Fünfunddreissigster Gesang

[113] 1.

Wer wird für mich herab vom Himmel bringen,

Was ich verlor, o Herrin, an Verstand,

Der, seit aus Eurem Aug' ins Herz mir dringen

Die scharfen Pfeile, mehr und mehr verschwand? –

Doch will ich drob nicht Klagelieder singen,

Wenn keine neuen werden ausgesandt.

Denn, muß ich ihn noch mehr geschmälert sehen,

So wird mir's, fürcht' ich, bald wie Roland gehen.


2.

Ich brauch' in solche Höhen nicht zu steigen,

Um einzubringen meines Geists Verlust,

In Mondeskreis und Paradiesesreigen;

Daß er so hoch nicht weilt, ist mir bewußt.

Als Wohnsitz ist ihm Euer Antlitz eigen;

Die Alabasterhügel Eurer Brust

Durchschweift er, und ich kann mit diesen Lippen,

Glaub' ich, wenn Ihr's vergönnt, zurück ihn nippen.


3.

Der Herzog war durchs hohe Schloß gegangen,

Das Leben Kommender zu schaun, gespannt

Nach denen, die zu weben angefangen

Hatt' auf dem Haspel schon der Parze Hand.

Da glänzt ein Bündel: so vermag zu prangen

Nicht allerfeinstes Gold; es überwand

Vieltausendmal die schönsten Edelsteine

(Ließen sich Fäden ziehn) mit seinem Scheine.
[114]

4.

Das Prachtgespinst – kein schönres wär' zu spinnen –

Gefällt dem Paladin ganz ungemein:

Ihm wächst der Wunsch sogleich im Herzen drinnen,

Zu hören, wann solch Leben werde sein.

Johannes, ohne lang sich zu besinnen,

Sagt: »Zwanzig Jahr' eh M wird im Verein

Mit D darstellen einst das Jahr des Wortes,

Des fleischgewordnen, und des Menschenhortes.


5.

Wie jeder Glanz vor diesem muß erbleichen

Und kein Gespinst mit dem sich messen kann,

Wird jenem Dasein keines sich vergleichen,

Wenn es auf Erden einst Gestalt gewann.

Denn, was Natur an Gaben, wunderreichen,

Was eigner Fleiß mag schenken einem Mann,

Was gütiges Geschick vermag zu geben,

Wird ewig zieren dieses hohe Leben.


6.

Wo sich des Flüssekönigs Hörner recken,

Bescheiden«, sprach er, »liegt ein kleiner Ort.

Vorn fließt der Po, dahinter ziehn sich Strecken

Von sumpf'gem Lande durch den Nebel fort.

Im Lauf der Jahre wird aus diesem Flecken

Erblühn der Stolz ital'scher Städte dort

Durch Häuser schön in weiter Mauern Mitten,

Doch auch durch Wissenschaft und edle Sitten.


7.

Erhebung also rasch und so viel Ehre,

Ein bloßer Zufall ist's in keiner Weis';

Es ward von Gott bestimmt, daß würdig wäre

Des Baumes Stätte für ein solches Reis.

Will man erzielen, daß er Frucht beschere,

So pfropft man und man pflegt ihn recht mit Fleiß.

Geläutert wird auch Gold von hellem Scheine,

Sich zu verbinden mit dem Edelsteine.
[115]

8.

Noch niemals trugen früher Erdengäste

Ein Kleid so lieblich und von solcher Pracht;

Kaum ward, kaum wird von dieser Himmelsfeste

Solch hehrer, würd'ger Geist der Welt gebracht,

Wie der, daraus Herrn Hippolyt von Este

Der Quell der ew'gen Weisheit künftig macht.

Er, dem von Gott solch reich Geschenk gesandt wird,

Ippolito von Este zubenannt wird.


9.

Was man genug für viele möchte meinen

Und diesen allen hohe Zierde schafft,

Das sammelt sich als Schmuck für diesen einen,

Von dem ich reden wollte: Wissenschaft

Und Tugenden wird er ein Hort erscheinen;

Und nähm' ich hier zusammen Zeit und Kraft,

Daß ich sein ganz Verdienst dir hier verkünde,

Gehirnlos lange noch Herr Roland stünde.«


10.

Der Jünger Christi gab mit diesen Worten

Astolf Bescheid; und als sie beide dann

Sich umgeschaut an diesen hehren Orten,

Wo man das Los des Menschenlebens spann,

So gingen sie zum Fluß, der, nah den Pforten,

Mit häßlichen und trüben Wogen rann,

Als sie den Alten zu Gesicht bekamen,

Der forttrug all die Plättchen mit den Namen


11.

Und uns an meines jüngsten Sanges Ende

(Besinnt Ihr euch darauf?) den Abschied gab;

Im Antlitz alt, sonst hurtig und behende:

Mit jedem Hirsche nahm er's auf im Trab.

Den Namenhaufen griffen seine Hände:

Nie ward er fertig, nahm der Berg auch ab.

Er hat die Last, wo Lethes Wellen flossen,

Entladen – oder besser – ausgegossen.
[116]

12.

Kaum ist er angelangt an Flusses Rande,

So schüttet der verschwenderische Greis

Die Tafeln allesamt aus dem Gewande

Und gibt sie jenen schmutz'gen Wogen preis.

Zahllose sinken unter dort am Strande,

So daß man nichts damit zu machen weiß.

Von hunderttausend, die zur Tiefe wallten,

Hat kaum ein einzig Plättchen sich erhalten.


13.

Rings an des Flusses Ufern flattern krächzend

Raben und Krähn, Gevögel mancherlei;

Gefräß'ge Geier nahn und Dohlen, ächzend,

Mit Lärmen und mißtönigem Geschrei,

Und eilen, nach der reichen Beute lechzend,

Die sie verstreut sehn, durch die Luft herbei

Und packen dies mit Schnabel, das mit Krallen,

Doch lassen sie es, eh sie weit sind, fallen.


14.

Wie sie versuchen, durch die Luft zu streichen,

Da fühlen sie sich durch die Last beschwert,

Und nach den Lethefluten muß entweichen

Manch reicher Name, der Erinnrung wert.

Ein Paar von weißen Schwänen nur (sie gleichen,

Herr, Eurem Wappen) froh zur Höhe fährt,

In stolzer Sicherheit die Flügel schlagend

Und seine Namen in den Schnäbeln tragend.


15.

So werden einige des Flusses Wogen,

Dem sonst der neid'sche Greis die Namen weiht,

Durch jene guten Vögel wohl entzogen:

Die andern all verschlingt Vergessenheit.

Bald flügelschlagend und bald schwimmend, flogen

Die heil'gen Schwäne durch die Lüfte weit

Zu einem Hügel an des Flusses Strande:

Dort ragt ein Tempel auf am Bergesrande.
[117]

16.

Geweiht war der Unsterblichkeit die Stelle:

Vom Hügel eine schöne Nymphe kam

Hinab zum Strand, bespült von Lethewelle,

Die aus der Schwäne Mund die Tafeln nahm.

Ein Bildnis ragt auf einer Säule Helle:

Das schmückt sie mit den Platten wundersam,

Geweihte Stätte ihnen zu bereiten,

Wo man sie schauen kann für ew'ge Zeiten.


17.

Über den Greis wär' Astolf gern im klaren;

Was sinken jene Namen nutzlos hin?

Was ist es mit dem Ort? den Vogelscharen?

Was mit der Nymphe dort im Tempel drin?

Von alldem wünscht er sehnlich zu erfahren

Das tief' Geheimnis, den verborgnen Sinn.

Vernehmt nun, was der heil'ge Jünger sagte,

Nachdem der Herzog Astolf ihn befragte:


18.

»Kein Zweiglein, wisse, kann dort locker werden,

Davon ein Zeichen nicht sich hier entfalt':

Die Wirkung ist im Himmel und auf Erden;

Nur zeigt sie sich in anderer Gestalt.

Der Alte mit den eiligen Gebärden,

Dem lang der Bart zur Brust herniederwallt,

Wisse, daß er das Werk zu tun bereit ist,

Das auf dem Erdenball verliehn der Zeit ist.


19.

Ein Menschenleben muß zu Ende gehen,

Sind von dem Rad die Fäden eingereiht;

Der Ruf wird dort, das Zeichen hier bestehen.

Fortdauern würden beid' in Ewigkeit,

Wär' er nicht, den wir zottelwangig sehen,

Hier oben – und dort unten nicht die Zeit.

Der wirft sie fort, wo Lethes Fluten winken;

Die läßt sie in Vergessenheit versinken.
[118]

20.

Und wie hier oben Geier, Krähen, Raben

Und was von Vögeln sonst zu schauen war,

Davonzuschleppen alle Müh' sich gaben,

Wodurch ein Name schön erschien und rar:

So machen's Schelme, Schmeichler, feile Knaben,

Schalksnarren, Schnüffler und die ganze Schar,

Die irgendwie hat Dienst bei Hof genommen,

Dort mehr oft als der Redliche willkommen.


21.

Hofleute nennt man sie, von feinen Sitten –

Sie äffen ja dem Esel nach und Schwein –:

Wenn ihrem Herrn den Faden abgeschnitten

Die Parze hat ('s ist Venus mehr und Wein),

Dann läßt (wie Speisen nach dem Wanste glitten,

War stets der Faulen Sinnen ganz allein)

Der Schwarm den Namen ein paar Tag' erschallen,

Dann in Vergessenheit hinunterfallen.


22.

Doch wie mit frohem Sang der Schwäne Scharen

Zum Tempel tragen jener Plättchen Glast,

Poeten vor Vergessenheit bewahren,

Die ja noch schlimmer ist als Sterben fast.

Heil euch, ihr Fürsten klug und wohlerfahren,

Die ihr des Cäsars Beispiel habt erfaßt

Und – weise – macht die Sänger euch gewogen!

Euch schrecken nimmermehr der Lethe Wogen!


23.

So wie die Schwäne, sind Poeten selten

(Sie, die wir solchen Namens würdig sehn),

Sei's, weil nach Gottes Rat in diesen Welten

Ein Reich Erlesener nicht soll bestehn,

Sei's, weil die Herren – Geiz'ge muß man schelten –

Die hohen Geister lassen betteln gehn;

Unwert erheben und Verdienst verbannen:

So jagen sie die rechte Kunst von dannen.
[119]

24.

Getrübt hat ihnen – glaubt mir – Gott die Lichter

Des Denkens und genommen den Verstand;

Sie scheuten, ach! die hohe Kunst der Dichter;

So löscht nun alles aus des Todes Hand.

Sie schritten, ob verdammt vom Totenrichter,

Sonst lebend weiter über Grabes Rand

Und röchen – öffnet Cirra ihre Grüfte –

Noch lieblicher als Nard- und Myrrhendüfte.


25.

Aeneas war so fromm nicht, wie wir lesen;

Hektor, Achill so stark nicht und voll Mut

Wohl tausend, tausend, tausend sind gewesen

Noch besser oder doch gerad so gut;

Doch die Paläste, Villen auserlesen –

Der Söhne Spende solche Wunder tut:

Der Dichter Hand schuf all die hohen Ehren,

Zu denen sie sonst nie gekommen wären.


26.

So, wie's verkündet hat Vergils Trompete,

So gütig, heilig war Augustus nie:

Daß guter Wind bei ihm für Dichter wehte,

Das war's, was ihm der Ächtung Schuld verzieh.

Es könnte sein, daß sich die Meinung drehte

Für Nero und ihm gleichen Nachruhm lieh'

(Wären auch Erd' und Himmel strenge Richter),

Hätt' er zu Freunden sich gemacht die Dichter.


27.

Siegreichen Agamemnon zeigt Homer dir;

Der Troer ist bei ihm ein feiger Wicht;

Penelope gefällt, die treue, sehr dir,

An der die Freierschar so viel verbricht;

Enthüllte sich die Wahrheit aber mehr dir,

So klänge wohl ganz anders die Geschicht':

Penelope wär' schlecht und wenig züchtig,

Die Troer Sieger und die Griechen flüchtig.
[120]

28.

Sieh anderseits, wie Dido hat erhalten

Für ihre Keuschheit, ach, so schlechten Zoll!

All ihre Tugenden als Ränke galten,

Weil Herr Vergil nicht hold und liebevoll.

Doch staune nicht, wenn ich mich aufgehalten,

Und mir zuletzt sogar die Galle schwoll;

Ich mußt' es tun, ich liebe die Autoren,

Hab ich die Schreiberzunft doch selbst erkoren!


29.

Dadurch gewann ich hohe Herrlichkeiten,

Denn nie kann Zeit und Tod ja mich bedrohn:

Vergönnt ward mir durch Christ, den Benedeiten,

Zu seinem Ruhm unsagbar großer Lohn.

Mich jammert, wer da lebt in bösen Zeiten,

Wenn Edelmut verschloß die Türen schon

Und bleiche Menschen, abgezehrt wie Knochen,

Bei Tag und Nacht umsonst an ihnen pochen.


30.

So istwas schon gesagt, zu wiederholen –

Klein der Gelehrten und der Dichter Kreis:

Sogar das Wild entflieht, wo nicht zu holen

Ein Weidefutter oder andre Speis.«

Er spricht's – und Flammen sprüht wie Feuerkohlen

Dabei sein Augenpaar –, der sel'ge Greis.

Mit weisem Lächeln drauf und nicht mehr bitter,

Nein, heiter, freundlich wandt' er sich zum Ritter.


31.

Mit ihm, der's Evangelium geschrieben,

Bleib' Astolf, – denn von mir sei jetzt voll Wucht

(Ich bin zu lang auf Flügeln schon geblieben

Und müd) ein Sprung zur Erd' hinab versucht.

Zum Fräulein kehr' ich, dem ins Herz getrieben

Der böse Stachel ward durch Eifersucht.

Ich ließ sie nacheinand zu Boden strecken

In kurzem Kampfe die drei Königsrecken.
[121]

32.

Vernommen hatte sie noch spät am Tage

In einem Schlosse, ihrem Wege nah,

Daß Agramant nach seiner Niederlage

In Arles sei: – und die Hoffnung sagt ihr da,

Sie finde nun den Teuren ohne Frage.

Drum als in ihr Gemach der Morgen sah,

Ritt sie provencewärts; Karl mit seinen Mannen,

So hörte sie, zog auch dahin von dannen.


33.

Sie nahm den nächsten Weg in großer Eile;

Da fügte sichs, daß sie ein Fräulein fand,

Der Lieblichkeit und Anmut ward zuteile,

Wenngleich ihr Auge jetzt voll Tränen stand.

Wir kennen sie: getroffen von dem Pfeile,

Heiß liebte sie den Sohn des Monodant

Und ließ bei Rodomonte ihren Ritter

Am Steg, gefangen hinter Schloß und Gitter.


34.

Sie sucht, wie sie des Kämpen habhaft werde,

Des kampferprobten, derder Otter gleich –

Imstande sei, mit jenem auf der Erde

Zu ringen und dazu im Wasserreich.

Die Leiderfüllte sah die Schmerzgebärde

Der Freundin Brandimarts, und alsogleich

Trat sie mit feinem Gruße ihr entgegen

Und bat sie, ihren Kummer darzulegen.


35.

Als Flordelis auf sie die Augen kehrte,

Da stand vor ihrem Aug' der Held gerad;

Sie meldet, wie der Fürst den Steg verwehrte

Und ihrem Freunde dort den Weg vertrat,

Ihm fast das Leben raubte mit dem Schwerte;

Nicht daß er etwa stärkre Schläge tat,

Nein, weil die Hilfe, die der Fluß ihm brachte,

Der schlaue Heide sich zunutze machte.
[122]

36.

»Du bist so edel,« sprach sie, »kühn an Mienen:

O wenn du beides bist in Wirklichkeit,

So wolle mir – um Gott! – als Rächer dienen

An ihm, der meinen Herrn hält, mir zum Leid!

Sonst sage mir, ob wohl ein Held erschienen,

Der jenen Mohr bestehen könn' im Streit,

Erfahren so im Kampf und Werk der Waffen,

Daß Brück' und Fluß dem keine Hilfe schaffen.


37.

Du tust damit, was ja vor allen Dingen

Des wackern Ritters Schuldigkeit und Pflicht;

Auch wirst du's für den besten Mann vollbringen,

Der Treuverliebter Spiegel ist und Licht.

Ich will kein Loblied seinen Gaben singen:

So viele sind's, ich zählte sie dir nicht.

Und sollte sie ein Krieger doch nicht kennen,

So ist er wahrlich taub und blind zu nennen.«


38.

Die edle Maid, die jeder Tat beflissen,

Sobald sie kühn und rechten Lobes wert,

Will hohen Ruhms Gelegenheit nicht missen,

Und hat sich, hinzugehn, bereit erklärt;

Jetzt um so mehr: nun ihr das Herz zerrissen,

Gilt ihr es gleich, wird ihr der Tod beschert.

Sie glaubt sich, ach, von Roger ja verlassen

Und weiter fortzuleben, muß sie hassen.


39.

»Verliebtes Mädchen,« sagte Bradamante,

»Nach allen Kräften still' ich dir dein Weh

Und tue, was dein Mund gefährlich nannte,

Aus andern Gründen, die ich übergeh',

Zumeist doch, weil er jenem zuerkannte,

Was ich an wenigen zu rühmen seh':

Die Liebestreu'; ich sag's mit dürren Worten:

Treubrüchig sind die Männer allerorten!«
[123]

40.

Sie endigt seufzend, wie mit einer Klage;

Der Seufzer war dem Herzensgrund entflohn.

Drauf sprach sie: »Gehen wir!« Am andern Tage

Gelangten sie zum Paß des Schreckens schon.

Der Krieger, der die Wache hielt am Schlage,

Meldet sie an mit seines Hornes Ton.

Drauf wappnet sich der Mohr und kommt geritten,

Wie er's gewohnt ist, auf der Brücke Mitten.


41.

Und als er sieht, sie naht sich jener Stelle,

Bedräut er gleich mit Tod die Kriegerin,

Gebe sie nicht die Wehr in aller Schnelle

Als Opfer an das große Grabmal hin.

Ihr aber war bekannt, daß Isabelle

Gestorben war durch seinen harten Sinn

(Denn Flordelis erzählt' ihr von den beiden),

Und Antwort gab sie nun dem stolzen Heiden:


42.

»Was, Bluthund, du verbrachst mit argem Mute,

Büßt es die Unschuld mit der reinen Hand?

Versöhne jene mit dem eignen Blute:

Sie starb durch dich; der Welt ist das bekannt.

Ein beßres Opfer, traun, empfängt die Gute

Als jene, die dein Schwertschlag überwand,

Mit allen ihren Rüstungen und Waffen –

Kann ich, sie rächend, dich zur Hölle schaffen.


43.

Willkommner wird ihr sein, was ich ihr sende,

Weil ich, wie sie, ja selbst ein Mädchen bin;

Ich kam hierher nur, daß sie Rache fände;

Allein nach diesem Ziele steht mein Sinn.

Doch eh wir sehn, wie Kampfesglück sich wende,

Laß den Vertrag uns schließen zu Beginn:

Wenn du im Streite mich zu Boden brachtest,

So tu mir, wie du's mit den andern machtest.
[124]

44.

Erliegst du aber, will ich mir gewinnen –

Ich hoff's – die Rüstung und das Pferd von dir.

Bloß diese weih' ich dann im Grabmal drinnen;

Die andern alle nehm' ich fort von hier,

Und alle Krieger ziehen frei von hinnen.«

Sprach Rodomont: »Gerecht erscheint es mir;

Doch könnt' ich die Gefangnen dir nicht geben:

Die hab' ich nicht mehr hier am Ort; sie leben


45.

In Afrika, gesandt nach meinen Reichen.

Doch ich verspreche fest und feierlich:

Fügt es sich wirklich nach des Schicksals Streichen,

Daß du im Sattel bleibst, am Boden ich,

Frei sollen die Gefangnen all entweichen,

Und zwar sofort, nachdem die Zeit verstrich,

Die wohl ein Bote braucht, dorthin zu eilen

Und, was du mir gebietest, mitzuteilen.


46.

Mußt du nunwie's sich mehr ziemt – unten liegen

(Und sicher weiß ich, also wird es sein),

Behalt die Wehr; zur Schar, die sich besiegen

Ließ, trage deinen Namen nicht der Stein:

Das schöne Haar, drauf Lieb' und Lust sich wiegen,

Das Antlitz und die holden Äugelein,

Sie will ich ja mit meinem Sieg beschenken

Und deinen Sinn vom Haß zur Liebe lenken.


47.

Ich bin so kühn, an Kräften so gewaltig:

Von mir besiegt zu sein ist keine Schand'.«

Ein Lächeln, aber etwas wermuthaltig,

Darin mehr Zorn als andres sich befand,

Gab Antwort auf sein Prahlen mannigfaltig:

Sie sprengte vorwärts an des Brückleins Rand,

Und mit dem Goldspeer, eingedrückt die Sporen,

Stürmte die Jungfrau auf den stolzen Mohren.
[125]

48.

Gerüstet hat sich Rodomont zum Streiten:

Er kommt in vollem Lauf, die Brücke kracht,

So daß sie Menschen in entfernten Weiten

– Wohl kann es sein – die Ohren dröhnen macht.

Die alte Wirkung muß den Speer begleiten;

Der Mohr, sonst so gewaltig in der Schlacht,

Hoch aus dem Sattel in die Luft gehoben,

Fliegt auf den Steg, Kopf unten, Füße oben.


49.

Kaum bot die Brücke Platz der Hochgemuten,

An ihm vorbeizukommen mit dem Roß:

Fast stürzte sie hinunter in die Fluten

– Gefahr war groß –, als sie hinüberschoß.

Doch flink ist Rabikan, der Feuergluten

Und Sturmwind ja, dem brausenden, entsproß:

Er schlüpft dahin am äußern Rand gerade;

Ein scharfes Schwert wär' ihm genug zum Pfade.


50.

Sie kehrt sich um, jetzt beim Vorüberfliegen,

Zu dem am Boden; neckend spricht sie dann:

»Wer von uns beiden muß nun unten liegen?

Du siehst wohl, wer verlor und wer gewann?«

Starr war der Heide (seine Lippen schwiegen);

Er faßt nicht, daß ein Weib ihn fällen kann.

Ob er nicht sprechen wollte, ob nicht konnte

Wie stumpf und sinnverstört blieb Rodomonte.


51.

Traurig und stumm beginnt er aufzustehen,

Bewegt sich vier, fünf Schritte langsam, schwer,

Reißt Schild und Helm, wo Schupp' und Ring zu sehen,

Sich ab und schleudert hin die ganze Wehr,

Um dann allein, zu Fuß, davonzugehen.

Dem Knappen gab er Auftrag noch vorher,

Mit den Gefangnen möge man verfahren

So, wie sie übereingekommen waren.
[126]

52.

Er schied, und nichts von ihm vernahm man weiter,

Als daß er jetzt ein Höhlenloch bewohn'.

Indes wird aufgehängt vom Mohrenreiter

Die Rüstung an dem hohen Grabmal schon.

Das Fräulein nimmt die Wehr der andern Streiter,

Die sie als Kämpfer für des Kaisers Thron

Erkannte; jeder Name stand geschrieben.

Sonst sind die Waffen dort am Platz geblieben.


53.

Von Samsonet die Wehre sah sie hangen,

Von Oliver, vom Sohn des Monodant.

Die ersten waren gradeswegs gegangen,

Den Ritter aufzufinden von Anglant:

Sie wurden von dem grimmen Mohr gefangen

Und – gestern erst – nach Afrika gesandt.

Das Fräulein nimmt vom Grabmal ihre Waffen

Und läßt sie in Verschluß des Turmes schaffen.


54.

Die andern bleiben an dem Marmorsteine,

Die sonst der Heidenfürst erbeutet hat,

Auch eines Königs: diesen lenkte seine

Sehnsucht zum edlen Hengste Frontalatt.

Womit ich des Zirkassiers Waffen meine:

Der lief sich über Tal und Hügel satt,

Hier auch sein zweites Roß noch einzubüßen

Und waffenlos zu scheiden – auf den Füßen.


55.

Ja, waffenlos, zu Fuße muß er scheiden

Vom bösen Brücklein da, der Mohren Hort,

Denn die Geschlagnen zogen – wenn sie Heiden –,

Von Rodomont entlassen, alle fort.

Den Weg zum Lager ließ er sich verleiden;

Er zeigte sich, beschämt, jetzt nimmer dort,

Weil frühre Prahlereien es verwehren,

Also beschämt dahin zurückzukehren.
[127]

56.

Nach ihr, für die sein Herz sich will verzehren,

Hat Sakripant aufs neu sich aufgemacht;

Da ließ das Glück die Kunde ihm bescheren

(Ich weiß nicht, wer die Nachricht ihm gebracht),

Sie sei jetzt auf dem Wege, heimzukehren.

So eilt er denn, gespornt von Amors Macht,

Und folgt der Teuren Spur auf jenen Auen –

Doch nach der Haimonstochter will ich schauen.


57.

Weil eine andre Inschrift hier erzählte,

Wie dieser Paß von ihr ward freigelegt,

Befragt sie Flordelis, die Schmerzgequälte,

Die noch die nassen Blicke niederschlägt,

Liebreich, ob sie die Straße schon sich wählte,

Darauf der Zelter sie von dannen trägt.

Sprach Flordelis: »Der Weg ist mir erkoren;

Er geht nach Arles ins Lager zu den Mohren.


58.

Dort hoff' ich, um hinüber aufzubrechen,

Ein Schiff zu finden und ein gut Geleit,

Und nie werd' ich die Reise unterbrechen,

Bis ihn zu finden mir das Glück verleiht.

Will alles tun, die Ketten ihm zu brechen,

Versuchen alle Wege mit der Zeit,

Damit ich, trog des Mohren Schwur am Ende,

Noch dieses Mittel oder jenes fände.«


59.

»Ein Stück des Weges«, sagte Bradamante,

»Bin ich bereit Genossin dir zu sein;

Bis hin vor Arles; als meine Abgesandte,

Bitt' ich, geh dann in jene Stadt hinein

Und suche Roger auf bei Agramante!

Sein Name klingt im Land jetzt fast allein.

Tritt vor ihn hin mit diesem guten Pferde,

Von dem ich Rodomont warf auf die Erde,
[128]

60.

Und sag' ihm Wort für Wort: ›Ein fremder Degen

(Er ist der Welt es darzutun imstand

Und fest gewillt, es deutlich darzulegen,

Daß er des Treuebruchs dich schuldig fand)

Gab – stell' dich unverzüglich ihm entgegen! –

Hier dieses Roß für dich in meine Hand.

Nimm eilig, sagt er, Schupp' und Panzerringe!

Er harrt, daß er im Kampfe mit dir ringe.‹


61.

Sprich dies, – nicht mehr! Fragt er, so sagst du eben,

Ich sei dir unbekannt.« Voll Freundlichkeit,

Wie stets, spricht Flordelis: »Das Leben,

Und nicht nur Worte, wär' ich gern bereit

In deinem Dienste für dich hinzugeben;

Du botest ja das deine mir zur Zeit.«

Das Fräulein dankt ihr, faßt Frontin behende

Und gibt ihr Zaum und Zügel in die Hände,


62.

Worauf den Fluß entlang die Pilgerinnen

Gar eilig ziehen, jung und hold und schön,

Bis Arles erscheint, und dann ihr Lied beginnen

Des fernen Meeres Wogen mit Gedröhn.

Die Kriegerin bleibt in der Vorstadt drinnen,

Nah bei der Außenschanzen letzten Höhn,

Daß Flordelis die nöt'ge Zeit sich gönne

Und ihren Hengst zu Roger bringen könne.


63.

Die ritt durchs Gatter nach der Brück' und Pforte

Und nahm dann einen, der Geleit ihr gab

Zur Wohnung Rogers: angelangt am Orte,

Steigt Flordelis von ihrem Pferd herab,

Meldet dem Jüngling Bradamantes Worte

Und liefert ihm Frontin, den Renner, ab.

Sie wartet nicht, ob er Bescheid erteile,

Und geht, zu eignen Wegen, fort in Eile.
[129]

64.

Roger zermartert sich mit Grübeleien

Verdutzt den Kopf und quält sich ab im Geist:

Wer fordert ihn, spricht von Verrätereien,

Der doch zugleich ihm Freundlichkeit erweist?

Wie kommt es? Kann man ihn des Treubruchs zeihen?

Wie kommt es, daß ihn einer treulos heißt?

Er faßt es nicht; am wenigsten von allen

Wär' er auf Bradamante hier verfallen.


65.

Wär's Rodomont? Der könnte – möcht' er meinen –

Vielleicht von allen es am ersten sein;

Zwar, daß er dem auch sollte falsch erscheinen, –

Es anzunehmen fällt kein Grund ihm ein;

Doch kennt er auf der weiten Welt nicht einen,

Mit dem er Streit gehabt, als ihn allein.

Inzwischen ruft zum Kampf die kühne Schöne,

Denn mächtig schallen ihres Hornes Töne.


66.

Die Nachricht, daß ein Kämpfer sei erschienen,

Ward zu Marsil gebracht und Agramant.

Durch Zufall stand Herr Serpentin bei ihnen;

Der rief nach Waffen gleich und Stahlgewand:

Dem Übermüt'gen, sagt' er, woll' er dienen,

Wo rings viel Volk auf Mauern sich befand.

Zu Hause blieben Alte nicht noch Kinder:

Sie sähen alle gern den Überwinder.


67.

In reichem Kleid und Harnisch, in den Bügel

Sprang mutig Serpentin vom Stern zum Strauß:

Er fällt beim ersten Stoß; als trüg' es Flügel,

So schnell entflieht sein Roß, gar weit hinaus.

Die Dame holt es ein, bringt's ihm am Zügel

Und spricht voll Höflichkeit: »Sitz auf, zu Haus

Dem König, deinem Herrn, von mir zu sagen:

Ich möchte mich mit beßrem Krieger schlagen.«
[130]

68.

Dem König, der mit vielen von den Seinen

Auf Mauerhöh', um zuzusehn, erschien,

Will wundersam die Höflichkeit erscheinen,

Die dort der Held erzeigt hat Serpentin:

»Er durft' ihn greifen füglich, sollt' ich meinen,

Und tat's nicht!« ruft er laut; rings hört man ihn.

Da meldet Serpentin, ihm sei befohlen,

Nun bessern Kämpen zum Turnier zu holen.


69.

Vom Spanierland der wildeste der Streiter

Der stolze Volternaner ist's, Grandon –

Erscheint (auf seine Bitten) jetzt als Zweiter

Und kommt zum Plane hin mit grimmem Drohn:

»Nun hilft dir deine Höflichkeit nicht weiter;

Gefangenschaft wird dir von mir zum Lohn,

Wenn ich dich lebend auf den Boden lege;

Doch stirbst du, wenn ich leiste, was ich pflege.«


70.

Sie sprach: »Für deine Grobheit zu vergessen,

Was Höflichkeit erheischt, sei fern von mir.

Eh deine Glieder drum den Boden messen,

Zu deinem Herrn zu gehen rat' ich dir:

Sag' ihm von mir, du bist der Held nicht, dessen

Ich mich versah, als ich erschienen hier;

O nein, ein Krieger von erlesnem Werte

War es, den ich als Gegner mir begehrte.«


71.

Die herben Worte, beißend scharf, erregen

Im Herz des Mohren großen Zornes Glut:

Was setzt er solchem Stolze wohl entgegen? –

Er schwenkt sein Tier herum voll Grimm und Wut.

Den Goldspeer eilt das Fräulein einzulegen,

Und auf den Kühnen sprengt sie wohlgemut.

Kaum klirrt der Zauberspeer auf seinem Schilde –

Den Fuß zum Himmel streckt Grandon der wilde.
[131]

72.

Die Edle hat das Pferd ihm eingefangen

Und spricht zu ihm: »Ich sagt' es ja voraus:

Dir frommte mehr, dem König mein Verlangen

Zu melden, als ein solcher Waffenstrauß.

Laß, bitt' ich, nun den Wunsch zu ihm gelangen,

Er suche einen mir Gewachsnen aus.

Möchte mir nicht mit Euch Ermüdung schaffen,

Die ihr geringe Übung habt in Waffen.«


73.

Wie alle auf der Mauer staunend fragen:

Wer sitzt in seinem Sattel dergestalt?

Und große Namen nun einander jagen

(Der Klang macht ihnen im August schon kalt)!

Es sei wohl Brandimarte, viele sagen;

Die meisten aber raten auf Rinald,

Sie würden auch den Namen Rolands nennen,

Doch allesamt sein traurig Schicksal kennen.


74.

Den dritten Gang Lanfusas Sohn begehrte;

Er sprach: »Nicht weil auf Sieg ich rechnen kann,

Doch weil ich gern den Tadel jener wehrte:

Man rechnet's, fall' ich, ihnen minder an,«

Worauf er sich mit allem wohl bewehrte,

Das man gebraucht; von hundert Rennern dann,

Die er im Stalle hatte, wählt' er einen,

Den besten, aus, mit leichten, flinken Beinen.


75.

Eh er den Streithengst läßt zum Angriff rennen,

Grüßt er, und sie dann ihn, voll Höflichkeit.

Die Dame sprach: »Wollt Euren Namen nennen,

Wenn ich Euch bitten darf um den Bescheid«!

Darauf gibt Ferragu sich zu erkennen;

Versteckt hat er sich noch zu keiner Zeit.

»Ihr seid«, versetzt sie, »mir nicht unwillkommen,

Doch andern Namen hätt' ich gern vernommen.«
[132]

76.

»Und welchen denn?« der Sarazene fragte –

»Roger,« sprach sie, und sprach es nur mit Müh'.

Ihr Antlitz färbte sich, da sie es sagte,

Als ob ein Röselein darauf erblüh'.

»Weil er als Krieger alles überragte,«

So fuhr sie fort; »man sagt' mir's spät und früh.

Mein ganzes Sorgen ist, mein ganzes Sinnen,

Ob er von mir wohl mag den Sieg gewinnen.«


77.

Was manche boshaft deutelnd könnten drehen,

Das sagt sie harmlos und voll Einfachheit.

Sprach Ferragu: »Laß erst zuvor uns sehen,

Wer von uns beiden mehr versteht im Streit.

Geschieht mir, was schon vielen ist geschehen,

Dann mag die Heilung meiner Traurigkeit

Vielleicht dem edlen Rittersmann gelingen,

Sehnst du dich alsosehr nach solchem Ringen.«


78.

Derweil aus ihrem Mund die Worte klangen,

Hielt sie emporgeschlagen das Visier.

Der Heide sieht der holden Züge Prangen

Und fühlt schon, ach, sich halb bezwungen schier:

»Ein Engel wollt' herab zu uns gelangen,«

Spricht er zu sich im stillen: »hat er mir

Noch mit der Lanze nicht den Schild getroffen,

Schlägt mich sein schönes Auge, hell und offen.«


79.

Sie nahmen Feld, – und wie die andern Streiter

Flog aus dem Sattel Ferragu sofort.

Das Fräulein bringt das Roß zurück dem Reiter

Und spricht: »Geh hin, gedenke an dein Wort.«

Beschämten Blickes zog der Heide weiter,

Und Roger fand er bei dem König dort,

Worauf er ihm des Ritters Botschaft brachte,

Der sich im Kampf mit ihm zu messen dachte.
[133]

80.

Ob Roger auch noch nicht den Fremden kannte,

Der solcher Art den Streit mit ihm begann,

War er doch siegsgewiß; vor Freude brannte

Sein Herz; rasch legt' er Ring' und Schuppen an:

Wenn jener, meint er, gleich zur Erde sandte

Die Gegner all, ihn das nicht schrecken kann.

Wie er zum Kampf ging, was die Folgen waren,

Das will ich für den nächsten Sang versparen.

Quelle:
Ariosto, Ludovico: Der rasende Roland. In: Sämtliche poetischen Werke, Berlin 1922, Band 3, S. 113-134.
Lizenz:
Ausgewählte Ausgaben von
Der rasende Roland
Die Historia vom Rasenden Roland
Ludovico Ariosts Rasender Roland nacherzählt von Italo Calvino

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