Siebzehnter Gesang

[50] 1.

Wenn wir das Maß der Sünden überschreiten,

Läßt der gerechte Gott, wenn's ihm gefällt

– Damit Gerechtigkeit zu allen Zeiten

Der Gnade gleich sei –, manchmal wohl das Feld

Tyrannen scheußlich, voller Grausamkeiten:

In ihren Dienst wird Kraft und List gestellt;

Er schickt den Marius, Sulla dieser Erden

Und läßt zwei Nero und den Cajus werden,


2.

Den Domitian und von den Antoninen

Den letzten; aus des Pöbels Schmutz hat er

Zum Kaiserthron erhoben Maximinen,

Gab Theben seinen Kreon (schon vorher),

Und dem Mezenz das Feld der Agyllinen;

Von Menschenblut macht der es fett und schwer.

Als Beute ward Italien dann geboten

Den Hunnen, Langobarden und den Goten.


3.

Soll ich von Attila – ja, soll ich künden

Von Ezzelin und von der großen Schar,

Die uns nach langem Weg in lauter Sünden

Des Himmels Straf' und Rache stellten dar?

Der alten Zeit will neue sich verbünden:

Das wird uns in der Gegenwart noch klar,

Wenn uns, der schlechten, unglücksel'gen Herde,

Gott Wölfe schickt als Hirten auf die Erde,
[51]

4.

Die, nicht zufrieden, ihren Bauch zu mästen,

Mit so viel Fleisch zu stillen ihre Gier,

Sich viele schlimmre Wölfe noch zu Gästen

Herholen aus des Nordens Waldrevier.

Und Trasimen mit so viel Leichenresten,

Cannä und Trebia verschwinden schier

Vor dem, was düngt die Felder und Gestade

Mit Adda, Mella, Ronco, Tar zum Bade.


5.

Gott will, Heimsuchung sollen wir erfahren

Durch Völker, schlechter noch als wir am End',

Weil unsre Sünden nicht zu zählen waren

Und unser böses Tun kein Name nennt.

Ihr Land verwüsten künftig unsre Scharen,

Wenn unsre Seele jemals Beßrung kennt

Und ihre Sünden nach dem Ziele führen,

Wo Gottes Güte züchtigt nach Gebühren.


6.

Auf Gottes heitre Stirne mußte Falten

Gerufen haben ihre Missetat,

Daß er allübrall Türk' und Mohr ließ schalten

Mit Raub und Mord und Schande früh und spat;

Doch mehr als alle Schädigungen galten

Die Greul, die Rodomontes Wüten tat.

Ich sagte, daß man Karl die Nachricht brachte

Und er sich auf den Weg zum Markte machte.


7.

Zerstückte Leichen sind am Weg zu sehen,

Zerstörte Tempel, Schlösser rings in Brand;

Verwüstet große Strecken Landes stehen;

So furchtbar Ding hat man noch nie gekannt:

»Erschreckter Hauf, wohin doch wollt ihr gehen?

Seid ihr auf euer Unheil ganz verrannt?

Kann eine Stadt, ein Schlupfort euch noch bleiben,

Wenn ihr euch feige laßt aus der vertreiben?
[52]

8.

Ein einz'ger Mann, in eurem Land gefangen

Und eingeschlossen in der Mauer Schacht,

Soll wieder unverletzt hinausgelangen,

Nachdem er miteinand euch umgebracht?«

So spricht Herr Karl, ihm glühn vor Zorn die Wangen,

Den solche Schmach und Schand' in ihm entfacht,

Zum großen Hofe kommt er und kann schauen

Den Heiden seine Leute niederhauen.


9.

Es floh, voll Hoffnung, Rettung zu gewinnen,

Zum Königsschlosse eine Volkesschar,

Weil viele Munition und Wehr darinnen

Und stark die Mauer des Palastes war.

Der Mohrenfürst, vor Stolz und Wut von Sinnen,

Hatte den Platz für sich nun ganz und gar:

Die Welt verachtend, schwingt das Ungeheuer

Das Schwert und schleudert mit der Linken Feuer.


10.

Des hohen Königshauses hehre Pforten

Läßt er erdröhnen, stieße gern sie ein:

Die drin erwarten, von den höchsten Orten

Gesims und Zinnen schleudernd, Todespein.

Das Dach zu plündern, scheut sich keiner dorten,

Und gleiches Schicksal haben Holz und Stein,

Säulen, Gebälk vergoldet, Tragebanden,

Die bei den Ahnen hoch im Preise standen.


11.

In hellen Stahl gehüllt so Haupt wie Glieder,

Steht Algiers König leuchtend an dem Tor:

So kommt die Schlange aus dem Dunkel wieder,

Wo sie den ganzen alten Schmutz verlor;

Stolz auf die neuen Schuppen blickt sie nieder,

Verjüngt sich fühlend, stark wie nie zuvor,

Beginnt, dreizüngig, glühnden Augs zu schleichen;

Wo sie sich zeigt, die Tiere all entweichen.
[53]

12.

Nicht Bogen, Armbrust, Balken, Stein und Zinnen

Und all die übrigen Geschosse nicht

Hemmen des Heiden blutiges Beginnen;

Das große Tor zerstückt er: es zerbricht:

So weite Öffnung ist bereits darinnen,

Daß man ihn sieht; – er sieht das Angesicht

Von allen den Entsetzten, Todesblassen,

Die, vollgefüllt, des Schlosses Räume fassen.


13.

Hin durch die hohen Dächer hört man Klagen

Erschallen und der Weiber lautes Schrein,

Sieht Fraun verzweiflungsvoll die Brust sich schlagen

Und bleich, verängstet irren aus und ein

Und Küsse zu den trauten Lagern tragen,

Die bald nun fremder Leute sollen sein.

Als alle Dinge so gefährdet schienen,

Kam König Karl mit seinen Paladinen.


14.

Karl wandte sich an diese tapfren Scharen,

Auf die für jedes Tun er zählen konnt':

»Ihr seid doch jene, die da mit mir waren

Gegen den Agolant bei Aspramont?

Habt ihr nun solchen Kraftverlust erfahren,

Daß, wenn Trojan ihr schluget und Almont

Mit hunderttausend, jetzt es euch an Mute

Fehlt gegen einen Mann vom gleichen Blute?


15.

Soll ich in dieser Stund' am Ende sehen,

Daß ihr das Schwert nicht mehr so wuchtig schwingt?

Laßt jenem Hund den Übermut vergehen,

Dem Hunde dort, der Menschen mir verschlingt.

Fest vor dem Tode wird ein Edler stehen:

Gut stirbt er, welche Stund' ihm jenen bringt.

Allein ich weiß, ich kann nicht unterliegen

Durch euch: ihr ließt ja immer noch mich siegen.«
[54]

16.

Beim letzten Wort läßt er den Streithengst rennen

Und sprengt dahin mit eingelegtem Speer. –

Ihm folgen und vor Kampfbegierde brennen

Holger, der Dän', und Naims und Oliver,

Avin, Avol und sie, die nie sich trennen,

Otto der Paladin und Berlingier,

Und alle hieben ein auf Rodomonte,

Auf Stirn und Brust und wie's ein jeder konnte.


17.

Doch, Herr, genug von diesen Greueldingen!

Nicht will ich sprechen mehr von Tod und Wut

Und weiter nicht vom Sarazenen singen,

Des Grausamkeit so groß war wie sein Mut.

Zeit wär's, daß wir zurück zu Grifon gingen,

Der vor Damaskus' Tor blieb wohlgemut

Mit Orrigill, der falschen, und dem dritten,

Der als ihr Bruder war mit hergeritten.


18.

Wohl zu den reichsten Landen ohne Frage

Und den belebtesten im Osten weit

(Her von Jerusalem sind's sieben Tage)

Damaskus zählt: fruchtbar, voll Üppigkeit

Ruht's in der Ebne dort in schöner Lage,

Im Winter lieblich wie zur Sommerszeit.

Wenn früh Auroras erste Lichter prangen,

So pflegt ein Bühl den ersten Strahl zu fangen.


19.

Zwei Ströme fließen durch die Stadt, kristallen:

Geteilt in Bäche, einer großen Zahl

Von schönen Gärten sie vorüber wallen,

Die nie an Blumen und an Laube kahl.

Auch heißt es, daß man mit den Wassern allen

Noch könnte Mühlen treiben ohne Wahl;

Und um die Leute, die des Weges gehen,

Aus allen Häusern Wohlgerüche wehen.
[55]

20.

Von Haus zu Haus der Straße dort, der langen,

Sind Tücher, hell und farbig, ausgespannt;

Von Duftkraut und von Waldeszweigen prangen

Fußböden überall und jede Wand.

Geschmückt ist jede Tür; von Fenstern hangen

Die feinsten Stoff' und Teppich' allerhand,

Doch schöner die geschmückten Frauen scheinen

Mit stolzen Kleidern und mit teuren Steinen.


21.

Man wird gewahr, wie sie ein Fest begehen

An vielen Orten, froh, mit Spiel und Ball.

Die Straße zeigt, daß Reitkunst sie verstehen,

Und wohlgerüstet sind die Rosse all'.

Noch mehr erfreut, den reichen Hof zu sehen

Mit manchem großen Herren und Vasall,

Dazu, was Indien und die Meeresküste

Von Perlen und Gestein zu bieten wüßte.


22.

Als Grifon mit den beiden kam geritten,

Dies alles anzuschauen ohne Hast,

Hielt ihn ein Reiter an, um ihn zu bitten,

Bei ihm doch abzusteigen im Palast,

Und ließ mit Höflichkeit und feinen Sitten

An nichts es fehlen zu willkommner Rast.

Man führte sie zum Bade, und dann heiter

Zu üpp'gem Mahl geleitet er sie weiter.


23.

Geladen, sagt er, zu dem nächsten Tage

Von König Norandin von Syrien sei

Ein jeder Rittersmann von echtem Schlage

(Ob aus dem Land, ob fremd, sei einerlei),

Daß auf dem Hauptplatz einen Kampf er wage

Des Morgens früh in festlichem Turnei;

Den Wert, der ihnen nach dem Aussehn eigen,

Den hätten sie Gelegenheit zu zeigen.
[56]

24.

War Grifon auch im Land zu andern Dingen,

So ging er dennoch auf den Vorschlag ein;

Denn was auch nur den Anlaß mochte bringen,

Mut zu bewähren, sagt' er niemals nein.

Warum die Festlichkeiten vor sich gingen,

Fragt' er, und ob sie glänzend würden sein;

Ob jährlich, ob das Spiel nur jetzt geschähe,

Daß seiner Leute Kraft der König sähe.


25.

»Mit jedem vierten Monat wird begangen

Das schöne Fest«, darauf der Ritter sprach.

»Mit dem von morgen wird erst angefangen;

Das erste ist's, die andern kommen nach.

Jüngst ist der König herbem Los entgangen,

Und die Erinnrung ruft die Feier wach:

Vier Monde lang in Trauer, alle Stunden

Den Tod vor Augen, hat er sich befunden.«


26.

Doch um es dir ausführlicher zu sagen,

So hatte unsern König Norandin

In Bande viele Jahre lang geschlagen

Des Königskinds von Zypern holde Mien'.

Wie er als Gattin sie davongetragen,

Gedenkt er gleich mit ihr davonzuziehn,

Dazu mit einem Herrn- und Damenkreise,

Und stracks auf Syrien zu ging unsre Reise.


27.

Mit vollen Segeln waren wir gezogen,

Dem Hafen fern, in das Karpathos-Meer,

Da jagt ein grimmer Sturm so wild die Wogen,

Daß selbst Poseidon bang geworden wär'.

Drei Tage und drei Nächte lang wir flogen

Durch dräunde Wellen irrend hin und her:

Wir landen schließlich, müd und ganz zerschlagen,

Wo schatt'ge Ufer, grüne Hügel ragen.
[57]

28.

In Zelten und Gardinen uns zu pflegen

Hier zwischen Bäumen, sind wir froh bedacht,

Statt Tisches Teppiche die Diener legen,

Zum Kochen werden Speisen hergebracht.

Derweil hat nach den stillen Waldgehegen

Des nahen Tals der Fürst sich aufgemacht,

Ob er wohl Rehe könn' und Hirsch' erjagen;

Zwei Jäger hinter ihm den Bogen tragen.


29.

Als wir so ruhn und warten mit Behagen,

Daß wieder unser Herr komm' aus dem Wald,

Sehn wir den Ork in unsrer Richtung jagen

Am Meerstrand hin, ein Scheusal mißgestalt:

Gott gebe, daß in Euren Lebenstagen

Er niemals, Herr, sich Eurem Blick entfalt'.

Von ihm zu hören nur wird besser taugen

Als nah ihm sein und folgen mit den Augen.


30.

Was sich vergleichen könnte diesen langen,

Gewalt'gen Gliedern, nicht die Erde hegt.

Unter der Stirn zwei Knochenklumpen hangen,

Schwammfarbig, die er statt der Augen trägt.

Man meint, es komm' ein Berg dahergegangen,

Als er am Strand sich auf uns zu bewegt,

Mit Hauern, wie am Schwein wir sie gewahren,

Die Nase groß, die Brust mit schmutz'gen Haaren.


31.

Die Schnauz' am Boden, sehen wir ihn springen,

Dem Jagdhund gleich, der nach der Fährde spürt.

Angst und Entsetzen in die Seele dringen:

Ein jeder flieht, wie grad die Furcht ihn führt.

Und daß er blind ist, kann nicht Rettung bringen,

Da er mit Riechen noch viel mehr vollführt

Als wem Geruch und Augenlicht gegeben;

Man brauchte Flügel, sich davonzuheben.
[58]

32.

Umsonst sind hierhin, dorthin wir verschwunden,

Er naht schnell wie der Wind und läßt nicht los.

Es haben schwimmend unser Schiff gefunden

Von vierzig Leuten ihrer zehne bloß.

Er trug uns unterm Arme festgebunden

Oder im Busen vornen und im Schoß.

Noch andre ließ er in den Ranzen gleiten,

Der ihm wie einem Hirten hing zu Seiten.


33.

Zur Höhl' am Strand, tief in den Fels gehauen,

Schleppt uns das blinde Scheusal all hinein;

Die Höhle war aus Marmor, weiß zu schauen,

Weiß wie ein unbeschrieben Blatt der Stein.

Dort wohnte die betrübteste der Frauen,

Schmerz grub und Weh sich in die Züge ein.

Mit ihr zusammen Fraun und Fräulein waren,

Schön, häßlich, jeder Art, von allen Jahren.


34.

Der Höhle nah, drin er zu wohnen pflegte,

Hoch etwa wie der obre Wölbungsrand,

Gleich groß war eine andre; drinnen hegte

Die Herd' er, für sie sorgend unverwandt.

Man zählte nicht, was dort sich alles regte;

Sommer und Winter ihn als Hirten fand.

Zu öffnen kam er und sie einzuschließen,

Zum Spaß mehr als um Tierfleisch zu genießen.


35.

Da mocht' er mehr der Menschen Fleisch sich loben:

Drei unsrer Jünglinge schluckt er hinein,

Bevor wir nah sind jener Höhle droben,

Frißt sie – schlingt sie hinab mit Haut und Bein.

Vom Stall weg hat er einen Fels geschoben,

Verjagt die Herde draus und schließt uns ein.

Er führt sie, wo der Grund mag Futter bringen,

Und eine Pfeife läßt er dann erklingen.
[59]

36.

Derweil kann unser Herr den Schaden sehen,

Als er vom Jagen kommt zur Küste her:

In großem Schweigen rings die Fluren stehen;

Die Lauben, Hütten, Zelte – alles leer!

Er weiß nicht auszudenken, was geschehen,

Und voller Angst steigt er hinab zum Meer. –

Die Schiffer sieht er dort die Anker heben

Und sich bemühn, den Masten Halt zu geben.


37.

Sobald die Leute ihren Herrn gewahren,

Ihn aufzunehmen, senden sie das Boot;

Doch kaum hat Norandin vom Ork erfahren,

Der, jene raubend, schuf so schlimme Not,

Als er ihm folgt: ihm graust vor den Gefahren,

Dem Unheil, das der lieben Gattin droht;

Lucina will er zu erretten streben

– So treibt ihn Sehnsucht – oder nicht mehr leben.


38.

Wo sich im Sand die frischen Spuren zeigen,

Da läuft er jetzt mit solcher Eile hin,

Wie sie allein der heißen Liebe eigen.

Zu jenem Höhlenraum kommt Norandin,

Wo wir voll Furcht (nichts kann sie übersteigen)

Des Orkes harren im Gefängnis drin.

Stets denken wir, sobald nur Laute klingen,

Er nahe hungrig, um uns zu verschlingen.


39.

Fortuna fügt, daß nicht im Hause drinnen

Der Ork ist, sondern nur die Frau allein;

Die ruft ihm zu: »O fliehe, flieh von hinnen!

Denn wehe dir, kommt erst der Ork herein!« –

»Der möge,« spricht er, »was er will, beginnen,

Denn elend werd' ich allewege sein!

Die Sehnsucht führt mich, bin nicht irrgegangen,

Tod bei der lieben Frau ist mein Verlangen.«
[60]

40.

Das Weitre, bat er, möge sie ihm sagen

Von jenen, die der Ork ergriff am Strand:

Vor allem, ob in Ketten sei geschlagen

Lucina, ob schon in den Tod gesandt.

Sie gibt ihm freundlich Antwort auf die Fragen

Und ist mit manchem Trosteswort zur Hand,

So: daß sie lebe, auch am Leben bleibe,

Gefressen habe nie der Ork vom Weibe:


41.

»Kannst ja dies alles an mir selber sehen.

Auch hier den Frauen – sie begleiten mich –

Ist niemals Böses durch den Ork geschehen,

Wenn keine von der Höhle hier entwich.

Die fliehen will, der wird es schlimm ergehen:

Sie findet keine Gnade, sicherlich;

Er gräbt sie lebend ein, legt sie in Bande,

Läßt sie wohl auch der Sonne nackt im Sande.


42.

Vernimm: als er die deine brachte heute,

Mit Frauen und mit Männern, nun, da schied

Er kein Geschlecht und legte deine Leute

Hier in die Höhle, wie das just geriet.

Die Nase sagt ihm das Geschlecht der Beute;

Den Frauen niemals hier ein Leid geschieht,

Den Männern freilich, und die Knochen krachen

Von vier bis sechsen täglich ihm im Rachen.


43.

Doch keinen Rat vermag ich dir zu geben,

Wie sie befrein; daß du sie sicher weißt,

Genüge, und daß nichts bedroht ihr Leben:

Sie leidet, was wir leiden allzumeist.

Doch du sollst dich, um Gott, von dannen heben,

Daß nicht der Ork dich merkt und dich verspeist:

Was nur im Haus ist, wird von ihm errochen,

Bis auf den Maulwurf, der hereingekrochen.«
[61]

44.

Doch Norandin will nicht vom Platze weichen,

Wenn nicht sein Aug' zuvor Lucina säh,

Er zähle sie noch lieber zu den Leichen,

Als daß allein er in die Ferne geh'.

Als sie auf keine Weise kann erreichen,

Daß er auf dem Entschlusse nicht besteh',

Will sie behilflich sein mit Kopf und Händen

Und alle Müh' auf neuen Plan verwenden.


45.

Lämmer und Ziegen waren, um die Wette

Geschlachtet, mit den Gatten aufgereiht;

Daß sie im Haushalt niemals Mangel hätte,

Hing Fell auf Fell vom Dach zu jeder Zeit.

Sie gab darauf dem König von dem Fette

Aus eines großen Bockes Eingeweid',

Daß er damit sich salb' am ganzen Leibe

Und der Geruch den andern so vertreibe.


46.

Als er nun von dem Dufte scheint durchdrungen,

Der an dem stink'gen Bocke so verhaßt,

Schlüpft er ins Fell und wird von ihm umschlungen;

Es ist so weit, daß es ihn ganz umfaßt.

Nun die Umhüllung wunderbar gelungen,

Muß er auf vieren gehn: in aller Hast

Hin führt sie ihn, wo, von dem schweren Steine

Verschlossen, weilt die Liebliche, die Seine.


47.

Gehorsam wartend läßt die Zeit verstreichen

Der König Norandin vorm Höhlenort,

Um mit der Herde dann sich einzuschleichen.

Und bis zum Abend harrt er sehnend dort.

Da schließlich klingt von der Schalmei das Zeichen,

Zur Heimkehr mahnend, daß nicht weiter fort

Die Tiere mögen feuchte Gräser pflücken.

Der grimme Hirt kommt in der Herde Rücken.
[62]

48.

Nun denkt, wie mochte wohl das Herz ihm beben!

Er fühlt des Ungetümes Wiederkehr

Und sieht das grauenvolle Antlitz streben,

Das unbarmherzige, zur Höhle her!

Doch Furcht muß vor der Liebe fort sich heben.

Sagt, liebt er wirklich oder heuchelt er?

Der Ork ist in die Höhl' hineingestiegen,

Auch Norandin mit Lämmern und mit Ziegen.


49.

Der Ork kommt, als die Herd' hereingelassen,

Und auch den Fels hat er vors Loch gesetzt:

Alle beriecht er, zwei dann zu erfassen;

Er hält ja seine große Mahlzeit jetzt.

Vor Schauder muß ich heute noch erblassen,

Gedenk' ich, wie die Hauer mich entsetzt.

Der König wirft, nachdem der Ork gegangen,

Sein Bocksfell ab, die Gattin zu umfangen.


50.

Statt daß sie Freud' und Glück empfunden hätte,

Ihn hier zu sehn, hat sie nur Gram und Leid:

Unmöglich ist es ja, daß er sie rette;

Er hat nur noch sich selbst dem Tod geweiht:

»Bei allem Leiden, Herr, an dieser Stätte,

Nicht kleine Freude war mir's alle Zeit,

Daß du gefehlt in unsrer Mitte heute,

Als mich der Unhold schleppte fort als Beute.


51.

War der Gedank', an Todes Tür zu stehen,

Mir bitter (wohl drückt' mich's gar sehr),

Fühlt' ich, wie's nach dem Trieb ja muß geschehen,

Nur um mein eigen traurig Los Beschwer;

Doch jetzt – magst du nun vor mir, nach mir gehen –

Nicht eigner Tod, nein, deiner schmerzt mich mehr!«

So sprach sie und erhob viel größre Klage

Um Norandin als um die eigne Lage.
[63]

52.

Er sprach: »Die Hoffnung winkt mit ihrem Scheine,

Dich zu erretten und auch diese hier;

Mißlingt's, sterb' ich; mit dir nur im Vereine

Bin ich nicht blind, ich lebe nur mit dir.

So, wie ich herkam, geh' ich fort; ich meine:

Wir fliehen, und ihr alle geht mit mir,

Tragt ihr nicht Scheu – ich selbst tat's ohne Grämen,

Geruch von niedren Tieren anzunehmen.«


53.

Er meldet uns die List (die man ihm heute

Anriet), wie man des Orkes Nase prellt:

Wir sollten schlüpfen in die Ziegenhäute,

Wenn der am Ausgang tastend Wache hält.

Man sieht (als dies sich eingeprägt die Leute),

Wie sich die Zahl der Fraun und Männer stellt:

So viele Böcke werden abgestochen,

Und zwar von alten, die am stärksten rochen.


54.

Mit dickem Fett aus ihren Eingeweiden

Führt jeder seines Körpers Salbung aus;

Worauf wir in die ekle Haut uns kleiden.

Indes verläßt der Tag sein goldnes Haus,

Und als der erste Strahl bescheint die Weiden,

Kommt auch der Hirt – wir hören das heraus –:

Die Pfeife blasend, ruft er mit den hellen

Tönen die Herde zu sich aus den Ställen.


55.

Daß wir mit ihr nicht durch das Loch uns drücken,

Streckt er die Hand aus vor der Höhle Spalt:

Er prüft, wer durchgeht; wo er auf dem Rücken

Fühlt Woll' und Haar, den läßt er alsobald.

Der heikle Weg wollt' allen trefflich glücken,

Männern und Frauen, so in Bocksgestalt,

Und niemand wurde von dem Ork gefangen,

Bis Frau Lucina kam in großem Bangen:
[64]

56.

Sei's nun, daß sie zu großen Ekel spürte,

Sich richtig einzuschmieren, so wie wir,

Sei's daß im Gang sie nicht so flink sich rührte,

Wie es zu tun pflegt das bewußte Tier,

Sei's, daß sie schrie, als sie der Ork berührte

(Ein Laut der Furcht vielleicht entschlüpfte ihr),

Vielleicht auch lösten sich die Haare leise;

Sie ward erkannt auf irgendeine Weise. –


57.

Wir gehen, ohne sonst etwas zu sehen,

Nur auf das eigne Ich den Sinn gewandt,

Da läßt ihr Jammern laut den Kopf mich drehen:

Ich sah, er nahm ihr schon das Bocksgewand;

Sie muß zurück zum Höhlenraume gehen.

Wir in den Fellen kriechen miteinand

Hin, wie gerad der Hirt die Herde leitet,

Wo grüne Au sich zwischen Hügeln breitet.


58.

Dort harrten wir, bis daß, vom Schlaf umfangen,

Der nasenreiche Ork im Schatten lag,

Worauf zum Berg die, die am Meer hinsprangen,

Nur Norandin der Spur nicht folgen mag.

Ihn hält die Liebe alsofest umfangen:

Er will zum Höhlenraum zurück vom Hag

Und nimmer bis zum Tod von ihr sich trennen,

Kann er sich nicht der Teuren Retter nennen.


59.

Als er vorher sie in des Scheusals Händen

Am Höhlenspalt allein gefangen sah,

Wollt' er verzweifelt schon sein Leiden enden,

Und wenig fehlte, daß es so geschah.

Aufsprang er, sich zum Scheusal hinzuwenden:

Die Hauer, die zermalmten ihn beinah,

Doch schließlich hielt die Hoffnung ihn zurücke,

Daß sie hinwegzubringen noch ihm glücke.
[65]

60.

Es wurde Abend. Ork und Herde kehren

Nach Haus. Als er bemerkt, wir sind entflohn

Und er muß ohne Abendmahlzeit bleiben,

Schilt er Lucina mit erzürntem Drohn:

Im Frein zu bleiben ewig auf den leeren

Höhen des Bergs, in Ketten, sei ihr Lohn.

Der König sieht: um ihn muß sie verderben!

Der Schmerz zerstückt ihn, läßt ihn bloß nicht sterben.


61.

Am Morgen und am Abend kann der Arme

Sie dort in Jammer und in Tränen sehn;

Denn stets erscheint er in dem Ziegenschwarme,

Ob sie zum Stall, ob in die Felder gehn.

Sie winkt ihn traurig fort: er sieht mit Harme

Sie immer nur um seine Rettung flehn;

Denn, bleib' er hier, so gelt' es ja sein Leben,

Und keinen Beistand könn' er doch ihr geben.


62.

Davonzufliehen von den grausen Stätten,

Fleht auch die Frau des Ork den König an:

Standhafter stets, verschmäht er, sich zu retten,

Wenn er Lucina nicht befreien kann.

So blieb er, in der Treu' und Liebe Ketten

Ausharrend, bis durch guten Zufall dann

Mit einemmal an diesen Felsenrainen

Gradasso und Herr Mandrikard erscheinen,


63.

Die jetzt mit ihrer Kühnheit es vollbrachten,

Daß die geplagte Schöne Freiheit fand

(Ob Glückes Gaben auch das meiste machten);

Sie trugen sie voll Eile nach dem Strand,

Worauf sie noch zum Vater hin sie brachten.

Der frühe Morgen dies geschehen fand,

Da Norandin, mit jener Herd' im Bunde,

Der Ruhe pflegte auf dem Weidegrunde.
[66]

64.

Doch als die Schranke später fiel am Morgen

Und ihm der Gattin Weggang wurde klar

(Denn nichts hielt ihm die Frau des Ork verborgen;

Sie legte ihm genau den Vorgang dar),

Da dankt' er Gott, empfahl auch seinen Sorgen

Sie, die so großem Weh entgangen war:

Er führe sie dahin, von wo sie Waffen,

Sei's Gold und Bitten, in die Heimat schaffen.


65.

Aufbricht er mit des Viehs plattnas'gen Haufen

Und kommt zur grünen Weide wohlgemut.

Dort harrt er, bis der Ork, sich zu verschnaufen,

Den Schatten sucht und auf dem Grase ruht.

Dann macht er sich durch Tag und Nacht ans Laufen,

Bis er vorm Ungetüm in guter Hut.

In Satalich hat er ein Schiff genommen

Und ist, drei Monde sind es, heimgekommen.


66.

Ganz Rhodus, Zypern, Schlösser sowie Städte

Von Türkenland, Ägypten, Afrika

Durchsuchen seine Boten um die Wette;

Vorgestern erst war eine Kunde da:

Es schrieb, daß er gesund sie bei sich hätte,

Der Schwiegervater aus Nikosia,

Nachdem durch lange Zeit recht böse Winde

Sich feindlich ihm gezeigt und seinem Kinde.


67.

Der guten Kunde recht sich zu erfreuen,

Richtet nun unser Herr die Feierzeit,

Und wenn der vierte Mond sich will erneuen,

Wird gleichem Zweck ein ähnlich Fest geweiht,

Damit ihm die vier Monde stets im treuen

Gedächtnis bleiben, da in zott'gem Kleid

Er in der Herde war; darauf geborgen

An einem Tag: der schließt den Zeitraum morgen.
[67]

68.

Was ihr vernahmt, erlebt' ich selbst zum Teile,

Teils stellt' es, wer es wissen muß, mir dar:

»Der König nämlich, der die ganze Weile,

Bis Leid zu Lust ward, gegenwärtig war.

Und wird euch anderer Bericht zuteile,

Sagt, wer ihn bringe, irre ganz und gar.«

So unterrichtete der Edelmann die Gäste

Vom hohen Anlaß zu dem großen Feste.


69.

Verschiedne Stunden von der Nacht verstreichen

Den Rittern in Gesprächen dieser Art;

Sie schließen: Lieb' und Treue sondergleichen

In schwerer Prob' hat Norandin gewahrt.

Nach Tische gingen alle zu den reichen

Gemächern hin, drin ihnen Wohnung ward.

Am Morgen drauf, dem heiteren und schönen,

Erwachten sie von frohen Festestönen.


70.

Trompeten, Becken ziehen auf und nieder,

Zum Marktplatz kommen Mann und Weib und Kind.

Es hallt von Wagen und von Rossen wider,

Und voll von Jubel, alle Straßen sind.

In lichte Rüstung Grifon hüllt die Glieder,

In solche, wie sie wohl sich selten find't,

Die undurchdringlich ist durch Zaubereien:

Die weise Fee kam selbst ja, sie zu feien.


71.

Es wappnet sich (wenngleich mit Furcht und Bangen)

Antiochias Sohn und nimmt bei Grifon Stand.

Der edle Wirt hielt fertig schwere Stangen

Und mächt'ge Lanzen, wuchtig in der Hand;

Ist mit den Gästen dann zum Platz gegangen

Samt seiner Sippe, all von hohem Stand,

Auch Knappen, teils zu Fuß und teils beritten,

Passend zu solchem Dienst, von guten Sitten.
[68]

72.

Zum Platz gelangt, fern vom Gedränge, stehen

Die Ritter eine Weile noch beiseit,

Um Mavors schöne Schar sich anzusehen,

Sie nahen einzeln, zwei und drei zum Streit.

Die wohlgewählten Farben, drin sie gehen,

Zeigen den Damen Freude oder Leid:

Der läßt am Helm sehn, der am bunten Schilde,

Ob Amor hart sei gegen ihn, ob milde.


73.

So wie's gebräuchlich war im Westen, pflegten

Die Syrer damals meist sich anzuziehn,

Wohl, weil sie unter Franken sich bewegten:

Denn die zu sehn, war ihnen oft verliehn,

Weil sie ja jene heil'ge Stätte hegten,

Wo Gott der Herr im Fleische einst erschien.

(Die stolze Christenheit läßt, ach, zur Stunde,

Zu ihrer Schmach, sie in Gewalt der Hunde.)


74.

Wo sie mit Recht die Lanze sollten senken

Zu heil'gen Glaubens Förderung und Heil,

Da will man nicht an Haun und Stechen denken;

Das bißchen, das man glaubt, vergeht derweil.

Auf, Spaniens Volk, auf, Frankreichs, wollet lenken

Den Fuß, ihr Schweizer, Deutsche, hin in Eil',

Wo eine beßre Beute sich mag zeigen,

Denn, was ihr sucht, ist ja schon Christus eigen!


75.

Wollt ihr noch »allerchristlich« heißen weiter

Und ihr »katholisch«, wie ihr euch genannt,

Warum denn töten Jesu Christi Streiter?

Warum verwüsten denn ihr Gut und Land?

Jerusalem zu nehmen wär' gescheiter

(Entrissen hat es Renegatenhand),

Daß mit Byzanz der schönste Teil der Erde,

Der jetzt des Türken, wieder unser werde!
[69]

76.

Sieh Afrika so nah, o Spanien, liegen!

Mehr als Italia hat dir's Leid gebracht,

Doch um uns Arme grausam zu bekriegen,

Hast du des schönen ersten Plans nicht acht!

Italia, Pfuhl, dem alle Sünd' entstiegen,

Berauschte, sprich, ob dich's nicht schamrot macht,

Daß du bald dieser und bald jener Horden,

Die einst dir Sklaven waren, Magd geworden!


77.

Bringt dich die Furcht, im Höhlenloch zu sterben

Vor Hunger, Schweizer, nach der Lombardei,

Suchst du bei uns dein Brot dir zu erwerben

Oder den Tod (der macht von Nöten frei),

So sind des Türken Schätze ja zu erben:

Verjag' ihn, ob's nur aus Morea sei!

Du kannst dich retten dann aus Mangels Krallen,

Wenn nicht, mit größerem Verdienste fallen.


78.

Dasselbe muß ich deinem Nachbar sagen,

Dem Deutschen, noch: Reichtümer gibt es dort,

Wohin sie Konstantin von Rom getragen;

Das Beste nimm dir, und den Rest gib fort:

Pactolus, Hermus mit den Goldeslagen,

Migdonien, Lydien und, wo Ort an Ort

Dir die Geschichte nennt mit hohem Preisen,

Das Land – es ist nicht ferne – laß dir weisen!


79.

O großer Leo, du, auf dessen Rücken

Der Himmelsschlüssel schwere Last gebannt,

Laß nicht Italias Haupt zum Schlaf sich bücken!

Faß es bei seinem Schopf mit starker Hand.

Du bist der Hirt, und deine Finger drücken

Den Stab von Gott, und Leu bist du genannt,

Damit du brüllst: so breite denn die Arme

Zum Schutz der Herde vor des Wolfes Harme!
[70]

80.

Wie hab' ich mich, um dies und das zu sagen,

Verirrt von meinem Wege doch so sehr!

Je nun, ich denk', ich kann die Brücke schlagen;

Die Richtung finden ist nicht allzu schwer.

Man sieht in Syrien – sagt' ich – Waffen tragen,

Wie sie gebräuchlich sind im Frankenheer:

Schön ist der Kampfplatz in Damask zu sehen,

Wo sie gehüllt in Helm und Panzer gehen.


81.

Den Kämpfern geben Blumen das Geleite

Von schönen Damen, die auf Söllern stehn,

Derweil bei Hörnerklang sie vor dem Streite

Die Rosse tummeln und im Kreise drehn.

Ein jeder braucht, ob gut, ob schlecht er reite,

Die Sporen flink: man läßt sich gerne sehn!

Der eine wird mit Lob und Preis erhoben,

Beim andern lachen sie und schrein und toben.


82.

Vom König ward als Siegespreis gegeben

Ein herrlich Panzerkleid, das jüngst er fand,

Als er zurückkam aus Armenien eben,

Und zwar am Weg, in eines Händlers Hand.

Er fügt' hinzu aus edelsten Geweben

Das Oberkleid und ließ noch das Gewand

Mit Gold versehn und so viel Perlen, Steinen,

Daß sie zu großem Schatze sich vereinen.


83.

Hätte der Fürst gekannt der Rüstung Wesen,

Ganz unvergleichlich hätt' er sie eracht't

Und nimmer zum Turnierpreis auserlesen,

Wie sehr er auch aufs Spenden war bedacht.

Lang hielt' es auf, zu sagen, wer's gewesen,

Der so verschmäht sie hatt' und mißgeacht't,

Um sie als Beute auf der Straße Mitten

Jedem zu lassen, der da hergeschritten.
[71]

84.

Davon wird wohl ein andermal gesungen;

Von Grifon meldet Euch der Sang jetzund:

Es war schon mancher Hieb und Stoß erklungen

Und mancher Speer gebrochen in der Rund';

Vereinigt hatten acht sich von den jungen

Und nächsten Freunden Norandins zum Bund,

Im Waffenspiele flink und wohlerfahren,

Und alle Herrn von hoher Abkunft waren.


85.

Die stellten sich den Tag zum Kampfesspiele

Auf freiem Platz der Reih' nach jedermann,

Solang dem Herrn und König es gefiele,

Mit Speer und Schwert und Keule, öffnen dann

Mit Stich und Hieb und Schlag der Panzer viele,

Kurz, tun im Scherz ei ander alles an

Wie richt'gem Feind; nur, daß ein »Halt!« erschallen

Vom König kann und trennen nach Gefallen.


86.

Der von Antiochien, ohne Sinn und Ehre

(Er war Martan der Feige zubenannt),

Als ob er von der Stärke Grifons wäre,

Weil er mit ihm zusammen sich befand,

Trat kühn hinein zum Kampf mit Schwert und Speere.

Er nahm, zunächst noch wartend, seinen Stand,

Bis daß ein scharfer Strauß sei ausgefochten,

In den zwei tapfre Ritter grad verflochten.


87.

Der Herr von Seleucia, auch vom Bunde,

Der da mit jedem Ritter Lanzen bricht,

Focht mit Ombrun und stach ihm böse Wunde:

Der Speer, der traf ihn mitten ins Gesicht,

So daß er starb. Und schade war's im Grunde,

Denn einen bessern Ritter gab es nicht.

Er war voll Trefflichkeit und edlem Wesen,

Wie keiner noch im Land zuvor gewesen.
[72]

88.

Da naht die Furcht, es könn' auch ihm geschehen

Wie jenem guten Ritter, dem Martan,

Und er gedenkt auf und davon zu gehen,

Denn gegen die Natur kann er nicht an.

Grifon, der das mit Unmut hat gesehen,

Redet ihm zu und stößt ihn vor sodann

Auf einen Krieger; vorwärts schleicht der Degen,

So wie der Hund sich regt dem Wolf entgegen:


89.

Zehn, zwanzig Schritt ist er ihm nachgelaufen,

Kehrt dann sich um, mit Bellen hinzusehn,

Wie der die Zähne fletscht mit grimmem Schnaufen,

Und Flammen schrecklich aus den Augen gehn.

Hier, wo die Fürsten sind, wo ganze Haufen

Von tapfern, edlen Herren schauend stehn,

Flieht vorm Zusammenstoß Martan der Zage

Und dreht das Roß, damit es rechtshin jage.


90.

War schuld vielleicht das Pferd in diesem Falle,

Was dann den Vorwurf hätte leicht gemacht,

Blamiert er sich beim Schwertkampf doch mit Schalle,

Kein Demosthen hätt' ihn hier durchgebracht:

Papieren schien die Wehr, nicht von Metalle,

Und auszuweichen war er nur bedacht.

Er flieht zuletzt, ringsum die Reihen störend

Und hinter sich der Leute Lachen hörend.


91.

Das Händeklatschen schallt die ganze Weile

Aus Volkesmassen und ein lautes Schrein.

Gejagtem Wolfe gleich, so flieht in Eile

Martan zurück in sein Versteck hinein.

Und Grifon bleibt; er meint von einem Teile

Des Hohns und Schimpfes selbst befleckt zu sein.

Im Feuer lieber möcht' er jetzt sich winden,

Als hier an diesem Orte sich befinden.
[73]

92.

Als wäre seine Schuld die schnöde Lage,

So glüht sein Herz, so flammt sein Angesicht.

Die Menge meint und hofft, vom gleichen Schlage

Werd' er sich zeigen wie der feige Wicht.

Daß höher drum sein Wert als jemals rage,

Gilt es, zu strahlen in dem hellsten Licht.

Ein Fehler zollgroß wächst in solchen Fällen

Durch schlechten Eindruck gleich um sieben Ellen.


93.

Schon auf dem Schenkel hat die Lanze liegen

Grifon, der sich auf Waffenkunst verstand,

Und läßt das Roß mit vollen Zügeln fliegen;

Nach einer Weile nahm er sie zur Hand,

Den von Sidonia kräftig dranzukriegen

Mit wucht'gem Stoß, daß er den Boden fand.

Ein jeder hob sich staunend auf die Zehen,

Das Umgekehrte dachte man zu sehen.


94.

Nun wendet Grifon rasch wie Ungewitter,

Die Lanze war noch fest und unversehrt;

Doch sieh, mit einem Male in drei Splitter

Am Schild des Herrn von Lodice sie fährt.

Zwei-, dreimal scheint zu fallen schon der Ritter,

Nach hinten ausgestreckt auf seinem Pferd,

Dann hebt er sich, hat nun das Schwert gezogen,

Kehrt um und ist auf Grifon zugeflogen.


95.

Der blieb im Sattel, ließ sich nicht bezwingen;

Der starke Speerstoß warf ihn nicht hinab.

Denkt Grifon: »Will es nicht dem Speer gelingen,

In fünf, sechs Hieben macht das Schwert es ab!«

Und einen läßt er auf der Schläfe klingen,

So rasch: – vom Himmel, scheint's, kam er herab.

Ein zweiter folgt und gleich danach ein dritter:

Betäubt zur Erde nieder sinkt der Ritter.
[74]

96.

Gewohnt, stets in Turnieren obzusiegen,

Waren zwei Brüder aus Apamia,

Tirs und Corimb, und beide Helden liegen,

Gefällt vom Sohn des Oliver, nun da:

Vom Speer mußt' einer aus dem Sattel fliegen,

Dem andern erst vom Schwerte das geschah.

Schon allgemein heißt es im Haufen drinnen:

»Nur dieser wird den Siegespreis gewinnen.«


97.

Die Schranken öffnen sich, der Marschall reitet

Herein, Groß-Diodarr Herr Salintern,

Der als ein auserlesner Krieger streitet,

Und dem das ganze Reich gehorcht als Herrn.

Verdruß hat über Maßen ihm bereitet,

Daß sich den Preis hol' einer aus der Fern'.

Er nimmt den Speer, ruft Grifon zu voll Grimme

Und fordert ihn heraus mit drohnder Stimme.


98.

Ein Speerstoß gab die Antwort; diesen kannte

Herr Grifon als den besten unter zehn:

Zielt auf den Schild zur Sicherheit, durchrannte

Den Harnisch, ließ die Spitze weiter gehn,

Bis er sie durch den ganzen Körper sandte:

Sie war am Rücken handbreit noch zu sehn.

Dem König nicht, sonst jedem hat's gefallen;

Verhaßt war Salintern durch Geiz bei allen.


99.

Zwei edle Herren von Damaskus fallen,

Carmond und Ermofil, durch Grifons Speer:

Dieser gebeut den Kriegerscharen allen,

Und jener ist Großadmiral vom Meer.

Der fliegt vom Sattel beim Zusammenprallen,

Und auf den andern legt die Last sich schwer

Des schlechten Pferds: es war zu schwach, das arme,

Und hielt die Wucht nicht aus von Grifons Arme.
[75]

100.

Als bester Krieger gegen all die sieben

Der Herr von Seleucia übrig war,

Und seiner Stärke war gesellt geblieben

Ein gutes Roß und Rüstung wunderbar.

Da, wo des Helms Visier sich läßt verschieben,

Trifft seinen Gegner jeder von dem Paar;

Doch Grifons Stoß war mächt'ger als des Mohren:

Den linken Stegreif hatte der verloren.


101.

Fort fliegt der Speerstumpf, und mit nackten Klingen

Voll kühnen Mutes haun sie aufeinand:

Vom Hieb, der durch den Amboß könnte dringen,

Der starke Heide sich getroffen fand,

Und Bein und Eisen an dem Schild zerspringen,

Der als der beste unter tausend stand.

War doppelt nicht der Harnisch und erlesen,

Die Hüfte wäre noch zerhaun gewesen.


102.

Nun hieb zu gleicher Zeit der Syrierreiter

Grifon auf das Visier mit solcher Macht:

Zertrümmert wär' es wohl dem Christenstreiter,

Hätte nicht Zauberkraft den Helm gemacht.

's ist Zeitverlust, draufloszuschlagen weiter;

Zu gleicher Härte ward der Stahl gebracht.

Bei ihm jedoch hat's Bruch und Riß gegeben:

Wo Grifon schlägt, da schlägt er nicht daneben.


103.

's ist klar, bald wird in Ritter Grifons Händen,

Besiegt, der Herr von Seleucia sein,

Und läßt der König nicht den Kampf beenden,

So büßt, wer unterliegt, das Leben ein.

Man sieht den Fürsten sich zur Wache wenden,

Und diese mischt sich in den Kampf hinein:

Aufhören läßt man jenen so wie diesen,

Und jeder hat die gute Tat gepriesen.
[76]

104.

Die acht, die mit der Welt es aufgenommen

Und einem einzigen erlagen dann –

Das Ding war ihnen sämtlich schlecht bekommen –,

Hatten den Platz verlassen, Mann für Mann.

Es fragt sich, ob, wer zu dem Kampf gekommen,

Mit ihnen, jetzt noch Gegner finden kann,

Weil Grifon ganz allein unmöglich machte,

Was alle gern versuchten gegen achte.


105.

So war recht kurz des Festes Freudenkette:

In einer Stunde kaum war es vorbei.

Damit das Spiel noch längre Dauer hätte

Und gegen Abend erst zu Ende sei,

Kam Norandin, ließ reinigen die Stätte

Und teilte dann die ganze Schar in zwei.

Er ließ, wie sie nach Blut und Probe waren,

In neuem Kampfspiel fechten stets nach Paaren.


106.

Grifon inzwischen, Zorn und Wut im Herzen,

War in sein Wohngemach zurückgekehrt.

Die Schmach Martans, sie macht ihm größre Schmerzen,

Als ihm des Siegers Ehre Lust beschert.

Die Schart' auf seinem Namen auszumerzen,

Hat sich aufs neu das Lügenmaul bewährt:

Die Buhle, die verlogene, gescheite,

Steht ihm mit aller Kraft dabei zur Seite.


107.

Ob es ihm glaublich oder nicht geschienen,

Er nahm die Ausred' hin, als kluger Mann,

Und still und heimlich fortzuziehn mit ihnen

Sofort, deucht ihm das Rätlichste sodann:

Denn wäre vor dem Volk Martan erschienen,

So fing am Ende gar ein Auflauf an,

Drum suchten sie vom Tore kurz und grade,

Ganz heimlich und verborgen, ihre Pfade.
[77]

108.

Ob Grifons Lider nun der Schlaf beschwerte,

Ob er aus Müdigkeit den Halt beschloß,

Schon in der allerersten Herberg kehrte

Er ein (man ritt ein halbes Stündchen bloß),

Tat ab den Helm und was ihn sonst bewehrte,

Und hieß entschirren gleichfalls jedes Roß,

Ging in die Kammer, legte drin sich nieder,

Und nackt im Bett streckt' er zum Schlaf die Glieder,


109.

Um gleich auch das Bewußtsein zu verlieren,

Es machte einem tiefen Schlummer Platz,

So schlief noch niemals eines von den Tieren,

Sei's nun der Siebenschläfer oder Ratz.

In einem Garten nahebei spazieren

Ging Orrigill indessen mit dem Schatz,

Und dort nun ward der ärgste Trug gesponnen,

Den jemals noch ein Menschenwitz ersonnen.


110.

Martan will sich mit Grifons Hengst versehen

Und Kleid und Waffen, die der Ritter trägt,

Und hin zum König als der Kämpe gehen,

Der so viel Proben heut hat abgelegt.

Und kaum gedacht, so ist's auch schon geschehen:

Er holt den Hengst, der Milch an Weiße schlägt,

Und eilt, des Helden Schild und Helm und Waffen

Und ganze Oberkleidung aufzuraffen.


111.

Martan, die Knappen und die Damen gingen

Zurück, wo man noch zusah dem Turnier,

Im Augenblicke, als das Schwerterschwingen

Und Lanzenstechen war zu Ende schier.

Der Fürst gebeut, den Ritter ihm zu bringen,

Der weiße Federn trug als Helmeszier

Und auch die Kleider weiß und weißen Renner;

Denn nicht den Namen jenes Siegers kenn' er.
[78]

112.

Er, der versteckt war in dem fremden Felle,

So wie der Esel einst im Löwenkleid,

Kam hin zu Norandin an Grifons Stelle,

Wie er's geplant. Der Fürst, zu Huld bereit,

Umarmt und küßt ihn, und der Schandgeselle

Setzt auf Befehl sich an des Königs Seit';

Und nicht nur ehren will ihn der als Helden,

Nein seinen Wert auch aller Welt vermelden


113.

Und heißt durch Hörnerklänge Kunde bringen,

Daß er der Sieger sei in dem Turnier;

Zu den Balkonen rings die Töne dringen

Und feiern schnöden Namen dort und hier.

Der Fürst befahl, wenn sie zum Schlosse gingen,

So reit' er neben ihm, als Gleicher schier,

Und überschüttet ihn mit Gunst und Gnade,

Wie einen Mars und Herkules gerade.


114.

Gemächer prächtig öffnen ihm die Türen

Im Schloß; auch Orrigill wird hochgeehrt,

Es kommen edle Junker, sie zu führen,

Und Kavaliere. – Doch daß man erfährt,

Wie es mit Grifon steht, will sich gebühren,

Der ohne Ahnung, was man ihm beschert,

Nicht Trug besorgt und, sich am Schlafe labend,

Liegt, ohne zu erwachen, bis zum Abend.


115.

Als er erwacht, sieht er die späte Stunde

Und eilt aus seiner Kammer fort im Lauf

Hin, wo die Falsche, mit dem Kerl im Bunde

Zurückblieb und der Sippschaft ganzer Hauf.

Als er nach Kleid und Waffen in der Runde

Vergebens umblickt, steigt Verdacht ihm auf:

Der andre ließ am Orte seine Waffen;

Das muß natürlich größern Argwohn schaffen.
[79]

116.

Der Wirt erschien, von jenem zu bekunden,

Daß er, geschmückt mit weißem Waffenkleid,

Sei in der Richtung nach der Stadt entschwunden

Längst mit der Dame und dem Dienstgeleit.

Von Grifon ward gemach die Spur gefunden

(Amor hielt sie verdeckt so lange Zeit):

Er fühlte bittren Schmerz, als er erkannte,

Daß Orrigill den Buhlen Bruder nannte.


117.

Wie muß er jetzt die eigne Dummheit hassen,

Die ihn, als er die Wahrheit doch erfuhr

Von Fremden, jener hat vertrauen lassen,

Die ihn schon sonst betrog! Sie log ja nur!

Wird er sich rächen? Erst den Schurken fassen,

Das gilt es jetzt, und folgen seiner Spur.

Der Held nimmt – böser Fehler! – Roß und Waffen

Des Wichtes, um ihn selbst zur Stell' zu schaffen.


118.

Nackt lieber, ohne Waffen sollt' er stehen

Als mit dem Harnisch von so schlechtem Mann,

Dem Helme, mit der schnöden Zier versehen,

Beschimpftem Schild, in arger Schande Bann.

Doch, weil es gilt, den beiden nachzugehen,

Vernunft nicht mit Begier sich messen kann.

Er kam zur Stadt, als schon der Tag sich neigte

Und noch für eine Stunde Leben zeigte.


119.

Dem Tore nah (er mußt' es wohl durchschreiten)

War links ein Prachtkastell, gar wohl imstand,

Darin, war's auch nicht stark für Kriegeszeiten,

Sich eine Menge reicher Zimmer fand.

Der Fürst und Syriens edle Herrn, zu Seiten

Von Damen in erlesnem Festgewand,

Ließen sich fröhlich in der Laube Hallen

Das königliche leckre Mahl gefallen.
[80]

120.

Über den Mauerrand die Räume steigen

Auf hohem Felsen aus der Stadt heraus,

So daß von dort sich all die Straßen zeigen

Und die verschiednen Pfade weit hinaus.

Als Grifon in der Rüstung nun des Feigen,

Der schmählichen, erschien am Tore drauß,

Bot er sich – dank dem widrigen Geschicke –

Des Königs und des ganzen Hofes Blicke.


121.

Man sieht in ihm den schmachbedeckten Streiter,

Mit Lachen schaun die Gäste hin auf ihn.

Beim König sitzt der Schuft Martan als Zweiter

(So große Huld hat ihm der Fürst verliehn),

Die würd'ge Freundin einen Sessel weiter.

Zu ihnen kehrt sich fröhlich Norandin,

Um zu erfahren, wer doch sei der Zage,

Der kein Gefühl für Ehr' im Herzen trage


122.

Und jetzt, nach schlimmer Probe, unverlegen,

Mit solcher Stirne komme wieder her:

»Ihr seid doch selbst ein echter, wackrer Degen,«

Sprach Norandin, »da wundert's, traun, mich sehr,

Daß Euch ein Feigling folg' auf Euren Wegen –

Solch einen sieht das Morgenland nicht mehr.

Es soll den hohen Wert wohl, der Euch eigen,

Das Gegenstück in höhrem Glanze zeigen?


123.

Ließ' ich durch Rücksicht nicht auf Euch mich lenken

– Geschworen bei den ew'gen Göttern sei's –,

Nicht würd' ich öffentliche Schmach ihm schenken,

Die hier im Lande solcher Feigheit Preis.

Für alle Zeiten sollt' er daran denken:

Mein Haß der Niedrigkeit ist groß und heiß.

Bleibt er jetzt ungestraft, sei's wohlbeachtet:

Nur Euch zu Dank geschieht's, weil Ihr ihn brachtet.«
[81]

124.

Sprach das Gefäß von allen Schändlichkeiten:

»Herr, wer er ist, nicht selber weiß ich's ja.

Zufällig fand ich ihn des Weges reiten

Dort auf der Straße von Antiochia.

Er schien mir würdig, um uns zu geleiten,

Nach seinem Äußern, seiner Haltung da.

Nie hatt' ich Proben noch von ihm gesehen;

Erst, was da heut ist Klägliches geschehen,


125.

Und was mir greulich war und widerwärtig:

Fast bracht' ich schon zur Strafe, der er wert,

Bei dem Turnier ein Spielchen mit ihm fertig,

Daß er für immer ließe Speer und Schwert.

Allein ich hielt den Ort mir gegenwärtig

Und was der Hoheit Rücksicht hier begehrt.

Doch möcht' ich nicht, daß jetzt ihn sicherstellte,

Wenn ein, zwei Tag' er sich zu mir gesellte;


126.

Das, will mich dünken, muß mich selbst beflecken;

Und auf der Brust mir läg' es wie ein Stein,

Ging' er jetzt ungestraft, sich zu verstecken,

Zur Schmach des Waffenwerkes obendrein;

Es würde mehr Befriedigung erwecken,

Sollt' er gehenkt an eine Zinne sein.

Ein löblich und ein fürstlich Werk es wäre,

Für jeden Feigen Spiegel so wie Lehre.«


127.

Man konnte Orrigilla nicken sehen,

Beipflichten dem Gesagten allezeit.

»So Schlimmes«, sagt der Fürst, »ist nicht geschehen:

Nicht an den Kragen geh's; das ging' zu weit!

Er soll zur Strafe für sein schwer Vergehen

Allein erneun dem Volk die Festlichkeit.«

Und kommen läßt er der Barone einen,

Der trägt des Herrn Befehl hin zu den Seinen.
[82]

128.

Bewaffnete – mit dem Baron – bewegen

Sich nach dem Tore hin in großer Schar,

Worauf sie still in Hinterhalt sich legen:

Kaum nahm er bei zwei Brücken Grifon wahr,

So überfiel er unversehns den Degen,

Der unverwundet nun Gefangner war.

Man hielt ihn unter Possen, Hohn und Plage

In einer dunklen Zelle bis zum Tage.


129.

Die Sonn' hat kaum den goldnen Schopf gehoben

Aus der uralten Amme Schoß hervor –

Sie jagt die Schatten aus den Alpen oben,

Und frei enthüllt sie hoher Gipfel Chor –,

Als schon Martan, von bleicher Furcht geschoben,

Durch Grifon steige Wahrheit doch empor

Und sende Schuld hin, wo sie hergekommen,

Zum raschen Aufbruch Abschied hat genommen.


130.

Dem Wunsch, beim Schauspiel ihn als Gast zu haben,

Entzieht er sich: Ausflucht ist bald gemacht.

Der König schickt noch allerreichste Gaben,

Für fremden Sieg wird Huld'gung ihm gebracht.

Zumal ein Gnadenbrief soll ihn erlaben:

Drin wird mit höchster Ehre sein gedacht.

Wir lassen ihn. Ihr sollt, versprech' ich, sehen:

Verdienter Strafe wird er nicht entgehen. –


131.

Mit Grifon geht's zum Marktplatz voller Leben

(Gefüllt ist ja um diese Zeit der Ort),

Ein dürftig Wams deckt ihm den Leib noch eben,

Denn Helm und Harnisch nahm der Troß ihm fort.

Als wolle man ihm noch die Staupe geben,

Auf hohen Karrn gesetzt, erscheint er dort,

Von Kühen langsam, langsam fortgezogen,

Die wie verhungert sind und ausgesogen.
[83]

132.

Entstellte Vetteln, Dirnen frech umringen

Im Augenblick das schnöde Zwiegespann:

Die lenkt jetzt, nachher jene, alle dringen

Mit Schimpfen und mit gift'gem Spott heran.

Jedoch die größte Not die Kinder bringen,

Die schändlich ihn verhöhnen und ihm dann

Mit Steinen hätten wohl den Kopf gespalten;

Doch Klügre haben sie zurückgehalten.


133.

Die Rüstung, Anlaß aller seiner Plagen,

Die so verkehrten Ausweis von ihm bot,

Sie litt, ganz hinten nachgeschleift vom Wagen,

Verdiente Strafe in dem Straßenkot.

Zu einem Tribunal die Räder tragen,

Wo Schmach für eines Fremden Tun ihm droht:

Der Büttel kündet vor der Volkesmenge

Sie ins Gesicht ihm durch Trompetenklänge.


134.

Der Karren ward zu Häusern in der Runde,

Zu Tempeln und zu Läden hingelenkt.

Schimpfwörter regnet es aus aller Munde:

Keins, das nur denkbar, wurde ihm geschenkt.

Fortjagen will ihn dann gleich einem Hunde

Die Rotte, die es sich ergötzlich denkt,

Mit Schlägen ihn zu hetzen zum Ermatten,

Weil sie nicht wußten, wen sie vor sich hatten.


135.

Als nicht mehr Ketten um den Fuß sich legen,

Als frei die rechte und die linke Hand,

Faßt er den Schild und läßt das Schwert sich regen,

Das lange hat bisher durchfurcht den Sand!

Spieß oder Lanzen stehn ihm nicht entgegen:

Das tolle Volk kam waffenlos gerannt.

Zum nächsten Sang verschieb' ich weitre Sachen,

Denn Zeit ist's, Herr, ein Ende jetzt zu machen.

Quelle:
Ariosto, Ludovico: Der rasende Roland. In: Sämtliche poetischen Werke, Berlin 1922, Band 2, S. 50-84.
Lizenz:
Ausgewählte Ausgaben von
Der rasende Roland
Die Historia vom Rasenden Roland
Ludovico Ariosts Rasender Roland nacherzählt von Italo Calvino

Buchempfehlung

Hoffmann, E. T. A.

Prinzessin Brambilla

Prinzessin Brambilla

Inspiriert von den Kupferstichen von Jacques Callot schreibt E. T. A. Hoffmann die Geschichte des wenig talentierten Schauspielers Giglio der die seltsame Prinzessin Brambilla zu lieben glaubt.

110 Seiten, 4.40 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Romantische Geschichten. Elf Erzählungen

Romantische Geschichten. Elf Erzählungen

Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für diese preiswerte Leseausgabe elf der schönsten romantischen Erzählungen ausgewählt.

442 Seiten, 16.80 Euro

Ansehen bei Amazon