|
[133] 1.
Es kann mit Fug kein Mensch geliebt sich meinen,
Hält ihn noch oben auf dem Rad das Glück;
Weil wahr' und falsche Freunde sich vereinen,
Und jeder zeigt der Freundschaft gleiches Stück.
Geht's aber erst vom Lachen hin zum Weinen,
Dann zieht das Schmeichlervolk sich bald zurück:
Nur, der von Herzen liebt, ist fest geblieben
Und wird im Tod noch seinen Herren lieben.
2.
Ließe das Herz sich wie das Antlitz sehen!
Der bläht sich stolz bei Hof, voll Glanz, glorios;
Zurück in Gunst des Herrn muß jener stehen –
Sie tauschten beide wohl sodann ihr Los:
Der Hohe würde zu den Letzten gehen,
Der Niedre stieg' empor und würde groß.
Doch laßt uns jetzt zu Medor uns begeben,
Der seinen Herrn im Tod liebt wie im Leben.
3.
Sich dort zu bergen auf verschlungnen Pfaden,
Hat sich der Arme nach dem Wald gewandt,
Doch durch die Last, die er sich aufgeladen,
Ist keine Rettungsstatt für ihn zur Hand!
Verirrt, kommt er im Dorngebüsch zu Schaden,
Denn diese Gegend ist ihm unbekannt.
Entfernt von ihm, gesichert vor Gefahren
Ist jener, dessen Schultern leichter waren.
[134]
4.
So fern war Kloridan, daß seine Ohren
Den Waffenlärm schon nicht vernahmen mehr;
Doch als er sieht, er hat den Freund verloren,
Ist ihm, als ob sein Herz ihm ferne wär':
»Wie war ich lässig!« rief er. »Weh mir Toren!
Wie war mein Kopf von Überlegung leer,
Daß, Medor, ohne dich – kaum kann ich's fassen! –
Ich floh, nicht ahnend, wo ich dich gelassen!«
5.
Er spricht es, eilt auf den gewundnen Wegen
Des Walds zurück, die er gegangen schon,
Und stürmt geradeswegs dem Tod entgegen,
Aus dessen Näh' er doch bereits geflohn.
Er hört Geschrei und Hufschlag allerwegen,
Dazu von Feindesstimmen grimmes Drohn;
Zuletzt auch Medor, sieht ihn eingeschlossen,
Allein, zu Fuß, von vielen hoch zu Rossen.
6.
Hundert zu Pferd, die sämtlich ihn umringen!
Gefangen soll er werden, ruft Zerbin.
Der Arme muß sich wie ein Kreisel schwingen
Und, um sich ihrem Angriff zu entziehn,
Hinter die Eichen, Ulmen, Buchen springen;
Doch nie verläßt die teure Bürde ihn.
Zuletzt, als sie zu schwer wird, legt er leise
Sie hin ins Gras und irrt umher im Kreise,
7.
Der Bärin gleich, wenn in den Raum gedrungen
Der Höhlenschlucht der Jäger Wagemut:
Unschlüssig steht sie über ihren Jungen
Und knirscht vor Jammer teils und teils vor Wut;
Von alter Wildheit und von Grimm bezwungen,
Streckt sie die Klauen aus und lechzt nach Blut –
Gerührt von Liebe, kehrt sie aber wieder
Und schaut im Zorn noch auf die Kleinen nieder.
[135]
8.
Gemeinsam mit dem Freund zum Ende streben
Will Kloridan, weil er nicht helfen kann.
Doch eh er gegen Tod austauscht das Leben,
Soll sterben gehen noch gar mancher Mann.
Sein Köcher muß die schärfsten Pfeile geben,
Er wendet trefflich die Geschosse an
Und zielt aus dem Versteck dort auf die Rotte:
In das Gehirn getroffen stürzt ein Schotte.
9.
Wie alle nun sich nach der Richtung wenden,
Daraus der Mörderpfeil geflogen sei:
Kann einen neuen jener Mohr entsenden,
Und bei dem ersten liegt schon Nummer zwei.
Denn wie er hastig fragt, aus wessen Händen
Das rühre her, und tobet mit Geschrei,
Trifft ihn der Pfeil und steckt in seinem Schlunde
Und schneidet ihm die Rede durch im Munde.
10.
Zerbin, in dessen Heerbann jene waren,
Verliert Geduld und bändigt sich nicht mehr.
Er kam auf Medor wütend hergefahren
Und sprach zu ihm: »Du sollst es büßen schwer!«
Und packt' ihn bei den goldnen Lockenhaaren
Und riß mit wildem Ruck ihn zu sich her: –
Doch als er seiner Augen wahr geworden,
Erfaßt von Mitleid, konnt' er ihn nicht morden.
11.
Zu flehn begann der schöne junge Degen:
»Bei deinem Gott! Sei nicht voll Grausamkeit!
Vergönne mir – o laß sich Mitleid regen! –,
Daß meinem Herren ich ein Grab bereit'.
Ich suche nicht, zu mehr dich zu bewegen;
Zu bitten um mein Leben, liegt mir weit.
Gerade so viel Zeit nur laß mich haben,
Um meines Herren Leichnam zu begraben.
[136]
12.
Und willst du Waldgetier und Vögel weiden,
Erfüllt das Wüten eines Kreon dich –
Laß meine Glieder jene Schmach erleiden,
Nur laß Almontes Sohn bestatten mich.«
So bat der Jüngling anmutvoll, bescheiden;
Ein Felsen wahrlich, der erbarmte sich:
Zerbin war so ergriffen im Gemüte,
Daß er von Mitleid und Erbarmen glühte.
13.
Von einem Reiter aus dem Schottenreiche,
Der seines jungen Herrn hat wenig acht,
Wird übern Arm jetzt auf die Brust, die weiche,
Des Flehnden mit dem Speer ein Stoß gemacht.
Zerbin ist außer sich bei diesem Streiche,
Dem rohn, und um so ärger aufgebracht,
Als er den Jüngling sieht am Boden liegen,
Wie wenn er schon ins Schattenland gestiegen.
14.
Er wendet sich voll Schmerzen und voll Grimme
Mit bösem Vorsatz jenem Reiter zu:
»Nicht ungerächt«, rief er mit drohnder Stimme,
»Bleibt solche schnöde Tat: nun büße du!«
Doch seinen Vorteil rasch ersah der Schlimme
Und wandte sich und floh davon im Nu.
Als Kloridan sieht Medor auf der Halde,
Zu offnem Kampfe läuft er aus dem Walde.
15.
Er wirft den Bogen fort, das Schwert zu schwingen
Im Feindeshaufen dort in wilder Wut,
Zu sterben und die Rache zu erringen,
Die seinem wilden Schmerz Genüge tut.
Er fühlt sein Blut aus hundert Wunden springen:
Hinab zum Sande rinnt des Lebens Flut.
Und als er merkt, die Kraft verläßt die Glieder,
Zu Seiten seines Medor fällt er nieder.
[137]
16.
Die Schotten ziehen hin auf Waldesstegen,
Wie's ihres Führers hoher Zorn gebot,
Die beiden Mohren lassend, die erlegen,
Kaum lebend einer und der andre tot.
Geraume Zeit lag so der junge Degen;
So reiche Flut spritzt aus den Adern rot,
Es ist in kurzer Zeit um ihn geschehen,
Wenn niemand naht, dem Jüngling beizustehen.
17.
Da kommt im Hirtenkleid dahergegangen,
Geführt vom Zufall, ein gar lieblich Kind,
Von fürstlicher Gestalt, mit blühnden Wangen,
Des Miene und Gebärden adlig sind.
Von ihr schon lange nicht die Saiten klangen,
Daß Ihr am End' Euch nicht auf sie besinnt:
Angelika das Mädchen wohlgetan ist
Und aus Katai und Kind des großen Chan ist.
18.
Seitdem der Ring, der von Brunel geraubte,
Zurückgekommen war in ihre Hand,
Voll großem Stolz sie also hoch sich glaubte,
Daß vom Gesicht der Welt sie ganz verschwand
Und keinem sie zu führen mehr erlaubte,
Wie rühmlich er der Welt auch sei bekannt.
Mit Zorn gedenkt sie, daß sie Sakripante
Und Roland einstmals ihre Trauten nannte.
19.
Besonders fühlt sie Reu' in allen Stunden,
Daß sie Rinald ein wenig Gunst erwies:
Erniedrigt hat sie plötzlich sich gefunden,
Daß sie so tief die Augen sinken ließ.
Amor zürnt solchem Hochmut unumwunden
Und daß sie sich so lange spröd bewies.
Er hat zu Medor sich zurückgezogen
Und lauert da, den Pfeil schon auf dem Bogen.
[138]
20.
Als sie nun sah, wie wund der Todesmatte,
Hinschwindend, lag, gefällt vom scharfen Erz,
Der mehr, daß seinen Herrn man nicht bestatte,
Bekümmert war als um den eignen Schmerz,
Kam's, daß sie ganz unendlich Mitleid hatte:
Es schlich durch seltne Pforten in ihr Herz,
Darin es alle Härte nun zerstörte,
Zumal als sie von Medors Schicksal hörte.
21.
Da fällt ihr ein, daß sie in frühern Tagen
Hat Chirurgie gelernt, in Indien schon
(Man ist dort, scheint's, in dieser Kunst beschlagen,
Sie gilt als edel und bringt Ehr' und Lohn;
Man braucht sich nicht mit Schriften viel zu plagen:
Sie wird vererbt vom Vater auf den Sohn),
Und will mit Kräutersaft ihn jetzt behandeln,
Sein Leben in ein frisches umzuwandeln.
22.
Und sie besinnt sich, daß auf Wiesenauen,
Die unterwegs sie sah, ein Kräutlein steh',
Auf dessen Kraft, zu heilen, man kann bauen
– Sei's Eschenwurz, sei's eine Panazee –:
Es läßt das Blut sich in der Wunde stauen
Und nimmt den Krampf und alles schlimme Weh.
Nicht weit stand eins: sie fand's zum guten Glücke
Und kehrte dann zu Medor schnell zurücke.
23.
Beim Rückweg ward ein Hirt von ihr gefunden,
Der durch den Wald her kam auf einem Pferd
(Er suchte eine Jungkuh, die verschwunden
Ihm vor zwei Tagen war aus seiner Herd'):
Ihn nahm sie mit sich, wo aus Medors Wunden
Das Leben mit dem Blute rann zur Erd',
Und also reich war rote Flut ergossen:
Es schien die letzte Kraft schon hingeflossen.
[139]
24.
Die Schöne stieg vom Pferde ihm zu Seiten,
Wo auch der Schäfer, abgesprungen, stand.
Das Kraut zerreibt sie, um es zu bereiten,
Und preßt den Saft heraus mit weißer Hand
Auf alle Wunden, läßt ihn sich verbreiten
Auf Brust und Leib, wo sich Verletzung fand.
Die Macht des Saftes war, neu zu beleben,
Das Blut zu stillen und die Kraft zu heben.
25.
Bald ist die Stärkung schon so weit gediehen,
Daß er aufs Roß steigt; jener führt's heran.
Doch Medor will nicht eh'r von dannen ziehen,
Als bis sein Herr im Grabe ruhen kann.
Ein Platz dabei wird Kloridan verliehen;
Wohin die Dam' ihn leitet, folgt er dann.
Dem Haus des guten Hirten geht's entgegen;
Dort bleibt sie, um aus Mitleid ihn zu pflegen.
26.
Und früher nicht will sie von dannen weichen
– So ehrt sie ihn –, als bis er ganz gesund.
Sie ließ ja schon von Mitleid sich erweichen,
Als sie zuerst ihn sah dort auf dem Grund;
Doch seine Schönheit, Anmut ohnegleichen
Machten ihr Herz gleich einer Feile wund.
Sie machten's wund, und heiße Liebesflammen
Schlugen allmählich über ihr zusammen.
27.
Der Hirt und seine Frau und Kinder leben
In einem trauten Häuschen dicht am Wald,
Zwischen zwei Bergen; diesem ward soeben
Erneut und aufgebessert die Gestalt.
Medor ward dort der Welt zurückgegeben
Vom Fräulein nach geringem Aufenthalt.
Doch wenn sie ihn von Wunden ließ gesunden,
So fühlt sie selbst im Herzen größre Wunden,
[140]
28.
Wunden, die weiter, ach, und tiefer waren!
Den unsichtbaren Pfeil, mit sichrer Hand,
Aus Medors schönem Aug' und blonden Haaren
Hatt' ein beschwingter Schütze fortgesandt.
Sie brannt' und brannte, ohn' es zu gewahren;
Nur fremden Schmerzen war sie zugewandt,
Nicht eignen; eines war, woran sie dachte:
Ihn heilen, der ihr selbst die Wunde brachte.
29.
Wie sich die seine schließt und Heilung findet,
Erweitert brennend ihre nur den Kreis.
Der Jüngling wird gesund; sie aber schwindet
In Fieber, wechselnd eiseskalt und heiß.
Wenn er sie stets durch neue Schönheit bindet,
Vergeht sie; also muß die Flocke weiß,
Die spät gefallen ist, am Rain vergehen,
Nachdem sie von der Sonne ward gesehen.
30.
Soll nicht die Jungfrau sterben vor Verlangen,
So schaffe – helfend – dies sich selber Raum!
Von dem, wonach ihr Sinn steht, anzufangen,
Gedenkt der andre ja, so scheint es, kaum.
Mit glühnder Zunge, heißem Blick und Wangen,
Fleht sie – Scham hält sie fürder nicht im Zaum –,
Der Wunde mög' er Mitleid nicht versagen,
Die er, unwissentlich vielleicht, geschlagen.
31.
O Roland und o König der Zirkassen,
Was half's euch, daß man himmelhoch euch pries?
Will solche Schätzung euren Wert erfassen?
Der Lohn für eure Dienste, ist er dies?
Hat sie euch eine Huld genießen lassen,
Die sie euch – früher oder jetzt – bewies
Als Lohn für das, was ihr in Liebesbanden
Vollbracht und, ach, für sie habt ausgestanden?
[141]
32.
O könntest du zurück ins Leben kehren;
Wie würd' es hart dir scheinen, Agrikan!
Dich war sie stets beflissen abzuwehren
Voll Grausamkeit und wirklich inhuman.
O Ferragu, du Tapfrer, mit noch mehren,
Die all' ihr Taten habt um sie getan:
Wie wär' es euch, ihr Helden, doch zum Harme,
Säht ihr sie mit dem Mohren hier im Arme!
33.
Die holde Rose durfte Medor pflücken,
An die noch keiner, keiner je gerührt:
Nicht einem Manne wollt' es früher glücken;
Dem Garten wurde keiner zugeführt.
Der Ordnung Siegel allem aufzudrücken,
Nimmt man die Trauung vor, wie sich's gebührt:
Brautführer ist Gott Amor selbst gewesen;
Als Mutter ward die Hirtin auserlesen.
34.
Die Hochzeit, unterm niedern Dach gehalten,
Verging so festlich wie es möglich war.
Mehr als vier Wochen lang ließ Wonne walten
In aller Ruhe drauf das junge Paar:
Sie schaut in seine Züge ohn' Erkalten,
Entzückt, und tut sich nicht genug fürwahr;
Mag sie auch stets an seinem Halse hangen,
Nicht Sättigung schwächt jemals ihr Verlangen.
35.
Zur Seite hat sie ihn, den schönen Gatten,
Ob sie daheim bleibt oder geht von Haus;
Früh und am Abend sucht sie grüne Matten,
Den oder jenen Bachesrand sich aus.
Vor Mittagsglut beut eine Höhle Schatten,
So schön wie jene, die bei Sturmesgraus
Einstmals Aeneas und Frau Dido fanden
Als Zeugin von geheimen Liebesbanden.
[142]
36.
Und wo – bei solcher Lust – ein Baum an Quellen
Schattend emporragt oder Bachesrand,
Dann wieder, hart, ein Platz an Felsenwällen,
War Bohrer oder Messer gleich zur Hand.
Geschrieben draußen stand's an tausend Stellen,
Geschrieben stand's im Haus drin an der Wand:
»Angelika und Medor«, hold verschlungen,
Umrahmt von allerlei Verschönerungen.
37.
Als sie hier lang genug geblieben waren,
Wie's ihr erschien, beschloß sie, wieder fort
Zum fernen Osten nach Katai zu fahren:
Den Teuren schmücke ihre Krone dort.
Ihr Arm pflegt einen goldnen Reif zu wahren
Mit Steinen reich, ein Pfand, das immerfort
Von Roland sprach und seinem treuen Lieben;
Der war ihr lange Zeit am Arm geblieben.
38.
Morgana gab das Kleinod in den Stunden,
Da sie ihn barg im See, dem Ziliant;
Als der durch Rolands Kraft zurückgefunden
Den Weg zu seinem Vater Monodant,
Bekam es Roland; und den Arm umwunden
Mit dieser Spange hielt er, liebentbrannt:
Beschenken wollt' er ja mit diesem Ringe
Sie, seine Königin, von der ich singe.
39.
Sie ward nicht etwa seine Liebesbeute,
Nein, als ein Kunstwerk reich und wunderbar,
Von feiner Arbeit, darum nur erfreute
Sie über alles dieses Kleinod rar.
Im Träneneiland nahmen's nicht die Leute
(Warum nicht, ist mir freilich selbst nicht klar),
Dort, wo die Menschen, diebisch wie die Raben,
Sie nackt dem Scheusal hin zum Futter gaben.
[143]
40.
Weil andre Dinge minder passend schienen
Als Dankeslohn für Treu' und Gastlichkeit
Des Hirtenpaares (das ja ihr zu dienen,
Seit sie zum kleinen Haus kam, stets bereit),
Nahm sie vom Arm die Spang' und gab sie ihnen,
Damit sie ihrer dächten allezeit.
Dann brachen nach den Bergen auf die beiden,
Die Frankreich von dem Spanierlande scheiden.
41.
Sie nahmen Barcelona sich zum Ziele
Oder Valencia für kurze Rast,
Bis einem guten Schiff es wohlgefiele,
Daß es den Osten grüße mit dem Mast.
Sie sahn Girona und die Wellenspiele
Beim Abstieg vom Gebirg im Sonnenglast.
Worauf sie bis nach Barcelona reiten,
Auf gutem Wege, stets das Meer zur Seiten.
42.
Da sahn sie, eh noch in die Stadt sie gingen,
Am Meersand einen Narren ausgestreckt,
Mit Schmutz und Kot, die von ihm niederhingen,
Hinten und vorn gleich einem Schwein bedeckt.
Der stürzt auf sie, wie plötzlich aufzuspringen
Ein böser Hund pflegt, der den Wandrer schreckt,
Belästigt sie, sucht Unheil anzurichten. –
Doch von Marfisa muß ich jetzt berichten,
43.
Die, arg gequält, kommt durch das Meer geflogen,
Mit ihr noch Astolf, Grifon, Aquilant,
Vom drohnden Tode fast hinabgezogen;
Und ganz vergebens ist der Widerstand:
Stets höher, wilder türmen sich die Wogen,
Die das ergrimmte Schicksal hat gesandt;
Drei Tage währt das Rasen, und noch immer
Zeigt sich von Milderung kein blasser Schimmer.
[144]
44.
Kastell und Schanze sind vom Wind gespalten
Und von der feindlich stets erneuten Flut.
Der Schiffsmann kappt, was aufrecht sich gehalten,
Und gibt das Ganze hin der Meereswut.
Den einen sieht man mit der Karte schalten,
Gebückt, bei kleinen Lämpchens schwacher Glut,
Zu sehn: wohin wird sich das Schifflein wenden? –
Der schafft im Kielraum, Fackeln in den Händen.
45.
Vorn so wie hinten bei der Sanduhr warten
Ein paar der Schifferleut' und passen auf;
Halbstündlich schaun sie nach, auf welche Arten
Wie schnell, nach welcher Richtung geht der Lauf,
Und auf dem Mitteldeck mit seinen Karten
Versammelt sich sodann der ganze Hauf,
Zum Rat entboten zur bestimmten Stunde,
Und stellt sich um den Schiffsherrn in der Runde.
46.
»Mir scheint, wir sind nach Limisso verschlagen
Und dort der Sandbank nah«, der eine spricht.
Der ruft: »Nein, wo die spitzen Felsen ragen,
Nach Tripolis, wo manches Schiff zerbricht«,
Und der: »Nein, wo man seufzen muß und klagen,
Auf Satalia zu sind wir gericht't.«
Ein jeder spricht nach Dünken und nach Meinen,
Doch alle gleiche Sorg' und Angst vereinen.
47.
Am dritten Tage packt mit höchstem Grimme
Der Wind das Schiff mit Meerflut im Verein:
Den Fockmast bricht und trägt davon der schlimme,
Das Steuer sie, den Steurer hinterdrein.
Wer jetzt sich stark erklärt mit fester Stimme,
Ist härter noch als Stahl und Marmelstein.
Marfisa, die so tapfer doch zu nennen,
Muß sich an diesem Tag als bang bekennen.
[145]
48.
Nach Zypern, Rom, Galicien will man wallen,
Zum Sinai, nach Compostell, zum Grab,
Zur Jungfrau von Ettino und zu allen
Den heil'gen Stätten, die es sonst noch gab.
Inzwischen fliegen sie empor und fallen
Mit ihrem Schiff vom Himmel schier herab.
Den Hintermast läßt nun der Schiffer fällen;
Der soll sie nicht dem Wind entgegenstellen!
49.
Er wirft von vorn, von hinten, von den Seiten
Ballen und Kisten, was nur irgend schwer,
Gibt auch das Magazin mit Kostbarkeiten
Und reichen Waren viel den Fluten her.
Der läßt durch Pumpen lästig Wasser gleiten
Vom Schiff und gießt das Meer zurück ins Meer;
Der stopft und dämmt im Kielraum hilfsbeflissen,
Wo Brett um Brett die See hinweggerissen.
50.
Als sie vier Tag' in solchen Mühn und Plagen
Gestanden, wußten sie nicht aus noch ein;
Wohl hätt' das Meer den Sieg davongetragen,
Stellt' es sein Wüten etwas später ein.
Doch Hoffnung wollte neu hervor sich wagen,
Jetzt, bei Sankt Elms willkommnem Feuerschein;
Den sahen sie am Vorderteile hangen,
Denn Masten gab's nicht mehr noch Segelstangen.
51.
Als diese Fackeln holden Lichtes schienen,
Knieten die Schiffer nieder auf den Grund
Und gaben nassen Augs, mit flehnden Mienen
Den Herzenswunsch nach Meeresfrieden kund: –
Und sieh, der Sturm, der grausam feindlich ihnen
Bisher gewesen, legte sich jetzund.
Von West und Nord die bösen Winde ruhten,
Und Libyens Wind blieb Herrscher auf den Fluten.
[146]
52.
Er blieb allein Gebieter auf den Wogen
Und blies aus schwarzem Mund so stark daher,
Und mit ihm, reißend, all die Wellen zogen,
Die sinkenden, so eilig auf dem Meer,
Daß die im Schiff dahin geschwinder flogen,
Als wenn es ein beschwingter Falke wär'.
Dem Schiffer bangt, es flieg' ans End' der Erde,
Meint, daß es brechen und versinken werde.
53.
Wie setzt man Widerstand der Wucht entgegen?
Schwimmballast wirft hinaus der Schiffersmann,
Läßt auch das Kabeltau ins Wasser legen:
Zweidrittel minder schnell geht's nun voran.
Noch größern Trost die Lichter vorn erregen
(Man zündete sie auf dem Bugspriet an).
So kann das Schiff, schon fast zugrund gegangen,
Sicher hinaus ins hohe Meer gelangen.
54.
Vor eine große Stadt kommt man gefahren,
Im Lajazzgolf, hin auf das Syrerland,
So dicht: man kann die Türme dort gewahren,
Des Hafens Wächter, recht' und linker Hand.
Als sie vom Schiffer zu erblicken waren,
Wie bleich er da, den Weg erkennend, stand!
Denn landen konnt' er nicht auf dieser Seite
Und bleiben nicht und fliehen nicht ins Weite.
55.
Nicht bleiben konnt' er, nicht von dannen jagen,
Denn Mast und Rahen waren hingerafft,
Gebälk zerdrückt und Planken eingeschlagen,
Zersprungen von der wilden Wogen Kraft.
Im Hafen nimmt der Tod ihn gleich am Kragen,
Wenn nicht für ewig die Gefangenschaft:
Läßt Irrtum, Unstern einen hingelangen,
So wird er sei's getötet, sei's gefangen.
[147]
56.
Zu schwanken schon wird hier Gefahren bringen:
Leicht können Schiffe ja, bewehrt zur Schlacht,
Mit Kriegern her zu seinem Fahrzeug dringen,
Das, hilflos jetzt, nicht für den Krieg gemacht.
Wie die Gedanken miteinander ringen,
Hat Herzog Astolf jener Sorgen acht
Und fragt, warum der Mann bei trübem Sinne?
Weshalb er denn die Einfahrt nicht beginne?
57.
Der Schiffer meldet, jene Auen stehen
In der Gewalt mördrischer Frauenschar:
Sie töten jeden, den sie landen sehen,
Oder in Knechtschaft bleibt er immerdar.
Und diesem Lose kann nur der entgehen,
Der Sieger über zehn der Männer war
Und nachts darauf zehn Mädchen um die Wette
Vergnügte durch das Minnespiel im Bette.
58.
Wenn er die erste Sache gut gemacht hat,
Er stirbt, bringt er die zweite nicht zustand,
Und Ackersmann wird und der Rinder Wacht hat
Als Sklave, wer sich sonst bei ihm befand.
Doch wenn er beides lobenswert vollbracht hat,
So werden frei die Seinen unverwandt,
Er aber nicht; denn er muß sich beweiben
Und als Gemahl von zehn der Schönen bleiben.
59.
Nicht ohne Lachen hörte Astolf diesen
Bericht von jenes Landes Bräuchen an.
Dazu kam Samsonet nun mit Marfisen,
Auch Aquilant mit seinem Bruder dann.
Sie werden von dem Schiffer unterwiesen,
Warum er nicht den Hafen wählen kann.
»Ich nehme mir den Meeresgrund zum Pfühle,«
Sprach er, »eh ich das Joch der Knechtschaft fühle.«
[148]
60.
Derselben Meinung waren die Matrosen
Und wer noch sonst im Schiff mitfuhr daher;
Marfisa und den Rittern schien das Tosen
Der Wellen schlimmer als der Strand am Meer:
Es schreckt sie, wenn die Wogen sich erbosen,
Doch hunderttausend Schwerter nicht so sehr.
Vor dem Ort, sonst vor keinem graute ihnen,
Wo sie der Waffen konnten sich bedienen.
61.
Einlaufen! also lautet ihr Verlangen,
Astolf zumal ficht eifrig für den Plan;
Er weiß: wenn seines Hornes Töne klangen,
Wird schnell ihm dort am Lande freie Bahn.
Sie wollen landen, und die andern bangen:
So wird mit langem Streite nichts getan.
Doch fährt der Schiffer in den Hafen schließlich;
Er folgt dem stärkern Teil, wenn auch verdrießlich.
62.
Schon als sie dort in Sicht gekommen waren
Der grimmen Stadt – noch auf dem offnen Meer,
Eine Galeere, mit Matrosenscharen
Und Lotsen wohlversehn, in voller Wehr
Kam stracks aufs arme Schifflein zugefahren,
Wo sie, unschlüssig, stritten hin und her:
Den hohen Bug ans niedre Heck gebunden,
Ward es dem wilden Meere jetzt entwunden.
63.
Mit Segeln minder als mit Ruderschlägen
Bugsiert man's schleunig in den Hafen dort;
Die Kraft, nach rechts und links sich zu bewegen,
Die nahm ihm ja der schlimme Sturmwind fort.
Das Schwert ergreifen und den Panzer legen
Die Ritter an für jenen fremden Ort
Und sind bemüht, die Hoffnung zu beleben
Dem Schiffspatron und allen, die da beben.
[149]
64.
Mondförmig lag der Hafen; gut vier Meilen
Erstreckt' er sich am Meer; ein festes Schloß
Stand an des Hornes End' auf beiden Teilen;
Der Eingang war sechshundert Schritte groß,
Kein Unheil konnt' ihn je bei Sturm ereilen,
Bei Südwind nur stand er dem Winde bloß.
Man sah die Stadt wie ein Theater liegen:
Im Kreis zum Berg hinan die Straßen stiegen.
65.
Kaum ließ das Fahrzeug sich im Hafen schauen
(Verkündigt war es schon durchs ganze Land),
Erschienen in der Bucht sechstausend Frauen
In Kriegertracht, den Bogen in der Hand;
Und um der Rettung Hoffnung vorzubauen,
Das Meer sich zwischen Burg und Burg befand.
Den Ausgang sperrten Schiff und Ketten viele,
Die immer dort bereit zu diesem Ziele.
66.
Eine, wie Hekuba an Lebenstagen
– Und wie von Kumä die Sibylle – reich,
Ließ sich den Schiffer kommen, ihn zu fragen,
Ob sie das Leben wollten lassen gleich
Oder den Hals im Sklavenjoche tragen,
So wie's die Sitte mit sich bring' im Reich.
Sie sollten zwischen beiden Losen wählen:
Sterben – wenn nicht, der Knechtschaft sich vermählen.
67.
»Zwar, sollte sich bei euch ein Mann wohl finden«,
Sprach sie, »mit solcher Kraft und solchem Mut,
Von unsern Männern zehn zu überwinden
Und hinzustrecken all in ihrem Blut,
Drauf mit zehn Frauen nachts so anzubinden,
Daß er des Ehmanns Amt mit allen tut,
So bleibt er hier, um unser Fürst zu werden,
Doch ihr könnt gehn, wohin ihr wollt auf Erden.
[150]
68.
Auch bleiben dürft ihr dann in unsern Auen,
All oder einige, wem es gefällt;
Doch nötig ist, daß dieser zu zehn Frauen
Sich wie ein tücht'ger Ehemann verhält.
Kann euer Krieger nicht zusammenhauen
Die zehn, die auf ihn stürmen ein im Feld,
Oder die zweite Probe nicht bestehen,
So bleibt ihr Sklaven, er muß untergehen.«
69.
Derweil das alte Weib nur Furcht und Klagen
Zu finden meinte, ei, ganz anders stand's:
Jeder der Ritter glaubt sich so beschlagen,
Die beiden Proben zu bestehn mit Glanz.
Marfisa selber denkt nicht zu verzagen,
Ob schlecht gerüstet für den zweiten Tanz;
Läßt die Natur nicht alles sie erreichen,
So hofft sie's mit dem Schwerte auszugleichen.
70.
Der Schiffer muß die Antwort überbringen,
Die beim Beraten alle sich gedacht:
Vorhanden sei, wer sich zu solchen Dingen
Geeignet glaub' im Bett und in der Schlacht.
Die Feindschaft schweigt, das Schiff kann näherdringen,
Das Tau wird ausgeworfen, festgemacht;
Die Brücke fällt, ans Land die Ritter schreiten,
Bewaffnet und ihr Streitroß an der Seiten.
71.
Die Fremden kamen durch des Ortes Mitten
Und sahn von stolzen Mädchen dort ein Heer,
Die hochgeschürzt hin durch die Straßen ritten,
Sich tummelnd, kriegerisch, mit Schild und Speer.
An keinem Mann ward Sporn und Schwert gelitten,
Und ohne Waffen gingen sie einher
Bis auf nur zehn, von denen ich erzählte,
Daß man nach altem Brauch sie auserwählte.
[151]
72.
Die andern alle sind auf Nähen, Spinnen,
Auf Webstuhl, Nadel, Haspel, Kamm bedacht,
Im Weiberrock zu weibischem Beginnen,
Der lässig, weichlich und bedächtig macht.
Auch pflügen manche, doch in Ketten drinnen,
Und andre halten bei den Herden Wacht –
Es sind nur wenig Männer zu erschauen:
Hundert in Stadt und Land auf tausend Frauen.
73.
Die Ritter wollen durch das Los entscheiden,
Wer jene zehn dort auf dem Platz als Held
So treffen solle, daß den Tod sie leiden,
Und andre zehn dann auf ganz andrem Feld.
Marfisa möchten sie dabei vermeiden,
Denn mißlich sei es doch mit ihr bestellt
Für jenen zweiten Kampf: sie müss' erliegen;
Ihr sei es ja unmöglich, dort zu siegen.
74.
Doch will sie nicht des Losens sich begeben –
Und sieh, das Los fand just den Weg zu ihr:
»Verlieren«, sprach sie, »will ich eh das Leben,
Als daß von euch die Freiheit wer verlier'!
Doch dieses hier« (man sah das Schwert sie heben
An ihrer Seite) »nehmt als Pfand von mir:
Weil alles ich zu lösen mich getröste,
Wie Alexander gord'schen Knoten löste.
75.
Nicht soll der Fremdling fürder sich beklagen
Ob dieser Stadt, solang die Erde währt!«
Sie spricht's, und was auch die Gefährten sagen,
Sie ändern nicht, was das Geschick beschert,
Und lassen sie auf Tod und Leben wagen,
Was Freiheit sichert oder sie verwehrt.
Im Eisenkleid mit Platten und mit Schienen
Ist sie auf jener Kampfesstatt erschienen.
[152]
76.
Es liegt, von Reihn zum Sitzen eingeschlossen,
Ein freier Platz im höchsten Stadtrevier,
Der nur zu Scheinkampf, Jagen mit den Rossen,
Jagd, Ringen wird gebraucht und zum Turnier;
Vier Pforten schließen ihn, aus Erz gegossen.
In dichten Scharen drängt das Volk sich hier
Der Kriegerfraun und setzt sich auf die Stufen,
Marfisa wird darauf herbeigerufen.
77.
Auf einem Schimmel sah man sie erscheinen,
Der ganz bedeckt mit falben Flecken war;
Die Augen blitzen aus dem Kopf, dem kleinen,
Stolz ist sein Gang: – ein prächtig Tier fürwahr!
Als mutigsten und schönsten diesen einen
Erkor sich Norandin aus einer Schar
Von tausend in Damaskus, ließ ihn schmücken,
Marfisa mit dem Hengste zu beglücken.
78.
Von Mittag durch das Südtor sich bewegend,
Kam sie daher und harrte gar nicht lang,
Als Klang von Hörnern hell und muterregend
Dem Platz sich nähernd ihr zu Ohren drang:
Zehn kamen durch das Tor der Kältegegend
Als ihre Gegner in dem Waffengang.
An Wert schien all die andern aufzuwiegen
Der als der erste ritt, sie zu bekriegen.
79.
Auf einem Renner ritt herein der Streiter,
Der wie ein Rabe schwarz und dunkel war;
Nur Stirn und Hinterfuß – und sonst nichts weiter –
Zeigt einen kleinen Fleck von weißem Haar.
Des Rosses Farbe trug nun auch der Reiter,
Als wollt' er sagen: wie fast ganz und gar
Hier Dunkel ohne Licht sei, wohn' im Herzen
Ihm wenig Freude, viel von dunklen Schmerzen.
[153]
80.
Gegeben ist zum Kampfbeginn das Zeichen:
Gleichzeitig senken ihrer neun den Speer;
Der Schwarze läßt des Vorteils Zeit verstreichen,
Zieht sich zurück und setzt sich nicht zur Wehr.
Verletzt sei das Gesetz in diesen Reichen,
Verletzt die Ritterehre nimmermehr!
Beiseite hält er sich, um anzusehen,
Wie ein Speer werde gegen neun bestehen.
81.
Der Renner trug mit leichtem, raschem Gange
Das Fräulein zum Zusammenstoß im Flug.
Sie legt die Lanze ein, die schwere, lange:
Vier Männer trugen dran gerad genug.
Sie wählte nach der Landung diese Stange
Als stärkste unter vielen, weis und klug.
Wie man sie stolz sieht sich im Bügel heben,
Erbleichen tausend, – tausend Herzen beben.
82.
Dem ersten, den sie traf, durchstach sie schnelle
Die Brust so leicht, als sei sie nackt und bloß:
Durchbohrt ward Panzer, Stahlhemd auf der Stelle,
Zuerst jedoch ein Schild, gar stark und groß.
Der Speer drang durch die Schulter, eine Elle
Hinten hinaus; so mächtig war der Stoß.
Sie läßt ihn aufgespießt am Schafte stecken
Und sprengt im Nu hin auf die andern Recken.
83.
Der zweite muß erdrückt den Tod erleiden,
Durch fürchterlichen Stoß der dritte Mann:
Sie lassen, denn das Rückgrat brach den beiden,
Zuerst den Sattel und die Welt sodann:
So war die Kraft, die Menge zu durchschneiden,
So dicht geschlossen kam der Schwarm heran.
Kartaunen sah ich so in Kriegerscharen,
Wie hier in diesen Trupp Marfisa, fahren.
[154]
84.
Zersplittert sind an ihr der Lanzen viele,
Doch unerschüttert bleibt sie bei dem Prall,
Wie eine Mauerwand sich nicht beim Spiele
Bewegen läßt durch einen großen Ball.
Vergebens dient ihr Panzerkleid zum Ziele,
Zu hart ist das erlesene Metall,
Gekocht durch Zauber in der Hölle Gluten,
Gestählt danach in des Avernus Fluten.
85.
Sie sprengt ans End' des Platzes, hält 'ne Weile,
Kehrt um und, plötzlich nach dem Trupp gewandt,
Zerstreut sie ihn und löst ihn auf in Eile,
Das Schwert voll Blut bis hoch zu Heft und Hand.
Nimmt dem den Kopf – dem Arm und andre Teile,
Noch andrem hat sie seltnen Gurt gesandt,
Daß sich der Erde Brust und Kopf vereinen;
Im Sattel bleibt der Leib mit beiden Beinen.
86.
Sie teilt ihn, sag' ich, säuberlich die Quere,
Durch Ripp' und Hüften durch, mit voller Macht:
Er bleibt, als ob's ein Halbfigürchen wäre,
Aus Silber – und zumal aus Wachs – gemacht,
Wie sie die Leute Heiligen zur Ehre
Vor Bilder hinzusetzen oft bedacht;
Gelübde zu erstatten, Dank zu bringen,
Wenn ihre Bitten in Erfüllung gingen.
87.
Einem, der flieht, ist zu des Platzes Mitten
Sie nachgesetzt, und sie erreicht ihn dort:
Der Kopf wird ihm so glatt vom Hals geschnitten,
Daß ihn kein Arzt zusammenheilt hinfort.
Kurzum, den Tod die Ritter all erlitten,
Oder sie blieben kraftberaubt am Ort:
Es war gewiß, daß keiner von der Erde
Mehr aufstehn und sie neu bekämpfen werde.
[155]
88.
Beiseite war geblieben, fern dem allen,
Der Krieger, der die zehn geführt herein:
In solcher Zahl auf einen herzufallen,
Schien ihm ein Tun unwürdig und gemein.
Als er von einer einz'gen Hand gefallen
Sah alle Kampfgenossen im Verein,
Setzt' er, zu zeigen, daß ihn edle Regung,
Nicht Furcht zurückhielt, jetzt sich in Bewegung.
89.
Er winkt, er wolle sprechen, eh er wieder
Für seinen Feind den Gegner kehr' heraus;
Ganz ahnungslos, daß einer Jungfrau Glieder
Versteckt hier sind (gar männlich sah sie aus),
Spricht er: »So viele, Ritter, warfst du nieder,
Du mußt ermüdet sein von solchem Strauß:
Dich mehr, als schon geschehn ist, zu ermatten,
Würde mir Rittersitte nicht gestatten.
90.
Gönne dir Ruhe bis zum neuen Tage,
Und komm zum Kampf am Morgen wieder her.
Kein Ruhm ist's, wenn ich heut mit dir mich schlage,
Denn matt und müde bist du, glaub' ich, sehr.«
»Das bißchen Kriegswerk ist mir keine Plage,
Ich bin in Waffen ja kein Neuling mehr,«
Marfisa sprach, »du wirst's an meinen Werken
Auf deine Kosten, denk' ich, schleunig merken.
91.
Fürs Anerbieten muß ich Dank dir zollen,
Doch nicht zu ruhn fürwahr begehre ich:
Wenn wir den langen Tag verbringen sollen
In bloßer Muße – schämen würd' ich mich.« –
Sprach der: »Wenn so Erfüllung aus dem Vollen
Mir würde dessen, was mein Herz beschlich,
Wie du von mir sollst voll Genüge haben!
Sorg nur, es mög' ein langer Tag dich laben!«
[156]
92.
Er ließ zwei Lanzen – nein, zwei Segelstangen,
So mächtig waren sie und dick und schwer –
Zur freien Wahl an seinen Feind gelangen,
Und jenen Speer, der übrig blieb, nahm er.
Nun warten sie, schon fertig, anzufangen,
Das Zeichen zum Beginn: es tönt daher –
Und horch, Luft, Meer und Erde dröhnen bange;
So stürmen beide los beim Hörnerklange.
93.
Die zuschaun, unbeweglich sitzen alle,
Sie atmen nicht, die Wimpern zucken nicht,
Gespannt, zu sehen, wem in diesem Falle
Die Siegesgöttin wohl den Kranz verspricht.
Marfisa zielt, damit der Dunkle falle
Und nimmer aufsteh' von des Speers Gewicht.
Und auch der Dunkle müht sich nicht geringe,
Daß er den Tod so starkem Gegner bringe.
94.
Sind diese Speer' aus Eichenholz? – Sie scheinen,
Fürwahr, ganz dünne, dürre Weiden bloß:
In Stücken liegen sie, in vielen kleinen,
Und für die Pferde war so hart der Stoß,
Als schnitten auf einmal an ihren Beinen
Haarscharfe Sichern jeden Nerven los.
Sie stürzen beide hin, jedoch die Reiter
Sind auf den Füßen gleich und kämpfen weiter.
95.
Marfisa, die so viele schon im Leben
Bekämpft und immer hingeworfen all
Und niemals ließ sich aus den Bügeln heben,
Fuhr aus dem Sattel doch bei diesem Prall.
Nicht nur verblüfft, daß dieses sich begeben,
Nein, ganz verstört macht sie der seltne Fall.
Verwundert ist der Schwarze gleichermaßen:
So fest wie er nicht viel im Sattel saßen.
[157]
96.
Kaum, daß sie bei dem Sturz am Boden lagen,
Auf Füßen stehen sie zum Angriff wild.
Wie nun mit Hieb und Stoß sich beide plagen!
Mit Klinge wird pariert, mit Sprung und Schild.
Ob voll der Hieb ward oder leer geschlagen,
Es bebt die Luft, es dröhnet das Gefild.
Man sah an Schild und Helm sich offenbaren,
Daß sie noch härter als ein Amboß waren.
97.
Weiß hier das Fräulein wuchtig auszulegen,
So ist der Arm des Ritters drum nicht leicht;
Der Wage Zünglein kann sich nicht bewegen:
Was einer gibt, das wird ihm auch gereicht;
Wer sucht, wo sich zwei kühne Herzen regen,
Sieht in dem Paar das Höchste wohl erreicht:
Gewandtheit, Kraft, wie man sie nur kann denken;
Nicht weiter fort braucht er den Schritt zu lenken.
98.
Die Fraun, die lange schon den mächt'gen Streichen
Der Kämpfer zuschaun in so graus'gem Streit
Und immer noch nicht sehen, daß ein Zeichen
Schwäche verrate oder Müdigkeit,
Nennen sie rühmend Helden ohnegleichen,
Soweit das Meer sich dehne, weit und breit.
Wenn sie nicht über Riesenkraft geböten,
So müsse ja die Mühe schon sie töten.
99.
Marfisa denkt: »Von Glücke kann ich sagen,
Daß der mit jenen nicht sich hat geregt.
Ich läg' am End' inzwischen schon erschlagen,
Hätt' er sich mit dem Trupp heranbewegt;
Kann ich doch seinen Ansturm kaum ertragen,
Weil er so gar gewalt'ge Hiebe schlägt.«
Marfisa sagt es sich mit Worten leisen
Und läßt das Schwert schier unaufhörlich kreisen.
[158]
100.
»Ein Glück, daß ich ihn nicht hab' ausruhn lassen!«
Im stillen sprach der andere zu sich.
»Fast muß ich Widerstand schon unterlassen,
Da ihm doch Kraft durch jenen Kampf entwich.
Könnt' er durch Rast noch neue Stärke fassen
Zum andern Tag, o weh, wo bliebe ich?
Es war für mich ein Segen, daß er diesen
Vorschlag von mir hat hübsch zurückgewiesen.«
101.
Bis in den Abend kreuzen sie die Klingen.
Und keiner noch von Vorteil sprechen kann,
Und keinem will jetzt Deckung mehr gelingen:
Man sieht nicht, welchen Streich der Gegner sann.
Da spricht – es breitet Nacht schon ihre Schwingen –
Zur Kriegerin der art'ge Rittersmann:
»Was tun wir jetzt, da völlig gleich die Schlacht ist
Und schon um uns die unwillkommne Nacht ist?
102.
's ist besser, du verlängerst dir das Leben,
Und sei es bloß für diese Nacht allein.
Dir mehr zu gönnen, darf ich nicht erstreben,
Und deiner Tage Zuwachs ist nur klein.
Doch wär' es unrecht, mir die Schuld zu geben,
Darf ihre Zahl nicht sehr viel größer sein.
Du mußt die Schuld auf jene Satzung schieben,
Die hier im Frauenreich in Kraft geblieben!
103.
Daß du mir leid tust, du und all die Deinen,
Weiß er, dem alle Dinge sind bekannt.
Ihr solltet mit mir kommen, möcht' ich meinen,
Weil keine Herberg' sicher ist im Land;
Ich weiß, daß jene feindlich sich vereinen,
Die gattenlos durch deine starke Hand.
Jeder, dem du den Tod hier hast gegeben,
War ja der Gatte von zehn Fraun im Leben.
[159]
104.
Es lechzen neunzig Frauen hier nach Rache
Des Schadens, den du ihnen heut gebracht:
Nimmst du nicht Wohnung unter meinem Dache,
Gewärt'ge Überfall in dieser Nacht!« –
Marfisa sprach: »Wohlan, so sei es, mache
Zum Gast mich, deines Hochsinns hab' ich acht
Und weiß, du bist so treu in jedem Werke,
Wie groß dein Mut ist und des Leibes Stärke.
105.
Doch wenn dir's leid ist, morgen mich zu töten,
So tut vielleicht das Gegenteil dir leid:
Einstweilen scheint Frohlocken nicht vonnöten,
Daß ich der schwächre Kämpfer sei im Streit.
Ob jetzt, ob wenn sich neu die Himmel röten,
Du kämpfen willst, du findest mich bereit;
Auf jeden Wink sollst du mich willig sehen,
So oft und wie dir's gut scheint, dir zu stehen.«
106.
So ward verschoben denn das große Ringen,
Bis her vom Ganges zöge Tagesschein,
Und die Entscheidung wollte nicht gelingen,
Wer von den beiden möge stärker sein.
An Aquilant und Grifon auch ergingen
Die Bitten und die andern im Verein,
Daß ihnen allen bis zum jungen Tage
Die Rast in jenes Ritters Haus behage.
107.
Die Ladung wird ohn' Argwohn angenommen:
Bei weißer Fackeln hellem Glanz sodann
Sind sie zu einem stolzen Bau gekommen,
Darin man schöne Zimmer sehen kann.
Als nun den Helm die Kämpfer abgenommen,
Verwundert schauen beid' einander an:
Des Ritters Alter, wie die Züge sagen,
Kann kaum die Zahl von achtzehn überragen.
[160]
108.
Das Fräulein staunt, wie bei so jungen Jahren
Das Schwert er führe mit so großer Macht:
Der andre staunt, als klar wird an den Haaren,
Mit wem er heut den harten Strauß gemacht.
Den Namen wollen beide nun erfahren,
Und gleich ins reine wird die Schuld gebracht.
Doch wie der starke junge Mann genannt wird,
Erfährt, wer mit dem nächsten Sang bekannt wird.
Ausgewählte Ausgaben von
Der rasende Roland
|
Buchempfehlung
Jean Pauls - in der ihm eigenen Metaphorik verfasste - Poetologie widmet sich unter anderem seinen zwei Kernthemen, dem literarischen Humor und der Romantheorie. Der Autor betont den propädeutischen Charakter seines Textes, in dem er schreibt: »Wollte ich denn in der Vorschule etwas anderes sein als ein ästhetischer Vorschulmeister, welcher die Kunstjünger leidlich einübt und schulet für die eigentlichen Geschmacklehrer selber?«
418 Seiten, 19.80 Euro
Buchempfehlung
Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Michael Holzinger hat für den zweiten Band sieben weitere Meistererzählungen ausgewählt.
432 Seiten, 19.80 Euro