Zwanzigster Gesang

[161] 1.

Einst taten Frauen in der Schlachten Reigen

Erstaunliches und in der Musen Pflicht,

Und solcher Ruhm ward ihnen oftmals eigen,

Als strahle durch die Welt ein helles Licht.

Camilla und Harpalyce, sie zeigen,

Daß Mut und Kraft den Frauen nicht gebricht.

Sappho, Corinna leuchten mit Gefunkel,

Gelehrte Fraun – ihr Name kennt kein Dunkel.


2.

Die Fraun entfalten oft die höchsten Werte

In jeder Kunst, der sie sich zugewandt:

Wen die Geschichte gutes Urteil lehrte,

Dem ist ihr reicher Ruhmeskranz zur Hand;

Und wenn die Welt ihn eine Zeit entbehrte,

Nach einer Weile doch der Unstern schwand.

Vielleicht auch ging durch Neid und der Autoren

Unkenntnis ihnen schuld'ger Ruhm verloren.


3.

Und unsre Zeit! Mich deucht, der schönen Frauen

Preis und Vortrefflichkeit ist voll erwacht:

Die gilt es Tinte und Papier vertrauen,

Daß ihrer künft'ge Zeiten haben acht;

Und Strafe sollt ihr, böse Zungen, schauen,

Sinkt ihr mit eurer Schmach in ew'ge Nacht!

Das Lob von unsern Frauen wird erwiesen,

Wie lang vor ihrer Zeit das von Marfisen.
[162]

4.

Zurück zum Fräulein will der Sang uns tragen:

Sie weigert jenem art'gen Herrn jetzund

Die Auskunft keineswegs auf seine Fragen,

Nur mach' er seinen Namen ihnen kund.

Sie löst die Schuld, eilt, wer sie ist, zu sagen,

Damit der Name kling' aus seinem Mund:

»Marfisa bin ich«, spricht sie, – das ist alles;

Die Welt kennt ja den Namen dieses Schalles.


5.

Ausholend hört man nun den Wirt beginnen;

Er gibt von sich ausführlichen Bescheid:

»Auf meinen Stamm wird jeder sich besinnen

Von euch, so viel ihr hier beisammen seid,

Nicht nur in Frankreich und in Spanien drinnen,

Auch bis nach Indien und Äthiopien weit

Hört man den Namen Clermont ja erschallen,

Ihn trug der Held, durch den Almont gefallen,


6.

Auch, der das Reich zerstört hat, der erschlagen

Den König Clariel und den Mambrin.

Dort hat mich, wo des Ister Fluten jagen,

Des achtzehn Hörner aufnimmt der Euxin,

Aus diesem Blut die Mutter einst getragen

Dem Herzog Haimon, der als Gast erschien.

Vor einem Jahr ließ sie mich weinend gehen,

Frankreich und meine Sippe dort zu sehen.


7.

Mißlungen ist, was ich geführt im Schilde,

Denn stürm'scher Südwind trieb mich hier ans Land.

Zehn Monde bergen hier mich die Gefilde;

Ich zähle Tag und Stunde, die entschwand.

Und zubenannt bin ich Guido der Wilde,

Noch unbewährt zur Zeit und unbekannt.

Das Blut des Argilon ist hier geflossen

Von Meliböa, mit den neun Genossen
[163]

8.

Die Mädchenprobe ist mir auch gelungen:

Für mein Vergnügen hab' ich ihrer zehn

– Ich wählte sie mir aus den schönen, jungen, –

Die lieblichsten, die man im Land kann sehn.

Sie leit' ich und die andern, denn gezwungen

Bin ich, dem Frauenreiche vorzustehn,

Und jeden Neuen wird man so erheben,

Gelingt es ihm, den zehn den Tod zu geben.«


9.

Und als darauf die Ritter Guido fragen,

Warum man hier so wenig Männer hat,

Ob die vielleicht der Frauen Herrschaft tragen

(Das Umgekehrte findet meistens statt),

Sprach er: »Ich ließ den Grund mir niemals sagen,

Seitdem ich weilen muß in dieser Stadt.

Was ich vernahm an seltsamen Geschichten,

Das will ich, steht's euch an, nun gern berichten.


10.

Von Troja kehrten heim nach zwanzig Jahren

Die Griechen (die Belagerung nahm zehn;

Zehn andre ließ das feindliche Gebaren

Des Winds in Ängsten auf dem Meer vergehn),

Und ihre Fraun indes beflissen waren,

Nach Trost für Einsamkeit sich umzusehn,

Und jungen Freunden alle sich gesellten

Aus Furcht, allein im Bett sich zu erkälten.


11.

Die Griechen fanden voll von andrer Söhnen

Ihr Haus: sie kamen weislich überein,

Mit ihren Fraun sich wieder zu versöhnen,

So langes Fasten schien zu schwer zu sein.

Die Kinder mußten sich des Heims entwöhnen

Und auf gut Glück ziehn in die Welt hinein,

Weil sie genug – bedünkt's den Ehegatten –

Auf deren Kosten sich gefüttert hatten.
[164]

12.

Den setzt man aus, versteckt wird und dem Leben

Erhalten durch die Mutter jenes Kind,

Hierhin und dorthin in die Weite streben

Die Scharen derer, die erwachsen sind.

Dem Landbau diese, und der Kunst ergeben

Sich jene, andre man als Krieger find't;

Der dient am Hof, und jener hütet Herden,

Wie's ihr gefällt, die alles lenkt auf Erden.


13.

So war ein Jüngling auch mit ausgefahren,

Der Klytämnestra Sohn, der blut'gen Frau,

Wie Lilien frisch, mit seinen achtzehn Jahren,

Wie Röslein, just gepflückt auf grüner Au.

Der nimmt ein Schiff und macht sich zum Korsaren

Und raubt, was nur erscheint im Meeresblau.

Mit ihm sind hundert Jünglinge gewesen,

Gleichaltrige, aus Griechenland erlesen.


14.

Die Kreter hatten grad in jenen Zeiten

Idomeneus gejagt aus ihrem Land,

Worauf sie Mannschaft in die Heere reihten;

Das sicherte der neuen Dinge Stand.

Durch guten Lohn ließ sich dorthin verleiten

Phalant (so war der junge Mann genannt)

Und sich zum Hauptmann von Dictäa machen,

Die Stadt mit seinen Leuten zu bewachen.


15.

Dictäa war die lieblichste von allen

Den hundert Städten rings im Kreterreich:

Von früh bis abends Spiel und Lieder schallen

Der schönen Damen hold und anmutreich.

Und weil man stets den Fremden zu Gefallen

Gewohnt war, so geschah's fast alsogleich,

Daß sozusagen jene jungen Scharen

Auch in den Häusern drin die Herren waren.
[165]

16.

Die Blüte Griechenlands war ja gekommen

Und jeder Jüngling gar so schön und nett:

Den holden Damen wird das Herz beklommen,

Wenn einer ihnen vors Gesicht gerät;

Sie sind nicht schön nur, haben sich benommen

Auch unverdrossen stets und gut im Bett.

Die Damen gingen schier für sie durchs Feuer,

Nichts auf der Welt war ihnen je so teuer.


17.

Als ein Vertrag darauf den Krieg ließ enden,

Für den geworben war der Held Phalant,

Und kleiner Sold blieb in der Krieger Händen,

So daß der Grund für längres Bleiben schwand,

Beschlossen sie, von dannen sich zu wenden,

Und große Trauer bei den Fraun entstand:

Die fingen an, so bitterlich zu klagen,

Als wären ihre Väter jetzt erschlagen.


18.

Sie ruhen nicht, die Krieger anzuflehen,

Zu bleiben, jeden Mann für sich allein;

Doch als auf ihrem Vorsatz die bestehen,

Da rauben sie zu Haus Gold und Gestein,

Um mit dem Liebsten selbst davonzugehen,

Und lassen Mann und Kind und Eltern sein.

Und daß kein Mann in Kreta etwas merke,

Ganz im geheimen gehen sie zu Werke.


19.

Die Winde waren günstig, wie die Stunden,

Da von Phalant die Ausfahrt ward gemacht:

Sie waren viele Meilen weit entschwunden,

Und Kreta hatte des Verlusts nicht acht.

Der Strand da ward noch unbewohnt gefunden,

Zu dem des Zufalls Laune sie gebracht.

Sie blieben hier und konnten, wohlgeborgen,

Des Diebstahls Frucht genießen ohne Sorgen.
[166]

20.

Zehn Tag' in Freud' und Herrlichkeit verflossen,

Der Liebeswonne ganz allein geweiht.

Doch was die Jugend hat zu reich genossen,

Wird leicht zum Überdrusse mit der Zeit:

Für sich zu bleiben, wurde drum beschlossen,

Und von der Frauenplage ganz befreit.

Es gibt ja keine größre Last hienieden

Als eine Frau, mit der man unzufrieden.


21.

Sie, denen Beut' und Raub ersprießlich schienen

Und deren Spendeneigung doch recht klein,

Sahn, zu ernähren so viel Konkubinen,

Werd' andres noch als Waffen nötig sein.

So stahlen sie nicht nur sich selbst von ihnen,

Nein, auch der Armen Schätze obendrein:

Wo in Apulien Meereswogen rollen,

Sie dann Tarent gegründet haben sollen.


22.

Als sich die Frauen nun verraten sehen

Von ihnen, denen sie so sehr vertraut,

Versteinert bleiben sie für Tage stehen,

Wie eine Statue auf die Fluten schaut.

Doch als die Dinge drum nicht besser gehen

Durch Tränenströme und durch Jammerlaut,

So richten sie auch darauf jetzt die Blicke,

Wie abzuhelfen sei dem Mißgeschicke.


23.

Beratung halten sie. Die einen sagen:

›Laßt lieber uns zurück nach Kreta gehen

Und der erbosten Männer Wut ertragen

Und was uns von den Eltern mag geschehn,

Als daß hier Not und Hunger an uns nagen,

Wo öder Strand und finstre Wälder stehn.‹

Eh – meinen andre – das zu dulden wäre,

Dann lieber sich ertränken gleich im Meere!
[167]

24.

Und in geringre Drangsal sie gerieten,

Bettelnd, wie Dirnen durch die Welt zu ziehn,

Als selber sich den Strafen darzubieten,

So wie ihr schwer Verschulden sie verdien';

Worauf noch dies und das die Armen rieten,

Stets Härtres, Schlimmres, mit bestürzter Mien'.

Am End' ist Orontea aufgesprungen;

Sie war aus Minos' Königsstamm entsprungen


25.

Und hatte sich am wenigsten vergangen,

Die Schönste, Jüngste, doch an Geist voraus.

Sie gab als Jungfrau sich, von Lieb' umfangen,

Phalant und ließ um ihn das Vaterhaus.

Jetzt drückt ihr Feuerwort und glühnde Wangen

Zorn eines edlen, großen Herzens aus.

Sie spricht von jedem Vorschlag, den man machte,

Bringt dann zur Geltung, was sie selber dachte:


26.

Man solle nicht aus dieser Gegend weichen,

Die als gesund und gut sie hab' erkannt.

Mit schatt'gem Wald und Feldern früchtereichen,

Wo klare Flüsse ziehn durch ebnes Land;

Mit Hafen, Buchten, wo die Segel streichen

Schiffe, von stürm'schem Meer dahergesandt,

Beladen mit zum Leben nöt'gen Dingen,

Die sie aus Libyen und Ägypten bringen.


27.

Man solle bleiben und nach Rache streben

An dem Geschlecht voll Falschheit und Verrat:

Das Schiff, vom Sturm in ihre Hand gegeben,

Wenn es zur Rettung hier die Landung tat,

Beraubt soll's werden und verbrannt; das Leben

Verliere drauf ein jeder ohne Gnad'.

Gesprochen ward es und ward angenommen

Und ist als Satzung in Gebrauch gekommen.
[168]

28.

Sobald das Wetter sich zum Sturme wandte,

Zum Strande liefen sie in voller Wehr;

Voran die grimme Orontea rannte,

Die das Gesetz gab, Königin nunmehr.

Und von den Schiffen, die der Sturmwind sandte,

Stellten sie grause Scheiterhaufen her.

Sie ließen keinen einz'gen Mann am Leben,

Der hierhin, dorthin Nachricht könnte geben.


29.

Den Feinden männlichen Geschlechts vergingen

So ein paar Jahre einsam und allein.

Doch daß sie selbst sich müßten Schaden bringen,

Wenn es so bliebe, sahen sie dann ein.

Sobald sie keinen Nachwuchs mehr empfingen,

So würde das Gesetz bald nichtig sein

Und mit dem unfruchtbaren Reiche enden,

Für das sie gerne ew'ge Dauer fänden.


30.

So mildern sie ein wenig denn die Strenge

Und wählen in vier Jahren nacheinand

Aus der an diesem Ort gefangnen Menge

Zehn schöne Ritter, rüstig und gewandt,

Denen beim Liebesspiel es gut gelänge,

Zu halten gegen hundert Frauen stand.

Denn ihrer hundert waren es gerade,

Ein Mann demnach für jegliche Dekade.


31.

Man köpfte freilich noch zuvor gar viele,

Die Unglück hatten in der Probeschlacht.

Den zehn Erprobten, die gelangt zum Ziele,

Ward Anteil an dem Bett und Herrschermacht;

Allein sie mußten alle schwören, fiele

Ein Mann in ihre Hand, vom Sturm gebracht,

Den würden sie vertilgen mit dem Degen;

Nie dürfe Mitleid sich in ihnen regen.
[169]

32.

Die Frauen werden schwanger und gebären,

Und die Besorgnis naht, daß gar am End'

Nicht lang mehr ihre Herrschaft möge währen,

Wenn das Geschick zu viele Söhne send';

Zum Männerreiche werde sich verkehren

Zuletzt ihr teures Frauenregiment:

Sie wollen vor Rebellen sich bewahren,

Und zwar, solang die Söhne jung an Jahren.


33.

Nicht zu erliegen drum der Männer Händen,

Behalte jede Frau ein männlich Kind,

Sagt das Gesetz; erstickt die andern enden,

Wenn auswärts nicht verkauft, vertauscht sie sind.

Man eilt, die Knaben weit hinweg zu senden:

Der Führer sucht, daß er ein Mädchen find'

Als Austausch, wenn der Knabe wird genommen;

Wo nicht, muß er nach Haus mit Waren kommen.


34.

Sie schonten auch nicht gerne jenen einen,

Bloß weil die Herde sonst zusammenbricht.

Das ist nun Milde, Mitleid, wie's den Seinen,

Und andern nicht, dies arg' Gesetz verspricht.

Bei andern muß sich Blut und Tod vereinen;

Nur eins hat ein verschiedenes Gesicht:

Daß jetzt nicht mehr, wie sonst, die wilden Horden

In wirrem Durcheinander alles morden.


35.

Zehn, zwanzig, wie sie grad sich ließen fassen,

Auch mehr, verbirgt man in des Kerkers Schoß,

Und einer täglich – mehr nicht – muß erblassen

Im Schreckenstempel dort (traf ihn das Los),

Den Orontea hatte bauen lassen;

Geweiht war der Altar der Rache bloß.

Das Henkeramt verübt nun stets an diesen

Einer der zehn, den sie durchs Los erkiesen.
[170]

36.

Aus des Alkiden Stamm nach vielen Jahren

Kam einst ein Knab' an diesen Mörderstrand,

Ein schlachterprobter Held, dahergefahren:

Elban war dieser junge Mann genannt.

Gefangen ist er, als sie ihn gewahren,

Denn ohne Argwohn stieg er hier ans Land;

Bewacht in engem Kerker, sieht der Degen

Mit andern jenem Schreckenslos entgegen.


37.

Er war so schön und lieblich anzuschauen,

An Sitten fein und von erlesner Art;

Dem Zauber seines Worts sich zu vertrauen,

Würd' einer Natter selber nicht erspart:

Von ihm sollt' Alessandra durch die Frauen,

Weil er als Wunderding gepriesen ward,

Das Kind der Orontea, auch erfahren

(Die lebte noch, beschwert von hohen Jahren).


38.

Sie lebte noch, die andern alle schwanden,

Die einst das Schicksal mit ihr hergebracht;

Und zehnmal größre Anzahl war vorhanden,

Gewachsen auch ihr Ansehn, ihre Macht.

Zehn Schmieden, die sich oft geschlossen fanden,

War eine einz'ge Feile zugedacht.

Das Los der Fremden war noch immer bitter,

Dafür sorgt ja die Zehnzahl jener Ritter.


39.

Das Mädchen, voll Begier, zu sehn den jungen,

Von aller Welt so sehr gepriesnen Mann,

Hat freuderfüllt der Mutter abgerungen,

Daß sie Elban nun sehn und hören kann:

Und als sie fortgeht, bleibt ihr Herz bezwungen

Bei ihm zurück, dem es gehört fortan.

Sie fühlt sich ohne Widerstand gebunden,

Von dem Gefangnen selber überwunden.
[171]

40.

Da sprach Elban: ›Wenn man nur Ahnung hätte,

O Dame, hier von der Barmherzigkeit,

Wie sonst die Welt sie kennt an jeder Stätte,

Soweit die Sonne scheinet, weit und breit,

Wagt' ich die Bitt' an Euch, daß man mich rette,

Weil Ihr von solcher Huld und Schönheit seid;

Und stets bereit dann wär' ich, dieses Leben,

Das Euch gehörte, für Euch hinzugeben.


41.

Doch weil die Bitten taube Ohren fänden

Bei Herzen jeder Mitleidsregung bar,

So will ich meinen Atem nicht verschwenden;

Vergebens bliebe doch mein Flehn fürwahr:

Dem Tode böt' ich, Waffen in den Händen,

Als Ritter schlecht und recht mich gerne dar,

Nicht wie ein Schuft, den man zu strafen trachtet,

Und wie ein blödes Tier nicht, das man schlachtet!‹


42.

Das holde Mädchen, dem die Augen tauen

Aus Mitgefühl, entgegnet leis und weich:

›Und wär' auch schlimmer noch und mehr voll Grauen

Als sonst ein andres Land hier unser Reich,

Ist doch darum nicht jede von den Frauen,

Wie du es darstellst, der Medea gleich;

Und fände man ihr ungleich sonst nicht eine,

Befreien möcht' ich dich auch ganz alleine.


43.

Und wär' ich grausam auch in frühern Tagen

Und bös gewesen wie so viel im Land,

So konnt' es nur geschehen – dürft' ich sagen –,

Weil ich zu Mitleid noch nicht Anlaß fand.

Doch Tigerblut würd' ich in Adern tragen

Und in der Brust ein Herz von Diamant,

Wär' nicht alsbald die Härte mir geschwunden,

Als ich so schön dich, kühn und lieb gefunden.
[172]

44.

Wenn das Gesetz nur wär', uns zu bedräuen,

Das strenge, das hier gegen Fremde gilt,

Ich würde selber ja den Tod nicht scheuen;

Gern wär' ich deines würdgern Lebens Schild.

Jedoch kein Rang darf solcher Macht sich freuen,

Dich zu befreien hier im Fraungefild.

Es wird allein schon schwer sein, dein Verlangen

Zu stillen und dies wen'ge zu erlangen.


45.

Doch will ich sehn, was möglich ist: am Ende

Vergönnt man dieses Wunschs Erfüllung dir;

Doch wenn dein Leiden nur Verlängrung fände,

Den Tod hinhaltend, Qualen schüf' es mir.‹

Elban fiel ein: ›Wenn ich bewaffnet stände

Auch gegen zehn, so fühl' ich Kräfte hier:

Sie töten würd' ich und mein Leben retten,

Ob jene statt der Leiber Eisen hätten.‹


46.

Wortlos ist Alessandra drauf verschwunden;

Nur aus der Brust ein Seufzer Raum sich schafft,

Und mit sich nimmt sie tausend süße Wunden,

Die niemals heilen, aus des Jünglings Haft.

Sie mahnt die Mutter: werde wahr gefunden,

Der Ritter habe solche große Kraft,

Dann solle man, könn' er die zehne töten,

Doch nicht den Grund mit seinem Blute röten.


47.

Die Fürstin ließ den hohen Rat der Alten

Versammeln, und sie sprach: ›Wir müssen sehn,

Daß wir den Allerbesten stets erhalten,

An Strand und Hafen Wache hier zu stehn.

Zu wissen, wen man läßt, wen wir behalten,

Muß andre Probe stets aufs neu ergehn,

Daß nicht, für uns zum Schaden und Verderben,

Die Schlechten herrschen und die Starken sterben.
[173]

48.

Mir scheint es gut – ihr denkt vielleicht desgleichen –,

Wenn sich in Zukunft jeder Rittersmann,

Den sein Geschick läßt diesen Strand erreichen,

Eh man den Tod ihm tu' im Tempel an,

Sobald er will, mit Lanz' und Schwertesstreichen

Im Kampf mit zehn der Gegner messen kann.

Und dieser sei dann Wächter – bleibt er Sieger –

Am Hafen mit erneuter Zahl der Krieger.


49.

Ich sage dies, weil einer sitzt gefangen,

Der ihrer zehn, und siegreich, will bestehn.

Es ziemt sich, zu erfüllen sein Verlangen,

Daß er uns lasse solche Taten sehn.

Doch hat er sich in Prahlerei ergangen,

So wird, mit Recht bestraft, er untergehn.‹

Die Fürstin sprach's. Drauf sah man sich erheben

Der Ältsten eine, Antwort ihr zu geben:


50.

›Der Hauptgrund, daß wir Männer hier benützen,

Mit ihnen Umgang halten und Verkehr,

War nicht etwa, daß dieses Reich zu schützen

Durch ihren Beistand für uns nötig wär':

Wir haben, uns auf eigne Kraft zu stützen,

Von Mut und Geist genug und auch noch mehr.

Wir könnten sie dabei ganz gut entbehren:

Doch nicht, wo's gilt, uns Nachwuchs zu bescheren.


51.

Da hierin ohne sie nichts anzufangen,

So haben wir uns eine Zahl gesellt;

Wir brauchen um die Herrschaft nicht zu bangen,

Wenn stets sich einer gegen zehne stellt:

Sie sind nur dazu da, daß wir empfangen;

Wir brauchen Schutz von niemand auf der Welt.

Nur durch die Mannheit seien sie uns wichtig,

In jeder andern Hinsicht null und nichtig!
[174]

52.

Bei starkem Manne wären wir in Nöten:

Das ginge gegen aller Dinge Lauf;

Vermag der eine Mann die zehn zu töten,

Wie viele Frauen nimmt er dann in Kauf?

Wenn unsre zehn in dieser Art sich böten,

Am ersten Tag hört' unser Reich schon auf.

Das führt zur Herrschaft nicht, wenn einer eben

Mehr kann als wir, ihm Waffen noch zu geben.


53.

Und läßt des Glückes Gunst den Sieg ihn schauen

Und hat er alle zehne umgebracht,

Bedenket, wie der Hauf von hundert Frauen

Dann schreien wird, die er zu Witwen macht.

Er muß, will frei er sein, auf andres bauen,

Als daß er zehn ermordet in der Schlacht.

Man schone ihn, wenn ihm, was zehn vollbringen,

Allein an hundert Frauen wird gelingen.‹


54.

Also Artemia, die Finstre, grollte

(Dies war ihr Nam'), und schon war's nah daran,

Daß am Altar geschlachtet werden sollte

Den grimmen Göttern jener Rittersmann,

Bis Orontea, die willfahren wollte

Der Tochter gern, noch andres drauf ersann;

Mit vielen Gründen sprach sie solcherweise,

Daß ihre Ansicht durchdrang in dem Kreise.


55.

Ihr Lob, der Schönheit des Elban gesungen

Als unerreicht und einzig in der Welt,

Tut viel in diesem Rate bei den Jungen,

Bei denen solches in die Wagschal' fällt,

Und die Partei der Alten wird bezwungen,

Die mit Artemia fest am Brauche hält;

Fast wär' Elban, derart in Schutz genommen,

Durch Gunst, ganz ohne Buße freigekommen.
[175]

56.

Kurzum, es wird ihm Gnade zugestanden,

Hab' er zehn Ritter in den Tod geschickt

Und auch den andern Strauß mit Lob bestanden,

Zum Streit mit zehn, nicht hundert, Fraun geschickt.

Am andern Tag, befreit von seinen Banden,

Wird er, bewehrt, auf gutem Roß erblickt;

Allein ficht gegen zehn der junge Krieger

Und streckt zu Boden alle zehn als Sieger.


57.

Allein und nackt mußt' er sich noch erproben

Die Nacht darauf mit zehn der Mägdelein;

Da war sein Ungestüm so sehr zu loben:

Er nahm die Frauen sämtlich für sich ein.

Dies hat bei Orontea ihn erhoben

Zu großer Gunst: ihr Sohn nun mußt' er sein;

Sie gab als Frauen ihm mit Alessandren

Die neun des Nachts von ihm besiegten andren.


58.

Ihn mit der Tochter machte sie im Reiche

Zum Erben (und nach dieser ward's genannt)

Gegen den Schwur, zu wahren stets das gleiche

Gesetz, das auch, die nach ihm kämen, band;

Wer jemals in der Zukunft noch erreiche,

Zu seinem Unstern, diesen schlimmen Strand,

Der müsse sich nach Wahl zum Opfer geben,

Sonst gegen zehn verteidigen sein Leben.


59.

Und hab' er tags die Männer all erschlagen,

Müss' er bestehn die Frauen in der Nacht,

Und kröne so das Glück sein kühnes Wagen,

Daß alles beides siegreich sei vollbracht,

Soll er des Frauenreiches Zepter tragen

Und sei auf neue Zehnzahl dann bedacht.

Die Herrschaft hab' er, bis ein andrer käme,

Der stärker sei und ihm das Leben nähme.
[176]

60.

Zweitausend Jahr' sind's, daß den Brauch sie machten;

Es galt bisher und gilt noch diese Zeit,

Fast täglich einen Armen abzuschlachten

Im Tempel, wo man ihn der Rache weiht.

Die paar, die's wie Elban zu machen dachten

('s gibt ihrer noch), zum Kampf mit zehn bereit,

Fallen beim ersten Ansturm meist: zum zweiten

Sieht man von tausend noch nicht einen schreiten.


61.

Wohl gab es Sieger, aber doch so selten,

Daß an den Fingern sie zu zählen sind.

Als solcher durfte Argilon noch gelten,

Doch lange nicht beherrscht' er sein Gesind';

Als mich die Stern' ihm gegenüberstellten,

Schloß ich sein Aug' zu ew'gem Schlaf geschwind.

Wär' ich gestorben doch an jenem Tage,

Als daß ich schmachvoll Sklavenketten trage!


62.

Was sind mir Liebeslust und Scherz und Spiele

(Sie mögen manchem andern wertvoll sein),

Purpur und Edelstein, und daß mir viele

Als Hochgestelltem Ehrerbietung weihn?

Sie bieten wenig, was dem Mann gefiele,

Nennt er dabei nicht auch die Freiheit sein!

Nicht fort von hier zu können, schmerzt unsäglich

Und scheint mir Knechtschaft, schwer und unerträglich.


63.

Daß ich die besten Jahre muß verschwenden,

Des Lebens Blüte mit so schlechter Tat,

Schafft mir im Herzen Leid, das nicht will enden,

Nimmt mir der Freude Lust so früh wie spat.

Ruhmvoller Name, den die Meinen senden

Durch alle Welt, fliegt auf zum Himmel grad:

Mein gutes Teil würd' ich daran wohl haben,

Könnt' ich dahin mit meinen Brüdern traben.
[177]

64.

Mir ist, als ob Erniedrigung mir werde,

Hält mich mein Los zu niedrem Dienste fest,

Wie man zurück den Renner schickt zur Herde,

Hat er am Aug', an Füßen ein Gebrest

Oder was sonst an Mängeln noch die Pferde

Zu Krieg und edlem Zweck untauglich läßt.

Und weil's unmöglich, Freiheit zu erwerben,

Als nur durch Tod, so sehn' ich mich zu sterben.«


65.

Hier machte Guido dem Bericht ein Ende,

Den Tag verfluchend, da er siegreich war

Und dieses Reich bekam in seine Hände,

Die zehn bezwingend und die Frauenschar.

Astolf stand schweigend, bis genug sich fände

An Zeichen und Beweis, zu sehen klar,

Daß der mit Fug sich Ritter Guido nannte,

Den er als Sohn des Oheims Haimon kannte.


66.

»Astolf«, spricht er, »bin ich, aus Englands Reichen,

Dein Vetter«, und umschlingt ihn mit dem Arm,

Nicht ohne Tränen, und mit liebereichen

Gebärden herzt er ihn und küßt ihn warm;

»O Vetter, fehlen könnt' am Hals das Zeichen,

Das dir verlieh die Mutter, ohne Harm;

Daß du der Unsre bist und hoch dein Wert ist,

Genugsam dargetan schon durch dein Schwert ist.«


67.

Wie hieße Guido freudig ihn willkommen,

Fänd' er den Vetter nur an andrem Ort!

Hier grüßt er ihn, das Antlitz ganz beklommen,

Betrübt, ihn hier zu sehn am Meeresport:

Denn wenn er lebt, wird Freiheit dem genommen,

Und zwar am nächsten Morgen schon sofort.

Wird Astolf frei, so muß er selber sterben:

Des einen Heil heißt anderm Mann Verderben.
[178]

68.

Ihn schmerzt es, daß die Freunde, sollt' er siegen,

Hier als Gefangne bleiben ew'ge Zeit;

Und dann auch, sollt' er selber unterliegen,

Ist immer noch dies Los für sie bereit:

Denn wenn Marfisa, einem Sumpf entstiegen,

Im zweiten stecken bleibt, dann hat – o Leid! –

Die Heldin ganz umsonst ihn überwunden:

Sie stirbt – als Sklaven werden die gebunden.


69.

Und wieder: – dieses Jünglings edle Sitten

Und Jugendblüt' und ritterliche Art

Ergriffen alle, in die Seele glitten

Mitleid und Rührung mild und Liebe zart;

Daß Freiheit sie durch seinen Tod erstritten,

Fast als ein niedrig Ding empfunden ward:

Marfisa will, kann sie es nicht vermeiden,

Ihn umzubringen, selber Tod erleiden.


70.

Sie sprach: »Wir wollen all zusammengehen,

Bis Ausgang mit Gewalt erzwungen ist.«

»Ach,« sagte er, »laß Hoffnung dir vergehen,

Ob du besiegt und ob du Siegrin bist!«

Und sie: »Von einem Werke abzustehen

Aus eitel Furcht, pfleg' ich zu keiner Frist;

Auch nicht, die sichre Straße mir zu küren,

Kann Schwertschlag mich in eine andre führen.


71.

Du ließest solche Kraft mich heut erschauen,

Daß ich mit dir bereit zu allem bin:

Wenn morgen auf den Plätzen sind die Frauen

Und alle sitzen im Theater drin,

Laß sie uns rechts und links zusammenhauen

(Ob eine flieh', ob kämpf' als Kriegerin);

Dem Wolf und Geier dann die Leiber lassen

Und Feuersglut die ganze Stadt erfassen.«
[179]

72.

Und Guido sprach: »Dir folg' ich ins Gedränge,

Und sterben will ich dort, zu Seiten dir,

Weil fortzuleben niemals uns gelänge;

Uns rächen muß allein genügen hier.

Zehntausend zählt ja oft die Frauenmenge

Dort auf dem Platz; es wacht im Strandrevier

An Burg und Bucht die gleiche Zahl, und Wege,

Um fortzugehen, gibt es nicht noch Stege.«


73.

Marfisa sprach: »Und wären mehr der Degen

Als durch ganz Persien einst der Männer Hauf

Und als die Seelen, die des Aufruhrs wegen

Vom Himmel lenkten schmachbedeckt den Lauf –

Bist du mit mir, sei's auch nur: nicht entgegen,

An einem Tag räum' ich mit ihnen auf.« –

»Von Wegen, uns zu retten, gibt es einen«,

Sprach Guido drauf; »ich kenne weiter keinen,


74.

Und Hoffnung läßt sich nur auf ihm erschauen

Von allen, die mir sonst im Land bekannt:

Gestattet ist es einzig hier den Frauen,

Den Fuß zu setzen auf den Felsenstrand,

Nun will ich einer Gattin mich vertrauen,

Die jederzeit in Treuen zu mir stand.

Bewiesen hat sie mir schon größre Liebe,

Als gegenwärtig zu beweisen bliebe.


75.

Sie wünscht so heiß wie ich von mir zu heben

Der Knechtschaft Joch, darf sie mit mir nur sein:

Als einz'ge Gattin möchte sie mir leben,

Ohne Genossin, ganz mit mir allein.

Sie soll sich heimlich auf ein Schiff begeben

Im Hafen, eh der Morgen bricht herein:

Für eure Schiffer wird's gerüstet stehen,

Sobald sie kommen, gleich in See zu gehen.
[180]

76.

Ihr sollt, mir nach, euch in ein Fähnlein scharen,

Alle – Matrose, Händler, Rittersmann –,

Die heut als Gäste hier vor den Barbaren

– Nehmt meinen Dank dafür – ich schützen kann;

Mit fester Brust müßt ihr den Durchgang wahren,

Kommt man, uns aufzuhalten, dort heran.

So hoff' ich, wenn dem Schwerte wir vertrauen,

Euch aus der schlimmen Stadt herauszuhauen.«


77.

Marfisa sprach: »Du handle nach Gefallen;

Ich schaffe mir ganz ohne Zweifel Bahn!

Den Tod bringt meine Hand wohl eher allen,

Die feindgesinnt aus diesen Mauern nahn,

Als daß man mich der blassen Furcht verfallen

Sähe, gebissen von des Schreckens Zahn.

Am Tag geh' ich hinaus, durch Kraft der Waffen,

Denn jede andre Art muß Schmach nur schaffen.


78.

Würd' ich erkannt als Weib, darf ich vertrauen,

Man hielte fest mich; Ehren wären mein.

Ich käme in den Rat; mich zählten Frauen,

Die besten, zu den ersten im Verein.

Doch mit den Freunden sahn mich hier die Auen:

Ich will vor ihnen nicht im Vorteil sein.

Zu schlecht wär's, wenn ich frei blieb' oder ginge

Und ließe sie gefangen in der Schlinge.«


79.

Durch diese Worte und noch mehr dergleichen

Bewies sie, daß der anderen Gefahr

Allein im Wege stand der Tugendreichen

(Weil kühnes Handeln jener Schaden war),

Wenn sie nicht gleich ein denkenswürdig Zeichen

Gab höchsten Mutes, stürmend auf die Schar.

So aber ließ sie Guido Sorge tragen,

Den sichern Weg mit ihnen einzuschlagen.
[181]

80.

Mit der Getreuen sprach von diesen Dingen

(Aleria war die gute Frau genannt)

Der Ritter, brauchte nicht in sie zu dringen,

Weil sie in allem ihm zu Willen stand.

Sie ließ ein Fahrzeug rüsten, ließ sich bringen,

Was sie von reichem Schmuck zu Hause fand,

Und stellte sich, als ob gewillt sie wäre,

Mit andern Fraun, zu fahren auf dem Meere.


81.

Zuvor, wie sie befohlen hatte, brachte

Man Panzer, Speer, Schild, Schwert in den Palast,

Wo jeder Händler sich zum Krieger machte,

Dazu die Schifferknechte, nackend fast.

Der eine schlief, derweil der andre wachte,

So teilten sie die Arbeit und die Last,

Ausschauend oft, den Panzer schon am Leibe,

Ob ungerötet noch der Osten bleibe.


82.

Das schwarze Tuch war noch nicht weggezogen

Vom Erdenantlitz nach der Sonn' empor:

Lykaons Kinder, hoch am Himmelsbogen

Die Furchen pflügend, traten kaum hervor,

Als zum Theater kam dahergeflogen,

Des Kampfes Schluß zu schaun, der Weiber Chor,

Wie auf des Korbes Schwell' im Lenz die Bienen,

Wenn Zeit für neues Regiment erschienen.


83.

Das Volk ließ von Trompet' und Horn erklingen

Und Trommeln Erd' und Himmel in der Rund'

Und mahnte seinen Herrn, zu End' zu bringen

Den Kampf, den lang begonnenen, jetzund.

In Waffen Aquilant und Grifon gingen,

Gerüstet auch der Herzog Englands stund,

Guido, Marfisa, Samsonet inmitten

Der andern, teils zu Fuß und teils beritten.
[182]

84.

Vom Schloß zum Hafen und zum Meer zu gehen,

War zu durchkreuzen dieser freie Plan;

Kein Weg, nicht lang, nicht kurz, war sonst zu sehen.

Guido hatt' es den andern kundgetan,

Und mit dem Troste, trefflich werd' es stehen,

Ritt er geräuschlos hin auf seiner Bahn.

Mit mehr als hundert zeigt er sich der Menge

Auf jenem Platze mit dem Volksgedränge.


85.

Guido, zur Eile spornend die Genossen,

Strebt nach dem Ausgang auf der andern Seit';

Allein die vielen Fraun, die ihn umschlossen,

Bewaffnet all und stets zum Kampf bereit,

Erkennen ihn als zu der Flucht entschlossen

(Sie sehn die andern ja nach ihm gereiht):

Ein Teil geht Pfeile auf die Bogen legen,

Ein Teil stellt sich dem Ausgangstor entgegen.


86.

Guido, die Ritter kühn mit ihren Scharen,

Die Heldin allen übrigen voran,

Die Hand zu rühren, traun, nicht säumig waren

Und drängten mächtig nach dem Tor heran.

Doch als den Hagel Pfeile sie gewahren

(Es sank dahin und starb schon mancher Mann)

Von oben her, zur Linken wie zur Rechten,

Besorgen sie, mit Schad' und Schimpf zu fechten.


87.

Vortrefflich ist das Panzerkleid bei allen;

Sonst wären sie sofort dem Tod geweiht.

Tot unter Samson war der Hengst gefallen,

Der von Marfisa legt sich auf die Seit'.

»Laß ich mein Horn«, sagt Astolf sich, »nicht schallen,

Wann gäb's dafür wohl eine bessre Zeit?

Ich will doch sehn, ob ich, versagen Waffen,

Weiß mit dem Horn mir freie Bahn zu schaffen.«
[183]

88.

Das Horn, mit dem er sich in schlimmen Fällen

Zu helfen pflegt, setzt Astolf an den Mund:

Als durch die Luft die grausen Töne gellen,

Da bebt die Erde, bebt des Weltalls Grund.

Schrecken und Furcht den Seelen sich gesellen:

Die Menge stürzt aus des Theaters Rund,

Entsetzt, als habe sie Verstand verloren,

Und niemand denkt an Wache bei den Toren.


89.

Wie manchmal eines Hauses Wohngenossen

Herab vom Fenster oder von dem Dach,

Erfüllt von Schrecken, durch die Lüfte schossen

(Sie wurden plötzlich durch ein Feuer wach,

Das, während Schlaf die Augen hielt umschlossen,

Mit heißen Gluten nahte allgemach) –

So fliehend, unbekümmert um ihr Leben,

Vorm Schreckenston die Fraun von dannen streben.


90.

Hierhin und dorthin wogt entsetzt die Menge,

Hinauf, hinab, zu toller Flucht gewandt.

An jeder Tür sind tausend in der Enge

Und stolpern, fallen, stürzen aufeinand.

Erstickt wird diese hier in dem Gedränge,

Und jene wirft sich von des Fensters Rand;

Da wird ein Arm und dort ein Kopf gebrochen,

Hier die liegt tot, die mit verrenkten Knochen.


91.

Geschrei und Wehruf auf zum Himmel steigen:

Es gellt vom mächt'gen Einsturz, bricht und kracht;

Des Hornes Ton macht jeden gleich zum Feigen;

Der Schwarm, erschreckt, ist nur auf Flucht bedacht.

Wenn die vom niedern Volk sich furchtsam zeigen,

(In niederm Herzensschrein kein Mut erwacht),

So staunt Ihr nicht ob so geringer Gaben:

's ist Art des Hasen, immer Furcht zu haben.
[184]

92.

Was aber werdet Ihr von Guido sagen

Und von Marfisa, die so kühn doch war?

Von ihm, des Hauses Stolz zu allen Tagen,

Dem Oliver entstammten Heldenpaar?

Sie standen vielen tausend ohne Zagen

Und fliehn dahin nun, jedes Mutes bar,

Wie Tauben und Kaninchen sich verstören,

Läßt in der Nähe ein Geräusch sich hören.


93.

Die Zauberkraft, die diesem Horn verliehen,

Eignen wie Fremden gleichen Schaden bringt.

Erschreckt die Brüder mit Marfisa fliehen;

Samson und Guido wird der Fuß beschwingt.

Doch ob sie weithin in die Ferne ziehen,

Noch immerfort der Ton im Ohre klingt.

Astolf streift mit dem Horn durch alle Straßen,

Und immer stärker bläst er, über Maßen.


94.

Die sucht, ob zum Versteck sich Büsche fänden;

Die steigt zum Meer hinab und die bergauf.

Die, ohne jemals nur den Kopf zu wenden,

Hemmt durch zehn Tage nicht den Lauf;

Die meint: der Brücke Rand wird niemals enden –

Und kommt im Leben nimmermehr herauf.

Fort aus den Häusern, Tempeln, Plätzen gehen

Die Fraun, daß schon fast leer die Straßen stehen.


95.

Marfisa, Guido, Samsonet, voll Beben,

Auch die zwei wackern Brüder fliehen fort,

Dem Meere zu, und hinter ihnen streben

Händler und Schiffer nach dem gleichen Ort.

Sie finden, wo die Türme sich erheben,

Aleria, die ein Schiff hat fertig dort.

Die nimmt sie auf, läßt rasch die Segel spannen,

Die Ruder regen, und es geht von dannen.
[185]

96.

Drin in der Stadt und draußen gleichermaßen

Lief Astolf von den Bergen bis zum Meer.

Öd sind und aufgeräumt durch ihn die Straßen;

Geflohn, versteckt ist alle Welt nunmehr.

Und viele so den stolzen Mut vergaßen:

Sie suchten, ob im Unrat Rettung wär'.

Kopflos rennt vieles Volk zum Meer hinunter,

Will sich durch Schwimmen retten und geht unter.


97.

Herr Astolf sucht, der Meeresflut entgegen,

Die andern; er vermutet sie am Strand;

Er wendet um, schaut aus auf allen Wegen

Umsonst: nicht einen zeigt der öde Sand.

Da sieht er sie von ferne sich bewegen,

Schnell wie der Blitz und von ihm abgewandt.

Nun gilt es, andern Reiseplan zu finden,

Weil jene mit dem Schiffe dort verschwinden.


98.

So lassen wir ihn gehn; und seid nicht bange,

Daß durch Barbarenländer, ganz allein,

Er solche Reise mache, schwere, lange,

Auf der man immer muß in Sorge sein:

Wir nehmen an, daß er zum Ziel gelange

Mit seinem Horn, das just ihm half so fein,

Und schauen lieber aus nach den Genossen,

Die furchterfüllt hin durch die Fluten schossen.


99.

Mit vollen Segeln fern vom Blutgestade,

Dem greulichen, ging lange schon die Reis',

Und als nun nimmer auf dem Wasserpfade

Der Schreckenston erklang, nicht laut, nicht leis,

Erfaßte sie ganz ungeheure Scham, gerade

Als brenn' auf ihrer Wang' ein Feuer heiß:

Sie wagen nicht, einander anzusehen,

Und bleiben stumm, gesenkten Blickes, stehen.
[186]

100.

Der Schiffer fährt vorbei, sein Ziel zu finden,

An Zypern, Rhodus; im Ägäer-Meer

Sieht er der Inseln hundert sich entschwinden,

Ums schlimme Kap Maläa rings umher,

Dann ist's, bei günstigen und steten Winden,

Als ob Morea fern versunken wär':

Hinter Sizilien schaut er, wie die Wellen

Dem holden Strand Italiens sich gesellen,


101.

Und eilt zuletzt, bei Luna dort zu landen,

Wo er die eignen Lieben alle ließ,

Und dankt nun Gott, daß er aus Meeresbanden

Gesund kam in sein heimisch Paradies.

Worauf die andern einen Schiffer fanden,

Der sie mit ihm die Reise machen hieß: –

Sie fuhren selben Tags mit ihm von dannen,

Worauf sie bald schon Stadt Marseille gewannen.


102.

Noch war dort Bradamante nicht erschienen,

Die Herrschaft führte über dieses Land;

Sie hätte sonst mit freundlich hellen Mienen

Sie gastlich eingeladen unverwandt.

Und die vier Ritter? – Abschied nahm von ihnen

Fürstin Marfisa jetzt an Meeres Strand,

Auch Guidos Dame dann Valet zu sagen

Und auf gut Glück die Straße einzuschlagen.


103.

Sie meint, daß hinzuziehen so in Scharen,

Den echten, fahrnden Rittern nicht gebührt;

Die Tauben tun ja dieses mit den Staren

Und Has' und Hirsch und was da Furcht verspürt.

Doch, die von andern Hilfe nicht erfahren,

Falk, Aar und was ein freies Leben führt,

Bär, Löwe, Tiger wollen einsam schweifen:

Nie wird sie Furcht vor größrer Kraft ergreifen.
[187]

104.

Doch keiner wollte diese Ansicht teilen;

So ritt Marfisa denn davon allein,

Auf rauhen Pfaden einsam hinzueilen

Durch dichte Wälder und durch öd Gestein.

Grifon und Bruder Aquilant derweilen

Schlagen die Heerstraß' mit den andern ein

Bis sie tags drauf zu einem Schloß gelangen:

Recht artig werden sie darin empfangen.


105.

Zum Schein recht artig, sollt' ich eher sagen,

Denn bald kam grad das Gegenteil heraus:

Der Schloßherr heuchelt freundliches Betragen

Und bietet Unterkunft in seinem Haus.

Und nachts, als arglos sie im Schlummer lagen,

Ließ er sie greifen aus dem Bett heraus

Und früher nicht der Freiheit angehören,

Bis einen Eid voll Schändlichkeit sie schwören.


106.

Doch diese Armen lass' ich jetzt beiseiten,

Weil ich der kühnen Dame folgen muß

Und zur Durance, Rhon' und Saôn' geleiten,

Bis sie gelangt an schatt'gen Berges Fuß.

Sie sah ein Weib in schwarzem Kleide schreiten,

Ein hochbejahrtes, dort an einem Fluß,

Das müd und matt vom Wege, schwer und weit, war,

Doch mehr gedrückt von Trauer und von Leid war.


107.

Es ist die Alte aus den Bergesspalten,

Der Räuber Dienerin im Felsverließ,

Wo die Gerechtigkeit den Grafen schalten

Und strafend jene Schurken töten hieß.

Den Tod befürchtend für ihr schnöd Verhalten

(Wir werden mehr noch hören über dies),

Auf dunklen Wegen sucht sie zu verschwinden,

Stets voller Angst, Bekannte aufzufinden.
[188]

108.

Ganz wie ein fremder Rittersmann bewegte

Marfisa sich in Harnisch und Gewand:

Drum floh die Alte nicht, wie sonst sie pflegte,

Vor allen andern Leuten hier im Land,

Da jetzt Vertraun und Mut in ihr sich regte,

Und wartend an der Furt des Flusses stand

Sie ruhig, machte dann sich auf die Füße,

Damit sie den vermeinten Ritter grüße,


109.

Und bat, er möge sie auf seinem Pferde

Hinübernehmen nach dem Ufer dort.

Großmütig stets, solang sie auf der Erde,

Willfahrt Marfisa diesem Wunsch sofort

Und trägt sie, bis das Pfädchen besser werde,

Und statt des Schmutzes sich ein trockner Ort

Ihr biete. Da – beim Pfadesende sahen

Sie auf dem Wege einen Ritter nahen,


110.

Der auf geschmücktem, reichem Sattel reitet,

In Kleidern schön und fein und Waffen licht;

Er kommt, von einem Knappen nur begleitet,

Und eine Dame, schön von Angesicht,

Von Wesen kaum, hat er zum Fluß geleitet,

Die stolz dareinschaut, liebenswürdig nicht,

Weil auf den Lippen Hochmut breit sich machte;

Wert war sie des Genossen, der sie brachte.


111.

Der Ritter »Pinabel aus Mainz« sich nannte;

Er war's, der jener das Geleite gab,

Derselbe, der vor Monden Bradamante

Stieß tückisch in den Höhlengrund hinab.

Der Seufzer Glut, die schier sein Herz verbrannte,

Die Träne, die ihm rann die Wang' hinab,

Ihr, die ihm jetzt zur Seite reitet, galten

Und die vom Zaubrer ward zurückgehalten.
[189]

112.

Doch als von seiner Höhe dann geschwunden

Das Zauberschloß des alten Atlas war

Und länger nicht an jenen Ort gebunden,

Dank Bradamantes Kraft, die ganze Schar;

Ging sie, die Pinabel, dem liebeswunden,

Ja freundlich und gefällig immerdar,

In der Gesellschaft dieses Spießgesellen

Der Reihe nach zu mancherlei Kastellen.


113.

Die Dame kann beim Anblick jener Alten,

Als spottgeneigt und voller Niedertracht,

Nicht still im Mund die Lästerzunge halten

Und höhnt sie, als sie nahe ist, und lacht.

Marfisa (ein beschimpfendes Verhalten

Geduldig hinzunehmen, nie bedacht)

Rief zornig, daß die Alte, wie man sähe,

Fürwahr noch über ihr an Schönheit stehe,


114.

Was sie dem Ritter gleich beweisen werde;

Ihr selber nähme sie so Roß wie Kleid,

Wenn aus dem Sattel fliege von dem Pferde,

Der als Beschützer ihrem Dienst geweiht.

Graf Pinabel mit kriegrischer Gebärde

(Denn schweigen wäre schimpflich) eilt zum Streit,

Kehrt um das Roß, nimmt Schild und Speer zu Händen,

Gegen Marfisa sich voll Zorn zu wenden.


115.

Sie sprengt mit mächt'ger Lanze ihm entgegen

Und trifft den Grafen mitten aufs Visier:

Am Boden liegt er, ohne sich zu regen,

Und bleibt bewußtlos eine Stunde schier.

Marfisa läßt, nachdem er so erlegen,

Dem Mädchen abziehn Kleid und jede Zier,

Die sie noch weiter an sich trug daneben,

Und alles dies dann ihrer Alten geben.
[190]

116.

Geputzt mit diesen jugendlichen Dingen

Von Kopf zu Fuß, in Schmuck und Kleiderpracht,

Muß sie darauf sich auf den Zelter schwingen,

Den jenes junge Fräulein ihr gebracht,

Auf dem gewählten Weg voranzudringen

(Der Schmuck die Häßlichkeit nur größer macht):

Drei Tage so der Straß' entlang sie gehen,

Doch nichts Bemerkenswertes ist geschehen.


117.

Sie fanden einen Herrn am vierten Tage;

In größter Eile jagte der dahin.

Will einer wissen, wer, je nun, dem sage

Ich's gern: es war der Königssohn Zerbin,

Ein auserlesner Held ganz ohne Frage.

In Zorn und Schmerz zernagt er sich den Sinn,

Daß er vergebens nach dem Schotten jagte,

Der ihn an edler Tat zu hindern wagte.


118.

Umsonst hatt' er gesucht viel lange Stunden

Nach ihm, der solchen Schimpf ihm angetan:

Der war so rasch im dunklen Wald verschwunden

(Er barg sich gut und brach geschickt sich Bahn)

Und hatte Schutz im Nebel noch gefunden,

Der's Licht verhüllte bei des Morgens Nahn,

Daß er des Helden Händen konnt' entrinnen,

Bis Zorn und Mut erlosch im Busen drinnen.


119.

Nicht unterdrücken kann Zerbin das Lachen,

Als er die Alte in dem Aufputz sieht:

Es bietet zu den jugendlichen Sachen

Doch das Gesicht zu großen Unterschied.

»Du weißt es, Ritter, wahrlich, schlau zu machen,«

Rief er, als in die Näh' er nun geriet.

»Du hast ein solches Dämchen auserkoren,

Daß dir kein Neid drob wird heraufbeschworen.«
[191]

120.

Eine Sibyll' und älter noch an Jahren

Erschien sie nach der ganz verschrumpften Haut;

Ein aufgeputzter Aff', umhergefahren

Verkleidet, den man nur mit Lachen schaut.

Vor Ärger glühend (ihre Züge waren

Noch häßlicher dadurch), schalt jene laut:

Denn größern Schimpf noch nie ein Weiblein kannte,

Als wenn man häßlich oder alt sie nannte.


121.

Das hohe Fräulein stellt sich ungehalten,

Derweil sie heimlich dieser Fall ergetzt;

»Bei Gott, hier meine Dam' ist wohlgestalten,

Mehr, als du höflich bist«, sie drauf versetzt.

»Allein ich glaub', in deines Herzens Falten

Ganz anders, als du redest, denkst du jetzt.

Du heuchelst, ihre Schönheit nicht zu sehen,

Willst als ein feiger Mann daneben stehen.


122.

Wo ist ein Ritter ringsum in der Weite,

Den nicht beglückte solcher Jugend Glanz?

Der, fänd' er sie im Wald ohn' ein Geleite,

Nicht zu gewinnen suchte ihren Kranz?«

»So gut«, Zerbin sprach, »paßt sie dir zur Seite;

Man lasse solch ein schönes Bündnis ganz!

Ich meinesteils bin nicht so schlecht gesonnen,

Dich zu berauben solcher hohen Wonnen.


123.

Willst du ein andres Liedlein von mir kennen?

Wie stark mein Arm ist, gerne zeig' ich's dir:

Nur darfst du nicht mich solchen Blinden nennen,

Daß mir's zu tun sei bloß um ein Turnier.

Ob schön sie ist, entscheide du; zu trennen

Solch edle Bande, das sei fern von mir!

Ich wett', ihr werdet stets ein trefflich Paar sein;

Wie ihre Schönheit, wird dein Mut fürwahr sein.«
[192]

124.

Marfisa sprach: »Mußt dennoch um sie ringen,

Ob du nun Lust verspürst, ob keine Lust:

Nicht soll dein Blick zu solchen Reizen dringen,

Weckt er nicht mächtig des Besitzes Lust.«

»Was soll der Mensch sich in Gefahren bringen,«

Versetzt Zerbin, »wenn ihm ganz klar bewußt,

Daß er nur Schaden hat, gelang's zu siegen,

Und aller Vorteil liegt im Unterliegen?«


125.

»Und will dir dieser Vorschlag nicht behagen,

Nicht weigern darfst du einen andern mir,«

Beeilte sich Marfisa drauf zu sagen;

»Werd' ich besiegt, so bleibt mir diese hier;

Sieg' ich, so mußt du sie von dannen tragen.

So laß uns sehn, wer los nun kommt von ihr.

Wenn du verlierst, so bleibst du ihr zur Seite

Und gibst, wohin sie will, ihr das Geleite.«


126.

»Sei's!« rief Zerbin und wendet flugs die Zügel,

Zum Anlauf spornend sein getreues Roß,

Rückt sich zurecht im Sattel, fest im Bügel,

Und um nicht fehl zu gehn, mit sicherm Stoß

Trifft er die Mitte, just des Schildes Hügel –:

Es ist, als stoß' er einen Erzkoloß.

Den Helm traf ihm Marfisas Lanzenspitze,

Betäubt sank er herab von seinem Sitze.


127.

Der Sturz schuf ihm gewaltig Mißbehagen:

Nie war im Kampf ihm Ähnliches geschehn.

Tausend und tausend hat er selbst geschlagen,

Nun glaubt er ewig sich beschimpft zu sehn.

Lang steht er stumm; besonders schwer zu tragen

Ist – ach, er meint vor Kränkung zu vergehn! –,

Daß er dem fremden Mann das Wort gegeben,

Fortan mit jenem alten Weib zu leben.
[193]

128.

Vom Sattel sprach die Siegerin mit Lachen,

Zu ihm sich wendend: »Nimm dein Schätzelein!

Je mehr sie Liebesglut dir wird entfachen,

Um so zufriedner werd' ich selber sein.

Statt meiner wirst du nun den Kämpen machen

Und des Versprechens stets gedenken fein,

Daß als ihr Schutz und Schirm zu allen Zeiten

Du sie, wohin sie will, wirst treu geleiten.«


129.

Ohn' Antwort abzuwarten, schon verschwunden

Ist sie im Wald und treibt den Hengst voran.

Zerbin, der sie als Helden hat befunden,

Sagt zu der Alten: »Nenne mir den Mann!«

Ach, was er hört, will ihm gar wenig munden

Und mutet ihn wie Gift und Feuer an:

Sie sprach: »Ein Fräulein war es, das vom Pferde

Dich aus dem Sattel niederwarf zur Erde.


130.

Sie nahm hinweg, gemäß dem eignen Werte,

Der ritterlichen Kämpen Schild und Speer,

Kam jüngst vom Morgenland, denn sie begehrte

Zu prüfen fränk'scher Paladine Wehr.«

Zerbin vernimmt's, o wie die Scham sich mehrte!

Nicht auf den Wangen nur flammt Rot daher.

Nein, wenig fehlt, so würden Röte weisen

Die Waffen, jedes Stücklein Stahl und Eisen.


131.

Sich selber schalt er drauf beim Weiterreiten,

Daß er nicht fester dort im Sattel saß.

Stichelnd ihm größern Schmerz noch zu bereiten,

Müht sich die Alte ohne Unterlaß.

Sie wußte ja, er mußte sie begleiten,

Wie er auch nicht die Nötigung vergaß.

Gleich müdem Roß, das an dem Bauch die Sporen,

Den Zaum im Maule fühlt, hängt er die Ohren.
[194]

132.

Und seufzend sprach er: »Arges Schicksal, wehe!

Was hast du mir für einen Tausch gebracht!

Die Schönste, die ich hier auf Erden sehe,

Die mein sein sollte, nahm mir deine Macht.

Meinst du, daß mir Ersatz durch die geschähe,

Die du mir sendest? Hast du das gedacht?

Da war Verlust der andern ja noch glimpflich,

Hier dieser Tausch ist ungleich und ist schimpflich.


133.

Das Bild von Huld und Schönheit unermessen,

Dem auf dem Erdenrund sich nichts vergleicht,

Das gabst du dort dem Meergetier zum Fressen,

Wo um Geklipp und Fels die Möwe streicht: –

Und dieser, die der Tod schier hat vergessen

Zur Würmerspeis, mußt du zehn Jahr vielleicht

Und zwanzig mehr als billig war, bescheren,

Um meiner Leiden Bürde zu vermehren!«


134.

So spricht Zerbin und will vor Schmerz vergehen

(Sein Antlitz zeigt's nicht minder als sein Wort),

Daß ihm solch übler Zuwachs soll erstehen

Und daß verloren ging die andre dort.

Das Weib, das sonst noch nie Zerbin gesehen,

Erkannt' an dem Gesprochnen doch sofort:

Der Rittersmann war jener Auserwählte,

Von dem ihr Isabella viel erzählte.


135.

Die Alte war (Ihr werdet Euch entsinnen)

Aus jener Felsenhöhle fortgerannt,

Wo Isabell, in Lieb' erglüht tiefinnen

Für Prinz Zerbin, sich lange Zeit befand.

Von ihr erfuhr sie im Gefängnis drinnen,

Wie sie verließ den heimatlichen Strand

Und wie, vom Sturm erfaßt, vorm Zorn der Welle

Sie flüchtete zum Ufer von Rochelle.
[195]

136.

Des Prinzen schön Gesicht, Gestalt, Gebaren

Ward ihr beschrieben dort so manches Mal;

Als diese Worte nun gesprochen waren,

Und sie die Stirn sah und der Augen Strahl,

Erkannte sie: um diesen hat erfahren

Der Schönen Herz so heiße Liebesqual,

Daß größer war ihr Schmerz, den Freund zu missen,

Als jener Räuber Sklavin sich zu wissen.


137.

Das alte Weib vernimmt des Jünglings Klagen,

Die er zum Himmel strömt in Schmerzen schwer.

Irrtümliches – sie weiß es – hört sie sagen:

Daß Isabell ertrunken sei im Meer.

Allein so boshaft ist sie und verschlagen:

Ihn zu betrüben nur ist ihr Begehr.

Sie schweigt von Dingen, die ihn fröhlich machen,

Und kündet ihm nur böse, trübe Sachen.


138.

Sie sprach: »O du, so stolz und übermütig,

Der du mich schmähst und höhnst so freventlich,

Wie würdest du doch sanft sogleich und gütig,

Belehrt' ich ob der Totbeweinten dich!

Doch eh ich's sage, lieber zorneswütig

Erstick, erwürge, reiß in Stücke mich!

Ja, zeigtest du mir etwas Freundlichkeiten,

Ließ ich am Ende, was ich weiß, entgleiten.«


139.

Wie einem Hund, der auf den Vagabunden

Sich wütend stürzte, ihm die Zähne bot,

Auf einmal aller Grimm ist fortgeschwunden,

Weil der ein Stücklein Käs' gab oder Brot,

So hat jetzt Demut Prinz Zerbin gefunden,

Mehr zu vernehmen, tut gar sehr ihm not:

Ihm winkt – so klang es aus der Alten Munde –

Von ihr, die er als tot beweint hat, Kunde!
[196]

140.

Ihr zugekehrt mit freundlicherm Gesichte,

Fleht er sie an und bittet und beschwört

Bei Gott und Menschen, daß sie ihm berichte,

Ob gut, ob schlecht, was immer sie gehört.

»Fürwahr, erbaulich nicht ist die Geschichte,«

So sprach die Alte hart und noch empört.

»Nicht tot, so wie du meinst, ist Isabelle,

Doch besser wär' sie tot auf alle Fälle.


141.

In zwanzig Händen ist sie wohl gewesen,

Seit du gehört von ihr, die kurze Zeit.

Drum, kehrt zurück zu dir das holde Wesen,

Pflückst du die Blüte nicht in Ewigkeit.«

»Ach, Lug und Trug ist's, den du auserlesen,

Verfluchtes Weib, zu Niedertracht bereit!

Wenn ihrer zwanzig auch zu Leib ihr gingen,

Sie ließe sich von keinem jemals zwingen.«


142.

Er fragt umsonst, wo jene ward gesehen,

Und wann's geschah, bei Anlaß welchen Falls:

Das alte Weib will fürder sich verstehen

Zu keines Wörtleins Spur und keines Schalls.

Zuerst versucht er gütlich vorzugehen,

Dann droht er ihr, er schneid' ihr ab den Hals:

Vergebens; mag er flehen, mag er dräuen,

Die alte Hexe schweigt, ohn' ihn zu scheuen.


143.

Als all die Worte sonder Nutz erklangen,

Verging ihm doch zuletzt der Rede Lust.

Er dachte des Gehörten voller Bangen,

Kaum fand noch Platz das Herz in seiner Brust.

Durch lohend Feuer wär' er gleich gegangen,

Hätt' er, wo jene weile, nur gewußt.

Doch sein Versprechen wurde ja gegeben,

Nur, wie die Alte will, voranzustreben!
[197]

144.

Sie ziehn davon auf rauhen, öden Wegen,

So wie es jenem alten Weib gefällt;

Ohne nur Wimper oder Mund zu regen,

Ob es bergauf geh', ob durch Tal und Feld.

Doch als dem Abend rückt die Sonn' entgegen,

In dieses Schweigen Unterbrechung fällt

Durch einen Rittersmann, den sie gefunden.

Das Weitre soll ein andrer Sang bekunden.

Quelle:
Ariosto, Ludovico: Der rasende Roland. In: Sämtliche poetischen Werke, Berlin 1922, Band 2, S. 161-198.
Lizenz:
Ausgewählte Ausgaben von
Der rasende Roland
Die Historia vom Rasenden Roland
Ludovico Ariosts Rasender Roland nacherzählt von Italo Calvino

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