Sechsundvierzigster Gesang

[413] 1.

Läßt mich die Meereskarte Wahrheit schauen,

So ist jetzund der Hafen nicht mehr weit:

Ich danke bald am Strand – darf ich vertrauen –

Ihm, der durchs große Meer mir gab Geleit.

Ach, drauf zu scheitern wollte schon mir grauen,

Oder umherzuirren ew'ge Zeit.

Mich deucht zu sehn – vielmehr ich kann es sehen –

Das Land, das Land! – Die Küsten offen stehen!


2.

Da horch! Die Flut erbraust, die Lüfte hallen,

Und Freudenruf erklingt und lautes Wort,

Und Pfeifen hör' ich und Trompeten schallen,

Drein Jubel tönt von vielem Volke dort.

Nun seh' ich auch die Züge schon von allen:

Sie füllen grüßend rechts und links den Port:

Von heller Freude strahlt, wer immer da ist,

Daß meiner langen Seefahrt Ende nah ist.


3.

O wie geschmückt von holden, schönen Damen,

Von ritterlichen Herrn ist rings der Strand!

Wie viele Freunde haben meinen Namen,

Auf ewig mich verpflichtend, ausgesandt!

Mamma, Ginevra und die sonst noch kamen

Vom Stamm Correggios, stehn ganz vorn am Rand;

Veronica da Gambera mit ihnen,

Die Phöbus und den Musen weiß zu dienen.
[414]

4.

Vom gleichen Blute seh' ich dann noch eine

Ginevra, und mit ihr ist Julia;

Sforzas Hippolyta; im heil'gen Haine

Genährt, erscheint sodann Trivulzia;

Dann du, Emilia Pia; im Vereine

Mit Margherita Borgias Angela!

Graziosa, Bianca und Diana zeigen

Sich mit Ricciarda und dem Schwesterreigen.


5.

Sieh dort die schöne, tugendhafte, weise

Barbara Turca, Laura zugesellt!

Nicht größre Trefflichkeit schaut auf der Reise

Phöbus vom Indus bis zum Maurenzelt.

Und dort Ginevra, die gewohnterweise

Der Malatasta Haus durch Glanz erhellt

Aus ihres Geistes Gold und Prachtjuwelen,

Wie sie dem Schatze vieler Könige fehlen.


6.

War sie zu Arimin in Cäsars Zeiten,

Als er, stolz auf den Sturz der Galliermacht,

In Zweifel stand, den Fluß zu überschreiten –

Er hätte Rom sich nicht zum Feind gemacht,

Nein, wohl die Siegstrophän von allen Seiten,

Das Heer entlassend, jener dargebracht;

Nur ihrem Willen hätt' er sich verpflichtet

Und nie vielleicht die Freiheit Roms vernichtet.


7.

Die Gattin, Mutter, Muhme und Cousinen

Von meinem edlen Herrn von Bozolo;

Fraun der Visconti und Pallavicinen,

Torelli, Bentivogli ebenso,

Und sie, die allen, denen rühmend dienen

Die Menschen heut und dienten irgendwo,

Und die man schön und edel hat befunden,

Den Kranz des höchsten Ruhmes hat entwunden:
[415]

8.

Julia Gonzaga! Wo sie mag sich zeigen,

Wohin sie nur die heitern Augen kehrt,

Da muß sich ihrer Schönheit jede neigen,

Da wird sie wie ein Himmelskind verehrt.

Die Schwägrin kommt mit ihr, der Treue eigen

Allzeit, und ward ihr auch das Glück verwehrt,

Dem sie so lang die Stirn bot, tapfer immer. –

Sieh Anna dort, del Vastos Glanz und Schimmer,


9.

Tempel der Keuschheit und der treuen Liebe,

Anna, die edle, holder Anmut Zier,

Mit ihr die Schwester, und verdunkelt bliebe

Jedwede Schönheit sonst vor dieser hier.

Seht jene, die dem dunkelen Getriebe

Am Styx entriß – das einz'ge Beispiel schier! –

Trotz Tod und Parzen im Bereich der Schatten,

Daß er am Himmel leuchte, ihren Gatten!


10.

Meines Ferraras Flor will sich entfalten,

Und der auch von Urbin; es sind dabei

Damen von Mantua und Huldgestalten

Des Tuskerlandes und der Lombardei.

Der Herr dort, den sie so in Ehren halten

(Hab' ich vom Schönheitsglanz den Blick noch frei

Und ungeblendet), dürfte sein – mich deuchte –

Accolti, er, Arezzos große Leuchte.


11.

Auch Benedikt, den Neffen, kann ich sehen,

Im Purpurhut: rot glänzt der Mantel her.

Mit ihm noch Ercol und Campeggio gehen,

Des heil'gen Rates hoher Ruhm und Ehr';

Und Freude scheint in ihrem Blick zu stehen

Ob meiner Rückkehr (täuscht nicht Wahn mich sehr).

Sie wollen mich durch ihre Huld verpflichten:

Schwer wird mir, Dank geziemend zu entrichten.
[416]

12.

Lactanz, Paul Pansa, Giuvenal erscheinen

Und Claudio Tolomei mit Dressin,

Die meinem Capilupi sich vereinen,

Und Sasso, Molza, Florian Montin;

Und er, der rasch uns leitet, wenn wir seinen

Weg hin zu den askräischen Quellen ziehn,

Giulio Camill; auch Berna dort bricht Bahn sich,

Und Marc Anton Flamin und Sanga nahn sich.


13.

Seht Alexander, meinen Herrn Farnese!

Gelehrte Kumpanei folgt seiner Bahn:

Fedro, Capell, Philipp der Bolognese,

Der Maddalena, Porzio, Volterran,

Pierio, Blasio, Vida der Cremonese,

Der Dichtkunst unversiegter Quell; es nahn

Auch Lascaris, Musur und Navagero,

Andrea Maro und der Mönch Severo;


14.

Zwei Alexander noch in jenen Scharen

Seh' ich, den Orologio, den Guarin,

Mario d'Olvito mit der wunderbaren

Geißel der Fürsten, Pietro Aretin,

Und zwei Hieronymi kann ich gewahren:

Der Verità ist's und der Cittadin.

Ich sehe Mainard, Celio, Leoniceno,

Den Panizzato mit dem Teocreno.


15.

Bernard Capell und Bembo stehen droben,

Der unsre Muttersprache süß und rein

Aus dem gemeinen Brauche hat gehoben:

Sein Beispiel zeigt uns, wie sie sollte sein.

Guaspar Obizzi, der gar sehr zu loben

Die edle Feder weiß, geht hinterdrein.

Auch Fracastorio, Bevazzano schreiten

Daher und Trifon; Tasso mehr vom weiten.
[417]

16.

Und Tiepoli erhebt nach mir die Brauen,

Und eifrig blickt Amanio zu mir her;

Fulgoso zeigt, am Ufer mich zu schauen,

Verwunderung und Fröhlichkeit noch mehr.

Dort mein Valer verließ die Schar der Frauen;

Vielleicht mit Barignan (es kam auch der)

Geht er, von ihnen stets gekränkt, zu Rate,

Wie er nicht immer neu in Glut gerate.


17.

Ich sehe dort, durch Lieb' und Blut verbunden,

Pico und Pio, dieses Meisterpaar.

Jenen, dem hoher Ehre Kranz gewunden

Von allen wird, nahm ich noch niemals wahr;

Doch – hab' ich recht die Zeichen nur gefunden –

So ist's der Mann, der meine Sehnsucht war,

Jacobus Sannazar, der zum Gestade

Des Meers die Musen führt' am Bergespfade.


18.

Seht mit den Acciajuoli den getreuen

Gelehrten Sekretar Pistofilo!

Sie jubeln alle, daß sich nun zerstreuen

Um mich die Sorgen; Angiar ebenso.

Mein Vetter Malaguzz auch will sich freuen

Mit Adoard: von diesem hoff' ich froh,

Daß einst von unserm Nest ans End' der Erde,

Zum Indus hin, sein Ruhm noch fliegen werde.


19.

Und Vittor Fausto und Tancredi senden,

Und Andre, Grüße des Willkommens aus.

Damen und Herren winken mit den Händen

Und scheinen froh, daß ich nun bald zu Haus.

So laßt uns rasch den kurzen Weg vollenden,

Der bleibt – der Wind ist günstig überaus –

Und laßt uns zu Melissa wiederkehren;

Sie wollte Roger Rettung ja bescheren.
[418]

20.

Melissa war – Ihr habt's aus meinem Munde

Schon oft gehört – vom heißen Wunsch entbrannt,

Fest zu vereinigen im Ehebunde

Den Ritter Roger ihrer Bradamant;

Und wissen wollte sie zu jeder Stunde,

Wie es ums Wohl und Weh der beiden stand:

Weshalb von Geistern immer einer nah war;

So daß, wenn einer ging, ein andrer da war.


21.

Sie sah den jungen Helden schmerzzerrissen

Am Boden liegen in der Wildnis dort:

Er hatte sich entschlossen, keinen Bissen

Von Nahrung führ' er an den Mund hinfort:

Des eignen Mordes war er so beflissen,

Doch hilfreich ist Melissa schon am Ort.

Sie hat sich nach dem Wege hin soeben,

Wo ihr der Prinz begegnen muß, begeben.


22.

Der hatte nacheinander seine Leute

Entsandt, nach allen Stätten im Gefild,

Während er selbst nicht auszuspähn sich scheute,

Wo jener stecke mit dem Einhornschild.

Es zügelte der Geister einen heute

Die Zauberin, zu gutem Werk gewillt:

Sie schenkt ihm eines wackern Kleppers Gaben

Und läßt ihn Leo so entgegentraben.


23.

»Herr,« sprach sie, »tragt Ihr Adel im Gemüte,

Wie Ihr ihn außen tragt im Angesicht,

Wenn immer Großmut und die rechte Güte

Der leiblichen Erscheinung ganz entspricht, –

Versagt des Rittertumes schönster Blüte

Dann Euren Trost und Euren Beistand nicht!

Denn wenn er Trost nicht bald und Beistand findet,

So glaub' ich, daß sein Leben ihm entschwindet.
[419]

24.

Der beste Held und Ritter auserlesen,

Der je den Schild getragen hat und trägt,

Der edelste, der schönste, der gewesen

Und ist, so weit ein Herz der Menschen schlägt,

Soll, weil ihm eigen adlig hohes Wesen,

Sterben, wenn hilfreich keine Hand sich regt?

Kommt mit, o Herr – um Gott! –, und seht geschwinde

Ob ihn zu retten sich ein Mittel finde.«


25.

In Leos Geiste will es plötzlich tagen:

Von dem man ihm erzählt, der Rittersmann,

Er ist's, nach dem sie jetzt das Land durchjagen

Und den er selber aufzufinden sann;

Drum hinter jener, die ihm angetragen

Das fromme Werk, spornt er den Renner an:

Als sie ein Stücklein Weges vorwärts dringen,

Sehen sie Roger mit dem Tode ringen.


26.

Drei Tage sonder Speise schon ihm schwanden,

Und seine Mattigkeit war also groß:

Wär' er mit Mühe wirklich aufgestanden,

Er fiele wieder um, auch ohne Stoß.

Er lag in seinen stählernen Gewanden,

Im Helm, das Schwert umgürtet, auf dem Moos,

Ein Ruhekissen hatt' er an dem Schilde;

Das weiße Einhorn prangte drauf im Bilde.


27.

Wenn er bedachte, wie er sich vergangen –

Daß er als schlecht ihr galt, schien ihm gewiß –,

Nicht Schmerz und Pein nur in die Seele drangen,

Er fühlte, daß der Grimm sein Herz zerriß:

Die Tränen rannen endlos auf die Wangen,

Indes der Zahn auf Händ' und Lippen biß.

Also von den Gedanken mitgenommen,

Hört er nicht Leo noch Melissa kommen.
[420]

28.

Drum unterbricht er nicht die bittre Klage,

Und Seufzer gehn und Tränen weiter fort;

Der Prinz hält an und lauscht, was jener sage;

Dann steigt er ab und naht sich still dem Ort.

Daß Liebe schuld an diesem Leide trage,

Versteht er wohl; doch weiß er noch kein Wort

Von jener, die so großen Schmerz ihm brachte,

Weil Roger sie bisher nicht kenntlich machte.


29.

Und näher kommt er, immer näher, leise,

Bis Angesicht nun schaut ins Angesicht,

Und grüßt ihn hold in brüderlicher Weise,

Derweil sein Arm ihn liebevoll umflicht.

Ob er damit willkommen sich erweise

Dem Schmerzergriffnen, weiß ich freilich nicht.

Denn dieser fürchtet Störung und Beschwerde,

Und daß er ihn am Sterben hindern werde.


30.

Sanft sprechend, wie es wahre Freunde pflegen,

Mit Worten mild, wie sie nur finden kann

Ein liebreich Herz, sagt er: »Laß dich bewegen:

Gib mir den Grund von deinen Schmerzen an!

Was sich an Übeln find't auf Erdenwegen,

Es rettet sich daraus ein rechter Mann,

Liegt nur der Grund zutag; währt noch das Leben,

Wird's auch – und des vertrau' ich – Hoffnung geben.


31.

Wohl schmerzt es mich, kannst du von mir dich trennen,

Der dir doch zugehört mit Herz und Hand,

Nicht nur, seitdem wir uns als Freunde kennen

(Und nimmer lös' ich dieser Freundschaft Band), –

Schon damals, als mich deinen Feind zu nennen,

Für alle Zeit, so manchen Grund ich fand;

Du mußtest wissen: deine Not zu enden,

Würd' ich mein Alles, Gut und Blut, verwenden.
[421]

32.

So laß des Leides Kunde dir entringen,

Daß ich versuchen mag zu dieser Frist,

Ob ich ihm Lindrung kann mit Schätzen bringen,

Mit Koseworten, Macht und Kunst und List.

Und will's mit allem diesem nicht gelingen,

Zuletzt der Tod ja noch ein Mittel ist.

Allein erst dann sollst du zu diesem schreiten,

Wenn keine Rettung kam von andern Seiten.«


33.

Und eifrig fährt er fort, ihn anzuflehen,

Und schmeichelt gütig in sein Herz sich ein:

Roger vermag nicht ihm zu widerstehen;

Sein Herz ist nicht von Eisen oder Stein.

Ließ er den Prinzen ohn' Erwidrung gehen,

Unhöflich wär's und boshaft obendrein.

So sprach er – aber zwei- und dreimal stockte

Das Wort im Mund, bevor er's ihm entlockte –:


34.

»Wenn du vernimmst, o Herr, aus meinem Munde,

Was ich dir jetzt zu sagen bin bereit,

Dann findest du, gleich mir, nach dieser Kunde

– Noch mehr vielleicht –: ich bin dem Tod geweiht.

Ich bin, der dir verhaßt ist diese Stunde:

Roger, der selbst dich haßte lange Zeit

Und diesen Hof verließ vor manchen Tagen

Mit einer Absicht nur: dich zu erschlagen –


35.

Sonst würde mir genommen Bradamante;

Denn ich erfuhr, daß sich in Haimons Haus

Die Sache ganz zu deinen Gunsten wandte.

Allein es denkt der Mensch, und Gott führt aus:

Die Not, sie schuf mich um; denn ich erkannte

Das Herz in dir so edel überaus:

Da fiel miteins nicht nur mein Haß zur Erde;

Mein Trachten war, wie ich der Deine werde.
[422]

36.

Du batest mich, die Jungfrau zu gewinnen

Für dich, nicht ahnend, daß ich Roger war:

Verlangen hieß es aus der Brust tiefinnen

Mein pochend Herz, wenn nicht die Seele gar.

Stand mehr nach deiner Seligkeit mein Sinnen,

Als nach der meinen? Ist es dir nun klar?

Die Braut ist dein; so nimm sie hin in Frieden!

Dir sei, nicht mir, der Erde Glück beschieden!


37.

Ist sie mir denn geraubt, wohlan! – verstatte,

So sei mir auch geraubt das Leben hier;

So lange nur, als Bradamant ich hatte,

So lange war die Seele noch in mir.

Und leb' ich noch, so bist du nicht ihr Gatte;

Rechtmäßig dann gehört sie nimmer dir:

Wir konnten durch Verlobung uns vereinen;

Zwei darf sie ja nicht nehmen, nur den einen!«


38.

Als Leo hört, Herr Roger sei der Degen,

Starr steht er vor Erstaunen: kann kein Glied,

Die Hände und die Füße nicht bewegen;

Er zuckt auch nicht mit einem Augenlid,

Dem Bildwerk gleich, das man zu Füßen legen

Den lieben Heiligen in Kirchen sieht:

Er meint, daß solchen Edelmut die Erde

Niemals gesehen hab' und sehen werde.


39.

Nun er des Helden Namen auch erfahren,

Glaubt Ihr, daß Gunst und Freundschaft da entflohn?

Sie wuchsen noch; ihm selber schmerzlich waren

Die Leiden, die er Roger sah bedrohn.

Deshalb und auch um jetzt zu offenbaren,

Mit Rechten sei er eines Kaisers Sohn,

(Könnt' er in anderm Roger nicht erreichen)

So wollt' er ihm an Edelmut nicht weichen
[423]

40.

Und sprach: »Hätt' ich die Kunde schon empfangen

An jenem Tage, da du schlugst mein Heer

– Und war ich gleich von wildem Haß umfangen,

Daß Roger jage meine Schar daher –,

So hätte mich dein Wert besiegt, gefangen

(Geschah's doch, ohne daß ich wußte, wer

Es sei), ich hätte allen Haß vertrieben,

Zu bringen, was du jetzt erhieltst, – mein Lieben.


41.

Wohl tat mir einst der Name Roger wehe,

Bevor du mir als Roger warst bekannt,

Ich leugn' es nicht; doch, daß nun weitergehe

Der Haß, das weis entschieden von der Hand!

Hätt' ich gewußt im Kerker, wem's geschehe,

Wie jetzt ich's weiß, so tät' ich unverwandt

In jener Zeit schon ganz gewiß das gleiche,

Das jetzt, so will ich, dir zum Heil gereiche.


42.

Tat ich, als ich noch nicht mit dir verbunden,

Für dich schon alles, das in meiner Macht,

Sollt' ich es jetzt nicht tun, in diesen Stunden?

Undankbar würd' ich doch mit Recht eracht't.

Dein höchstes Gut, du hast es dir entwunden,

Den höchsten Wunsch mir opfernd dargebracht:

Ich geb's zurück, von höherm Glück durchdrungen,

Als hätt' ich durch dein Opfer sie errungen.


43.

Du, mehr als ich, verdienst es, sie zu haben;

Ist sie mir teuer auch durch ihren Wert,

Denk' ich doch nicht, man müsse mich begraben,

Sobald ein andrer Werber besser fährt.

Auch soll mich nicht dein Tod mit ihr begaben,

Könnt' er – wenn euer Bund sie mir verwehrt –

Nach Lösung dieses Bandes gleich gestatten,

Mich anzusehn als ihren rechten Gatten.
[424]

44.

Nicht ihr bloß, allem andern zu entsagen,

Und auch dem Leben selbst, bin ich bereit,

Eh solchen Ritter nach dem Grabe tragen –

Durch mich – der Gram und schweres Herzeleid.

Ob deines Mißtrauns muß ich mich beklagen;

Du konntest über mich doch allezeit

Verfügen. Willst du denn mit Schmerz dich töten,

Statt daß du Hilfe von mir nimmst in Nöten?«


45.

Dies und noch andres sagt er dort (zu geben

Die Worte allesamt, die Zeit gebricht)

Und weiß mit klugem Worte rasch zu heben,

Was Roger wider seine Bitte spricht.

Der spricht zuletzt: »Ich füge mich: zu leben

Bin ich bereit, und ich verschmäh' es nicht.

Doch soll ich zweimal Leben durch dich finden,

Wie lös' ich Dankesfesseln, die mich binden?«


46.

Melissa ließ nun feine Speise kommen,

Köstlichen Wein dazu (mit einem Schlag),

Und stärkte Roger, der, gar mitgenommen,

Dem Tode nahe, auf dem Boden lag,

Frontin, der Pferde hatte wahrgenommen,

War fortgelaufen schleunig durch den Hag.

Der Prinz ließ durch die Knappen, die ihn fingen,

Den Renner satteln und zu Roger bringen.


47.

Nur mühsam konnt' er sich in Sattel schwingen,

Obwohl ihm Leo beistand hilfbereit,

Weil ja die Kräfte schon beinah vergingen,

Die er besaß vor noch so kurzer Zeit,

Als er allein ein ganzes Heer zu zwingen

– In falscher Rüstung – wußte dort im Streit. –

Als sie kein Stündchen weit sich fortbewegen,

Da schaut ein Klosterhaus den drei'n entgegen,
[425]

48.

Wo sie des Tages Rest in Ruh' verbrachten,

Den nächsten Tag, den dritten überdies,

Bis voll des Einhornritters Kräft' erwachten

Und er die frühre Stärke neu bewies.

Dann ging es weiter: mit der Zaubrin machten

Die zwei den Weg zurück bis nach Paris,

Wo nachts vorher vom Volke der Bulgaren

Gerad Gesandte eingetroffen waren.


49.

Denn Roger ward zu seiner Taten Lohne

Zum König auserwählt; nun wollten ihn

Die Boten holen von des Kaisers Throne

(Weil dort der starke Held zu weilen schien),

Um ihm zu huld'gen und des Volkes Krone

Zu bringen, die man ihm daheim verliehn,

Wobei der Knappe Rogers auch nicht fehlte;

Er war es, der am Hof von ihm erzählte,


50.

Wie er zu Belgrad mächtig dreingefahren

Und den Besiegten half und in der Schlacht

Schlug Konstantins und seines Sohnes Scharen,

Und wie viel Krieger wurden umgebracht,

Und ihn zum König wählten die Bulgaren

Und nicht der eignen Herren hatten acht;

Wie Ungard ihn von Novengrad, gefangen,

In Theodoras Hände ließ gelangen,


51.

Und wie der Wächter wurde tot gefunden

– So ging's von Mund zu Mund im ganzen Land –,

Der Kerker offen und er selbst verschwunden,

Und wie man weiter keine Spuren fand.

Zur Stadt kam Roger in den Abendstunden

Auf Umweg und von keiner Seel' erkannt.

Im Kaiserschloß bei Karl war er zur Stelle

Frühmorgens, auch Prinz Leo, sein Geselle.
[426]

52.

Dieselben Zeichen mußten wieder dienen,

Im roten Feld der goldne Doppelaar,

Und – also ward's vereinbart zwischen ihnen –

Helmbusch und Kleid auch waren ganz und gar

Dieselben, drinnen er zum Streit erschienen,

Und stellten sich durchbohrt und schartig dar,

So daß ihn alle Welt als den erkannte,

Der jenen Zweikampf focht mit Bradamante.


53.

Und reich geschmückt, in fürstlichen Gewanden

Ging Leo waffenlos an seiner Seit',

Und vor ihm, neben, hinter ihm befanden

Sich hohe Herrn als würdiges Geleit.

Er neigte sich vor Karl, der aufgestanden

Schon war, und Roger hielt er all die Zeit

An seiner Hand und sprach – indessen harrten

Die andern lautlos, die verwundert starrten –:


54.

»Das ist der Ritter, der vom Tagesgrauen

Sich hat gewehrt bis zum Beginn der Nacht,

Und da er nicht zu Boden ward gehauen,

Gefangen nicht und nicht vom Platz gebracht,

So muß er Eures Aufrufs, Herr, vertrauen

Und meinen, daß man ihn als Sieger acht',

Und seinen Anspruch kommt er zu erheben

Und bittet, Bradamant ihm jetzt zu geben.


55.

Kein Anspruch kann dem seinen sich vergleichen;

Und wär' auch nicht der Satzung Vorschrift da,

Wird sie gewonnen von des Schwertes Streichen –:

Ist einer also würdig fern und nah?

Gehört sie dem am meisten liebereichen,

Sprecht, ob man bessern, – nein, nur solchen sah!

Will jemand ihm sein Recht nicht zugestehen,

Wird man es durch das Schwert bewiesen sehen.«
[427]

56.

Wie Karl und seine Großen sprachlos standen! –

Des sichern Glaubens war ja jedermann,

Prinz Leo habe jenen Streit bestanden

Und nicht der unbekannte Rittersmann.

Marfisa hört es auch, die in den Banden

Des Schweigens länger sich nicht halten kann.

Als Leo seine Rede kaum beendet,

So tritt sie vor und spricht, zu ihm gewendet:


57.

»Fehlt Roger, und kann nicht durch ihn geschehen

Im Kampf um seine Gattin der Bescheid,

Soll er sie doch sich nicht entrissen sehen,

Weil ihm Verteid'gung mangle hier im Streit:

Ich, seine Schwester, will hier jedem stehen

(An seiner Stelle zu dem Kampf bereit),

Der Anspruch will auf Bradamant erheben

Und sich den Vorrang über Roger geben.«


58.

Und solchen Ingrimm sah man sie entfalten

Und solchen Zorn, daß mancher Sorge trug,

Sie stürme, ohn' Erlaubnis zu erhalten

Vom Kaiser, vor, ohn' Aufschub und Verzug.

Nicht länger Roger jetzt verdeckt zu halten,

Schien Leo Zeit: den Helm des Ritters schlug

Er auf und sprach: »Da sieh ihn selbst, den Helden!

Aufklärend wird er alles dir vermelden.«


59.

So wie den Ägeus Schrecken übermannte,

Als klar ihm ward bei jenem Frevelmahl,

Daß er zum eignen Sohn mit Gift sich wandte,

Gedrängt durch sein verbrecherisch Gemahl,

Und ihn beinah schon nach dem Hades sandte,

Eh er ihn kannte an des Schwertes Stahl –:

So ging's Marfisa, als ihr klar geworden,

Daß sie bereit war, Roger hinzumorden.
[428]

60.

Und eilig lief sie hin, ihn zu umschlingen,

Und trennte sich von seinem Hals nicht mehr.

Roland, Rinald, voraus der Kaiser, gingen

Und herzten ihn mit großer Liebe sehr;

Wie Oliver und Dudo ihn umfingen!

Nur ihn zu sehn, war Fürst Sobrins Begehr.

Kein Paladin, kein Reichsfürst ließ sich halten,

Rogers Willkommen festlich zu gestalten.


61.

Leo, der wohl die Worte weiß zu stellen,

Beginnt, nachdem das Küssen nun vorbei,

Vor Karl die Taten Rogers aufzuhellen,

Und rings vernimmt's die ganze Kumpanei:

Wie Mut und Kraft, die sich in ihm gesellen

(Ob's auch zum Schaden seines Heeres sei),

Bei Belgrad all sein Herz zu Roger lenkten,

Wenngleich Verlust und Niederlag' ihn kränkten;


62.

Wie dann es glückte, als der Held, gefangen

Von jener, die zu töten ihn gedacht,

Im Kerker saß, ihm Freiheit zu erlangen,

Trotz all der Seinen und des Hauses Macht,

Und Roger drauf für das, was er empfangen,

Voll Großmut jene hohe Tat vollbracht,

Die nie von einem andern Werk auf Erden

Wann es auch sei – verdunkelt könne werden.


63.

So kam es, daß er Punkt für Punkt erzählte,

Was sonst für ihn durch Roger noch geschah;

Wie dieser in dem Schmerze, der ihn quälte,

Als er getrennt sich von der Liebsten sah,

Dem Tode schon, den er für sich erwählte,

Entgegenging, bis endlich Hilfe nah.

So schön und rührend wußt' er's zu beschreiben:

Es konnt' auch nicht ein Auge trocken bleiben.
[429]

64.

Und so geschickt bestürmt er dann mit Flehen

Und wicht'gem Wort des Haimon Eigensinn,

Daß der nicht nur bestimmt wird, abzustehen

Von Plänen, tief gehegt im Busen drin –

Nein, um Verzeihung Roger anzugehen,

Begibt der Greis sich selbst zum Helden hin

Und bittet ihn, sein Schwiegersohn zu heißen:

So wird ihm Bradamante denn verheißen.


65.

Zu ihr, die in der Kammer saß, der engen,

Ihr Mißgeschick beweinend kummervoll,

Mit lauten Rufen und mit frohen Klängen

Die neue Mär in großer Eil' erscholl:

Ließ erst das Weh das Blut nach oben drängen

Mit aller Macht, daß es zum Herzen quoll,

Strömt es heraus in solcher Schnelle wieder:

Sie sinkt vor Freude fast zur Erde nieder.


66.

Miteins ist alle Stärke fortgeschwunden,

Zu stehen kaum besitzt sie noch die Kraft,

Sie, die Ihr so gewaltig habt befunden,

So hohen Mutes und voll Heldenschaft.

Selbst wen die schwarze Binde schon umwunden,

Wer schon sich fühlte in des Todes Haft,

Zum Block verurteilt, Galgen oder Rade,

Hört nicht so hochbeglückt das Wörtlein »Gnade«.


67.

Mongran' und Clermont freun sich an dem Bunde

Der beiden Zweige; daß es also kam,

Betrübt Anselm; auch hören diese Kunde

Mit Ärger Falco, Gini und Ginam;

Doch sie verdecken, lächelnd mit dem Munde,

Den Ingrimm und den Haß und neid'schen Gram

Und lauern still, der Rache Tag zu sehen,

Wie Füchs' am Wege nach dem Hasen spähen.
[430]

68.

Sie fanden Unheil viel vor ihren Toren

Durch Roland und Rinald, ohn Unterlaß,

Obwohl der Hader noch von Karl beschworen

Durch weisen Rat ward und durch dies und das.

Lachen verging dem Haus, seit sie verloren

Noch jüngst den Pinabel und Bertolas.

Doch schien es gut, daß sie den Groll versteckten,

Als ob sie noch die Täter nicht entdeckten.


69.

Am Hofe die bulgarischen Gesandten,

Die an den Hof hierher – ich hab's erzählt –

Sich wegen jenes Einhornritters wandten,

Den man zu ihrem Herren hatt' erwählt, –

O wie sie sich vom Glück begünstigt nannten:

Hat doch dem Wunsch Erfüllung nicht gefehlt!

Sie werfen sich zu seinen Füßen nieder:

Er kehre – flehn sie – nach Bulgarien wieder,


70.

In Adrianopel harre, ihn zu schmücken,

Das Königszepter und die Krone schon.

Doch kommen mög' er und den Feind erdrücken:

Es heiße, daß die Griechen seinem Thron

Bereits mit größern Scharen näherrücken,

Geführt von ihrem Kaiser in Person.

Doch woll' er ihnen seinen Beistand bringen,

So würden sie ihm wohl sein Reich entringen.


71.

Der Antrag ward von Roger angenommen,

Und er versprach den Herrn, zur Bulgarei

In dreier Monde Frist zurückzukommen,

Spiel' ihm Fortuna keinen Streich dabei.

Prinz Leo sagt, als er den Fall vernommen,

Wenn Roger König der Bulgaren sei,

Versichern könn' er ihn bei seiner Treue,

Daß Friede sich mit Konstantin erneue.
[431]

72.

Er brauche nicht so rasch davonzustreben

Und nehme nicht das Kriegesschwert zur Hand:

Freiwillig werde Konstantin ihm geben,

Was er gewann von der Bulgaren Land.

Wie sehr man Roger mochte hoch erheben,

Nichts hat Beatrix mehr ihm zugewandt,

Die jetzt als Schwiegersohn ihn lieben sollte,

Als daß man ihm den Namen »König« zollte.


73.

Die Hochzeit ging mit Königspracht vonstatten,

Des hohen Herrn, der sie besorgte, wert:

Karl gab sie so, als hätt' er einen Gatten

Dem eignen lieben Töchterlein beschert.

Das Fräulein und die andern, alle hatten,

Das ganze Haus, vortrefflich sich bewährt:

Müßt' er sein halbes Reich verwendet sehen,

So deucht ihm doch kein Übermaß geschehen.


74.

Ein jeder Mann darf frei zu Hofe gehen,

Bleibt hier in aller Sicherheit und mag

In freiem Felde seinem Gegner stehen

(Hader zu enden) bis zum neunten Tag.

Ein Feld wird ausgeschmückt, und Tücher wehen

Von Gold und Seide; Zweige, grün vom Hag,

Sieht man mit Blumen herrlich sich verweben:

Es kann nichts Schönres auf der Erde geben.


75.

Paris die Stadt, sie könnte nicht umschließen

Der fremden Gäste ungezählte Schar,

Der arm und reichen, die zusammenstießen,

Sei's Grieche, sei's Latiner und Barbar.

Gesandte, die ein fernes Land verließen,

Sie stellten sich in hellen Haufen dar.

In Zelten fand man, unter Laubendächern

Bequemlichkeit just wie in Prunkgemächern.
[432]

76.

Mit auserlesnen, hohen Kostbarkeiten

Hatte Melissa schon in jüngster Nacht

Das Brautgemach begonnen zu bereiten,

Darauf sie schon gar lange war bedacht.

Des Ehebundes (seit geraumen Zeiten)

Hatte sie eifrig und in Sehnsucht acht,

Weil sie, der Zukunft kundig, deutlich wußte,

Was diesem Treffliches entspringen mußte.


77.

Gegeben war ein Platz dem Hochzeitbette

Mitten in einem glänzenden Gezelt,

Dem reichsten, schönsten, das an einer Stätte

Im Krieg, im Frieden, je war aufgestellt,

Und wie man niemals eins gefunden hätte.

Entnommen war es Thraziens Uferfeld,

Dem Kaiser überm Haupte weggezogen

Bei seiner Rast an blauen Meereswogen.


78.

Melissa ließ – der Prinz war einverstanden –

(Sie gäbe gern von ihrer Kunst Beweis,

Und von dem Höllenwurm in ihren Banden,

Und daß er handeln mußt' auf ihr Geheiß,

Und seine Geister sich gezwungen fanden

Zu dienen ihrem Wort in jeder Weis')

Durch styg'sche Boten dieses Zelt erraffen

Und von Byzanz zum Seinestrande schaffen:


79.

Sie packten's vor des griech'schen Kaisers Blicken,

Des Konstantin, ob seinem Haupte auf

Und trugen es mit Stangen und mit Stricken

Und außerdem mit all der Sachen Hauf,

Die sich zur Wohnung Rogers mochten schicken,

Am hellen Mittag in die Luft hinauf

Und setzten nach der Hochzeit alles wieder

Am Platz, wo sie's genommen hatten, nieder.
[433]

80.

Zweitausend Jahre waren fast verflossen,

Seit dieses reiche Werk zustande kam:

Ein Troerkind, durch dessen Adern schossen

Prophetentrieb und Neigung, unternahm

Das Werk und stickte nächtlich unverdrossen

Mit großer Müh' das Zelt so wundersam.

Ihr kennt die Troerin: Kassandra hieß sie

Und Hektor als Geschenk die Arbeit ließ sie.


81.

Vom Bruderstamm des besten Ritters Züge

Der jemals künftig streb' ans Tageslicht

(Daß Zweig um Zweig vorher schon Blätter trüge,

Fern von der Wurzel, das entging ihr nicht),

Die waren dort in künstlichem Gefüge

Aus Seid' und Gold gestickt und hergericht't.

Das Werk war Hektor lieb, dem Mann der Waffen,

Als Kunstwerk und weil jene es geschaffen.


82.

Doch als er durch Verrat verlor das Leben,

Und Griechenland das Volk der Troer schlug

(Wobei weit Schlimmres noch sich hat begeben,

Als Bücher melden, nach des Simon Trug),

Ward es dem Menelas durchs Los gegeben,

Der es dann weiter nach Ägypten trug:

Proteus hat es von Menelas bekommen

Fürs Eheweib, das der Tyrann genommen,


83.

Die Helena; der Meergott hat empfangen

Aus ihrer Hand das wunderbare Zelt.

Die Ptolemäer sollen's dann erlangen;

Dann ist's Kleopatra, an die es fällt;

Wonach es ihr Agrippas Leut' entrangen

Dort im Leukad'schen Meer; August erhält

Es drauf; dann zählt es zu Tiberius' Schatze;

In Rom blieb's bis auf Konstantin am Platze.
[434]

84.

Durch ihn, den stets Italien schilt mit Klagen,

Solange noch das Rad der Zeiten rollt,

Ward nach Byzanz das hohe Werk verschlagen

(Er war dem Tiber ja nicht länger hold).

Dem zweiten Konstantin wird's fortgetragen:

Der Schaft war Elfenbein, die Stricke Gold.

Figuren sah man, schön gestickte, prangen,

Wie sie Apelles' Pinsel kaum gelangen:


85.

Der Grazien Schar in lieblichen Gewanden

Half einer Königin in Kindeswehn:

Ein Knabe war's: – ob vier Jahrhundert' schwanden,

Sie haben nie ein schönres Kind gesehn;

Mit vollen Händen Mars und Venus standen;

Zeus und Merkur, der Redner, ließen wehn,

Ambrosia streuend, süße Himmelsdüfte,

Und Blumen spendeten des Äthers Lüfte.


86.

Geschrieben stand, für wen die Schätze waren,

Denn auf den Windeln las man Hippolyt:

Glück führt ihn an der Hand in spätern Jahren,

Und vor dem Knaben geht der Tugend Schritt:

Ein neues Volk erscheint mit langen Haaren,

Und von Corvinus bringen sie die Bitt',

Ihn mit dem zarten Sprößling zu begaben;

Er möcht' ihn gern für sich vom Vater haben.


87.

Man sieht ihn ehrfurchtsvoll von Ercol gehen,

Von Mutter Leonore zieht er fort,

Besucht die Donau (um ihn anzusehen,

Drängt sich das Volk, wie um des Himmels Hort);

Seht Ungarns weisen König staunend stehen,

Welch reifes Wissen wohn' im Knaben dort,

Dem feinen, zarten, aufgeblüht nur eben;

Ob aller Großen will er ihn erheben,
[435]

88.

Sorgt, daß er schon in jugendlichen Zeiten

Das Zepter von Strigonia erhält;

Auf Schritt und Tritt muß ihn das Kind begleiten,

In den Palast und in das Kriegeszelt:

Ob gegen Türken, gegen Deutsche streiten

In Waffen mag der königliche Held,

Stets folgt ihm Hippolyt, und in der Jugend

Auf hohe Taten blickend, lernt er Tugend.


89.

Man sieht der Jahre Blüt' ihn hier verbringen,

Der Wissenschaft und edler Kunst geweiht.

Verborgnen Sinn der Schriften zu durchdringen

Des Altertums, lehrt Fusco, ihm zur Seit':

»Willst du dich hoch zu ew'gem Ruhme schwingen,

So folge diesem, halte jenes weit!«,

Scheint er zu sagen: also deutlich werden

Läßt das Gemälde Handlung und Gebärden.


90.

Als Kardinal – noch in den Jünglingstagen –

Im Rat des Vatikans stellt er sich dar

Und scheint beredt und voller Geist zu sagen,

Was staunen macht der weisen Männer Schar;

Man sieht, daß sie sich voll Verwundrung fragen:

»Wie zeigt ihn später wohl ein reifer Jahr?

O, wenn ihn Petri Mantel mag umschließen –

Welch Glück wird dann die fromme Welt genießen!«


91.

Des hohen Jünglings Spiel und Kurzweil künden

Die Bilder drauf an einer andern Stell':

Er trotzt dem Eber hier in sumpf'gen Gründen,

Dem Bären dort auf Alpenhöh'; und schnell

Wie Sturmwind folgt er in des Waldes Schlünden

Hindin und Bock als kühner Weidgesell;

Er spaltet – seht! – das Wild dort in zwei gleiche

Teile voll Kraft mit einem einz'gen Streiche.
[436]

92.

Mit Philosophen geht er, mit Poeten

In vielgeehrtem Chor einher; man sieht,

Wie Unterweisung über die Planeten,

Die Erde da, den Himmel dort geschieht.

Der kommt mit Elegien, der scheint zu beten,

Der singt ein leichtes, der ein Heldenlied.

Er lauscht der Tonkunst mannigfachen Weisen,

Und jedes Schrittes Anmut ist zu preisen.


93.

Wenn so im ersten Teil zum Bild gelangen

Die Jahre seiner frühen Lebenszeit,

So ließ Kassandra in dem zweiten prangen

Züge von Klugheit und Gerechtigkeit,

Drein Mut und Mäßigung sich herrlich schlangen

Und, die zu ihnen sich als fünfte reiht:

Den vollen Lichtglanz pflegt sie ihm zu senden,

Die Tugend, mein' ich, als ein Fürst zu spenden.


94.

Seht ihn sich dort zu Mailands Herren halten,

Dem vielgeprüften: wie er mit ihm spricht,

Im Frieden, kluge Pläne zu entfalten,

Und wie er dort die Schlangenfahne richt't!

Von gleicher Treue stets ist sein Verhalten,

In dunklen Zeiten, in des Glückes Licht:

Er flieht mit ihm, bleibt tröstend ihm zur Seite

In Trübnis, gibt ihm bei Gefahr Geleite,


95.

Hegt hier Gedanken tief im Haupte drinnen,

Es gilt Alfonsos Heil, Ferraras Staat,

Entdeckt durch fein verschlungenes Beginnen

(Und zeigt's dem edlen Bruder), daß Verrat

Ihm seines eignen Hauses Glieder sinnen,

Und zwar die allerteuersten gerad,

Und soll den Ehrennamen so erlangen,

Den Cicero vom freien Rom empfangen.
[437]

96.

Seht ihn in Waffen! Hell blinkt seine Wehre;

Er ist auf Beistand für den Papst bedacht;

Entgegen tritt er wohlgeschultem Heere

Mit einem Haufen, eilig aufgebracht.

Daß er zugegen ist, genügend wäre,

Um Luft zu schaffen für der Kirche Macht:

Die Gluten sterben, eh sie kaum noch brennen;

Man kann's ein »Veni-vidi-vici« nennen.


97.

Seht dort ihn mit der größten Flotte ringen,

Der stärksten auch, am heimatlichen Strand,

Die Türk' und Grieche jemals noch empfingen,

Von Venezianern gegen sie gesandt:

Er schlägt sie, geht dem Bruder dann sie bringen

Samt all der reichen Beute, die er fand.

Die Ehre nur will er für sich behalten;

Man kann mit ihr ja nicht für andre schalten.


98.

Wie aufmerksam die Ritter und die Frauen,

Ohne den Sinn zu fassen, dieses sehn!

Sie haben niemand, ihnen zu vertrauen,

Daß jene Ding' in Zukunft erst geschehn.

Da sie mit Lust auf schöne Mienen schauen

Und auf die Namen, die darunter stehn,

Sah's still für sich genießend Bradamante,

Die durch Melissas Wort schon alles kannte.


99.

Roger – war ihm auch nicht so viel erschlossen

Wie Bradamant – besann sich doch auf dies,

Daß Atlas ihm von seinen Enkelsprossen

Den Hippolyt so ganz besonders pries. –

Wer sagt in Versen, welche Huld genossen

Bei Karl die Gäste; wie er folgen ließ

Ein schönes Fest aufs andre, Spiel auf Spiele,

Wie stets die Tafel trug der Speisen viele!
[438]

100.

Da zeigt sich's, wer ein Ritter sei zu nennen,

Wenn man am Tag wohl tausend Lanzen bricht –

Hier Kampf zu Fuß, und dort zu Pferd ein Rennen –,

Wenn man gedoppelt und in Rotten ficht!

Und Roger kämpft bei Tag und Nacht, sie kennen

Bei den Turnieren andern Sieger nicht.

Beim Tanz, beim Kampf, bei jedem andern Werke

Stets triumphiert mit Ehren seine Stärke.


101.

Am letzten Tag (gerad zur Tafel schreiten,

Der festlichen, die Gäste miteinand,

Der Kaiser hat die Gatten sich zu Seiten –

Herrn Roger links und rechts Frau Bradamant –)

Sehn sie durchs Feld gewappnet einen reiten:

Stracks auf den Tisch zu hat er sich gewandt,

Hochragend, ganz verhüllt, auf schwarzem Pferde,

Und übermütig scheint er von Gebärde.


102.

's ist Algiers Fürst; ihm war zu Herz gegangen

Der Schimpf, den er vom Fräulein dort erfuhr:

Kein Schwert zu ziehn, in Waffen nicht zu prangen,

Nicht aufzusitzen – also war sein Schwur,

Bis daß ein Jahr, ein Mond und Tag vergangen,

Und eine Höhle zu bewohnen nur.

Damals war's Ritterbrauch in jedem Lande,

Sich selbst zu strafen für erlittne Schande.


103.

Wiewohl ihm kund ward seines Herren Lage

Und was dem König weiterhin geschah,

Zwang ihn der Schwur, daß er dem Kampf entsage,

Als sei der ganze Fall für ihn nicht da.

Als nun das Jahr mit Monat und dem Tage

Vergangen, kam's, daß er sich neu versah

Mit Roß und Rüstung und mit Schwert und Lanze –

So naht er sich des Kaiserhofes Glanze.
[439]

104.

Ohn' abzusitzen, ohne sich zu neigen,

Der Höflichkeit und Ehrerbietung bar,

Mißachtung schien er allen zu bezeigen,

Dem Kaiser und der hohen Herren Schar.

Die sahen, starr vor Staunen all, in Schweigen,

Wie ungebührlich dies Benehmen war,

Worauf sie Speisen sowie Reden lassen,

Nur auf das Wort des Kriegers aufzupassen.


105.

Sobald ihn Karl, auch Roger, hören konnte,

Hochmütig, stolz bewegt er sich und schreit:

»Ich bin's, der Fürst von Sarza, Rodomonte,

Der dich, o Roger, fordert hier zum Streit

Und, eh die Sonne sinkt am Horizonte,

Beweist, daß man mit Recht Verrats dich zeiht

An deinem Herrn, und man in keiner Weise

Dir Ehre zollen darf im Ritterkreise.


106.

Die Felonie liegt zwar zutag, ich meine:

Du kannst nicht leugnen, bist du doch ein Christ.

Doch, daß sie offenkund'ger noch erscheine,

Beweis' ich's hier im Feld zu dieser Frist:

Vernimm, daß jeder Ritter noch, der deine

Sach' auf sich nimmt, mir hier willkommen ist;

Nicht einem nur, – vier, sechsen will ich stehen;

Daß ich mein Wort verfechte, sollt ihr sehen!«


107.

Roger springt auf, als er sich so verklagen

Hört; mit des Kaisers Gunst erklärt er frei,

Der andre lüg' und wer noch möge sagen,

Man zeih' ihn jemals der Verräterei.

Mit seinem Herrn hab' er sich so betragen,

Daß er vor jedem Tadel sicher sei.

Bereit auch sei er, daß sein Schwert erweise:

Es ward der Pflicht genügt in jeder Weise.
[440]

108.

Ohne daß andre noch zur Seit' ihm stehen,

Woll' er verfechten seinen eignen Strauß.

Ausreichend werde man den einen sehen,

Vielleicht zu viel; das weise bald sich aus.

Eifrig, für Roger in den Kampf zu gehen,

Sind Herr Rinald und Roland überaus;

Der Markgraf auch, zwei Söhne an den Seiten,

Marfisa, Dudo sind gewillt zu streiten.


109.

Wie sie ihm darzutun beflissen waren,

Beim Feste ruh' ein neuvermählter Mann,

Sprach Roger: »Lasset solchen Einwand fahren!

Er ist zu lahm; ich denke nicht daran.«

Nun brachte man die Rüstung des Tataren,

Voll Beulen ganz; Herr Roger zog sie an,

Und Roland kommt: er schnallt ihm fest die Sporen.

Das Schwert zu gurten hat sich Karl erkoren.


110.

Marfisa und Frau Bradamant, sie legen

Ihm Schienen an, dazu das Eisenkleid.

Den Renner führt Herr Astolf ihm entgegen,

Den Bügel hält des Dänen Sohn bereit.

Platz schaffen eilig mit noch andern Degen

Rinald, Naims, Oliver in dieser Zeit

Und richten das Geheg (für solche Fälle,

War immer alles Nötige zur Stelle).


111.

Bleich stehn die Frauen, können kaum sich regen,

Verzagt wie Tauben, die, vom Sturm erfaßt,

Zitternd, hin, wo das sichre Nest gelegen,

Aus körnerreichen Auen fliehn in Hast:

Das Dunkel schreckt sie, Hagel wild und Regen,

Des Donners Rollen und des Blitzes Glast:

So zagen sie um Roger und erbleichen;

Denn an den Heiden scheint er nicht zu reichen.
[441]

112.

So will's dem Volk auch und den meisten scheinen

Der hohen Herren und der Ritterschaft;

Denn die Erinnerung verließ noch keinen,

Was in Paris der Heide hat geschafft:

Mit Feuer und mit Schwert ward von dem einen

Ein großer Teil der Stadt dahingerafft

Und blieb zerstört für noch gar viele Tage;

Kein Schaden ist, den man so sehr beklage.


113.

Am meisten fühlt jedoch ihr Herz erbeben

Frau Bradamant, obwohl vom Glauben weit,

Der Feind könn' über Roger sich erheben

An Kraft und Heldenmut und Tapferkeit;

Auch fehlt das beßre Recht dem Mohren eben,

Meint sie, das oft allein den Sieg verleiht.

Vor Bangigkeit ist sie drum nicht geborgen –:

Sie liebt! so muß sie bangen denn und sorgen.


114.

Wie gerne hätte sie es übernommen,

Den Kampf, den zweifelhaften, zu bestehn,

Ließ auch Gewißheit, darin umzukommen,

Sich deutlicher als mit den Augen sehn!

Mehr als ein einz'ger Tod wär' ihr willkommen

(Könnte man mehr als einmal sterben gehn),

Als in so fürchterlichen Abenteuern

Den Herrn bedroht zu sehn, den lieben, teuern!


115.

Doch nicht durch Bitten läßt er sich bewegen,

Sich fernzuhalten von der Kampfesglut:

So steht sie denn und blickt der Schlacht entgegen

Mit trübem Antlitz, zitternd, schwergemut.

Und aufeinander stürmen jetzt die Degen,

Gesenkt den Speer, das Tier gespornt zur Wut.

Wie Eis gebrochen beide Lanzen liegen,

Daß Splitter, Vögeln gleich, zum Himmel fliegen.
[442]

116.

Des Schildes Mitte traf, wie er es dachte,

Des Heiden Speer, doch war die Wirkung matt;

Vulkan, der diesen Schild für Hektor machte,

Hatt' ihn gestählt in seiner Schmiedestatt.

Als auf dem andern Rogers Lanze krachte,

Ward er durchstoßen ganz und gar und glatt:

Vorn Stahl und hinten, in der Mitte Knochen

Und eine Spanne dick – er ward durchstochen.


117.

Hätte die Lanze besser ausgehalten

(Allein sie brach beim ersten Stoß entzwei,

Man sah die Splitter Fliegekunst entfalten;

Die Stümpfe stoben in die Luft dabei),

Sie hätte gleich den Panzer durchgespalten –

So wütend war sie – ob er Demant sei:

Dann war's vorbei; allein sie brach. Die Pferde

Sich beide rücklings setzen auf die Erde.


118.

Nun zwingen Zaum und Sporn sie, aufzustehen:

Die Kämpfer haben nicht des Speeres acht;

Der fliegt hinweg, und mit dem Schwerte gehen

Sie auf den Leib einand mit aller Macht.

Wie sie voll Meisterschaft die Renner drehen

So leicht und flink und stets mit Fleiß bedacht,

Zu prüfen mit der Spitze, wo das Eisen

Sich möge spärlicher und schwach erweisen!


119.

Dem Mohren deckt nicht mehr die Brust der Kragen

Aus harten Schuppen, jene Schlangenhaut;

Auch den gewohnten Helm nicht darf er tragen

Noch Nimrods Schwert, das also schneidig haut:

Denn als er auf der Brücke ward geschlagen

In jener Rüstung dort von Rogers Braut,

Ließ er die Waffen an das Denkmal hängen

(Ihr wißt es wohl aus früheren Gesängen).
[443]

120.

Nun hatt' er andre, zwar der wunderbaren

Nicht zu vergleichen, aber gut genug.

Doch wäre Balisarda durchgefahren

Durch härtre noch, wenn Roger mit ihr schlug;

Kein Zauber konnte seinen Mann bewahren

Noch feinster Stahl, wenn ihn der Gegner trug.

Roger ist seines Werks gar wohl beflissen

Und hat die Rüstung vielfach aufgerissen.


121.

Als rot der Heide sieht die Brünnlein quellen

Und merkt, er sei jetzt nicht imstande mehr,

Zu hindern, daß die Stöß' an vielen Stellen

Hinein ins Fleisch ihm dringen durch die Wehr,

Da fluten mächtig seines Zornes Wellen,

Mehr als in Wintersmitt' ein stürmisch Meer:

Er wirft den Schild fort, um mit beiden Händen

Gewalt'gen Hieb auf Rogers Helm zu senden.


122.

Wie auf dem Po die höchste Wucht entfalten

Mag die Maschine, die auf Schiffen zwein

Von Menschen und von Räderwerks Gewalten

Gehoben, stürzt auf spitze Pfähl' hinein,

So möchte Rodomont mit Roger schalten:

Mit beiden Armen schlägt er mächtig drein.

Allein vom Zauberhelm ward aufgehalten

Der Streich; sonst wäre Mann und Roß gespalten.


123.

Zweimal das Haupt schon mußte Roger neigen;

Es öffnen Arm und Beine sich zum Fall.

Eh wieder des Bewußtseins Kräfte steigen,

Verdoppelt kracht des Mohrenhiebes Schall;

Ein dritter Schlag! – doch nicht geduldig zeigen

Will sich der feine Stahl bei solchem Prall.

In Stücke fliegt das Schwert; des Heiden Rechte,

Die grimmige, bleibt wehrlos zum Gefechte,
[444]

124.

Nur, ohne daß es Rodomont erschreckte:

Er nahte Roger, dieser merkt' es nicht,

Weil, ganz verhüllt, Besinnung sich versteckte,

Umnebelt, und es schwand ihm das Gesicht –

Als aus dem Schlaf der Sarazen ihn weckte,

Der ihm mit starkem Arm den Hals umflicht;

Herrn Roger reißt die Klammer von dem Pferde,

Daß er vom Sattel niederfällt zur Erde.


125.

Doch sprang er auf, weil er sich rasch ermannte,

Des Zornes nicht so voll wie voll von Scham,

Denn bei dem Blick auf seine Bradamante

Sah er, wie Schreck ihr jede Farbe nahm:

Ihr schien, daß sich die Seel' von hinnen wandte,

Wie der geliebte Mann zu Falle kam!

Die Schmach zu löschen, hoch das Schwert erhoben,

Entgegen stellt er sich des Riesen Toben.


126.

Der spornt sein Pferd, um ihn zu überreiten:

Roger weicht aus (und keine Not entsteht),

Faßt mit der Linken beim Vorübergleiten

Des Mohrenpferdes Zaum, daß es sich dreht;

Und wie die Rechte Brust und Bauch und Seiten

Des Gegners treffe, wird von ihm erspäht –

Und an zwei Stellen wird der Mohr gestochen:

Erst an der Hüfte, dann am Schenkelknochen.


127.

Dem Mohren brach das Schwert zwar im Gefechte,

Doch Knauf und Heft noch hält er in der Hand:

Er stößt, daß wieder fast Betäubung brächte

Die mächt'ge Wucht, auf Rogers Helmesrand.

Der aber wollte siegen nach dem Rechte:

Er griff des Gegners Arm, zog unverwandt,

Stark, mit der Rechten dran wie mit der Linken:

Vom Sattel mußte Rodomonte sinken.
[445]

128.

Gewandtheit aber oder Kraft bewährte

Der Mohr, gleich stehen beide Mann an Mann.

Er fiel auf seine Füße; in dem Schwerte

Bestand der Vorteil, den der Christ gewann,

Wobei er bloß von fern dem Gegner wehrte;

Dicht an den Heiden kam er nicht heran,

Weil ihm ja gar zu leicht Bedrängnis brachten

Gewicht und Masse dieses Ungeschlachten.


129.

Auch sah er Blut schon aus der Seite fließen,

Dem Schenkel und gar mancher andern Wund';

Wenn jenen seine Kräfte bald verließen,

Meint er, so fleh' um Gnade wohl sein Mund.

Da Knauf und Heft des Heiden Händ' umschließen,

Schnellt er sie fort mit aller Macht jetzund

Und meint damit den Gegner so zu finden,

Daß diesem mehr als je die Sinne schwinden.


130.

Auf Wang' und Schulter trifft der Wurf mit Krachen,

Und Roger fühlt die Wucht, die große, sehr:

Kaum einen Schritt noch kann er weiter machen

Und schwankt und strauchelt, hält sich aufrecht schwer.

Der Feind dringt vor, doch mit dem Bein, dem schwachen,

Dem wunden Schenkel, kommt er mühsam her,

Und als er nun zu eilig regt die Glieder,

Fällt er mit einem Knie zur Erde nieder.


131.

Roger verliert nicht Zeit: mit starken Schlägen

Auf Kopf und Brust des Feinds sein Eisen klingt;

Gewaltig hämmernd muß sein Schwert sich regen,

Bis es den Mohren auf den Boden zwingt.

Doch ringt er sich empor, Roger entgegen,

Erreicht, daß er mit Armen ihn umschlingt;

Die Kämpfer schütteln, drehen sich und pressen,

Daß Kunst an Kunst und Kraft an Kraft sich messen.
[446]

132.

Des Heiden Stärke war zum Teil geschwunden,

Durch bloße Lend' und Seite hingerafft;

Bei Roger ist Geschick mit Kunst verbunden:

Er hat im Ringen Übung – und die Kraft.

Den Vorteil nutzt er: wo das Blut aus Wunden

Am reichsten strömt, wo eine Stelle klafft,

Dahin mit Macht die Brust und Arme klemmt er;

Zugleich darauf die beiden Füße stemmt er.


133.

Wie jetzt im Mohren Wut und Ingrimm toben!

Des Gegners Hals und Schulter packt er fest;

Er drückt und zerrt ihn, hat ihn hochgehoben,

Ihn schweben lassend, dann aufs neu gepreßt,

Umschlungen und gedreht und fortgeschoben:

Ob er sich wohl zu Falle bringen läßt.

Roger, in sich gefaßt, weiß zu entfalten

Verstand und Kraft, sich über ihm zu halten.


134.

Er wechselt immer mit dem Griff der Hände,

Bis er zuletzt den Gegner stark umfaßt,

Drückt ihm die Brust auf linke Seit' und Lende

Und stemmt sich drauf mit aller Macht und Last;

Schiebt unters linke Knie ein Bein am Ende,

Auch unters rechte, stößt mit voller Hast

Und hebt nun in die Luft die mächt'gen Glieder

Und wirft ihn köpflings auf die Erde nieder.


135.

Der Mohr schlägt mit dem Rücken und dem Kopfe

Zu Boden, und so heftig ist der Stoß:

Blut rinnt aus Wunden wie aus einem Topfe

Und bildet eine Lache rot und groß.

Roger (er hat Fortuna jetzt beim Schopfe)

Kniet – leicht ringt sonst der Heide ja sich los –

Ihm auf dem Bauch, ihn würgend mit der Linken,

Und läßt den Dolch vor seinen Augen blinken.
[447]

136.

Wie in Pannoniens, in Iberiens Minen,

Wo man die Schätze roten Goldes hebt,

Ein Bergsturz jene, die der Habsucht dienen,

Der bösen, oft ganz unversehns begräbt

(Sie stehen so gepreßt, beengt, daß ihnen

Kein Ausgang bleibt, wo nur der Geist entschwebt),

Also gepreßt lag hier der Mohrendegen

Unter dem Helden da, dem er erlegen.


137.

Der Sieger läßt am Helmvisier ihn schauen

Des Dolches Spitze, auf ihn zugekehrt:

Ergibt er sich, darf er auf Rettung bauen

Und sterben muß er, wenn er noch sich wehrt.

Allein der Tod schafft jenem minder Grauen,

Als einmal Feigheit zeigen, die entehrt.

Er müht sich, ohn' ein Wort hervorzubringen,

Durch Schütteln, Drehn dem Feind sich zu entringen.


138.

Der Schafhund, von der Bulldogg' überwunden –

Sie leckt ihm von der Gurgel schon das Blut –

Hat sich umsonst gemüht und abgeschunden,

Voll Schaum die Lippen und im Auge Glut:

Er wird durch nichts der Drängerin entwunden,

Die ihn an Kraft besiegt, doch nicht an Wut –

So muß der Mohr der Hoffnung sich begeben,

Aus Rogers Siegerhand sich zu erheben.


139.

Doch lassen Drehn und Rütteln ihm gelingen,

Daß er zuletzt den bessern Arm befreit;

Die rechte Hand sucht es zustand zu bringen,

Mit seinem Dolch (auch er zog ihn im Streit)

Unten in Rogers Weichen einzudringen.

Der Jüngling aber merkt zur rechten Zeit,

Welch ein Verderben jetzt ihn leicht erfasse,

Wenn er den wilden Heiden leben lasse:
[448]

140.

Zwei-, dreimal in der graus'gen Stirn des Recken –

Den Arm so hoch, wie ihm nur möglich war –

Barg er den ganzen Dolch und ließ ihn stecken,

Der Klemme so entschlüpfend und Gefahr.

Zu Acherons trübsel'gen Uferstrecken

Floh aus dem Leib, erkaltet ganz und gar,

Mit wildem Fluch und grimmigen Gebärden

Der Geist, der solchen Stolz gehegt auf Erden.


Finis.


Pro bono malum.[449]

Quelle:
Ariosto, Ludovico: Der rasende Roland. In: Sämtliche poetischen Werke, Berlin 1922, Band 3, S. 413-450.
Lizenz:
Ausgewählte Ausgaben von
Der rasende Roland
Die Historia vom Rasenden Roland
Ludovico Ariosts Rasender Roland nacherzählt von Italo Calvino

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