Neunter Gesang

[169] 1.

Was kann ein Herz noch tun, ward es bezwungen

Von jenes bösen, falschen Amors Macht,

Hat sie sogar die Lehenstreu' entrungen

Dem Ritter Roland aus des Busens Schacht?

Er, weise sonst, von Ehrfurcht ganz durchdrungen,

Stets auf der heil'gen Kirche Schutz bedacht,

Er macht sich jetzt – durch eitle Lieb' ein Blinder –

Aus Karl und sich nicht viel, aus Gott noch minder.


2.

Doch ich begreif' ihn und bin frohen Mutes,

Daß nicht mir Toren der Genoß gebricht:

Auch ich bin krank und schwächlich für mein Gutes,

Doch auf mein Böses ganz robust erpicht. –

Der, schwarz gekleidet, reitet schweren Blutes

– Freunde zu lassen, das bedrückt ihn nicht –

Hin, wo die Zelte der aus Spaniens Landen

Und Afrika gekommnen Scharen standen.


3.

Was sag' ich Zelte! – Durch den Regen blieben

Sie unter Bäumen und wo sonst was deckt,

Zu zehn, zu zwanzig, vier, zu acht, zu sieben,

Der weiter fort, der in der Näh' versteckt.

Ein jeder schläft, zermürbt und aufgerieben,

Der auf die Hand gestützt, der ausgestreckt.

Man schläft –: er könnte viel ins Jenseits senden,

Doch nimmt er nicht die Durendal zu Händen.
[170]

4.

Roland ist edel: er kann nicht erschlagen,

Wer waffenlos ist und vom Schlaf gebannt.

Nun geht er, den und jenen Ort befragen

Nach einer Spur von ihr, die ihm entschwand.

Und trifft er einen wachend, dann mit Klagen

Beschreibt er die Gestalt und das Gewand,

Vom Mohren sich die Richtung zu erbitten,

In der die Dame sei davongeschritten.


5.

Als klar und leuchtend es begann zu tagen,

Das Mohrenheer durchforscht' er weit und breit,

Bedacht, ein Sarazenenkleid zu tragen;

So kann er's tun in aller Sicherheit.

Es kommt dazu: er kann die Sache wagen,

Weil er in fremden Sprachen weiß Bescheid

Und, Afrikanisch sprechend, wird verstanden,

Als ob er selber stamm' aus jenen Landen.


6.

Drei Tage bleibt er – nicht zu andern Zwecken –,

Und aus dem Suchen kommt er nicht heraus,

Sucht dann in Stadt und Dorf, sie zu entdecken,

Durchs Frankenland und drüber noch hinaus

Und sucht danach, bis auf den fernsten Flecken,

Auvergne und Gascogne ein und aus;

Er sucht von der Provence zu den Bretonen,

Von den Picarden bis wo Spanier wohnen.


7.

Es war Oktober, wenn die Blätter schwinden,

Und der November zog gemach heran,

Wenn nackend sich der Pflanze Glieder finden,

Weil sie das Kleidchen nicht mehr tragen kann,

Und Vögel sich zu enger Schar verbinden –

Da trat die Liebesfahrt Graf Roland an

Und ließ nicht ab von ihr an Winters Grenze

Und auch noch nicht in nächsten Jahres Lenze.
[171]

8.

So zieht er eines Tages auch von dannen

Von einem Land ins andre, wie er pflegt:

Nun trennt ein Fluß Bretonen von Normannen,

Der sonst sich still zum nahen Meer bewegt;

Jetzt aber hoch und wild die Wogen rannen,

Von Schnee und Bergesfluten aufgeregt:

Die Brücke, von des Wassers Wucht durchstochen,

War fortgeschwemmt, der Zugang unterbrochen.


9.

Er späht hinüber, was da wohl zu machen,

Blickt auf und ab dann wieder diesen Strand,

Wie er (was Fische- sind und Vogelsachen)

Hinkomme nach dem andern Uferrand:

Da sieh: ganz unversehens naht ein Nachen,

Das Steuer führet eines Fräuleins Hand:

Sie winkt, als komme sie des Ritters wegen,

Doch scheint sie nicht gesonnen, anzulegen.


10.

Sie landet nicht, vielleicht hat sie Bedenken,

Man bring' am Ende ungebetne Fracht.

Nun winkt der Graf, das Boot heranzulenken:

Er wäre gern zum andren Strand gebracht.

Sie sprach: »An meinen Kahn darf keiner denken,

Der nicht zuvor mir hat den Schwur gemacht,

Den Kampf zu kämpfen, den ich fordern werde,

Den besten und gerechtesten der Erde.


11.

Und seid Ihr, mein Herr Rittersmann, gesonnen,

Dem andern Uferrand zu nahn durch mich,

Versprecht, daß Ihr, wenn dieser Mond verronnen,

Und eh der folgende noch ganz entwich,

Die Fahrt zu Irlands König habt begonnen:

Ein wackres, schönes Heer bereitet sich,

Denn eines gilt: Ebuda geh' zugrunde,

Die schlimmste Insel auf dem Erdenrunde.
[172]

12.

Vernehmt: weit hinter Irland ist gelegen

Ebuda (viele Inseln gibt es hier),

Wo die Bewohner noch des Raubes pflegen

Nach alter Satzung rings am Strandrevier,

Und was sie dann von Frauen finden, legen

Sie vor zur Speise einem Wassertier.

Das kommt tagtäglich, und auf alle Fälle

Ist dort ein Fräulein, eine Frau zur Stelle.


13.

Denn Händler haben solche und Korsaren

Im Vorrat stets, und von den schönsten zwar.

Ihr könnt nun zählen, welche Frauenscharen

– Tagtäglich eine! – sterben Jahr für Jahr.

Herr Ritter, habt Ihr Amors Macht erfahren

Und seid im Herzen nicht des Mitleids bar,

Ihr werdet zu den Edlen Euch begeben,

Die solch ein wohlgefällig Werk erstreben.«


14.

Kaum ließ sie Roland bis zu Ende sprechen;

Er schwur sogleich, als erster sei er da:

Wo er von Unbill hört, muß er sie rächen;

Davon nur zu vernehmen, schmerzt ihn ja.

Zudem will die Besorgnis Bahn sich brechen,

Dort sei gefangen auch Angelika;

Denn lang' hat er gesucht auf vielen Wegen,

Und nirgends trat ihm eine Spur entgegen.


15.

So nahm ihn der Gedanke jetzt gefangen,

Und frühre Plän' entschwanden seinem Sinn,

In aller Eile sucht' er zu gelangen

Nach jenem Eiland der Barbaren hin.

Eh noch die nächste Sonn' ins Meer gegangen,

Saß er bei Sankt Malo im Schiffe drin,

Das er gefunden; ließ die Segel spannen,

Und um Sankt Michels Berg fuhr er von dannen.
[173]

16.

Brieuc und Landriglier läßt er zur Linken,

Fährt längs dem mächtigen Bretagnestrand

Dann hin, von wo die weißen Klippen winken,

Nach denen England Albion ist genannt.

Allein der Südwind fängt nun an zu sinken,

Und ein Nordwest, ein starker, ist zur Hand;

Er zwingt, die Segel rasch herabzulassen

Und ihm das Steuern selbst zu überlassen.


17.

Zurück in einem Tage flog mit Schnelle

Das Schiff, wie es in vieren fuhr heran;

Damit es nicht am Strand wie Glas zerschelle,

Hielt es in offner See der Steuermann.

Der Wind, vier Tag' ein wütender Geselle,

Stimmt an dem fünften andre Liedchen an;

Das Schiff kann sonder Mühe hingelangen,

Wo Meereswelln Antwerpens Strom empfangen.


18.

Der müde Schiffer war dort eingefahren

Mit dem zerzausten Schiff und dicht am Strand,

Da kam vom Flusse rechts, wo Felder waren,

Ein hochbejahrter Mann zum Uferrand

(Recht alt, man sah es an den weißen Haaren).

Der hat sich höflich an den Graf gewandt.

Mit Bücklingen, wie vor dem Oberhaupte,

Das er in Roland hier zu sehen glaubte,


19.

Sprach er, ein Fräulein werd' er recht verbinden:

Das bitt' um sein Erscheinen ihn gar sehr.

Er werde nicht nur schön, auch hold sie finden;

Es gäbe solchen Liebreiz fast nicht mehr.

Sonst mög' er sich zu warten überwinden,

Dann komme sie zum Schiffe selber her.

Er werd' ihr ganz gewiß nicht säum'ger dienen

Als viele Ritter, die vor ihm erschienen.
[174]

20.

Von allen, die bisher des Weges gingen,

Zu Land, zu See und auch den Fluß hinauf,

Versäumte keiner, Rat ihr darzubringen,

Sie halfen ihr in ihren Nöten auf.

Roland vernimmt's, er eilt, ans Land zu springen,

Und geht ohn' Aufenthalt in schnellem Lauf,

Wie's einem art'gen Ritter mag gebühren,

Wohin der Greis bestrebt ist ihn zu führen.


21.

Im Landgut tritt er, stets dem Greis zu Seiten,

Ein in ein Schloß, geht dort die Trepp' hinan

Und läßt zu einer Dame sich geleiten:

Nicht nur ihr Antlitz kündet Trauer an,

Auch schwarze Decken, die im Haus sich breiten,

So weit man Säl' und Zimmer sehen kann.

Sie grüßt ihn fein, lädt ihn zum Sitzen drinnen,

Um dann mit trübem Tone zu beginnen:


22.

»Dem Graf von Holland, Herr, bin ich entsprossen:

Der liebte mich (blieb ich auch nicht allein,

Denn noch zwei Brüder hatt' ich zu Genossen),

Er konnte gar nicht liebevoller sein.

Nie hat er meinen Bitten sich verschlossen;

Für meine Wünsche kannt' er nicht das Nein.

Als mir in Frohsinn so die Tage schwanden,

Erschien ein Herzog hier in unsern Landen.


23.

Herzog von Seeland war er, und sein Sinnen

Ging, nach Biskaya in den Krieg zu ziehn.

Ich ließ durch Jugend, Schönheit mich gewinnen:

Sie machten zur Gefangnen mich für ihn.

Auch ihm erwachte Glut im Herzen drinnen,

So daß es nach den äußern Zeichen schien

(Ich glaubt' und glaub's und glaub', ich glaube richtig):

Er liebte mich und liebt mich noch aufrichtig.
[175]

24.

Ans Haus gebannt durch üble Wetterlage

(Übel für ihn, für mich war gut der Wind) –

Mir schien's ein Nu, den andren vierzig Tage,

So flog die Zeit auf Schwingen pfeilgeschwind –

Beschließen wir, wir wollen ohne Frage,

Sobald zu End' die Kriegesfahrten sind,

Uns zur Vermählung hier zusammenfinden

Und feierlich zum ew'gen Bund verbinden.


25.

Kaum war Biren nun fort auf seinen Wegen

(So ist mein treuer Liebster zubenannt),

Als dort aus Friesland, das so nah gelegen,

Wie sich die Mündung dieses Stromes spannt,

Vom König Boten kamen, meinetwegen,

Für seinen einz'gen Sohn zu werben, den Arbant;

Die Höchsten aus des fries'schen Adels Reihen

Sollten bei meinem Vater um mich freien.


26.

Ich könnte nie mein Wort dem Freunde brechen.

(Er gab mir seines; wie betrög' ich ihn?);

Und könnt' ich's, würd' es Amor schleunig rächen,

Hätt' er so schnöden Undanks mich geziehn.

Um das Geschäft auf einmal abzubrechen,

Das schon im Gang war, fast zu End' gediehn,

Sagt' ich dem Vater, sollt' er fort mich geben

Nach Friesland hin, so würd' ich nimmer leben.


27.

Mein Väterlein, das stets tat, was ich wollte,

Und nur auf meine Freude war bedacht,

Hat, mir zum Trost, als meine Träne rollte,

Drauf der Verhandlung gleich ein End' gemacht;

Der stolze Friese war empört, er grollte

Und, voller Haß, in helle Wut gebracht,

Trug er nach Holland seine blut'gen Waffen,

Die all mein Haus von hinnen sollten raffen.
[176]

28.

Er ist nicht nur an Kraft so übermächtig,

Daß kaum sich einer mit ihm messen kann;

Nein, auch im Bösetun so niederträchtig,

Es kann nicht Mut noch List an ihn heran:

Er hat ein Waffen, das noch niemals, dächt' ich,

In alter Zeit und neuer trug ein Mann;

Ein Eisen schwarz von zweier Arme Länge;

Und Blei und Pulver jagt er durch die Enge


29.

Mit Feuer, wo die Röhre hinten endet,

Und irgendwo dort eine Spalte sitzt;

Die braucht er so, wie sie der Arzt verwendet,

Wenn er dem Kranken eine Ader ritzt.

Mit solchem Krachen wird der Ball entsendet,

Daß man vermeint, es donnert und es blitzt,

Und was er trifft – dem Blitz gleich, wenn es wettert –,

Verbrennt, zerschlägt, zerstört er und zerschmettert.


30.

Zweimal durchbrach er unsre Heeresglieder

Und hat die Brüder in den Tod gesandt:

Beim erstenmal streckt er den einen nieder

(Das Herz durchbohrend durch das Stahlgewand),

Kam bald darauf zum andern Male wieder

Und schoß den zweiten, der zur Flucht gewandt.

Von fern traf ihn die Kugel in den Rücken,

Ging durch den Leib und riß die Brust in Stücken.


31.

Als sich darauf mein Vater hinter Toren

Der Burg, die ihm allein geblieben ist

(Denn alles andre ging ihm schon verloren),

Sich wehrt, da mordet ihn die gleiche List;

Denn als er grad den Wachtdienst sich erkoren

Und zeigt, was nottut zu derselben Frist –

Zwischen die Braun hat er den Ball bekommen

Von dem, der ihn von fern zum Ziel genommen.
[177]

32.

Der Insel Holland Erbin nun gelassen,

Durch meiner Lieben Tod, war ich allein:

Der Friesenfürst, gewillt dort Fuß zu fassen

Und in dem Reiche sichrer Herr zu sein,

Verkündet mir und auch den Volkesmassen,

Er würde Ruh' und Frieden jetzt verleihn,

Wollt' ich zur Zeit, was früher nicht ich wollte:

Daß Prinz Arbant mein Gatte werden sollte.


33.

Nicht darum nur, weil ich den Haß will tragen,

Haß auf den Friesen und sein arges Haus,

Der Brüder mir und Vater hat erschlagen,

Mein Heim verwandelt hat in Brand und Graus –

Nein, weil ich nicht dem Liebsten will entsagen

(Er nahm ja meinen Schwur mit sich hinaus,

Daß ich nicht früher eines andren wäre,

Bis er von Spanien nimmer wiederkehre),


34.

Sagt' ich: Eh'r will ich hundert Tode kennen;

Man mag mit allen Qualen mich bedräun,

Man mag mich töten, lebend mich verbrennen

Und meine Asche in die Winde streun! –

Mein Volk sucht von dem Vorsatz mich zu trennen;

Ich hör' ihr Flehen stürmisch sich erneun,

Mich und das Reich in seine Hand zu legen,

Daß nicht das Land verderbe meinetwegen.


35.

Als sie ihr Drängen ganz vergeblich sehen

Und mich so felsenfest im Widerstand,

Die Meinen all zum Friesenkönig stehen

Und geben Reich und mich in seine Hand.

Ohn' irgend weitre Unbill zu begehen,

Versichert er mir Leben so wie Land,

Damit ich alten Abscheu überwinde

Und in die Heirat mit Arbant mich finde.
[178]

36.

Zum Tode will ich meine Zuflucht nehmen,

Um so verhaßtem Zwange zu entgehn;

Vorher mich rächen; – sonst würd' ich mich grämen

Mehr als um alles, das mir noch geschehn.

Auch der Verstellung darf ich nicht mich schämen,

Einzig in ihr ja kann ich Hilfe sehn:

Verliebtheit heuchl' ich, bitt' ihn, zu verzeihen,

Scheinbar voll Sehnsucht jetzt, Arbant zu freien.


37.

Von all den vielen, die im Dienste standen

Des Vaters noch, wählt' ich zwei Brüder aus,

In denen Mut und hoher Sinn sich fanden

(Die Treue ragte drüber noch hinaus),

An mich gekettet durch der Jugend Banden,

Mit mir erzogen beid' im Königshaus

Und also mein: – sie würden gern ihr Leben

Für meine Wohlfahrt mir zum Opfer geben.


38.

Den zwein vertrau' ich mich in diesen Zeiten,

Und sie versprechen Hilfe mir sofort:

Der geht nach Flandern hin die Fahrt bereiten,

Der andre bleibt bei mir zurück am Ort.

Derweil nun für die Hochzeit Boten reiten

Und Fremd' und Heim'sche laden hier und dort,

Vernimmt man, daß Biren in Spanien rüste;

Er bring' ein Kriegesheer nach Hollands Küste.


39.

Nach jener Schlacht, in der das Heer geschlagen

Ward und den Tod mein lieber Bruder fand,

Hatt' ich, die Kunde zu Biren zu tragen,

Nach Spanien einen Boten abgesandt.

Derweil sie dort sich mit der Rüstung plagen,

Kommt meines Reiches Rest in Feindeshand.

Biren, dem noch hiervon die Nachricht fehlte,

Zu unsrer Hilf' indes die Schiffe wählte.
[179]

40.

Als drob der Friese Meldung hat empfangen,

Gibt er die Hochzeit in des Sohnes Hand

Und ist mit seinem Heer zu See gegangen:

Des Herzogs Flotte ward besiegt, verbrannt,

Er selbst nach Schicksals Willen, ach, gefangen;

Doch davon wurd' uns damals nichts bekannt.

Der Jüngling freit mich: nach der Sonne Schwinden

Denkt er die Lagerstatt bei mir zu finden.


41.

Verborgen war und ohne sich zu regen

Mein treuer Helfer hinterm Bettverhang:

Als er den Gatten sah sich herbewegen,

Mit starken Armen eine Axt er schwang

– Arbant fand nicht die Zeit, sich hinzulegen –,

Und auf dem Hinterkopf der Hieb erklang,

Der ihm die Stimme raubte und die Seele –

Schnell sprang ich auf und schnitt ihm durch die Kehle.


42.

Gleichwie die Ochsen in den Schlachthaushallen,

Fiel der unsel'ge Jüngling auf den Grund,

Cimosk zum Trutz, dem Schändlichsten von allen

(Den bösen Friesen nenn' ich dir jetzund),

Durch den all meine Treuen sind gefallen

Und der mich zwang zu diesem Ehebund,

Um seiner Herrschaft größern Halt zu geben,

Nachher wohl doch nach meinem Tod zu streben.


43.

Wir nehmen rasch, eh Störung uns ereile,

Was nicht viel wiegt und gute Dienste tut;

Dann läßt mich mein Genosse rasch am Seile

Hinab vom Fenster auf die Meeresflut,

Wo in dem Boot aus Flandern mittlerweile

Sein Bruder wartet mit gespanntem Mut:

Ins Meer die Ruder, Segel in die Winde! –

Und Gott gefall's, daß jeder Rettung finde!
[180]

44.

Ob Rachewut, ob Schmerzen größer waren

Des Königs um den Sohn, konnt' ich nicht sehn;

Er kam am nächsten Tage, zu gewahren,

Was ihm zum Hohne Grausiges geschehn.

Stolz war er heimgekehrt mit seinen Scharen,

Stolz auf den Sieg, den Fang auch des Biren;

Zu Fest und Hochzeit glaubt' er zu erscheinen,

Nun fand er alles dunkel und zum Weinen.


45.

Schmerz um den Sohn, ein Haß wild zum Erschrecken

Auf mich verläßt ihn nicht bei Tag und Nacht.

Doch weil die Klagen Tote nicht erwecken,

Die Rache aber Luft dem Hasse macht,

Soll nicht in Seufzer sich das Leid verstecken,

Auf eines, nach dem Wehruf, sei's bedacht:

Auf einen Bund mit grenzenlosem Hassen –:

Mich finden gilt es und mich büßen lassen!


46.

Wer mir verknüpft war mit der Freundschaft Banden

Und wem für die Genossen schlug das Herz,

Die zu dem Werk mir hatten beigestanden,

Beraubt', erschlug er, trieb sie anderwärts.

Biren auch wollt' er töten mir zu Schanden;

Das gäbe ja für mich den größten Schmerz;

Doch lebend – deucht ihn -bild' er wohl die Schlinge

In seiner Hand, darin auch ich mich finge.


47.

Mit einem Vorbehalte, einem schlimmen,

Bleib' er am Leben bis auf Jahresfrist;

Sodann verfall' er doch dem Tod, dem grimmen,

Geläng' ihm durch Gewalt nicht oder List,

Verwandte oder Freunde zu bestimmen,

Daß sie mich, wenn es zu erreichen ist,

Einliefern: also wird für ihn mein Sterben

Der einz'ge Weg, nicht selber zu verderben.
[181]

48.

Ich tue, was für ihn nur kann geschehen

(Bloß, daß ich selbst mich nicht dem Tod gestellt);

Sechs Schlösser geb' ich, die in Flandern stehen,

Und lasse für das so gelöste Geld

Teils hin zum Feind erfahrne Späher gehen,

Die Wache zu bestechen, die ihn hält,

Und teils verwend' ich's zu des Friesen Schaden,

Engländer oder Deutsche herzuladen.


49.

Ob dieses nicht vermocht die Mittler haben,

Ob sie nicht taten, was sie doch gesollt –

Ich weiß nur, daß sie nichts als Worte gaben;

Sie höhnen noch, nun eingesteckt das Gold.

Und jetzt, zu spät, ach, kämen Heer und Gaben,

Denn jenes Jahr der Frist ist hingerollt,

Und rings die weite Welt kein Mittel hätte,

Das meinen Liebsten vor dem Morde rette.


50.

Für ihn bin ich aus meinem Reich vertrieben,

Für ihn sind Brüder mir und Vater tot;

Für ihn das Wen'ge, das mir noch geblieben,

Daß mir gesichert wär' ein täglich Brot –

Es ward, ihn zu befreien, aufgerieben,

Und jetzt steht weiter nichts mir zu Gebot,

Als mich zu geben in die Hand des bösen,

Grausamen Feindes, um ihn auszulösen.


51.

Drum sollt' es keine Hilfe weiter geben

Und stellt sich nichts zu seiner Rettung ein

Als dies mein Leben, nun, so wird dies Leben

Mir ihm zu opfern nicht zu teuer sein.

Doch eine einz'ge Sorge macht mich beben:

Wie treff ich wohl den Pakt so klar und rein,

Daß er mich sichre vor des Wütrichs Lügen,

Der, bin ich sein, noch leicht mich kann betrügen?
[182]

52.

Ich fürchte, wenn mich seine Hände fassen

Und alle Todesqualen mir geschahn,

So wird er doch darum Biren nicht lassen,

Daß der mir danke freie Lebensbahn;

Meineidig, voller Wut in seinem Hassen,

Ist ihm mit meinem Tod nicht gnug getan:

Mit meiner Qual wird er sich nicht bescheiden

Und läßt die gleiche dann Biren erleiden.


53.

Bring' ich der Lage Bild nun Euch entgegen

Und ihnen, die noch sonst am Ufer hin

Als edle Herren ziehn und kühne Degen,

So geht mir der Gedanke durch den Sinn:

Ich höre so von Mitteln wohl und Wegen,

Zu hindern, wenn ich des Tyrannen bin,

Daß er doch hinterdrein Biren behalte

Und wie mit mir so auch mit ihm noch schalte.


54.

So manchen bat ich schon, mich zu geleiten,

Wenn ich mich liefre an den Friesen dort,

Und jenen Austausch derart einzuleiten

– Versprechen müss' er dies mit seinem Wort –

Daß ich mich gebe – doch zu gleichen Zeiten

Frei sei Biren; verfall' ich dann dem Mord,

Getröstet werd' ich sterben und zufrieden,

Daß ihm mein Tod das Leben hat beschieden.


55.

Noch keiner wollte mir sein Wort verpfänden,

Daß er, führt man zum Friesenkönig mich,

Wenn der nicht gleich Biren auch will entsenden,

Hierher zurück mich bring' unweigerlich

Und nicht mich lasse in des Feindes Händen;

So fürchtet jeder vor der Waffe sich,

Der gegenüber nicht es hilft, sich rüsten,

Mag man sich auch im stärksten Panzer brüsten.
[183]

56.

Wenn Will' und Mut in Euch im Einklang stehen

Mit trutz'gem Antlitz und herkul'scher Kraft

Und Ihr vermeint zu kommen – und zu gehen

Mit mir, sobald der Friese Falsches schafft,

So mögt Ihr mich in seinen Händen sehen!

Ich sorge nicht –: denn, bin ich auch in Haft,

So weiß ich doch, muß ich schon selbst verderben,

Es wird, seid Ihr bei ihm, mein Herr nicht sterben.«


57.

Des Fräuleins Rede, vielfach unterbrochen

Von Tränen und von Seufzern, fand hier Schluß.

Roland, der sich noch niemals hat verkrochen

Und, gilt es Gutes tun, nie zeigt Verdruß,

Sagt kurz, als sie zu Ende hat gesprochen

(Er ist kein Freund von langem Redefluß):

Mehr als sie wünsche werd' erfüllt sie finden,

Darauf woll' er mit seinem Wort sich binden.


58.

Daß sie dem Leben für den Freund entsage,

Schwebt keineswegs ihm jetzt als Absicht vor:

Er rettet beide wohl mit einem Schlage,

Wenn er sein Schwert hat und nicht Kraft verlor.

Sie reisen ab, noch an demselben Tage,

Gut ist der Wind und hell das Himmelstor.

Der Graf hat Eile, denn er fühlt Verlangen,

Zum Eiland jenes Untiers zu gelangen.


59.

Hierhin und dorthin lenkt von Land zu Lande

Durch manchen tiefen Teich der Steuermann;

Die Inseln Seelands zeigen ihre Strande:

Jetzt schwindet die, und jene rückt heran.

Am dritten Tag steht er auf Hollands Sande,

Doch, die den Friesen haßt, nicht kommen kann:

Der Graf will, daß sie von dem Schiff aus sehe,

Wie es dem Wüterich durch ihn ergehe.
[184]

60.

Auf einen Renner, einen schwärzlich-grauen,

Steigt er am Strand, gerüstet, nach der Fahrt;

Ein Däne war's, genährt in Flanderns Auen,

Und mehr von starker als von leichter Art.

Denn als der Held ging sich dem Schiff vertrauen,

In der Bretagne ward sein Roß verwahrt,

Der Güldenzaum, an den kein Pferd kann reichen

Und der sich fast mit Bajard mag vergleichen.


61.

Nach Dortrecht kam er, sah am Tore Wachen

Und daß es angefüllt von Kriegern war,

Teils, weil sich Herrscher immer Sorgen machen

(Wenn ihre Herrschaft noch ein Neuling gar!),

Teils, weil gemeldet waren neue Sachen:

Von Seeland sei zur Fahrt mit einer Schar

Erlesner Krieger und mit vielen Schiffen

Ein Vetter des gefangnen Herrn begriffen.


62.

Graf Roland läßt darauf dem König sagen,

Gekommen sei ein Ritter vor die Stadt,

Mit ihm den Kampf auf Lanz' und Schwert zu wagen:

Doch die Bestimmung finde vorher statt:

Der Ritter liefre, werd' er selbst geschlagen,

Die Dam' aus, die Arbant getötet hat;

An nahem Orte sei sie gut verborgen;

Er selbst könn' ihr Erscheinen stets besorgen.


63.

Der König aber soll sein Wort verpfänden,

Im Fall der Ritter siege, den Biren

Sofort in voller Freiheit zu entsenden,

Daß er des Weges sicher möge gehn.

Der Bote eilt, zum König sich zu wenden,

Doch er, den keiner ehrlich je gesehn,

Er kennt im Augenblick nur dies Beginnen:

Auf Trug, Verrat und Hinterlisten sinnen.
[185]

64.

Er denkt, hab' er den Ritter in der Schlinge,

So hab' er – falls der Bote recht vernahm,

Daß jener Held die Dame mit sich bringe –

Auch sie, die Schmach ihm angetan und Gram.

Ein Trupp, gebietet er, von dreißig dringe

Aus anderm Tor, als jener Ritter kam,

Zum Platz hinaus und falle dort mit Tücken

Nach langem Umweg jenem in den Rücken.


65.

Der Falsche hält ihn hin mit leerem Worte,

Bis Roß und Reiter in dem Hinterhalt

Sind angelangt; dann sprengt er aus der Pforte,

Mit Mannschaft rings umgeben, dergestalt,

Wie wohl das Wild von jedem Zufluchtsorte

Der kund'ge Jäger sperren mag im Wald,

Und wie dort im Volano mit den Netzen

Die Fischer jeden Wasserplatz besetzen.


66.

So hat der König mit den Kriegermassen,

Daß jener nicht entfliehe, sorglich acht;

Er will ihn lebend, und nicht anders, fassen

Und hat sich dieses Ding so leicht gedacht,

Daß er den ird'schen Blitz zu Haus gelassen,

Mit dem er schon so viele umgebracht;

Denn dieser scheint ihm heute nicht vonnöten,

Wo es zu greifen gilt und nicht zu töten.


67.

Wie Vogelsteller lassen Schlingen hangen,

Lebend zu haschen ein paar Vögelein

(Mit ihrem Ruf und ihrem Zirpen fangen

Sie ja die andern vielen hinterdrein),

So ist jetzt dieses Friesenherrn Verlangen:

Doch Roland will kein solcher Vogel sein,

Der da sich greifen läßt beim ersten Zuge:

Er reißt die Schlinge durch mit starkem Fluge.
[186]

68.

Den Speer gesenkt, wo sie am dichtsten reiten,

Hin sprengt der Ritter von Anglant in Hast:

Er spießt den einen auf und gleich den zweiten,

Den dritten, vierten – Semmeln scheint es fast.

So läßt er bis zu sechs den Schaft durchgleiten,

Und weil die eine Lanze mehr nicht faßt,

Ist draußen nun der nächste Mann geblieben,

Doch, schwer getroffen, stirbt auch Nummer sieben.


69.

So sehn wir Frösche – will's dem Jäger glücken –

Aus Gräben und Kanälen an dem Strand

Vom Schützen aufgespießt in Seit' und Rücken

Wohl angereiht, gar viele nacheinand;

Er pflegt vom Pfeil nicht einen abzupflücken,

Eh er gefüllt von vorn bis hinten stand.

Der Speer flog fort, der solcherart beschwerte,

Und Roland schritt zum Kampfe mit dem Schwerte.


70.

Zur Klinge griff er nach dem Lanzenbrechen,

Die niemals ein vergeblich Werk begann:

Es fiel bei jedem Hauen, Schneiden, Stechen

Ein Mann zu Fuß, sonst auch zu Pferd ein Mann;

Wo's traf, da färbte sich von roten Bächen,

Was man zuvor als blau, weiß, gelb sah an.

Der Friese weiß vor Wut sich nicht zu fassen,

Daß er sein Feuerrohr zu Haus gelassen.


71.

Er ruft mit lautem Drohn, man soll es bringen,

Doch die erschreckten Krieger hören nicht;

Denn jedem, der zurück zur Stadt kann dringen,

Der Mut, aufs neu herauszugehn, gebricht.

Der König sah, wie alle rückwärts gingen,

Und war auf eigne Rettung nun erpicht:

Die Brücke aufzuziehn, eilt er zur Pforte,

Doch allzuschnell ist auch der Graf am Orte.
[187]

72.

Umkehrend läßt der König Tor und Brücken

Nun völlig frei dem grimmen Rittersmann,

Läßt fliehend alle Mannschaft hinterm Rücken,

Dieweil sein Pferd am besten laufen kann.

Nach niederm Volk will Roland nicht sich bücken,

Nur auf den Tod des Schurken kommt's ihm an;

Doch wenig taugt sein Tier zum raschen Rennen:

Man könnt' es lahm, das dort geflügelt nennen.


73.

Verschwunden – just als ob ihn Nacht bedecke –

Ist er dem Ritter; doch nach kurzer Weil'

Kommt er mit neuen Waffen, denn ein Recke

Hat ihm das Feuerrohr gebracht in Eil'.

Er drückt sich lauernd dicht an eine Ecke

Und harrt, so wie mit Hunden, Spieß und Pfeil

Der Jäger wildem Eber harrt entgegen,

Den er verheerend hört im Wald sich regen


74.

Und Steine wälzen und die Zweige knicken:

Ein Berg – so scheint's – sich in Bewegung setzt;

Läßt sich der stolze Kopf des Tieres blicken,

Meint man, es werde rings der Wald zerfetzt.

Cimosk steht lauernd, und am Zeug zu flicken

Denkt er dem übermüt'gen Grafen jetzt.

Der kommt –: das Feuer in dem Spalt am Rohr blitzt,

Worauf der Schuß im Augenblick hervorblitzt.


75.

Von hinten leuchtet's auf wie beim Gewitter,

Und vorne kracht's, entsendend Donnerknall.

Der Boden schwankt, als ob er beb' und zitter',

Der Himmel oben dröhnt vom grausen Schall.

Der glühnde Pfeil (es sinkt vor ihm in Splitter,

Was er nur trifft, und sei's ein Felsenwall),

Er saust und zischt; doch sollt' er Unheil bringen

Nach Wunsch des Mörders, wollt' es nicht gelingen.
[188]

76.

War's Eile oder daß zu sehr er glühte,

Roland zu töten, was ihn fehlen ließ?

War's, daß, wie Blätter bebend, sein Gemüte

Zugleich auch Arm und Hände beben hieß?

War's, daß den treuen Held die ew'ge Güte,

Die noch ihn brauchte, nicht in Not verließ? –

Der Schuß drang in den Leib hinein dem Pferde

Und, nie sich zu erheben, fiel's zur Erde.


77.

Es stürzt das Roß, es stürzt der Reiter nieder,

Doch jenes bleibt, und dieser, leicht und frei,

Springt auf geschickt und regt so frisch die Glieder,

Ob Atem ihm und Kraft gewachsen sei.

Wie sie gedoppelt kam Antäus wieder

Vom Boden dort in Libyens Wüstenei,

So schien's, daß bei Berührung mit der Erde

Roland die Stärke neu gegeben werde.


78.

Wer je das Feuer sah vom Himmel fahren,

Von Zeus mit solchem Krachen ausgesandt,

Hinkommen, wo die Menschen aufbewahren

Salpeter, Schwefel, Kohlen, allerhand

(Wie leicht auch die Zusammenstöße waren,

So steht doch Erd' und Himmel gleich in Brand;

Hartes Gestein zerreißt, die Mauern springen,

Und Felsenstücke zu den Sternen dringen),


79.

Der denke: also hob sich von der Erde,

Die er berührt, Roland der Paladin;

Mit solcher wilden, schrecklichen Gebärde,

Daß Mars im Himmel drob zu zittern schien.

Umwandte sich der Friese mit dem Pferde,

Entsetzt und schaudernd, jäh davonzufliehn;

Doch Roland hinterdrein mit größrer Eile

Als, fortgeschnellt vom Bogen, rasche Pfeile!
[189]

80.

Was er vorher umsonst versucht, beritten,

Das führt er aus, nun er auf Füßen steht:

Er folgt so rasch und mit so mächt'gen Schritten,

Ihr glaubt es nicht, wenn Ihr's nicht selber seht.

Er holt ihn ein, und auf des Helmes Mitten

Schwingt er das Schwert, und durch das Eisen geht

Die Klinge, haut hinab bis auf die Kehle –

Der Friese haucht am Boden aus die Seele.


81.

Da hört man neuen Waffenlärm erklingen

Und neu Getümmel drinnen in der Stadt:

Die Krieger sind's und wollen Hilfe bringen,

Die hergeführt Birenos Vetter hat.

Sie können durch die offnen Tore dringen,

Und durch die Straßen geht der Durchzug glatt;

Sie dürfen ohne Schwertstreich sie durchlaufen:

So bang vor Roland sind die Bürgerhaufen:


82.

Die fragen nicht – sie fliehen voller Eile –,

Wer jene seien und was ihr Begehr;

Doch merkt an Sprache mancher mittlerweile

Und an dem Kleid, sie sind aus Seeland her,

Sagt: Friede werde dieser Schar zuteile,

Stellt auch sich zur Verfügung wohl dem Heer

Und will ihm beistehn gegen jene Friesen,

Die seinem Herzog grausam sich bewiesen.


83.

Feind ist dem Friesenkönig und den Seinen

Das ganze Volk geblieben immerdar,

Weil alle noch den frühern Herrn beweinen,

Und weil der Friese hart und räubrisch war.

Roland versteht die zwei Partein zu einen,

Zeigt sich als Freund so der wie jener Schar.

Man duldet keinen Friesen mehr im Lande:

Man tötet oder schlägt sie all in Bande.
[190]

84.

Am Boden liegen die Gefängnispforten,

Zertrümmert, einen Schlüssel braucht man nicht.

Biren an Roland mit beredten Worten

Den Dank für Rettung vor dem Tode spricht.

Zusammen gehn sie, wo im Schiffe dorten

Olympia harrt mit bangem Angesicht.

Dies ist der Name, den die Dame führte,

Der jenes Inselreich mit Recht gebührte,


85.

Sie, die den Grafen nach dem Eiland brachte,

Nur um ihr den Verlobten zu befrein,

Die niemals noch an solche Lösung dachte,

Auf seine Rettung sinnend ganz allein.

Wie auch das Volk ihr Anblick glücklich machte –

Zu lange würd' es Euch zu schildern sein,

Und wie sich beide in die Arme sanken,

Dann stets aufs neue Roland heiß zu danken.


86.

Als dann zum Treueschwur die Bürger gingen,

Erhielt die Fürstin wiederum ihr Land.

Sie eilt, Biren – an den mit ew'gen Schlingen

Stahlharter Kette Liebe fest sie band –

Nebst ihrem Reich sich selber darzubringen.

Und er, nun andern Sorgen zugewandt,

Gibt seinem Vetter alle Reichsgewalten

Und läßt der Burgen ihn und Güter walten:


87.

Zurück nach Seeland, sagt er, woll' er reisen

(Dort führ' er auch die treue Gattin hin),

Erproben, ob das Kriegsglück hold sich weisen

In Friesland werde, lieg' in seinem Sinn;

Ein Pfand soll' ihm dort seine Kraft beweisen,

Und dieses Pfand halt' er in Händen drin:

Des Königs Kind, gefangen mit den vielen,

Die bei der Beut' ihm in die Hände fielen.
[191]

88.

Dem Bruder möcht' er gerne sie vermählen,

Der jünger noch an Jahren war, zu Haus.

Den gleichen Tag will Roms Senator wählen

Zum Abschied, da Bireno fuhr hinaus.

Soviel man konnte Beutestücke zählen,

Nahm er für sich ein einziges heraus:

Das Marterrohr, mit dem, wie wir gesehen,

Unheil wie durch den Blitzstrahl mag geschehen.


89.

Der Waffe sich zum Schutze zu bedienen,

Das war es nicht, worauf der Ritter sann,

Denn immer war es ihm als feig erschienen,

Wenn einen Vorteil nahm im Kampf ein Mann.

Wo keinem Menschen schaden Mordmaschinen,

Da soll es ruhn für alle Zeit fortan.

Auch Pulver nahm er, Kugeln und was alles

Dazugehören mochte allenfalles.


90.

Drum als er mit dem Schiff nun weit vom Lande

Ins tiefe Meer hinausgefahren war

(Nicht von dem rechten, nicht vom linken Strande

Bot sich vom Lande mehr ein Zeichen dar),

Nahm er's und sprach: »Du seist nicht mehr imstande

Zu krönen schlechten Mann, des Mutes bar!

Daß echte Rittertugend nicht verschwinde,

Bleibe du hier, wo keiner mehr dich finde.


91.

Arges Gerät, abscheulich, gottverlassen,

Das aus dem Tartarus der Teufel gab!

Dich brachte Beelzebub mit tück'schem Hassen

Den Menschen zu Verderben, Tod und Grab.

Laß von der Höll' aufs neue dich erfassen!«

Er sprach's und warf das Feuerrohr hinab.

Zur Greuel-Insel trieb indes geschwinde

Das Schiff mit vollen Segeln vor dem Winde.
[192]

92.

Den Grafen treiben vorwärts Sehnsuchtsflammen

(Er brennt zu hören, was man von ihr weiß;

Sie liebt er mehr als alle Welt zusammen;

Ihr fern, lockt ihn kein Glück, nicht laut, nicht leis),

Drum läßt er Irland liegen, denn entstammen

Kann neuer Aufenthalt ja dieser Reis',

Und mit der Klage wird vielleicht geendet:

›Ach, hätt' ich doch die Schritte fortgewendet!‹


93.

In England auch verbot er anzulegen

Und wo ein Ufer sonst gesehen ward.

Doch lassen wir ihn ziehen meinetwegen,

Wohin da führt des nackten Schützen Art!

Ich möchte jetzt nach Holland mich bewegen

Und lad' auch Euch mit ein zu dieser Fahrt.

Denn so wie mich würd' es wohl Euch verdrießen,

Sollte die Festzeit ohne uns verfließen.


94.

Schön ist die Hochzeit wohl, zu der wir steuern,

Indes so schön und glänzend nicht jetzund,

Wie die in Seeland noch sich soll erneuern.

Doch feiern wir nicht mit den neuen Bund;

Denn Unheil will mit frischen Abenteuern

Ihn stören. Alles sonst wird später kund;

Im nächsten Sange will ich es erzählen,

Wenn mir zum nächsten Sang nicht Hörer fehlen.

Quelle:
Ariosto, Ludovico: Der rasende Roland. In: Sämtliche poetischen Werke, Berlin 1922, Band 1, S. 169-193.
Lizenz:
Ausgewählte Ausgaben von
Der rasende Roland
Die Historia vom Rasenden Roland
Ludovico Ariosts Rasender Roland nacherzählt von Italo Calvino

Buchempfehlung

Lessing, Gotthold Ephraim

Philotas. Ein Trauerspiel

Philotas. Ein Trauerspiel

Der junge Königssohn Philotas gerät während seines ersten militärischen Einsatzes in Gefangenschaft und befürchtet, dass er als Geisel seinen Vater erpressbar machen wird und der Krieg damit verloren wäre. Als er erfährt, dass umgekehrt auch Polytimet, der Sohn des feindlichen Königs Aridäus, gefangen genommen wurde, nimmt Philotas sich das Leben, um einen Austausch zu verhindern und seinem Vater den Kriegsgewinn zu ermöglichen. Lessing veröffentlichte das Trauerspiel um den unreifen Helden 1759 anonym.

32 Seiten, 3.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Frühromantik

Große Erzählungen der Frühromantik

1799 schreibt Novalis seinen Heinrich von Ofterdingen und schafft mit der blauen Blume, nach der der Jüngling sich sehnt, das Symbol einer der wirkungsmächtigsten Epochen unseres Kulturkreises. Ricarda Huch wird dazu viel später bemerken: »Die blaue Blume ist aber das, was jeder sucht, ohne es selbst zu wissen, nenne man es nun Gott, Ewigkeit oder Liebe.« Diese und fünf weitere große Erzählungen der Frühromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe ausgewählt.

396 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon