|
[193] 1.
Von allen, die getreu dem edlen Triebe
Und festen Herzens je die Welt erfand;
Von allen, die als Muster hoher Liebe
Standhaft in Freud' und Leiden man gekannt –
Der erste Platz (eh'r als der zweite) bliebe
Olympia: nimmt sie nicht höhern Stand,
So sag' ich dies: es braucht bei alt und neuen
Nicht ihre Liebe den Vergleich zu scheuen.
2.
Davon hat sie Biren Beweis gegeben
So unumstößlich sicher und so klar:
Kein Weib tat jemals mehr in ihrem Leben,
Böt' ihre Brust sich auch geöffnet dar.
Wenn nun ein Herz, so treu, so hingegeben,
Jemals der Gegenliebe würdig war,
So ist für den Biren es vorgeschrieben:
Er muß sie wie sich selbst, nein, mehr noch lieben;
3.
Nicht nur sie niemals um ein Weib verlassen,
Und wär' es selber jene Helena,
Anlaß von Asiens und Europas Hassen,
Und falls die Welt noch eine Schönre sah –
Nein, von der Sonne scheidend, selbst erblassen
Und alles opfernd für Olympia,
Atem und Ruhm, und was man sonst erdenken
Wohl könnt' an allerköstlichsten Geschenken.
[194]
4.
Ob ihr Biren die Treue hat gehalten
So wie sie ihm, ob er ihr zugewandt
Liebreich wie sie, – nie Segel zu entfalten
Gedachte hin nach einem andern Land –
Oder ob ihre Opfer nichts ihm galten,
Ob gegen Lieb' und Treu' er grausam stand,
Das sollt ihr jetzt mit Staunen selber schauen,
Gepreßt die Lippen und gewölbt die Brauen.
5.
Und hört ihr von der Niedertracht mit Grauen,
Die für so vieles Gute ihr geschieht,
Es tut nicht gut, bedenkt es wohl, o Frauen!
Gläubig zu lauschen des Verliebten Lied!
Denn der, bedacht nur, sich am Ziel zu schauen,
Vergißt, daß Gott doch alles hört und sieht,
Und hat gar leicht zu Schwüren sich verstiegen,
Die nachher bald in alle Winde fliegen.
6.
Schwur und Versprechen werden fortgetragen,
Verweht und in die Luft gestreut vom Wind,
Sobald die Wünsche, die Verliebte plagen,
Gestillt, erloschen ihre Gluten sind.
Drum wenn die Männer bitten oder klagen,
Nehmt's nicht für bare Münze zu geschwind!
Dies, werte Damen, ist der Weisheit Pfosten:
Gewitzt zu werden auf der andern Kosten!
7.
Seid auf der Hut vor Männern in der Blüte
Der Jugend, mit den Mienen schön und glatt!
Strohfeuer lodert ihnen im Gemüte,
Das kommt und stirbt; bald wird die Flamme matt.
Wie nach dem Hasen erst der Jäger glühte
Bei Hitz' und Frost und, wenn er dann ihn hat,
Nun den erlegten nicht mehr pflegt zu schätzen,
Weil's nur erfreut, dem fliehnden nachzusetzen –
[195]
8.
So machen es genau die jungen Leute:
Abstoßend zeigt euch, spröd' und kalt und hart,
So lieben und verehren sie euch heute,
Nach wohlerzogner, treuer Werber Art.
Doch rühmen sie sich erst der sichern Beute,
Bald aus der Herrin eine Sklavin ward,
Und ihre Lieb' ist euch mit eins entzogen –
Die falsche ist wo anders hingeflogen.
9.
Nicht will ich euch die Liebe drum verleiden;
Das wär' verkehrt; schwurst du der Liebe ab,
Mußt du von Lust dich wie die Rebe scheiden,
Die nicht zur Stütz hat Pflanzen oder Stab.
Nur jene grüne Jugend sollt ihr meiden,
Schwankend und unbeständig, stets im Trab!
Pflückt lieber Frucht, die sauer nicht noch hart ist,
Wofern sie nur nicht überreifer Art ist. –
10.
Ich sagt' euch, in der Beute wird gefunden
Des Friesenkönigs schönes Töchterlein;
Sie soll, man hört es allgemein bekunden,
Die Gattin von Birenos Bruder sein;
Doch – grad heraus! – ihm selber will sie munden,
Zu lecker ist der Bissen doch und fein!
Und Klugheit würde jener Rücksicht fehlen,
Die andern gibt, was sie für sich kann stehlen.
11.
Das Fräulein hatte noch nicht überschritten
Die Vierzehn, war ein schönes, frisches Ding,
Ein knospend Röslein, das aus Buschesmitten
Vorbricht, sobald die Sonne höher ging.
Biren hat nicht nur Liebesqual erlitten,
Nein, Zunder nie derartig Feuer fing;
Kein Feuer je so blitzschnell Nahrung fände
Im reifen Korn, geschürt durch neid'sche Hände,
[196]
12.
Wie er sich von den Flammen ließ erfassen
Und Feuer drang bis tief ins Mark hinein,
Als er beim Tod des Vaters dort erblassen
Und weinen sah das holde Mägdelein;
Und wie des Wassers Glut pflegt nachzulassen,
Sobald sich neues, frisches mischt hinein,
Die Liebe zu der Gattin, ach, sich kühlte,
Als er die neue Lieb' im Herzen fühlte.
13.
Gleichgültig nicht, sie ist ihm widerwärtig,
So daß er jetzt sie kaum noch sehen kann,
Und für die andre brennt er gegenwärtig;
Wenn es noch lange währt, stirbt er daran.
Doch bis zum Tag, an dem er alles fertig
Für seine Pläne hofft, strengt er sich an:
In heißer Liebe scheint er zu vergehen
Und nur, was ihr gefiel, selbst gern zu sehen.
14.
Liebkost der junge Mann die gute Kleine
(Und mehr, als grade nötig, er es tut),
So wirft man drob auf ihn nicht etwa Steine,
O nein, man nennt ihn mitleidsvoll und gut;
Denn dem Gefallnen hilft man auf die Beine,
Und gar nun so betrübtem jungem Blut,
Das war nie tadelnswert, war vielfach rühmlich
Und einem edlen Herzen eigentümlich.
15.
Gott, wie verkehrt ist oft der Menschen Schalten!
Wie oft ein Schleier ihren Sinn umwand!
Für fromm und gut die Zärtlichkeiten galten,
Und ruchlos war und böse doch die Hand! –
Sieh da! Die Schiffer schon die Ruder halten,
Und vorwärts geht es, fort vom sichern Strand:
Hin durch das Salzgewässer fröhlich fahren
Der Herzog und die sonst noch mit ihm waren.
[197]
16.
Die Küsten Hollands schwanden in die Weite,
Und bald erkennt das Auge sie nicht mehr.
Friesland zu meiden, nach der linken Seite
Hielt man sich etwas mehr nach Schottland her,
Als ihnen starker Wind gibt das Geleite,
Der sie drei Tag' lang irren läßt im Meer.
Am dritten kommen sie – es dunkelt mählich –
Zu einer Insel öd und wüst, trübselig.
17.
Olympia stieg ans Land (zum Ankern hatten
Sie eine Bucht gewählt), zufrieden mit der Welt
Speist sie mit ihrem ungetreuen Gatten,
Und kein Verdacht in ihre Freude fällt.
Fürs Lager kam ein hübscher Ort zustatten;
Da geht sie mit ihm schlafen unterm Zelt.
Die andern wandten sich zum Wasser wieder
Und streckten sich auf ihren Schiffen nieder.
18.
Seekrankheit und die Furcht im Schiff, dem schwanken,
Hatten sie wach gehalten manchen Tag;
Am sichern Ufer alle Sorgen sanken,
Und das Gefühl, daß sie geborgen lag,
Und daß nichts mehr von quälenden Gedanken,
Weil sie ja ihn hat, sie bedrängen mag,
Versenkt sie gleich in Schlaf und in so tiefen,
Daß Murmeltier und Bär nie fester schliefen.
19.
Als sie der Falsche schlummern sieht (denn wachen
Ließ ihn sein böser, ränkevoller Sinn),
Leis, leis schlüpft er vom Bette (seine Sachen
– Er zieht nichts an – hat er im Bündel drin);
Er läßt das Zelt und eilt – denn Flügel machen
Ihm seine Wünsche – zu den Leuten hin
Und weckt sie: ohne einen Laut zu geben,
Vom Ufer weg ins offne Meer sie streben.
[198]
20.
Die Arme bleibt zurück – und das Gestade ...
Olympia schläft, ist früher nicht erwacht,
Bis auf die Erd' hinab vom goldnen Rade
Aurora streut des eis'gen Reifes Pracht
Und bis Alcyone vom Meeresbade sie
Des alten Leids in Klagen hat gedacht.
Halb wach, halb schlafend jetzt das Händchen streckt
Biren zum Kuß – doch niemanden erweckt sie.
21.
Niemand! Sie hat die Hand zurückgezogen,
Und jetzt aufs neue tastet sie umher,
Den Arm gestreckt und jenen Arm gebogen,
Und sucht mit Fuß und Fuße – alles leer!
Sie schaut sich um; Schlaf ist vor Furcht verflogen;
Niemand ist da – nun hält sie nimmermehr
Ihr leer, verwitwet Bett: gleich einem Pfeile
Fliegt sie heraus und läßt das Zelt in Eile.
22.
Die Wangen sich zerfleischend, nach dem Rande
Des Meeres läuft sie – Unglück ist ihr klar –,
Blickt auf und ab (der Mond liegt auf dem Sande)
Und schlägt die Brust und rauft sich wild das Haar:
Ob nichts dem Blick sich bietet außerm Strande? –
Und außerm Strande bietet nichts sich dar.
Sie rief Biren – zurück die Rufe kamen
Aus mitleidvollen Höhlen – mit dem Namen.
23.
Es ragt ein Fels am äußersten Gestade;
Die Wogen hatten ihn durch Anprall schwer
So ausgehöhlt wie einen Bogen grade,
Und oben hing er über nach dem Meer.
Sie klomm in Eil' hinan auf steilem Pfade
(Es spornte Herzensangst sie ja so sehr),
Und vollgeblähte Segel sieht sie gleiten
Und ihren Falschen fliehn in ferne Weiten.
[199]
24.
Sie sieht ihn oder glaubt doch, ihn zu sehen,
Denn völlig hell war noch der Morgen nicht:
Da stürzt sie hin und will vor Schmerz vergehen,
Blasser als kalter Schnee im Angesicht.
Doch als sie wieder konnt' auf Füßen stehen,
Rief sie, zur Bahn des Schiffes hin gericht't,
Mit allen Kräften, die die Lungen hatten,
Mehrmals den Namen ihres bösen Gatten
25.
Und weint – die schwache Stimme will nicht reichen –
Und schlägt die Händ' zusammen immerfort:
»Grausamer, sprich, wohin willst du entweichen?
Dein Schiff hat nicht die rechte Last an Bord!
Nicht schwerer wird es durch die Fluten streichen,
Führt es auch mich: die Seel' ist ja schon dort!«
Und macht mit Kleidern Zeichen und mit Händen,
Daß doch das Schiff zur Umkehr möge wenden.
26.
Allein die Winde, die von dannen tragen
Den Ungetreuen und das Schifflein gut,
Sie tragen auch davon der Armen Klagen
Und ihre Tränen und verstörten Mut.
Sie sprang dreimal, den Tod sich zu erjagen,
Hinab vom Strand, kehrt gegen sich die Wut;
Dann hört sie auf, zu starren auf die Fluten,
Und geht zurück, hin, wo des Nachts sie ruhten.
27.
Sie liegt, das Antlitz abwärts, auf dem Bette;
In heißen Tränen badet sie's und spricht:
»Du warst uns zweien abends Ruhestätte;
Warum sind zwei wir heut beim Aufstehn nicht?
O weh, Biren! O wehe mir! Und hätte
Mich nie gesehen doch des Tages Licht!
Was soll ich tun? Was kann ich tun alleine?
Wer steht mir bei? Wer tröstet, wenn ich weine?
[200]
28.
Es will kein Mensch, kein Menschenwerk sich zeigen,
Und nichts verrät mir, daß hier Menschen sei'n.
Ich sehe auch kein Schiff, daraufzusteigen
Und mich aus dieser Öde zu befrein.
Ich sterb' in Angst: wer wird sich zu mir neigen,
Das Aug' zu schließen, wer Bestattung weihn?
Falls nicht vielleicht das Grab mir Wölfe geben
In ihrem Leib, die hier im Walde leben.
29.
Ich steh' in Angst und wähne schon zu schauen,
Wie Löw' und Bär aus diesem Dickicht nahn,
Tiger und andre Tiere, die mit Klauen
Natur bewaffnet hat und scharfem Zahn.
Doch könnte mir vor schlimmrem Tode grauen,
Als den du, wildes Tier, mir angetan?
Sie bringen einmal mir den Tod, den herben;
Du aber, weh, läßt tausendmal mich sterben!
30.
Doch falls ich wirklich einen Schiffer sehe,
Der fort mich nimmt und Mitleid fühlt mit mir,
Daß ich dem Leid, der Todesqual entgehe
Und Wolf und Bär und anderem Getier –
Bringt er mich wohl nach Holland, wenn dort, wehe!
In Burg und Hafen deine Wächter stehn?
Muß ich nicht weiter dann die Heimat missen,
Wenn du sie mit Betrug mir hast entrissen?
31.
Du nahmst, von Freundschaft sprechend, meine Habe;
Schütztest Verwandtschaft vor, du falscher Hort!
Rasch deinen Leuten botest du die Gabe;
So sichertest du dir die Herrschaft dort.
Geh' ich nach Flandern? Was mir blieb, das habe
Ich doch verkauft; das Wen'ge ging ja fort,
Dir beizustehn, dich aus dem Turm zu retten!
Wohin, ach, geh' ich arme Frau mich betten?
[201]
32.
Fahr' ich nach Friesland hin? Dort könnt' ich schalten
Als Königin – ich weigert' es um dich!
Drum mußten Vater, Brüder mir erkalten,
Und darum ließ ich Hab und Gut im Stich!
Nicht dir zu zeigen, nicht dir vorzuhalten
Braucht's, Undankbarer, was geschah durch mich.
Denn was ich alles tat, du weißt es eben,
Wie ich – und diesen Lohn willst du mir geben!
33.
Warum, ach, faßten, die als Räuber streifen,
Mich nicht als Sklavin für den Marktverkauf!
Wolf, Bär und Löwe mögen eh'r mich greifen
Und Tiger und der andern Bestien Hauf,
Und mögen mich zur Höhle blutig schleifen,
Zerfleischt von Krallen und zermalmt darauf!« –
Sie ruft's – und auf zum Haupt die Hände fahren
Und zerren grausam an den goldnen Haaren.
34.
Zum Küstenrande läuft sie hin aufs neue
Und reckt den Hals, zerzaust im Wind das Haar;
Wie hirnverbrannt, als jage und bedräue
Ein Teufel sie, – nein, eine ganze Schar,
Wie Hekuba schien wütend wie ein Leue,
Als Polydoros eine Leiche war.
Von einem Felsen auf das Meer sie starrte,
Leblos, als ob sie selbst zum Fels erstarrte.
35.
Wir lassen sie in ihres Kummers Bande;
Von Roger nun zu sprechen ist mein Sinn,
Der in der höchsten Mittagsglut am Strande,
Müd und erschöpft, mühselig trabt dahin.
Prall liegt die Sonne auf dem Hügelrande,
Von unten kocht's im feinen Sande drin.
Am Leib die Rüstung, drauf die Strahlen sprühen,
Ist nahezu, wie er sie trägt, im Glühen.
[202]
36.
Derweilen Durst und Müh', voranzuschreiten
Einsam auf tiefem Sand und ödem Pfad,
Ihn durch den offnen Plan dahingeleiten
(Der sowie die ein schlechter Kamerad),
Sieht er in eines Turmes Schattenseiten,
Der aus dem Meer ragt unweit vom Gestad',
Drei Damen von dem Hofe der Alcine,
Die er sofort erkennt an Tracht und Miene.
37.
Auf Decken Alexandrias da lagen
Sie, und sie sogen kühle Seeluft ein,
Genossen feines Backwerk mit Behagen,
Und für den Durst bereit stand edler Wein.
Vom Strand, wo neckend sich die Wellen jagen,
Ein schmuckes Boot winkt, will bestiegen sein,
Sobald ein Hauch die Segel wird beleben;
Denn nicht ein einzig Lüftchen regt sich eben.
38.
Als sie den Reiter sahn des Weges kommen
Und mühsam traben durch den schwanken Sand,
Mit schweißbedecktem Antlitz, trüb, beklommen
– Auf seinen Lippen Durst geschrieben stand –,
Da riefen sie ihm zu, er sei willkommen,
Wenn nicht auf seine Reise ganz verrannt;
Er möge nicht die Rast verschmähn im Schatten,
Erquickung tauge seinem Leib, dem matten.
39.
Die eine winkt ihm, sich vom Pferd zu schwingen,
Und will beim Abstieg ihm behilflich sein;
Die zweite kommt, kristallnes Glas zu bringen
(Wie wächst sein Durst!) mit schaumgekröntem Wein,
Doch mag er nicht nach dieser Pfeife springen:
Denn, läßt er nur auf kurze Rast sich ein,
Kann's leicht geschehen, daß Alcine da ist,
Die hinterdrein kommt und zur Zeit schon nah ist.
[203]
40.
So lodert, gluterfaßt, in jähem Feuer
Nicht reiner Schwefel und Salpeter auf;
So rast das Meer nicht, wild und ungeheuer,
Wenn schwarzer Sturm mit Drohen steigt herauf,
Wie (da sie sieht, daß Roger nur noch scheuer
Am Strande hinlenkt in geradem Lauf
Und daß er alle drei verschmäht zusammen)
Die dritte wütend anfängt aufzuflammen.
41.
Laut kreischend also fing sie an zu schmälen:
»Du bist kein Ritter und kein Edelmann!
Du stahlst die Waffen, und das Pferd zu stehlen,
Darauf kam dir's vermutlich auch nicht an,
So daß man dich – und darauf magst du zählen –
Bald auf dem Rabensteine sehen kann,
Gevierteilt dort, verbrannt, gepfählt zu werden,
Du größter Lump, Halunke, Dieb auf Erden!«
42.
Dem Munde der erbosten Frau entgleiten
Schimpfreden so wie diese noch viel mehr:
Antwort gibt Roger nicht; aus solchem Streiten,
So niedrigem, erwüchs' ihm wenig Ehr'.
Die drei gehn in das Boot, um ihm zu Seiten
Am Ufer hinzufahren auf dem Meer:
Mit hurt'gen Ruderschlägen geht es weiter,
Die Augen stets gerichtet auf den Reiter.
43.
Dem Lästermund sich Fluch auf Fluch entwindet,
Der Stoff geht gar nicht aus – und Schmähn und Drohn,
Bis Roger sich an jenem Sunde findet,
Wo da beginnt der guten Fee Region.
Ein alter Fährmann an dem Ufer bindet
Ein Fahrzeug drüben los, als ob er schon
Dort auf den Ritter warte, denn die Kunde,
Daß Roger komme, machte schon die Runde.
[204]
44.
Der Fährmann löst, wie Roger naht, den Nachen,
Ihn froh zu führen in ein beßres Land;
Darf man die Schlüsse nach dem Antlitz machen,
So ist er herzensgut und voll Verstand.
In Roger Dank an Gott und Freud' erwachen,
Als er im Kahn ist, und zum andern Strand
Fährt er durch stille Fluten mit dem Greise,
Der an Erfahrung reich ihm scheint und weise.
45.
Der lobt ihn, daß er aus Alcinens Schlinge
Sich habe recht zur Zeit noch losgemacht,
Bevor sie jenen Zauberbecher bringe,
Der allen andern sonst war zugedacht.
Wenn er zu Logistilla weiterdringe,
So find' er hoher, ew'ger Schönheit Macht
Und Huld unendlich, Sitten ohne Fehle,
Was niemals sättigt, immer nährt die Seele.
46.
»Wem ihre Züge«, sprach er, »kund sich machten,
Ehrfürchtig Staunen in das Herz sie senkt:
Such' immer eifriger sie zu betrachten,
Daß keines weitern Guts dein Sinn gedenkt.
Wenn andre stets nur Furcht und Hoffnung brachten,
Viel Besseres dir ihre Liebe schenkt:
Nicht mehr Verlangen will das Herz bewegen,
Nur Glück, sie anzuschaun, es mild erregen.
47.
Und beßre Dinge läßt sie dich erstreben
Als Speisen, Tanz und Spiel und süßen Duft,
Daß die Gedanken höher sich erheben,
Als sonnenwärts der Aar steigt durch die Luft,
Und daß der Sel'gen Wonne man im Leben
Schon hier genießt in dieser Erdengruft.«
So sprechend lenkt der Schiffer zum Gestade,
Wiewohl noch fern vom sichren Felsenpfade.
[205]
48.
Da lassen auf dem Meer sich Schiffe sehen
(Und alle sind dem Nachen zugewandt),
So viel Alcine zu Gebote stehen,
Auch viele Mannschaft hat sie ausgesandt
– Der Staat mag, und sie selber, untergehen –,
Den Teuern einzuholen, der entschwand.
Anlaß von allem ist gewiß die Liebe,
Doch Kränkung auch, Verdruß und Rachetriebe.
49.
Nie mußte sie so schweren Ärger spüren
Wie den, der ihr jetzund am Herzen nagt:
So eilig läßt sie alle Ruder führen,
Daß schäumend auf das Deck die Woge jagt.
Im großen Lärme Meer und Strand sich rühren,
Von allen Seiten her das Echo klagt.
»Laß auf dem Schild nicht mehr den Schleier hangen,
Sonst bist du tot; wenn nicht, mit Schimpf gefangen!«
50.
Also der Greis. Bevor sein Wort geendet,
Zerreißt die Hülle, die den Schild umflicht,
Und rasch wird dieser auf den Feind gewendet,
Daß hell und frei hinausstrahlt all sein Licht.
Der Zauberglanz, den jetzt der Schild entsendet,
Benimmt den Gegnern derart das Gesicht,
Daß sie vom Schiffe vorn und hinten fallen:
Geblendet sind die Augen ihnen allen.
51.
Ein Späher hat vom Mast am Felsenrande
Alcine mit den Schiffen auch erblickt,
Und seine Glocke wird gehört im Lande,
Das schleunigst Beistand an den Hafen schickt:
Aus Wurfmaschinen hagelt's her vom Strande
Auf ihn, der Roger was am Zeuge flickt,
Und allerseits die Helfer sich erheben,
Daß er die Freiheit rette und das Leben.
[206]
52.
Vier Damen kommen zu den Strandtribünen,
Und ausgesendet hat sie Logistill:
Phronesia, klug und hochbegabt, die kühne
Andronika, die redliche Dikill,
Die überlegte, keusche Sophrosyne,
Die mehr noch als die andren schaffen will.
Das Heer, schier unerreicht auf Erdenweiten,
Verläßt die Burg, am Meer sich auszubreiten.
53.
In vieler großen Schiffe stillem Schoße
Stand unterhalb der Burg die Schar bereit
– Beim ersten Laut, beim ersten Hörnerstoße –
Zum Kampf bei Tag und Nacht in jeder Zeit.
Und so begann das Ringen denn, das große,
In Land und Meer der fürchterliche Streit:
Kopfüber ging Alcinens Reich in Stücke,
Das sie der Schwester einst entriß mit Tücke.
54.
O wie so oft ist doch bei großen Schlachten
Der Ausgang anders, als man sich gedacht!
Alcine hat trotz allem heißen Trachten
Den teuren Buhlen nicht zurückgebracht.
Und von den Schiffen, die unsichtbar machten
Des Meeres Fläche durch der Segel Pracht,
Ist nur ein Boot der Feuersbrunst entgangen,
Auf dem sie kläglich jetzt enteilt voll Bangen.
55.
Sie floh, und ihre Mannschaft überwunden,
Ertrunken und verbrannt der Gegner sah.
Sie hat Verlust des Teuren mehr empfunden,
Als was ihr sonst noch Schmerzliches geschah.
Seufzend bei Tag und Nacht endlose Stunden,
Mit Tränen in den Augen sitzt sie da
Und möchte sich der bittern Qual entziehen
Und klagt, daß sie nicht aus der Welt kann fliehen.
[207]
56.
Solange Sonne sich und Sterne drehen,
Ist es unmöglich, daß sie sterbe je;
Sonst würde Klotho selbst voll Mitleid stehen
Und kürzen mild den Faden dieser Fee;
Wie Dido könnte sie dem Leid entgehen
Und, wie die Herrscherin des Nils, vor Weh
Sich retten tief hinab in Todesschlummer;
Doch Feen sterben nie – das ist ihr Kummer.
57.
Zurück zu ihm, dem ruhmeswerten Degen
Roger – Alcine klage weiter dort!
Er also sieht sich kaum auf sichren Wegen
Dem Boot entschlüpft, da dankt er Gott sofort,
Daß, was er plante, alles nun zum Segen
Erfüllt ist, schreitet dann vom Meere fort
Mit eil'gem Fuß zur Burg auf trocknem Pfade,
Die dort emporsteigt unweit vom Gestade.
58.
So festes Schloß und herrlich anzuschauen
Kein Menschenauge je auf Erden fand:
Kostbarer sind die Wände, darf man trauen,
Als wenn Pyrop es wär' und Diamant.
Nie nahm man solche Steine noch zum Bauen;
Wer's sehen will, besuche dort das Land.
Sonst nirgends, ob er um die Erde ginge,
Vielleicht im Himmel, gibt es solche Dinge.
59.
Daß weit zurückstehn andre Prachtjuwelen,
Macht dieses: Sehn die Menschen hier hinein,
So schaun sie deutlich ihre eignen Seelen
Und was darin mag gut und böse sein:
Gleichgültig, wenn gehäßge Tadler schmälen,
Sind sie gefeit nun gegen Schmeichelein;
Sie können bald sich klug und weise nennen,
Denn dieser Spiegel lehrt sich selbst erkennen.
[208]
60.
Das helle Licht weicht nur dem Sonnenscheine,
Und solche Klarheit schickt es in die Welt,
Daß ohne Phöbus dir die Kraft der Steine
Den Tag kann schaffen, wenn es dir gefällt.
Und wunderbar ist nicht nur dies alleine;
Mit edlem Stoffe, den der Bau enthält,
Ringt höchste Kunst: es wäre schwer zu sagen,
Was von den beiden hier mag überragen.
61.
Auf mächt'gen Bogen, die wie Pfosten stehen,
Geholt vom Jenseits, aus dem Himmel her,
In weiten Gärten kann man sich ergehen,
Wie's unten kaum zu schaffen möglich wär',
Und durch die lichten Zinnen sind zu sehen
Grüner Gebüsche viele, düfteschwer,
Die stets, in Sommer- und in Wintertagen
So Blütenflor wie reife Früchte tragen.
62.
Von solchen edlen Bäumen kann man keinen
Wo anders als in diesem Garten ziehn;
Auch solche Rosen nirgends sonst erscheinen
Und Veilchen, Lilien, Amarant, Jasmin.
Und sieht man sonst am selben Tag, dem einen,
Entstehn und leben, wieder sinken hin
Und ihren leeren Stiel als Witwer lassen
Die Blume, die verschiedne Winde fassen,
63.
So pflegte hier das Grünen nie zu enden,
Der Blumen Schönheit währte immerdar;
Nicht etwa, daß Natur mit güt'gen Händen
Hier mild zu herrschen stets beflissen war;
Nein, Logistilla wußt' es so zu wenden
(Den andern schien's unmöglich ganz und gar),
Durch Sorgfalt, ohne höhrer Mächte Walten,
Für ewig ihren Frühling festzuhalten.
[209]
64.
Vernommen hatte sie mit frohen Mienen,
Welch edlen Herrn das Schicksal ihr gebracht,
Und gleich befohlen, eifrig ihm zu dienen,
Ihn hoch zu ehren, sei man recht bedacht.
Astolf war lange schon vorher erschienen
– O wie sein Anblick Roger fröhlich macht –,
Drauf alle andern auch, die von Melissen
Entzaubert waren und der Fee entrissen.
65.
Als ein, zwei Tage ruhevoll vergingen,
Trieb es jung Roger, zu der Fee zu gehn
Mit Herzog Astolf, der vor allen Dingen
Den Westen gleichfalls wollte wiedersehn.
Melissa müht sich, in die Fee zu dringen
Und sie mit rechter Demut anzuflehn,
Den beiden Rittern Hilfe zu gewähren,
Daß sie imstande seien, heimzukehren.
66.
»Wohl,« sprach die Fee, »ich will es überlegen!
Und in zwei Tagen geb' ich sie dir frei.«
Sie geht mit sich zu Rate Rogers wegen,
Dann auch um Astolfs willen nebenbei,
Und sagt, daß Aquitanien entgegen
Zuerst der Flügelhengst zu schicken sei,
Doch vorher müss' er ein Gebiß erhalten,
Um ihn zu lenken und ihn aufzuhalten.
67.
Roger erfährt, wie man es macht, wann steigen
Das Tier soll, nach den Wolken hingewandt,
Wann schnell sich regen, wann zu Tal sich neigen
Wann wieder ruhn, die Flügel ausgespannt.
In allen Künsten, wie sie Reiter zeigen
Auf mut'gen Rennern wohl in ebnem Land,
Übt Roger sich, daß er ein Meister werde,
Durch Luft zu reiten auf dem Flügelpferde.
[210]
68.
Als alle Dinge für ihn fertig waren,
Schied von der edlen Fee der Rittersmann
(Getreue Liebe sollt' er ihr bewahren
Für immerdar) und zog davon sodann.
Zuerst von ihm noch müßt Ihr jetzt erfahren,
Von Englands Prinzen fang' ich später an,
Wie langsam und in mühevoller Weise
Zurück zum großen Karl ging seine Reise.
69.
Herr Roger nahm den Weg nicht, den er machte,
Als widerwillig durch die Luft er zog,
Und selten über Land der Greif ihn brachte,
Der stets nur über Meeresfluten flog.
Nun er ihn senken konnte, wenn er dachte,
Hierhin und dorthin, wie er es erwog,
Wählt' er – wie die drei Könige gerade
Beim Rückweg von Herod – jetzt andre Pfade.
70.
In Indien war er, um das Land zu finden
– An Spanien in geradem Strich vorbei –,
Wo sich des Ostmeers Uferlinien winden
Und sich in Haaren lagen Fei und Fei.
Jetzt schaut er gerne, wo mit seinen Winden
Gott Äolus ein wenig milder sei:
Den Rundgang um die Erde möcht' er enden
Und wie die Sonne seinen Kreis vollenden.
71.
Katai erschien, darauf kam Mangitanien,
Und auch Quinsai, die große Stadt, er sah,
Flog über den Himavus, Serikanien
Zur Rechten lassend; und von Skythia
Abbiegend nach den Fluten von Hyrkanien,
Zu den Sarmaten kam er dann und da,
Wo nun Europa anfing, zu den Russen,
Zu den Ruthenen, Pommern und den Prussen.
[211]
72.
Wohl wünschte Roger seine Bradamante,
Die hehre Jungfrau, möglichst bald zu sehn;
Doch weil er jetzt die Lust zu schweifen kannte
Durch weite Welt, blieb er dabei nicht stehn:
Auch zu den Polen und den Ungarn wandte
Den Flug er, zu den Deutschen dann zu gehn
Und was im wilden Norden sonst mag stecken;
Zuletzt kam England dran in fernsten Ecken.
73.
Denkt nicht, o Herr, daß er die ganze Weile
Auf seinem Flügeltiere sich befand:
Ein Gasthaus ward ihm abendlich zuteile;
Auf gute Auswahl wurde Müh' verwandt,
Und Tag' und Monde flohen hin in Eile;
So lieblich war es, schauen Meer und Land.
Bei London eines Morgens war der Flieger,
Und langsam nach der Themse nieder stieg er.
74.
Auf Wiesen bei der Stadt in schönen Scharen
Sah er, gereiht mit Fußvolk, Reiterei
Herziehn bei Trommelklang und Kriegsfanfaren,
Voran der Ritter Krone frank und frei,
Rinald, der dort – Ihr habt es schon erfahren,
Ich sagte ja darüber mancherlei –
Von Karl entsandt, bemüht war, Leut' und Waffen
Zur Hilfe seines Kaisers zu beschaffen.
75.
Herr Roger kam gerade zu der Stunde,
Um anzuschaun die stolze Heerschau hier;
Noch mehr zu hören, bat er jetzt um Kunde
Den Ritter, stieg zuvor von seinem Tier,
Und artig meldet jener: aus der Runde,
Von Schottlands, Irlands, Engellands Revier
Und von den Inseln seien hergezogen
Die Kriegesbanner, die so lustig flogen:
[212]
76.
»Und nach der Musterung wird dort am Strande
Der Heeresmacht Verteilung vor sich gehn:
Das Meer zu pflügen bis zum festen Lande,
Die Schiff' im Hafen schon gerüstet stehn.
Die Franken, bald nun ledig ihrer Bande,
Im Zuzug hoffnungsvoll die Retter sehn.
Doch um noch sichrer jetzt dich zu belehren,
Will ich die ganze Streitmacht dir erklären.
77.
Das große Banner muß ins Aug' dir fallen,
Das mit der Lilie dort den Pardel führt:
Der Feldherr läßt es in die Lüfte wallen,
Und alle folgen, wie das Schiff sich rührt.
's ist Leonel, der Tapferste von allen
(Der hohe Ruhm ihm ganz mit Recht gebührt),
Ein Mann, ob man im Rat, im Krieg ihn treffe,
Herzog von Lancaster, des Königs Neffe.
78.
Dabei das nächste (es beginnt den Reigen),
Das flatternd nach dem Berg hin sich bewegt
– Im grünen Feld drei Flügel weiß sich zeigen –,
Die Farben Richards, Grafen Warwick, trägt.
Dem Herzog Gloster dann ist jenes eigen,
Das ein Geweih mit halber Stirne hegt.
Für Herzog Clarence sieh die Fackel brennen!
Den Herzog York kannst du am Baum erkennen.
79.
Die Lanze schau', dreifach geknickt vom Schlage:
Der Herzog Norfolk ist damit gemeint.
Der Blitz ist Kent, ein Held ohn' alle Frage,
Im Greif der Graf von Pembroke dir erscheint;
Suffolk, der Herzog, führt im Feld die Wage.
Zwei Schlangen sind, von einem Joch vereint:
Der Herzog Essex ist es – die Girlande
Im blauen Feld gebührt Northumberlande.
[213]
80.
Graf Arundel zeigt einen Kahn auf Wogen:
In Sturmesnot versinkt er auf dem Meer.
Von Barclay dann der Markgraf kommt gezogen,
Der Graf von March, Richmond mit seinem Heer: der.
Gespaltnen Berg führt Barclay, weiß; im Bogen
Schwenkt March die Palm: ein schwimmend Boot hat
Und Graf von Dorset, Graf von Hampton tragen
Der eine Kron' und jener einen Wagen.
81.
Der Falk, des Schwingen auf das Nest sich neigen,
Des Grafen Raimund ist von Devonshire.
Derby und Oxford Hund und Bären zeigen,
Winchester bringt ein schwarz und gelb Panier.
Kristallnes Kreuz ist dem Prälaten eigen
Von Bath, dem reichen Herrn, als Wappenzier.
Wo Ariman von Somerset der Held ist,
Die Fahn' ein Stuhl, zerstückt, in grauem Feld ist.
82.
Wohl zweiundvierzigtausend sind der Reiter,
Lanzen und Schützen hier vereint zur Schau.
Zweimal so stark erblickst du die Begleiter,
Das Fußvolk, bis aufs Hundert fast genau.
Sieh grau und grün und gelb die Zeichen weiter;
Ein andres folgt: gestreift ist's schwarz und blau.
Als Führer Gottfried, Heinrich, Hermann gehen
Und Edward; jeder läßt sein Fähnlein wehen.
83.
Von Buckingham den Herzog sieh dort schalten
Voraus; Heinrich ist Graf von Salisbury.
Burgh hat als Herren Hermann dort, den Alten,
Und Edward ist der Graf von Schrewsbury.
Die weiter gegen Osten hin sich halten,
Engländer sind es. Nun nach Westen sieh:
Wo dreißigtausend Mann dort stehn in Rotten,
Da führt Zerbin, des Königs Sohn, die Schotten.
[214]
84.
Den Löwen sieh – zwei Einhorn' an den Seiten –
Er hat das Schwert von Silber in den Klaun:
Dies Banner führt das Schottenvolk zum Streiten;
Zerbin, den Prinzen, kannst du dort erschaun,
Schön wie kein andrer, der ihn mag geleiten:
Ihn schuf Natur, die Form dann zu zerhaun.
Herzog von Roß ist er; niemand im ganzen Heere
An Huld und Kraft ihm zu vergleichen wäre.
85.
Sieh dort von Ottonley den Grafen führen
Den goldnen Balken auf azurnem Grund!
Ein Pardel in der Falle will gebühren
Von Mar dem Herzog: dieser kommt jetzund.
Den wackern Alkabrun schau hier: es rühren
Sich Vögel auf dem Schild in Farben bunt.
Nicht Herzog ist er und nicht Graf zu nennen,
Doch als den ersten ihn die Seinen kennen.
86.
Den Herzog Stafford sieh den Vogel zeigen,
Der frei die Augen nach der Sonne hält!
Lurcan, dem Grafen Angus, ist zu eigen
Der Stier, dem sich ein Doggenpaar gesellt.
Von Albany der Herzog hat den Reigen
Der Farben Weiß und Blau in seinem Feld.
Graf Buchan läßt den grünen Drachen tragen,
Den Geier sieht man drein die Klauen schlagen.
87.
Armand, der Starke, pflegt in Forbes zu schalten;
Sein Banner, weiß und schwarz, ist dort zu sehn.
Zu seiner Rechten sieh Graf Ferrol halten
Und dort die Kerz' in grünem Felde stehn!
Daneben will sich Irlands Volk entfalten,
Zwei Scharen: mit Kildare, dem Grafen, gehn
Der einen Leute; Desmond führt die zweite
Von rauhen Bergeshöhn herab zum Streite.
[215]
88.
Desmond führt weißes Feld mit rotem Streifen,
Und bei Kildare steht eine Ficht' in Brand.
Für Kaiser Karl die Waffen jetzt ergreifen
Nicht Schottland bloß, Irland und Engelland –
Norweger, Schweden auch die Schwerter schleifen,
Thule und Island, der entfernte Strand;
Kurz, alle Länder, denen stets, den Frieden
Zu hassen, ist von der Natur beschieden.
89.
Wohl an die sechzehntausend, sollt' ich meinen,
Sind angekommen so, aus Höhl' und Wald:
Haar im Gesicht, auf Brust, Seit', Arm und Beinen
Und Rücken, fast wie Tiere an Gestalt;
Es wächst ein Wald vom Boden, will es scheinen,
Aus Speeren, der ums weiße Banner wallt.
Ihr Hauptmann trägt's; der hat es sich erkoren,
Es rot zu färben mit dem Blut der Mohren.«
90.
Derweilen Roger mustert all die Streiter,
Die da sich rüsten, Frankreich beizustehn,
Und die verschiednen Zeichen, um dann weiter
Der brit'schen Herren Namen durchzugehn,
Kommt einer nach dem andern, diesen Reiter
Mit seinem Wundertiere anzusehn:
Sie laufen starrend und mit offnem Munde,
Und bald geschlossen ist um ihn die Runde.
91.
Zu schaun noch mehr von staunender Gebärde
– Und auch des Scherzes willen eigentlich –,
Schüttelt der Held den Zaum dem Flügelpferde,
Und leise gibt sein Sporn ihm einen Stich:
Auffliegt es himmelwärts, weit von der Erde,
Und läßt betäubt die andern unter sich.
Roger beschaut sich England nach Belieben
Und hat den Greif dann Irland zugetrieben.
[216]
92.
Hibernien sah er, jenes Land der Sagen,
In dem des guten Heil'gen Grotte steht,
Wo solche große Gnad' ist zu erfragen,
Daß schuldbefreit heraus der Sünder geht.
Den Weg zum Meer dann hat er eingeschlagen,
Wo Kleinbritannien liegt, vom Wind umweht,
Und, abwärts schauend, plötzlich dort gefunden
Angelika, an nackten Fels gebunden!
93.
An nackten Fels im Tränenland alleine!
Denn jene Insel hieß das Tränenland,
Wo, grausam, wild, hartherzig wie die Steine,
Sich jene rohe Völkerschaft befand,
Die – ihr entsinnt Euch deren, wie ich meine –
Bewaffnet zog umher von Strand zu Strand,
Zu fangen schöne Fraun auf jede Weise,
Dem Untier dort zur greuelvollen Speise.
94.
Gebunden harrte sie an Meeres Borden,
Verschluckt zu werden von dem grausen Tier;
Täglich ja kam das Scheusal, um zu morden
Und zu der grauenhaften Atzung hier.
Ich sagt' Euch, wie sie Beute war geworden
Der Menschen, die sie schlafend, und bei ihr
Den alten Klausner, am Gestade fanden,
Der sie bezwungen hielt in Zauberbanden.
95.
Die unbarmherzig roh' und wilde Bande
Die holde Jungfrau nackt der Bestie bot,
Wie sie geschaffen war; am Uferrande
Wird sie vom argen Ungetüm bedroht:
Verhüllt von keinem Schleier noch Gewande
Ist jener Lilien Weiß, der Rosen Rot,
Die, ausgestreut, den feinen Leib umwallen
Und nicht im Juli und Dezember fallen.
[217]
96.
Ein Bildwerk dürft' es Roger fast erscheinen
Aus Alabaster oder Marmelstein,
Das dort durch Künstlerfleiß, so könnt' er meinen,
Sei aufgestellt am harten Felsenrain,
Säh' er das Aug' nicht eine Träne weinen
(Sie glitt in Rosen und in Schnee hinein
Und lag als Tau auf herbem Apfelpaare,
Derweil der Windhauch spielt im goldnen Haare).
97.
Und als er in die schönen Augen schaute,
Gedachte Roger seiner Bradamant,
Und aus der Wimper fast die Zähre taute.
Von Mitleid und von Liebe übermannt,
Mit sanfter Stimme grüßte er die Traute
(Den Flug des Greifen hemmte seine Hand):
»O Jungfrau, der die Kette nur gebühret,
In deren Haft die Seinen Amor führet,
98.
Unfähig bist du, Böses zu vollbringen:
Wer ist der Wütrich, dessen Machtgebot
Das Elfenbein der Hände durfte zwingen
Der Schönen – schnöden Neids – in solche Not?«
Und heiße Gluten in das Antlitz dringen,
Das gleicht dem Elfenbein, gefärbt mit Rot,
Weil, ach, die Körperteile unbedeckt sind,
Die sonst, ob schön, in Sittsamkeit versteckt sind.
99.
Sie möchte das Gesicht mit Händen schließen –
Die sind gekettet an den Felsen an;
Mit Tränen nur – die darf sie ja vergießen –
Benetzt sie's reich und neigt sich, wie sie kann.
Mit Schluchzen endlich ein paar Worte fließen,
In müdem Ton zu sprechen sie begann –
Sie kam nicht weit, und was die Rede störte,
War großer Lärm, den von der See man hörte.
[218]
100.
Da kommt das Ungetüm! Halb in den Wogen
Verborgen ist es, halb ragt es heraus,
So wie ein Schiff im Nordwind kommt geflogen
Und nach dem Hafen eilt im Sturmgebraus:
So wird von seiner Mahlzeit angezogen
Das Scheusal –: seht, gleich speit das Meer es aus.
Die Jungfrau ist halbtot vor Furcht und Schrecken,
Kein Trosteswort kann ihren Mut erwecken.
101.
Frei schwingt der Held – und legt nicht ein – die Lanze,
Über die Hand hin sticht er nach dem Tier:
Ich weiß nicht, nennt man wirklich so das Ganze?
Nur wüste Masse dreht und wälzt sich hier;
Nichts Tierisches zeigt sich vom Kopf zum Schwanze,
Dem Schwein nur gleichen Zähn' und Augen schier.
Der Stoß geht mitten hin, wo Augen scheinen,
Und prallt zurück, als wär's von Stahl und Steinen.
102.
Als es dem ersten Stoß nicht will gelingen,
Kehrt Roger um: der zweite macht's wohl gut.
Das Tier sieht Schatten von den großen Schwingen
So hin- und widerfahren auf der Flut;
Am Strand die Fleischgerichte sicher hingen,
Drum folgt es diesen neuen jetzt voll Wut:
Man siehts mit Drehn und Wälzen ab sich hetzen:
Flink kommt der Held, ihm Hiebe zu versetzen.
103.
So wie der Adler aus der Ätherweite,
Wenn er die Schlang' im Grase schleichend schaut
(Oder ob sie auf nacktem Fels hingleite,
Drauf sie geleckt hat ihre bunte Haut),
Den Angriff nicht beginnt an jener Seite,
Wo zischt und pfeift des Gifttiers drohnder Laut,
Nein, dies von hinten packt und schlägt die Schwingen,
Daß es nicht drehn sich kann und Unheil bringen,
[219]
104.
So will hier Roger Speer und Schwert verwenden:
Nicht, wo des Rachens Zahn ihn treffen kann,
Nein, in die Ohren gilt's den Stoß zu senden;
Im Rückgrat und am Schwanze greift er an.
Dreht sich das Tier, so muß auch er sich wenden,
Steigt auf und ab, kommt hier und dort heran –
Für Jaspis möchte man die Bestie halten,
Die harte Schuppenhaut ist nicht zu spalten.
105.
So mag sich zwischen Mück' und Hund erheben
Der heiße Kampf im staubigen August
(Und in den Nachbarmonden auch daneben,
Dem reich an Ähren, dem an Weineslust):
Sie weiß die Stiche Aug' und Maul zu geben,
Läßt ihn nicht los und schwirrt um Hals und Brust.
Aufs neu stets muß er nach dem Surren schnappen –
Doch aus ist alles, läßt sie sich ertappen.
106.
Schier himmelhoch gepeitscht die Wellen springen,
So mächtig schlägt die Bestie und so schwer,
Roger weiß nicht, sind in der Luft die Schwingen
Oder da unten schwimmend auf dem Meer.
Gern möcht' er wohl sich jetzt ins Trockne bringen,
Denn dauert dieses Wasserspiel noch mehr
Und wird des Greifen Fittich immer nässer –
Nicht Kahn noch Schwimmblas' hilft aus dem Gewässer.
107.
Er sinnt – und beßrer Rat ist jetzt zu Händen,
Wenn es dem Untier obzusiegen gilt:
Man muß es mit dem Zauberscheine blenden,
Der eingeschlossen ist im Wunderschild.
Er eilt zum Strand, um Unheil abzuwenden,
Und steckt, der Jungfrau nahend zart und mild,
Den Ring ihr an, den Zauberkunstbezwinger,
So daß sie fest ihn trägt am kleinen Finger.
[220]
108.
Ich meine jenen Ring, den Bradamante,
Um Roger zu befrein, nahm von Brunel
Und durch Melissa hin nach Indien sandte,
Um Rogers Geist zu machen stark und hell,
Melissa, die zum Guten ihn verwandte,
Wie ihr vernommen habt an frührer Stell'
Und den der Jüngling dann zu allen Tagen,
Wie eben noch, am Finger hat getragen.
109.
Er gibt ihn jetzt Angelika gerade,
Weil sonst der Schild ja gar nicht blitzen kann,
Und auch, daß nichts den schönen Augen schade
(Er zappelt, ach, bereits in ihrem Bann).
Das halbe Meer bedeckend, ans Gestade
Kommt nun der ungeheure Fisch heran.
Roger, bereit, läßt rasch das Tuch sich heben,
Ein zweites Sonnenlicht der Welt zu geben.
110.
Ins Auge traf des Zauberlichtes Helle
Das Ungetüm und zeigte seine Macht:
So wie den Fluß hinab treibt die Forelle,
Den erst mit Kalk der Bauer trüb gemacht,
So, scheußlich umgekehrt, am Strandgefälle,
Im Schaum'gen lag die Bestie ungeschlacht.
Roger versucht, ihr Wunden beizubringen,
Doch nirgends will der Stahl die Haut durchdringen.
111.
Da fleht die Jungfrau, doch ein End' zu machen:
»O müh' an harten Schuppen dich nicht mehr,
Binde mich los, rasch, eh es kann erwachen –
Um Gott!« So rief sie weinend zu ihm her.
»O laß mich nicht in garst'gen Fisches Rachen;
Nimm mich mit dir und wirf mich dann ins Meer!«
Gerührt von ihrer Angst, löst er die Bande
Der Jungfrau, führt sie weg sodann vom Strande.
[221]
112.
Er spornt den Hengst, der spornt den Sand mit Füßen,
Worauf der Renner in die Luft entwich,
Den Reiter auf dem Rücken mit der Süßen,
Der Roger gab ein Plätzchen hinter sich.
Er zwang den Fisch, die Mahlzeit einzubüßen,
Für den ja viel zu fein und wonniglich.
Er wendet sich, und unserm Helden taugen
Der Küsse viel auf junge Brust und Augen.
113.
Nicht, wie er anfangs wollte, rings um Spanien
Nahm er auf seinem Greifen jetzt den Flug:
Wo in die See hinein ragt Kleinbritannien,
Zum nächsten Ufer ihn der Renner trug.
Ein schatt'ger Hain von Eichen und Kastanien,
Wo allzeit Philomele klagend schlug,
Barg manchen stillen Hügel grün und helle
Und in der Mitte Rasenplatz mit Quelle.
114.
Hier stieg der glühnde Reiter aus dem Bügel,
Nach stürm'schem Ritt; zum Rasen hin er drang;
Er ließ den Gaul jetzt einziehn seine Flügel,
Nur den nicht, der sie immer höher schwang.
Er stieg vom Pferd und hielt sich kaum im Zügel,
Ein andres zu besteigen; doch umschlang
Die Rüstung ihn: sie gilt es abzulegen,
Denn Schranken setzt sie seinem Wunsch entgegen.
115.
Verwirrt und eilig riß er von den Waffen
Bald hier, bald wieder dort ein Stück herab.
Wie hat es lang gewährt, sie wegzuraffen:
War auf ein Knoten, es zwei neue gab. –
Doch schon zu lang macht Euch der Sang zu schaffen,
Herr; zuzuhören müht vielleicht Euch ab.
Darum verschieb' ich jetzo die Geschichte,
Bis Euch genehmer sei, daß ich berichte.
Ausgewählte Ausgaben von
Der rasende Roland
|
Buchempfehlung
Libretto zu der Oper von Anton Schweitzer, die 1773 in Weimar uraufgeführt wurde.
38 Seiten, 3.80 Euro
Buchempfehlung
Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für diese preiswerte Leseausgabe elf der schönsten romantischen Erzählungen ausgewählt.
442 Seiten, 16.80 Euro