Sechsundzwanzigster Gesang

[331] 1.

In alten Zeiten gab es edle Frauen,

Die Tugend liebten und den Reichtum nicht;

Jetzt solche finden – wer mag sich getrauen?

Nur auf Gewinn ja sind sie heut erpicht.

Die wenigen, die nicht nach Schätzen schauen,

Geiz hassen, ganz auf Güte nur gericht't,

Verdienen die Glückseligkeit hienieden

Und ew'gen Ruhm, wenn sie dahingeschieden.


2.

Ewigen Lobes wert ist Bradamante,

Weil sie, vom Wunsch nach Macht und Schätzen weit,

Nur für den Hochsinn ihres Roger brannte

Und seine edle Art und Trefflichkeit –

Und wert, daß sich zu ihr in Liebe wandte

Ein Ritter, der die Zier war seiner Zeit,

Und ihretwillen manche Tat vollbrachte,

Deren als wunderbar die Nachwelt dachte.


3.

Ich sagt' Euch schon, daß Roger im Vereine

Mit denen aus Clermont gekommen war,

Herrn Aldiger und Richardet ich meine,

Hilfe zu bringen jenem Brüderpaar:

Da bot ein Herr, stolz nach dem Augenscheine,

Sich auf dem Brachfeld ihren Blicken dar;

Den Vogel führt er als sein Wappenzeichen,

Der sich erneut und nie hat seinesgleichen.
[332]

4.

Ihm dünkt, er hat die Schar bereit gefunden

Zu einem Flug mit kräft'gem Flügelschlag.

Da könnte eine Probe gleich erkunden,

Ob hinter wackrem Scheine Wahrheit lag:

»Hätt' einer gerne mit mir angebunden,«

Rief er, »zu sehn, wer mehr von uns vermag,

Im Kampf, sei's mit dem Schwert, sei's mit dem Speere,

So lang, bis einer überwunden wäre?«


5.

Sprach Aldiger: »Zu Diensten würd' ich stehen

Im Lanzenbrechen oder mit dem Schwert,

Jedoch ein Fall – du kannst es selber sehen,

Wenn hier du bleibst – so sehr mir das verwehrt,

Daß er nicht Zeit, jetzt zum Turnier zu gehen,

Kaum die, mit dir zu sprechen, mir gewährt:

Wir warten hier auf wohl sechshundert Leute,

Mit denen wir Geschäfte haben heute.


6.

Zu retten zwei von uns, die sie gefangen,

Führt Mitleid uns hierher und Liebespflicht.«

Und gibt noch mehr von dem, was vorgegangen

Und sie gerüstet herführt, ihm Bericht.

Der Krieger sprach: »Gerecht ist solch Verlangen,

Und was du sagst, ich widerspreche nicht;

Und, traun, das Zeugnis muß ich wohl euch gönnen,

Daß wenige sich euch vergleichen können.


7.

Erproben wollt' ich erst mit ein, zwei Schlägen,

Wie es bestellt wohl sei mit eurem Wert;

Doch brauch' ich kein Turnier, mir kommt's gelegen,

Daß er auf andrer Kosten sich bewährt.

So bin ich denn mit euch, ihr guten Degen,

Mit meinem Helme hier und Schild und Schwert.

Zu zeigen hoff' ich euch in allen Fällen,

Daß ich nicht unwert solcher Kampfgesellen.«
[333]

8.

Nun hörte wohl mancheiner ohne Frage

Den Namen dessen gern, der als ein Held

Sich den drei Rittern in so schwerer Lage

Anbot als Kampfgenoß auf blut'gem Feld:

Sie ist's (und nicht mehr er ich fürder sage),

Marfisa, die Gabrina jüngst gesellt

Zerbin, dem Armen: alle Laster galten

Als gleich willkommen dieser bösen Alten.


9.

Gern ließen von Marfisa sich geleiten

Die drei und nahmen sie in ihre Schar,

Vermutend einen Ritter froh zum Streiten

Und nicht ein Fräulein, wie es wirklich war.

Ein Weilchen drauf nimmt Aldiger vom weiten

– Er zeigt's den andern – eine Fahne wahr:

Die Lüfte lassen sie vergnüglich wehen,

Und hinterdrein ist vieles Volk zu sehen.


10.

Und als sie etwas weiter vorgeschritten

Und besser sahn das Sarazenenkleid,

Erkannten sie die Mohren: in der Mitten,

Gebunden, die zwei Brüder Seit' an Seit',

Geschleppt auf Kleppern, zu den Mainzern ritten,

Dem Umtausch in gemünztes Gold geweiht.

Marfisa spricht: »Was fehlt denn noch zum Feste?

Wohlauf zum Spiel, gekommen sind die Gäste!«


11.

»Erschienen ist ein Teil, jedoch nicht alle«,

Sprach Roger, »viele fehlen noch dabei.

Wir rüsten uns zu einem großen Balle

Und wollen sorgen, daß er festlich sei.

Doch kommen sie nun bald in jedem Falle.«

Er spricht's, als sie von fern schon Reiterei

– Die Mainzer, die Verräter sind's – erblicken;

So mag denn nun der kleine Tanz sich schicken.
[334]

12.

Von dort her kam das Mainzervolk gegangen;

Maultiere führten sie mit Ladung schwer

Von reichen Panzern, Kleidern, Gold und Spangen –

Von dieser Seit', inmitten Schwert und Speer

Und Bogen, die zwei Brüder, trüb, gefangen.

Sie fanden wartend schon das Mainzerheer

Und hörten Bertolas, den Feind, den frechen,

Gottlosen, mit dem Mohrenhauptmann sprechen.


13.

Nicht Haimons Sohn beim Anblick des Gesellen,

Nicht der des Bov das Säumen mehr ertrug:

Wie sie zugleich jetzund die Lanzen fällen!

Sie stürzen auf den falschen Mann im Flug:

Helm und Gesicht sieht man den einen spellen,

Der andre trifft den Bauch und Sattelbug.

Möchten doch alle Bösen so verschwinden

Und einen Lohn genau wie diesen finden!


14.

Nicht wartet, daß zum Kampf geblasen werde,

Marfisas oder Rogers Heldenkraft:

Getötet liegen drei schon auf der Erde,

Eh in der Hand zerbricht der Lanze Schaft.

Vom Leben schied, der angeführt die Herde,

Würdig, daß ihn ein Roger hingerafft.

Vom gleichen Stoß den Tod zwei andre fanden;

Sie gingen hin – vereint – nach dunklen Landen.


15.

Ein Irrtum nun entstand aus diesen Taten

Den zwei Partein, der ihr Verderben war:

Die Mainzer erstens glaubten sich verraten

Und durch die Sarazenen in Gefahr;

Die Mohren anderseits, in Not geraten,

Nannten die Mainzer eine Mörderschar,

Worauf sie sich mit Bogen, Schwertern, Speeren

Zu großem Blutbad gen einander kehren.
[335]

16.

In beide Reihen sieht man Roger springen:

Bald da, bald hier zehn, zwanzig rafft er fort.

Des Fräuleins Hände just so viel vollbringen,

Und ihre Opfer fallen hier und dort.

Wer nur berührt wird von den scharfen Klingen,

Tot aus dem Sattel gleitet er sofort.

Vor solcher Kraft muß Helm wie Harnisch weichen,

Gleich trocknem Holz, wenn Flammen es erreichen.


17.

Ihr wißt vielleicht – sei's, daß Ihr es gesehen,

Sei's, daß man Euch hat den Bericht gebracht –,

Wie aus dem Korb entzweite Bienen gehen,

Und in der Luft entbrennt dann eine Schlacht;

Ein Schwälbchen kommt (es sah den Zwist entstehen)

Und frißt und würgt: – gar viel sind lahm gemacht –

Dann malt Ihr's wohl Euch aus, daß sich auf diese

Art hier verhielten Roger und Marfise.


18.

Nicht also die zwei Vettern: sie verfahren

Ganz anders, wechseln nicht beim Tanz die Reihn;

Beiseite lassen sie die Mohrenscharen

Und achten auf die Mainzer ganz allein.

Die Kräfte Richardets gewaltig waren,

Mit großem Mut und Kühnheit in Verein:

Heut ist der Tag, da Mut und Kraft beim alten

Haß gegen Mainz sich doppelt stark entfalten.


19.

Aus gleichem Grund hat wie die wilden Leuen

Des Bovo Bastard sich im Kampf bewegt,

Der mit dem Schwert die Helme stets vom neuen

Zerspaltet oder wie ein Ei zerschlägt.

Wer würd' auch hier zu streiten sich nicht freuen,

Zu einem zweiten Hektor angeregt,

Mit Roger und Marfisa als Genossen,

Der Blüt' und Krone aller Heldensprossen?
[336]

20.

Derweil Marfisa wütet mit dem Schwerte,

Schaut sie nach den Gefährten oft umher,

Und als sie sah, wie jeder sich bewährte,

Da pries sie, ganz verwundert, alle sehr.

Doch Roger war's, der Wunder ihr bescherte,

Und einzig auf der Erde schien ihr der:

Oft deucht es ihr, es sei, um hier zu kriegen,

Vom fünften Himmel Mars herabgestiegen.


21.

Sie sah des Helden fürchterliche Streiche

Und sah genau: das Ziel erreichten all.

Vor Balisarda schien der Stahl nur weiche

Masse Papier und nicht ein hart Metall.

Durch Helm und Panzer schlug er Leich' auf Leiche,

Hieb bis aufs Pferd noch durch in manchem Fall,

Und streckte gleiche Zahl der Gegner nieder

Auf dieser Seite, dann auf jener wieder.


22.

Er tötete den Reiter samt dem Pferde:

Sie stürzten beide von demselben Schlag.

Die Köpfe flogen schockweis auf die Erde,

Und oft die Brust fern von der Hüfte lag.

Fünf, sechs fällt er zugleich; – aus Furcht, man werde

Mir Glauben weigern, wenn ich Wahrheit sag'

(Ach, Wahrheit hat oft die Gestalt von Lügen!),

Muß ich mich mit der kleinern Zahl begnügen.


23.

Glaubt's oder weigert Glauben der Geschichte,

Ein Hörer kennt die Wahrheit doch: Turpin;

Er spricht von Rogers Taten im Berichte, –

Hört ihr's, wohl einen Lügner nennt ihr ihn.

Die andern waren grad wie kalte Wichte

Vor ihr, die heiß wie Feuersglut erschien.

Muß sie bewundernd auf den Jüngling schauen,

Hebt er voll Staunen auf zu ihr die Brauen.
[337]

24.

Und war er ihr vorher als Mars erschienen,

Bellona würde sie von ihm genannt,

Hätt' er nur die Gestalt in Panzerschienen,

Darin sie einem Manne glich, erkannt.

Wettstreit am Ende schürt den Eifer ihnen;

Der hat zum Unheil jener sich gewandt,

An deren Fleisch und Mark es galt zu zeigen,

Wem größre Heldenschaft von beiden eigen.


25.

Kurz: derart ist die Kraft von wen'gen Mannen,

Daß sie ein Doppelheer zusammenschlägt.

Nur wen'ge waren, die dem Tod entrannen,

Mit jener Waffe, die man hinten trägt.

Heil, wen ein schneller Renner führt von dannen,

Weil nicht nach Paß und Trab sich Nachfrag' regt.

Und wem kein Roß gegeben, muß gewahren:

Zu Fuß zu kämpfen, ach, ist voll Gefahren!


26.

Den Siegern bleibt das Schlachtfeld und die Beute:

Kein Treiber, kein Soldat ist mehr am Ort.

Hier fliehn die Mohren, dort die Mainzer Leute;

Die lassen Schätze, die Gefangne dort.

Die Blicke zeigten, wie das Herz sich freute:

Sie führten ja, gelöst, die Brüder fort!

Die Diener auch sind eifrig: ohne Rasten

Reihn sie Gepäck, die Säcke, Kist' und Kasten.


27.

Es gab dort Silberschätze, die sie fanden,

Zu allerlei Gerät in Form gebracht,

Auch eine Zahl von schönen Fraungewanden

In feinster Arbeit, von erlesner Pracht;

Für Königszimmer dann aus Flanderns Landen

Tapetenwerk, aus Seid' und Gold gemacht,

Und andre reiche Dinge, groß und kleine,

Und Brot und Speisen und in Flaschen Weine.
[338]

28.

Man sah, als sie den Helm herunternahmen,

Der Helfer war ein Fräulein edler Art:

Man sah die goldnen Haare edler Damen

Und auch das Antlitz, schön und fein und zart.

Sie ehrten sie, erbaten ihren Namen,

Der hier gekrönt vom höchsten Ruhme ward.

Zu Freunden höflich stets in ihrem Leben,

Hat sie auf Fragen den Bescheid gegeben.


29.

Sie wurden nimmer müd, sie zu betrachten,

Die so gewaltig schlug im Kampfe drein.

Auf Roger blickte sie, schien nicht zu achten

Der andern sonst; nur seiner ganz allein.

Da kamen Diener, die ihr Meldung brachten,

Man lade sie zu einem Mahle ein,

Das man ganz nah an einem Quell bereite,

Wo vor der Sonn' ein Hügel Schatten breite.


30.

Von Quellen des Merlin ist dies die eine

(Er hat in Frankreich deren vier gemacht),

Umgeben rings von schönem Marmelsteine,

Glatt, weiß wie Milch, in leuchtend heller Pracht.

Die Kunst Merlins hat eingegraben feine,

Erhabne Bilder, die sein Geist erdacht.

Man meint fürwahr, daß sie den Atem heben

Und, fehlte nicht die Stimme, daß sie leben.


31.

Ein grausam Tier, abscheulich anzusehen,

Kam dort, so schien es, aus dem Wald hervor,

Vom Hunger dürr; in Wolfesrachen stehen

Wolfszähne, auf dem Kopf ein Eselsohr.

Sonst ist's ein Fuchs, doch Tatzen hat's zum Gehen

Wie Leun; man meint, daß es vom Waldestor

Durch Frankreich, Spanien, England kommen werde,

Italien, Asien, kurz die ganze Erde.
[339]

32.

Verwundet hat es übrall und erschlagen

Viel hohe Häupter, viel aus niedrem Stand.

Zumeist doch an den Großen scheint's zu nagen,

An König, Fürsten, Herren und Trabant.

Das Ärgste darf's am röm'schen Hofe wagen:

Wo's Päpst' und Kardinal als Opfer fand.

Den heil'gen Stuhl Sankt Petri hat's geschändet,

Des Glaubens Reich in Ärgernis gewendet.


33.

Vor diesem schlimmen Tiere, scheint es, fallen

Schutzwehr und Mauer, die man finden kann,

Und keine Stadt erwehrt sich sein von allen;

Kein Schloß, das es nicht öffnend sich gewann:

Nach Gottes Ehre streckt es seine Krallen;

Das dumme Volk, das betet gar es an:

Es maßt sich an, die Schlüssel zu besitzen

Des Himmels und des Orts, wo Sünder sitzen.


34.

Den kaiserlichen Lorbeer in den Haaren,

Sieht man den stolzesten der Ritter gehn.

Drei Jünglinge, auf herrlichen Talaren

Goldlilien tragend, ihm zur Seite stehn.

Mit ihnen kommt aufs Untier losgefahren

Ein Leu: er läßt die gleichen Zeichen sehn.

Und ihre Namen teils zu Häupten standen,

Teils tiefer, auf dem Saum an den Gewanden.


35.

Er, dessen Schwert zum Griff im Bauch geblieben

Des bösen Tieres war beim mächt'gen Stich,

Trug »Franz von Frankreich« über sich geschrieben

Und hatte Max von Östreich neben sich.

Der fünfte Karl hatt' in den Schlund getrieben

Den Speer gerad dem Unhold meisterlich.

Der mit dem Pfeil die Brust ihm klaffen machte,

Herr Heinrich war's von Engelland, der Achte.
[340]

36.

Den Leun sieht man die Schrift »Der Zehnte« tragen;

Es packt sein Zahn des Ungeheuers Ohr,

Um es mit Lust zu schütteln und zu jagen;

Da wagen sich auch andre noch hervor.

Genommen sind der Welt des Schreckens Plagen:

Vergangnes gut zu machen, regt ein Chor

(Kein allzu großer) edler Herrn die Hände,

Und mit dem Scheusal geht es nun zu Ende.


37.

Marfisa mit den Rittern fühlt Verlangen,

Zu hören, wie's mit jenen sei bewandt,

Die auf das Untier ihre Waffen schwangen,

Durch das solch Unheil kam in Stadt und Land!

Wenn auch die Namen auf dem Steine prangen,

War von den Trägern doch noch nichts bekannt.

Wer drüber wisse, baten drum die Helden,

Möge den andern die Geschichte melden.


38.

Da sprach, auf Malegis den Blick gerichtet,

Der schweigend stand, sein Bruder Vivian:

»Du bist von diesen Dingen unterrichtet;

Gewiß, ich seh' dir's an den Augen an.

Durch wen wird jenes Untier dort vernichtet,

Mit Pfeilen und mit Speeren abgetan?«

Sprach Malegis: »Es gab uns bis zur Stunde

Noch kein Bericht von der Geschichte Kunde.


39.

Das Erdendasein ward noch nicht gegeben

Den Menschen, die vermerkt sind auf dem Stein:

Sieben Jahrhundert schwinden, eh sie leben,

Um Zierde einer andern Zeit zu sein.

Merlin ließ dieses Brunnenrund erheben

Zu König Artus Tagen; im Verein

Mit tücht'gen Künstlern dann, was einst zu schauen

In Zukunft sein wird, hier in Marmor hauen.
[341]

40.

Das Tier ward damals, als zuerst Kontrakte

Entstanden, von der Hölle ausgespien,

Als Ackergrenzen, Maß, Gewicht und Pakte,

Verschreibungen und Schriften hier gediehn;

Worauf es noch nicht alle Stätten packt

Und manche Landschaft noch geborgen schien.

Jetzt rührt es sich schon weithin auf der Erde,

Doch macht es nur dem niedren Volk Beschwerde.


41.

Stets fortgewachsen ist der Unhold häßlich

Und weiterwachsen wird er immerdar,

Bis überflügelt ist, was jemals gräßlich

Und widerwärtig noch hienieden war.

Python, das Ungetüm (man stellt verläßlich

Durch Tint' und Feder es als widrig dar),

War noch nicht halb so groß und, wenn auch greulich,

Doch nicht so ekelhaft und so abscheulich.


42.

Es haust – kein Ort kann sich von ihm befreien –

Ganz grauenvoll, vernichtet und befleckt.

Das Bild kann wenig Ausdruck nur verleihen

Dem Unheil, das im Tun des Scheusals steckt.

Ist heiser schon die Welt vom Hilfeschreien,

So werden die hier, die der Stein entdeckt,

Und deren Name hell glänzt wie Karfunkel,

Aus Nöten Hilfe bringen, Licht im Dunkel.


43.

Niemand wird schärfer dann das Scheusal fassen

Als der Franzosen großer König Franz.

Wird keinen vor sich, viele nach sich lassen,

Und mit ganz wenigen teilt er den Kranz.

Wer schon vollkommen schien, dem muß erblassen

Vor seiner hohen Königspracht der Glanz,

Vor seinem Wert – auch Sternglanz muß vergehen,

Läßt sich am Firmament die Sonne sehen.
[342]

44.

In seiner Herrschaft glücklichem Beginnen –

Kaum sitzt die Krone fest – zu Alpen bahnt

Er seinen Weg und läßt in nichts zerrinnen,

Was bei des Bergs Besetzung man geplant.

Gerechter Ingrimm lebt im Herzen drinnen,

Daß immer noch der Schimpf sei ungeahnd't,

Den von der Wut aus Hütten her und Weiden

Das Heer von Frankreich früher mußte leiden.


45.

Er steigt zur reichen Lombardei hernieder,

Wohin er Frankreichs stolze Blüte bringt.

Er schlägt den Schweizer (so, daß nimmer wieder

Feindlich das Horn zu heben ihm gelingt

Zur Schmach von Spanien und der Kirche Glieder),

Bis von Florenz er in die Feste dringt

(Als Sieger, mit dem Lorbeer auf dem Haupte),

Die man zuvor ganz uneinnehmbar glaubte.


46.

Zustatten kommen, mehr als andre Waffen,

Wird ihm dabei sein ehrenreiches Schwert.

Er weiß das Tier aus seinem Weg zu schaffen,

Von dem die ganze Gegend ward verheert.

Dies Schwert pflegt jede Fahne hinzuraffen

Der Feinde, die nicht rasch zur Flucht sich kehrt:

Und keine Stadt mit Mauern und mit Graben

Wird Schutz vor dieser starken Wehre haben.


47.

Vorzüge, die ein Herrscher je besessen,

Wird man vereinigt in dem Fürsten sehn:

Des großen Cäsar Mut, die Klugheit dessen,

Der an der Trebia focht, am Trasimen;

Und Alexanders Glück nicht zu vergessen:

Fehlt dies, wird jeder Plan in Dunst vergehn;

Freigebigkeit, die niemand kann erreichen,

Und der das Vorbild fehlt von ihresgleichen.«
[343]

48.

So redet Malegis. Die andern fragen

Und bitten ihn, er künde doch noch mehr

Von solchen, die mit ihm das Tier erschlagen,

Das selbst zuvor erschlug so großes Heer.

Den Namen Bernhard sah man einen tragen

Der Ersten, und Merlins Buch preist ihn sehr.

Er sprach: »Berühmt sein wird durch den Bibbiena,

Auch seine Nachbarin Florenz und Siena.«


49.

Sigmund Gonzaga nicht und Ludwig stehen

Von Aragon zurück noch Herr Johann,

Der aus dem Haus Salviati ist; wir sehen,

Ein jeder greift das Untier wacker an:

Gonzaga, Franz; in Vaters Spuren gehen

Will auch Herr Friederich, ein ganzer Mann.

Eidam und Schwager hat er sich zur Seite:

Den von Urbin; Ferrara ist der zweite.


50.

Der Sohn des einen will nicht überwunden

Vom Vater sein noch sonstwem – Guidobald.

Mit Ottoban von Flisco ist verbunden

Zum Angriff auf das Tier Herr Sinibald.

Hier, dessen Pfeil schlägt in den Hals ihm Wunden:

Herrn Ludwig von Gazol zeigt die Gestalt.

Apoll war's, der den Bogen einst bescherte,

Als ihn auch Mars beschenkte mit dem Schwerte.


51.

Zwei Herkules, zwei Hippolyt von Este,

Ein andrer Herkules und Hippolyt

Von Medici, Gonzaga, sind beim Feste,

Folgen dem Tier und lähmen seinen Schritt.

Julian wetteifert mit dem Sohn aufs beste,

Ferrant hält mit dem Bruder gleichen Tritt.

Andrea Doria läßt bereit sich finden,

Und niemand kann Franz Sforza überwinden.
[344]

52.

Vom edlen, reinen Blut Avalos zeigen

Sich zwei, und jenen Felsen führt ihr Schild,

Der überm Schlangenfuß scheint aufzusteigen

Und überm Haupte des Typhäus wild.

Den beiden ist die größte Jagdwut eigen;

Niemand hetzt mehr als sie das grimme Wild.

Laßt uns den einen, Franz Pescara, grüßen!

»Alfons del Vast« steht bei des andern Füßen.


53.

Ferrant Gonsalvo, ei, wo ließ ich diesen?

Die Zierde Spaniens, weit mit Ruhm genannt,

Der also ward von Malegis gepriesen,

Daß man nicht viele seinesgleichen fand?

Mit denen, die das Tier zur Jagd erkiesen,

Regt Wilhelm von Montferrat auch die Hand.

Von einer kleinen Zahl nur wird's bezwungen

Und hat so viele doch vorher verschlungen.


54.

Mit art'gen Spielen und Gesprächen brachten

Sie nach dem Essen hin den heißen Tag,

Worauf sie sich's bequem auf Decken machten,

Im Schatten um den Brunnen rings im Hag.

Die Brüder Malegis und Vivian wachten,

Derweil die kleine Schar der Ruhe pflag.

Da kommt im Trab, von niemandem begleitet,

Ein Weib, das rasch nach dieser Stelle reitet.


55.

Hippalka war es, der Fürst Rodomonte

Den guten Renner raubte, den Frontin.

Sie war ihm nachgeeilt, so gut sie konnte,

Verfolgte teils mit Schmähn, teils Bitten ihn.

Zu Roger wollte sie nach Agrismonte

Zurück, nachdem ihr Plan zu nichts gediehn.

Da hört sie unterweges jemand melden,

Ich weiß nicht wen, sie finde hier den Helden.
[345]

56.

Und weil sie schon das Brunnenplätzchen kannte

(Sie war in frührer Zeit an diesem Ort),

Kams, daß sie gradenwegs zum Quell sich wandte;

Sie traf ihn auch, so wie ich sagte, dort.

Doch führt, sie als erfahrene Gesandte

Den Auftrag besser aus als nach dem Wort:

Sie fand hier ihrer Herrin Bruder stehen

Und schien das Antlitz Rogers nicht zu sehen.


57.

Sie ging zu Richardet, dem Hochgemuten,

Als ob sie seinethalb gekommen wär':

Er, der sie kannte, neigte sich der Guten

Und fragte sie nach dem Wohin, Woher.

Die Augen rot noch von den Tränenfluten,

Den langen, spricht sie unter Seufzen schwer

(Doch laut, damit Herr Roger es verstehe,

Denn dieser weilte ganz in ihrer Nähe):


58.

»Ich nahm mit mir«, so hörte er sie sagen,

»Ein schönes Roß, das jeder herrlich fand:

Von deiner Schwester war mir's aufgetragen;

Sie liebt es sehr, Frontin ist es genannt.

Und auf Marseille zu, wo in wenig Tagen

Sie bleiben wollte, war ich durch das Land

Geritten mit dem Renner dreißig Meilen,

Um, wo die Herrin harrte, hinzueilen.


59.

So kühn und sicher war ich im Vertrauen,

Ich sei geschützt vor jeder Räuberei,

Und wähnte, keiner werde sich getrauen,

Zu nehmen, was Rinaldos Schwester sei.

Doch irrig sollt' ich meine Rechnung schauen:

Das Schicksal führte einen Mohr herbei,

Den, zu erfahren, wem das Tier gehörte,

In seinen Diebsgelüsten wenig störte.
[346]

60.

Ich fleht' ihn an in diesen beiden Tagen

Und ließ ihn unter Drohn und Schelten dann,

Als ich umsonst mein Bitten sah und Klagen,

Hier in der Näh': er müht sich, wie er kann,

Matt schon, auf müdem Pferde, sich zu schlagen,

Schwert in der Hand, mit einem Rittersmann,

Und dieser Held bedrängt so sehr den Frechen,

Daß ich die Hoffnung hab', er wird mich rächen.«


61.

Auf springt Herr Roger rasch, als sie geendet

(Er hielt es kaum zum Schluß der Rede aus);

Zu Richardet hat er sich hingewendet:

Zum Lohn für guten Dienst und jenen Strauß

Werde mit ihm das Mädchen gleich entsendet –

Und zwar allein, so bittet er – hinaus,

Bis wo sie sah den räuberischen Mohren,

Durch den der edle Renner ging verloren.


62.

Für Richardet war dieses unerquicklich:

Zu gönnen, daß ein andrer für ihn tu',

Was ihn doch anging, deucht ihn wenig schicklich,

Doch stimmt er dem Verlangen Rogers zu.

Der schied von der Gesellschaft augenblicklich,

Und mit Hippalka war er fort im Nu,

Nicht nur erstaunt zurück die andern lassend,

Nein, wie erstarrt, vor solchem Wert erblassend.


63.

Als sie, den andern fern, ein Stück in Eile

Geritten sind, tut ihm Hippalka kund,

Sie sei von ihr entsandt, die jederweile

Sein Heldenbildnis trag' auf Herzens Grund.

In klaren Worten wird ihm nun zuteile,

Was zu dem Mädchen sprach der Herrin Mund.

Unmöglich sei's, weil Richardet zugegen

Vorher gewesen, alles darzulegen.
[347]

64.

Sie sagte: »Der das Tier mir hat entrissen,

Der sprach dabei mit stolzem Angesicht:

›Ist dieses Rogers Pferd, so mög' er wissen,

Der Umstand gibt dem Raub noch mehr Gewicht

Ist er des Rückerwerbs vielleicht beflissen,

So sag' ihm, denn verbergen will ich's nicht:

Ich bin es, den sie Rodomonte nennen

Und dessen Ruhm der Erde Länder kennen.‹«


65.

In Rogers Antlitz steht es klar zu lesen,

Mit welchem Ingrimm er das Wort vernahm:

Weil sein Frontin ihm lieb und wert gewesen;

Weil als Geschenk er kam, von wo er kam;

Weil das ein Schimpf ihm dünkt ganz auserlesen.

Er meint, Unehre wink' ihm, Schand' und Scham,

Wenn er das Roß nicht Rodomont entreiße

Und würd'ger Rache sich dazu befleiße.


66.

Voll Eifer, ihn zum Sarazen zu bringen,

Jagt ohne Säumen fort die Führerin.

Zwei Wege bald von ihrer Straße gingen:

Der führt zur Ebne, der zum Berge hin;

Auf beiden kann man nach der Gegend dringen,

Wo sie den Mohren ließ im Tale drin.

Kurz war der eine Weg, doch rauh für Reiter,

Der andre glatt und eben, aber weiter.


67.

Der Wunsch, den Renner wiederzuerlangen

Und Schmach zu rächen, ließ sie steil empor

Auf jenem rauhen Bergespfad gelangen,

Auf dem man weniger an Zeit verlor.

Inzwischen auf dem andern Wege drangen

Der Skythenkönig vorwärts und der Mohr.

Da sie auf ebner Straße sich bewegen,

So kommen beide Roger nicht entgegen.
[348]

68.

Sie hörten (dieses wißt Ihr) auf zu streiten,

Bis Beistand find' Herrn Agramantes Heer,

Und ziehen mit dem Grund der Zwistigkeiten,

Der schönen Doralis, jetzund daher.

Vernehmt den Gang nun der Begebenheiten!

Sie nahten stracks dem Quell, wo Aldiger,

Marfisa, Richardet der Ruhe pflagen

Und Vivian, Malegis mit ihnen lagen.


69.

Marfisa hatt' ein Frauenkleid genommen,

Weil man sie bat, und von des Schmuckes Pracht

(Lanfusa sollte diesen ja bekommen;

Für sie hatt' ihn der Mainzer hergebracht).

Gar selten ward sie helmlos wahrgenommen

Und ohne Waffen, die man braucht zur Schlacht.

Jetzt ließ sie ohne die, nach Art der Frauen

Im Kleid, auf Wunsch der Freunde hier sich schauen.


70.

Kaum hat Marfisa der Tatar gesehen

(Kein Zweifel des Gelingens steigt ihm auf),

Da will er gleich zum Tausch sie ausersehen

Mit Doralis; so denkt er den Verlauf.

Als ob sich Amor lenken ließ' und drehen,

Daß man ein Liebchen nähm' in Tausch und Kauf,

Und ohne weitern Gram – ging es verloren –

Sogleich ein neues Schätzchen werd' erkoren.


71.

Mit einer Maid den Gegner zu begaben

Und daß die andre Schöne bleibe sein,

Will er Marfisa (jeden Mann zu laben,

Den allerbesten, scheint sie wert zu sein –:

Als könne man bald die, bald jene haben

Zur Trauten!) Rodomont als Liebchen weihn,

Und alle Ritter, die er als Geleite

Der Schönen sieht, die fordert er zum Streite.
[349]

72.

Vivian und Malegis, die, beid' in Waffen,

Zur Sicherheit des Häufleins hielten Wacht,

Verfehlen nicht, vom Platz sich aufzuraffen,

Bereit in gleicher Weise für die Schlacht.

Sie wähnen, mit zwei Kämpen gäb's zu schaffen,

Obwohl der Mohr zum Streit nicht Anstalt macht:

Er macht kein Zeichen, will sich nicht bewegen;

So reiten sie dem einen denn entgegen.


73.

Als erster sprengt Vivian heran zum Tanze

Und senkt voll Mut den Speer gar dick und groß;

Der Heidenfürst in hellen Ruhmes Glanze,

Mit überlegner Kraft, geht auf ihn los.

Ein jeder richtet auf den Fleck die Lanze,

Wo, wie er meint, am besten sitzt der Stoß.

Vivian hat sich den Helm zum Ziel erkoren:

Zum Wanken nicht einmal bringt er den Mohren.


74.

Des Heiden Speer war härterm Holz entsprungen,

Von Eis, so meint man, sei des Gegners Schild,

Und aus dem Sattel fliegt Vivian, bezwungen,

In Gras hinein und Blumen im Gefild.

Drauf hat die Waffen Malegis geschwungen,

Nun es des Bruders Los zu rächen gilt.

Umsonst! Wenngleich ihn Sorge rasch zur Stell' schafft:

Nicht Rache bringt er ihm, nein, nur Gesellschaft.


75.

Der dritte Bruder sprang noch vor dem Vetter

Aufs Roß, gehüllt in Stahl und Waffenkleid,

Und mit verhängten Zügeln wie ein Wetter

Schoß er daher, zu kühnem Tun bereit.

Der Stoß klang auf dem Helme mit Geschmetter,

Unterm Visiere einen Finger breit.

Vierfach gebrochen fliegt der Speer in Splitter,

Doch unerschüttert bleibt der Heidenritter.
[350]

76.

Herr Aldiger indeß ward links getroffen

Von einem Stoß so mächtig und so schwer,

Daß nichts von Schild und Harnisch war zu hoffen:

Als wär' es Rinde, fuhr hindurch der Speer

Und legte noch die weiße Schulter offen.

Verwundet schwankt der Ritter hin und her

Und sinkt zuletzt auf Gras und Blumen nieder,

Das Antlitz bleich, doch Waffen rot und Glieder.


77.

Voll Kühnheit kommt Herr Richardet geritten,

Und eine große Lanze legt er ein

Und zeigt: er streitet, wie er hat gestritten,

Und würdig ist er, Paladin zu sein.

Er wär' auch zum Beweise jetzt geschritten,

Wenn gleiche Wage wäre bei den zwein;

Doch mußt' er einen Sturz vom Pferd erdulden:

Darunter lag er, ohne sein Verschulden.


78.

Weil nun kein Ritter sonst mehr ist vorhanden,

Dem Heiden noch zu stehen im Turnier,

Glaubt er die Dame schon in seinen Banden,

Und nach der Quelle geht er hin zu ihr

Und spricht: »Da keine Kämpen mehr sich fanden

Für Euch, mein Fräulein, so gehört Ihr mir.

Nicht widersprechen könnt Ihr, nicht Euch wahren;

So wird nach Kriegesrecht mit Euch verfahren.«


79.

Marfisa sprach darauf mit stolzem Heben

Des Haupts: »Du irrst, dein Wort gar wenig paßt.

Wohl wäre, was du sagst, dir zuzugeben;

Von deiner Hand würd' ich nach Recht erfaßt,

Wäre mein Herr bei denen, die du eben

Besiegt hier auf den Grund geworfen hast.

Doch mir gehör' ich: wer mich will gewinnen,

Muß mit mir selbst zuvor den Strauß beginnen.
[351]

80.

Ich schwinge Schild und Speer im Kampfesreigen

Und fällte manchen schon als Kriegerin;

Ein gutes Roß und Waffen sind mir eigen.

Gebt sie mir her!« rief sie zum Knappen hin,

Zog ab das Kleid, im Wamse sich zu zeigen;

Ein wohlgebauter Leib erschien darin:

Sie glich dem Mars, vom Antlitz abgesehen;

Man meinte: Ja, so muß der Kriegsgott gehen.


81.

Sie stand gerüstet, ließ das Schwert sich bringen,

Bestieg mit leichtem Schwung das Roß sodann,

Macht es sich bäumen, hier- und dorthin springen

Und trieb's zu raschem Lauf drei-, viermal an,

Nun trutzig auf den Heiden einzudringen,

Die Lanze fällend, und der Kampf begann.

Penthesilea sah man sich bewegen

Gegen Achill so, den Thessalierdegen.


82.

Die Speere brachen bis zum Griff und flogen

Wie Glas zersplitternd fort bei solchem Stoß;

Doch keinen Finger breit darum sich bogen,

Die also aufeinander stürmten los.

Um zu erproben, ob ihr wohl gewogen

Bei näherem Gefechte sei das Los

Und gegen diesen Heiden Sieg bescherte,

So griff Marfisa jetzt zum scharfen Schwerte.


83.

Als er sie noch im Sattel sah sich halten,

Auf Erd' und Himmel flucht der grimme Mohr.

Sie glaubte gleichfalls ihm den Schild zu spalten,

Und Zorn und Grimm loht auch in ihr empor.

Im Hauen beide große Kraft entfalten

Und nehmen ein gewaltig Hämmern vor.

Daß sie gefeite Rüstung beide hatten,

Kam ihnen heute wie noch nie zustatten.
[352]

84.

So gut ist Ring und Schiene: niemals litte

Die Wehr Verlust durch Speer und Schwerterschlag,

Wenn auch das Paar in wildem Kampfe stritte

Hier diesen und den ganzen nächsten Tag.

Doch Rodomont wirft sich in ihre Mitte;

Er mahnt den Gegner jetzt an den Vertrag

Und spricht: »Schaffst du dir einen Streit zu Händen,

So laß, den wir begannen, erst uns enden!


85.

Wir sind, du weißt, durch den Vertrag gebunden,

Zu helfen unsrer Heere Feldpanier,

Und dürfen, eh die Feinde überwunden,

In andrer Schlacht nicht kämpfen noch Turnier.«

Drauf zu Marfisa, höflich und verbunden

Gewendet, zeigt er jenen Boten ihr,

Der auf Befehl des Königs Meldung machte

Und das Geheiß sich einzustellen brachte,


86.

Und bittet, abzulassen doch vom Streite,

Wenn nicht, zu warten, bis die Pflicht getan;

Auch gebe sie sich jetzt in sein Geleite

Zum Nutzen für den Sprossen des Trojan.

Dann werde mit noch höhrem Flug ins Weite

Ihr Heldenruhm sich schwingen himmelan,

Statt daß sie, so geringer Ursach' wegen,

Sich großem Plane hindernd stell' entgegen.


87.

Marfisa, die ja Karls, des Kaisers, Scharen

Erproben wollte längst mit Schwert und Speer

(Denn um zu prüfen, war sie ausgefahren

Von solcher Ferne bis nach Frankreich her,

Ob wohlverdient, ob nicht, gefeiert waren

Die großen Namen all im Christenheer),

Ist gleich bereit, zu Agramantes Nutzen,

Weil er bedrängt ist, Kaiser Karl zu trutzen.
[353]

88.

Hinter Hippalka war indes in Eile

Roger der Höh' auf steilem Pfad genaht:

Er sieht, zum Platz gelangt, daß mittlerweile

Der Mohr verschwunden ist auf andrem Pfad,

Und wendet in der Meinung, jener weile

Nicht fern, bereits am Brunnen sich gerad

Des Weges fort, den Spuren nachzugehen,

Die deutlich auf dem Boden noch zu sehen.


89.

Daß bald die Maid nach Montalban gelange

(Ein Tag war's bis dahin), schickt er sie fort;

Es wär' ein Umweg, dauerte zu lange,

Nähm' er sie mit zu jener Quelle dort.

Und daß er den Frontin zurückerlange,

Des sorge nicht die Herrin, mahnt sein Wort.

Erfahren solle sie's zu Haus geschwinde.

Wenn nicht, am Ort, wo sie sich grad befinde.


90.

Er gibt den Brief, der in der Brust geblieben

Seit Agrismont, geschrieben in der Nacht;

Bestellt durch sie viel Grüße seiner Lieben;

Ihn zu entschuld'gen sei sie wohlbedacht.

Hippalka hat sich's hinters Ohr geschrieben:

Sie schied und trabte fort mit aller Macht,

Worauf sie rastlos sich als Botin rührte,

Bis sie der Abend nach dem Schlosse führte.


91.

Und Roger folgt von jener Wegesstelle

Den Spuren des gewalt'gen Sarazen;

Holt ihn nicht ein, doch hat er nah der Quelle

Mit Mandrikard zuletzt ihn reiten sehn.

Sie kamen überein, auf alle Fälle

Von Feindlichkeit so lang noch abzustehn,

Bis sich das Lager könn' ins Freie wagen,

Drein Karl jetzt sinnt die Zähne einzuschlagen.
[354]

92.

Roger hat schnell sein Roß und, aus der Lage

Der Dinge, auch den Reitersmann erkannt.

Er fordert stolz, daß der sich mit ihm schlage,

Über den Speer bereits nach vorn gewandt.

Der Mohr tut mehr als Hiob an dem Tage,

Denn seinen mächt'gen Stolz hält er gebannt

Und weigert sich, mit Roger jetzt zu streiten,

Den er doch eifrig suchte lange Zeiten.


93.

Der erste Tag ist dies und auch der letzte,

Daß Algiers Fürst es ablehnt, zuzuhaun;

Er möchte, daß man seinen Herrn entsetzte;

Geboten deucht's ihn, den befreit zu schaun:

War' Roger wie ein Hase, den er hetzte

Und schon als schneller Pardel hielt in Klaun,

Er würde sich den Augenblick versagen,

Der nötig ist, um einen Hieb zu schlagen.


94.

Auch wußt' er ja – das mögt Ihr nicht vergessen –

's ist Roger, der zu kämpfen hier begehrt,

Der Held, mit dem kein andrer sich kann messen,

Wer immer sonst mit Ruhme führt das Schwert;

Den er doch aufzufinden war versessen,

Zu prüfen, was in Wahrheit wohl sein Wert.

Und dennoch darf sich Kampfeslust nicht regen! –

So sehr ist er besorgt des Königs wegen.


95.

Dreihundert, tausend Meilen wär' er 'gangen,

In andrem Fall, um eine solche Schlacht;

Doch, wollt' Achilles ihn zum Streit verlangen,

Er hätt' es auch nicht anders heut gemacht;

So hielt er seine Kampfeswut gefangen,

Gedämpft in Asche und zur Ruh' gebracht.

Er nannte Roger seiner Weigrung Gründe

Und bat ihn, daß er ihnen sich verbünde.
[355]

96.

Dann tu' er eine Tat, die nur zu loben

Sei an dem Ritter, der dem Herrn getreu;

Wenn einmal die Belagrung aufgehoben,

Könnten den Zwist sie enden ohne Scheu.

Sprach Roger: »Gern wird von mir aufgeschoben

Hier dieser Kampf, bis Agramant aufs neu

Vor Kaiser Karl kann frei die Stirn erheben,

Allein vorher sollst du Frontin mir geben.


97.

Soll ich den Nachweis, wie du's schlecht getrieben

Und nicht gehandelt hast als Rittersmann,

Da du das Pferd nahmst – soll ich das verschieben,

Bis wir am Hof des Königs langen an,

So laß Frontin: gib ihn in mein Belieben!

Sonst wähne nicht, daß etwas fruchten kann,

Mich zu bewegen, daß ich Kampf vermeide

Oder auch nur ein Stündlein Aufschub leide.«


98.

Wie Roger also drängt, zum Kampf zu schreiten

Oder ihm auszuliefern den Frontin,

Und der das Tier nicht geben will noch streiten

Und in die Länge sucht das Ding zu ziehn,

Erhoben Händel sich von andern Seiten,

Drin Mandrikard mit neuem Zwist erschien:

Er sah, Herr Roger führ' im Schild als Zeichen

Den Vogel, der da herrscht in luft'gen Reichen.


99.

Dies war das Wappen einst auf Trojas Fahnen:

Ein weißer Aar auf himmelblauem Feld.

Den starken Hektor zählte zu den Ahnen,

Den ruhmesreichen, Roger ja der Held.

Allein Herr Mandrikard kann das nicht ahnen

Und will nicht leiden und für Schimpf es hält,

Daß Hektors weißen Aar im Schild zu tragen,

Noch außer ihm ein andrer sollte wagen.
[356]

100.

Den Vogel führt er selbst im Schilde drinnen,

Der Ganymed fort in die Lüfte trug,

Er wußt' als Siegespreis ihn zu gewinnen,

Als er in jener Schreckensburg sich schlug.

(Ihr werdet auf den Fall Euch wohl besinnen

Und wie die Fee auf ihn dort übertrug

Den Schild mit all den andern schönen Waffen,

Von Gott Vulkan für Hektor einst geschaffen.)


101.

Schon einmal lagen früher sich in Haaren

Roger und Mandrikard aus gleichem Grund.

Was damals zwischen beide war gefahren,

Erzähl' ich nicht; denn allen ist es kund.

Nie mehr seitdem – bis auf den Tag hin – waren

Sie sich begegnet: als der Fürst jetzund

Das Zeichen hat auf Rogers Schild gesehen,

Schreit er ihm drohend zu: »Du sollst mir stehen!


102.

Du wagst, Verwegner, meinen Schild zu tragen!

Und ich verwies es dir vor langer Zeit.

Narr, meinst du denn, ich werd' es stets vertragen,

Weil ich zur Rücksicht einmal war bereit?

Wenn Drohn und Warnen so bei dir versagen

Und nichts von dieser Tollheit dich befreit,

Will ich dir zeigen, daß es besser wäre,

Du hättest gleich getan, was ich begehre.«


103.

Wie trocken Holz, geheizt an Feuersgluten,

Plötzlich, bei leisem Windhauch schon, entglimmt,

So flammt's in Roger auf, dem hochgemuten,

Beim ersten Wort, das er von dem vernimmt:

»Feigheit, so scheint's, willst du in mir vermuten«,

Sprach er, »weil der auch gegen mich ergrimmt.

Doch dir zu zeigen will ich mich befleißen:

Ich kann euch beiden Roß und Schild entreißen.
[357]

104.

Wir sind schon früher aneinand geraten

Aus diesem Grund und vor nicht langer Zeit.

Doch dich zu töten, konnt' ich dort entraten,

Du trugst kein Schwert ja damals an der Seit'.

Ein Wink war es zuvor, jetzt gilt es Taten;

Der weiße Vogel, glaub's, wird dir zum Leid,

Das alte Zeichen unseres Geschlechtes:

Du hast dir's angemaßt, ich führ' mit Recht es.«


105.

»Du maßt dir's an,« rief Mandrikard dagegen,

»Mein ist das Wappenschild!« und zog das Schwert,

Mit dem noch jüngst, eh er's auf Waldeswegen

In Tollheit fortwarf, Roland war bewehrt.

Roger, der Rittersinn zeigt allerwegen

Und rücksichtsvoll auch mit dem Feind verfährt,

Sieht in des Gegners Faust das Schlachtschwert blinken

Und läßt drum selber auch die Lanze sinken,


106.

Zückt Balisarda, fester galt es fassen

Den guten Schild, den er am Arme hält:

Da kommt der Mohr, der Zwist will ihm nicht passen;

Zu ihm hat auch Marfisa sich gesellt.

Nun fleht das Paar, vom Kampfe abzulassen,

Wobei es jedem in die Zügel fällt.

Und Rodomonte klagt, zweimal gebrochen

Habe der andre, was er doch versprochen.


107.

Erst hab' er, um Marfisa zu erlangen,

Mit Schwertesstreichen viele Zeit verbracht;

Dann lass' er Agramant in Nöten hangen,

Auf Rogers Wappen ganz allein bedacht:

»So mög' erst unser Streit zu End' gelangen,«

Sprach er, »hast du des Königsworts nicht acht:

Geziemender ja wär' es und gescheiter,

Als daß du Händel anfängst immer weiter.
[358]

108.

Es war Bedingung ja, uns zu vertragen;

Nur unter dieser gönnten wir uns Frist.

Hab' ich den Kampf mit dir zu End' geschlagen,

Mit jenem um das Pferd zu rechten ist;

Du magst ihn dann ob deines Schilds befragen

Und fechten, wenn du noch am Leben bist.

Doch dergestalt denk' ich's mit dir zu treiben,

Daß Roger nicht viel mehr soll übrigbleiben.«


109.

»So geht es doch wohl nicht, magst du's auch denken,«

Zu Rodomont sprach jener mit Verdruß.

»Ich habe vor, dir's tüchtig einzutränken,

Und schwitzen lass' ich dich von Kopf zu Fuß.

Mir bleibt genug, um weiter auszuschenken;

Denn niemals fehlt's an Wasser meinem Fluß,

Und Roger soll's, und tausend andre, finden,

Wer immer sonst mit mir wagt anzubinden.«


110.

Der arge Wirrwarr wächst von allen Seiten,

Zornige Worte schnellen hin und her:

Beiden zu stehn, und zwar zu gleichen Zeiten,

Ist jetzt des wilden Mandrikard Begehr.

Roger sucht nicht Vertrag mehr, sondern Streiten,

Beschimpfung duldet er ja nimmermehr.

Marfisa will besänftigen die Grimmen –

Unmöglich ist es ihr, sie umzustimmen.


111.

Der Bauer, wenn der Fluß durch hohe Dämme

Sickernd die Bahn sich sucht, die ihm gefällt,

Bemüht sich, daß die Flut nicht überschwemme

Die grünen Wiesen und das Weizenfeld:

Er stopft und wehrt und steckt doch in der Klemme;

Denn sorgt er hier, daß gut die Brustwehr hält,

So sieht er's dort durch lockre Stellen fließen,

In viele Bäche spritzend sich ergießen.
[359]

112.

Also, derweil mit zornigem Gemüte

Die drei hier tobten außer Rand und Band

Und jeder zu beweisen sich bemühte,

Daß er an Mut und Kraft am höchsten stand,

Wirkte Marfisa mahnend dem Gewüte

Entgegen; doch umsonst – die Zeit verschwand;

Denn scheint ihr's bei dem einen zu gelingen,

Sogleich zwei neue aufeinanderspringen.


113.

Sie zu besänft'gen, spricht sie: »Wollt ermessen

Den Rat, den ich euch gebe; habt wohl acht:

Beschloßt ihr nicht, den Hader zu vergessen,

Bis Agramant sei aus der Not gebracht?

Sonst muß auch ich mit Mandrikard mich messen,

Wenn jeder nur auf seinen Fall bedacht,

Und zu erproben will ich gleich beginnen,

Ob er mit Waffenkraft mich mag gewinnen.


114.

Doch gilt es, helfend Agramant zur Seiten

Zu stehen, – nun, so legt die Waffen fort!«

Sprach Roger: »Wohl, gern will ich vorwärts reiten,

Gibt Rodomont mir meinen Renner dort.

Das soll er tun! Wo nicht, so soll er streiten!

Statt vielen Redens hört dies eine Wort:

Tot bleib' ich hier, sollt' es dem andern glücken,

Oder ich reit' auf meines Pferdes Rücken.«


115.

Sprach Rodomont: »Das eine zu erhalten,

Wird nicht so leicht wie jenes zweite sein.«

Und weiter sagt er: »Sollt' es sich gestalten

Zum Schaden unsres Herrn, die Schuld ist dein.

Was mich betrifft, so lass' ich mich nicht halten

Zu tun, was Pflicht ist, diese lädt mich ein.«

Ein Vorwurf war's, den Roger wenig hörte;

Das Schwert riß aus der Scheide der Empörte.
[360]

116.

Vorstürzt er, wie ein Eber kommt gelaufen,

Und teilt mit Schild und Schulter Püffe aus

Und drängt und wirft den Mohr fast übern Haufen:

Er wankt; ein Fuß glitt aus dem Steg heraus.

Und Mandrikard schreit: »Roger, laß das Raufen!

Wenn nicht, beginn zuvor mit mir den Strauß!«

Und falsch und grausam mehr als je, ergrimmt er,

Und Rogers Helm zu seinem Ziele nimmt er.


117.

Tief neigt sich Roger auf des Pferdes Mähne,

Daß er nicht gleich sich wieder heben kann.

Denn mächtig hauend drängt der Sarazene,

Der Sohn des Ulien, auf ihn heran.

Zerspellt hätt' er das Haupt bis auf die Zähne,

Wär' Demant nicht der Stahl durch Zauberbann.

Betäubung hält Herrn Rogers Hand gebunden,

Hat ihm den Zaum, zugleich das Schwert entwunden.


118.

Der Renner führt ihn fort in solcher Lage;

Zurück bleibt Balisard, die Wehre gut.

Marfisa, ihm gesellt an diesem Tage

Als Kampfgenossin, brennt in lichter Glut,

Daß er allein sich mit den beiden schlage;

Und weil sie tapfer ist und hochgemut,

So wendet sie sich Mandrikard entgegen

Und schwingt mit höchster Wucht auf ihn den Degen.


119.

Fast hat der Mohr nun Roger in den Fängen:

Noch einen Hieb, und ihm gehört das Pferd.

Doch siehe, Richardet und Vivian sprengen

In seinen Weg, und gegen ihn gekehrt

Weiß einer ihn von Roger abzudrängen

Mit großer Kraft; der andre hat sein Schwert –

Es ist Vivian – zu Roger hingenommen,

Der zur Besinnung mittlerweil gekommen.
[361]

120.

Als Roger sich der Ohnmacht nun entwunden

Und Vivians Degen fühlt in seiner Hand,

Zur Rache hat er schnell den Weg gefunden

Und Algiers König schleunig angerannt,

Gleich einem Löwen, der nicht Schmerz empfunden,

Als er sich auf des Stieres Horn befand:

So treiben ihn und hetzen, spornen, stechen

Unmut und Zorn und Ingrimm, sich zu rächen.


121.

Aufs Haupt des Mohren schmettert Rogers Wehre,

Und wenn ihm seine eigne Balisard

Nicht zu Beginn entrissen worden wäre,

Wie ich's erzählte, auf Verräterart,

So glaub' ich nicht, der Helm, der starke, schwere,

Hätte dem Rodomont den Kopf bewahrt;

Der Helm, den Babels König einst ließ schlagen,

Um mit den Sternen oben Kampf zu wagen.


122.

Die Zwietracht, überzeugt, hier könn' es enden

Nicht anders als mit Streit und Zänkerei,

So daß in Zukunft nimmer Eingang fänden

Fried' und Versöhnung, sagt zum Stolz dabei,

Daß zu den Mönchlein sich nach Haus zu wenden

In aller Ruh' die Zeit gekommen sei.

Wir lassen diese ziehn und bleiben stehen,

Wo wir den Hieb aufs Mohrenhaupt gesehen.


123.

Und solche Kraft war diesem Hiebe eigen,

Daß auf dem Kreuz des Renners Helm und Schild,

Die Haut des Drachen sich gespalten zeigen,

Die da den Rücken schützt dem Heiden wild:

Drei-, viermal schwankt er hin und her, zu neigen

Begann er sich herab auf das Gefild'.

Auch würd' ihm dieser Streich das Schwert entwinden,

Hätt' er versäumt, es an die Hand zu binden.
[362]

124.

Indes muß Mandrikard gewaltig schwitzen

An Brust und Stirne durch Marfisas Streich':

Er seinerseits läßt auch nichts auf sich sitzen;

Doch beider Rüstung ist so wunderreich,

In keiner Weis' an einem Punkt zu ritzen,

Daß sie einander ganz vollkommen gleich.

Doch weil ihr Roß geschwenkt hat im Gefechte,

Bedarf nunmehr Marfisa Rogers Rechte.


125.

Das Pferd glitt durch ein allzu kurzes Drehen

Auf Wiesengrund, der feucht war überall,

Beim Wenden aus: so könnt' es denn geschehen,

Daß er nach rechts hin gänzlich kam zu Fall.

Als er bemüht ist, eilig aufzustehen,

Rennt Güldenzaum die Quer' mit scharfem Prall:

Unritterlich spornt ihn der Heide weidlich;

So war ein neuer Fall denn unvermeidlich.


126.

Als Roger sah des Fräuleins üble Lage,

Nicht säumig war er mit dem Beistand, traun!

Das ging jetzt an: betäubt vom schweren Schlage,

Irrt ja der andre ferne durch die Aun.

Er trifft den Helm; auch würde ohne Frage

Der Kopf gleichwie ein Krautstrunk abgehaun,

Wenn Roger mit der Balisarda schlüge,

Oder der König andern Stahlhelm trüge.


127.

Der Herr von Algier, der indes erwachte,

Kehrt um: da hat er Richardet erkannt

Und überlegt, wie der sich lästig machte,

Als er zur Seite Rogers helfend stand.

Als er es ihm zu lohnen jetzt gedachte –

Er hatte schon das Roß auf ihn gewandt –,

Da kam dazwischen Malegis gefahren,

Durch Zauber seinen Vetter zu bewahren.
[363]

128.

Denn Zauberkünste wußt' er anzuwenden,

Wie sie der beste Magier nur versteht,

War ihm zur Zeit auch nicht das Buch zu Händen,

Mit dem durch ihn die Sonne stille steht.

Doch durch Beschwörung Geister auszusenden,

Die Formel grad noch durch den Kopf ihm geht:

Rasch läßt er einen in den Zelter dringen

Der Doralis, das Pferd in Wut zu bringen.


129.

Der fromme Gaul, darauf zu reiten pflegte

Das Töchterlein des Königs Stordilan,

Barg einen Minos-Engel. Dieser regte

Sich nach dem Spruch des Bruders von Vivian:

Er, der nur dann, gehorsam, sich bewegte,

Wenn ihm die Hand am Zügel wies die Bahn,

Muß unversehens in die Lüfte schnellen,

Acht Ellen hoch und weit an fünfzehn Ellen.


130.

Ging's hoch hinauf bei diesen Springereien,

Blieb ungefährdet doch die Reiterin:

Man hört sie in der Luft gewaltig schreien,

Sie wähnt dem Tod sich nah in ihrem Sinn.

Als ob die Teufel hinterm Gaule seien,

Jagt er nach jenem Sprung mit ihr dahin

(Die laut nach Hilfe ruft zum Steinerweichen),

So eilig, daß kein Pfeil ihn kann erreichen.


131.

Rasch hat vom Kampf sich Rodomont erhoben,

Als er die Stimmen hört von ungefähr,

Und hinter jenes tollen Gaules Toben,

Zu seiner Dame Hilfe, jagt er her.

Auch Mandrikard hat nicht die Reis' verschoben;

Marfisa, Roger schadet er nicht mehr.

Ohne zuvor sich Frieden zu erbitten,

Ist er den beiden andern nachgeritten.
[364]

132.

Aufsteht Marfisa nun, vor Ärger brennend;

Und Ingrimm und Verdruß verzehrt sie schier:

Fern sieht sie schon den Feind, von dannen rennend;

Nah schien die Rache, man entriß sie ihr.

Und Roger, diesen Kampfesschluß erkennend,

Seufzt nicht, er brüllt gleich einem Löwentier.

Frontin und Güldenzaum, man weiß es, werden

Nicht eingeholt von ihren schwächern Pferden.


133.

Der eine, Roger, will vom Kampf nicht weichen,

Bis er von Rodomont erlangt sein Pferd;

Sie will mit Mandrikard sich nicht vergleichen,

Bis sie erprobt ihn hat, wie sie's begehrt.

Zu dulden, daß sie nicht ihr Ziel erreichen,

Wär' ihrer, deucht es ihnen, wenig wert.

Und sie beschließen beide, sonder Weilen

Zusammen den Beleid'gern nachzueilen.


134.

Die sind im Mohrenlager wohl zu sehen

(Wird man nicht früher beider noch gewahr),

Dem eingeschloßnen König beizustehen,

Bevor ihn Karl vernichte ganz und gar:

Dorthin muß man geraden Weges gehen;

Man trifft sie da gewiß, so meint das Paar.

Nur, ohne mit den Freunden erst zu sprechen,

Gedachte Roger doch nicht aufzubrechen.


135.

Zu ihm, den seine Dame Bruder nannte,

Herrn Richardet (der stand gerad beiseit),

Ging er: als seinen wahren Freund bekannte

Er sich für gute und für schlechte Zeit.

Und Grüße an die liebe Schwester sandte

Er durch ihn ab, fein und voll Artigkeit,

Und so geschickt ist er dabei verfahren,

Daß all die andern ohne Argwohn waren.
[365]

136.

Er sagt Valet Herrn Aldiger, dem wunden,

Vivian und seinem Bruder Malegis,

Die alle sich als Schuldner ihm bekunden:

Sie würden ihm zu Dienst sein ganz gewiß.

Marfisa war schon ohne Gruß verschwunden;

So trieb ihr mutig Herz sie nach Paris.

Doch geht Vivian, und Malegis desgleichen,

So weit, daß Grüße sie von fern erreichen;


137.

Auch Richardet; es konnte nicht erscheinen

Herr Aldiger, der ja verwundet war.

Den Weg zur Seine nahmen schon die einen,

Den beiden folgte nun das zweite Paar.

Im nächsten Sange zeigt sich, sollt' ich meinen,

Was – übermenschlich, Herr, und wunderbar –

Die beiden Paare, die den Weg hier machten,

Zum Schaden Karls und seines Heers vollbrachten.

Quelle:
Ariosto, Ludovico: Der rasende Roland. In: Sämtliche poetischen Werke, Berlin 1922, Band 2, S. 331-366.
Lizenz:
Ausgewählte Ausgaben von
Der rasende Roland
Die Historia vom Rasenden Roland
Ludovico Ariosts Rasender Roland nacherzählt von Italo Calvino

Buchempfehlung

Klopstock, Friedrich Gottlieb

Hermanns Schlacht. Ein Bardiet für die Schaubühne

Hermanns Schlacht. Ein Bardiet für die Schaubühne

Von einem Felsgipfel im Teutoburger Wald im Jahre 9 n.Chr. beobachten Barden die entscheidende Schlacht, in der Arminius der Cheruskerfürst das römische Heer vernichtet. Klopstock schrieb dieses - für ihn bezeichnende - vaterländische Weihespiel in den Jahren 1766 und 1767 in Kopenhagen, wo ihm der dänische König eine Pension gewährt hatte.

76 Seiten, 5.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Sturm und Drang II. Sechs weitere Erzählungen

Geschichten aus dem Sturm und Drang II. Sechs weitere Erzählungen

Zwischen 1765 und 1785 geht ein Ruck durch die deutsche Literatur. Sehr junge Autoren lehnen sich auf gegen den belehrenden Charakter der - die damalige Geisteskultur beherrschenden - Aufklärung. Mit Fantasie und Gemütskraft stürmen und drängen sie gegen die Moralvorstellungen des Feudalsystems, setzen Gefühl vor Verstand und fordern die Selbstständigkeit des Originalgenies. Für den zweiten Band hat Michael Holzinger sechs weitere bewegende Erzählungen des Sturm und Drang ausgewählt.

424 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon