[232] 1.
Es würde lange währen noch, zu sagen,
Was weiter in der Seeschlacht ist geschehn;
Und wollt' ich Euch das zu erzählen wagen,
Hochherz'ger Hippolyt, mir würd' es stehn
Wie Krokodile nach Ägypten tragen,
Krüge nach Samos, Eulen nach Athen.
Darf ich etwas zu melden mir getrauen,
So tatet Ihr's und ließt es andre schauen.
2.
Lang sahn, als ob sie im Theater seien,
Eure Getreuen ja bei Tag und Nacht
Dort auf dem Po der Feindesschiffe Reihen
Zwischen das Erz und Feuers Glut gebracht. –
Was man vernehmen kann an Heulen, Schreien,
Sehn, welcher Art der Tod kommt in die Schlacht
Und wie vom Blute rot die Wogen gehen –
Ihr saht's – und ließt es viele andre sehen.
3.
Ich sah es nicht; ich war in Hast gegangen,
Die Pferde wechselnd stets, sechs Tag' vorher,
Vorm großen Hirten knieend zu erlangen,
Daß er zur Hilfe rasch entsend' ein Heer.
Doch nicht um Beistand braucht' ich mehr zu bangen:
Des Leuen Klauen und Gebisses Wehr
Bracht Ihr schon so, daß Unbill oder Plage
Von ihm hübsch unterblieb seit jenem Tage.
[233]
4.
Herr Alfons Trott, der beigewohnt dem Schlachten,
Pier Moro, Albert, Hannibal, Afran,
Bagno und Zerbinatt mir Nachricht brachten,
Und drei Arioste haben kundgetan,
Was mir am klarsten doch die Banner machten,
Die dort im Tempel meine Augen sahn,
Und fünfzehn Kriegsgaleeren, die in Banden,
Mit tausend andern Schiffen, sich befanden.
5.
Wer dort die Brände sah, die mannigfalten
Tötungen, Schiffbruch, all die Metzelein,
Die für erlittnen Brand als Rache galten,
Bis unser jedes Boot war groß und klein,
Der wird sich deutlich auch vor Augen halten,
Was jener Mohren Leiden mochten sein,
Was sie erduldeten in Meeres Mitten,
Als Dudo nachts zum Angriff kam geschritten.
6.
Nacht war's – und nicht ein Licht auf allen Schiffen,
Als dort begann der grauenhafte Streit;
Doch als den Bug, das Heck nun rasch ergriffen
Pech, Schwefel, Teer, geschleudert weit und breit,
Gefräß'ge Flammen prasselten und pfiffen
Auf Booten, die noch nicht zum Kampf bereit –
Klar in der Runde sah man jede Stelle,
Als sei die Nacht vertauscht mit Tageshelle.
7.
Solang die Feinde sich in Nacht befinden,
Schätzt Agramant den Angriff nur gering
Und meint sie allgemach zu überwinden,
Wenn er sie nur recht trutziglich empfing'.
Da sieht er, als die Finsternisse schwinden,
Was ihm gedeucht ein ganz unglaublich Ding –:
Zweimal so stark steht ihm der Feind entgegen,
Und andern Plan beginnt er zu erwägen.
[234]
8.
Mit Güldenzaum und andern Kostbarkeiten
Und wenig Leuten füllt er einen Kahn,
Zwischen den Schiffen heimlich hinzugleiten,
Und er gelangt zum sichern Ozean,
Fern von den Seinen, die mit Dudo streiten
Und, schwer von ihm bedrängt, dem Tode nahn:
Stahl frißt, die Glut verzehrt, die Wellen drohen –
Er, der das Unheil schuf, er ist geflohen.
9.
Geflohn: Sobrin noch nahm er mit, den treuen –
Was der mit seinem Seherauge sah,
Er glaubt es nicht, – wie mocht' es ihn gereuen!
Das Unglück, das er zeigte, nun ist's da! –
Doch eilen wir zu Roland jetzt vom neuen!
Der rät, bevor der Stadt noch Hilfe nah,
Mög' Astolf sehn, daß sie am Boden liege,
Damit sie nimmer Frankreich mehr bekriege.
10.
Und öffentlich läßt er die Weisung geben:
Bereit zum dritten Tage sei das Heer.
Astolf hat viele Schiffe noch daneben,
Denn alle gab er nicht an Dudo her.
Zum Feldherrn will er Samsonet erheben,
Als Führer wacker wie zu Land, zu Meer.
Der fährt nun aus und hält sich mittlerweile
Entfernt von Stadt und Hafen eine Meile.
11.
Als echte Christen, die sich in Gefahren
Gott anvertraun mit Herzen und mit Mund,
Gebieten beide öffentlich den Scharen,
Man halte Fasten und Gebet jetzund:
Und wenn am dritten Tage die Fanfaren
Das Zeichen geben für den Angriff kund,
Beginne Sturm auf jene Stadt der Heiden,
Die Plünderung und Feuer soll erleiden.
[235]
12.
Nachdem sie also sich entsündigt meinen
Und himmelauf Gebete sind entsandt,
Zu einem frommen Mahle sich vereinen
Die Kämpfer, die befreundet und verwandt.
Sie stärken den erschöpften Leib mit Weinen,
Umarmen sich und küssen dann einand
Und sprechen zärtlich: »Die sich Freunde nennen
In Wahrheit, tun das, ehe sie sich trennen.«
13.
Die heil'gen Priester in Biserta schlagen
Wie die betrübte Menge, schmerzverstört,
Sich auf die Brust und rufen laut mit Klagen
Den Mahom flehend an, der sie nicht hört.
Wie manches Opfer wird ihm angetragen!
Wie manch Gelübde still der einzle schwört!
Derweil sie öffentlich dem Herrn dort oben
Bildsäulen, Tempel und Altar geloben.
14.
Nachdem der Kadi gab dem Volk den Segen,
Bewaffnet sich's und eilt zum Mauerbord.
Die Erde harrte noch dem Licht entgegen,
Aurora schlief mit Tithon weiter fort,
Als Astolf hier, dort Samsonet der Degen
Gerüstet standen, beid' an ihrem Ort,
Bis daß des Grafen Hornsignale klangen,
Worauf sie mutig auf Biserta drangen.
15.
Vom Meer umschlossen waren zwei der Seiten,
Und nach dem trocknen Land zu lag der Rest.
Vortrefflich aufgebaut in alten Zeiten,
Ragt Mauerwerk, als wär's ein Felsennest.
Kaum etwas andres konnte Schutz bereiten,
Denn seit der König Branzard saß hier fest,
Konnt' er nicht Zeit, auch Meister nicht, gewinnen,
Noch stärkre Wäll' und Werke zu beginnen.
[236]
16.
Der Libyer soll die Zinnen all bestreichen
(Drum wird der erste Angriff ihm zuteil),
Bis die Verteidiger von dannen weichen
Vor Schleuder, Armbrust und dem Feuerpfeil,
So daß den untern Mauerrand erreichen
Fußvolk und Reiterei gesund und heil.
Sie tragen Steine, Balken und Maschinen,
Bretter und was noch sonst zum Sturm mag dienen.
17.
Was nun für Sachen da hinunterflogen,
Bald dies, bald das, von Hand zu Hand gereicht!
Die Flut ward Tags vorher schon abgezogen,
So daß der Graben sumpfig war und seicht.
Bald ist der Grund so hoch wie sonst die Wogen:
Des Bodens Höhe wird zuletzt erreicht,
Und Astolf, Oliver und Roland lassen
Zum Sturme vorwärtsgehn des Fußvolks Massen.
18.
Die Schar der Nubier, ungeduld'ge Leute,
Lockte die Hoffnung auf so manchen Schatz,
Daß keiner winkendes Verderben scheute:
Sie schleppten unter »Schildkröt'« oder »Katz'«
Sturmböck' und was das Mauerwerk bedräute,
Schafften in Toren, auch auf Türmen Platz:
Sie eilten sich, dem Mauerrand zu nahen,
Wo sie die Mohren ihrer harren sahen.
19.
Denn Eisen, Feuer, schwere Dächer, Zinnen
Stürzten herunter gleichwie Wetterschlag;
In den Maschinen klafften Löcher drinnen,
Und manches Sturmgerät zertrümmert lag.
Arg duldeten im Dunklen beim Beginnen
Wohl die Getauften; aber als der Tag
Sein goldnes Haus verließ und Licht bescherte,
Sah er: das Glück dem Mohr den Rücken kehrte.
[237]
20.
Graf Roland läßt den wilden Ansturm toben,
Von überall, vom Lande wie vom Meer.
Mit Samsonet hat sich die Flott' erhoben,
Läuft in den Hafen und zur Küste her.
Mit Schleudern und mit Wurfgeschoß von oben
Und Pfeilen sucht er heim die Mohren schwer.
Speere und Leitern werden rasch entsendet
Und was auf Schiffen sonst wird angewendet.
21.
Oliver, Roland, Brandimart, der Reiter,
Der auf dem Flugtier hat die Luft durcheilt,
Beginnen da, wo sich die Küste weiter
Ins Land zieht, starken Angriff unverweilt.
Ein jeder kam mit einem Teil der Streiter,
Dem Viertel, das ihm wurde zugeteilt.
Als der zum Tor, der zu dem Wall sich kehrte,
Sah man, wie jeder sich mit Glanz bewährte.
22.
So wird viel mehr, als wenn gemischt sie gingen,
Klar, wie's mit einem jeden sei bestellt:
Wer hohen Ruhmes würdig, wer geringen,
In tausend – nicht geschloßne – Augen fällt.
Holztürme, seht, läßt man auf Rädern bringen!
Auf Elefanten sind sie aufgestellt,
In solche Höhe durch das Tier getragen,
Daß sie die Zinnen weit noch überragen.
23.
Kommt Brandimart, die Leiter anzulegen,
Klimmt aufwärts, macht zugleich den andern Mut.
Und viele folgen tapfer und verwegen;
Wen er geleitet, meint: nun geht es gut.
Und keiner denkt zu prüfen von den Degen,
Wie groß die Last, die auf der Leiter ruht.
Herr Brandimart hat nur den Feind im Sinne:
Er steigt und ficht und kommt auf eine Zinne.
[238]
24.
Mit Händen und mit Füßen fest sie packend,
Springt er hinauf und schwingt das Schwert im Kreis,
Und hauend trifft er, stoßend, bohrend, hackend,
Und zeigt die Heldenschaft in alter Weis'.
Auf einmal aber bricht die Leiter knackend,
Die solche Lasten nicht zu tragen weiß,
Und außer Brandimart kopfüber wandern
All in den Graben, einer auf den andern.
25.
Drob ist dem Ritter Kühnheit nicht geschwunden:
Den Fuß zurückzuziehn fällt ihm nicht ein,
Hat ihn auch dort der Feind als Ziel gefunden,
Und ohne Krieger, ganz für sich allein.
Kein »Ja« hat ihm der Seinen Flehn entwunden,
Zurückzukehren, – nein, er springt hinein;
Springt dreißig Ellen hoch vom Mauerrande
Hinunter, sag' ich, zu der Mohrenbande.
26.
Als hätten Federn ihn und Stroh getragen,
Erhob er sich (der Fall tat ihm kein Leid),
Umsichzuhaun, zu stechen und zu schlagen,
Als ob er Tuch zerfetz' und teil' und schneid'.
Wenn die, dann jene seinem Stahl erlagen,
So flohen da, hier, dort die andern weit.
Die draußen, die den Sprung mitangesehen,
Meinten, es sei zu spät, ihm beizustehen.
27.
Wie sich die Mär durchs Lager hin verbreitet,
Geht Raunen, Flüstern leis von Mund zu Mund,
Weil rasch die flücht'ge Fama Flügel breitet
(Sie macht es – die Gefahr vergrößernd – kund);
Wo Ottos Sohn, wo Oliver (man streitet
An vielen Punkten) und wo Roland stund,
Allüberall will sie die Schwingen regen
Und nicht ein einzigmal zusammenlegen.
[239]
28.
Nachdem die Herrn, Roland zumal, vernommen
(Sie schätzten alle Brandimart gar sehr),
Es drohe, wenn sie zaudern, umzukommen
Der herrliche Genoß im Feindesheer –
Wie sie die Leitern um die Wett' erklommen!
Ihr Mut erschien so königlich und hehr,
Die Mienen zeugten von so kühnen Rittern,
Daß vor den Blicken schon die Feinde zittern.
29.
Wie Meeres wogen, die vom Sturme beben,
Dem kecken Fahrzeug dräuen voller Wut
Und es bald vorn empor, bald hinten heben
Und immer, bohrend, Eingang sucht die Flut,
Der Schiffer, dem nicht Herz noch Geist gegeben,
Sich selbst zu helfen, seufzt in trübem Mut –
Da naht sich, alles füllend – eine Welle,
Und wo sie kam, sind andre gleich zur Stelle –:
30.
So ist, als diesen drei der Sturm gelungen,
Zugang geschaffen nun, genügend breit,
Und sicher sind die andern nachgedrungen,
Denn tausend Leitern standen jetzt bereit.
Durch harte Widder war indes gesprungen
Mit mächtigem Gekrach der Wall so weit:
Man konnte Beistand schon durch manche Türen
Zu Brandimart, dem kühnen Helden, führen.
31.
So wie der Ströme Fürst mit Machtgebärde
Voll Wüten Dämme bricht und Uferbord,
Den Pfad sich bahnend durch okneïsche Erde –
Hier raubt er Korn und reiche Äcker dort,
Mit ihren Hütten auch die ganze Herde,
Trägt mit den Hunden noch die Hirten fort
(Die Fischlein zappeln in den Ulmenwipfeln,
Wo früher Vögel hüpften in den Gipfeln)–:
[240]
32.
So wütend stürmten jetzt die wilden Scharen,
Wo eine Lücke war im Mauerwall,
Mit Stahl – das Antlitz rot – auf die Barbaren,
Das schlecht geführte Volk vertilgend all.
Von Blut und Beute voll die Hände waren;
Durch Raub und Mord kam hier die Stadt zu Fall,
Die mächtige, zum Herrschen auserlesen,
Die einst die Fürstin Afrikas gewesen.
33.
Allübrall lagen Tote; aus den Wunden,
Unzähligen, ein See sich schwarz ergoß:
So grauenvoll hielt nicht die Höll' umwunden
Der Sumpf, der um das Reich des Pluto floß.
Die Flamme leckend hat den Weg gefunden
Von Haus zu Haus, frißt Tempel, Hall' und Schloß.
Die leeren Dächer dröhnen laut von Klagen,
Verzweifeltem Geheul und Brüsteschlagen.
34.
Mit Beutestücken, die sich reichlich fanden,
Gehn Sieger aus dem Unglückstor; man zieht
Mit Prachtgerät dahin und Prunkgewanden
Und Silber, das der Tempelschatz beschied:
Der führt die Mutter, der das Kind in Banden,
Und manche Greul- und Schreckenstat geschieht.
Astolf und Roland müssen vieles sehen
Und können nicht den Freveln widerstehen.
35.
Gefällt durch Oliver mit einem Streiche
War Buzifar vom Algazerenland;
Fürst Branzard machte selber sich zur Leiche,
Als jeder Trost ihm, jede Hoffnung schwand.
Den dreifach wunden Folvo, nah dem Reiche
Plutos, der Herzog mit dem Pardel band.
Das waren jene drei, die Agramante
Scheidend zu Wächtern seines Lands ernannte.
[241]
36.
Der König, der im Meere ließ die Seinen
Und mit Sobrin entfloh nach Afrika,
Seufzte von ferne um die Stadt mit Weinen,
Als er die große Flamm' am Ufer sah.
Wie Boten mit der Kunde dann erscheinen,
Was seinem Reiche Schreckliches geschah,
Will er den Tod sich geben mit dem Schwerte,
Und tät' es, wenn Sobrin es nicht verwehrte.
37.
Sobrin sprach: »Kann es einen Sieg wohl geben,
Der mehr, o Herr, erfreue deinen Feind,
Als wenn er Afrika – sobald du eben
Im Grab liegst – ruhig zu genießen meint?
Das untersagt ihm noch zurzeit dein Leben,
Weil dem Besitz doch stets die Furcht sich eint.
Er weiß gar wohl: erst, wenn du eine Leiche,
Kann er sich freun am Afrikanerreiche.
38.
Stirbst du, dann raubst du ja den Untertanen
Die Hoffnung auch, jetzt noch ihr einzig Gut.
Lebst du, folgt einst der Sieg noch deinen Fahnen,
In Jubel wandelnd allen trüben Mut.
Dein Tod bannt uns auf ew'ger Knechtschaft Bahnen;
Elend bleibt Afrika und zahlt Tribut.
Drum, wolltest du zu deinem Besten sterben,
Leb', Herr, um uns zu retten aus Verderben!
39.
Ägyptens Sultan wird uns Mannschaft schicken,
Als Nachbar, und auch Geld; vertrau auf ihn.
Er sieht nur ungern Afrika umstricken
Durch jenen starken Sprossen des Pipin.
In deinem Reich dich wieder zu erblicken,
Bemüht sich dann dein Schwager Norandin:
Der Perser, Arber, Türk', Armenier, Meder –
Rufst du sie an um Beistand, hilft dir jeder.«
[242]
40.
Die Hoffnung, die dem Herren will verrinnen,
Dämmt so der kluge Greis bedächtig ein:
Bald könn' er Afrika zurückgewinnen,
Meint er, mag ihm auch heimlich bange sein.
Er weiß, gar mißlich ist des Manns Beginnen;
Vergebens schickt ja Seufzer hinterdrein,
Wer hofft, daß ihm Barbaren wiederbringen,
Was er sich, allzu schwächlich, ließ entringen.
41.
Hierfür im Altertume Zeugen waren
Jugurtha wie der große Hannibal.
Ludwig, der Mohr, hat es bei uns erfahren,
Der durch den andern Ludwig kam zu Fall.
Belehrt durch jener törichtes Gebaren,
Nannt' Euer Bruder, Herr, die Menschen all
(Ich mein' Alfons den Herzog) eitel Narren,
Die, statt auf sich zu baun, auf andre harren.
42.
Als drum im Kriege, den mit ihm begonnen
Des Papstes zornig wilde Leidenschaft
(Kein großer Plan zwar ward von ihm gesponnen;
Als viel zu schwach ja kannt' er seine Kraft),
Ihm von dem Feind sein Reich war abgewonnen,
Und, wer ihm half, war außer Lands geschafft, –
Drohn und Versprechen rangen da mitnichten
Dem Herren ab ein schwächliches Verzichten.
43.
Der König läßt den Bug nach Osten wenden
Und segelt in das hohe Meer hinaus,
Da kommt vom Strand aus südlichen Geländen
Ein wilder Windhauch, seitwärts, mit Gebraus.
Der Schiffer spricht, das Steuer in den Händen,
Und sorgend blickt er nach dem Himmel aus:
»Es drohen eines argen Sturms Gewalten,
Und unser Schiff wird sich in ihm nicht halten.
[243]
44.
Wollt ihr, o Herrn, euch meinem Rat bequemen,
Hier links ist eine Insel in der Näh'.
Gut wär's, wenn wir an ihr Gestade kämen,
Zu bleiben, bis der Sturm vorübergeh'.«
Worauf sie nach dem Strand die Richtung nehmen,
Der zu der Schiffer Heil in jener See,
Und, zwischen Libyen und den Schmiedestätten
Vulkans, dem Seemann öfter half sich retten.
45.
Nicht Menschenhütten sind darauf gelegen,
Myrt' und Wachholder sprießen im Gefild,
In Einsamkeit, wo Hirsche nur sich regen
Und Böcke, Hasen, Reh und andres Wild.
Nur Fischer kommen hin, der Netze wegen,
Die's auf gestutztem Zweig zu trocknen gilt.
So lang sie überm Sande friedlich hangen,
Schläft in der See das Fischlein ohne Bangen,
46.
Man fand, es war ein Fahrzeug grad erschienen:
Ein Zufall bracht' es her an diesen Strand.
Der Kriegsfürst, dem die Serikaner dienen,
Ging auf dem Weg von Arles her dort ans Land.
Die Herrscher, Würd' und Anstand in den Mienen,
Grüßen, wie's Königen gebührt, einand.
Sie waren Freunde, kürzlich noch Genossen,
Als sie vereint die Stadt Paris umschlossen.
47.
Was er vom Unglück Agramants berichten
Ihn hört, vernimmt Gradaß mit vielem Leid;
Dann sucht er ritterlich ihn aufzurichten,
Erklärt sich selber auch zu Dienst bereit.
Dem Plan nur ob Ägyptens beizupflichten,
Des falschen, ungetreuen, ist er weit.
»Was dort des Flüchtlings harrt an Not und Plagen,«
So sprach er dann, »Pompejus kann es sagen!
[244]
48.
Wenn mit Äthiopiern, dem Senap ergeben,
Astolf, der in dein Land – du sagst es ja –
Erobernd drang, vom Throne dich zu heben,
Die Hauptstadt hat verbrannt von Afrika,
Und sich zu ihm auch Roland hat begeben,
Den man noch jüngst gestörten Geistes sah,
So denk' ich jetzt ein Mittel anzuwenden: –
Mir scheint es gut, es soll die Not dir enden.
49.
Ich fordre ihn zum Kampf, um zu beweisen:
Ich bin dir zugetan und helfe dir:
Und wär' er auch von Kupfer oder Eisen,
Nichts kann ihm einen Schutz verleihn vor mir.
Starb er, ist mir das Christenvolk, was Geisen
Dem hungertollen Wolf in seiner Gier.
Ich hab's bedacht, und leicht wird es mir glücken,
Die Nubier aus dem Land hinauszudrücken.
50.
Die andern Nubier dort, die jenen grollen
(Der Glaube trennt sie und die Flut des Nil),
Und Araber, Makrobier (die mit vollen
Goldsäcken, jene reich durch Pferde viel),
Chaldäer, Perser – manche Völker zollen
Ja meinem Zepter – bring' ich all ins Spiel;
Den Krieg laß ich ins Land der Nubier tragen,
Daß sie von deinem Reich nach Hause jagen.«
51.
Den zweiten Vorschlag hat nun gut befunden
Herr Agramant, und er behagt ihm sehr.
Er nennt sich der Fortuna höchst verbunden,
Die ihn zum Inselstrand gebracht hierher.
Doch keineswegs will der Gedank' ihm munden
– Und wenn's der Preis auch für Biserta wär' –
Daß jenen Kampf Gradaß statt seiner führe,
Weil das zu sehr ihm an die Ehre rühre.
[245]
52.
»Wenn's Roland fordern gilt, bin ich's vor allen,«
Versetzt er, »mir gebührt ein solcher Streit.
Ergeh' mir's, wie's dem Himmel mag gefallen,
Gut oder schlecht sodann; ich bin bereit.«
Gradaß entgegnet: »Mir ist eingefallen
Ein Ausweg – nimm ihn an! – zur rechten Zeit:
Du sollst mit mir zum Kampf mit Roland gehen;
Ein zweiter Mann mag ihm zur Seite stehen.«
53.
Sprach Agramant: »Ob erster oder zweiter,
Wenn ich nur mit dabei bin, schelt' ich nicht:
Ich weiß gar wohl, der ganzen Erde weiter
Ein solcher Kampfgesell wie du gebricht.«
»Und ich, wo bleib ich? Dünk' ich euch als Streiter
Auch etwas alt,« Sobrin der weise spricht,
»So bin ich doch dafür wohl mehr erfahren:
Zur Kraft braucht man den Rat noch in Gefahren.«
54.
Sobrin war frisch und kräftig anzuschauen,
Ein rüst'ger Greis, und vielbewährt im Strauß.
Er sagt, er fühl' in seinem Haar, dem grauen,
Sich stark, – die Jugend habe nichts voraus.
Sein Vorschlag fand der beiden Herrn Vertrauen:
Sie senden schleunigst einen Boten aus
Zum Afrikanerstrand; von ihrer Seite
Lad' er Graf Roland ein zum Einzelstreite:
55.
Nach Lipadusa mög' er sich begeben,
Und zwar mit einem andern Ritterpaar
(Ein Eiland ist's, vom gleichen Meer umgeben,
Wie dieses hier, wo die Beratung war).
Der Bote segelt, läßt die Ruder heben
(Wie einer zeigt: ich habe Eil' fürwahr)
Bis nach Biserta, wo an seine Leute
Roland Gefangne gab und andre Beute.
[246]
56.
Daß Kampf mit jenen drei ihm angetragen
(Verkündet wurd' es vor dem ganzen Heer),
Erfüllte Roland höchlich mit Behagen:
Den Boten ehrt er mit Geschenken sehr.
Er wußte – die Gefährten hört' er's sagen –
Die Durendal sei jetzt Gradassos Wehr.
Er wäre fast, sie wieder zu erlangen,
Schon nach dem fernen Indien hingegangen.
57.
Denn seit Gradaß vom Frankenreich geschieden,
Meinte der Graf, in Indien müss' er sein.
Nun deucht ihm früher Rückgewinn beschieden,
Stellt jener sich an näherm Orte ein.
Er hört die Fordrung darum auch zufrieden:
Es winkt ihm nicht Almontes Horn allein,
Auch Güldenzaum: er hörte, daß in Händen
Des Agramant sich alle zwei befänden.
58.
Den Schwager kürt sich Roland als Genossen
Und Brandimart den treuen noch dabei.
Ihm hat sich längst der beiden Wert erschlossen;
Er weiß, er hat die Liebe aller zwei.
Nach Schuppenkleidern, Schienen, guten Rossen
Sucht er, und Speeren, Schwertern mancherlei,
Für sich und sie: Ihr werdet wohl noch wissen,
Daß alle die gewohnten Waffen missen.
59.
Der Graf warf seine Wehr fort – oftmals singen
Konnt' ich davon – in nachtumwölktem Sinn;
Die andern ließ sich Rodomonte bringen
Und birgt sie dort am Fluß im Turme drin.
In Afrika war nichts von diesen Dingen,
Denn Agramant nahm mit nach Frankreich hin,
Was er nur fand an guten Eisensachen,
Weil sie davon in Libyen wenig machen.
[247]
60.
Blank, rostig – wie die Waffen sind gerade –
Roland nimmt alles, das er finden kann.
Vom nahen Kampfe sprechend, am Gestade
Des Meers mit den Gefährten geht er dann.
Zwei Stunden sind sie so auf ihrem Pfade,
Da schaut er auf die Flut –: es naht heran
Ein Schiff, die Segel vollgeschwellt, dem Lande,
Und unaufhaltsam treibt es nach dem Strande.
61.
Kein Schiffer, keine Rudrer! Wie sich fingen
Die Winde, wie es just dem Glück gefällt,
Die hohen Segel durch die Meerflut dringen,
Bis auf dem Sand zuletzt das Schifflein hält.
Doch eh ich mehr hiervon vermag zu singen,
Geschieht's, daß Roger in den Weg sich stellt
Und will, daß ich zuvörderst die Geschichte
Vom Clermontritter und von ihm berichte.
62.
Daß von dem wilden Kampf die Krieger beide
Sich ferngehalten haben, sagt' ich schon,
Sie sahn verletzt das Recht und schwere Eide,
In Aufruhr jede Schar und Legion.
Wer nun die Schuld sei an so großem Leide
Und wer so heil'gen Schwüren spreche Hohn,
Ob Karl, ob jener König der Barbaren,
Das suchen sie durch Fragen zu erfahren.
63.
Ein Diener Rogers, wacker und verschlagen
(Er sah die ganze Zeit als treuer Mann
Die Kriegesleute aufeinanderschlagen
Und schaute unverwandt den Herren an),
Kommt jetzt, ihm Schwert und Renner anzutragen,
Weil Roger seinem Volke helfen kann.
Roger besteigt das Roß und nimmt den Degen,
Ohn' im Getümmel Hand mitanzulegen.
[248]
64.
Zuvor noch, eh Rinald hinweg sich wende,
Hat er mit diesem den Vertrag erneut:
Wenn er den Mohrenkönig treulos fände,
Verlass' er ihn mit seiner Schar noch heut.
Der Kampf war diesen Tag für ihn zu Ende.
Es gab nur eines: Fragen alle Leut'!
Bei jedem blieb er, bis er ihn gesprochen,
Ob Karl, ob Agramant den Eid gebrochen.
65.
Von allen hört er, daß es Mohren waren;
Sie brachen den Vertrag für Agramant.
Ihn hatte Roger lieb: was er erfahren,
Es ist ihm schmerzlich, löst ihr Freundschaftsband.
Zersprengt, geschlagen fliehen die Barbaren
(Das sagt' ich schon), um von dem höchsten Rand
Des Rads hinunter auf den Grund zu gehen,
Wie's ihr gefällt, die alles weiß zu drehen.
66.
In sich gekehrt, sucht Roger Rats zu pflegen,
Ob er nun gehen, ob er bleiben soll:
Die Lieb' ist da, den Zaum ihm anzulegen
Und Libyen zu entreißen, zornesvoll:
Sie dreht ihn um, spornt ihn zu andern Wegen,
Droht ihm mit Strafen und mit schwerem Groll,
Wenn in den Sinn ihm komme, das Versprechen,
Das er Rinald noch eben gab, zu brechen.
67.
Nicht minder spornt ihn nach der andern Seite
Die wache Sorge peinigend und schwer,
Man zeihe, lass' er seinen Herrn im Streite,
Ihn wohl der Furcht, der Feigheit in dem Heer,
Wenn mancher seinen guten Grund bestreite,
Wie zwingend er auch für die andern wär'.
Es gelte nicht ein Schwur – so werd' er hören,
Wenn's unerlaubt und schlecht war, ihn zu schwören.
[249]
68.
Der ganze Tag, die Nacht nach diesem Tage,
Der nächste noch ihn einsam brüten sah,
Er quält sich ab mit dieser einen Frage:
Muß er wohl gehn? Bleibt er in Ehren da?
Er findet schließlich: seines Herren Lage
Ruf' ihn zurück zum fernen Afrika.
Vermocht auch viel in ihm die Gattenliebe,
So waren Ehr' und Pflicht doch stärkre Triebe.
69.
Er geht nach Arles, von Hoffnung noch bewegen,
Die Flotte dort zu sehn und Schiffesbord:
Kein Boot im Fluß, kein Boot auf Meereswogen,
Kein Sarazen! – Nur Tote gibt es dort.
Mit Agramant ist jedes Schiff gezogen;
Den ganzen Rest verbrannte man im Port.
Nach diesem Fehlschlag nahm er seine Pfade
Gegen Marseille hin an des Meers Gestade.
70.
Dort werd' ihm, meint er, wohl ein Fahrzeug winken;
Das nehm' er, sei es gütlich, sei's mit Zwang!
Schon lag, geführt vom Dänensohn, dem flinken,
Die Flott' am Strand mit dem Barbarenfang.
Kein Hirsekörnlein könnt' ins Wasser sinken:
So dichtgereiht zog sich den Strand entlang,
Von Siegern und Gefangnen schwer, die Menge
Der Schiffe dort in wimmelndem Gedränge.
71.
Die Heidenschiffe, die den Feuergluten
Entgingen und dem Schiffbruch jener Nacht,
Bis auf ein paar, entkommen auf den Fluten,
Waren von Dudo nach Marseille gebracht.
Mit sieben Schiffen, drauf die Waffen ruhten,
Weil unterlegen vor der Christenmacht,
Ergaben sich der Mohrenfürsten sieben,
Die weinend, stumm versenkt in Jammer, blieben.
[250]
72.
Dudo befand gerad sich auf dem Lande:
Zu Karl dem Kaiser wollt' er hin noch heut,
Und zum Triumphzug hatt' er längs dem Strande
Gefangne aufgestellt und Kriegesbeut';
Die Mohren stehn in Reihn am Uferrande,
Um sie die Nubiersieger, all erfreut.
Sie lassen Dudos Namen rings mit hellen
Rufen erklingen über Land und Wellen.
73.
Roger vermeint beim Anblick dieser Scharen,
Es sei das Flottenheer des Agramant,
Und sprengt heran, die Wahrheit zu erfahren:
Da hat er Nasamonas Herrn erkannt
(Nachdem sie deutlicher zu sehen waren),
Gefangen; Bambirago, Farurant,
Balaster, Manilard mit Agrikalten,
Und Rimedont gesenkt die Stirne halten.
74.
Der Jüngling möchte gern ihr Schicksal wenden;
Er liebt sie und erträgt den Anblick nicht.
Er weiß: zu kommen hier mit leeren Händen,
Es ist umsonst, wenn es an Macht gebricht;
So senkt er, ohne Bitten zu verschwenden,
Die Lanze mit dem üblichen Gewicht
Und zieht das Schwert: – in einem Augenblinken
Der Krieger hundert auf die Erde sinken.
75.
Dudo vernimmt den Lärm, sieht Rogers Morden,
Doch weiß er nicht, wer sein mag jener Held.
Er sieht, wie voller Angst die Nubierhorden
Mit Schrein und Klagen fliehen über Feld.
Sobald ihm Renner, Schild und Helm geworden
(Weil er schon Brust und Arm gewappnet hält),
Springt er aufs Pferd und läßt den Speer sich neigen,
Bedacht, als Paladin sich nun zu zeigen.
[251]
76.
Er spornt den Renner, um davonzujagen,
Und ruft den Seinen zu: »Macht Platz geschwind!«
Roger hat wieder hundert Mann erschlagen,
Und der Gefangnen Hoffnung wächst gelind.
Als er zu Pferd sieht Ritter Dudo ragen
(Derweil die andern all zu Fuße sind),
So hält er für ihr Haupt den stolzen Degen
Und sprengt ihm voller Kampfeslust entgegen.
77.
Schon nah war Ritter Dudo; als er einen
Ohne die Lanze sah, so meinte er,
Es zieme nicht, im Vorteil hier zu scheinen,
Und auf die Erde warf er seinen Speer.
Denkt Roger – eingenommen von der feinen
Und stolzen Haltung –: »Nicht verleugnet der,
Daß er zu den Erlesnen sich bekannt hat,
Die Frankreichs Paladine man genannt hat.
78.
Eh andres jetzt geschehe, will ich kennen
Den Namen dessen, der mit mir sich mißt.«
Er fragt und hört den Feind sich Dudo nennen,
Der vom Geschlecht des Dänen Holger ist.
Er legt dann Roger gleiches auf vorm Rennen:
Höflich wird ihm Bescheid zur selben Frist.
So wußte jeder nun des andern Namen,
Als sie zum Aufruf und zum Ernste kamen.
79.
Die Eisenkeule schwang Herrn Dudos Rechte,
Die tausendfach ihm ew'gen Ruhm errang:
Mit ihr bewies er, daß er dem Geschlechte
Holgers und edlem Heldenblut entsprang.
Und jenes Schwert zückt Roger zum Gefechte,
Das jeden Harnisch, jeden Helm durchdrang;
Das beste Schwert der Welt; den Christen lehrte
Die gute Klinge viel von Rogers Werte.
[252]
80.
Doch seine Braut zu schonen mußt' er denken,
So weit es anging; still in seinem Mut
Gestand er sich, es werde arg sie kränken,
Vergöss' er dieses edlen Ritters Blut.
Beatrix durfte einst der Welt sie schenken
(Er kannte Frankreichs Adelsbücher gut);
Die Schwester, Muhme seiner Bradamante,
Sich Armelina, Mutter Dudos, nannte.
81.
Er hieb nur selten zu mit starken Schlägen,
Und mit der scharfen Spitze stach er nie,
Lenkte die Keule seitwärts mit dem Degen;
Er mied sie oder er parierte sie.
An Roger hab' es, meint Turpin, gelegen,
Ob Dudos Brust noch fürder Atem zieh'.
Sah er, daß ungedeckt der andre bliebe,
Traf er ihn bloß mit einem flachen Hiebe.
82.
Er weiß so flach wie scharf sein Schwert zu schwingen,
Das breiten Rücken hat und vieles schafft,
Und läßt ein seltsam Trommelspiel erklingen
Auf Ritter Dudo mit so großer Kraft,
Daß dem die Funken aus den Augen springen;
Fast wird er auf den Boden hingerafft.
Um meinen Hörern aber zu gefallen,
Lass' ich ein andermal mein Lied erschallen.
Ausgewählte Ausgaben von
Der rasende Roland
|
Buchempfehlung
Die beiden »Freiherren von Gemperlein« machen reichlich komplizierte Pläne, in den Stand der Ehe zu treten und verlieben sich schließlich beide in dieselbe Frau, die zu allem Überfluss auch noch verheiratet ist. Die 1875 erschienene Künstlernovelle »Ein Spätgeborener« ist der erste Prosatext mit dem die Autorin jedenfalls eine gewisse Öffentlichkeit erreicht.
78 Seiten, 5.80 Euro
Buchempfehlung
Im nach dem Wiener Kongress neugeordneten Europa entsteht seit 1815 große Literatur der Sehnsucht und der Melancholie. Die Schattenseiten der menschlichen Seele, Leidenschaft und die Hinwendung zum Religiösen sind die Themen der Spätromantik. Michael Holzinger hat elf große Erzählungen dieser Zeit zu diesem Leseband zusammengefasst.
430 Seiten, 19.80 Euro