Vierundzwanzigster Gesang

[277] 1.

Wer auf die Schlingen Amors setzt die Füße,

Zieh' sie zurück, daß frei die Flügel sei'n,

Denn Lieb' ist schließlich nichts als Tollheit, süße;

Da stimmen alle Weisen überein.

Ob auch nicht jeder gleich wie Roland büße,

So zeigt er sicher andre Narretein.

Was kann vom Wahnsinn klarstes Zeugnis geben? –:

Daß man um andre sich zerstört das Leben!


2.

Der Liebe Wirkung freilich ist verschieden,

Doch rührt sie stets von gleicher Torheit her:

Sie ist ein Wald, drin niemand geht in Frieden;

Denn auf dem Wege bleibt man nimmermehr.

Zu irren hier und dort ist uns beschieden.

Kurzum, nach allem wird mein Schlußsatz der:

Wer bis zum Alter liebt, den soll man betten

(Wie sonst die Strafe sei) in Strick und Ketten.


3.

»Zeigst du den Splitter, Bruder?« wird man fragen,

»Und wirst des eignen Balkens nicht gewahr?«

Mitreden darf ich wohl, kann ich da sagen;

In lichten Augenblicken seh' ich klar.

Auch will ich künftig keinen Tanz mehr wagen,

Vielmehr mich ausruhn, hoff' ich, immerdar.

Doch kann ich's, leider, nicht sogleich beginnen;

Zu tief im Knochen steckt das Übel drinnen.
[278]

4.

Ihr hörtet, Herr, im vorigen Gesange,

Wie Roland tobte, Raserei begann,

Die Rüstung auszog, Schwert und Ring und Spange

Und Kleider fortwarf in des Wahnsinns Bann

Und Bäume ausriß, daß erdröhnend bange

Höhlen und Wälder klangen; daß sodann

Zum Ort ihr Unstern manche Hirten führte,

Vielleicht auch Schuld, der solch ein Lohn gebührte.


5.

Als sie des Tollen grause Stärke sehen,

Die riesige, die kaum man glauben kann,

Da fangen sie – beim Schrecken mag's geschehen –

Blindlings und ohne Ziel zu laufen an.

Rasch ist er hinterdrein, wie sie sich drehen,

Packt einen auf, reißt ab den Kopf dem Mann,

Mit einer Leichtigkeit, wie man vom Baume

Bricht einen Apfel oder eine Pflaume.


6.

Drauf sieht man ihn den Rumpf am Beine schwingen:

Wie eine Keule braucht er ihn mit Macht,

Ein paar gleich auf der Erd' in Schlaf zu bringen,

Das vor dem Jüngsten Tag nicht mehr erwacht.

Die andern fliehen wie auf Windes Schwingen,

Sind flink zu Fuß und haben flink gedacht.

Der Tolle wäre rasch wohl nachgekommen,

Doch ward die Herde von ihm wahrgenommen.


7.

Die Bauern machen sich die Lehr' zu eigen:

Sie lassen Sichel, Hack' im Feld und Pflug;

Man sieht sie auf die Häuser, Tempel steigen

(Denn Ulm' und Weide sind nicht fest genug),

Einander sein erschrecklich Wüten zeigen,

Wie Pferd und Rind er biß und kratzt' und schlug

Und sie zerschmettert und zerbrach in Haufen –

Was fliehen wollte, mußte tüchtig laufen.
[279]

8.

Da, horch!, erklingt rings aus der Häuserkette

Der Nachbarschaft ein Lärmen und Gedröhn,

Geheul und Horn und ländliche Dromette,

Am meisten doch der Glocken hell Getön:

Mit Bogen, Spieß und Schleuder um die Wette

Her humpeln ihrer tausend von den Höhn.

Und aufwärts tausend andre noch sich trollen –

Sie liefern eine Bauernschlacht dem Tollen.


9.

Wie spielend naht die erste von den Wogen

Am salz'gen Meeresstrand, vom Süd bewegt –

Die zweite kommt schon kräftiger gezogen,

Worauf die dritte sich noch stärker regt;

Und immer weiter recken sich die Bogen,

Die nach dem Sand des Windes Peitsche schlägt:

So wachsen gegen Roland wilde Scharen,

Die all aus Berg und Tal gekommen waren.


10.

Ohn' Ordnung nahen zehn: ins Jenseits reisen

Sie schleunig und danach gleich wieder zehn.

Bald will es sich als ausgemacht erweisen,

Daß es geratner ist, hübsch fern zu stehn;

Vergebens haut und sticht auf ihn das Eisen;

Es kann kein Aderlaß an ihm geschehn.

Der Himmelskönig schützt den nackten Fechter

Mit seiner Huld als heil'gen Glaubens Wächter.


11.

Könnt' überhaupt er gehn auf Todes Wegen,

So wär' er jetzt zu sterben in Gefahr;

Hier lernt er, was es heißt, sich ohne Degen

Und waffenlos den Feinden bieten dar.

Der Schwarm begann sich rückwärts zu bewegen,

Da jeder Streich auf ihn vergeblich war.

Als Roland keinen sah, der weiterstritte,

Lenkt er nach einem Häuserhauf die Schritte,
[280]

12.

Wo weder groß noch klein sich mehr befanden;

In Ängsten flohen allesamt hinaus.

Ärmliche Speisen waren gnug vorhanden,

So wie sich's schicken mag fürs Bauernhaus.

Er trennt nicht erst, in wilden Hungers Banden,

Die Eicheln von dem Brote für den Schmaus.

Was dort – sei's roh, gekocht – nur ist zu schauen,

Da braucht er Händ' und Zähne, einzuhauen.


13.

So schweift er durch das Land mit wildem Jagen

Bald auf die Menschen und auf Tiere bald,

Jetzt flinke Geiß im Lauf hinwegzutragen,

Einandermal den schnellen Hirsch im Wald;

Oft auch mit Bär und Eber sich zu schlagen –

Die nackte Hand zwingt tot sie auf die Hald' –

Und mit dem Fleisch und was im Bauch sie haben,

Den Leib sich füllend, gräßlich sich zu laben.


14.

Er kam zu einer Brücke (schon durchzogen

Hat er das Frankenland die Kreuz und Quer');

Da schoß an steilem Ufer unterm Bogen

Ein übervoller mächt'ger Strom daher.

Ein Turm steht aufgerichtet nah den Wogen,

Den Blick auf Näh' und Ferne bietet er.

Doch was geschah, erzähl' ich jetzt mitnichten,

Denn von Zerbin muß ich zuvor berichten.


15.

Nachdem Zerbin den Grafen sah enteilen,

Verzog er etwas, schlägt den Pfad dann ein,

Drauf Roland hergesprengt vor einer Weilen,

Und sacht im Schritte geht sein Rösselein.

Noch war er nicht geritten an zwei Meilen,

Gebunden kam auf einem Klepper klein

Ein Rittersmann daher; zu seinen Seiten,

Ihn zu bewachen, zwei in Waffen reiten.
[281]

16.

Es war, wie Prinz Zerbin sogleich erkannte,

Auch Isabell, als sie ihn nah geschaut,

Jener Biskayer, der sich Odrich nannte,

Der Wolf, dem man das Lämmlein hat vertraut.

Als sich Zerbin als Freund noch an ihn wandte,

Da übergab er ihm die teure Braut,

Voll Hoffnung, daß er diesmal auch die Treue,

Die er sonst stets bewies, ihm halt' aufs neue.


17.

Dem Prinzen alles deutlich zu bekunden,

Erzählt gerad das Fräulein das und dies;

Wie sie im Boote Sicherheit gefunden,

Bevor der Sturm es in die Tiefe stieß;

Wie Odrich mit Gewalt sie hielt gebunden

Und in die Felsenhöhle schleppen ließ.

Noch hatte der Bericht kein End' genommen

Da sahen sie den Schelm, gebunden, kommen.


18.

Den beiden Rittern, die den Odrich brachten,

War Fürstin Isabella wohlbekannt;

Und jener sei ihr Herr wohl, also dachten

Sie gleich, weil er mit ihr sich da befand.

Zumal da ihn die Zeichen kenntlich machten

Auf seinem Schild nach Herkunft und nach Stand.

In seinen Zügen sie bestätigt fanden,

Was sie geahnt, und alle Zweifel schwanden.


19.

Sie stiegen eilig ab vom Pferd und sprangen,

Die Arme weit geöffnet, auf Zerbin;

Ihm huldigend als ihrem Herrn, umschlangen

Sie ihn mit bloßem Haupt, gebognen Knien.

Wie nun des Prinzen Blicke sie durchdrangen,

Erkannt' er einen (Koreb nannt' er ihn),

Dann auch den andern, Almon, die als Boten

Mit Odrich wurden nach dem Schiff entboten.
[282]

20.

Sprach Almon: »Nun es Gottes Huld gefallen,

Durch dich der Königstochter Schutz zu leihn,

So wird dir, Herr, kaum etwas von dem allen,

Das ich dir sagen könnte, fremd mehr sein:

Den Grund dafür, daß Ketten jetzt umkrallen

Hier diesen schlechten Menschen, siehst du ein.

Sie, gegen die das Schlimmste war gerichtet,

Hat dir genau wohl alles schon berichtet:


21.

Wie ich mit Trug mich ließ von ihm umweben

Und er von dannen ging, weißt du jetzund;

Wie Koreb, ganz der Herrin Dienst ergeben,

Erhielt von diesem Kerl die schwere Wund'.

Doch was nach meiner Rückkehr sich begeben

Und nimmer Isabella wurde kund,

Daß sie davon dir jemals könnt' erzählen,

Darüber soll dir mein Bericht nicht fehlen.


22.

Ich kam von jener Stadt zurück zum Strande

Mit Pferden, die ich eilig aufgebracht,

Und immer späht' ich auf und ab am Lande,

Auf sie, die weit zurück war, stets bedacht.

Und weiter komm' ich bis zum Uferrande,

Von wo ich in die Stadt den Weg gemacht.

Ich blicke, blick' umher – sie sind verschwunden!

Im Sande nur wird frische Spur gefunden.


23.

Die führt mich drauf, als ich ihr nachgegangen,

In wilden Wald; nicht lange war ich da,

Als an die Ohren Klagelaute drangen

Und ich im Dickicht diesen liegen sah.

Ich fragt' ihn, wie's der Dame sei ergangen,

Und Odrich, und durch wen ihm das geschah.

Er nannte mir darauf den Missetäter,

Und ich brach auf, zu suchen den Verräter.
[283]

24.

Ich sucht' in jener Gegend auf und nieder,

Doch fand ich keine Spuren diesen Tag.

Zuletzt zum armen Koreb kehrt' ich wieder,

Der, rot den Boden färbend, dort noch lag.

Blieb er da länger, brauchten seine Glieder

Gewiß bald mehr ein Grab in jenem Hag

Und Bruder Mönch, der ihn bestattet hätte,

Als Arzenei und Pfleg' in weichem Bette.


25.

Ich ließ vom Walde fort zur Stadt ihn tragen

Zu einem Wirte, der mir lieb und wert.

Dort wurde Heilung ihm in wenig Tagen

Durch eines alten Arztes Kunst beschert.

Dann gingen wir, um Odrich zu erjagen,

Mit Waffen wohlversehn und gutem Pferd.

Er hatte nach Biskaya sich begeben –

Mir stehen mußt' er dort auf Tod und Leben.


26.

Zu mir stand König Alfons, der Gerechte

(Er gab die Stätte für den Kampf mir frei),

So wie das Glück, das oftmals im Gefechte

Den Sieg verleiht nach Laune mancherlei,

Es fügt, daß mir im Streite jener Schlechte

Erlieg' und also mein Gefangner sei.

Der König, unterrichtet von dem Falle,

Hieß mich dann mit ihm tun, was mir gefalle.


27.

Nicht töten wollt' ich ihn noch frei ihn geben,

In Ketten nahm ich ihn für dich mit fort;

Denn ob er sterbe, ob er bleib' am Leben

In Pein, das sollt' entscheiden erst dein Wort.

Als ich erfuhr, du seist beim Kaiser eben,

Kam ich, dich suchend, hier an diesen Ort.

Ich danke Gott, daß ich dich hier getroffen;

Ich konnt' es jetzt am wenigsten erhoffen.
[284]

28.

Auch dafür, daß ich Fürstin Isabelle

(Wie, fass' ich nicht) bei dir erblicken kann,

Nach allem, das getan hat der Geselle,

Schien jede Kunde mir versagt fortan.«

Zerbin vernimmt's, rührt nicht sich von der Stelle

Und schaut derweil nur immer Odrich an,

Voll Haß nicht – nein, als ob er Schmerz empfinde,

Daß große Freundschaft also kläglich schwinde.


29.

Als der geendet hatte, wie befangen,

In sich versunken stand der Schotte da,

Daß der Verrat von jenem sei begangen,

Von dem er sich's am wenigsten versah.

Doch als er seufzend dann von seiner langen

Betrachtung schließlich in die Höhe sah,

Zu dem Gefangnen wandt' er sich und fragte,

Ob wahr sei, was von ihm der Ritter sagte.


30.

Da läßt sich auf die Knie zu Boden fallen

Der falsche Mann: »O lieber Herr!« er spricht,

»Der Sünd' und Schuld ist, wer da lebt, verfallen,

Und andres scheidet Gut und Böse nicht,

Als daß dem Schlechten Widerstand bei allen

Versuchungen, den kleinen auch, gebricht.

Der Gute Waffen nimmt und sucht zu siegen,

Doch wenn der Feind zu stark, muß er erliegen.


31.

War mir ein Schloß zu schützen aufgetragen

Und zog ich dann beim ersten Sturmeslauf,

Ohne nur Widerstand und Kampf zu wagen,

Am Turme hoch der Feinde Banner auf –

Nahm' ich der Feigheit und – was mehr will sagen,

Verrates Vorwurf richtig in den Kauf.

Hat aber die Gewalt mich überwunden,

So hab' ich Tadel nicht, nein, Lob gefunden.
[285]

32.

Je größer nun die Macht der Feindesscharen,

Je mehr wird einem Milde zuerkannt:

Ich konnte Treue hier nicht mehr dir wahren

Als die verlorne Burg, vom Feind berannt.

Wenn Rat und Einsicht mir verliehen waren

Durch höchste Weisheit, wurden sie verwandt

Zum Schutz der Treue; doch mir drang entgegen

Zu mächt'ger Ansturm – und ich bin erlegen.«


33.

So sprach – ich kann nicht alle Worte sagen –

Odrich und legte noch des weitern dar,

Wie er mit der Versuchung sich geschlagen

Und nicht auf leichten Reiz gewichen war.

Wenn Demut jemals durfte Früchte tragen,

Wenn Haß verging vor Bitten ganz und gar –

War hier der Platz; denn was den Groll entschwinden

Und weichen läßt, das wußt' er wohl zu finden.


34.

Ob er so schwere Missetat soll rächen,

Erwägt Zerbin, schwankt zwischen Ja und Nein;

Jetzt meint er: für so schändliches Verbrechen

Des Lebens muß der Schuft verlustig sein;

Dann fühlt er aber: Mitleids Fluten schwächen

Des Zornes Glut, denkt er, wie im Verein

Mit dem vergingen schöner Freundschaft Stunden –

Und seiner Rache wird das Schwert entwunden.


35.

Derweil Zerbin so schwankt mit Überlegen,

Ob er vernichten soll den Frevler dort,

Ob ihn in Qualen und in Ketten legen

Oder in Freiheit setzen durch sein Wort,

Da kommt mit Schnauben ihm das Roß entgegen,

Dem Mandrikard nahm seine Zügel fort:

Er sieht es jene Alte mit sich führen,

Die ihn gebracht hat an des Todes Türen.
[286]

36.

Der Zelter hatte Leute wahrgenommen

Von fern, und eiligst trabt' er los auf sie;

Auch die er trug, die Alte, mußte kommen,

Wie sehr sie heulte, laut um Hilfe schrie.

Empor zum Himmel hebt Zerbin mit frommen

Gefühlen seine Hand und dankt, daß die

Zusammen sind in seine Macht gegeben,

Die er als einz'ge hassen muß im Leben.


37.

Bis klar ihm werde: was soll nun geschehen? –,

Läßt er ergreifen dieses böse Weib;

Denkt: »Ohne Nas' und Ohren soll sie gehen,

Daß sie den Schuften eine Warnung bleib',

Und besser noch wird man die Buße sehen,

Geb' ich zum Fraß den Geiern ihren Leib.«

Verschiedne Strafen hat er noch erwogen

Und dann zum Schlusse diese vorgezogen:


38.

»Behalten soll der falsche Mann das Leben,«

Zerbin der Prinz zu den Genossen spricht.

»Kann ich ihm auch nicht ganz und gar vergeben,

Verdient er doch so blut'ge Strafe nicht;

In Odrichs Schuld ließ Amor seine weben:

Am Leben bleib' und kettenlos der Wicht.

Da, wo wir Amors Hände merken können,

Ist jedem Fehl Entschuldigung zu gönnen.


39.

Noch festern Sinn wirft Amor ja zuzeiten

Kopfüber hin, als dieses Mannes hier,

Und weiß zu ärgern Dingen zu verleiten,

Als was uns Schaden brachte, euch und mir.

Drum schenk' ich Nachsicht Odrichs Schändlichkeiten;

Zu strafen bin ich selbst: blind war ich schier;

Blind war ich, ihn zum Führer zu ernennen:

Strohbündel leicht – das mußt' ich wissen – brennen.«
[287]

40.

Zu Odrich sprach er: »Höre, was ich sage

Und was fortan soll deine Buße sein:

Ein Jahr lang dieses Weibs Gesellschaft trage,

Und niemals, niemals läßt du sie allein.

Wo du nur gehst und stehst, bei Nacht, bei Tage,

Mit ihr sei alles, alles dir gemein.

Sollst auch, wenn andre je die Frau beleid'gen,

Sie bis zum letzten Atemzug verteid'gen.


41.

Du sollst, wird dir's geboten von der Alten,

Dich stellen gegen jedermann zum Streit,

Und zu durchstreifen bist du noch gehalten

Frankreich von Ort zu Ort in dieser Zeit.«

So spricht Zerbin; durch freventlich Verhalten

Ist Odrich ja mit Recht dem Tod geweiht;

Dies heißt, ihm eine tiefe Grube graben;

Er muß viel Glück, sie zu vermeiden, haben.


42.

So viele Männer sind und Fraun in Scharen

Von ihr verraten worden und gekränkt,

Daß keiner ohne schweren Kampfs Gefahren

Mit ihr zusammen weit die Schritte lenkt.

Drum wird nun beiden Strafe widerfahren:

Ihr für die Schuld, darein sie längst versenkt,

Ihm, weil er jene ohne Schutz gelassen.

Nach kurzer Zeit wird ihn der Tod erfassen.


43.

Dies streng zu halten, mußte Odrich schwören,

Und die Bestimmung ward ihm angedroht:

Lass' er zum Treubruch jemals sich betören,

Schick' ihn Zerbin (sobald der Fall sich bot),

Ohn' alle Gnad', ohn' auf sein Flehn zu hören,

Ganz zweifellos in einen grimmen Tod.

Almon und Koreb drauf Befehl empfingen,

Die Freiheit dem Gefangenen zu bringen.
[288]

44.

So lösten den Verräter denn die beiden,

Langsam gehorchend des Gebieters Wort,

Verdrießlich, daß verboten ward, zu weiden

Ersehnte Rache an dem Frevler dort.

Dann ließen sie den Ungetreuen scheiden:

Mit der verfluchten Alten zog er fort.

Nicht meldet uns Turpin, wo sie geblieben,

Doch las ich einen, der davon geschrieben:


45.

Er sagt, sie waren noch nicht weit gegangen

(Den Namen meines Autors nenn' ich nicht),

Als Odrich, angetrieben von Verlangen,

Sich zu befreien, gegen Eid und Pflicht

Gabrina ließ an einer Ulme hangen,

An Schlingen, die er dazu hergericht't.

Und als zwölf Monde drauf verstrichen waren,

Tät ihm durch Almon gleiches widerfahren.


46.

Weil Rolands Spuren sonst verlorengingen,

Die man gefunden hat zu dieser Frist,

So läßt Zerbin den Seinen Botschaft bringen,

Die man gewiß schon schmerzlich dort vermißt,

Durch Almon, mit noch vielen andern Dingen,

Was aufzuzählen hier nicht nötig ist.

Da Koreb auf der Reis' Almons Geselle,

Ist niemand jetzt bei ihm als Isabelle.


47.

So innig fühlt er Roland sich verbunden

(Auch von dem Fräulein wurde hochverehrt

Der tugendhafte Held zu allen Stunden),

Und gar so gerne säh' er sich belehrt,

Ob er den Heiden wohl hab' aufgefunden,

Der ihn mitsamt dem Sattel zog vom Pferd, –

Daß er nicht früher sich beim Heere zeigte,

Als bis der dritte Tag zu End' sich neigte.
[289]

48.

Zu warten war von Roland vorgeschrieben,

Dem Schwertberaubten, diese Zeit gerad.

Die Stätten, wo das Los ihn hingetrieben,

Die waren's, die auch Prinz Zerbin betrat.

Er kam zum Hain, drin noch zu lesen blieben

Der Ungetreuen Worte fern vom Pfad.

Zertrümmert alles rings von Baum zu Baume

Fand er, mit Quell und Fels, in diesem Raume.


49.

Unfern wollt' etwas Blinkendes sich zeigen:

Des Grafen Harnisch zog Zerbin hervor

Und fand den Helm, nicht den, der einstmals eigen

Als ein berühmter Schmuck Almont, dem Mohr.

Der Renner wiehert, wo mit dichtern Zweigen

Wald steht; er hebt beim Klang den Kopf empor;

Da weidet Güldenzaum im Gras am Hügel

Und schleppt am Sattel hängend nach die Zügel.


50.

Nun sucht er Durendal, und ohne Scheide

Im Gras des Waldes er sie liegen sah,

Fand auch die Fetzen von des Armen Kleide,

Zerstreut rings hundertfach, bald hier, bald da.

Zerbin und Isabell, gar traurig beide,

Zerbrachen sich den Kopf, was wohl geschah.

Sie können alles, nur nicht eines fassen:

Daß Roland vom Verstande sei verlassen.


51.

Säh' man nur einen Tropfen Blutes tauen,

So glaubte man, der Held sei umgebracht.

Da kommt, erschöpft, ein Hirt mit trüben Brauen,

Der seinen Weg am Bachesrande macht.

Von einer Felsenspitze konnt' er schauen

Die Wut des Armen in des Wahnsinns Nacht,

Wie er's Gewand zerriß, das er getragen,

Und wie das Hirtenvolk dann ward erschlagen.
[290]

52.

Der Mann erzählte treu, was vorgegangen,

Gab jeden Aufschluß nach Zerbins Begehr.

Wenn die Beweise gleich ins Auge sprangen,

Konnt' er es glauben kaum und staunte sehr.

Wie das nun sei, betrübt vom Pferde schwangen

Sich beide dann, die Lider tränenschwer,

Um die Reliquien zu Hauf zu tragen,

Die rings zerstreut dort auf dem Boden lagen.


53.

Als Isabell die Waffen von der Erde

Zu nehmen und zu sammeln tätig war,

Da stellte sich mit trauriger Gebärde

Und vielen Seufzern ihr ein Fräulein dar.

Wenn einer wünscht, daß kund ihr Name werde

Und ihres großen Leides Ursach' klar,

Der höre: Flordelis ist, schmerzzerrissen,

Nach ihrem Liebsten auszuspähn beflissen.


54.

Da Brandimarte auf die Flucht sich machte,

Verblieb sie in des Kaisers Stadt allein

Und harrte dort der Monde sechs bis achte.

Von Pyrenän zum Alpenfelsgestein

(Als immer noch ihn nichts zurück ihr brachte),

Von Meer zu Meer durchsucht sie aus und ein

Die ganze Gegend mit den Orten allen,

Sucht aber nicht in Atlas' Zauberhallen.


55.

Wär' sie in jenes Alten Schloß gewesen,

Sie hätt' ihn, irrend mit Gradaß, erkannt,

Mit Roger und viel Degen auserlesen,

Mit Roland, Ferragu und Bradamant.

Dann hat des Hexenmeisters Zauberwesen

Der Schreckensklang von Astolfs Horn verbannt,

Und Brandimart ist gen Paris gefahren:

Nur konnt' es Flordelis noch nicht erfahren.
[291]

56.

Das Fräulein, sagt' ich Euch nach dem Berichte,

Kam unversehns zu jenem Liebespaar;

Den Güldenzaum bekam sie zu Gesichte,

Der, wie die Waffen, ja bekannt ihr war.

Sie hörte schon die traurige Geschichte

Und sieht mit Augen jetzt, die Kund' ist wahr,

Die durch den Hirt vernommen ihre Ohren:

Roland, der Held, hat den Verstand verloren.


57.

Auf eine Fichte als Trophäen legen

Sie all die Stücke zu des Toten Ehr';

Und daß kein Bauer oder fremder Degen

Sie anzuziehen so vermessen wär',

Blickt diese Schrift dem Wandrer dort entgegen:

»Roland des Paladines Waffenwehr.«

Wer nicht ein Roland ist, will dies besagen,

Darf nicht des Helden Roland Waffen tragen.


58.

Dann geht Zerbin, sich auf sein Roß zu schwingen,

Nachdem das fromme Liebeswerk geschehn:

Da will den Mandrikard der Zufall bringen.

Der fragt, als die Trophäen er gesehn,

Was die Bewandtnis sei mit diesen Dingen,

Und die Belehrung läßt Zerbin ergehn.

Der Tatarkönig hört es froh und munter

Und geht zur Fichte, nimmt das Schwert herunter


59.

Und spricht: »Kein Mensch kann dieses Schwert mir nehmen,

Ich hab's zum meinen nicht erst heut gemacht,

Es heißt, mein Eigentum mir wiedernehmen;

Ich hol's, wo mir's vor Augen wird gebracht.

Dem Roland mag die Furcht die Sinne lähmen,

Die andre Tollheit hat er nur erdacht.

Gern will ich milde diese Feigheit richten,

Doch nicht auf meines Sinns Gebrauch verzichten.«
[292]

60.

Da rief Zerbin ihm zu: »Das Schwert laß liegen!

Sonst gibst du mir darüber Rechenschaft.

Konntest du so nur Hektors Waffen kriegen,

So hast du sie mit Diebstahl dir errafft!«

Worauf sie wortlos aneinander fliegen,

Einer dem andern gleich an Mut und Kraft.

Von hundert Hieben dröhnt's mit lautem Klange,

Und noch ist das Gefecht nicht recht im Gange.


61.

Zerbin weiß blitzschnell sich zu drehn, zu schwingen,

Wenn immer Durendal herniederfährt;

Wie einen Rehbock läßt er's Rößlein springen

Hier hin und dort, wie es der Weg gewährt.

Die Drehung muß im Augenblick gelingen,

Denn, trifft ihn nur ein einzig Mal das Schwert,

Hinunter muß er zu den Geistern gehen,

Hin, wo die dunklen Myrten schattend stehen.


62.

So wie der Hund mit tänzelnder Gebärde,

In Sprüngen, kreisend, nachsetzt auf dem Feld

Dem Schwein, das sich verirrt hat von der Herde,

Und dieses wartet, bis er einmal fällt –

So, wie sich hebt das Schwert und senkt zur Erde,

Aufmerkt Zerbin, daß er's im Aug' behält,

Gleichzeitig Ehr' und Leben zu erstreiten:

Drum schlägt er drein und flieht zu gleichen Zeiten.


63.

Und drüben, wo des Mohren grimmer Degen

Mit Hieben voll und leer herniedersaust,

Scheint durch ein Alpental der Sturm zu fegen,

Wie im belaubten Wald im März er haust:

Bald beugt er Wipfel, daß sie schier sich legen,

Bald kommt er Zweige knickend angebraust.

Vermeidet auch Zerbin die meisten Hiebe,

Ein Wunder wär's, wenn unversehrt er bliebe.
[293]

64.

Unmöglich, daß er einen Streich vermeide!

Der trifft ihn zwischen Schwert und Schildesrand.

Dick war der Harnisch, dick am Eisenkleide

Die Schuppen, stark und fest das Stahlgewand,

Doch schützte nichts vor jener grausen Schneide,

Sie fuhr durch alles ohne Widerstand

Und drang – was ihr im Weg stand, ward zerschnitten –

Durchs Panzerkleid noch in des Sattels Mitten.


65.

Hätte der Hieb nicht etwas knapp gesessen,

Ward er durchhaun wie Rohr am Wiesenhang.

Mehr als die Haut war wohl geritzt, indessen

Es schien, daß er zum Sitz des Lebens drang.

Mit einer Spanne würde kaum gemessen

Die Wunde, zwar nicht tief, doch also lang.

Wellen von Blut den blanken Stahl durchbrechen;

Bis auf die Füße strömt's in roten Bächen.


66.

So sah ich einst ein Purpurband gewunden

In silberweißes Linnen, fein gewebt

Von jener weißen Hand, der alle Stunden

Mein Herz aus seiner Brust entgegenstrebt.

Was hilft's Zerbin, daß er im Streit befunden

Als Meister ward und kühn die Klinge hebt?

An Wucht und Fechterkünsten ist dem Degen

Der Tatarkönig allzu überlegen.


67.

Dem Anschein nach war dieser Hieb des Mohren

Viel fürchterlicher als in Wirklichkeit,

Und Isabells erstarrtes Herz durchbohren

Kalten Entsetzens Graus und schweres Leid.

Zerbin, in Zorn und Leidenschaft verloren,

Glühend von Mut und Kraft, erneut den Streit;

Er faßt sein Schwert mit beiden Händen wieder

Und schmettert's auf den Helm des Heiden nieder.
[294]

68.

Der mußte auf des Pferdes Hals sich neigen,

So war die Wucht des mächt'gen Hiebes groß,

Und wäre nicht dem Helm ein Zauber eigen,

Läge der Kopf gespalten da und bloß.

Der Mohr sprach nicht: »Ich will dir's später zeigen«:

Nein, ging sofort auf seine Rache los

Und schwang das Schwert ob seines Gegners Haupte,

Das er zur Brust hinab zu spalten glaubte.


69.

Zerbin lenkt Sinn und Blick zum gleichen Ziele,

Der flinke Hengst wird rasch nach rechts gekehrt;

Zu wenig rasch, daß nicht herniederfiele

Und mitten auf den Schild, das schneid'ge Schwert:

Ihn spaltet Durendal, als wär's im Spiele,

Der Länge nach, dem Arme stahlbewehrt

Hin durch die Schienen einen Schnitt zu bringen

Und durch den Harnisch in das Bein zu dringen.


70.

Wohin auch nur der Schotte suchend schaue,

Was er auch tu', es will ihm nichts gedeihn;

Wie schwer er auf des Heiden Rüstung haue,

Er schlägt auch nicht die kleinste Spur hinein.

Dagegen trifft der andre nicht ins Blaue,

Und solchen Vorteil will das Glück ihm leihn,

Daß er den festen Schild zerstückt mit Hieben

Und halb den Helm, und Wunden schlägt an sieben.


71.

Wie jetzt Zerbin die Kraft allmählich schwindet

Durch solchen Blutverlust, er merkt es nicht;

Das starke Herz, dem nichts den Mut entwindet,

Allein für den geschwächten Körper ficht.

Die Dame, die vor Angst nicht Atem findet,

Naht Doralis mit flehndem Angesicht

Und bittet sie bei Gott, den sie bekennen,

Den Kampf zu hemmen und die zwei zu trennen,
[295]

72.

Und Doralis (wie schön, so edelmütig,

Zumal nicht sicher, was noch mag geschehn)

Erfüllt sehr gern den Wunsch, indem sie gütig

Den Mohr bestimmt, vom Zweikampf abzustehn.

Zerbin auch zeigt sich minder rachewütig

Und mildern Sinns auf seiner Liebsten Flehn.

Hat sich zum Gehen, wie sie will, gewendet

Und läßt den Schwerteshandel unbeendet.


73.

In stummem Schmerz sieht Flordelis den Degen

Des armen Grafen in so übler Hut,

Und bittres Leid und Trauer sie bewegen;

Sie schlägt die Stirn und weint in zorn'gem Mut:

Stünde doch Brandimart dem Mohr entgegen!

Wenn sie ihn findet und ihm Kunde tut,

Dann dürft' es wohl geschehn, daß seiner Beute

Der stolze Heide sich nicht lange freute.


74.

Vergebens, daß sie rings die Blicke sandte

Nach ihrem Brandimart so früh wie spat

Und weit von ihm hinweg die Schritte wandte!

Er war bereits der Stadt Paris genaht,

Als sie zuletzt erblickt und auch erkannte,

Nachdem durch Berg und Tale ging ihr Pfad,

Den armen Paladin auf einer Brücke. –

Allein wir gehn jetzt zu Zerbin zurücke,


75.

Dem nicht so viel die andern Leiden galten,

Wie, daß er Durendal verlassen soll,

Konnt' er sich auch noch kaum im Sattel halten,

Weil immer Blut noch aus den Adern quoll.

Allmählich mußte Glut und Zorn erkalten

Gar bald darauf; der Schmerz nur wuchs und schwoll,

Er schwoll und wollte mächtig sich ergießen,

Sein Leben fühlt Zerbin durch ihn verfließen,
[296]

76.

Vermag vor Schwäche schon nicht mehr zu gehen:

So macht er denn an einer Quelle halt.

Was kann sie tun, dem Armen beizustehen?

Was sagen? Ach, sie sieht nur: bald

Muß er in Schmerz und tiefer Not vergehen;

Zu weit ist's bis zu Menschenaufenthalt,

Wo man für ihn den Arzt, den Helfer finde,

Der ihn – um Lohn, aus Mitleid – gleich verbinde.


77.

Sie kann nur grollen mit den Weltgeschicken

Und nennt den Himmel bös und ohne Herz;

Sie ruft: »Was durft' ich nicht im Meer ersticken,

Als mich die Segel führten morgenwärts?«

Zerbin schaut still sie an mit matten Blicken

Und fühlt ob ihrer Klagen größern Schmerz,

Als ihm so manche Wunde hier gemacht hat,

Die an des Todes Schwelle ihn gebracht hat.


78.

Er sprach: »So willst du, Herz, wenn ich gegangen,

Nie deine Liebe enden? Nimmermehr?

Daß ohne Schutz du bleibst, füllt mich mit Bangen,

Das schmerzt mich, nicht das Sterben wird mir schwer!

Hätte die letzte Stunde angefangen,

Da, wo für dich ein sichrer Hafen wär',

Froh wär' ich noch im Tode und zufrieden,

Weil mir mein End' an deiner Brust beschieden.


79.

Doch da mein hartes Schicksal mich zur Stunde

Dich lassen heißt – weiß nicht, in wessen Hand –,

Schwör' ich bei diesen Augen, diesem Munde,

Bei diesem Haar, das mir die Kette wand,

Verzweifelt fahr' ich nach dem finstern Grunde,

Wo der Gedanke endlos, unverwandt,

Daß ich dich hier ließ, mir zu größrer Pein wird,

Als was von Martern und von Qual noch sein wird.«
[297]

80.

Da neigt das tiefbetrübte Haupt mit Weinen

Auf den Geliebten Isabella hin

Und heftet ihre Lippen auf die seinen,

Schmachtend, wie eine Blumenkönigin,

Die einsam, weil der lange Sommer keinen

Zum Pflücken sandte, welkt im Busche drin.

»Denk nicht, du sollst allein vom Leben scheiden,«

Spricht sie, »die letzte Reise gilt uns beiden.


81.

Drum sollst du, Liebster, keine Furcht verspüren;

Ich folge dir zu Höll' und Himmelsglast.

Zwei Geister sind es, die den Weg sich küren,

Und die auf ewig gleiches Heim umfaßt.

Mich wird der Seele Schmerz zum Tode führen,

Sobald die Augen du geschlossen hast.

Und tut er's nicht, so will ich dir versprechen,

Mit diesem Schwert mich heute zu erstechen.


82.

Und unsern Leibern wird, mehr als im Leben,

Das Glück, ich hoff's, im Tode gütig sein:

Bestattung wird uns ein Barmherz'ger geben,

Der hier des Wegs kommt, und uns Mitleid weihn.«

So spricht sie, und die müden Lippen streben,

Wie sie den letzten Rest noch saugen ein

Des Lebensgeistes, der vom Tod entführt wird,

Bis nur ein schwacher Hauch zuletzt verspürt wird.


83.

»O Teure, laß durch Flehen dich bewegen,«

Die schwache Stimm' erhebend, sprach der Held,

»Bei jener Liebe, die um meinetwegen

Dich trieb vom Vaterhause in die Welt! –

Und als Befehl muß ich dir auferlegen –

Darf ich's –: du lebst, solang es Gott gefällt,

Und eins darf nicht von dir vergessen werden:

Dich liebt' ich, wie kein Mensch geliebt auf Erden.
[298]

84.

Gott wird, vertrau' ich, dir zur Seite stehen

Und dich beschützen gegen arge Tat,

Wie er für dich ließ nach der Höhle gehen

Den Ritter aus dem römischen Senat –

Und half mit seiner Gnad' in Sturmeswehen

Und gegen des Biskayers bösen Rat.

Doch läßt des Sterbens Not sich nicht vermeiden,

So wähle Tod als das geringre Leiden!«


85.

Kaum wurden, glaub' ich, deutlich noch vernommen,

Wie sie gemeint, die letzten Worte leis –

So ist ein schwaches Lichtlein bald verglommen,

Fehlt Wachs und Stoff, der es zu nähren weiß.

Wer sagte, wie von Schmerzen überkommen

Das Fräulein stand, als nun so kalt wie Eis

Und regungslos in ihrem Arm der bleiche,

Der teure Held lag hingestreckt als Leiche!


86.

Und an dem blut'gen Leibe sinkt sie nieder,

Auf den ein Bad von Tränen niederwallt.

Sie schreit vor Weh, auf Meilen tönen wider

Ringsum in weiter Ferne Feld und Wald.

Und büßen müssen's Wang' und Brust und Glieder,

Die sie zerschlägt in ihres Leids Gewalt.

Sie rauft die Locken, die sich golden schlingen,

Und läßt umsonst den teuren Namen klingen.


87.

Zur Raserei schier wollte sich gestalten

Ihr großes Weh: sie hätte leicht das Schwert,

Ohn' ihres Liebsten streng Gebot zu halten,

Gegen den eignen Busen jetzt gekehrt;

Doch ward ihr solches Tun durch einen alten

Klausner, der oft zur Quelle kam, verwehrt.

Denn seine Zelle war nicht fern gelegen.

Der setzte ihrem Vorsatz sich entgegen.
[299]

88.

In dieses frommen Mannes Brust verbanden

Sich Weisheit und die Güte hilfsbereit;

Mit Sprüchen viel, die zu Gebot ihm standen

Zu jeder Zeit, und mit Beredsamkeit

Mahnt er die Arme in des Kummers Banden

Fromm zur Geduld und zur Ergebenheit

Und weiß ihr Fraun als Spiegel vorzuhalten

Vom neuen Testamente wie vom alten.


89.

Erkennen läßt er sie: wahrhaft zufrieden

Sei niemand als in Gott dem Herrn allein;

Zeigt ihr, daß Wunsch und Hoffnung stets hienieden

Vergänglich, flüchtig, ohne Wesen sei'n.

So hat sein weises Wort sie denn geschieden

Vom blut'gen Plan: dem Dienst des Herrn zu weihn

Beschließt sie, was ihr fürder noch gegeben

An Erdentagen sei – ihr ganzes Leben.


90.

Doch will sie drum den teuren Leib nicht lassen,

Noch ihre große Lieb' im Herzen drin;

Sie hegt ihn Tag und Nacht; auf allen Straßen,

Wo sie nur sei, führt sie ihn mit sich hin.

Der Klausner, für sein Alter übermaßen

Noch stark und rüstig, hilft mit treuem Sinn.

Sie setzten auf ihr traurig Roß die Leiche

Und ritten lang in jenes Walds Bereiche.


91.

Der kluge Greis beschloß: für alle Fälle

Bleib' er nicht mit dem schönen Kind allein

Dort, wo ganz nah war seine stille Zelle

In eines Höhlenraumes Felsgestein.

Er dachte: »Wenn ich Stroh zur Fackel stelle

In einer Hand, so wird's gefährlich sein.«

Mißtrauend seiner Weisheit, seinen Jahren,

Wollt' er das lieber nicht an sich erfahren.
[300]

92.

Er dacht' in die Provence sie zu geleiten,

Wo bei Marseille in einem schönen Schloß

Ein Kloster reich und voll von Herrlichkeiten

Scharen von heil'gen Frauen in sich schloß.

Sie ließen einen Sarg zuvor bereiten

Dem armen Ritter, wohlverpicht und groß,

In einer Burg, die sie am Weg berührten,

Worauf sie ihren Toten mit sich führten.


93.

Durch weite Strecken, öd stets und entlegen,

Geht es durch viele Tage krumm und grad:

Weil alle Straßen voll des Krieges wegen,

Sind sie dem Ziele leis, versteckt genaht.

Da kommt dem Paar ein Reitersmann entgegen,

Der schimpft und schmäht und sperrt dazu den Pfad.

Gelegentlich noch sprech' ich von dem Reiter;

Jetzt geh' ich zum Tatarenkönig weiter.


94.

Als die den Strauß zu End' gefochten hatten,

Von dem Ihr hörtet, ging zum klaren Quell

Der Heidenfürst und zu den kühlen Schatten

Und nahm dem Renner Zaum und Sattel schnell:

Dem kam der Wiese zartes Gras zustatten;

Hier sucht sein Herr sich eine Ruhestell'.

Nicht lange währt's, da kommt mit einem Male

Ein Rittersmann: er steigt vom Berg zu Tale.


95.

Den Fremden sieht schön Doralis erscheinen,

Und hastig spricht sie zu Fürst Mandrikard:

»Da kommt der Rodomonte, sollt' ich meinen;

Werd' ich von meinen Augen nicht genarrt.

Jetzt mag dir Kraft mit Kühnheit sich vereinen:

Dich sucht er auf, ein Zweikampf deiner harrt.

Es kränkt ihn, daß er mich, die Braut, verloren,

Und grimme Rache hat er uns geschworen.«
[301]

96.

So mag ein Falke stolz das Haupt erheben,

Wenn er, sei's Ente, Schnepfe, Taube, Staar,

Sei's andren Vogel, zu sich her sieht schweben

(Er nimmt die Beute keck und fröhlich wahr),

Wie Mandrikard (daß ihm der Sieg gegeben

Wird über Rodomont, erscheint ihm klar):

Kühn und erfreut faßt er sein Roß; in Bügel

Setzt er den Fuß und nimmt zur Hand die Zügel.


97.

Als sie einand so nah, daß jeder hören

Kann seines Gegners trutzig-stolzes Wort,

Mit Hand und Haupt zu drohen und zu schwören

Beginnt der Herr von Algier da sofort,

Er soll es büßen, ließ er sich betören,

In unverschämter Lust zu schwelgen dort,

Im Wahn zu trotzen ihm sei leichte Sache,

Der nun erschienen hier zu blut'ger Rache.


98.

Sprach der: »Man macht nicht gar so leicht mir grauen;

Mich schreckt nicht also drohnder Worte Wind.

So magst du Kinder scheuchen oder Frauen

Und wer noch sonst nicht weiß, was Waffen sind;

Nicht mich, den Schlacht und Kampf viel mehr erbauen

Als jede Ruhe – den bereit man find't

(Sei's unbewaffnet, sei's das Schwert zur Seite,

Zu Fuß, zu Roß, in Feld und Platz) zum Streite.«


99.

Geschrei und Schelt- und Zornesruf ergehen,

Derweilen Schwertgeklirr und Lärm sich regt,

So wie der Wind erst kommt mit sanftem Wehen,

Bis er die Buch' und Eichen niederlegt

Und läßt zum Himmel wirbelnd Staub sich drehen

Und Häuser stürzt und Bäume fortbewegt,

Ins Meer eintauchend, Stürme bringt der Erde,

Tod aber der im Wald verstreuten Herde.
[302]

100.

Kühnheit und Riesenkraft sind diesen Heiden

Wie sonst hienieden keinem mehr beschert:

Mit mächt'gen Schlägen treffen sich die beiden,

Die ihres grimmen, wilden Samens wert.

Die Erde bebt in ihren Eingeweiden,

Wenn aufeinanderdröhnen Schwert und Schwert,

Und tausendfache Funken aus den Klingen,

Nein, tausend Fackeln sich zum Himmel schwingen.


101.

Ohn' Atemholen, ohne je zu rasten,

Ringen die zwei in urgewalt'gem Streit;

Die Schienen, Schuppen zu durchhauen hasten

Sie bald auf dieser, bald auf jener Seit'.

Als ob sie Wall und Graben rings umfaßten,

Rückt keiner vor noch weicht er händebreit;

Als steh' ein Zoll des Raums zu hoch im Preise,

Drehn sie sich stets in knappem, engem Kreise.


102.

Da trifft ein Hieb, von tausend, die ergehen,

Den Algierkönig auf das Haupt einmal,

Daß sich im Aug' ihm plötzlich Lichter drehen

Und helle Blitz' und Fackeln ohne Zahl:

Er neigt, als woll' ihm alle Kraft vergehen,

Auf seines Renners Kreuz den Kopf zu Tal

Und droht vor ihr, die teuer ihm vor allen,

Den Steg verlierend von dem Roß zu fallen.


103.

Doch wie sich wohl ein Kran mag aufwärts schwingen,

Aus gutem Stahl, drauf schwere Ladung liegt –

Je mächt'ger Hebel ihn und Winden zwingen,

Je mehr die große Last ihn niederbiegt,

Mehr als empfangen, wird er Schaden bringen,

Wenn er empor, der Bürde ledig, fliegt –:

So hebt der Afrikaner rasch sich wieder,

Den Hieb verdoppelnd auf des Gegners Glieder.
[303]

104.

Er trifft die gleiche Stell' in seinem Trutze,

Darauf des andern Schwert herabgekracht;

Doch jenem kommt der Trojahelm zunutze,

Der das Gesicht ihm unverwundbar macht.

Er wird nur so betäubt trotz diesem Schutze,

Daß er nicht weiß, ob's Tag ist oder Nacht.

Aufs Haupt ihm zielend, wild schlug Rodomonte

Noch einen Hieb voll Wucht, so stark er konnte.


105.

Dem andern Pferd, dem vor dem Schwerte bang ist,

Das niedersaust, macht jetzt zum bösen Glück

Ganz plötzlich einen Satz, dieweil sein Drang ist,

Durch Flucht dem Herren beizustehn, zurück;

Das Schwert, das auf den Herren selbst im Gang ist,

Dringt in des Pferdes Kopf ein gutes Stück.

Kein Trojahelm schützt dieses vor Verderben,

Wie seinen Herrn; drum muß das Rößlein sterben.


106.

Aufspringt, nicht mehr betäubt, als es gefallen,

Fürst Mandrikard, und Durendal er schwingt;

Zorn um das Pferd macht heiß das Blut ihm wallen,

Und grimme Wut in seine Schläfe dringt.

Auf ihn läßt Rodomont den Renner prallen,

Doch Mandrikard drum nicht zur Seite springt.

Gleich wie ein Fels im Meer steht er dem Reiter:

Der Renner stürzt, er aber hält sich weiter.


107.

Der Afrikaner, ohne Roß gelassen,

Schlüpft aus dem Steg und lehnt am Sattelknauf;

Er weiß zu Fuße Stellung rasch zu fassen.

Gleich sind sie nun für weiteren Verlauf,

Und höher steigt der Zorn, der Stolz, das Hassen;

Die Kampfwut lodert neu entzündet auf.

Lang hätt' es noch gewährt, da bringt den Frieden

Ein Bote: dieser hat die zwei geschieden.
[304]

108.

Ein Bote kam, wie schon durch Frankreich viele

Vom Mohrenvolke waren ausgesandt,

Daß schleunigst sich zu stellen jetzt gefiele

Führern und Einzelrittern miteinand.

Der Kaiser mit den Lilien, nah dem Ziele,

Habe das Lager selbst ja schon berannt;

Und wenn nicht rasch sich Hilf' und Truppen fänden,

Werd' es mit bald'gem Untergange enden.


109.

Der Bot' erkannte gleich die beiden Streiter,

Nicht nur am Wappen und am Waffenkleid,

Auch an den Streichen, die ja niemand weiter

So mächtig führen konnt' in jener Zeit.

Doch sie zu trennen wagte nicht der Reiter,

Gab schon des Königs Auftrag Sicherheit.

Auch der Gedanke will nicht Trost verleihen,

Daß nie Gesandte zu bestrafen seien.


110.

Nur Doralis erzählt er, daß umschlossen

Sei Agramant, auch Stordilan, Marsil,

Mit schwacher Wehr und wenigen Genossen

Im Lager durch der Christenscharen viel,

Und fleht sie an und bittet unverdrossen,

Daß sie beende jenes böse Spiel,

Die zwei versöhne und in aller Eile

Zum Lager führe zu des Volkes Heile.


111.

Das Fräulein wirft sich zwischen die zwei Degen

Voll Mut und spricht: »Bin ich euch wirklich wert,

Und liebt ihr mich, sollt ihr beiseite legen

Zu besserer Verwendung euer Schwert

Und stracks nach unserm Lager euch bewegen,

Das eure Schwerterhiebe jetzt begehrt,

Belagert in den Zelten, in Bedrängnis;

Kommt schnelle Hilfe nicht, kommt das Verhängnis.«
[305]

112.

Der Bote zeigt des Mohrenvolks Gefahren,

Legt alles dar; auch Briefe ließ er sehn,

Die von dem Sohn Trojans geschrieben waren,

Dem kühnen Sproß des Königs Ulien.

Beschlossen wird, es sollen Frieden wahren

Ohn' Hinterlist Tatar und Sarazen

Bis zu dem Tag, wenn die Gefahr beschworen

Und der Belagrung ledig alle Mohren.


113.

Sobald jedoch die Not sei überwunden

Und von Belagerung das Volk befreit,

Aller Gemeinschaft seien sie entbunden,

Und neu entbrenne Haß und blut'ger Streit,

Bis durch die Waffen werd' herausgefunden,

Wessen die Dame sei nach Würdigkeit.

Sie, deren Hand empfing der Ritter Eide,

Leistet die Sicherheit für alle beide.


114.

Die Zwietracht stand dabei, sehr unzufrieden

(Sie muß ja grollen, wenn man sich vergleicht).

Mit ihr der Stolz: gern hätt' er die geschieden,

Daß des Vertrages Ende werd' erreicht;

Doch Amor war zugegen, dem hienieden

An Macht ja keiner von den beiden gleicht;

Und vor den Pfeilen von des Gottes Bogen

Hat Zwietracht sich wie Stolz zurückgezogen.


115.

Der Friede zwischen jenen ward beschworen,

Weil's ihr gefiel, die hier die Herrin war.

Nun ging ja von den Pferden eins verloren:

Tot sah das seine liegen der Tatar.

Statt dessen wurde Güldenzaum erkoren,

Der bot sich auf der Weid' am Bache dar. –

Zum Sangesschluß sind angetan die Sachen,

Drum will ich, mit Verlaub, ein Punktum machen.

Quelle:
Ariosto, Ludovico: Der rasende Roland. In: Sämtliche poetischen Werke, Berlin 1922, Band 2, S. 277-306.
Lizenz:
Ausgewählte Ausgaben von
Der rasende Roland
Die Historia vom Rasenden Roland
Ludovico Ariosts Rasender Roland nacherzählt von Italo Calvino

Buchempfehlung

Meyer, Conrad Ferdinand

Gustav Adolfs Page

Gustav Adolfs Page

Im Dreißigjährigen Krieg bejubeln die deutschen Protestanten den Schwedenkönig Gustav Adolf. Leubelfing schwärmt geradezu für ihn und schafft es endlich, als Page in seine persönlichen Dienste zu treten. Was niemand ahnt: sie ist ein Mädchen.

42 Seiten, 3.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier II. Sieben Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Michael Holzinger hat für den zweiten Band sieben weitere Meistererzählungen ausgewählt.

432 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon