Siebenunddreissigster Gesang

[156] 1.

Wenn so, wie andre Dinge zu erjagen,

Die niemals ohne Fleiß Natur verleiht,

Die wackern Frauen Tag und Nacht sich plagen

Mit höchster Sorgfalt, langer Emsigkeit,

Manchen Erfolg dann auch davonzutragen

Durch Werke, hochgepriesen weit und breit, –

Sie doch sich widmen wollten jenen Dingen,

Die ew'gen Ruhm der ird'schen Tugend bringen!


2.

Sie sollten selbst durch Niederschreiben zeigen,

Wie es bestellt ist mit der Frauen Wert,

Statt Bettelns bei Autoren, denen eigen

Mißgunst und Neid ist, der das Herz verzehrt,

So daß sie, was da Gutes ist, verschweigen,

Derweilen Böses alle Welt erfährt, –

Hoch in die Lüfte stiegen ihre Namen,

Wie Männerruhm und Glanz noch niemals kamen.


3.

Nicht nur bemüht, einander hochzurecken,

Als rühmlich hinzustellen vor der Welt

Gehn viele darauf aus, nur aufzudecken,

Was bei den Frauen mißlich ist bestellt.

Sie dulden's nicht, sucht eine sich zu strecken,

Und sorgen gleich, daß sie zu Boden fällt:

Die Alten, mein' ich, – just als könnt' es ihnen

Zur Ehre – wie der Sonne Nebel – dienen.
[157]

4.

Doch ob man's sagen mag, ob niederschreiben,

Nie gab, nie gibt es Zunge oder Hand

(Wie sehr sie auch, was schlecht ist, übertreiben

Und das verkleinern, was sich gut erfand),

Die Frauenruhm kann tilgen; immer bleiben

Wird noch ein Teil davon – und der hält stand.

Freilich, daß Ruhm gelange bis zum Ziele

Oder nur nah, – gibt's nicht Exempel viele.


5.

Tomyris nicht, Harpalyce daneben,

Nicht, die für Turnus, – Hektor, schwang die Wehr;

Die Sidons Schar, in Libyen zu leben,

Und Tyrervolk fortführte weit durchs Meer;

Zenobia, sie, vor der Assyrien beben

Mußte, der Perser und der Inder Heer: –

Nicht diese nur (und manche noch mit ihnen)

Den Waffenruhm für ew'ge Zeit verdienen.


6.

Auch treue, keusche, weise, starke waren

Nicht bei den Römern und den Griechen nur,

Nein, überall, wo mit den goldnen Haaren

Die Sonne niedersteigt zur Erdenflur;

Ohn' Ehr' und Ruhm sind sie dahingefahren:

Von Tausenden vielleicht blieb eine Spur.

Gekommen sind sie all um ihre Rechte

Durch neiderfüllte Schreiber, arge, schlechte.


7.

Doch wanket nicht, o Fraun, von euren Wegen,

Die ihr das Gute wirket froh und frei;

Dem hohen Werke steh' nicht Furcht entgegen,

Daß rechter Ruhm euch vorenthalten sei.

Ist Gutes selbst dem Zeitenlauf erlegen,

So geht – bedenkt es! – Böses auch vorbei.

Tint' und Papier war nicht auf euren Seiten

Bis jetzt, allein – es ändern sich die Zeiten.
[158]

8.

Wißt, daß zu euch Marull, Pontanus stehen,

Zwei Strozzi, Sohn und Vater, lang zuvor;

Bembo, Capell; er, den wir selber sehen,

Führt er des echten Höflings Bild uns vor; –

Dann Alamann, mit dem zwei andre gehen,

Geliebt von Mars und von der Musen Chor,

Aus jenes Landes Herrscherblut entsprossen,

Durch das, versumpft, der Menzo kommt geflossen.


9.

Den einen, der euch schon aus eignem Drange

Stets hochzuehren und zu preisen sann

Und Cynthus und Parnaß erfüllt mit Klange

(Sein Loblied auf die Fraun steigt himmelan), –

Gibt jene Lieb' und Treue (die nicht bange

Drohung mit Tod und Unheil machen kann),

Wie Isabella stets sie pflegt zu zeigen,

Euch ganz und gar – mehr als sich selbst – zu eigen.


10.

Er trachtet nur, wie er den Ruhm euch mehre,

Und huldigt euch in muntern Liederlein.

Und schilt euch einer, greift er gleich zur Wehre;

Kein andrer Ritter schlägt so hurtig drein;

Kein andrer setzt für Tugend und für Ehre

So freudig allezeit sein Leben ein.

Stoff beut er, daß ein andrer drüber schreibe,

Und schreibt, damit der Ruhm von andern bleibe.


11.

Gar wohl verdient er, daß solch herrlich Wesen,

An allem Mute reich und Trefflichkeit,

Die je in Frauenkleid zu schaun gewesen,

Von Treue nie wich einen Finger breit

(Als eine Säule wahrlich, auserlesen),

Mißachtend, was das Schicksal bring' an Leid:

Daß beid' einander wert sind, allen klar ist,

Weil auf dem Erdenrund kein beßres Paar ist.
[159]

12.

Wenn ihm Trophä'n am Oglio sich erheben,

Läßt er bei Feuer, Schiffen, Kriegsgespann

Und Stahl manch wohlbeschriebnes Blatt entschweben,

Daß Neid der Nachbarfluß verspüren kann.

Ein Ercol Bentivoglio daneben

Stimmt euch zu Ehren helle Lieder an;

Trivulz, wie mein Guidett, gesellt sich diesen,

Und Molza, den Apoll euch zugewiesen.


13.

Von Carnutum der Herzog hebt die Schwingen,

Sohn meines Herzogs; wie ein Schwan zu sehn,

Steigt er empor, von eurem Ruhm zu singen,

Läßt eure Namen hoch zum Himmel gehn.

Del Vast will – durch sich selbst – nicht Stoff nur bringen

Für manch ein neues Rom und neu Athen

Mit Taten; nein, die Feder in den Händen

Sorgt er, daß eure Namen niemals enden.


14.

Und außer diesen allen, die euch gaben

Und jetzt noch immer geben Ruhm und Ehr',

Könnt ihr ja beides durch euch selber haben:

Denn viele ließen Nadel schon und Scher',

Um mit den Musen sich am Quell zu laben

Der Aganippe, und nach Wiederkehr,

Da boten sie uns auserlesne Werke:

Wir brauchen eure, ihr nicht unsre Stärke.


15.

Wollt' ich, wer diese sind, genau erzählen,

Und brächt' ich jeder meines Lobes Zoll,

Kein ander Lied käm' heut aus meiner Kehlen,

Und schreiben müßt' ich manchen Bogen voll.

Und dächt' ich fünf bis sechs nur auszuwählen,

Erregt' ich leicht der andern Haß und Groll.

Was tu ich nun? Nenn' ich am Ende keine?

Wähl' ich von all den vielen mir nur eine?
[160]

16.

Nur eine! ja! es muß vor ihr sich neigen,

Als überwunden, auch der Neid fürwahr.

So zürnt mir keine, wenn ich dann mit Schweigen

Vorüberlasse aller andern Schar.

Nicht sie nur macht unsterblich ja der Reigen

Von süßen Liedern hehr und wunderbar:

Von wem sie spricht und schreibt, den – reißt vom Grabe

Zu neuem Leben ihres Sanges Gabe.


17.

Sol gibt der weisen Schwester hellres Scheinen,

Hat sie mit größerm Lichterschmuck geehrt

Als Venus, Maja, was an groß' und kleinen

Gestirnen oben steht und kreisend fährt:

So hat er größre Süße dieser einen,

Die ich genannt, und höhre Kunst beschert;

Lieh ihren Worten Kraft zu unsrer Wonne:

Nun schmückt den Himmel eine neue Sonne.


18.

Viktoria heißt sie; und, dem Sieg entsprossen,

Sah sie, daß alles ihr zum Sieg gedieh.

Und von Viktorien ist sie stets umschlossen

Und von Trophän; der Sieg verläßt sie nie.

Lob hat auf Artemisia sich ergossen

Ob ihrer Treu' zu Mausolus; doch sie

Tat mehr: den Gatten aus dem Grabe heben

Ist herrlicher als ihm Bestattung geben.


19.

Laodamia, Porzia hört man preisen,

Evadne, Arria, – die Zahl ist groß

Der Fraun, die, ihre Liebe zu beweisen,

Zu teilen gingen toter Männer Los;

Viktorias Lob klingt in noch höhern Weisen:

Sie riß den Gatten fort aus Lethes Schoß

Und aus den neunfach dichtgeschlungnen schwarzen

Gewässern trotz dem Tod und trotz den Parzen.
[161]

20.

Neid zollte Alexander dem Peliden

(Denn ein Homer gab seinem Namen Glanz),

Wie würd' er, wär' ihm Leben noch beschieden,

Pescara, dich beneiden, großer Franz!

Dir schlingt ein keusches, teures Weib hienieden

Dein Ruhmlied singend ew'ger Ehren Kranz!

Viktoria läßt deinen Namen tönen:

Drommeten können nicht so hell erdröhnen.


21.

Wenn ich hier alles, das ich möchte, schriebe

Und meldete, was noch zu sagen wär',

Ich käme nicht zu Ende; immer bliebe

Ein großer Teil noch zu berichten mehr,

Und unvollendet säh' ich demzuliebe

Marfisas und der andern schöne Mär,

Die ich versprach, wer weiter meinem Helden

Noch folge, hier in diesem Sang zu melden.


22.

Ihr seid gekommen, und Ihr lauscht mir wieder. –

Weil nun ein Mann Versprochnes nicht vergißt,

Schreib' ich bei größrer Muße, hoff' ich, nieder,

Wie sehr sie höchsten Lobes würdig ist:

Zwar, sie bedarf nicht etwa meiner Lieder,

Macht deren viele selbst zu jeder Frist –

Nein, eigner Wunsch nur treibt mich, ein Begehren,

Sie hoch zu preisen, und sie zu verehren.


23.

Kurz, viele hat vor euch die Welt gesehen,

Ihr Fraun, des Lobes wert, zu jeder Zeit;

Doch mit dem Tode mußtet ihr vergehen

Als Unbekannte durch der Schreiber Neid.

Das wird nun künftighin nicht mehr geschehen,

Weil ihr der Herold eures Wertes seid.

Gedächten des die zwei, wie sie es müßten,

Wär's sicher, daß wir mehr von ihnen wüßten;
[162]

24.

Marfis und Bradamante, will ich sagen:

Die kühnen Taten, die durch sie geschehn,

Bemüh' ich mich ans helle Licht zu tragen;

Allein es fehlen neun mir wohl von zehn.

Das, was ich weiß, will ich zu künden wagen,

Denn alles Schöne soll die Sonne sehn;

Doch tu ich's auch, weil ich ja euch vor allen,

Die ich verehr' und liebe, will gefallen.


25.

Zum Abschied ging's; ich hab' euch schon gesungen,

Wie er vorm Gehen jenen sich empfahl.

Er hatte auch das Schwert dem Baum entrungen,

Der nicht, wie früher, weigerte den Stahl;

Da ist ein Klaglaut an sein Ohr gedrungen,

Der aus der Nähe kam; hinab ins Tal

Wandt' er sich eilig mit den beiden Frauen,

Um, ob man helfen könnte, nachzuschauen.


26.

Sie dringen vor, und deutlicher ertönen

Die Klagen: man versteht bald jedes Wort.

Im Tal wird ihnen Anblick von drei Schönen,

Die sind in wunderbarem Aufzug dort:

Es nahm ein Unhold, um sie zu verhöhnen,

Die Kleider ihnen bis zum Nabel fort.

Sie sitzen, weil sie bessern Schutz nicht wissen,

Am Boden, der Verhüllung so beflissen.


27.

Wie jener Sohn Vulkans, dem einst das Leben

Ward, ohne Mutter, durch den Staub verliehn

(Pallas hatt' an Aglauros ihn gegeben,

Die allzu Wißbegier'ge, zum Erziehn),

Die Füße auf den Wagen pflog zu heben,

Von ihm ersonnen und gemacht für ihn,

So suchten die drei Schönen voller Schrecken

Die Heimlichkeiten sitzend zu bedecken.
[163]

28.

Beim greulich-unerhörten Schauspiel brannte

Die Farb' im Antlitz beider edlen Fraun,

Wie man sie dort in Pästums Gärten kannte,

Wenn Rosen standen auf den Frühlingsaun.

Und alsobald sah deutlich Bradamante:

Ullania war bei jenen drei zu schaun,

Ullania, die vom fernen Inselstrande

Als Botin war geschickt zum Frankenlande.


29.

Über die andern war sie auch im klaren:

Wo jene erste, sah sie auch die zwei;

Des Wortes Vorzug galt es ihr zu wahren,

Der sie die höchste Ehre gab der drei.

Sie fragte, welch ein Ausbund der Barbaren

So bar des Anstands und der Sitte sei,

Daß Heimlichkeiten er dem Blick entdecke,

Die doch nach Kräften stets Natur verstecke.


30.

Nach Sprach' und Wappen mußte die sich sagen,

Daß jene starke Kriegrin vor ihr stand,

Die bei dem Kampfe dort vor wenig Tagen

Warf die drei Nordlandsfürsten in den Sand.

Sie sagt, ein Rüpelhauf, hierher verschlagen,

Zu einer nahen Burg die Wege fand:

Der ließ sie Schläg' und Ungemach erleiden

Und ihre Kleider so zum Hohn zerschneiden.


31.

Sie weiß nicht, was aus jenem Schild geworden,

Was aus den Königen, die durch die Welt

Ihr folgten als Geleit vom hohen Norden:

Ob sie Gefangenschaft, ob Tod sie hält.

Sie kam, beim Kaiser gegen jene Horden

(Wie sehr ihr das Zufußgehn auch mißfällt)

Zu klagen, auf dem Weg an diese Stelle;

Von Karl erhofft sie Sühn' auf alle Fälle.
[164]

32.

Der Anblick trübte Roger und den Damen

(So kühn wie stets zu guter Tat bereit)

Noch mehr als was sie mit dem Ohr vernahmen,

Die heitern Züge: bei so schwerem Leid

Vergessend, daß sie selbst um andres kamen,

Vergönnen sie ihr nicht zur Bitte Zeit,

Daß Rache für die Schmach die Frevler finde

Und nach dem Ort hin sprengen sie geschwinde.


33.

Einmütig hatten gütevoll die beiden

Zuvor die Oberröcke losgemacht;

Die Blöße der drei Armen zu bekleiden,

Erschien genügend auch die neue Tracht.

Nicht gehen darf die Botin (nimmer leiden

Will's Bradamant) den Weg, den sie gemacht:

Sie muß auf Bradamantes Renner steigen;

Auch den zwei andern wird ein Sitz zu eigen.


34.

Ullania zeigt, wie man zum Schloß gerade

Komm' auf dem allernächsten Weg heran,

Und hört sich trösten durch des Fräuleins Gnade,

Die Rache sollen fühlen Mann für Mann.

Vom Tal auf langem und gewundnem Pfade

Steigen sie hoch, bald rechts, bald links, hinan:

Erst, als die Sonne tief im Meer verborgen,

Will diese Schar für Rast am Wege sorgen.


35.

Auf eines Hügels steilem Rande oben

Ein kleines Dörfchen ausgebreitet lag:

Sie fanden Unterkunft und Kost zu loben,

Wie man's an solchem Ort nur wünschen mag,

Und hielten Umschau rings und sahen droben

Allüberall nur Fraun in Dorf und Hag,

Junge wie alte, doch von Männern keinen,

Nicht einen einzigen, im Dorf erscheinen.
[165]

36.

Nicht Jason und die andern Argonauten,

Bei Lemnos landend an dem Uferbord,

Mit solchem Staunen auf die Weiber schauten,

Die ihre Männer töteten durch Mord

Und auch die Söhn' und Väter, die ergrauten,

So daß es nicht zwei Männer gab am Ort. –

Wie Roger staunte und die mit ihm kamen,

Als sie zur Dämmerzeit da Herberg' nahmen.


37.

Am Abend gaben die zwei Kriegerinnen

Drei Röcke (zwar von Stoff nicht allzufein,

Doch ganz) Ullania und den Dienerinnen.

Herr Roger rief sodann zu sich herein

Eine der Frauen aus dem Dorfe drinnen,

Sie zu befragen, wo die Männer sei'n,

Die nicht zu sehen waren in den Straßen,

Und Antwort gab das Weib ihm diesermaßen:


38.

»Was Euch mag zur Verwunderung gereichen,

Daß hier kein Mann ist bei den Fraun im Land,

Das ist für uns ein Leiden ohnegleichen:

Wir leben hier vereinsamt und verbannt.

Und weil die Not den Gipfel soll erreichen,

Sind Gatten, Söhn' und Väter miteinand,

Die teuren, ach, auf lange uns entrissen;

Der Wütrich ist zu quälen uns beflissen.


39.

Fern seinem Land (es ist nur wenig Stunden

Von hier, war unser aller Heimatstatt)

Hält der Barbar uns an dies Dorf gebunden,

Nachdem er uns gekränkt, geschlagen hat,

Und droht den Gatten Qual und Todeswunden

Und uns dazu, der blut'ge Nimmersatt,

Hört er, daß je hierher die Männer kämen

Und wir sie zu uns in die Häuser nähmen.
[166]

40.

Keine von uns darf sich zu nahn getrauen;

So sehr ist ihm der Name Weib verhaßt.

Als bring' ihm Krankheit der Geruch von Frauen

Und allem, was da weiblich, scheint es fast.

Die Bäume ließen zweimal kahl sich schauen

Und wiederum belaubt im Frühlingsglast,

Seit also schlimm der Herr, der böse, wütet,

Und keinen Menschen gibt es, der's verhütet.


41.

Das Volk ist so voll Angst vor ihm und Bangen,

Es fürchtet ihn noch ärger als den Tod.

Bei ihm vereinigt sich dem Wutverlangen

Kraft, wie sie keinem noch stand zu Gebot.

Er bringt mit seinem Leib, dem riesenlangen,

Allen, und wären's über hundert, Not.

Nicht nur wir Heimischen sind so geschlagen:

Die fremden Frauen läßt er mehr noch plagen.


42.

Nehmt ihr die Ehre und, die euch begleiten,

Dort die drei Fraun, jetzund in rechte Hut,

So sucht euch einen andern Weg beizeiten

(Kehrt um! Nur das ist nützlich hier und gut).

Auf diesem würdet ihr zum Schlosse reiten

Und dort erfahren, was der Unhold tut,

Um Herrn und Damen, die auf diesen Pfaden

Sich nahen, Schimpf zu bringen, Schmach und Schaden.


43.

Der böse Marganor (denn also nennen

Wir jenes Schlosses Herren, den Tyrann) –

Nero und, wen wir sonst als grausam kennen,

War kein so arger, kein so schlechter Mann –,

Nach Menschen-, Frauenblut pflegt er zu brennen,

Wie es ein Wolf nach Lämmerblute kann.

Mit Schande läßt er alle Fraun verjagen,

Hat sie ein Unstern nach dem Schloß verschlagen.«
[167]

44.

Warum in ihn denn solche Wut gefahren,

Vernähmen nun die Gäste gern, und wann:

Sie baten jene Frau, doch fortzufahren,

Vielmehr zu sprechen, recht von Anfang an. –

»Wildheit und Grausamkeit war im Barbaren

Wohl immerdar,« das gute Weib begann.

»Doch weil er eine Zeitlang dies versteckte,

Kam's, daß man seine Bosheit nicht entdeckte.


45.

Als seine beiden Söhne noch am Leben,

Verschieden von dem Vater ganz und gar

(Den Fremden hold, der Gastlichkeit ergeben

Und fern von rohem Frevel war das Paar),

Da boten feine Sitten, edles Streben

Und wackres Tun und Höflichkeit sich dar.

Hatte den Vater auch der Geiz am Kragen,

Stört' er doch nicht den Söhnen ihr Behagen.


46.

Wenn Damen oder Ritter hier erschienen,

War trefflich der Willkomm der Brüder dort:

Die Gäste zeigten sich entzückt von ihnen,

Nur widerstrebend zog man weiter fort.

Sie weihten sich, der Ritterschaft zu dienen,

Zusammen heil'ger Pflicht am gleichen Ort,

Der Tanaker geheißen, der Xylander:

Mutig und frisch, sie waren wert einander.


47.

Geblieben wären sie auch wohl der Ehren

Und guten Rufs und jeden Lobes wert,

Wenn sie zur Beute nicht gefallen wären

Dem, was als Liebe wird so sehr begehrt.

Die weiß die guten Pfade zu verwehren

Und hat sie rasch dem Irrtum zugekehrt.

Was jemals Wackres taten beide Recken,

Besudelt blieb es plötzlich und voll Flecken.
[168]

48.

Ein Ritter kommt vom Griechenhof gezogen,

Und einer Dame gibt er das Geleit,

Vornehm von Wesen, artig, fein erzogen,

Schön, wie man keine findet weit und breit.

Ins Herz Xylanders schnellt der Pfeil vom Bogen:

Er meint, wird sie nicht sein, stirbt er vor Leid.

Und als sie Abschied dann von ihm genommen,

Von Sinnen wär' er fast vor Schmerz gekommen.


49.

Und weil er sah, nicht fruchten würden Bitten,

So wollt' er sie gewinnen mit Gewalt:

Unweit vom Schloß, wo sie vorüberritten,

Bewaffnet lauert er im Hinterhalt,

Gewohnter Mut und Liebesfeuer litten

Nicht Überlegung lang, und als er bald

Den Ritter nahen sah auf jenen Wegen,

Zum Angriff, Speer auf Speer, sprengt' er entgegen.


50.

Und Sieg und Dame hofft er zu erringen,

Wenn bei dem ersten Stoß der Gegner fällt;

Doch der – ein Meister war's in Waffendingen –

Hat ihm den Harnisch so wie Glas zerspellt.

Der Vater hört's, läßt eine Bahre bringen:

Auf ihr kommt in die Burg der junge Held.

Der Alte sieht ihn tot, birgt ihn mit Jammer

Neben den Ahnen in der Grabeskammer.


51.

Doch blieb noch Fremden Obdach zugestanden;

Man ließ sie willig in die Burg hinein,

Wo sie den Tanaker so höflich fanden

Wie einst den Bruder, ritterlich und fein.

Im gleichen Jahre kehrt aus fernen Landen

Mit seinem Weib im Schloß ein Freiherr ein,

Er auserlesen kühn und stark in Waffen,

Sie hold und lieblich, wie zur Lust geschaffen.
[169]

52.

Und nicht nur schön, von Edelsinn durchdrungen,

In jeder Hinsicht allen Lobes wert;

Der Ritter, aus erlauchtem Stamm entsprungen,

Im Kampf wie irgendeiner nur bewährt.

So ist es recht: wenn höchstes Gut errungen

Wird von Verdienst und wohlgeführtem Schwert.

Olind, so hieß der Herr, von Lungavilla,

Und seine Dame war genannt Drusilla.


53.

Wie einst der Bruder für Drusilla glühte,

Ist Tanaker für diese jetzt entbrannt,

Die erst ihm das Begehren ins Geblüte

Und dann ein bittres Ende hat gesandt.

Auf heil'gen Gastrechts Bruch war sein Gemüte

Mit Grübeln und mit Sinnen hingewandt,

Damit er nicht ein schmerzenvolles Ende

Durch dies gewalt'ge neue Sehnen fände.


54.

Allein des Bruders Los gibt ihm zu denken:

Dem hat sich der Versuch in Tod gekehrt!

Drum sucht er die Beraubung so zu lenken,

Daß nicht Gefahr droht, wenn sich jener wehrt.

So mußte Flut des Unrechts ganz ertränken

– Und nicht bloß schwächen – seinen frühern Wert,

Der Halt ihm bot, daß nicht des Lasters Wogen

Ihn wie den Vater nach der Tiefe zogen.


55.

In nächt'gem Schweigen ließ er mit sich reiten

Der Knappen zweimal zehn nach einem Wald,

Und fern vom Schloß durch Höhlen sich verbreiten,

Die unterwegs es gab, zum Hinterhalt.

So fand Olind am Tag von allen Seiten

Versperrt jedweden Ausgang mit Gewalt.

Und ob er lang sich wehrte wild und bitter,

Leben und Weib verlor der edle Ritter.
[170]

56.

Der Jüngling führt' die Dame fort gefangen:

Verzweifelt ist sie und vor Schmerz wie toll:

Zu sterben ist ihr einziges Verlangen;

Sie fleht, man töte sie erbarmungsvoll.

Ein Sprung von Felsen, die sie überhangen

Sieht nach dem Tal, den Tod ihr bringen soll;

Sie kann nicht sterben, doch, das Haupt zerbrochen,

Liegt sie am Boden mit zermalmten Knochen.


57.

Auf einer Bahre nur, der Wunden wegen,

Bringt Tanaker die Dame in sein Haus.

Mit aller Sorgfalt läßt er dort sie pflegen:

So teure Beute gibt er nicht heraus.

Er müht sich, sie zu heilen und zu hegen,

Und rüstet sich derweil zum Hochzeitschmaus;

Denn solcher keuschen, solcher schönen Dame

Gebührt der Gattin, nicht der Freundin Name.


58.

Er kann nichts andres denken, andres sinnen –

Er kümmert sich um nichts als ihre Huld.

Vorwürfe macht er sich im Herzen drinnen,

Und gutzumachen sucht er seine Schuld:

Umsonst –, je größer, heißer sein Beginnen,

Durch Liebe zu versöhnen und Geduld,

Je mehr verfolgt sie ihn mit Haß und Grolle

Und ist entschlossen, daß er sterben solle.


59.

Doch läßt sie sich vom Hasse nicht verblenden;

Sie sieht im stillen dieses deutlich ein:

Solle geplante Rache sich vollenden,

Des Heuchelns müsse sie beflissen sein,

Und List und Falschheit gelt' es anzuwenden:

Sei auch sein Untergang ihr Wunsch allein,

So müsse sie sich doch ihm huldvoll neigen

Und alte Liebe als vergessen zeigen.
[171]

60.

Das Antlitz heuchelt Frieden, aber Hassen

Und Rache kennt das Herz nur auf der Welt.

Viel überlegt sie, manches dann zu lassen;

Wählt dies, indem sie das in Zweifel stellt.

Das Ziel, so glaubt sie schließlich, kann sie fassen,

Stirbt sie mit ihm, – der Plan den Sieg behält:

Den Teuren rächend so dahinzugehen –

Wann könnte sie beglückters Ende sehen?


61.

So läßt sie denn fortan sich fröhlich schauen,

Voll Sehnsucht nach der Hochzeit und bereit

(Nie mehr scheint ihr vor dieser jetzt zu grauen),

Als finde sie noch allzulang die Zeit.

Sie schminkt und schmückt sich mehr als andre Frauen;

Olind, so scheint's, ist in Vergessenheit;

Doch so, wie sie zu Hause Hochzeit halten

Im Vaterland, soll sich das Fest gestalten.


62.

Daß wirklich solche Bräuche dort bestanden,

Entsprach der rechten Wahrheit freilich nicht;

Doch da sich keine andern Wege fanden

Und all ihr Sinn stand auf das Ziel gericht't,

War Hoffnung in der Lüge nur vorhanden;

Sonst gab es für den Mörder kein Gericht.

Der Heimat Sitten wolle sie bewahren,

Sprach sie, und legte dar, was diese waren.


63.

Die Witwe, die sich neuen Gatten wähle,

Komm' ihrem Bräutigam nicht früher nah,

Bis daß durch Messen erst versöhnt die Seele

Des Toten (dem ja Kränkung doch geschah),

Damit nicht Nachlaß frührer Sünden fehle,

Im Tempel selbst, der die Gebeine sah.

Nachdem die Opferung zu Ende ginge,

Dann komm' erst der Verlobte mit dem Ringe.
[172]

64.

Ein schickliches Gebet des Priesters schließe

Sich an, zu segnen den gebrachten Wein:

Er müsse, daß man würdig den genieße,

Mit frommen Sprüchen ihn beständig weihn;

Den heil'gen Trank für die Verlobten gieße

Er ganz zuletzt in einen Becher ein.

Sache der Braut sei's, diesen Wein zu geben,

Und auch, zuerst ihn an den Mund zu heben.


65.

Der Jüngling sieht nicht ein, warum die Sache

Geschehen soll, gerad in der Gestalt.

Doch spricht er: ›Sei's! Daß man ein Ende mache!

Dann sind wir beide doch zusammen bald!‹

Der Ärmste weiß nicht, daß nur wilde Rache

Für den Erschlagnen steht im Hinterhalt:

Er ist so ganz auf eines nur versessen;

Er kann nichts andres denken und ermessen.


66.

Drusilla hatt' in ihrem Fraungeleite

Ein altes Weib, das ihr geblieben war.

Vorsichtig rief sie die, nahm sie zur Seite

Und sagt' ihr (niemand ward's im Haus gewahr):

›Eins deiner raschen Gifte mir bereite,

Wie du's verstehst; reich mir's verschlossen dar!

Ich fand ein Mittel und gebrauch' es später,

Den Schurken zu verderben, den Verräter.


67.

Wie ich mein Leben rette dann und deines,

Erfährst du, wenn wir minder sind in Hast.‹

Die Alte geht und richtet her ein feines,

Tödliches Gift und bringt es zum Palast:

In eine Flasche süßen Zypernweines

Ward von Drusilla jener Trank gefaßt

Und aufbewahrt bis zu der Hochzeit Stunden,

Denn alle Schwierigkeit war nun geschwunden.
[173]

68.

Am Hochzeitstag, in reichen Brautkleids Prangen,

Juwelgeschmückt, trat sie im Tempel ein,

Man hatte für Olind auf ihr Verlangen

Errichtet auf zwei Säulen dort den Schrein.

Das Hochamt ward gefeiert, Priester sangen,

Es drängten sich der Fraun und Männer Reihn.

Den Marganor, der Freunde Schar zuseiten,

Sah man vergnügt mit seinem Sohne schreiten.


69.

Sobald die Totenfeier dann zu Ende

Und auch der Wein mitsamt dem Gift geweiht,

So gibt der Priester in Drusillas Hände

Den Becher, wie bestimmt war für die Zeit.

Sie trinkt so viel, als man geziemend fände

Und als erforderlich für Wirksamkeit,

Und reicht dem Gatten lächelnd hin die Schale:

Der leert sie auf den Grund mit einem Male,


70.

Gibt sie dann weg; – Drusilla zu umfangen,

Kommt er nun zärtlich lächelnd auf sie zu.

Da war die holde Sanftmut ganz vergangen

Und alle milde Süßigkeit im Nu.

Aus ihren Augen Feuergluten sprangen;

Sie stieß ihn fort und schrie: ›Verräter du!‹

Sie rief es zum Entsetzen, wie von Sinnen:

›Hinweg, Verräter, hebe dich von hinnen!


71.

Dir sollt' ich Wonne, Freud' und Lust gewähren,

Derweil du mich der Qual, den Tränen weihst?

Mit eigner Hand wollt' ich dir Tod bescheren,

Und Gift war dieser Trank, wenn du's nicht weißt!

Dein Henker, lass' ich dir zu viel der Ehren;

Mich schmerzt, daß leichter Tod hinab dich reißt:

Nicht Hände gibt es, Martern so abscheulich,

Wie dein Verbrechen furchtbar ist und greulich.
[174]

72.

Mich kränkt's, daß ich nicht so das Opfer bringen,

Wie ich gewünscht, mit diesem Tode kann:

Fand mein Gedanke völliges Gelingen,

Ganz anders, ohne Mängel wär' es dann.

Mein Gatte lasse Nachsicht mich erringen,

Der teure; nur mein Wollen schau' er an.

Unmöglich war, worauf mein Sinn gerichtet:

So hab' ich, wie ich's konnte, dich vernichtet.


73.

Was dir an Qual nicht konnte hier geschehen,

Wie ich es gern mir hätte vorgestellt,

Wird deine Seel' – ich hoff's mit anzusehen –

Erleiden drüben in der andern Welt.‹

Sie sprach's, und dunkelnd schon, doch heiter gehen

Aufwärts die Blicke nach dem Himmelszelt:

›Olind, das Opfer wolle mir verstatten,

Das treugewillt die Gattin bringt dem Gatten!


74.

Erbitte dort für mich des Herren Gnade,

Daß ich im Paradiese sei mit dir!

Und geht man nicht verdienstlos jene Pfade,

So sag' ihm dies: Verdienst bring' ich mit mir.

Als Siegesbeute auf die Schultern lade

Ich für den Tempel dort dies Scheusal hier.

Von Pestilenz die Erde zu befreien –

Kennst du Verdienste wohl, die größer seien?‹ –


75.

Zugleich war Sprach' und Leben ihr geschwunden;

Im Tod noch fröhlich schien ihr Angesicht,

Daß Strafe habe noch zuletzt gefunden

Des Gatten grauser Mord durch ihr Gericht.

Ob früher – später sich dem Leib entwunden

Der Geist des Tanaker, ich weiß es nicht.

Vor jener, glaub' ich, ist er hingesunken,

Denn von dem Gifte hatt' er mehr getrunken.
[175]

76.

Als Marganor ihn stürzen sah zur Erde,

In seinem Arme leiden Todespein,

Da meint' er, daß es ihn auch töten werde,

So unversehens brach der Schlag herein.

Zwei Söhne hatt' er bei sich einst am Herde! –

Durch zweier Frauen Schuld ist er allein.

Der erste mußt' um einer willen enden;

Die gab dem zweiten Tod mit eignen Händen.


77.

Schmerz, Liebe, Mitleid, Grimm und Wut erfüllen

Den Vater, Durst nach Mord und Rachelohn:

Er brüllt, wie sturmgepeitschte Wogen brüllen,

Die auf dem wilden Meer Verderben drohn.

Er stürzt herbei und sieht, daß aus den Hüllen

Des Leibs Drusillas Seele schon entflohn.

Er schlägt im tollen Haß, der ihn umwindet,

Ein auf den Körper, der nichts mehr empfindet.


78.

So wie die Schlang' umsonst die Lanzenspitze,

Die sie am Boden hält, mit Zähnen beißt,

Der Hund sich müht, wie er den Kiesel ritze,

Den ihm der Wandrer hinwarf – zerrt und reißt

Und stets vergebens schnappt in Zorneshitze,

Weil ihm die Wut verkehrte Wege weist –

So am entseelten Leib im grimmen Drange

Rast er viel wilder noch als Hund und Schlange.


79.

Doch weil ihm das Zerfleischen und Zerhauen

Den Blutdurst und die Wut nicht stillen kann,

So stürzt er auf die dichtgescharten Frauen,

Sieht nicht erst eine nach der andern an;

Nein, wie beim Mähn der Bauer ist zu schauen,

So kommt er mit dem grimmen Schwert heran:

Da ist kein Schutz, und wie die Hiebe fliegen,

Sind dreißig tot, verwundet hundert liegen.
[176]

80.

Keiner der Männer hat das Haupt erhoben,

Weil allesamt ihn fürchten, jung und alt.

Die Frauen mit dem Volke sind zerstoben:

Wer aus der Kirch' herauskam, macht' nicht halt.

Gehemmt wird endlich das verrückte Toben

Durch Bitten und durch freundliche Gewalt,

Bis sie zum Schloß hinauf den Wütrich bringen,

Derweil von unten Klag' und Wehruf klingen.


81.

Allein verjagt wollt' er sie alle sehen,

Weil er sich immer noch in Zorn befand,

Nachdem des Volkes und der Freunde Flehen

Dem Mord der Weiber doch im Wege stand.

So ließ er selben Tags Befehl ergehen,

Die Frauen sollten weichen aus dem Land,

Und hier des Dorfes Grenze soll uns binden:

Weh ihr, die man beim Schlosse werde finden!


82.

Die Gattin muß sich von dem Gatten scheiden,

Die Mutter ist getrennt vom lieben Sohn:

Und wohl bedacht sei, Spähervolk zu meiden,

Wer doch sich herwagt, dem Verbot zum Hohn!

Gar mancher mußte schlimme Strafen leiden,

Getötet hat der Unmensch viele schon,

Der sich im Schloß dort ein Gesetz gemacht hat,

Das greulichste, das noch die Welt erdacht hat.


83.

Wird jemals in den Talesgrund verschlagen,

Was manchmal doch geschehn kann, eine Frau,

Mit Ruten wird ihr Rücken wundgeschlagen

Und fortgetrieben wird sie aus dem Gau;

Doch kürzt man erst ihr Kleid, und offen tragen

Muß sie, was Anstand doch verbirgt, zur Schau.

Wenn aber eine herkommt, die umgeben

Von Reitern ist, verliert sie gleich das Leben.
[177]

84.

Denn fängt er eine von den so Gebrachten,

Führt sie der Frevler schnöd, erbarmungslos

Zur Gruft der Söhne hin, um sie zu schlachten:

Als Opfer da zu sterben ist ihr Los.

Und Pferd und Waffen nimmt er, die sie brachten,

Und das Geleit umfängt der Kerkerschoß.

Weil mehr als tausend Mannen ihn umringen,

Bei Tag und Nacht, kann er es auch vollbringen.


85.

Entläßt er einen – dies vernehmt noch weiter! –

So leistet erst den feierlichen Schwur,

Und auf die heil'ge Hostie zwar, der Reiter,

Daß er fortan die Frauen hasse nur.

Erscheint Euch, zu verderben, nun gescheiter,

Euch und die Damen hier, so sucht die Flur

Des Bösewichts nur auf, um zu erfahren,

Wie groß die Kraft und Bosheit des Barbaren!«


86.

Sie sprach's, und gleich (von Mitleid erst bewogen,

Von großem Zorn und von Empörung dann)

Wären die Damen nach dem Schloß gezogen;

Doch weil die Nacht schon ihren Schleier spann,

So ruhten sie. Als früh am Himmelsbogen

Eos den Sternen kundzutun begann,

Daß jetzt das Dunkel von der Sonne scheide,

Sitzt alles auf dem Pferd im Eisenkleide.


87.

Wie sie gerad zum Aufbruch sich bereiten,

Tönt Hufschlag hinten: alle blicken auf

Und schauen forschend um nach allen Seiten

Und spähn hinunter nach des Tales Lauf;

Da sehen sie, auf etwa Steinwurfweiten

Den engen Pfad hin trabt ein Reiterhauf.

Wohl zwanzig sind es, alle stahlumschlossen,

Ein Teil davon zu Fuß, ein Teil auf Rossen.
[178]

88.

Auf einem Pferde führten diese Wichte

Ein Weib (und viele Jahre schien sie alt);

So schleppt man arme Sünder zum Gerichte,

Zum Block, zum Strick, zum Feuer mit Gewalt.

Ob fern, war sie doch kenntlich am Gesichte

Und auch an Kleidern deutlich und Gestalt.

Es sei die Alte von den Dienerinnen

Drusillas, sagen die vom Dorfe drinnen,


89.

Die Kammerfrau, die, wie Ihr wißt, gefangen

Blieb mit der Herrin in des Räubers Macht,

Von der Drusilla dann das Gift empfangen,

Das alles Unglück und den Tod gebracht.

Sie war nicht nach der Kirche mitgegangen,

Denn ob der Folgen hegte sie Verdacht,

Vielmehr zu einem Ort geflohn am Morgen,

Wo sie geschützt sich wähnte und geborgen.


90.

Als Späher drauf dem Marganor erzählen,

Sie habe sich nach Österreich gewandt,

Da sann er, zum Verbrennen oder Pfählen

Sie zu bekommen: und weil offne Hand

Und Lohnverheißung Wirkung nicht verfehlen,

Hieß ein Baron, ein Geizhals, dessen Land

Das Weiblein aufgesucht, die Alte fassen

Und sie für Geld Marganor überlassen.


91.

Er ließ sie bis nach Konstanz hingelangen

Auf einem Maultier, wie man Waren führt;

Geknebelt, daß die Sprach' ihr war vergangen,

Und wohl in eine Kiste festgeschnürt.

Dort ward sie von des Mannes Schar empfangen,

Den nimmer weiches Mitleid noch gerührt;

Worauf man sie zu jenem Unhold brachte,

Der seine Wut an ihr zu kühlen dachte.
[179]

92.

So wie vom Visoberg des Stromes Wellen

Dem, wie er weiter nach dem Meere drängt,

Lambro, Ticin und Adda sich gesellen,

Von denen allen er Tribut empfängt,

Nur immer mächtiger und stolzer schwellen,

Wird Rogers Brust von Grimm stets mehr beengt,

Je mehr er hört; so wachsen Zornesgluten

Der beiden Mädchen auch, der hochgemuten.


93.

Erfüllt von Hasse gegen den Barbaren,

Und weil der Frevel immer größer schien,

Beschlossen sie, trotz seiner vielen Scharen,

Den Wüterich zur Rechenschaft zu ziehn,

Wobei sie über eines einig waren:

Ein rascher Tod sei allzu mild für ihn,

Gerechter würd' es sein, wenn er sein Ende

Langsam und unter vielen Qualen fände!


94.

Zuerst doch gilt es, helfen jener Alten,

Bevor die Knechte mit dem Tod ihr nahn.

Ein scharfes Spornen, schlaffes Zügelhalten

Macht flinken Rennern kurz die lange Bahn.

So starken, herben Ansturm auszuhalten,

Erscheint das Wächtervolk nicht angetan.

Sie lassen Schild, Frau, Rüstung, alle Sachen,

Froh, unbeschwert sich auf die Flucht zu machen.


95.

Der Wolf, der eine Beute hat gefunden

Und sich, der Höhle nah, schon sicher glaubt

Und dann den Jäger sieht mit seinen Hunden

Und des erhofften Weges wird beraubt:

Der wirft die Last fort, ist mit eins verschwunden,

Zum Wald hinein, wo der recht dicht belaubt: –

So rühren die zu rascher Flucht die Glieder,

So stürzen die zum Angriff auf sie nieder.
[180]

96.

Sie lassen nicht das Weib nur und die Waffen,

Nein, lassen auch zurück gar manches Pferd

Und suchen, wo da Schlucht und Höhle klaffen,

Weil solcher Grund ja der Verfolgung wehrt.

Des freun sich Roger und die Fraun: sie raffen

Drei Hengste auf, die hier der Feind beschert,

Und lassen jene drei im Sattel sitzen

(Sie machten gestern die drei Rosse schwitzen).


97.

Man wendet nun sich eilig nach der Seite,

Wo jene Burg liegt, der verruchte Ort.

Sie wollen, daß die Alte sie geleite

Und sehe: Rache naht Drusilla dort.

Sie suchte, Böses fürchtend, gern das Weite

Und heult und schreit und sträubt sich fort und fort.

Frontin, der Hengst, muß mit Gewalt sie tragen;

Dann läßt ihn Roger wacker vorwärts jagen.


98.

Sie kamen eine Höh' hinaufgeritten,

Sahn, daß im Tal ein reicher Flecken stand;

Nach allen Seiten wehrte nichts den Schritten,

Denn weder Graben gab's noch Mauerwand.

Ein Felsen ragte aus der Häuser Mitten,

Darauf ein hoher Burgbau sich befand.

Die Rächer nahten dieser Felsenklause,

Weil klar war, daß der Wüterich zu Hause.


99.

Kaum waren sie im Flecken drin erschienen,

Als rasch die Wache dort, ein Knechtetroß,

Des Eingangs Schranke sperrte hinter ihnen,

Worauf ein andrer Ausgang auch sich schloß.

Der Herrscher kommt mit Mannen, die ihm dienen,

In Waffen allesamt, zu Fuß, zu Roß,

Und meldet ihnen kurz mit stolzem Worte,

Welch schlimme Satzung gelt' an diesem Orte.
[181]

100.

Marfisa hatte schon mit Bradamante

Und Roger alles einzle wohl bedacht:

Sie gab nicht Antwort, – nach dem König wandte

Sie sich, wobei sie, auf des Armes Macht

Vertrauend, ihn nicht mit dem Speer berannte;

Sie ließ das gute Schwert auch außer acht,

Nur ihre Faust klang mächtig auf dem Helme –

Die Sinne schwanden auf dem Pferd dem Schelme.


101.

Die Heldin Frankreichs kommt zugleich gesprungen

Auf ihrem Hengst; auch Roger harrt nicht lang:

Er ist mit solcher Wucht vorangedrungen,

Gleich sechse sind gespießt beim ersten Gang;

Der durch den Bauch, ein andrer durch die Lungen,

Der durch den Hals und jener durch die Wang'.

Am fliehnden sechsten ist der Speer gebrochen;

Er ward vom Rücken bis zur Brust durchstochen.


102.

Die Haimonstochter kam, zur Erde flogen

Die Krieger, wenn berührt vom goldnen Speer:

Sie gleicht dem Blitzstrahl aus dem Himmelsbogen,

Der, was er trifft, in Stücken streut umher.

Das Volk, erschreckt, hat sich durchs Tal verzogen

Und auf den Fels; ins Haus verschließt sich der;

Der sucht zum Schutz die Kirche zu erreichen,

Und auf dem Platze bleiben nur die Leichen.


103.

Die Hände werden Marganor gebunden,

Marfisa schnürt sie auf den Rücken fest.

Als Wache wird die Alte gut befunden:

Die sieht darin – zufrieden jetzt – ein Fest!

Verbrennen soll der Ort in wenig Stunden,

Wenn sich das Volk nicht schnell bestimmen läßt,

Des Königs bös Gesetz ganz aufzuheben

Und das zu nehmen, das die Sieger geben.
[182]

104.

Es machte keine Not, dies zu erlangen:

Marfisa könne ja imstande sein

– So sagte sich das Volk in Furcht und Bangen –

Zu töten und verbrennen groß und klein.

An Marganor sah man nicht einen hangen;

Verhaßt war jene Satzung obendrein.

Doch, sie gehorchten, wie die große Masse

Meist dem gehorcht, dem sie nur folgt mit Hasse;


105.

Denn keiner traut dem andern, und zu sagen,

Was jeder heimlich denkt, da fehlt der Mut.

So läßt man den verbannen, den erschlagen,

Dem Ehre nehmen, jenem Hab und Gut.

Doch, schweigt das Herz, schickt es empor die Klagen,

Und Gott mit seinen Heil'gen straft aufs Blut:

Er macht – scheint seine Rache lang zu schlafen –

Die Säumnis gut mit ungeheuren Strafen.


106.

Der Schwarm, voll Haß und Zorn, sucht sich zu rächen

Mit übler Rede, wie mit blut'ger Tat.

Das Sprichwort sagt: ein jeder eilt zu brechen

Holz vom gefallnen Baume früh und spat;

Zu euch, ihr Herrscher, laßt das Beispiel sprechen,

Daß bösem Tun ein böses Ende naht:

Sieht man, der Untat folgen Straf' und Rache,

So ist's für groß und klein erwünschte Sache.


107.

Sie, die das Blut der Gattin sahen rinnen,

Der Tochter, Mutter, – alle kommen nun

(Man hehlt nicht mehr den Haß im Herzen drinnen),

Um ihn mit eignen Händen abzutun.

Kaum widerstehen dem die Kriegerinnen

Und Rogers starke Faust kann nimmer ruhn!

Sie wollen ja in Qual ihn sterben lassen,

In Schmerzen und in Not soll er erblassen.
[183]

108.

Wie zorn'ge Weiber nur den Gegner hassen,

So haßt den König dieser Alten Mut;

Ihr wird er nackt, gebunden, überlassen,

Kommt hier nicht frei, auch in der höchsten Wut.

Sie – Rache der Verschuldung anzupassen –

Färbt ihm den Körper rot mit seinem Blut,

Durch einen Stachel, den in ihre Hände

Ein Bauer gab zu diesem blut'gen Ende.


109.

Die Botin mit den Zofen folgt der Alten

(Niemals vergißt sie die erlittne Schmach)

Und braucht die Hände nicht am Leib zu halten:

Mit Herzenslust macht sie's der Greisin nach.

Doch nicht genug kann Rache sich entfalten;

Vorm Wünschen bleibt das Können immer schwach,

Die will ihn steinigen, und diese beißen,

Die möchte mit den Nägeln ihn zerreißen.


110.

Ein Bergstrom, dem ein überreichlich Tauen

Von Schnee und langer Regen Kraft verleiht,

Führt vom Gebirge Bäume durch die Auen,

Verheert Gefild und Ernte weit und breit;

Und friedlich wieder ist er anzuschauen

Und schwach und matt zu einer andern Zeit,

So daß ein Kind, ein Weib in voller Muße

Ihn überschreiten kann, mit trocknem Fuße –:


111.

So fühlte vor dem Wütrich jeder Beben

Ringsum, ward nur sein Nam' allein genannt:

Da ließ ihn seines Stolzes Fall erleben,

Das Horn ihm brechend, eine starke Hand.

Jetzt kann ein Kind ihm Nasenstüber geben;

Den Bart, das Haar zaust schwacher Unverstand.

Den Fels bestieg nun Roger mit den Damen,

Bis sie zur Höhe nach dem Schlosse kamen.
[184]

112.

Man gab es, ohne Schwierigkeit zu machen,

In ihre Hand, auch Waffen viel dabei.

Meist ließen sie zum Plündern dort die Sachen,

Auch zum Ersatz Ullania mancherlei.

Man fand den goldnen Schild und, die bewachen

Der Unhold ließ, die Könige, die drei,

Die – doch ich glaub', Ihr wißt das schon von ihnen –

Zu Fuße dort und waffenlos erschienen.


113.

Der Sattel ihrer Rosse sah sie nimmer,

Seit sie zu Boden streckte Bradamant;

Sie folgten waffenlos dem Fräulein immer,

Das von der fernen Insel war entsandt.

Weiß nicht: war's für sie besser oder schlimmer,

Daß keiner dort gerüstet sich befand.

Zum Schutze wären freilich besser Waffen;

Mißlingen hätte schlimmres Los geschaffen.


114.

Man hätte sie, verteidigten sie Ritter,

Wie jede mit bewaffnetem Geleit,

Vielleicht nach jener Brüder Grabesgitter

Geschleppt, die arme Frau dem Tod geweiht.

Gegen das Sterben ist doch minder bitter,

Entblößt zu werden, und doch milder weit.

Und jeder Schimpf ist kleiner, kann man sagen:

Mich zwang Gewalt, die Unbill zu ertragen.


115.

Eh sich die Kriegerinnen wegbegeben,

Schwört die Bevölkerung erst allgemein,

Fortan den Fraun das Regiment zu geben

In Haus und Land, den Frauen ganz allein.

Sei jemand frech genug, zu widerstreben,

Dann dulde der Verbrecher Straf' und Pein.

Kurz, was die Leute Männern anvertrauen,

Das fällt hier alles ins Bereich der Frauen.
[185]

116.

Sie müssen ferner sich zum Schwur bequemen:

Kein Knecht darf in den Ort, kein Rittersmann,

Und wenn in hellen Haufen solche kämen;

Zum Obdach nahe keiner sich heran,

Wenn er nicht schwört, die Pflicht zu übernehmen,

Bei Gott und Heil'gen, wie man schwören kann,

Zu hassen, wen die Frauen hassen; ihnen

Ergeben stets zu sein und treu zu dienen.


117.

Ob sie vermählt, ob nicht, zu jenen Zeiten,

Ob früh, spät, nie sie nehmen eine Frau,

Sie müssen tun, wie sie die Weiber leiten,

Und ihrem Willen folgen ganz genau.

Marfisa droht: eh sich die Blätter breiten,

Da komme sie aufs neue her zur Schau,

Und säume man, die Satzung gut zu halten,

So werde sie mit Schwert und Feuer walten.


118.

Man hob Drusillas Leib aus kot'gen Stätten,

Bevor man schied von dieses Orts Bereich,

Um mit dem Gatten ihn vereint zu betten,

In einem Grabmal möglichst schön und reich.

Dem Unhold färbt indes in seinen Ketten

Das Weib den Rücken rot mit Stich und Streich.

Klagt, daß ihr Atem und die Kräfte fehlen,

Ohn' Unterbrechung, immer ihn zu quälen.


119.

Die kühnen Fraun sehn eine Säule stehen:

Vor einem Tempel ragt sie himmelauf.

Drauf ist zu lesen, was da soll geschehen,

Nimmt die verruchte Satzung ihren Lauf.

Sie hängen nun nach Weise der Trophäen

Von Marganor dort Schild und Rüstung auf

Und schreiben das Gesetz sogleich daneben,

Das als Ersatz sie jenem Orte geben.
[186]

120.

Die Schar verweilte, bis man fertig brachte

Marfisas Inschrift für die Säule dort,

An Stelle der, die jede Frau verlachte

Und Schmach und Tod ihr drohte hier am Ort.

Nur eine, die den Rock sich wieder machte,

Die Botin, zog nicht mit den andern fort.

Erschiene sie in anderm Kleid im Lande,

An Kaisers Hof, so wär' es, meint' sie, Schande.


121.

Ullania blieb; es blieb vor allen Dingen

Bei ihr der Unhold. Daß der Bösewicht

Nicht gar am Ende löse seine Schlingen,

Aufs neue auf der Frauen Qual erpicht,

Mußt' er von hohem Turm herunterspringen;

So großen Sprung tat er sein Lebtag nicht – –

Wir lassen sie und die sie dort begleiten:

Auf Arles zu mit den andern gilt es reiten.


122.

Den ganzen Tag und bis zur Tageswende

Den nächsten noch ging's immerzu voran;

Da ziehen sich zwei Straßen durchs Gelände:

Hier geht's zum Lager, dort nach Arles hinan.

Die Liebenden umarmen sich ohn' Ende –

's ist immer bitter, fängt das Scheiden an.

Nach Arles geht Roger jetzt, die beiden Frauen

Zu Karl. – Mein Sang soll hier sein Ende schauen.

Quelle:
Ariosto, Ludovico: Der rasende Roland. In: Sämtliche poetischen Werke, Berlin 1922, Band 3, S. 156-187.
Lizenz:
Ausgewählte Ausgaben von
Der rasende Roland
Die Historia vom Rasenden Roland
Ludovico Ariosts Rasender Roland nacherzählt von Italo Calvino

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