Fünfundzwanzigster Gesang

[306] 1.

O Kampf in junger Brust! Will sich vertragen

Der edle Trieb nach Ruhm mit Liebesdrang?

Wer mehr vermag, nicht kann man's füglich sagen,

Weil jener bald, bald der den Sieg errang.

In starke Bande hatten sie geschlagen

Gefühl der Ehr' und Pficht ihr Leben lang

(Drum setzten sie den Liebesstreit beiseite,

Bis man Entsatz dem Lager dort bereite) –


2.

Doch Lieb' in stärkre noch: ward nicht gesprochen

Von ihrer schönen Herrin jenes Wort,

Sie hätten nicht den Zweikampf unterbrochen,

Bis einer trug des Sieges Lorbeer fort;

Umsonst würd' ihrer harren Tag' und Wochen

Herr Agramant mit all den Seinen dort.

Es kommt zuweilen Glück durch Amors Gnaden,

Wenn auch der Schalk meist Unheil bringt und Schaden.


3.

Nachdem die Händel so verschoben waren,

Das Ritterpaar den Ort des Kampfs verließ,

Um beizustehn den Afrikanerscharen,

Und ritt mit jener Schönen nach Paris,

Dem Zwerg auch, der, den Spuren des Tataren

Nachfolgend, seinem Herrn die Fährte wies,

Bis Aug' in Aug' mit ihm er Rodomonte,

Den eifersuchtgeplagten, bringen konnte.
[307]

4.

Man kommt zu einem Wiesengrund: da laben

An eines Baches Rand vier Ritter sich,

Zwei waffenlos, und zwei, die Helme haben;

Ein Fräulein auch, gar schön und minniglich.

Wer jene sind, die sich dorthin begaben,

Sag' ich Euch später noch; jetzt wend ich mich

Zu Roger, der – Ihr werdet Euch besinnen –

Den Schild fortwarf: im Brunnen liegt er drinnen.


5.

Er war vom Brunnen fern noch keine Meile,

Da kam ein Bot' in Hast dahergerannt,

Von denen einer, die mit großer Eile

Der Sohn Trojans durchs Frankenland entsandt.

Er kündet, wie Herr Karl seit einer Weile

Das Mohrenvolk bedrängt mit starker Hand;

Wolle der Retter sich nicht bald erheben,

Müss' er die Ehre lassen und das Leben.


6.

Viele Gedanken Rogers Sinn durchzogen –

Zusammen stürmt auf ihn die ganze Schar;

Doch was das Beste sei, recht wohlerwogen

Das auszudenken, bot nicht Zeit sich dar.

Er ließ den Boten, kam den Weg geflogen,

Auf dem als Führerin die Dame war;

Und immer wieder trieb er sie, zu eilen,

Und gab ihr keine Zeit, um zu verweilen.


7.

Als sich die Sonne dann beginnt zu neigen,

Ist er – dem Weg nach – einem Schloß genaht,

In Frankreichs Herzen, dem Marsilius eigen;

Er nahm es Karl in diesem Krieg gerad.

An Brück' und Pforte will sich niemand zeigen,

Und keiner schließt und keiner sperrt den Pfad;

Und dennoch machen sich viel Leut' in Waffen

Am Gitter und am Graben dort zu schaffen.
[308]

8.

Das Fräulein war gekannt von ihnen allen:

Man ließ, als sie mit Roger kam herbei,

Auch den Begleiter schweigend sich gefallen

Und fragte nicht, woher und wer er sei.

Er kommt zum Platz und sieht ein Feuer wallen,

Voll ist der Ort von Kerlen allerlei;

Und der verurteilt ist, steht unter ihnen,

Ein Jüngling zart mit leichenblassen Mienen.


9.

Als nun sein Blick sich auf das Antlitz wandte,

Das er gesenkt hielt, weinend, auf den Grund,

War ihm, er sähe – deutlich – Bradamante!

Noch stärker gab die Ähnlichkeit sich kund,

Je mehr er forschend nun die Augen sandte

Auf Mien' und Haltung, Blick und Wang' und Mund:

»Sie ist es,« sprach er, »ist nicht zu verkennen,

Oder ich bin nicht Roger mehr zu nennen.


10.

Sie führte kühner Mut wohl zu dem Knaben,

Den sie allein zu schützen hat gemeint.

Nun mochte sie beim Handel Unglück haben

Und wurde dann gefangen, wie es scheint.

Was mußte sie hierher so eilig traben?

Konnt' ich das Werk nicht tun mit ihr vereint?

Doch dank' ich Gott: er wollte mich geleiten,

Daß ich noch helfen kann zu rechten Zeiten.«


11.

So nahm er, ohne sonst sich aufzuhalten,

Das Schwert (sein Speer beim andern Schloß zersprang),

Sprengt auf die Waffenlosen, hier die Brust zu spalten,

Wonach auf Seit' und Bauch der Huf erklang.

Der Degen kreist, schlitzt dem die Stirnesfalten

Und diesem Mann die Kehl' und dem die Wang'.

Der Pöbel flieht, und mancher liegt erstochen

Oder verstümmelt, Glied und Kopf gebrochen.
[309]

12.

So wie beim Vogelschwarm, der sich am Teiche

In Sicherheit auf seiner Weid' erbaut –

Wenn plötzlich unter ihn vom Wolkenreiche

Ein Falk' stößt, einen packt und hackt und haut –

Nur jeder einzle sucht, wie er entweiche,

Und nicht dabei auf den Genossen schaut –

So flohen diese mit verstörten Mienen,

Als Roger derart hauste unter ihnen.


13.

Vier, sechsen kam geschwind der Kopf abhanden,

Weil sie der Fuß zu langsam weiter trug;

Gleichviele sich zur Brust gespalten fanden,

Zu Aug' und Zähnen andere genug.

's ist wahr, daß ihm nicht Helme widerstanden,

Derweil er manchen Eisenhut durchschlug;

Doch ließe sich ein feiner Helm hier schauen,

Genau so würde Roger ihn durchhauen.


14.

In keinem unsrer heut'gen Ritter wären

Kräfte zu finden wie in Rogers Faust,

In keinem wilden Tier, nicht Löwen, Bären,

Und schlimmerm, ob es hier, ob auswärts haust;

Im Erdgebebe mag es also gären

Und in dem »großen Teufel«, wenn er braust,

Der meines Herrn (nicht der vom Höllengrunde);

Dröhnt er, so dröhnt die Welt in weiter Runde.


15.

Bei jedem einzelnen von seinen Schlägen

Fiel einer nieder, meist jedoch ein paar;

Vier, fünf sind öfters einem Hieb erlegen,

Daß er in kurzer Zeit bei hundert war.

Von ihm gezückt, schnitt stets der gute Degen

Durch harten Stahl, als wär' es Milch fürwahr.

Von Falerina war das Schwert geschaffen,

Roland, den Paladin, dahinzuraffen.
[310]

16.

Im Garten von Organa; sie bereute

Das sehr, als drauf ihr Garten ward verheert.

Welch Schlachten, welch Gemetzel bringt nun heute,

Von solchen Kriegers Hand geführt, dies Schwert!

Wenn seine wilde Kraft je Roger freute,

Wenn je zutage trat sein hoher Wert,

War's hier: er glaubte, daß er an der Stätte

Hier die Geliebte jetzt zu retten hätte.


17.

Wie vor den Hunden flink die Hasen rennen,

So zeigen sich die Leute gegen ihn:

Die starben, sind recht zahlreich schon zu nennen,

Unzählig jene, die von dannen fliehn.

Das Fräulein geht, die Stricke aufzutrennen,

Die sich um des Gefangnen Hände ziehn,

Und ihm die Waffenrüstung zu bereiten:

Den Schild, das Schwert und was man braucht zum Streiten.


18.

Empört ob allem, das er hat ertragen,

Will er gerächt an diesem Volke sein:

Mit solcher Wucht beginnt er dreinzuschlagen –

Schon dadurch ist sein Kriegerruhm nicht klein.

Die goldnen Räder an dem Sonnenwagen

Tauchten ins Meer des Westens schon hinein,

Da Roger und sein junger Kampfgenosse

Als Sieger gingen aus dem Ritterschlosse.


19.

Als nun der Jüngling draußen vor der Pforte

In Sicherheit mit Roger sich befand,

Dankt' er dem Retter sehr mit warmem Worte

Und edlem Wesen, Anmut und Verstand,

Daß er, sich selbst gefährdend, nach dem Porte

Gebracht ihn habe, der ihm unbekannt,

Und bat, daß er ihm seinen Namen gönne,

Damit er wisse, wem er danken könne.
[311]

20.

»Ich seh' die holden Züge mir sich neigen,«

Sprach Roger, »die Gestalt, das Angesicht;

Doch hör' ich nicht den Wohllaut, der da eigen

Der Stimme Bradamantes, wenn sie spricht.

Auch würde sie mir andre Huld erzeigen:

So dankt sie dem getreuen Liebsten nicht.

Ist aber wirklich Bradamant zur Stelle,

Vergißt sie meinen Namen alsoschnelle?«


21.

Vorsichtig, um Gewißheit zu gewinnen,

Sprach er darauf: »Ich hab' Euch schon gesehn

Und denk' und müh' mich ab im Kopfe drinnen

Und finde nicht heraus, wo das geschehn:

Sagt Ihr mir's doch, könnt Ihr Euch drauf besinnen,

Und nennt Euch, bitte, daß ich wisse, wen

Die Feuersgluten bald verschlungen hätten

Und wen es mir vergönnt war heut zu retten!«


22.

»Ob Ihr mich saht? – Es wäre möglich (sagen

Könnt' ich Euch freilich nicht das Wann und Wo;

Weit durch die Welt hat mich der Fuß getragen,

Bin hier und da der Abenteuer froh) –

Wenn's nicht die Schwester war: denn hinzujagen

In Waffenrüstung pflegt sie ebenso.

Als Zwilling' ähnlich, sind wir nicht zu trennen,

Von der Familie selbst nicht zu erkennen.


23.

Ihr irrt nicht als der erste oder dritte,

Denn die Verwechslung ist schon nicht mehr rar:

Sind wir beisammen in der Leute Mitte,

Nimmt keinen Unterschied der Vater wahr.

Nun trag' ich freilich kurz nach Männersitte

Und wild zerstreut, wie alle sonst, das Haar;

Sie trug es lang und um den Kopf gewunden

Und wurde früher so herausgefunden;
[312]

24.

Doch wurde sie verletzt von Schwertesstreichen

Am Kopf (was hier ich nicht erzählen kann),

Da mußten ihre langen Haare weichen –

Die schnitt ihr damals ab ein heil'ger Mann –,

Nun gibt's für uns kein Unterscheidungszeichen,

Als was Geschlecht und Namen kündet an.

Rinald ist unser Bruder, und man nannte

Mich Richardet, die Schwester Bradamante.


25.

Wollt Ihr mich etwas jetzt erzählen lassen,

So kund' ich Euch, wie ich vor einer Zeit

Der Ähnlichkeit verstand mich anzupassen

Und Lust genoß und später großes Leid.«

Kein schöner Lied, meint Roger, sei zu fassen

Und Märe nicht von größrer Süßigkeit

Als, die von ihr spricht, dringt in ihn mit Flehen,

Und also läßt er den Bericht ergehen:


26.

»Es traf sich, als im Wald in diesen Tagen

Die Schwester ging, von einer Mohrenschar

Ward unversehns ein Schwerthieb ihr geschlagen,

Da sie gerad ohn' ihren Helmschutz war.

Sie mußte nun gestutzt die Haare tragen –

Denn von der Wunde drohte sonst Gefahr,

Die oben auf den Kopf ihr ward gehauen –

Und ließ das kurze Haar im Walde schauen.


27.

Sie ritt dahin und kam zu einer Quelle,

Und weil sie sich zerschlagen fühlt' und matt,

So stieg sie, helmlos, ab an dieser Stelle

Und nahm das zarte Gras zur Ruhestatt.

Ich glaub', ein Märchenbuch auf alle Fälle

Kein Abenteuer schön wie dieses hat.

Die span'sche Flordespina kam geschritten,

Die jagen ging in jenes Waldes Mitten.
[313]

28.

Als sie das Mädchen sieht von Stahl umschlossen

Und ganz in Waffen, nur das Antlitz nicht,

Glaubt sie zu sehen einen Rittersprossen,

Denn statt der Kunkel glänzt ein Degen licht.

Regungen süß sich in ihr Herz ergossen:

So schön ist Haltung ja und Angesicht.

Sie lädt zur Jagd sie ein, und dann im Schatten

Verbirgt sie sich mit ihr auf grünen Matten.


29.

Wie der Entdeckung Sorge nun geschwunden

Und sie mit ihr allein am stillen Ort,

Enthüllt sie nach und nach des Busens Wunden,

Des pfeilgetroffnen, durch Gebärd' und Wort.

Dem Herzen haben Seufzer sich entwunden,

Die Wünsche kündend, die sich bergen dort.

Erbleichen und Erglühn davon erzählen,

Und einen Kuß wagt sie zuletzt zu stehlen.


30.

Nun hatte meine Schwester wohl gesehen,

Welcher Verblendung jene sich geweiht.

Und konnt' ihr helfend nicht zu Diensten stehen

Und war gewaltig in Verlegenheit.

Sie sprach zu sich: ich laß den Wahn vergehen,

Den dummen, drin befangen ist die Maid,

Will mich ein edles Weib zu sein befleißen

Viel lieber, als ein schlechter Mann zu heißen.


31.

Ganz richtig, traun! Dem wäre Feigheit eigen,

Und einem Manne stünd' es an von Lehm:

Will sich in Huld ein schönes Kind ihm neigen,

Voll Nektarsäften süß und angenehm –

Bei ihr dann nur als Schwätzer sich zu zeigen

Mit mattem Flügelschlag bei alledem!

Geschickt und klug spann sie der Rede Fädchen

Und sagt' ihr ganz zuletzt, sie sei ein Mädchen
[314]

32.

Und komm' aus Mohrenland, um zu erraffen

Ruhm, wie Camilla und Hippolyta,

Geübt am Meer von Jugend auf in Waffen

Dort in der Stadt Arzill in Afrika.

Doch all dies wollte Lindrung nicht verschaffen

Den Gluten des verliebten Mädchens da.

Zu spät kam dieses Mittel eine Weile,

Denn gar zu tief schon steckten Amors Pfeile.


33.

Nicht minder glommen hold der Augen Gluten,

Nicht minder hold war Art und Angesicht,

Das Herz im Busen schien ihr zu verbluten,

Das innen barg geliebter Strahlen Licht.

Schaut sie das Kleid, dann nahe däucht der Guten

Lindrung der Qual, die fast das Herz ihr bricht.

Will der Gedanke sich damit vereinen,

Daß dies ein Weib ist, muß sie schmerzlich weinen.


34.

Wer Zeuge dieser Tränen wär' und Klagen,

Er stimmte weinend in den Jammer ein.

›Könnt' eine Qual,‹ hört Bradamant sie sagen,

›Die schlimmste Qual, grausam wie meine sein!

Voll Hoffnung würd' ich jede Liebe tragen,

Bös oder gut, daß einst Erlösung mein;

Die Rose könnt' ich von den Dornen pflücken,

Doch hier wird nie Erfüllung mich beglücken.


35.

Mißfiel dir, Amor, so mein Glück hienieden?

Wenn du mir schaffen wolltest Leid und Qual,

Was gabst du nicht mit Schmerzen dich zufrieden,

Wie Liebende sie fühlten allzumal?

Liebe von Frau zu Frau ward nie beschieden,

Sei's Menschen, sei's Getier in Berg und Tal.

Kein Weib wird andern Weibern schön erscheinen,

Nie Hindin mit der Hindin sich vereinen.
[315]

36.

In Luft und Erd' und Meer ward nie gefunden

So grimmes Weh, wie das durch dich mich fand,

Damit an meinem Unglück werd' empfunden

Die höchste Macht von deiner starken Hand.

Du schlugst des Ninus Weib verruchte Wunden,

Die für den eignen Sohn ja war entbrannt,

Der Kretrin Herz ward auf den Stier gewendet,

Jedoch die tollste Gier ward mir gesendet.


37.

Das Weib trieb dort zum Manne das Verlangen,

Sie strebte nach dem Ziel, bis sie's gewann;

Sie wußte in die Holzkuh zu gelangen;

Und andre Frauen fangen's anders an.

Doch käm' durch Lüfte Dädalus gegangen,

Kein Mensch mir diesen Knoten lösen kann;

Ihn hat Natur, die Meistrin, ja gewunden,

Die stets wird als die mächtigste befunden.‹


38.

So härmt nun und verzehrt sich sonder Ende

Das schöne Mägdelein und faßt sich nicht,

Schlägt sich und rauft das Haar und ringt die Hände,

Sich an sich selbst zu rächen nur erpicht.

Aus Mitleid weint, als ob sie Schmerz empfände,

Mit ihr die Schwester, tröstet mild und spricht

Und zeigt den Wahn, die Torheit ihres Strebens,

Doch ohne Frucht: sie drängt und mahnt vergebens.


39.

In ihr, die Hilfe sucht, nicht gute Lehren,

Nur immer stärker Schmerz und Klag' erwacht.

Der Tag will längres Säumen jetzt verwehren,

Im Westen rötlich sinkt der Sonne Pracht.

Die Stunde mahnt, zum Hafen heimzukehren,

Wer nicht im Wald verbringen will die Nacht,

Drum ward vom Fräulein Bradamant gebeten,

Mit ihr ins nahe Landhaus einzutreten.
[316]

40.

Sie konnt' es nicht wohl weigern, mitzugehen,

Und also kamen beide nach dem Ort,

Wo ich im Feuer würde jetzt vergehen,

Erschienest du nicht als mein Retter dort.

Und Bradamant bekam im Schloß zu sehen

Viel Artigkeit auf Flordespinas Wort;

Die ließ sie nun in Frauenkleider stecken,

Daß ihr Geschlecht ein jeder konnt' entdecken.


41.

Denn sie erwog, weil niemand gut gefahren –

Das sei erwiesen – mit der Mannestracht,

So wolle sie vorm Anlaß sich bewahren,

Daß ihr ein Vorwurf werde draus gemacht.

Und gab es bei dem einen Kleid Gefahren,

Daß sie dabei sich Irriges gedacht,

Solle das richt'ge Kleid ihr hilfreich bleiben,

Um aus dem Kopf den Wahn herauszutreiben.


42.

In einem Bett zur Nacht die beiden ruhten,

Jedoch verschieden war die Ruhe sehr:

Die eine schläft, die andre jagt in Gluten

Der Seufzer heiße Lust nur immer mehr.

Und schließt ein Schlaf das Aug' der Hochgemuten,

So ist der kurze Schlaf von Träumen schwer;

Verwandelt ruht dann neben ihr der echte

Genoß, und zwar von besserem Geschlechte.


43.

Der Kranke sieht, vom Durst in Bann geschlagen –

Schlief er mit gierigem Gelüste ein –,

In schlechter Ruhe Wasserfluten jagen,

So viel ihm einst vor Augen mochten sein.

So glaubt nun diese Lindrung ihrer Plagen

Zu sehn im Trugbild ihrer Träumerein.

Sie fährt empor, die Hand will Wahrheit finden –

Da fühlt sie nur den falschen Traum entschwinden.
[317]

44.

Wie suchte sie durch Bitten zu erweichen

Den Mohammed, die Götter in der Nacht,

Daß jene doch, mit klaren, rechten Zeichen,

Mit besserem Geschlechte sei bedacht!

Doch all ihr Flehen wollte nichts erreichen,

Vielleicht ward sie vom Himmel ausgelacht.

Die Nacht verging, Phöbus der blonde, hehre

Stieg, Licht der Welt zu bringen, aus dem Meere.


45.

Vom Bett erhoben sich recht früh die beiden,

Und Flordespinas Klagelied begann

Von neuem, denn das Wirrsal zu vermeiden,

Trat Bradamant nunmehr den Heimweg an.

Ein herrlich spanisch Roß gab ihr beim Scheiden,

Mit Gold verziert, das liebe Mädchen dann,

Zusammen mit gar schönem Oberkleide,

Von ihrer Hand gestickt mit feiner Seide.


46.

Sie hat die Schwester noch ein Stück geleitet,

Dann kehrt sie weinend um in Liebesqual,

Indessen Bradamant geschwinde reitet;

Sie ist in Montalban beim Abendstrahl.

Froher Empfang wird ihr durch uns bereitet,

Die Brüder und die Mutter allzumal.

Uns bangte, weil wir nichts von ihr gesehen,

Es sei vielleicht ein Unglück gar geschehen.


47.

Wir sahen, als den Helm sie niederlegte,

Mit Staunen kurz das sonst gewundne Haar;

Verwundrung auch das neue Kleid erregte,

Das fremde, das an ihrem Leibe war.

Der Reihe nach erzählte sie und legte

Was ich Euch eben mitgeteilt, uns dar:

Wie ihr im Wald die Wunde ward zuteile

Und sie das Haar abschnitt, damit sie heile;
[318]

48.

Wie sie am Bach sich ließ vom Schlaf umfangen

Und wie dazu die schöne Jägrin kam,

Die dann des Truges Netze gleich umschlangen,

Daß sie zur Einsamkeit sie mit sich nahm;

Und wie der Schönen Klagen drauf erklangen

Und Mitleid weckte alsogroßer Gram;

Wie beide miteinand der Ruhe pflagen,

Und was sich bis zur Rückkehr zugetragen.


49.

Das schöne Kind war mir nicht fremd geblieben,

In Frankreich sah ich sie und Saragoß,

Und Aug' und Wang' gefielen meinen Trieben,

Wenn ich den Wunsch auch tief in mir verschloß:

Torheit und Wahn ist's, ohne Hoffnung lieben,

Und aussichtsloses Schmachten mich verdroß,

Allein da jetzt das Glück mir scheint zu lachen,

Die alten Flammen plötzlich neu erwachen.


50.

Aus dieser Glut schuf Amor sich die Schlingen,

Die er aus andrem Stoff wob immer mehr:

Er zeigt den Weg, Ersehntes zu vollbringen;

Die Schöne leiht vielleicht dem Wunsch Gewähr.

Und wohl, so scheint es, darf die List gelingen:

Es täuschte ja schon viele andre sehr

Die Ähnlichkeit mit meiner Schwester Zügen;

Sie wird vielleicht das Fräulein auch betrügen.


51.

Soll ich nun? – Soll ich nicht? – Mir scheint, die Taten,

Die uns erfreun, gehn auf der rechten Bahn:

Ich lasse mir von keinem Menschen raten,

Und keinem Menschen künd' ich meinen Plan.

Ich ging, als nun die Morgenstunden nahten,

Und legte meiner Schwester Waffen an,

Besteig' ihr Roß und mach' mich auf die Beine,

Ohne zu merken, daß der Tag erscheine.
[319]

52.

Ich geh' im Dunkel – Amor will mich leiten –,

Um bei dem schönen Fürstenkind zu sein,

Und bin dort angelangt: – gerade gleiten

Der Sonne Strahlen in das Meer hinein. –

Heil ihm, wer, diese Nachricht zu verbreiten,

Der Erste wird bei seiner Herrin sein,

Erfüllt von Hoffnung, für die gute Kunde

Lohn zu empfahn und Lob aus ihrem Munde!


53.

Sie nahmen alle mich für Bradamante,

Wie du, getäuscht, es selber hast getan,

Zumal man ja das Pferd, das Kleid erkannte,

Das tags zuvor sie an der Schwester sahn.

Und heitre Blicke zum Willkommen sandte

Die Herrin, um dann zärtlich mir zu nahn,

Lieblich und froh –: die Sonnenstrahlen schienen

Im Erdenrund nicht auf beglücktre Mienen.


54.

Der schöne Arm umschlingt mich alldieweile

Und drückt mich hold; dann küßt sie mir den Mund.

Du magst dir denken, wie von Amors Pfeile

Die Spitze mir im tiefsten Herzen stund,

Und hin zur Kammer führt sie mich in Eile,

Und keinen andern Händen wird's vergunnt,

Den Helm mir abzuziehn und Wehr und Sporen:

Sie hat sich selbst zu diesem Dienst erkoren.


55.

Sie ließ ein Kleid, geschmückt und reich, sich bringen,

Entfaltet's selber hübsch und reicht mir's dar,

Putzt mich heraus mit lauter Frauendingen

Und bindet in ein goldnes Netz mein Haar.

Am Boden sittsam meine Augen hingen,

Auch in Gebärden nahm ein Weib man wahr,

Die Stimme, die Verdacht wohl möchte wecken,

Verstell' ich – und kein Mensch kann mich entdecken.
[320]

56.

Wir gingen, bis zu einem Saal wir kamen,

Darin sich eine Höflingsschar befand;

Die ehrten mich, wie man die höchsten Damen

Und eine Fürstin ehrt in ihrem Land.

Ich lachte, weil aufs Korn mich manche nahmen:

Sie ahnten nicht, was unter dem Gewand

Stark war und rüstig, sich für sie nicht schickend,

Und schmachteten mich an, begehrlich blickend.


57.

Als weiter nun der Abend vorgeschritten

Und aufgehoben schon die Tafel stund,

Drauf sich die besten Leckerspeisen stritten,

Der Jahreszeit gemäß, gar reich und bunt,

Erwartet nicht die Dame meine Bitten,

Das zu gewähren, was der Reise Grund:

Nein, sie beginnt von selbst, aus eignen Gnaden,

Mich in ihr Bett für diese Nacht zu laden.


58.

Nachdem die Fraun und Fräulein all verschwanden,

Pagen und Kammerherrn, und wir schon drin

Im Bette, ausgekleidet, uns befanden

– Aus Fackeln strömte Tageslicht dahin –,

Sagt' ich: ›Zu staunen ist kein Grund vorhanden,

Herrin, daß ich zurückgekommen bin.‹

Ihr saht mich freilich kaum von dannen gehen

Und dachtet, mich erst, Gott weiß, wann, zu sehen.


59.

Ich meld' Euch erst, warum ich fortgegangen,

Und dann den Grund von meiner Wiederkehr.

Konnt' ich Euch kühlen, Herrin, Glut und Bangen,

Wie gern ich dann bei Euch geblieben wär'. –

O, stets bei Euch zu sein, würd' ich verlangen,

Und vor dem Tode schied' ich nimmermehr.

Doch weil ich sah, daß ich Euch Schaden brachte

Durch Bleiben, kam's, daß ich zu fliehn gedachte.
[321]

60.

Durch einen Wald, wo sich zum Dickicht ballen

Verschlungne Zweige, meine Straße geht.

Da hör' ich einen Ruf ganz nah erschallen,

Wie eines Weibes, das um Hilfe fleht.

Ich eil' hinzu: in Faunes Netz gefallen

Ist, wo ein See mit klaren Wellen steht,

Ein nacktes Mägdlein mitten in den Fluten,

Und Mahlzeit halten will er an der Guten.


61.

Ich kam dahin, mit meinem Schwert in Händen,

Denn anders konnt' ich sie ja nicht befrein,

Und ließ des argen Fischers Leben enden;

Sie aber sprang gleich in die Flut hinein

Und sprach: ›Das soll sich dir zum Guten wenden,

Und was du wünschst, es soll erfüllt dir sein,

Wie hoch sich dein Verlangen auch erhebe,

Weil ich ja Nixe bin, im Wasser lebe.


62.

Ich habe Macht, zu tun gewalt'ge Sachen,

Und zwinge dir Natur und Element.

Verlange nur, laß meine Kraft erwachen,

Und frage nicht, wie weit sie Grenzen kennt!

Willst du den Mond? Soll Luft ich fest dir machen?

In Eis verwandeln Glut, die lodernd brennt?

Die Erde haben meines Worts Gewalten

Bewegt und schon die Sonne festgehalten.‹


63.

Ich bat nun nicht, mir Schätze zu bescheren,

Nicht Herrschaft wünscht' ich über Volk und Land,

Nicht Macht und Kraft, um stärker mich zu wehren;

Siegreich zu sein gen jeden Widerstand,

Nur Eures Wunschs Erfüllung zu gewähren,

Das Mittel möge spenden ihre Hand.

Es trieb mich nicht, dies oder das zu haben:

Nach Gutbefinden wähle sie die Gaben.
[322]

64.

Kaum hab' ich meine Bitte so geendet,

So taucht sie wieder unter in dem Teich;

Kein Wort der Rede wird an mich verschwendet,

Nur Wasser spritzt sie her aus ihrem Reich.

Sobald sie diesen Strahl mir hat gesendet,

Bin ich – nicht weiß ich, wie – verwandelt gleich.

Kaum glaub' ich's, doch ich seh's, ich fühl's am Leibe,

Ich wandle mich zum Mann aus einem Weibe.


65.

Ihr würdet mir wohl keinen Glauben schenken,

Wär' der Beweis nicht alsobald erbracht.

Nur Euch zu dienen, werd' ich fürder denken,

Wie ich's im anderen Geschlecht gedacht,

Nach Eurem Sinn den Willen stets zu lenken.

Befehlt nur: er ist frisch und auf der Wacht!

Ich sag's und führ' die Hand dem lieben Kinde,

Damit es selbst die volle Wahrheit finde.


66.

Wie dem es geht, der schon hat aufgegeben

Die Hoffnung auf ein lang ersehntes Ding:

In Leid und Wut zermartert er sein Leben,

Je mehr ihm fehlt, woran das Herz ihm hing –

Und wird es ihm miteinemmal gegeben,

Mag Schmerz, mit dem im Sand er säend ging,

Und die Verzweiflung wohl den Sinn ihm rauben:

Er steht verwirrt und kann sich selbst nicht glauben. –


67.

So steht sie, die doch fassen kann und schauen,

Worauf ihr ganzer Wunsch gerichtet war:

Sie wagt nicht, auf Gefühl und Blick zu bauen,

Und stellt sich wie erstarrt und träumend dar;

Und guter Proben braucht's, um ihr Vertrauen

Zu geben, daß dies alles wirklich wahr.

›Gott,‹ sprach sie, ›gib, daß nicht mich Träume necken!

Sonst schlaf' ich immer, niemand soll mich wecken.‹
[323]

68.

Und daß wir drauf zum Liebessturme gingen,

Braucht' es nicht Trommeln und Trompetenklang,

Nein, Küsse, wie einand sie Tauben bringen,

Lehrten, ob man zurück, ob vorwärts sprang.

Wir hatten andre Wehr als Pfeil' und Klingen,

Daß ich ins Schlößlein ohne Leiter drang.

Dort pflanz' ich stolz mein Banner auf beim Siege,

Als ich die Feindin glücklich niederkriege.


69.

Wenn in der Nacht zuvor in diesem Bette

Nur Klagen klangen, Seufzer, Weh und Ach,

So war es jetzt des höchsten Jubels Stätte,

Und Scherz und Spiel und Lachen wurde wach,

Wo kein Akanth so fest geschlungen hätte

Die Knoten um Gebälk und Säul' und Dach,

Wie wir uns hielten Hals und Brust umwunden

Und Hüft' und Bein und Arm in jenen Stunden.


70.

Still und verschwiegen blieben wir verbunden.

So währte mondelang die frohe Zeit;

Dann ward die Sache doch herausgefunden,

Und vor den König kam's zu meinem Leid.

Nachdem Ihr mich den Flammen habt entwunden,

Die auf dem Platze schon für mich bereit,

So wird der Rest von Euch bereits verstanden;

Doch ich, Gott weiß es, lieg' in Kummers Banden.«


71.

So sprach zu Roger Richardet beim Reiten

(Wobei des nächt'gen Weges Mühe schwand)

Den Berg hinauf; steil war es an den Seiten:

Senkrecht hinab ging da die Felsenwand.

Ein enger Pfad, wo Stein an Stein sich reihten,

War Schlüssel, der am Wegtor sich befand.

Burg Agrismont lag auf der höchsten Zinne:

Die hatte Aldiger von Clermont inne,
[324]

72.

Als Bastardsohn des Bov emporgeschossen,

Ein Bruder von Vivian und Malegis.

Wer ihn da nennt als Gerhards echten Sprossen,

Der irrt und schafft der Wahrheit Hindernis.

Man fand ihn stets als wackern Kampfgenossen,

Kühn, klug, der feiner Sitten sich befliß.

Bei Tag und Nacht hielt er mit treuem Sorgen

Durch Wachen seines Bruders Schloß geborgen.


73.

Den Vetter Richardet begrüßt der Degen

Mit Freundlichkeit, wie das natürlich war.

(Die beiden lieben sich, wie Brüder pflegen),

Und bringt dann Roger auch Willkommen dar.

Jedoch nicht froh tritt er dem Paar entgegen,

Wie er's gewohnt, nein, aller Freude bar,

Weil man gerad ihm eine Nachricht brachte,

Die ihm das Herz und Antlitz traurig machte.


74.

Er sprach zu Richardet beim Gruß beklommen:

»Mein lieber Bruder, Gutes meld' ich nicht;

Durch sichre Boten hab' ich heut vernommen:

Der Bertolas, der arge Bösewicht

Dort von Bayonne, ist übereingekommen

Mit der Lanfusa, der er Raub verspricht;

Sie läßt dafür die Brüder ihm in Händen

Und will Vivian und Malegis ihm senden.


75.

Seit Ferragu die beiden nahm gefangen,

Hält sie das Paar in schnöder Kerkernacht,

Bis der Vertrag nun soll zur Tat gelangen,

Der schändliche, den ich dir kundgemacht.

Der Mainzer soll sie morgen früh empfangen.

Gegen Bayonne hin werden sie gebracht.

Er kommt, den Preis fürs beste Blut zu geben

Von allen Wackern, die in Frankreich leben.
[325]

76.

Hin zu Rinald ließ ich die Nachricht tragen,

Im Sturme fliegt ein Bote querfeldein;

Doch wird er ihn zur Zeit wohl kaum erjagen:

Der Weg ist lang, zu spät schon mag es sein.

Mir fehlen Leute, mich hinauszuwagen;

Der Geist ist willig, doch die Kraft ist klein.

Hat sie der Schuft, so wird er sie erschlagen.

Ich weiß nicht, was zu tun ist, was zu sagen.«


77.

Gar schwer trifft Richardet die neue Kunde,

Und weil sie ihn trifft, trifft sie Roger schwer.

Als er sie stehen sieht mit stummem Munde

(Und beider Sinnen – scheint es – nützt nicht sehr),

Spricht er voll Mut: »O seid getrost! Zur Stunde

Gebt nur an mich den ganzen Handel her.

Statt tausend Schwerter gilt mir dieser Degen:

Ich führ' euch eure Brüder frei entgegen.


78.

Ich möchte nicht, daß andre mit mir kämen:

Ich trau' mir zu, daß ich genügend sei;

Ein Führer nur soll an den Ort mich nehmen,

Der ausersehn ist für die Tauscherei.

Ihr sollt am Schreien bis hierher vernehmen,

Wer für den schnöden Handel dort dabei!«

Er sprach's, und was er sagte, will dem einen,

Der keine Schläge sah, gewagt erscheinen,


79.

Wie einem, der viel spricht, nichts zu vollbringen,

Meist nur ein halbes Ohr der Hörer leiht.

Doch leis erzählt der Freund von Wunderdingen,

Wie er vom Feuer ward durch ihn befreit;

Und sicher werd' ihm Größres noch gelingen,

Als er versprach, wenn Ort sich biet' und Zeit.

Aufmerksamkeit muß der ihm nun gewähren

Und immer mehr ihn achten und verehren.
[326]

80.

Bei Tafel, wo des Füllhorns Ströme flossen,

Ward Roger wie ein Lehensherr geehrt.

Dort – ohne weitre Hilfe – wird beschlossen,

Die Brüder zu befreien mit dem Schwert.

Als sich zum trägen Schlaf die Augen schlossen

Der Herren wie der Mannen stahlbewehrt,

Wird Roger, weil in seines Herzens Falten

Ein Denken ihn beschwert, noch wach erhalten.


81.

Über die Nachricht muß er immer sinnen,

Daß in Bedrängnis König Agramant.

Er sieht: läßt er die kleinste Zeit verrinnen,

Eh er ihm hilft, wird es Verrat genannt.

Geht er mit Feinden seines Herrn von hinnen,

Wie wird ihn Schmach verfolgen dann und Schand'!

Und ließ' er hinterher sich gar noch taufen,

So müßt' er's mit der Feigheit Schimpf erkaufen.


82.

Man könnte wohl zu andern Zeiten meinen,

Daß wahrer Glaubenseifer ihm gebot,

Doch jetzt, da Agramant bedarf der Seinen,

Sich zu befrein aus der Belagrung Not,

Da wird es jedem eher Kleinmut scheinen

Und Feigheit, weil Gefahr im Felde droht,

Als irgendeine Sorg' um Glaubensfragen:

Das mußte schwer an Rogers Herzen nagen.


83.

Ohn' Abschied soll er fort – auf fremden Wegen –

Von seiner Königin – wie quält es ihn!

Da wechselvoll sich die Gedanken regen

Und ihn bald hierhin und bald dorthin ziehn!

Schon lang nicht mehr kann er die Hoffnung hegen,

Er finde sie im Schloß der Flordespin,

Wo sie zusammen ja – Ihr habt's vernommen –

Dem Richardet zu Hilfe wollten kommen.
[327]

84.

Auch sollt' er sich nach Vallombrosa wenden,

Um sie zu treffen, fällt darauf ihm ein.

Wenn sie nun käm', und ihre Augen fänden

Ihn nicht – ihr Staunen drüber wär' nicht klein.

Könnt' er nur einen Boten, Briefe senden,

Um sie von Sorg' und Klage zu befrein,

Daß er, obwohl ja durch sein Wort gebunden,

Ohn' allen Abschied auf einmal verschwunden!


85.

Und er beschloß nach vielem Überlegen,

Ihr doch zu schreiben, was geschehen war;

Zwar, wie der Brief in ihre Hand zu legen

Durch sichern Boten sei, war wenig klar;

Doch unterlassen wollt' er's nicht deswegen:

Es biete wohl ein Bote noch sich dar!

Nicht säumt er länger, aus dem Bett zu springen,

Und läßt sich Licht und Tint' und Feder bringen.


86.

Die klugen, aufmerksamen Diener eilen

Und bringen Roger her, was er begehrt.

Er schreibt, schickt Grüße in den ersten Zeilen,

Wie man gewöhnlich ja beim Brief verfährt,

Um ihr darauf die Nachricht mitzuteilen

Vom König: der verlange Rogers Schwert;

Und könnt' er nicht geschwind zu ihm gelangen,

Erschlagen werde jener, sei's gefangen.


87.

Dann heißt es: weil der Herr an ihn sich wende,

Um sich mit seiner Hilfe zu befrein,

Wär' eine Weigerung Schimpf ohne Ende

Für ihn gewiß, das sähe sie wohl ein;

Zu sorgen hab' er, daß kein Fleck sich fände

An ihm, der doch ihr Gatte solle sein.

Denn nicht geziem' es ihr, der Hohen, Reinen,

Mit etwas Häßlichem sich zu vereinen.
[328]

88.

Und hab' er je gestrebt, Ruhm zu erlangen

Und Namen hell durch Taten mancherlei,

Und sei er jemals darauf ausgegangen,

Zu wahren schon gewonnenen dabei,

So tu' er's jetzt mit brennendem Verlangen,

Da ja von ihr geteilt sein Name sei,

Die als sein Weib sich ganz mit ihm vermähle:

Zwei Körper und in ihnen eine Seele.


89.

Auch möcht' er die Versicherung ihr geben,

Erneuend, den er mündlich schwur, den Eid:

Sei er nach jenem Zeitraum noch am Leben,

Da ihn die Pflicht des Königs Dienst geweiht,

Wirklich ein Christ zu werden woll' er streben,

Wie er's zu sein schon immerfort bereit,

Um sie vom Vater in der Seinen Mitten

Und von Rinald als Gattin zu erbitten.


90.

»Ich will den König«, schrieb er, »erst befreien

Von der Belagrung, wenn es Euch gefällt,

Damit der dumme Pöbel nicht mit Schreien

Über mich her mit der Beschuld'gung fällt:

Er stand getreu in Agramantes Reihen,

Solang es gut ging, Tag und Nacht im Feld;

Nun, seit Fortuna will Herrn Karl geleiten,

Wehn seine Fahnen auf des Siegers Seiten.


91.

Um eine Frist von fünfzehn, zwanzig Tagen

Drum bitt' ich Euch, zu zeigen mich am Ort,

Bis das Belagrerheer zurückgeschlagen

Durch mich vom Lagerplatz der Mohren dort.

Inzwischen such' ich Gründe zu erjagen

Gerecht und schicklich auch, zu gehen fort.

Nur dies möcht' ich erbitten meiner Ehre,

Damit mein übrig Leben Euer wäre.«
[329]

92.

So war's, daß Rogers Worte sich ergossen,

Die ich Euch alle nicht berichten kann,

Noch viele andre aus der Feder flossen:

Er füllte bis zum Rand den Bogen an.

Gefaltet und mit Siegeln wohlverschlossen

Im Busen barg er dieses Schreiben dann,

Voll Hoffnung, daß der Herrin es zu bringen

Durch einen Boten mög' am Tag gelingen.


93.

Er schließt den Brief und schließt danach die Lider

Auf seinem Lager: Ruh' wird ihm geschenkt;

Denn Schlaf erscheint und netzt die müden Glieder

Mit seinem Zweig von Letheflut getränkt.

Er ruht, bis daß sich rot und weiß hernieder

Ein Blumennebel auf die Lande senkt

Vom lichten Osten her und rings in Prangen

Aus goldnem Hause kommt der Tag gegangen.


94.

Und als die Vöglein in den grünen Zweigen

Dem jungen Lichte brachten Grüße dar,

Stand Aldiger, der nun den Weg zu zeigen

Roger und seinem Freund beflissen war,

Daß nicht dem wilden Bertolas zu eigen

Werd' ausgeliefert jenes Brüderpaar,

Zuerst auf Füßen; als sie ihn vernahmen,

Auch aus dem Bett die andern beiden kamen.


95.

Wie sie gerüstet stehn im Waffenkleide,

Bricht Roger auf, mit ihnen fortzuziehn,

Nachdem er oft gebeten alle beide,

Der Handel bleibe ganz allein für ihn.

Aus Sehnsucht nach den Brüdern dort im Leide

Und weil es wenig ritterlich erschien,

Bleiben beim »Nein« die Zwei wie Felsen stehen

Und lassen ihn ohn' ihr Geleit nicht gehen.
[330]

96.

Sie brechen auf am Tag, da man erhalten

Für Waren sollte Malegis, den Held.

Frei konnten rings Apollos Strahlen walten

Auf einem offnen, ausgedehnten Feld.

Nicht Myrte kann noch Lorbeer sich entfalten,

Nicht Esch' und Buche hier dem Aug' gefällt,

Nein, schlecht Gestrüpp und Kies nur ist zu schauen;

Kein Mensch denkt da zu hacken und zu bauen.


97.

Die drei beherzten Krieger bleiben stehen,

Wo sich ein Pfad durch diese Wüste gräbt,

Als einen Rittersmann sie kommen sehen,

Ein reicher Schmuck von Gold die Rüstung hebt:

Die Zeichen seines grünen Schilds bestehen

Im Vogel, der ein voll Jahrhundert lebt. –

Nicht weiter, Herr, vergönnt! Ich möchte schließen

Hier den Gesang und Ruhe jetzt genießen.

Quelle:
Ariosto, Ludovico: Der rasende Roland. In: Sämtliche poetischen Werke, Berlin 1922, Band 2, S. 306-331.
Lizenz:
Ausgewählte Ausgaben von
Der rasende Roland
Die Historia vom Rasenden Roland
Ludovico Ariosts Rasender Roland nacherzählt von Italo Calvino

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