Einundvierzigster Gesang

[253] 1.

Wenn Duft auf schönen Kleidchen, zarten, raren,

Auf eines Jünglings wohlgepflegtem Bart

Und auf des holden Mägdleins Lockenhaaren,

Das weinend oft geweckt von Amor ward,

Noch fühlbar bleibt, ist man darob im klaren:

Nachdem er lange köstlich sich bewährt,

Will solche Wirkung deutlich dieses zeigen:

Von Anfang war die Trefflichkeit ihm eigen.


2.

Der edle Saft, den in der Schnitter Magen

Zu seinem Leid ließ gleiten Ikarus,

Der Kelten lockte hin, wo Alpen ragen,

Daß sie nicht Mühsal fühlten noch Verdruß,

War gleich von Anfang süß, weil er Behagen

Und Süße bot noch an des Jahres Schluß.

Der Baum, dem in der Herbstzeit Blätter bleiben,

Den sah man herrlich grün im Lenze treiben.


3.

Der hohe Stamm, der edlen Sinns gewaltet

Im Licht des Ruhmes hat so lange Zeit

Und jetzt – so scheint's – den höchsten Glanz entfaltet,

Läßt uns vermuten auch mit Sicherheit:

Er, der das Estehaus einst hat gestaltet,

An Sitte reich und aller Trefflichkeit,

Die je zum Himmel Menschen hat erhoben,

Hell muß er strahlen wie die Sterne droben.
[254]

4.

Wie Roger allerweg ein fürstlich Wesen

Und hohen Sinn bewies und Höflichkeit

Durch Proben mannigfalt und auserlesen

– Zu wachsen schien die Großmut mit der Zeit –,

So ist er gegen Dudo auch gewesen,

Dem er die überlegne Kraft im Streit

(Ich sagte dieses schon) verhehlen wollte,

Aus Mitleid nur, damit er leben sollte.


5.

Herr Dudo sieht des Gegners Seelengröße,

Der ihn zu töten ganz und gar verschmäht,

Und merkt, er gibt dem andern manche Blöße,

Und fühlt sich matt, daß es kaum weitergeht,

Indessen Roger mäßigt Hieb und Stöße

Und Rücksicht übt und schonend widersteht:

Da will er, wenn an Kraft, ihm obzusiegen,

Doch nicht an Höflichkeit ihm unterliegen:


6.

»Um Gott,« so sprach er, »Herr, gewähre Frieden!

Ich seh' es ja: der Sieg wird nimmer mein:

Er kann's nicht mehr; ich bin, schon ist's entschieden,

Gefangner deiner Großmut und bin dein.«

Spricht Roger drauf: »Wie du, bin ich's zufrieden!

Doch laß es unter der Bedingung sein,

Daß mir die Sieben werden losgebunden,

Die ich gefesselt hab' hier vorgefunden.«


7.

Er zeigte, wo die sieben Fürsten waren,

Betrübt zu Boden starrend miteinand:

Er möge sie nicht hindern, abzufahren

Mit ihm, hinüber nach dem Libyerstrand. –

So wurden frei die Fürsten der Barbaren,

Weil Dudo alles gerne zugestand.

Ein Schiff zu nehmen, wollt' er auch gestatten,

Nach eigner Wahl; so ging die Fahrt vonstatten.
[255]

8.

Das Schiff stößt ab, läßt seine Wimpel wehen

Und gibt sich ganz in falscher Winde Hut,

Die anfangs günstig alle Segel blähen

Zur Fahrt gradaus; froh ist des Schiffers Mut.

Das Ufer flieht und ist nicht mehr zu sehen;

Versunken scheint es in der Meeresflut.

Doch als sich Tageslicht zur Dämmrung wandte,

Geschah's, daß man des Windes Tück' erkannte.


9.

Er hat vom Heck zur Seite sich gezogen,

Zum Bug sodann, springt um in jeder Weis';

Kommt seitwärts, vornen, hinten angeflogen

Und dreht zu aller Schreck das Schiff im Kreis.

Stolz bäumen sich und drohend auf die Wogen,

Mit Brüllen stürmt dahin die Herde weiß.

Sie sehn voll Angst, wie viele nahn der Wellen,

So viele Tode sich entgegenstellen.


10.

Vom Rücken kommt ein Wind – der kommt entgegen,

Der treibt das Schiff zurück und der voran;

Der, seitwärts kommend, sucht es umzulegen;

Von allen Seiten grinst sie Schiffbruch an.

O wie den Steurer Furcht und Angst bewegen!

Er seufzt verzweiflungsvoll, ein bleicher Mann.

Vergebens schreit er, winkend mit den Händen,

Man solle Rahen senken oder wenden.


11.

Winken und Schrein hilft nichts in diesen Dingen,

Zu sehn verwehrt die regnerische Nacht,

Worauf die Rufe in der Luft verklingen,

Der Luft, durch die mit noch viel größrer Macht

Wehruf, Geheul der Schifferleute dringen,

Derweil die Sturmflut an die Planken kracht.

Nicht hinten, vorn, nicht auf den Seitenbanden

Wird irgendein Kommandowort verstanden.
[256]

12.

Im Tauwerk, drin der Wind sich hat verfangen

Und rast und tobt, da wimmert's laut und stöhnt;

Die Luft durchzucken feurig Blitzesschlangen;

Der Donner rollt, daß rings der Himmel dröhnt.

Der faßt das Steuer, nach den Rudern langen

Die andern; jeder tut, wie er gewöhnt;

Der löst und jener bindet fest danieder,

Und der gießt Wasser in das Wasser wieder.


13.

Seht Boreas, wie er, den Sturm zu jagen

Jäh wütend kommt! Grausig sein Pfeifen schallt!

Gepeitscht die Segel an den Mastbaum schlagen,

Das Meer steigt zu den Wolken, wogt und wallt.

Die Ruder sind zerschellt und fortgetragen!

So tobt das Meer mit rasender Gewalt,

Daß sich die Spitze dreht: hin nach den Wellen,

Wehrlos, muß sich des Schiffes Seite stellen.


14.

Schon droht das Schiff kopfüber sich zu wenden:

Die rechte Seit' ist eingetaucht jetzund.

Sie flehn zum Himmel mit gerungnen Händen,

Kein Zweifel ist, sie sinken auf den Grund.

Und mehr des Unheils will Fortuna senden,

Zum ersten macht sich gleich ein neues kund:

Es leckt das Schiff, von wilder Flut bezwungen,

Der Feind, das Meer, ist schon hineingedrungen.


15.

Von allen Seiten gierig, grausam, springen

Des Sturmes Horden auf die Armen ein:

Sie sehn das Meer so hoch empor sich schwingen,

Als ging' es in den Himmel grad hinein,

Dann wieder sie hinab zur Tiefe bringen,

Als gelt' es, auszuspähn der Hölle Schein.

Nichts oder wenig will die Hoffnung taugen,

Als unvermeidlich steht der Tod vor Augen.
[257]

16.

Sie drehen sich die Nacht im Sturmesreigen,

Hierhin und dorthin, wie der Wind es schafft,

Der böse, der, statt in der Früh' zu schweigen,

Zu größerm Wüten sich hat aufgerafft,

Als nackte Klippen vor dem Schiff sich zeigen;

Sie wollen fliehn und haben nicht die Kraft,

Sie werden wider Willen hingetragen

Durch Sturmgewalt, wo jene Felsen ragen.


17.

Drei-, viermal sucht zu wenden mit dem Rade,

Wie er's vermag, der bleiche Steuermann,

Herumzudrehn nach sicherm Wasserpfade:

Die Welle bricht es und verschlingt es dann.

Mit solchen Lungen bläst der Wind gerade,

Daß man die Wucht um nichts vermindern kann.

Zeit fehlt für Hilf' und Rat in diesen Nöten;

Zu plötzlich droht sie die Gefahr zu töten.


18.

Sobald sie sehn, daß alles jetzt vergebens,

Und unvermeidlich Schiffbruch hier im Meer,

Sorgt jeder nur für Rettung seines Lebens

Und kümmert sich um gar nichts andres mehr.

Das Boot wird jetzt der Zielpunkt alles Strebens,

Allein es ist miteinemmal so schwer

Vom Menschenschwarm, der sich darin befindet,

Daß es schon in den Fluten fast verschwindet.


19.

Als Roger Bootsmann und Patron entweichen

Vom Schiffe sah mit all der andern Schar,

Beschloß er in das Boot zu gehn desgleichen,

Im Wams und ohne Waffen wie er war.

Schon viele – fand er – wußten's zu erreichen,

Und immer wuchs die Menge noch sogar,

Bis es, von Überlast hinabgezogen,

Mit seiner Ladung hinsinkt in die Wogen
[258]

20.

Zum tiefen Meeresgrund samt ihnen allen,

Die aus dem Schiff die Hoffnung trieb zuvor.

Da tönt Gejammer, Weherufe schallen

Und Hilfgeschrei zum Himmelszelt empor.

Doch diese Stimmen hört man bald verhallen,

Weil das ergrimmte Meer sich Bahn erkor

Miteinemmal, wo die verzweiflungsvollen

Klagen und wildes Angstgeheul erschollen.


21.

Der sinkt hinab und kommt nicht mehr nach oben,

Und jener steigt zur Oberfläch' herauf;

Der schwimmt einher und hält den Kopf erhoben;

Ein Arm hier, dort ein nacktes Bein blitzt auf.

Auch Roger, furchtlos bei der Stürme Toben,

Schwingt aus dem tiefsten Grunde sich hinauf

Und sieht, nicht ferne, jene Klippen stehen,

Denen sie aus dem Wege wollten gehen.


22.

Er hofft, mit Fuß und Arm ein kräftig Schwimmen

Bring' ihn wohl noch an einen trocknen Ort:

Mit Keuchen kommt er, vom Gesicht die schlimmen

Wellen und starken Fluten stößt er fort.

Indessen jagen Wind und Sturm, die grimmen,

Das leere Schiff, mit niemand mehr an Bord

Von allen, die der Wunsch, sich flott zu machen

Zur Fahrt ins Leben, trieb in Todes Rachen.


23.

O trügerisch ist armer Menschen Sinnen!

Das Schiff entkommt, das schon verloren galt:

Als Leut' und Lenker sind im Boote drinnen,

Das Fahrzeug steuerlos in Sturmsgewalt,

Die Winde plötzlich andern Kurs beginnen:

Da wird der Kiel, jetzund kein Aufenthalt

Für Menschen mehr, weit in die See getrieben;

Dort ist er nun auf sichrer Bahn geblieben.
[259]

24.

Gesteuert hat das Schiff den Weg verloren;

Jetzt ohne Steuer kommt's zum Libyerstrand.

Zum Landen ward ein Plätzchen ihm erkoren,

Biserta nah, Ägypten zugewandt.

Dort blieb es in dem dürren Sand der Mohren,

Nachdem der Wind und auch das Wasser schwand,

Zur Stunde grad, als Roland kam gegangen,

Wie ich zu melden hatte angefangen.


25.

Er wünscht zu wissen, ob's allein geschwommen

Zum Strand, und ob befrachtet oder leer,

Und hat ein Boot mit Brandimart genommen

Und Oliver, und fährt zur Stell' im Meer.

Dann, unter das Verdeck hinabgekommen,

Sieht er von Menschen keine Seele mehr.

Außer dem Hengst Frontin, dem pfeilgeschwinden,

Sind Rogers Schwert und Rüstung noch zu finden.


26.

So großer Eile mußt' er sich befleißen;

Das Schwert zu nehmen fand er keine Zeit.

Er kannt' es: Balisarda war's geheißen

Und hatt' ihm angehört geraume Zeit.

Wie Fallerina sich es ließ entreißen,

Das habt Ihr selbst gelesen wohl, zur Zeit

Wie er den schönen Garten ihr zerstörte

Und wie dem Dieb Brunel das Schwert gehörte,


27.

Der am Carenaberg aus freien Stücken

Es Roger schenkte sonder Gegenlohn.

Wie gut die Schneide war und wie der Rücken,

Aus mancher eignen Probe wußt' er's schon

(Ich meine Roland), war drob voll Entzücken

Und schickte Dank hinauf zum Himmelsthron,

Vermeinend (wie er später oft bekannte),

Daß Gott es ihm für große Dinge sandte;
[260]

28.

Für solch ein Werk, wie jetzt ihm mit dem Streite

Gegen den Serikaner ward beschert,

Der riesenstark, noch Durendal zur Seite

Trug und den Bajard auch besaß, das Pferd.

Die Rüstung, die dem Schwerte gab Geleite,

Erkannt' er nicht in ihrem hohen Wert,

Wie einer, der's erprobt; ihm wollte scheinen,

Sie sei wohl gut, doch von den reichen, feinen.


29.

Weil er nicht nötig hat die schönen Gaben

(Er ist gefeit, daß nichts ihn ritzen kann),

So soll der Schwager Oliver sie haben,

Nur nicht das Schwert; das schnallt er selber an,

Und Brandimart soll auf dem Renner traben.

Jedwedem der Gefährten also sann

Er einen Teil der Beute zu gewähren,

Die freundlich gute Sterne ihm bescheren.


30.

Gewänder, neu und reich in allen Stücken,

Schafft jeder für den Tag des Kampfs herbei:

Das Wappen Rolands sieht man Babel schmücken,

Getroffen grad vom Blitz, in Stickerei.

Ein Hund aus Silber, Koppel auf dem Rücken,

Gestreckt, gefällt Herrn Oliver; dabei

Als Motto steht: »Bis daß er kommt« zu lesen;

Von Goldstoff ist das Kleid und auserlesen.


31.

Herr Brandimart gedenkt, des Vaters wegen

Und eigner Ehre willen für den Streit

Nicht prunkende Gewänder anzulegen,

Nein, nur ein dunkles, ungeschmücktes Kleid.

Mit edelem Gestein und Prachtbeschlägen

Sucht Flordelis am Saum die Einfachheit

Zu heben durch ein leuchtendes Gefunkel

Und feines Tuch; der Rest ist schwarz und dunkel.
[261]

32.

Für seinen Harnisch schufen ihre Hände

Die Oberkleidung dem geliebten Mann

(Dem feinre Rüstung freilich besser stände)

Und Mähn' und Kreuz und Brust des Rosses dann.

Vom Anfang an bis zu des Werkes Ende

Kein Lächeln wandelte sie jemals an,

Und auch in spätrer Zeit nicht mehr erschienen

Frohsinn und Heiterkeit auf ihren Mienen.


33.

Denn Furcht und Bangen will von ihr nicht weichen,

Den Liebsten zu verlieren dieses Mal.

Sie sah ihn wohl umdräut von tausend Streichen

In großen, wilden Schlachten ohne Zahl –:

Nichts macht' ihr noch die Wange so erbleichen,

Das Blut gefrieren so wie diese Qual;

Und diese Neuheit, sich voll Furcht zu sehen,

Läßt wieder Angst in ihrer Seel' entstehen.


34.

Der Harnisch ist bereit und jede Wehre,

Die Segel schwellen und die Wimpel wehn.

Astolf mit Samsonet bleibt bei dem Heere

Am Land, der Schar der Gläub'gen vorzustehn.

Den Blick gerichtet nach dem hohen Meere,

Solange noch die Segel nur zu sehn,

Steht Flordelis, dem Himmel hoch – mit Klagen

Erfüllt sie rings die Luft – ihr Leid zu sagen.


35.

Den beiden Herren wollt' es kaum gelingen,

Sie fortzuführen von der Uferstätt'

Und endlich zum Palaste hinzubringen;

Dort blieb sie bleich und zitternd auf dem Bett,

Indes die drei Erlesnen vorwärtsdringen.

Die Winde halfen ihnen um die Wett',

Weil stracks das Glück zum Ort sie bringen wollte,

Wo man den Strauß, den großen, kämpfen sollte.
[262]

36.

Herr Oliver und Brandimart, sie halten

Am Ufer mit dem Ritter von Anglant,

Worauf sie klug ihr Zeltdach da entfalten,

Wo jene Inselchen nach Ost gewandt.

Die Gegner auf der andern Seite schalten,

Denn angekommen ist auch Agramant:

Doch weil vom Tage nicht mehr viel geblieben,

Muß man den Kampf für's Morgengraun verschieben.


37.

Von da bis zu der neuen Tageshelle

Stehn beiderseits die Diener auf der Wacht.

Am Abend noch geht Brandimart zur Stelle

Hin, wo die Mohren lagern für die Nacht,

Und spricht mit Agramant – einst sein Geselle

War er – mit Rolands Wissen vor der Schlacht;

Nach Frankreich hin war Brandimart gefahren

Zu jener Zeit mit Agramantes Scharen.


38.

Nach Händedruck und Grüßen zwischen beiden

Drang dort der treue Ritter eifrig ein

Mit vielen Gründen auf den Herrn der Heiden:

Er lasse diesen Kampf doch lieber sein,

Und um Verlust der Städte zu vermeiden

Vom Nil zu Herkuls Säulen, obendrein

Zum Sohn Mariä mög' er sich bekennen,

Dann dürf' er sie aufs neu sein eigen nennen.


39.

»Ich hab' Euch«, sprach er, »diesen Rat gegeben

Als immer noch in Lieb' Euch zugetan.

Ich selbst hab' ihn befolgt – ja, für mein Leben! –

Und weiß – o glaubt mir – gut ist dieser Plan.

Christus ist Gott, Mahom ein Trug daneben;

Nun brächt' ich gern auch Euch auf meine Bahn:

Teilhaftig sollt Ihr, Herr, des Heiles werden

Mit mir und allen, die mir lieb auf Erden.
[263]

40.

Kein Ratschluß, Herr, der taugt, steht sonst Euch offen:

So wahrt Ihr Euer Glück aufs allerbest.

Am schlimmsten aber habt Ihr's dann getroffen,

Wenn Ihr Euch mit dem Sohn des Milon meßt:

Geringer Nutzen ist beim Sieg zu hoffen,

Der dem Verlust sich nicht vergleichen läßt.

Wenig gewinnt Ihr, könnt Ihr triumphieren;

Wenn Ihr verliert, so müßt Ihr viel verlieren.


41.

Vermögt Ihr Roland, uns auch, umzubringen,

Die zu ihm stehn, wie's immer geh' dabei,

Wird Euch, soweit ich sehe, nicht gelingen,

Daß etwas am Verlust geändert sei:

Umschwung geschieht in allen diesen Dingen,

Auch wenn wir sterben sollten, keinerlei:

Karl wird genug an Heeresmacht entfalten,

Bis auf den letzten Turm das Land zu halten.«


42.

So sprach der Held und hätte wohl gesprochen

In guter Absicht noch gar manches dort –

Da wird er von dem Heiden unterbrochen,

Den riß der Hochmut und der Jähzorn fort –:

»Zur Unzeit hat der Hafer dich gestochen;

Toll bist du und ein jeder – auf mein Wort! –,

Der ungerufen mir bei meinen Taten,

Was gut sei oder übel, wagt zu raten.


43.

Und daß der Rat der Liebe soll entstammen,

Die du gefühlt hast und noch fühlst zu mir,

Versteh' ich nicht fürwahr, seh' ich zusammen

Dich doch zu dieser Stund' mit Roland hier;

Da glaub' ich eher, in die ew'gen Flammen

Willst du mich reißen und die Welt mit dir,

Nachdem du selbst die Beute wardst des Drachen,

Der da die Seelen schlingt in seinen Rachen.
[264]

44.

Ob ich soll leben – sterben; ob mich wenden

Zur Heimat, ob in ew'gen Banden sein,

Das fügte Gott; es liegt in seinen Händen;

Nicht du, und auch nicht Roland schaut hinein.

Unkönigliche Furcht soll nicht mich schänden;

Nicht werd' ich tun, was niedrig und gemein.

Gilt's sterben, geh' ich lieber von der Erde,

Als daß ich meinem Haus ein Schandfleck werde.


45.

Nun magst du gehn; kannst du nicht besser dienen

Den Deinen dort mit Waffen auf dem Feld,

Als deine Rednerkunst mir ist erschienen,

Ist es mit Rolands Helfer schwach bestellt.«

So sprach ergrimmt mit zornesroten Mienen

Zu Brandimart Herr Agramant, der Held.

Sie gingen beide dann zurück und ruhten,

Bis sich der Morgen hob aus Meeresfluten.


46.

Bei Tagesanbruch saßen auf den Rossen

Die Kämpfer hier und dort; von Schar zu Schar

War man gewohnt, daß wenig Reden flossen;

Aufschub und Pause fehlten ganz und gar:

Fest an die Seite wird der Speer geschlossen. –

Doch unrecht tät' ich, edler Herr, fürwahr,

Ließ ich, durch Meldung von den Kampfgemuten,

Roger ertrinken in den Meeresfluten.


47.

Der Jüngling rührt so Fuß wie Arm geschwinde,

Die Wellen spaltend, auf dem wilden Meer;

Der Sturm bedroht ihn mächtig und die Winde,

Doch sein Gewissen plagt ihn noch viel mehr.

Er fürchtet, daß ihn Christi Rache finde:

Weil er, als Zeit es war, sich allzusehr

Der Taufe reinen Wassers hat entzogen,

Drum werd' er nun getauft in salz'gen Wogen.
[265]

48.

Was er der Trauten vielemal versprochen,

Kommt ihm zu Sinn und andres obendrein:

Was er geschworen hat und dann gebrochen

Beim Kampfe mit Rinald, fällt jetzt ihm ein.

Daß diesmal noch die Schuld bleib' ungerochen,

Fleht er voll Reue; Gott mög' ihm verzeihn;

Und Christ zu werden schwört er für die Gnade,

Wenn er die Füße setze ans Gestade,


49.

Und daß er nie mehr Waffen nehmen wolle,

Um Mohren gegen Gläub'ge beizustehn;

Auch werd' er, daß er Karl die Ehren zolle,

Die schuldigen, nun bald nach Frankreich gehn;

Nicht länger harre Bradamant! sie solle

Nun bald am Ziel ihr treues Lieben sehn.

Und wunderbar! – als das Gebet beendet,

Fühlt er den Gliedern neue Kraft gespendet.


50.

Ihm wächst die Kraft, es wächst der Mut desgleichen,

Die Wellen teilt er mit gewalt'ger Hand,

Wie sie ihn heben, senken, drängen, weichen;

Er zwingt den Weg durch alle miteinand.

Nach großer Mühe könnt' er dann erreichen,

Bald steigend und bald fallend, trocknen Sand.

Wo sich geneigt zum Meer die Hügel zogen,

Durchnäßt und triefend, stieg er aus den Wogen.


51.

Die andern alle, die ins Boot sich schwangen,

Besiegt vom Meere, sanken in die Flut.

An ödem Felsenriff blieb Roger hangen,

Wie Gottes Güt' ihn nahm in ihre Hut,

Als er auf rauhem Stein dem Meer entgangen,

Bedroht ein neues Bangen seinen Mut:

In engen Raum geschlossen, zu verderben

Und schließlich hier den Hungertod zu sterben.
[266]

52.

Doch ungebeugten Sinns, bereit auch, seine

Strafe zu leiden, wenn es Gott gefiel,

Hinschreitet er auf hartem Felsgesteine

Nach rechts und nimmt die Bergeshöh' als Ziel.

So geht er eine Strecke, eine kleine,

Als, welk von Jahren und von Fasten viel,

Ein Greis erscheint im Klausnerkleid, mit hehren

Zügen voll Milde, würdig aller Ehren.


53.

»Saul, Saul, warum verfolgst du mich?« So sagte,

Nachdem er näher kam, der hehre Greis;

Wie einst der Heiland ja Sankt Paulus fragte,

Als er ihn schlug so wunderbarerweis.

»Du wolltest übers Meer, doch dir behagte

Das Fährgeld nicht, das Gott zu nehmen weiß:

Er hat dich eingeholt mit langen Händen,

Da du recht fern ihm dachtest dich zu wenden.«


54.

Und mehr noch sprach der heil'ge Gottesstreiter,

Der durch Gesichte sah in jüngster Nacht,

Daß Roger, mit dem Heiland als Geleiter,

Zur öden Klippe werde hergebracht;

Das frühre Leben und das künft'ge weiter,

Auch seinen schlimmen Tod; dazu die Macht,

Zu der sich Söhn' und Enkel einst erheben,

Hatt' anzuschaun der Himmel ihm gegeben.


55.

Er trifft des Jünglings Herz mit Geißelhieben

Für seine Schuld und tröstet ihn sodann.

Er tadelt, daß er schwach war, aufzuschieben

Das sanfte Joch, das er wohl tragen kann.

Frei mußt' er schaffen, was ihm vorgeschrieben,

Sobald ihn Christus rief zu sich heran.

Mit schlechtem Anstand sei er erst gekommen,

Als er die Peitsche habe wahrgenommen.
[267]

56.

Dann tröstet er: Verstoßen will mitnichten,

Wer früh, wer spät ihn anfleht, Gottes Sohn!

Und er begann vom Weinberg zu berichten

Und wie dort alle hatten gleichen Lohn.

Langsam darauf, um ihn zu unterrichten,

Eifrig und liebevoll, in Religion,

Zur Klause lenkt der Eremit die Schritte,

Die er gehaun aus spröden Felsens Mitte.


57.

Ein kleines Kirchlein ist dort hoch gelegen,

Ziemlich bequem und schön gebaut und gut.

Nach Morgen steht es, steht dem Licht entgegen;

Darunter zieht ein Hain sich nach der Flut:

Fruchtreiche Palmen, die im Wind sich regen,

Wacholder, Myrt' und Lorbeer wohlgemut,

Und murmelnd rieselt von des Bergs Gefälle,

Alles benetzend, eine lichte Quelle.


58.

Der fromme Bruder saß, vom Meer umgeben,

Auf dieser Klippe vierzig Jahr' beinah,

Die für ein einsam gottgeweihtes Leben

Der Heiland als den rechten Ort ersah.

Von Nahrung, wie sie Frücht' und Pflanzen geben,

Das reine Wasser trinkend, lebt er da,

Um frisch und rüstig, ohne Leid und Bangen,

Zu vollen achtzig Jahren zu gelangen.


59.

Nun lodert in der Klause Feuerhelle,

Obst beut der Tisch, beladen bis zum Rand;

Ein wenig stärkt sich Roger in der Zelle,

Nachdem getrocknet Haare und Gewand.

Mit Muße lernt er dann an dieser Stelle

Des Glaubens heil'ge Tiefen; aus der Hand

Des Alten selbst empfängt er noch im Laufe

Des nächsten Tags im klaren Quell die Taufe.
[268]

60.

Zufrieden war, so wie die Dinge lagen,

Hier Roger; denn der brave Gottesmann

Versprach, wohin er wollt', in wenig Tagen

Ihn zu entsenden, frei von jedem Bann.

Indes erörtert er noch manche Fragen

Auf Gottes Reich bezüglich; dann und wann

Auch redet er von Rogers eignen Dingen

Und was sein Stamm der Erde werde bringen.


61.

Der Klausner hatte durch den Herrn erfahren,

Für den das Dunkle deutlich ist und hell,

Daß Roger sterben werd' in sieben Jahren,

Vom Tag der Tauf' an dort im Bergesquell:

Ihm werde beigelegt von Mainzer Scharen

Der Gattin Tat, der Tod des Pinabel.

Die argen Mainzer sinnen auf Verderben,

Auch, weil ihr Bertolas ja mußte sterben.


62.

Man werde vom Verrat nicht Kunde haben,

Denn alles spinne sich gar heimlich fort:

Die Schurken werden ihn sogleich begraben,

Wo er getötet ward, am selben Ort.

Spät werde Rache seine Manen laben

Durch Gattin und die Schwester für den Mord,

Und schwangern Leibes werd' auf allen Auen

Die treue Gattin suchend nach ihm schauen.


63.

Wo zwischen Brenta und dem Etschgestade

Antenor einst das Land so sehr gefiel

(Mit Schwefeladern und der Ströme Bade,

Mit heitern Wiesen, schönen Feldern viel),

Daß nicht des Xanthus, des Askanius Pfade

Nicht mehr der hohe Ida war sein Ziel, –

Dort werde sie im Schatten laub'ger Äste

Gebären, nah dem phrygischen Ateste.
[269]

64.

Der Knabe wachs' an Schönheit, Mut und Stärke

– Man werd' ihn Roger nennen – froh heran;

Vom Volk, das bald das Troerblut bemerke,

Zum Herrn erwählt, führ' er die Troer an;

Als Jüngling helf' er Karl bei seinem Werke

Im Langobardenkrieg; er werde dann

Des schönen Landes Lehn von ihm empfangen

Und auch den Titel Markgraf dort erlangen.


65.

Weil Karl wird auf lateinisch sagen: Este

Hic domini, wenn er die Schenkung macht,

Wird glückverheißend mit dem Namen Este

Das Land im künft'gen Säkulum bedacht;

Um die zwei ersten Lettern wird Ateste,

Der alte Name, dergestalt gebracht.

Auch offenbarte Gott die Art und Weise

Der Rache für den Tod dem frommen Greise:


66.

Erscheinen wird, kurz eh's beginnt zu tagen,

Roger als Traumbild seinem treuen Weib,

Und, wer die Mörder sind, wird er ihr sagen,

Den Ort auch nennen, wo da liegt sein Leib.

Sie wird nach Pontier mit der Schwägrin tragen

Eisen und Feuer, daß kein Stein mehr bleib'.

Und nicht geringres Leid wird Mainz erfahren,

Sobald der junge Roger kommt zu Jahren.


67.

Den Azz, Alberti, Obizi gewunden

Hat er den Kranz bis hin zu Leonell

Und zu des Niccolo und Borso Stunden,

Ercol, Alfons, Hippolyt, Isabell.

Doch hielt er klug die Zunge fest gebunden,

Nicht alles kündend, das er schaute hell;

Was ihm zu wissen gut war, Roger zeigend,

Was minder dienlich, weisheitsvoll verschweigend.
[270]

68.

Oliver, Roland, Brandimart indessen,

Gesenkt die Speere, brechen rüstig auf,

Sich mit dem Sarazenen-Mars zu messen

(Gradaß ruft diesen Gott fürwahr herauf)

Und mit den Zwein, die drüben aufgesessen,

Sie spornen ihre Hengste frisch zum Lauf

(Den König mein' ich, mit Sobrin im Bunde) –

Und Küste dröhnt und Meerflut in der Runde.


69.

Sie stoßen aufeinander und zerspellen

Die Schilde, daß der Stumpf gen Himmel springt;

Man sieht vom großen Lärm die Meerflut schwellen,

Vom großen Lärm, der bis nach Frankreich dringt.

Gradaß und Roland feindlich sich gesellen:

Der Wage Zünglein steht; doch Vorteil bringt

Bajard der Renner wohl dem Sarazenen,

Und überlegen könnte man ihn wähnen.


70.

Das schwächre Pferd (Graf Roland muß es reiten)

Hat er mit solchem Stoße angerannt,

Daß man es schwanken sieht nach beiden Seiten;

Dann mißt es, seiner Länge nach, den Sand.

Zum Aufstehn sucht es Roland zu verleiten

Drei-, viermal, mit dem Sporn und mit der Hand:

Doch als es sich nicht will erheben lassen,

Eilt er, den Schild und Balisard zu fassen.


71.

Dem König stand Herr Oliver entgegen,

Und gleich und gleich verhielt sich dieses Paar.

Mit Brandimart maß sich Sobrin der Degen:

Er wurde bügellos, doch war's nicht klar,

Ob es am Reiter, ob am Roß gelegen:

Sobrin im Sattel meist wie Eisen war.

Lag nun an ihm die Schuld, lag sie am Pferde –

Genug, der Fürst Sobrin lag auf der Erde.
[271]

72.

Am Boden sah ihn Brandimarte liegen:

So griff er ihn zunächst nicht weiter an.

Um auf Gradaß statt seiner loszufliegen,

Der über Roland gleichen Sieg gewann.

Die beiden andern fuhren fort zu kriegen

In gleicher Weise wie der Kampf begann.

Als auf den Schilden beide Speere brachen,

Da hieben sie mit nackter Kling' und stachen.


73.

Als Roland sieht, daß in Beschlag genommen

Gradaß und jetzt nach ihm nicht mehr begehrt

(Von Brandimart hätt' er ihn nicht bekommen,

So drang der auf ihn ein mit seinem Schwert),

Kehrt er sich um: da hat er wahrgenommen

Sobrin zu Fuß, der auch des Kampfs entbehrt;

Er stürzt auf ihn – den Himmel faßt ein Beben,

Als sich des Grafen Füße dräuend heben.


74.

Sobrin, dem Mächt'gen sich zu widersetzen,

Hüllt sich mit aller Kraft in Waffen ein,

Dem Schiffer gleich, wenn mit gewalt'gen Sätzen

Brüllende Meerflut springt ins Schiff hinein:

Er lenkt das Steuer, und an trocknen Plätzen,

Fern von dem Graus der Wogen möcht' er sein.

Sobrin hält seinen Schild dem Tod entgegen,

Der niederfährt von Fallerinas Degen.


75.

Mag auch ein Kämpfer ganz in Stahl sich stecken,

Es fruchtet nichts bei Balisard, der Wehr,

Zumal in Händen eines solchen Recken,

Denn keinen zweiten sieht die Erde mehr.

Sie schneidet durch den Schild, ob ihn bedecken

Gleich Reifen feinen Stahles ringsumher;

Sie schneidet durch, hat ihn zum Grund gespalten

Und in der Schulter erst sich aufgehalten;
[272]

76.

Der Schulter; doppelt Eisenblech mit Ringen

Beschützte die nun freilich stark und gut,

Allein das sollt' ihr wenig Nutzen bringen:

Aus einer großen Wunde floß das Blut.

Sobrin schlägt zu, doch Rolands Haut durchdringen! –

Es ist umsonst; ihn nahm in seine Hut

Der Lenker ja des Himmels und der Sterne:

Verwundung, wollt' er, bleib' ihm ewig ferne.


77.

Der Graf holt aus, gedenkt den Kopf des Alten

Mit einem Hiebe jetzt vom Rumpf zu haun.

Sobrin weiß wohl, der ist nicht aufzuhalten,

Und hat zu seinem Schilde kein Vertraun:

Er weicht zurück, ein Stück der Kraft entfalten

Kann aber Balisard auf seinen Braun.

Stark, wenn auch flach, trifft sie des Mohren Stirne:

Der Helm zerspringt ob dem betäubten Hirne.


78.

Beim mächt'gen Hieb stürzt Fürst Sobrin vom Pferde,

Um lange Zeit nicht wieder aufzustehn.

Er liege tot, wähnt Roland, auf der Erde;

So brauch' er nicht mit ihm zum Kampf zu gehn.

Er hat es auf Gradaß (sein Ansturm werde

Leicht Brandimart zu kräftig) abgesehn:

Denn jener ist an Rüstung, Pferd und Degen,

Vielleicht an Kraft, dem Gegner überlegen.


79.

Und Brandimart, der den Frontin ja reitet,

Das gute Roß, das Rogers war vorher,

Gar wacker mit dem Sarazenen streitet:

Im Vorteil ist der Mohr nicht allzusehr.

Wäre sein Harnisch fein aus Stahl bereitet,

Wie des Gradaß, so trotzt' er ihm noch mehr.

Doch, schlecht bewaffnet, mußt' er vor den Streichen

Bald nach der Rechten, bald der Linken weichen.
[273]

80.

Ganz nach dem Wink des Reiters zu verfahren,

So, wie Frontin, kein andres Pferd verstand:

Droht Durendal mit Wucht herabzufahren,

Hierhin und dorthin wich es aus gewandt.

In mächt'gem Kampf derweil begriffen waren

Herr Oliver und König Agramant,

Die beid' in Waffenkunst sich hoch erhoben;

Auch war an Kraft ein jeder gleich zu loben.


81.

Nachdem Sobrin zu Boden war geglitten,

Ließ Roland – sagt' ich – ihn und ging von da,

Zum Beistand Brandimarts, mit großen Schritten

Los auf Gradaß (zu Fuße war er ja),

Als er vorm Angriff auf des Feldes Mitten

Spazieren gehn des Fürsten Rößlein sah,

Das nach dem Fall Sobrin war durchgegangen:

Gleich macht' sich Roland auf, es einzufangen.


82.

Er nahm den Renner, der sich gar nicht wehrte,

Und sprang mit einem raschen Satz hinauf.

Des Grafen rechte Hand lag auf dem Schwerte,

Die linke zog den prächt'gen Zaum herauf.

Ihn sah Gradaß, den keine Furcht beschwerte:

Mit Namen fordert' er zum Kampf ihn auf.

Ihm wollt' er zeigen und den andern beiden,

Daß Nacht es sei noch vor der Sonne Scheiden.


83.

Er eilt zum Grafen (Brandimart bleibt stehen):

Wie er den Panzerkragen glatt durchsticht!

Durch alles will es, doch ins Fleisch nicht gehen;

Der größten Müh' und Wucht gelingt das nicht.

Und Balisarda saust wie Sturmeswehen,

Vor deren Schneide jeder Zauber bricht.

Schild, Helm und Halsberg', Harnisch sind zerrissen,

Sobald das Wunderschwert hineingebissen.
[274]

84.

Durch Antlitz, Brust und Schenkel ist gehauen

Der Serikanerfürst und stark verletzt;

Er sah noch nie sein Blut aus Adern tauen,

Seit er die gute Rüstung trägt; und jetzt

Hat dieses Schwert – er fühlt's mit Angst und Grauen

('s ist nicht mal Durendal) ihn so zerfetzt!

Ward etwas näher hin der Hieb geschwungen,

Wär' er vom Kopf bis durch den Leib gedrungen.


85.

Er kann sich fürder nicht dem Schutz der Waffen

Wie sonst vertraun: die Probe ist gemacht.

Mit Vorsicht sucht er Deckung sich zu schaffen

Und nimmt sich mehr als je bisher in acht.

Herr Brandimart, der sich den Kampf entraffen

Von Roland ließ, mischt jetzt sich in die Schlacht:

Er stellt sich mitten zwischen beide Paare,

Um da zu helfen, wo er Not gewahre.


86.

Wie dergestalt beim Kampf die Dinge standen,

Ist Fürst Sobrin, den Ohnmacht lang umfing,

Mit einemmal erwacht und aufgestanden;

Schulter und Antlitz schmerzten nicht gering,

Er suchte, wo die Kämpfer sich befanden,

Und sah gefährdet seinen Herrn und ging

Zu seinem Schutz, mit langen Schritten, leise,

So daß er hinkam unbemerkterweise,


87.

Und hinter Oliver ist er geschlichen,

Der achtete des Gegners ganz allein,

Und traf des Franken Roß mit bösen Stichen;

Das Knie durchbohrt er ihm am Hinterbein,

Daß alle Kräfte gleich dem Tiere wichen.

Der Reiter fällt, kann nicht den Fuß befrein,

Den linken Fuß: der blieb beim Sturz des Recken

Mitsamt dem Bügel unterm Pferde stecken.
[275]

88.

Sobrin vermeint, den Kopf ihm abzuschneiden,

Und führt die Quere urgewalt'gen Streich;

Doch will's der lichte, feine Helm nicht leiden,

Gestählt für Hektor in Hephästos Reich.

Was droht, sieht Brandimart, und auf den Heiden

Sprengt er mit vollen Zügeln an sogleich

Und schlägt ihn auf den Kopf und wirft ihn nieder,

Doch bald erhebt der trotz'ge Greis sich wieder.


89.

Und daß er Oliver ins Jenseits bringe,

Hat er sich nach dem Liegenden gekehrt;

Gelingt es nicht, so bleibt er in der Schlinge

Zum mindesten, und drunten unterm Pferd.

Der Markgraf macht Gebrauch von seiner Klinge,

Indem er mit dem freien Arm sich wehrt:

Mit Stoß und Stichen nach des Fürsten Seite

Hält er ihn fern auf eine Schwertesweite.


90.

Er meint, der Fall wird bald sich ändern müssen,

Bleibt auch Gradaß ein Weilchen fern gebannt:

Aus seinen Adern strömt's in roten Flüssen;

Es rinnt so viel hernieder in den Sand,

Daß er bewältigt wird von Blutergüssen:

Schon ist er schwach und hält kaum fürder Stand;

Trotz aller Mühe will's ihm nicht gelingen,

Unter dem Tiere sich emporzuringen.


91.

Indes traf Brandimart den Agramante,

Und wie ein Sturmwind griff er diesen an,

Den vorn und seitwärts jetzt Frontin berannte,

Sich drehend, wie es nur ein Kreisel kann.

Hat solchen Hengst der Sohn des Nonodante,

So reicht des Mohren Roß an den heran:

Von Roger hatt' er Güldenzaum bekommen,

Der ja dem Mandrikard war abgenommen.
[276]

92.

Der König hat den Vorteil nach den Waffen:

Die sind erprobt und trefflich überaus.

Die seinen mußte Brandimart erraffen,

Wo grad er fand, was nötig war zum Strauß.

Doch beßre wird er schon sich bald verschaffen;

So malt es ihm des Herzens Kühnheit aus,

Färbt ihm auch eine Wunde, eine große,

Die Schulter rot, von Agramantes Stoße,


93.

Und gilts auch in der Seite die zu tragen,

Die – nicht zum Spiel – vorher Gradaß ihm schlug.

Wie spähend also auf der Lauer lagen

Des Franken scharfe Augen lang genug,

Weiß er des Feindes linken Arm zu schlagen

Und streift auch noch die rechte Hand im Flug.

Doch mit Gradassos Hieben im Vergleiche,

Und Rolands, waren Spaß nur diese Streiche.


94.

Roland ist halb entwaffnet schon zu schauen:

Der Helm klafft oben und an Seiten weit,

Der Schild liegt unten auf dem Gras der Auen,

Geöffnet ist so Ring und Panzerkleid.

Er selbst ist fest; kein Hieb hat eingehauen,

Und reichlich hat er heimgezahlt sein Leid.

Der Kopf, der Hals, die Brust des Heiden blieben

Wund, abgesehn von dem, was ich beschrieben.


95.

Den Leib vom eignen Blut befleckt zu sehen,

Macht nun Gradaß besorgt: er faßt entsetzt,

Derweil der Feind vom Kopf bis zu den Zehen

Nach solchen Schlägen heil und unverletzt,

Zweihändig jetzt das Schwert: in Stücke gehen

Meint er, muß Kopf und Hals und Brust, zerfetzt,

Und auf die Stirn – nicht besser konnt' er's hoffen –

Hat er mit halbem Schwert den Feind getroffen.
[277]

96.

Auch mußte dieser Hieb bei andern sitzen,

Den Feind zum Sattel spalten ganz und gar.

Doch, flach geschwungen, konnt er hier nicht ritzen;

Blank blieb das Schwert, so leuchtend wie es war.

Vor Rolands Augen freilich Sterne blitzen:

Der Schlag nahm ihm Bewußtsein um ein Haar,

So daß er Schwert und Zaum gelassen hätte,

Hielte sie nicht am Arme fest die Kette.


97.

Dem Pferd, das hier den Grafen hat getragen,

Wird von dem Schall des grausen Hiebes bang:

Es zeigt jetzt, was es leisten kann im Jagen,

Und flieht das sandige Gestad entlang.

Vom Hieb betäubt, den ihm der Mohr geschlagen,

Lenkt Roland nicht den Zaum; so irrt es lang.

Es würde sicher eingeholt vom Mohren,

Allein der brauchte nicht dazu die Sporen:


98.

Er sah gerad, als er die Blicke wandte,

Den König arg in Not, verloren fast:

Ihm hatte schon der Sohn des Monodante

Mit seiner linken Hand den Helm erfaßt

Und löste vorn die Schnallen Agramante

Und schaffte mit dem Dolch in großer Hast.

Der König wehrt sich schwer nur und beklommen,

Denn aus der Hand ist ihm das Schwert genommen.


99.

Drum schwenkt Gradaß – den Grafen läßt er reiten –,

Dem König dort zu helfen in der Schlacht.

Den Gegner lasse Roland nicht entgleiten,

Meint Brandimart, und hat nicht seiner acht;

Bestrebt, dem Mohr ein Ende zu bereiten,

Gebraucht er seinen Dolch mit aller Macht.

Nun kommt Gradaß, um ihm mit beiden Händen

Den fürchterlichsten Schlag aufs Haupt zu senden.
[278]

100.

O laß zu deinen auserwählten Scharen,

Vater des Himmels, den Getreuen ein,

Der nun, die Segel reffend, nach Gefahren,

Sturmvoller Reise will im Hafen sein!

O Durendal, wie muß dein Herr erfahren,

Durch deine Grausamkeit, so schwere Pein,

Daß ihm durch dich sein Freund getötet werde,

Der liebste, der ihm ward auf dieser Erde?


101.

Den Helm umschloß von Eisen rings ein breiter,

Zwei Finger dicker Ring: der ward durchhaun;

Gespalten durch den mächt'gen Hieb noch weiter

Die Kappe stählern um des Ritters Braun.

Erloschnen Blickes stürzt der Christenstreiter

Jählings herab vom Renner auf die Aun,

Derweil vom Haupt die roten Bäche fließen

Und in den Sand des Bodens sich ergießen.


102.

Der Graf hat sich erholt, schaut in die Runde

Und hat den Ritter auf dem Grund entdeckt;

Der Heide beugt sich auf des Toten Wunde:

Man sieht es wohl, er hat ihn hingestreckt.

War größer Schmerz, war's Zorn? Nicht hab' ich Kunde;

Zum Weinen war die Frist zu kurz gesteckt:

So bleibt der Schmerz, der Zorn entschlüpft behende. –

Doch Zeit ist's nun, daß ich den Sang beende.

Quelle:
Ariosto, Ludovico: Der rasende Roland. In: Sämtliche poetischen Werke, Berlin 1922, Band 3, S. 253-279.
Lizenz:
Ausgewählte Ausgaben von
Der rasende Roland
Die Historia vom Rasenden Roland
Ludovico Ariosts Rasender Roland nacherzählt von Italo Calvino

Buchempfehlung

Klopstock, Friedrich Gottlieb

Hermanns Schlacht. Ein Bardiet für die Schaubühne

Hermanns Schlacht. Ein Bardiet für die Schaubühne

Von einem Felsgipfel im Teutoburger Wald im Jahre 9 n.Chr. beobachten Barden die entscheidende Schlacht, in der Arminius der Cheruskerfürst das römische Heer vernichtet. Klopstock schrieb dieses - für ihn bezeichnende - vaterländische Weihespiel in den Jahren 1766 und 1767 in Kopenhagen, wo ihm der dänische König eine Pension gewährt hatte.

76 Seiten, 5.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Sturm und Drang. Sechs Erzählungen

Geschichten aus dem Sturm und Drang. Sechs Erzählungen

Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Michael Holzinger hat sechs eindrucksvolle Erzählungen von wütenden, jungen Männern des 18. Jahrhunderts ausgewählt.

468 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon