viel bei so gewalt'gem Stoß:

Die beiden Tiere schlagen um und fallen,

Daß sie mit ihrem Herrn zum Knäul sich ballen.


70.

Sie suchen hastig wieder aufzustehen,

So wie die Sporen heischen in der Seit':

Da ist kein Platz mehr auf dem Weg zu sehen,

Raum für die Füße keine Spanne breit.

Zur Tiefe – durch ein gleich Verhängnis – gehen

Sie miteinand: es dröhnt der Himmel weit,

Wie einst von unserm Fluß, als in die Wogen

Des Lichtes schlechter Lenker kam geflogen.


71.

Mit dem Gewicht sank jedes Tier zur Tiefe

Des Reiters (der gar fest im Sattel stund),

Zu suchen, ob kein schönes Nixchen schliefe

Verborgen unten auf des Stromes Grund.

's wär' nicht das erstemal, daß so verliefe

Das Ding für Rodomont; zu mancher Stund'

Ist er mit seinem Hengst hinabgefahren.

Er wußte, wie des Flusses Strecken waren:
[18]

72.

Die festen kannt' er und die weichen Stellen,

Wo tief des Wassers Grund, wo wieder seicht.

Kopf, Brust und Seiten hebt er aus den Wellen

Und kommt in Vorteil vor dem Gegner leicht.

Der treibt im Kreise mit des Stromes Schnellen:

Das Roß, dem unterm Huf der Boden weicht,

Gräbt tief sich ein und will im Schlamm versinken.

Schon drohen Roß und Reiter zu ertrinken.


73.

Die Welle steigt: kopfüber fortgeschoben,

Treibt Roß und Mann zur tiefsten Stelle hin;

Der Renner unten, Brandimart liegt oben.

Da hat vom Steg mit tiefbetrübtem Sinn,

Und weinend Flordelis die Stimm' erhoben:

»Ach, Rodomont! Bei ihr, der Dulderin,

Die du noch tot verehrst! – erhör' mein Flehen:

Laß nicht den Ritter elend untergehen!


74.

Ließt du dein Herz von Liebe je bewegen –

Ich lieb' ihn – edler Mann, erbarm' dich mein! –,

Genüg' es dir, in Kerker ihn zu legen;

Mit seinem Wappen schmücke deinen Stein!

Gewannst du Beute dir mit Schwertesschlägen,

Wird dies die würdigste, die schönste, sein.«

Sie sprach so trefflich, daß sie diesen grimmen

Barbarenfürsten wußte umzustimmen,


75.

Und eilig hin zu ihrem Liebsten sprang er,

Den unterm Roß begrub das Wellenspiel

(Hinüber fast ins dunkle Jenseits drang er,

Denn ohne Durst, ach, trank er allzu viel):

Dem Sinkenden erst Schwert und Helm entrang er,

Eh ihm zu helfen Rodomont gefiel.

Dann zog er ihn heraus und ließ ihn wandern,

Halbtot, in seinen Turm zu vielen andern.
[19]

76.

Der Dame kam die Freudigkeit abhanden,

Als im Gefängnis saß der teure Mann.

Allein, sie wußt' ihn lieber doch in Banden,

Als daß der Tod ihn dort im Fluß gewann.

Die eignen Fehler ihr vor Augen standen,

Und weinend klagte sie der Schuld sich an,

Weil sie erzählte, daß den tollen Grafen

Am bösen Brücklein ihre Blicke trafen.


77.

Sie geht von hinnen, geht in tiefem Sinnen,

Und nimmt sich vor, Rinald den Paladin,

Sei's Samsonet, sei's Guido zu gewinnen,

Sei's irgendwen vom Hofe des Pipin,

Wie Rodomont mit Mut im Herzen drinnen,

Den schweren Kampf zu wagen wider ihn,

Reicher an Gunst des Glücks, wenn nicht an Stärke,

Als Brandimart es war bei diesem Werke.


78.

Tage vergehn, und keiner will sich zeigen

Von jenem Schlag, wie sie den Mann sich denkt,

Der mit dem Mohr vollführe so den Reigen,

Daß ihrem Freund die Freiheit sei geschenkt.

Sie sucht und sucht, wem solcher Wert wohl eigen,

Bis einer doch daher die Schritte lenkt:

In reich geschmücktem Kleid sah man ihn prangen,

Darauf Zypressen schön zur Höhe drangen.


79.

Erlaubt, daß ich, wer's war, Euch später sage;

Ich wende mich zuvörderst nach Paris

Und melde von der großen Niederlage

Der Mohren durch Rinald und Malegis.

Weiß nicht, wie viele flohn an diesem Tage,

Wieviel zum Styx hinab das Eisen stieß.

Gern wär' Turpin ans Zählen wohl gegangen,

Allein im Dunkeln war nichts anzufangen.
[20]

80.

Im Zelt im ersten Schlaf lag Agramante.

Um ihn zu wecken, trat ein Ritter ein:

Wer nicht zur allerschnellsten Flucht sich wandte,

Sagt er, der werde bald gefangen sein.

Der König sah sich um, und er erkannte

Verwirrung mit Bestürzung im Verein:

Sie flohen kopflos, nackt und ohne Waffen;

Es fehlte Zeit, den Schild nur aufzuraffen.


81.

Als er in seinen Harnisch war gefahren,

Verwirrt und ratlos ob so großer Not,

Kam Falsiron und der den Kriegerscharen

Grandons, des toten Königs, jetzt gebot.

Sie und noch andre zeigten die Gefahren,

Gefangen hierzubleiben oder tot.

Von Glücke könn' Herr Agramante sagen,

Geling's, das Leben nur davonzutragen.


82.

So spricht Marsil und so die Fürsten alle,

Darunter auch der wackre Fürst Sobrin:

Daß nicht Rinald und Tod ihn überfalle,

In aller Schnelle gelt' es zu entfliehn,

Denn wenn der Schwarm von Kriegern auf ihn pralle

Mit ihrem Herrn, dem grimmen Paladin,

Gefangen blieben sie in seinen Händen,

Wenn sie den Tod nicht allzusammen fänden.


83.

Den Weg nach Arles und auf Narbonne zu hätte

Er jetzt noch offen für das kleine Heer;

Fortführen könnten diese guten Städte

Den Krieg, und wenn's auf lange Zeiten wär'.

Und wenn er nur zunächst sich selber rette,

Könn' er auf Rache sinnen, furchtbar schwer,

Indem er rasch ein neues Heer bereite:

Dann sieg' er wohl noch über Karl im Streite.
[21]

84.

Gezwungen ist der König, nachzugeben,

Schafft ihm der Aufbruch gleich gar bittres Leid.

Er geht (und Flügel, traun, scheint er zu heben)

Auf sicherm Weg nach Arles zur rechten Zeit.

Ein Glück für alle, daß sie rückwärts streben

Mit guten Führern und in Dunkelheit.

Es waren zwanzigtausend wohl, ich schätze,

Die so Rinald entschlüpften aus dem Netze.


85.

Wieviel durch ihn und seine Brüder sanken,

Und durch die jungen Herren von Vian;

Wieviele durch die siebenhundert Franken,

Die Mannen des Rinald von Montalban,

Wieviel durch Samsonet, wieviel ertranken,

Als in die Seine sie den Sprung getan, –

Wer's sagen könnte, dürft' es auch erwählen,

Die Blüten all im Mond April zu zählen.


86.

Mancheiner sagt, es habe teilgenommen

Auch Malegis am Siege dieser Nacht;

Nicht, daß durch ihn das Feld im Blut geschwommen,

Und er viel Mohren hätte umgebracht,

Nein, aus den Höllenschlünden ließ er kommen

Teuflische Geister her durch Zaubermacht

Mit soviel Lanzen, Fahnen und Panieren,

Als in zwei Frankenreichen aufmarschieren.


87.

Soviel Drommeten, Trommeln ließ er klingen

Und Töne von verschiedenem Metall,

Töne von Rossen, die mit Wiehern springen,

Getümmel wie von Fußvolk, Stimmenschwall –:

Daß Berg und Täler an zu beben fingen

Bis weit hinaus, vom mächt'gen Widerhall, –

Und blasse Furcht ergriff die Mohrenrecken:

Sie wandten sich zum Fliehen voller Schrecken.
[22]

88.

Der König dachte Rogers auch, des wunden,

Der in Gefahr noch war und Schmerzen litt:

Man legt' ihn, eingeschnürt und wohl verbunden,

Sanft auf ein Pferd mit weichem, leisem Tritt.

Als man sich dann auf sicherm Pfad gefunden,

In einer Sänfte führte man ihn mit,

Um ihn bequem nach Arles der Stadt zu schaffen,

Wo alles Volk zusammenkam in Waffen.


89.

Die also vor Rinald und Karl verschwanden

(Es waren hunderttausend wohl am Ort),

Durch Berg und Tal, wo Busch und Wälder standen,

Da flohn sie wild vom Volk der Franken fort;

Die meisten, die den Pfad geschlossen fanden,

Machten den grünen Grund zu rotem dort.

Der Serikanerkönig tat's mitnichten,

Gewohnt, auf höhern Plan das Ziel zu richten.


90.

Sobald er von dem Ansturm hörte sagen,

Und daß am Platz Rinald von Montalban,

Da schwoll sein Herz von innigem Behagen:

Er fängt vor Freude gar zu tanzen an,

Preist seinen Stern: zum Heil sei ausgeschlagen

Ihm alles, hofft, daß er gewinnen kann

Bajard das Roß in dieser nächt'gen Stunde,

Dem keins vergleichbar auf dem Erdenrunde.


91.

Es war sein Wunsch ja schon seit langen Zeiten

(Ich glaub', Ihr last dies schon vorher einmal),

Den auserlesnen Renner dort zu reiten,

Zu schwingen die berühmte Durendal.

Er war gekommen, diese zu erstreiten

Mit seinen hunderttausend wohl an Zahl.

Schon manches Mal versucht er unterdessen,

Im Kampf ums Pferd sich mit Rinald zu messen.
[23]

92.

Er dachte mit dem Helden sich zu raufen,

Wie's festgesetzt war, an des Meeres Strand;

Doch Malegis warf alles übern Haufen:

Er machte, daß der Vetter rasch verschwand,

Und ließ ein Schiff mit ihm vom Stapel laufen

(Nicht mach' ich die Geschichte jetzt bekannt).

Gradaß nahm dies für Bangigkeit und Zagen

Und hielt Rinald für feig seit jenen Tagen.


93.

Nun freut es ihn: er hat Rinaldo wieder,

Nachdem er weiß, daß er im Feld erschien.

Alfana nimmt er, Eisen um die Glieder

Und sucht im Dunkeln rings den Paladin.

Wen er nur trifft, streckt er zu Boden nieder;

In der Verwirrung kümmert's wenig ihn,

Ob der ein Frank ist, ob vom Mohrenheere;

Er fällt sie alle mit dem guten Speere.


94.

Er sucht ihn hier und dort, blickt in die Weite,

Und laut, wie er nur kann, ruft er ihn auf

Und wendet immer sich nach jener Seite,

Wo sich am höchsten türmt der Leichenhauf,

Bis Schwert an Schwert sie nah sind (denn im Streite,

Da flogen hoch zum Sitz der Nacht hinauf,

Zerbrochen in viel tausend kleine Splitter,

Die beiden Lanzen dieser starken Ritter).


95.

Gradaß erkennt Rinald, den kühnen Streiter

(Nicht, weil er's Wappenzeichen sähe recht,

Nein, an der Wucht, womit der Bajardreiter

Dreinschlägt, als end' er jetzt schon das Gefecht),

Und säumt nicht, ihn zu schelten; unwert, schreit er,

Des Ruhmes zeige sich Rinald und schlecht,

Weil ja der Held zum Kampfe nicht erschienen

Der damals war vereinbart zwischen ihnen.
[24]

96.

»Du mochtest«, sprach er, »in der Hoffnung leben,

Es werde nie, verstecktest du dich gut,

Mehr für uns zwei ein Wiedersehen geben

Auf dieser Welt: nun fand dich meine Wut.

Und solltest du zum Himmel auf entschweben

Und tauchen in des Styxes tiefste Flut –

Ich folge dir, gehst du mit deinem Pferde,

Sei's abwärts, sei's hinauf von dieser Erde!


97.

Hast du den Mut nicht, um mir hier zu stehen

(Du siehst, daß du mir nicht gewachsen bist),

Und kann dir Leben über Ehre gehen,

So gib den Renner mir zu dieser Frist;

Kein Leid und Schade wird dir dann geschehen;

Lebe, wenn dir das Leben teuer ist:

Lebe zu Fuß, kein Pferd soll mehr dich tragen,

Kannst du der Heldenschaft derart entsagen.«


98.

Guido mit Richardet war noch zugegen;

Die grimmen Worte schallten an ihr Ohr:

Zugleich die Schwerter zogen beide Degen,

Damit er seh', er sprach als rechter Tor.

Allein Rinald setzt rasch sich dem entgegen;

Er will, unangefochten sei der Mohr,

Und spricht: »Meint ihr, daß ich nicht selbst mich wehre,

Wenn einer sich vergreift an meiner Ehre?«


99.

Zum Heiden drauf: »Ich will den Irrtum enden,

Wenn du mich hörst, Gradaß, und zeige klar:

Wo wir bestimmten, daß wir zwei uns fänden,

Zum Seestrand kam ich, wie's versprochen war.

Und dann verfecht' ich's mit dem Schwert in Händen,

Was ich gesagt, es ist gewiß und wahr.

Du aber lügst, willst du in Abred' stellen,

Daß ich ein Ritter sei, in allen Fällen.
[25]

100.

Nun bitt' ich dich, eh noch der Kampf entbrenne,

Des Falls Erklärung werde jetzt dir kund,

Indem ich dir des Wortbruchs Ursach nenne;

Nicht schelte, grundlos, mich fortan dein Mund.

Nur Kampf zu Fuß sei's, den das Ringen kenne,

Wie die Bestimmung ja zuvor bestund,

Genau so festgesetzt nach deinem Willen:

Mann gegen Mann, für uns allein, im stillen!«


101.

Voll Höflichkeit, wie hochgemute Seelen,

War Herr Gradaß, der Serikaner Hort.

Weil ihm Rinald den Vorfall will erzählen,

Folgt er des Gegners Vorschlag, und sofort

Gehn sie, den Platz an Flusses Rand zu wählen:

Rinalds gesprochnes einfach wahres Wort

Zieht dort den Schleier weg von der Geschichte;

Gott ruft er an zum Zeugen beim Berichte.


102.

Er ließ darauf den Sohn des Bov erscheinen,

Der hier die beste Kenntnis ja besaß;

Der wiederholte nach und nach von seinen

Künsten und Sprüchen alles vor Gradaß.

Rinald versetzte drauf: »Was ich mit meinen

Worten bewies, mein Schwert bekräft'ge das

Und bringe jetzt und sonst zu jeder Stunde,

Die dir gefällt, die allertreuste Kunde!«


103.

Gradaß, besorgt, er müss' am End' verzichten

Auf sein Duell durch einen neuen Zwist,

Läßt drum in Frieden alles sich berichten

Und fragt nur still: »Ob es wohl Wahrheit ist?«

Sie wollen nicht den Fall am Seestrand schlichten

Von Barcelona, wie zu jener Frist;

Nein, sie beschließen, mit der Morgenhelle

Sich einzufinden nah an einer Quelle.
[26]

104.

Dahin soll auch Rinald den Renner bringen,

Der halte in der Nähe von den zwein:

Versteht Gradaß den Sieg sich zu erringen,

So nimmt er Bajard fort, und der wird sein.

Sollt' es dem König aber schlecht gelingen,

Sei's, daß er geh' in andre Welt hinein,

Sei's, daß Rinald ihn zwingt, sich zu ergeben,

Gehöre Bajard seinem Gegner eben.


105.

Rinald – mit großem Schmerz im Herzen drinnen

Mehr als mit Staunen – wie Ihr wißt, vernahm:

Der Paladin, sein Vetter, sei von Sinnen;

Gemeldet hatt' es die verliebte Dam';

Und wie man stritt, die Waffen zu gewinnen,

Und was aus diesem Kampf noch alles kam;

Und daß jetzund Gradaß die Wehre führte,

Der jede Palm' – in Rolands Hand – gebührte.


106.

Der Heidenkönig ritt nach dem Vertrage

Sogleich zurück zu seiner Heeresmacht,

Wieviel Rinald auch höflich bittend sage,

Daß er sein Gast doch sei für diese Nacht.

Gradaß nimmt seine Wehr am frühen Tage;

Rinald desgleichen hat sich aufgemacht,

Und beide kommen in des Quelles Nähe,

Daß Kampf um Schwert und Renner vor sich gehe.


107.

Sehr um Rinald besorgt sind all die Seinen,

Daß er Gradaß bekämpf' im Einzelstreit,

Die Freunde auch, die schwer bekümmert scheinen,

Bekunden Zeichen großer Bangigkeit,

Weil Kraft und Kunst im Heiden sich vereinen

Und hoher Mut; da sie an seiner Seit'

Auch noch das Schwert des Milonsprossen sehen,

So müssen sie in schwerer Sorge stehen.
[27]

108.

Mehr als die andern zittert für den Degen

Bei diesem Kampf der Bruder des Vivian.

Er möchte gern die Hand dazwischenlegen,

Damit die Wirkung bleibe ungetan:

Doch fürchtet er, daß neuen Eingriffs wegen

Ihn ewig hasse der von Montalban;

Noch war der Zorn Rinalds ja nicht verglommen,

Daß er im Schiff ihn hatte fortgenommen!


109.

Doch ob die andern trüb und zagend stehen,

Rinald geht zu dem Kampfe froh und gern:

Er hofft, der Tadel solle ganz vergehen,

Der ihn bisher verfolgt hat aus der Fern'.

Und ruhig, wie man sie noch nie gesehen,

Von Pontier sind und Hautefeuille die Herrn.

Er kommt voll Sicherheit und ohne Bangen,

Gewiß, des Sieges Ehren zu erlangen.


110.

Sie gehn, von hier, von dort, nach jener Quelle,

Und langen an fast zu der gleichen Zeit

Und küssen sich, die Stirne ganz so helle,

So freundlich blickend und voll Heiterkeit,

Wie wenn zum Clermontsprossen sich geselle

Gradaß als Freund, zu frohem Tun bereit.

Wie aber dann die beiden sich geschlagen,

Davon will ich ein andermal Euch sagen.

Quelle:
Ariosto, Ludovico: Der rasende Roland. In: Sämtliche poetischen Werke, Berlin 1922, Band 3, S. 1-28.
Lizenz:
Ausgewählte Ausgaben von
Der rasende Roland
Die Historia vom Rasenden Roland
Ludovico Ariosts Rasender Roland nacherzählt von Italo Calvino

Buchempfehlung

Ebner-Eschenbach, Marie von

Unsühnbar

Unsühnbar

Der 1890 erschienene Roman erzählt die Geschichte der Maria Wolfsberg, deren Vater sie nötigt, einen anderen Mann als den, den sie liebt, zu heiraten. Liebe, Schuld und Wahrheit in Wien gegen Ende des 19. Jahrhunderts.

140 Seiten, 7.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Michael Holzinger hat für den zweiten Band sieben weitere Meistererzählungen ausgewählt.

432 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon