|
[366] 1.
Entschlüsse, die dem Augenblick entspringen,
Glücken den Frauen, ob auch unbedacht;
Der Vorzug zählt zu all den guten Dingen,
Damit der Himmel sie so reich bedacht.
Den Männern wird oft guter Plan mißlingen,
Ward er mit Überlegung nicht gemacht:
Reiflich Erwägen muß das Handeln lenken;
Ein Kopfzerbrechen braucht es, lang Bedenken.
2.
Der Plan des Malegis – Ihr habt's erfahren –
Erschien ganz gut; doch war's nicht wohlgetan
(Bewahrt er gleich den Vetter vor Gefahren,
Von denen ihn bedroht die Freunde sahn),
Weil durch den Dämon fortgenommen waren
Der Mohr und jener Sohn des Agrikan.
Er ahnt nicht, daß nun hingezogen werden
Die zwei zum Christenheer, es zu gefährden.
3.
Hätt' er die Zeit gehabt zu überlegen,
So konnt' er wohl bei aller Sorglichkeit
Das Nöt'ge tun des lieben Vetters wegen,
Doch ohne Schaden für die Christenheit.
Er brauchte ja den Geist nur anzuregen,
Daß er nach Westen oder Osten weit
Die Dame mit dem Zelter so entführe,
Daß man von ihr in Frankreich nicht erführe,
[367]
4.
Ihr wären die Verliebten nachgegangen,
So wie sie nach Paris ihr gingen nach.
Doch dieser Schluß war Malegis entgangen,
Weil er nicht dachte, als das Wort er sprach.
So wußt' es Höllenbosheit anzufangen
(Die ja den Mord liebt, Blut und Brand und Schmach),
Daß sie den Weg nahm, der Herrn Karl beschwerte.
Weil ihr der Meister diesen nicht verwehrte.
5.
Vom Pferd wird Doralis dahingetragen,
Dem in dem Leibe steckt der Dämon drin,
Und Fluß und Abhang, Sumpf und Wald verschlagen
Dem Zelter nichts und seiner Reiterin;
Hindurch, wo Englands, Frankreichs Banner ragen
Und aller jener, die mit frommem Sinn
Für Christus, unsern Herrn, die Waffen nahmen,
Bis sie zum König von Granada kamen.
6.
Am ersten Tage sind ihr auf dem Rasen
Ein Stück die beiden Heiden nachgesetzt.
Sie sahen sie – recht fern – von dannen rasen,
Bis sie den Blicken ganz entschwand zuletzt.
Dann folgten sie der Spur, wie nach dem Hasen
Oder dem Rehbock man die Hunde hetzt.
Nicht eher fanden Ruh' die müden Glieder,
Bis man erfuhr, sie sei beim Vater wieder.
7.
Karl, hüte dich! Dir dräuen jetzt Gefahren
Durch Wut und Haß, und Rettung seh' ich nicht.
Unheil soll durch Gradaß dir widerfahren,
Der bald mit Sakripant ins Lager bricht.
Ins Mark zu treffen dich und deine Scharen,
Nimmt dir das Glück zugleich ein Doppellicht,
Der Klugheit und der Stärke hell Gefunkel;
Und blind bist du geblieben, ach, im Dunkel!
[368]
8.
Ich meine Roland und Rinald, die Degen:
Der schweift – in toller Raserei Gewalt –
Mit nacktem Leib bei Sonnenschein und Regen,
Bei Hitz' und Kälte hin durch Berg und Wald;
Und der, viel klüger nicht, auf fernen Wegen,
Fehlt dir, indem er durch die Fremde wallt.
Weil er sie dort nicht (in Paris) gefunden,
Sucht er Angelika, die ihm verschwunden.
9.
Ein ränkevoller alter Zaubrer machte
Ihn glauben (wie ich anfangs hab' erzählt),
Indem er ein phantastisch Trugbild brachte,
Die Schöne habe Roland auserwählt;
Und Eifersucht in seinem Herz erwachte,
Die größte, die noch Liebende gequält.
Kaum hatt' er in Paris den Hof gesehen,
So ließ ihn das Geschick nach England gehen.
10.
Er kam zurück, als in der Schlacht bezwungen
Und ihm zum Ruhm umringt war Agramant:
In jedes Kloster ist er eingedrungen
Und wo ein Haus nur, eine Burg sich fand.
Sie aufzufinden, meint man, wär' gelungen,
Blieb sie nicht eingesperrt durch Säul' und Wand.
Er fand sie nicht und konnte nichts erfragen:
Da zog es ihn, den beiden nachzujagen.
11.
Mit Roland – also dacht' er – wird sie teilen
In Anglant, Brava, Lust und Fröhlichkeit.
Er säumte nicht, nach jeder Burg zu eilen:
Auf keiner ward ihm über sie Bescheid.
Dann sah man zu Paris ihn wieder weilen,
Im Glauben, daß den Grafen mit der Zeit
Die Pflicht doch müss' in seine Hände treiben:
Denn Tadel fand bereits sein Fernebleiben.
[369]
12.
Als ihm so ein, zwei Tage hingegangen
Und Roland nicht erschien, so geht Rinald
Aufs neu nach Anglant, Kunde zu erlangen,
Nimmt auch in Brava suchend Aufenthalt,
Reitet im Dunkeln, bei des Morgens Prangen,
In Mittagsglut, am Abend rauh und kalt
Und macht bei Sonnenlicht und Mondenstrahle
Den Weg nicht einmal, nein, zweihundert Male.
13.
Der alte Feind, der Mutter Evas Streben
Nach dem verbotnen Apfel einst gewandt,
Lenkt seinen scheelen Blick auf Karl, als eben
Der Held Rinald, ihm fern, durchstreift das Land.
Der ganzen Christenheit den Rest zu geben,
Scheint ihm der rechte Augenblick gesandt:
Er hat zum Sturm der Truppen Kern erkoren,
Der auf der Welt vorhanden bei den Mohren.
14.
Den Königen Gradaß und Sakripante
(Sie fanden als Genossen sich zuletzt,
Seit Atlas' Zauberhaus sie nicht mehr bannte)
Hat er den Vorsatz in den Kopf gesetzt,
Zu helfen dem bedrängten Agramante
(Vernichtung drohen sie dem Kaiser jetzt):
Er hat sie durch das fremde Land geleitet
Und ihnen ebnen, guten Weg bereitet.
15.
Es kam ein Geist noch aus der Hölle Mitten,
Der den zwei Heiden jetzt die Pfade wies,
Wo mit dem tollen Roß davongeritten,
Vom andern Geist geleitet, Doralis.
Zuletzt entsandte Satan einen dritten,
Der Roger und Marfisa nicht verließ,
Allein, wenn er auch dieses Paar wohl führte,
Sich nicht so eifrig wie die andern rührte.
[370]
16.
Von ihm gelenkt, verwenden jene beiden
Um eine halbe Stunde mehr an Zeit:
Der schwarze Engel will es schlau vermeiden
(Weil seine Absicht sonst, der Christenheit
Zu schaden, könnte Hinderung erleiden),
Daß um das Roß entbrenne neuer Streit:
Sind Roger und der wilde Mohr zusammen,
Wird augenblicklich frischer Hader flammen.
17.
Hin, wo bereits zu sehen die Quartiere
Der drängenden und der bedrängte Schar
Und die im Winde flatternden Paniere,
Begab sich jenes erste Doppelpaar.
Beratung hielten gleich darauf die viere,
Und das Ergebnis die Entschließung war,
Beistand – trotz Karl – dem Agramant zu geben
Und die Belagerung von ihm zu heben.
18.
Sie sprengten dichtgeschlossen auf dem Wege
Zum Lagerplatz des Christenheers heran
Und künden sich als Heiden allerwege,
Ihr »Afrika und Spanien!« rufend, an.
Dort drüben ward der Ruf nach Waffen rege,
Doch ein Getümmel noch zuvor begann
Und von der Nachhut her ein arg Gedränge;
Schon gibts von Fliehnden eine große Menge.
19.
Kopfüber geht es zu – was Lärm und Schreien
Bedeuten, weiß kein Mensch – im Christenheer.
Sie denken an Gascogner Raufereien
Und Schweizer, denn dergleichen gab es mehr.
Den meisten bleibt der Grund verhüllt; – so reihen
Die einzlen Völker denn sich ringsumher:
Die Trommeln wirbeln, die Trompeten tönen,
Den Himmel macht der mächt'ge Lärm erdröhnen.
[371]
20.
Der Kaiser kommt, von seiner Schar umgeben,
Gewappnet ganz; den Kopf nur trägt er frei.
Er kommt, zu fragen, was sich denn begeben,
Warum gestört des Heeres Ordnung sei;
Hält den und jenen auf; da sieht er eben:
Dem einen schlug ein Hieb die Brust entzwei;
Der kam am Hals und der am Kopf zu Harme,
Dem fehlt die Hand, und der ist ohne Arme.
21.
Dann sah er viele – als er vorgedrungen –
Nicht auf der Erde, nein, in rotem Meer,
Vom eignen Blute schauerlich umschlungen:
Da hilft kein Arzt, kein Hexenmeister mehr;
Sah Köpfe, die von ihrem Rumpf gesprungen,
Und grausig Arm' und Beine ringsumher:
Vom ersten bis zum letzten Zelte lagen
Von seinen Kriegern viele tot, erschlagen.
22.
Da, wo das Fähnlein sich hat durchgehauen,
Für ew'ge Zeiten hellen Ruhmes wert,
In langem Streifen ist das Mal zu schauen,
Das für die Nachwelt hinterließ ihr Schwert.
Karl sieht, erstaunt, mit tiefgefurchten Brauen,
Das Blutbad, während Ingrimm ihn verzehrt,
Wie einer, dem ein Wetterstrahl durchs Haus fuhr,
Sucht, wo der Blitz hinein und wo hinaus fuhr.
23.
Noch nicht gelangt war an des Königs Wälle
Die erste Hilfe, dieses Häufchen klein,
Da – mit Marfisa – dringt an andrer Stelle
Roger, der kühne Held, ins Lager ein.
Nachdem das stolze Paar ein-, zweimal schnelle
Hat ausgeblickt, wo man zu Karl hinein,
Dem eingeschloßnen, komm' auf nächsten Wegen,
Eilt es dem Mohrenlager stracks entgegen.
[372]
24.
So wie, um eine Mine zu entzünden,
Die gier'ge Flamme plötzlich loht und beißt
(So schnell, daß kaum das Aug' es mag ergründen),
Den Weg entlang, den ihr die Furche weist,
Und Krachen, Dröhnen dann den Tod verkünden,
Die Mauer bricht, der harte Fels zerreißt –
Vernichtend so die beiden vorwärtsdrangen,
Mit ihnen ist der Tod den Weg gegangen.
25.
Sie hauen Arm' und Schultern ab in Scharen
Und spalten Köpfe rings die Läng' und Quer',
Wo da nicht flink genug die Leute waren,
Um auszuweichen, in dem Christenheer.
Wer durch ein Tal je sah den Sturmwind fahren,
Den Teil verschonend und verheerend schwer
Die andre Bergeshalde – wird verstehen:
Den Überfallnen mußt' es schlimm ergehen.
26.
Gar mancher, der vor Rodomontes Hieben
Und jener andern auf die Seite bog,
Froh, daß ihm noch ein leichtes Bein geblieben,
Ein flinker Fuß, drauf er von dannen flog,
Ward diesem Paar vom Schicksal zugetrieben
Und fand, wie sehr die Hoffnung ihn betrog;
Weil ja kein Mensch durch Bleiben oder Fliehen
Sich dem bestimmten Lose kann entziehen.
27.
Es fällt, wer der Gefahr sich hat entwunden,
In jene, und den Zoll zahlt sein Gebein.
So läuft der Fuchs mit seiner Brut den Hunden,
Wenn er zu fliehn sucht, ins Gebiß hinein,
Weil sein Versteck der Nachbar hat gefunden:
Der klopft mit tausend Schlägen hinterdrein,
Nun er ihn schlau mit Glut und Rauch gestört hat
Am Ort, der lange Zeit dem Fuchs gehört hat.
[373]
28.
Marfisa ist ins Lager eingetreten
Gesund und heil, Herrn Roger zugesellt.
Mit Jubel grüßt man sie und Dankgebeten,
Und freudig blickt das Aug' zum Himmelszelt.
Vor Karl ist niemand bang mehr und betreten;
Der Feigste trotzt jetzt Hunderten im Feld.
Sie fassen den Beschluß, nach allen Nöten
Sofort mit Blut das Kampfgefild zu röten.
29.
Trompeten, Hörner, Mohrenpauken klingen,
Füllen mit graus'gem Schall den Himmel an.
Paniere und Standarten sieht man schwingen;
Im Winde flatternd, ziehen sie heran.
Von drüben Karls, des Kaisers, Feldherrn dringen
Her mit Bretagnern und Italiens Bann;
Engländer kommen, Deutsche und Franzosen:
Ein blutig wilder Kampf beginnt zu tosen.
30.
Fürst Rodomont, der schreckliche Geselle,
Der starke Mandrikard, von Wut entbrannt,
Der edle Roger, aller Tugend Quelle,
Gradaß, rings in der Welt mit Ruhm genannt,
Marfisa kühn und, der an zweiter Stelle
Genüber keinem steht, Herr Sakripant,
Sie wüten, daß der Kaiser zieht von dannen
Und fleht zu Sankt Denis und Sankt Johannen.
31.
Wie schlimm es diese Ritter all getrieben,
Wie wild Marfisa, wunderbar und groß,
Das wird nicht leicht, o hoher Herr, beschrieben;
Sich's vorzustellen, das vermag man bloß.
Dann sagt man sich, wie viele dort geblieben
An diesem Tag, und welch gewalt'ger Stoß
Traf Kaiser Karl. Nun rechnet noch zu jenen,
Mit Ferragu, manch tapfern Sarazenen!
[374]
32.
Im Fluß ist eine Menge umgekommen,
Die Brücke reicht nicht aus für solche Schar:
Wie Ikarus zu fliegen, wär' willkommen,
Denn vorn und hinten beut der Tod sich dar.
Den Graf von Vienne und Holger ausgenommen,
Fast jeder Paladin gefangen war:
Ein Schwerthieb hat des Dänen Haupt gefunden,
Herr Oliver trägt an der Seite Wunden.
33.
Wär' aus dem Spiel auch Brandimart geschieden,
Wie das durch Roland und Rinald geschah,
Karl hätte flüchtig sein Paris gemieden,
War, nach dem Kampf, er überhaupt noch da.
Der Held vollbringt, was möglich ist hienieden,
Weicht, als er weitres ganz unmöglich sah.
So lachte heut das Glück Herrn Agramante,
Daß er Paris zum zweitenmal umspannte.
34.
Das Schrein der Witwen und beraubten Alten,
Der Weheruf verwaister Kinderlein
Vom Erdendunst zur sel'gen Höhe schallten
Bis in den Sitz Sankt Michaels hinein:
Er sieht: bald werden Wolf und Rabe schalten;
Die Christenheit wird ihre Beute sein;
Aus Frankreich, England und dem deutschen Lande
Die Krieger lagen tot ringsum im Sande.
35.
Es röten sich des sel'gen Engels Wangen,
Weil der Befehl ja nicht vollzogen war
Des Herrn, so schien's; er wähnt sich hintergangen
Von ihr, der Zwietracht falsch und wandelbar.
Zwist zu entflammen, war sie ausgegangen
Auf sein Geheiß hin zu der Heidenschar:
Das Gegenteil war nun durch sie geschehen;
An allen Zeichen meinte man's zu sehen.
[375]
36.
Ein treuer Knecht, an Liebe stark, mit schwachen
Gedächtniskräften, der vor Schreck verging,
Als er vergessen fand hochwicht'ge Sachen,
Darob ihm Leib und Leben schien gering,
Müht sich in Hast, den Fehler gut zu machen
(Sonst merkt sein Herr noch selber ja das Ding):
So will nicht eh'r zu Gott der Engel steigen,
Bis er den Auftrag kann vollzogen zeigen.
37.
Zum Kloster ist er rasch hinabgestiegen,
Wo er die Zwietracht sah so manches Mal;
Er findet sie im Sessel dort sich wiegen,
Als im Kapitel grade große Wahl,
Vergnügt, zu schaun, wie die Breviere fliegen
Um all die Köpfe durch den weiten Saal. –
Da zausen ihr das Haar des Engels Hände,
Und Schläge, Tritte regnet's ohn' ein Ende.
38.
Er hieb sie auf den Rücken, Kopf und Arme,
Mit einem Kreuzesstab, der ihm zerbrach;
Laut heulend fleht sie, daß er sich erbarme,
Umschlingt ihm seine Knie mit Weh und Ach.
Der Engel läßt sie nicht: dem Heidenschwarme
Ins Lager Agramants schickt er sie nach
Und spricht: »Noch schlimmer wird es dir ergehen,
Läßt du dich außerhalb des Lagers sehen.«
39.
Ob ihr zerbleut der Rücken und die Hände,
So denkt der Möglichkeit ihr banger Mut,
Daß sie ein zweites Mal sich noch befände
Unter so grimmen Hieben, solcher Wut.
Drum nimmt sie ihren Blasebalg behende
Und schürt und mehrt die schon entfachte Glut,
Und manche neue weiß sie zu entflammen,
Bis über viele schlägt die Glut zusammen;
[376]
40.
Läßt Rodomont und Mandrikard erglühen:
Sie gehn mit Roger hin zu Agramant
(Karl schuf gerad den Feinden keine Mühen,
Auf deren Seite ja der Vorteil stand)
Und melden, wie der Zwist begann zu sprühen
Und weitergriff, und wie er Nahrung fand,
Und stellen es in ihres Herrn Ermessen,
Welch Paar zuerst sich kämpfend solle messen.
41.
Marfisa kommt mit ihrem Fall desgleichen
Und drängt darauf, mit Mandrikard den Streit
Zu enden jetzt, und will davon nicht weichen,
Weil sie dazu gekommen von so weit.
Kein Tag, nicht eine Stunde soll verstreichen;
Keinem den Vortritt gönnt die kühne Maid;
Nein, sie besteht darauf als ihrem Rechte,
Daß sie zuerst mit dem Tataren fechte.
42.
So will auch Rodomont nicht länger weilen
Und ausgetragen sehn den Streit jetzund,
Den er, um in das Lager herzueilen,
Abbrach und aufschob bis zu dieser Stund'.
Die Stimm' erhebt auch Roger mittlerweilen:
Nicht dulden würd' er, also tut er kund,
Daß Rodomont Frontin, den Renner, nähme
Und nicht zuerst mit ihm zu kämpfen käme.
43.
Da naht, den Wirrwarr ärger noch zu schlingen,
Der Skythe, weigert Roger jedes Recht,
Den Aar zu führen mit den weißen Schwingen,
Und ist so sehr vor Wut des Wahnsinns Knecht,
Daß er die drei auf einmal will bezwingen,
Wenn diese darauf eingehn, im Gefecht.
Und würd' es von dem König nicht mißbilligt,
So hätten auch die andern eingewilligt.
[377]
44.
Mahnend und bittend sucht der Herr der Mohren
Frieden zu stiften, wie er immer kann;
Und als er sieht, er predigt tauben Ohren,
Denn Ruh' und Frieden nimmt nicht einer an,
Hätt' er den einen Ausweg gern erkoren,
Daß sie zum Kampfe gingen Mann für Mann.
Am besten scheint ihm dies zuletzt: den Grimmen
Durchs Los die Reihenfolge zu bestimmen.
45.
Vier Zettel läßt er legen: »Mandrikard« steht
Und »Rodomonte« auf dem einen Blatt;
Auf einem andern »Roger-Mandrikard« steht;
Ein drittes »Rodomont und Roger« hat,
Bis dann »Marfisa« noch und »Mandrikard« steht.
Entscheidung findet nach der Willkür statt
Der laun'schen Göttin, und sie hat erkoren
Den Skythen erst und Rodomont den Mohren.
46.
»Roger und Mandrikard« war dann geschrieben
Und »Roger-Rodomont« als drittes Paar;
»Marfisa-Mandrikard« war noch geblieben,
Darob das Fräulein recht verdrießlich war.
Auch Roger ging es gar nicht nach Belieben:
Er nahm schon oft die Kraft der beiden wahr
Und meint, sie möchten wohl die Streitfäll' enden,
So daß Marfis' und er das Nachsehn fänden.
47.
Ein Ort war bei Paris, nicht ferne eben,
Noch nicht an Umfang eine kleine Stund',
Von einem ziemlich hohen Wall umgeben,
Und bot sich dar wie ein Theaterrund.
Dort stand einmal ein Schloß; – was man sich heben
An Mauern sah, war Trümmerrest jetzund.
Wir können Ähnliches am Wege sehen,
Wenn wir von Parma gegen Borgo gehen.
[378]
48.
Dort machte man, den Kampfplatz abzustecken,
Aus kurzen Hölzern eine Art von Zaun,
Viereckig, wohlgeeignet zu den Zwecken,
Zwei große Pforten waren auch zu schaun.
Am Tag, vom Herrn bestimmt und von den Recken,
(Man brauchte keinen lang zu mahnen, traun),
Ließ man, den Schranken nah, an beiden Seiten
Gegen die Tore hin die Zelte breiten.
49.
Im Zelte, das nach Westen ist gelegen,
Ragt Algiers Fürst empor wie ein Gigant,
Die Drachenhaut ihm um den Leib zu legen
Bemühn sich Ferragu und Sakripant.
Im Zelt nach Osten, ihm gerad entgegen,
Mit Falsiron, Gradaß, der König stand:
Hier wollen mit der Troerwehr die beiden
Den kühnen Sohn des Agrikan bekleiden.
50.
Auf hohem Bühnensitz gebietend thronen
Die Herrn Granadas, Spaniens, Afrikas,
Und was noch sonst von mächtigen Baronen
Das Heer der ganzen Heidenschaft besaß.
Wohl ihm, der hoch auf Zinn' und Baumeskronen
Erhaben ob der niedern Erde saß!
Von allen Seiten kam das Volk in Menge,
Und um die Schranken wogte dicht Gedränge.
51.
Die Königin Kastiliens war erschienen
Und Fürstinnen und edle Fraun genug
Aus Aragon, Granada, die ihr dienen,
Bis wo das Meer an Atlas' Säulen schlug.
Die Tochter Stordilans saß unter ihnen,
Die aus zwei Stoffen reiche Kleider trug:
Das eine grün und eins von blasser Röte,
So zart, als ob ein Hauch die Farbe töte.
[379]
52.
In aufgeschürztem Kleide kam Marfise,
Wie es der Kriegrin anstand und der Frau.
Hippolyta erschien wohl einst wie diese
Mit ihrer Schar auf des Thermodon Au.
Im Wappenrock mit Agramants Devise
Trat nun der Herold auf vor diesem Bau,
Gab das Gesetz mit Strafen und Verboten,
Die jedem, der hier ein sich mische, drohten.
53.
Voll Ungeduld schon harrt dem Kampf entgegen
Der dichte Haufen, der die Ritter schilt
Als Säumige, die langsam sich bewegen;
Da schallt, stets wachsend, ein Getöse wild
Vom Zelte Mandrikards dem Volk entgegen.
Vernehmt, o Herr, wem dieses Lärmen gilt:
Es kommt das wüste Schreien und das Wüten
Vom Serikanerkönig und vom Skythen.
54.
Der Serikaner hat mit eignen Händen
Die Rüstung dem Tataren umgetan
Und will zuletzt sich nach dem Schwerte wenden,
Das Rolands war auf seiner Heldenbahn:
Da sieht er »Durendal« an Griffes Enden
Geschrieben – Almonts Wappen blickt ihn an,
Das einst der junge Roland, bei dem Bronnen
In Aspramont, dem Armen abgewonnen.
55.
Daß es das Schwert des Ritters von Anglante,
Das vielberühmte, sei, wird gleich ihm klar,
Um das sein herrlich Heer (denn niemals kannte
Das Morgenland ein schöneres fürwahr)
Vor kurzem erst Kastilien übermannte
Und auch des Frankenlandes Kriegerschar;
Doch unerklärlich ist ihm eins geblieben:
Wo Mandrikard das Schwert hat aufgetrieben.
[380]
56.
Er fragt, ob er durch Kampf, ob er durch Güte
Das Schwert erhielt, und wo, an welcher Zeit.
Und wie er focht, erzählte drauf der Skythe,
Mit Roland in gewaltig heißem Streit;
Und dieser heuchle Wahnsinn, und er wüte,
Verstecke seiner Seele Bangigkeit:
»Er wußt', im Kriege müss' er mit mir leben,
Bis er die gute Waffe mir gegeben.«
57.
Dem Biber, mein' er, müsse Roland gleichen,
Denn seine Geilen werfe fort das Tier,
Wenn es den Jäger sähe näherschleichen,
Dem es zu tun nur sei um diese hier.
Nicht alles kann Gradassos Ohr erreichen;
Er spricht: »Ich lass' es weder ihm noch dir.
Gekostet hat's mich Gold und Müh' und Leute,
So viel; – mein darf ich's füglich nennen heute.
58.
Du mußt dich einem andern Schwert vertrauen;
Denn dies will ich! Erstaune nicht zu sehr!
Ob Roland heil ist, ob in Wahnsinns Klauen –
Wo ich sie finde, nehm' ich mir die Wehr.
Du fandst das Schwert (kein Zeuge war zu schauen)
Und maßt dir's an; ich bring's zum Richter her,
Mein Säbel sagt den Grund dir auf der Stelle.
Auf! Daß die Schranke hier das Urteil fälle!
59.
Bevor du gehst, das Schwert im Kampf zu schwingen,
Für dich es zu gewinnen sei bedacht;
Zu kaufen gilt es Waffen, zu erringen
Nach altem Brauch – sodann erst geht's zur Schlacht.« –
»Kein süßrer Laut kann mir zu Ohren dringen«,
Die Stirn erhebend spricht der Skyth' und lacht,
»Als der mich aufruft zum Gebrauch der Wehre.
Sieh nur, daß Rodomont die Frist gewähre.
[381]
60.
So gehe du voran, und es gehöre
Dem Sarzakönig dann der zweite Streit!
Sei außer Sorgen, daß ich dich erhöre:
Ich bin für dich und jedermann bereit.« –
»Doch ich will nicht, daß man den Takt mir störe,«
Schrie Roger drein, »man schiebt ihn ja beiseit!
Der Anfang bleibt dem Rodomont mit Rechte,
Komm' ich nicht selbst als Erster zum Gefechte.
61.
Und will sich's, wie Gradaß es sagt, gebühren,
Daß man erwirbt die Waffen, eh man ficht,
So darfst du auch den weißen Aar nicht führen;
Zuerst mich zu entwaffnen, wäre Pflicht.
Doch weil ich schon mich drein gefunden, rühren
Werd' ich an meinen Spruch auch jetzo nicht,
Bleibt Rodomonte nur der erste Streiter,
So daß ich selber nach ihm komm' als zweiter.
62.
Denkt ihr ein Stück der Ordnung aufzuheben,
Heb' ich sie ganz auf, sag' ich euch bestimmt.
Und meinen Schild sollst du sofort mir geben,
Wenn deine Faust nicht gleich die Waffe nimmt.« –
»Und wär' auch Mars in Euch zu neuem Leben,«
Antwortet Mandrikard jetzund ergrimmt,
»So wär doch keiner da, der mir verwehrte,
Beim Adler zu verbleiben und beim Schwerte.«
63.
Und Jähzorn ließ ihn jetzt die Fäuste ballen:
Über den Serikaner fiel er her
Und schlug ihn auf die rechte Hand: entfallen
Mußte ihm Durendal, die gute Wehr.
Gradaß sah – nicht gewärtig bei dem allen,
Daß jener solchen Wahnsinns fähig wär' –
Nun unversehens sich das Schwert entrissen
Und mußte Durendal, die hehre, missen.
[382]
64.
Als Wut, Beschämung keine Grenzen kannte
Und Flammen sein Gesicht zu sprühen schien,
Da fühlt' er, daß die Schmach ihn doppelt brannte,
Denn man beschimpfte vor den Leuten ihn.
Rückwärts, nach schwerer Rache dürstend, wandte
Er sich etwas, den Säbel rasch zu ziehn.
Des Skythen Zuversicht ist nicht geringe:
Er fordert auch noch Roger vor die Klinge:
65.
»Kommt nur, ihr beiden, daß ich euch empfange!
Es komm' auch noch als Dritter Rodomont!
Spanien und Afrika halt' ich die Stange:
Das Fliehen hab' ich nimmer ja gekonnt!«
So spricht er (nichts auf Erden macht ihm bange)
Und schwingt dabei das Schlachtschwert des Almont.
Den Schild ergriff er – wild die Klinge zog er,
Verächtlich blickend auf Gradaß und Roger.
66.
»Laß mir die Kur!« so rief Gradaß. »Wirst sehen:
Von seiner Tollheit heil' ich jenen dort.«
»Nichts lass' ich dir, bei Gott! Mir soll er stehen,«
Rief Roger drauf, »da geb' ich dir mein Wort.«
»Geh du zurück!« »Nein, du!« – Die beiden gehen
Nicht einen Schritt und schreien immerfort.
Schon wollten sie zu dreien gar sich raufen,
Und sicher wär's als toller Spaß verlaufen,
67.
Doch zwischen dieses Wüten kam gefahren
Ein großer Hauf, ob schlecht beraten schon;
Fast hätten sie am eignen Leib erfahren:
Vermittlern wird gar oft ein übler Lohn.
Nichts auf der Welt wohl trennte die Barbaren,
Wär' mit dem Spanierkönig nicht der Sohn
Trojans, des hochberühmten Herrn, erschienen,
Dem alle andern voller Ehrfurcht dienen.
[383]
68.
Herr Agramant hört den Bericht, weswegen
Aufs neu entbrannt sei solch ein wilder Streit,
Und sucht den Mandrikard dann zu bewegen,
Daß er Gradaß erlaub' in Freundlichkeit,
Das Schwert – an diesem Tag nur – anzulegen,
Das Hektor einst, der Held, trug an der Seit',
Bis Zeit es sei, den Zwist, den er in Händen
Mit Rodomont schon habe, zu beenden.
69.
Derweilen sorglich Ruh' zu schaffen dachte,
Bald den, bald jenen mahnend, Agramant,
Vernahm er, daß ein neuer Zank erwachte
(Jetzt zwischen Rodomont und Sakripant):
Zirkassiens Fürst – wovon Bericht ich machte –
Mit Ferragu bei Rodomonte stand,
Ihn mit den Waffen, wie es sich gebührte,
Zu rüsten, die sein Ahnherr, Nimrod, führte.
70.
Dann gingen zu dem Pferde hin die beiden,
Das schäumend an dem reichen Zügel riß,
Frontin, um den sich unter Gram und Leiden
Herr Roger wütend auf die Lippen biß.
Gern wäre Sakripant, der einzukleiden
Solch einen starken Ritter hat, gewiß,
Ob gut das Tier beschlagen, wohlversehen,
So wie es sich geziemt, zum Kampf zu gehen.
71.
Wie staunt er, als bei näherem Betrachten
Der zierlich schlanke Bau, der feine Bug
Und alle Zeichen deutlich kund ihm machten,
Milchstirn sei dies, der Hengst, der einst ihn trug!
Den aufzufinden lange schon sein Trachten!
Um den er ja getrauert schon genug!
Nie wollt' er fürder sich zu Pferde setzen:
So wußt' er dieses edle Tier zu schätzen.
[384]
72.
Es war ihm vor Albrakka fortgeschwunden:
Ihm stahl's Brunel am gleichen Tage ja,
Als er Angelika den Ring entwunden
Und Roland Wehr und Horn gestohlen sah,
Ihr Schwert Marfisa: seinen Weg gefunden
Hat dann der Schelm zurück nach Afrika,
Wo Pferd und Wehre an Herrn Roger kamen:
»Frontin« gab er dem guten Roß als Namen.
73.
»Herr«, spricht er dann, zu Algiers Fürst gewendet
(Bestimmt erkannt' er seinen Renner dort):
»Das Tier ist mein: es wurde mir entwendet;
Man stahl mir's vor Albrakka heimlich fort.
Durch Zeugen würde Zweifel leicht geendet,
Doch gibt es deren keine hier am Ort.
Bestreitet's einer, in der Hand das Eisen,
Will ich die Wahrheit meines Worts beweisen.
74.
Ich sag' als dein Genoß in diesen Tagen:
Ich willige für heute gern darein,
Daß dich der Renner soll beim Kampfe tragen;
Ich seh' ja wohl, es kann nicht anders sein.
Doch mußt du dem Besitzesrecht entsagen
Und anerkennen, daß der Renner mein.
Du kannst ihn nicht auf andre Art dir schaffen;
Sonst müßtest du mir stehen mit den Waffen.«
75.
Und Rodomont, der stolzeste der Degen,
Die jemals führten Stahl in ihrer Hand,
Dem auch als Gleicher keiner tritt entgegen
Von allen, die vorher die Welt gekannt,
Erwidert: »Wär' ein andrer so verwegen,
Zu sprechen so wie du, mein Sakripant,
Es wäre wahrlich besser für den Toren
– Er sollt' es sehen –, wär' er stumm geboren.
[385]
76.
Doch weil wir als Genossen, sagst du, gingen
Und wir den Weg hierher vereint gemacht,
So will ich Rücksicht dir entgegenbringen
Und raten: sei zu warten hübsch bedacht,
Bis meine Art, mit Feinden umzuspringen,
Der Kampf dir zeigt, den der Tatar entfacht.
Du wirst Belehrung dann von hinnen tragen
Und freundlich bittend: ›Nimm den Renner!‹ sagen.«
77.
»Da grobe Worte dir für artig galten,«
Rief der Zirkassier drauf, von Zorn verzehrt,
»Sag' ich's dir deutlich jetzt: du wirst nicht schalten
Mit meinem Renner, wie dein Sinn begehrt.
Solang ich's rächend mag in Händen halten,
Verwehrt dir solches hier mein gutes Schwert.
Zerbricht es, sollst du nicht besiegt mich wähnen;
Dann wehr' ich dir's mit Nägeln und mit Zähnen!«
78.
Da sie von Worten nun zu Taten gehen,
Ist nach dem Schrein und Drohn das Schwert zur Hand;
Weil schneller Streit und Kampf aus Zorn entstehen,
Als mit dem Stroh wird Feuer angebrannt.
Mit voller Rüstung ist der Mohr versehen,
Und Schiene nicht noch Ring hat Sakripant;
Doch flink und hurtig und geschmeidig wehrte
Zirkassiens Fürst sich bloß mit seinem Schwerte.
79.
Vor Rodomontes Wucht, die ohnegleichen,
Wie seine große Wildheit, auf der Welt,
Will die Gewandtheit nicht die Segel streichen,
Die Sakripant zu seiner Kraft gesellt.
Kaum kann so große Schnelligkeit erreichen
Der Stein, der in der Mühle Korn zerspellt;
So weiß sich Sakripant mit Füßen, Händen
Bald hier-, bald dorthin, wie er's braucht, zu wenden.
[386]
80.
Doch Serpentin und Ferragu, sie kamen,
Das Schwert gezückt, und mischten sich hinein,
Auch Isolier und Herrn von stolzem Namen;
Grandon mit vielen andern stellt sich ein.
Dies war der Lärm, den sie im Zelt vernahmen,
Vergebens wollte aller Mühe sein,
Die, Roger, Fürst Gradaß und den Tataren
Noch zu versöhnen, hergekommen waren.
81.
Die Nachricht kam zu König Agramante
Als wohlverbürgt, daß um den Renner sich
Dort zwischen Rodomont und Sakripante
Entspann ein Zweikampf wild und fürchterlich;
Worauf der König zu Marsil sich wandte
Und zu ihm sprach: »Sogleich bemühe dich,
Daß Schlimmres zwischen diesen nicht geschehe,
Indes ich nach der andern Störung sehe.«
82.
Als ob vorm König jetzt sein Zorn verglimme,
Weicht Rodomonte in den Hintergrund;
Auch Sakripant, gebietend seinem Grimme,
In Ehrfurcht vor dem Herrn beiseite stund.
Voll Hoheit, und mit ernster, tiefer Stimme,
Fragt Agramant sie nach des Zwistes Grund
Und sucht darauf den Streitfall beizulegen,
Doch ohne Wirkung bleibt es auf die Degen.
83.
Sein gutes Roß will der Zirkassier wieder
Und Algiers König zwingen zum Verzicht,
Beugt er sich nicht so weit zur Demut nieder,
Daß er an ihn ein Wort der Bitte richt't.
Doch stolz blickt Rodomont und reckt die Glieder
Und ruft: »Nicht du und auch der Himmel nicht
Wird jemals mich das abzugeben zwingen,
Was ich durch meine Stärke kann erringen.«
[387]
84.
Der König heischt, daß Sakripant berichte,
Welch Recht er hat und wie das Pferd verschwand:
Und nach und nach erzählt er die Geschichte,
Und seine Stirne kam vor Scham in Brand,
Als er beschrieb, wie von dem schlauen Wichte,
Der in Gedanken ihn versunken fand,
Gestützt der Sattel durch der Speere vier ward
Und unter ihm geraubt das nackte Tier ward.
85.
Marfisa war bei dem Geschrei erschienen;
Als sie vom Raube jenes Pferds vernahm,
Sah man sie stillstehn, mit betroffnen Mienen,
Weil sie ja damals um ihr Schlachtschwert kam.
Das Roß erkennt sie, dem der Wind zu dienen
Beim Fliehen schien, den Renner wundersam;
Sieht auch den guten König Sakripante,
Der sie die Zeit vorher noch nicht erkannte.
86.
Bekannt war alles rings den Mohrendegen
(Oft prahlte mit dem Meisterstreich Brunel):
Sie wandten sich mit Zeichen ihr entgegen
Und Winken: also sei's auf alle Fäll'.
Doch wollte noch Verdacht in ihr sich regen;
Sie fragt bald hier, bald dort, und findet schnell,
Es sei nach allem, was man sagt und glaubte,
Bestimmt Brunel, der dort das Schwert ihr raubte.
87.
Sie hört auch dies: der Schuft erhielt zum Lohne,
Statt um den Hals gedreht ein hanfen Band,
Durch König Agramant die Herrscherkrone
– Ganz unerhört – im Tingitanerland.
Gedenkend, wie zu Schmach ihr ward und Hohne,
Daß unterwegs man ohne Schwert sie fand,
Voll neuen Grimmes ob der alten Sache
Beschließt sie augenblicklich böse Rache.
[388]
88.
Sie ließ vom Knappen ihren Helm sich geben;
Mit andern Waffen war sie wohlversehn.
Daß sie ohn' Harnisch ging, in ihrem Leben
Find' ich dafür noch nicht der Fälle zehn
Vom Tag, da sie, dem Kriegeswerk ergeben,
Zuerst sich ließ im Eisenkleide sehn.
Dann geht sie hin, im Helm und voll gerüstet,
Wo in den ersten Reihn Brunel sich brüstet.
89.
Sie packt ihn an der Brust beim ersten Pralle
Und hob ihn in die Höh' (so hebt fürwahr,
Wenn er's ergriffen hat mit krummer Kralle,
Das Huhn empor der räuberische Aar)
Und trug ihn hin, wo um den König alle
Die Ritterschaft beim Zwist versammelt war.
Brunel, der merkt, er ist auf üblem Pfade,
Weint unaufhörlich, schreit und fleht um Gnade.
90.
Trotz alles Lärms und Dröhnens in den Zelten,
Wie groß im Lager rings das Toben sei,
Die Rufe des Brunel so mächtig gellten,
Sein Gnadewimmern und sein Hilfgeschrei,
Daß Volk und Krieger sich zusammenstellten
Und alles lief auf diesen Ton herbei.
Zum Afrikanerkönig trat Marfise;
Die stolze Rede, die sie sprach, war diese:
91.
»Aufhängen will ich mit den eignen Händen
Hier diesen Dieb; als Lehnsmann dient er dir;
Am Tag, da er den Renner ging entwenden
Dem andern dort, stahl er den Degen mir.
Hat einer was dagegen einzuwenden,
Er trete vor und sprech' ein Wörtlein hier;
Die Lüge schieb' ich ihm in seine Schuhe
Und zeig' ihm, daß ich meine Pflicht nur tue.
[389]
92.
Doch sagt man etwa, daß ich dies nur wage,
Weil viele unsrer Helden jetzt entzweit,
Und mancher, der berühmtern Namen trage,
Verhindert sei durch einen andern Streit,
So gönn' ich diesem Manne noch drei Tage,
Bis ihm zu helfen einer sei bereit.
Nachher, wenn keiner kommt, der mir's verweise,
Geb' ich den Vögeln seinen Leib zur Speise.
93.
Von hier zu jenem Turm hin will ich gehen,
Der nahe beim Gehölz zum Himmel ragt;
Zur Seite soll mir kein Geleite stehen
Als nur ein einz'ger Knapp' und eine Magd;
Und wer den Schelm hier will in Freiheit sehen –
Ich warte dort, daß er ihn ab mir jagt!«
Sie sagt's und wendet sich nach jenem Orte
Und wartet nicht auf eines andern Worte.
94.
Sie hält ihn alldieweile bei den Haaren
Und legt vor sich aufs Pferd Brunel, den Wicht.
Der weint und fleht, vorm Tod ihn zu bewahren,
Ruft jeden an, des Hilf' er sich verspricht.
Bestürzt steht Agramant: aus den Gefahren
Von diesen schweren Händeln kommt er nicht.
Am meisten aber ist sein Sinn beklommen,
Daß sich Marfisa den Brunel genommen.
95.
Nicht daß er jenen liebe oder achte;
Nein; Haß vielmehr statt jeder Neigung kam,
So daß er oftmals sich Gedanken machte,
Seit man den Ring von diesem Schelme nahm.
Doch weil man in das Spiel die Ehre brachte,
Erglühen ihm die Wangen heiß vor Scham.
Ihr nach gedenkt er eilig aufzubrechen
Und sich mit aller Macht an ihr zu rächen.
[390]
96.
Da ist es Fürst Sobrin, der – grad zugegen –
Ihm dies Beginnen ernstlich widerrät.
Die große Höhe stellt sich dem entgegen,
So meint er, von des Königs Majestät.
Und kann man auch die feste Hoffnung hegen,
Daß er als Sieger aus dem Felde geht,
Sagt man: mit Müh' ein Weib zu überwinden,
Bringt Ehre nicht, nein, Tadel muß es finden.
97.
Recht groß sei die Gefahr, gering die Ehre
Jedweden Kampfes mit der Kriegerin,
So daß man aller Not am besten wehre,
Gab' er Brunel ihr für den Galgen hin.
Und wenn ein Wink genug zur Rettung wäre,
So dürfe doch der Herr in seinem Sinn
Nicht daran denken, weil er sonst ja störe,
Was zur Gerechtigkeit einmal gehöre.
98.
»Du kannst nun Botschaft an Marfisa senden:
Sie möge dir das Richtamt zugestehn.
Am Galgen solle jener Räuber enden;
Sie werde völlig sich befriedigt sehn.
Doch käm' es, daß die Bitten taub sie fänden –
Wohlan, was sie verlangt, das laß geschehn.
Sie möge, wenn sie treu und Freund dir bliebe,
Den Falschen hängen und die andern Diebe!«
99.
Gern folgte diesem Rat des weisen Alten,
Des Vielerfahrnen, König Agramant:
Er ging nicht selbst und ließ Marfisa schalten,
Schuf ihr auch Kränkung nicht durch andre Hand;
Der Bitten wollt' er gleichfalls sich enthalten,
Ließ alles gehn, wie schwer er's auch empfand,
Um größre Streitigkeiten zu bezwingen –
Und in sein Lager endlich Ruh' zu bringen.
[391]
100.
Darüber muß wie toll die Zwietracht lachen.
Daß je hier Friede sei, sorgt sie nicht mehr.
Sie weiß nicht recht, was vor Vergnügen machen,
Und läuft und tanzt durchs Lager hin und her.
Auch Stolz will immer mehr die Glut entfachen
Und springt mit ihr herum und freut sich sehr.
Er schreit so laut, daß in den luft'gen Reichen
Sankt Michel oben hört das Siegeszeichen.
101.
Bei diesem Ton ging durch Paris ein Beben,
Die Seine schäumte übern Uferrand;
Er klang, wo die Ardennen sich erheben,
Daß all Getier aus seinem Nest entschwand;
Algier und die Cevennen Antwort geben
Und Blaye und Arles und von Rouen der Strand.
Er klang am Rhein wie an Garonn' und Saône;
Ihr Kind umschlang die Mutter an der Rhône.
102.
Fünf Ritter lassen ihre Waffen klirren,
Zu enden als die Ersten ihren Zwist,
Der so verschlungen scheint; Apoll muß irren,
Wenn er den Fall zu klären sich vermißt.
Der König denkt den Knäuel zu entwirren
Des nächsten Streits, von dem gemeldet ist,
Daß um die Tochter Stordilans der Skythe
Und auch sein Afrikaner sich bemühte.
103.
Er will, die beiden sollen sich vergleichen,
Spricht mit dem einen und dem andern dann
Und gibt von güt'gem Sinne manches Zeichen,
Wie ein gerechter Herr und Freund nur kann,
Und als sie beide nicht vom Platze weichen,
Hartnäckig taub (denn keinem stand es an,
Freiwillig jener Schönen zu entsagen,
Um die sie beide sich in Haaren lagen),
[392]
104.
Entschließt er sich zuletzt zu dem Befehle
(Und einverstanden sind die andern zwei),
Daß jene sich als Gattin den erwähle,
Der von den beiden ihr der liebste sei,
Kein Schwanken, welchen immer auch sie wähle,
Solle dann gelten mehr, noch Zänkerei.
Ein Ausweg, dem die Herrn nicht widerstreben;
Sie wähle ihn nur, meint ein jeder eben.
105.
Der Schönen war der Sarzafürst verbunden
In treuer Liebe eine längre Zeit
Und hatte jede Gunst bei ihr gefunden,
Die wohl ein keusches Kind dem Liebsten weiht.
Drum kündet ihm der Spruch beglückte Stunden;
Gesichert meint er seine Seligkeit;
Nicht er allein; der gleichen Ansicht waren
Die andern sämtlich in den Mohrenscharen.
106.
Sie wissen alle, was mit Jagen, Streiten
In Krieg und Spiel der Mohr für sie vollbracht:
Den Skythen müsse doch der Teufel reiten,
Daß er, verblendet, den Vertrag gemacht.
Doch der gedenkt bei sich der Heimlichkeiten,
Die er mit ihr gehabt in stiller Nacht;
Er weiß, ihm kann die Trümpfe niemand rauben
Und lacht nur dessen, das die andern glauben.
107.
Die Nebenbuhler, stolz und stark, vollzogen
Die Übereinkunft in des Königs Hand.
Als sie selband nun zu der Dame zogen,
Senkt sie die Augen schamhaft auf den Sand:
Dem Skythenfürsten sei sie mehr gewogen,
Sprach sie, und alles höchst betroffen stand,
Verwirrt und so bestürzt Fürst Rodomonte,
Daß er den kühnen Blick nicht heben konnte.
[393]
108.
Doch als die Scham, die auf der Wang' ihm brannte,
Vor der gewohnten Zorneswut erblich,
Zog er sein Schwert und schwang es hoch und nannte
Den Spruch verkehrt und falsch und freventlich
Und rief – die Menge hört's und Agramante –:
»Dies gebe den Entscheid, verlange ich,
Nicht eines Weibes launenhaftes Schwanken,
Das nur auf Schlechtes richtet die Gedanken!«
109.
Aufs neue hat sich Mandrikard erhoben
Und spricht: »Gesehen' es denn nach deinem Wort!«
So ginge weiter wohl des Sturmes Toben,
Bevor das Schifflein käm' in sichern Port;
Allein der König hat die Schuld geschoben
Auf Rodomont: der darf nicht länger dort
Den andern reizen dieses Zwistes willen;
Und so gelang's, das wilde Meer zu stillen.
110.
Zwiefach beschämt durch seine Niederlage
Sieht sich der Fürst vor aller Mohrenschar:
Von seiner Dame und am selben Tage
Vom Herrn, dem er auch jetzt gehorsam war.
Drum sinnt er, daß der Fuß ihn weitertrage,
Und von den Seinen wählt er aus ein Paar,
Von all den vielen nur die beiden Mannen,
Und sprengt vom Mohrenlager rasch von dannen.
111.
Der Stier, dem seine Jungkuh ward entrissen,
Die einem stärkern Werber sich ergab,
Er wendet sich, der Einsamkeit beflissen,
Den Weiden fern, zum dürren Sand hinab;
Bei Tag und Nacht dort brüllt er schmerzzerrissen,
Und doch nimmt seine Liebeswut nicht ab:
So sucht der Mohr, betäubt von seinen Leiden,
Sein falsches Lieb und alle Welt zu meiden.
[394]
112.
Ihm nach gedachte Roger sich zu wenden,
In Waffen schon: er will sein gutes Pferd;
Den Handel aber gilt es erst zu enden
Mit Mandrikard – so fällt ihm ein – durchs Schwert.
Er läßt es bei des Mohren Flucht bewenden
Und hat sich gegen Mandrikard gekehrt,
Bevor zum Kampf der Serikaner schreite
Ob Durendals an des Tataren Seite.
113.
's ist hart, daß sein Frontin ihm so entschwindet –
Vor Augen – und er's nicht verwehren kann.
Doch wenn der Handel hier ein Ende findet,
Steht eins ihm fest: er holt den Renner dann.
Herr Sakripant, den hier kein Streitfall bindet,
Wie Roger, bricht indes als freier Mann,
Den nichts zurück mehr hält auf diesen Fluren,
Rasch auf und folgt des Sarzakönigs Spuren.
114.
Ihn einzuholen, wär' ihm auch gelungen,
Hätt' ihn nicht unterwegs ein sondrer Fall
Zur Rast bis in die Abendzeit gezwungen,
Und so verlor er denn die Spuren all:
Ein Fräulein, von der Seineflut verschlungen,
Es wär' ertrunken in dem Wogenschwall,
Kam nicht die Rettung mit der größten Schnelle –
Er sprang hinein und zog sie aus der Welle.
115.
Darauf war ihm der Renner durchgegangen:
Nicht willig bot er sich dem Zügel dar
Und ließ sich ohne weiteres nicht fangen:
Der Reiter folgt' ihm, bis es Abend war;
Dann faßt er ihn; wie nun zurückgelangen?
Der Weg zur frühern Stelle war nicht klar.
Zweihundert Meilen sucht er Rodomonte
Bergauf und -ab, bis er ihn finden konnte.
[395]
116.
Wo er ihn fand und wie dann ward gestritten
Mit großem Nachteil für Herrn Sakripant,
Wie er das Pferd verloren, Haft erlitten,
Das sag' ich nicht; zuerst mach' ich bekannt,
Wie Rodomont vom Lager fortgeritten,
Das Herz voll Ingrimm gegen Agramant
Und jene Dame, seine Augenweide,
Und wie er sich beklagte über beide.
117.
Wo er nur ging, durchbohrt von Schmerz unsäglich,
Entzündet' er die Luft mit Seufzern heiß.
Mitleid'gen Echos Antwort schallt ihm kläglich
Aus hohlem Fels entgegen laut und leis:
»O Frauensinn, wie bist du leichtbeweglich,
Der immer sich zu drehn, zu wenden weiß,
In dem das Gegenbild der Treu' ich sehe;
Dem Armen, der dir traute – wehe, wehe!
118.
Kein langes Dienen, keine große Liebe
(Durch tausend Zeichen ja dir klar und hell)
Erreichten, daß dein Herz gefesselt bliebe,
Zum wenigsten nicht schwankte gar so schnell.
Warum doch suchten jenen deine Triebe?
Ich bin so viel doch wert wie der Gesell;
Kein Grund ist, den ich für den Fehlschlag kenne
Als dieser eine: daß man Weib dich nenne.
119.
O bös Geschlecht, dich wollte Gott bescheren
Zur Strafe dieser Welt; das glaub' ich fest;
Dem Mann als schlimme Last, ihn zu beschweren:
Sonst wär' ihm Leben ein zu großes Fest;
Wie die Natur ja Schlangen, Wolf und Bären
Und für das Reich der Luft entstehen läßt
Die widerwärt'gen Bremsen, Wespen, Mücken
Und in den Weizen mischt des Unkrauts Tücken.
[396]
120.
Was konnte die Natur sich nicht entschließen,
Den Mann allein zu schaffen, ohne dich?
So wie durch Menschensorgfalt Äpfel sprießen
Und Birnen, Kirschen, alles ganz für sich.
Doch übers Ziel muß sie ja immer schießen;
Und seh' ich näher zu, so finde ich,
Daß nichts Vollkommenes in ihrem Bau ist,
Weil die Natur ja selber eine Frau ist.
121.
Drum sollt ihr euch nicht blähen und erheben,
Ihr Fraun, nennt ihr den Mann gleich euren Sohn,
Weil Rosen auch die schlechten Dornen geben;
Die Lilie hat ein stinkend Kraut zum Thron.
Hochmütig, giftig, niedrem Tun ergeben,
Kennt ihr nicht Lieb' und Treu', nur Spott und Hohn;
Grausam und ungerecht, leichtsinn'ge Toren,
Der Welt zum ew'gen Fluch seid ihr geboren!«
122.
Mit diesen und mit vielen andern Klagen,
Endlosen, trabt der arme Fürst daher
(Bald laut, daß es die Winde fernhin tragen,
Bald murmelnd spricht er, kaum vernimmt man's mehr)
Und schilt das Fraungeschlecht und sein Betragen;
Das war ganz sicher unverständig – sehr:
Auf ein, zwei schlechte gibt es, ich vermute,
Wohl unter ihnen an die hundert gute.
123.
Fand ich auch selber freilich keine treue,
Obschon mir manche schenkte ihre Huld,
Nenn' ich sie doch nicht undankbar (ich scheue
Mich dessen), gebe meinem Los die Schuld.
Es waren viel und sind, die ohne Reue
Der Mann sich lobt, hat er nur hübsch Geduld.
Doch, ist von hundert eine schlimm – auf Erden –
Mein Schicksal will's – muß ihre Beut' ich werden.
[397]
124.
Nun will ich suchen, ob ich es erreiche,
Daß eine wohl auch mir die Treue hält,
Vor meinem Ende, eh das Haar mir bleiche;
Vielleicht lebt eine doch auf dieser Welt.
Und find' ich sie (daß nie die Hoffnung weiche!)
Ihr öffne ich, soweit es ihr gefällt
Und ich es nur vermag, des Ruhmes Pforten
In Vers und Prosa und mit Tint' und Worten!
125.
Bald zeigte sich's, daß ebenso im Grimme
Gegen den König sich der Mohr gefiel:
Er schalt ihn laut mit aufgebrachter Stimme
Und schoß damit aufs neue übers Ziel,
Wünschte dem Reich des Herren alles Schlimme,
Von Stürmen und von Ungemach so viel,
Daß es in Afrika zum Ende treibe
Und nicht ein Stein mehr auf dem andern bleibe.
126.
Und daß der König arm und elend lebe,
Verjagt aus seinem Reich, in Weh und Leid,
Und er durch Treu' ihn auf den Thron erhebe,
Ihm wiederbringend alte Herrlichkeit,
Und also deutlich den Beweis ihm gäbe,
In Recht und Unrecht sei zu jeder Zeit
Der Freund zu schützen und auf alle Fälle,
Ob sich die ganze Welt dagegenstelle.
127.
So in Gedanken, in des Unmuts Träumen,
Was er dem Herrn, was seiner Dame tu',
Ritt er gewalt'ge Strecken ohne Säumen:
Frontin dem Hengste gönnt' er wenig Ruh'. –
Tags drauf sah er der Saône Wogen schäumen
Und sprengt' aufs Meer geradesweges zu,
Hin zur Provence; denn seine Pläne waren,
Nach seinem Reich in Afrika zu fahren.
[398]
128.
Von Booten und von Kähnen sonder Ende
Wimmelt der Fluß bis an den Uferrand.
Von vielen Seiten ward aus dem Gelände
Verpflegung für die Truppen hergesandt,
Seitdem gefallen in der Mohren Hände –
Von Stadt Paris bis zu dem holden Strand
Von Aiguesmortes –, was man nach rechts an Auen,
Gerichtet gegen Spanien hin, kann schauen.
129.
Daß man auf Wagen, Tiere sie verlade,
Wird aus den Kähnen weggeschafft die Fracht
Und fortgezogen auf dem Uferpfade,
Wo sich der Wasserweg unmöglich macht.
Von feistem Schlachtvieh voll sind die Gestade,
Das rings aus den Provinzen ward gebracht.
Die Führer, die das Vieh am Ufer treiben,
Zur Nacht in den verschiednen Häusern bleiben.
130.
Nun bat ein Landwirt (immer düstrer balle
Sich Nachtgewölk, und Dunkel brech' herein)
Den König Algiers, daß es ihm gefalle,
Bei ihm, dem Bauersmanne, Gast zu sein.
Die Mahlzeit kam, sobald das Pferd im Stalle,
Mit Speisen mannigfalt und Griechenwein.
Ob sonst ein Sarazen, nahm von den Franken
Der Fürst doch gern die Weine, die sie tranken.
131.
Mit guter Tafel und noch beßrer Miene
Sucht seinen Gast der Landwirt zu erbaun;
Denn daß er einem großen Herren diene,
Das könnt' er an des Ritters Wesen schaun.
Der sitzt, als ob er selbst entrückt sich schiene,
Und zeigt den ganzen Abend üble Laun'
Und schweigt, weil wider Willen die Gedanken
Aufs neu zurück zu seiner Herrin schwanken.
[399]
132.
Der Wirt mocht' einer von den höchstgewandten
Und besten aus dem Frankenlande sein;
Da Feinde seine Habe nicht entwandten
(Kehrt auch recht viel Gesindel bei ihm ein),
Nahm er zu seiner Hilfe von Verwandten
Ein paar geschickte Leut' zu sich herein.
Als man den Mohr gedankenvoll und stumm sah,
Sprach niemand, wie auch keiner nur sich umsah.
133.
Dem schweifen in die Weite die Gedanken,
Auf dieses bald und bald auf das gericht't,
Wobei die Augen nicht vom Boden wanken,
Und keinem blickt er in das Angesicht.
Aufseufzend tief zuletzt gleich einem Kranken,
Der mühsam aus dem Schlaf erwacht zum Licht,
Rafft er sich auf, und mit erhobnen Brauen
Beginnt er die Gesellschaft anzuschauen.
134.
Mit hellerm Blick und freundlicherm Betragen,
Minder verstört, bricht er das Schweigen dann
Und wendet an die Leute sich mit Fragen:
Sei unter ihnen wohl ein Ehemann?
Als »ja« der Wirt und all die andern sagen,
Fragt er nach ihrer Antwort weiter an,
Was ihre Meinung sei von ihren Frauen,
Und ob sie wohl auf deren Treue bauen.
135.
Ein jeder spricht nun gut von seinem Weibe,
Den Landwirt ausgenommen ganz allein.
Der sagt: »Mit eurem Wahn geht mir vom Leibe!
Ich weiß ja doch, euch trügt ein falscher Schein.
Nun kostet euch die Dummheit dies: ich bleibe
Dabei, ihr seid nur Gimpel insgemein.
Der Ansicht wird der Herr hier gleicherweis sein;
Wenn nicht, so müßte Schwarz für ihn ja Weiß sein.
[400]
136.
Man findet außer einem Phönix keinen;
Nur immer einen hat die weite Welt.
So gibt's von Männern, sagt man, auch nur einen,
Den seine Gattin nicht zum Narren hält.
Ein jeder nimmt den Glücksfall für den seinen:
Er trägt die Palme, der erlesne Held!
Wie kann denn das für jeden möglich werden,
Wenn niemals mehr als einer lebt auf Erden?
137.
Einst war ich selber in dem Wahn befangen,
Es gäbe noch der keuschen Fraun genug.
Da kam ein Venezianer Herr gegangen,
Den in das Haus mein guter Stern mir trug.
Durch manch Exempel wußt' er's anzufangen,
Daß die Betörung mir entschwand im Flug.
Valerio – Johann Franz – ist er geheißen;
Das kann mir nichts aus dem Gedächtnis reißen.
138.
Der Frauen Ränke wußt' er zu berichten,
Kannt' ihre Listen all und Schelmerein,
Aus Altertum und Neuzeit die Geschichten,
Und gab, was er erfahren, obendrein.
Er zeigte, keusche Frauen gäb's mit nichten,
Ob es nun arme oder reiche sei'n.
Glaubt man einmal, man habe eine reine,
Ist's, weil sich gut verstellt die liebe Kleine.
139.
Und unter andern viel (mir ist geblieben
Von allem nur der dritte Teil vielleicht)
Ist ein Geschichtchen wie in Stein geschrieben
In meinen Kopf, daraus es niemals weicht.
Wer's hört, wird ob der Argen – schlau, durchtrieben –
Zur Ansicht kommen, die der meinen gleicht.
Das möcht' ich zur Beschämung ihnen allen,
Erzählen, will es Euch, o Herr, gefallen.«
[401]
140.
»Ich wüßte«, sprach der Sarazen, »mit nichten,
Was mehr Vergnügen mir zur Zeit verspricht
Als ein Exempel, eine der Geschichten:
Sie setzen, was ich denke, hell ins Licht.
Daß ich kann besser hören, du berichten,
Sitz her zu mir und schau mir ins Gesicht.«
Was nun der Wirt dem Mohren vorgetragen,
Das werd' ich in dem nächsten Sange sagen.
Ausgewählte Ausgaben von
Der rasende Roland
|
Buchempfehlung
Hume hielt diesen Text für die einzig adäquate Darstellung seiner theoretischen Philosophie.
122 Seiten, 6.80 Euro
Buchempfehlung
Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Nach den erfolgreichen beiden ersten Bänden hat Michael Holzinger sieben weitere Meistererzählungen der Romantik zu einen dritten Band zusammengefasst.
456 Seiten, 16.80 Euro