Zweiter Gesang

[21] 1.

Launischer Amor, sprich, warum fast nimmer

Im schönen Einklang stehen Herz und Herz?

Warum geschieht es, daß so oft, du Schlimmer,

Der Seelen Widerstreit für dich ein Scherz?

Du gönnst mir nicht die Flut mit hellem Schimmer,

Ziehst mich zur dunklen tief hinab, zum Schmerz;

Die meine Lieb' ersehnt, die soll ich lassen,

Und lieben, die mir abgewandt voll Hassen!


2.

Du machst Angelika dem Jüngling teuer,

Den sie für arg und widerwärtig hält:

Als einst für ihn die Schöne stand in Feuer,

Da haßt er sie wie nichts auf dieser Welt.

Nun härmt er sich, in Leiden ungeheuer;

Vergolten ward ihm gleich mit gleich; der Held

Ist ihr ein Greuel jetzt – sich ihm verbinden? –

Nein, eher dann den Weg zum Tode finden!


3.

»Dieb, steig von meinem Pferd!« so schrie den Heiden

Mit großem Hochmut an der Haimonssohn.

»Daß man mein Pferd nimmt, pfleg' ich nicht zu leiden,

Und wer es tut, bekommt von mir den Lohn.

Auch will ich dich von dieser Dame scheiden;

Sie dir zu lassen, wäre Schmach und Hohn.

Unwürdig scheint es mir, daß einem Diebe

Solch edles Fräulein, solches Roß verbliebe.«
[22]

4.

»Nur als ein Lügner magst du Dieb mich schelten,«

Spricht drauf, nicht minder stolz, Fürst Sakripant:

»Das Wort kann eher von dir selber gelten,

Nach dem, was in der Welt von dir bekannt.

Es zeigt sich, wenn Entscheid die Schwerter fällten,

Wer mehr mit Recht sich hat den Herrn genannt.

Indes von ihr muß ich dir zugestehen:

Man kann nichts Edleres auf Erden sehen.«


5.

Wie Hunde wohl, bevor sie sich zerstücken

(Ob Haß, ob Neid und Mißgunst sie bewegt),

Mit Zähnefletschen aufeinanderrücken,

Wie jeder, schielen Augs, die Glieder regt,

Vor Wut dann schäumend, mit zerzaustem Rücken,

Den scharfen Zahn in seinen Gegner schlägt –

So ging's, nachdem genug sie schrien und schalten,

Zwischen den beiden jetzt ans Schädelspalten.


6.

Zu Fuß ist der, und jener sitzt zu Pferde.

Meint Ihr, daß drum der Heide Vorteil hab'? –

O nein! Nur Schaden; hilflos von Gebärde,

Sitzt er, als wär's ein unerfahrner Knab':

Es schafft der Hengst dem Herren nicht Beschwerde,

Weil seltenen Instinkt Natur ihm gab.

Ob mit der Hand der Reiter lenkt – mit Sporen,

's ist alles an dem störr'schen Tier verloren!


7.

Soll stehn der Hengst, beginnt er fortzujagen,

Dann rasch zum Kreisel wird er ganz und gar:

Er bockt, soll er den Reiter vorwärts tragen,

Bäumt sich, schlägt aus, beut alle Tücken dar.

Der Heide sieht, die Stund' hat nicht geschlagen,

Zu bändigen ein Tier so wunderbar,

Stützt auf den Sattelbogen sich zum Schwunge

Und steht auf Füßen jetzt nach raschem Sprunge.
[23]

8.

Als sich der Heide durch sein leichtes Springen

Hat von des Tiers verbißner Wut befreit,

Hei, da beginnt ein Ansturm und ein Ringen,

Wert eines Paars so hochbewährt im Streit!

Bald singen hoch, bald summen tief die Klingen;

Vulkans Gehämmer wäre Langsamkeit

Dagegen in der Höhle, wo beschieden

Ihm war, den Blitz des Jupiter zu schmieden.


9.

Mit langen Hieben, Finten, kurzen Streichen

Zeigt jeder sich als Meister: bald gereckt

Stehn beide aufrecht, bald geduckt dann schleichen

Sie, Blöße gebend, und darauf gedeckt;

Sie rücken vor, um rasch zurückzuweichen,

Parieren, meiden, locken vorgestreckt,

Drehn sich: wo Platz der eine hat gelassen,

Will gleich der Fuß des andern Posto fassen.


10.

Mit voller Wucht zu hauen und zu pochen,

Gibt jetzt Rinald sich hin mit einemmal;

Der Fürst hält seinen Schild vor, der – aus Knochen –

Mit Platten ist versehn von feinem Stahl:

Fusberta hat den starken doch durchbrochen;

Weit dröhnend seufzt der Wald und klingt das Tal.

Wie Eis zersplitternd Stahl und Knochen sprangen,

Betäubten Arm läßt der Zirkassier hangen.


11.

Als nun das scheue Mädchen solch Verderben

Entspringen sah dem Hiebe fürchterlich –

Gleichwie dem armen Sünder, geht's ans Sterben,

Ihr aus den Wangen alles Blut entwich.

's ist Zeit zu fliehn, als Beute sonst erwerben

Wird sie der Ritter ja, so sagt sie sich,

Den sie verabscheut mit des Hasses Triebe,

Wie er ihr zugetan ist voller Liebe.
[24]

12.

Sie schwenkt das Roß, läßt es von dannen jagen

Auf engem, rauhem Pfad durch Waldesmitt';

Oft blickt sie scheu zurück mit Furcht und Zagen,

Im Wahn, sie höre der Verfolgung Tritt.

Noch hat das Tier sie nicht gar weit getragen,

Da kam im Tal daher ein Eremit,

Dem floß der Bart bis auf die Brust hernieder,

Ehrwürdig schien er ihr und fromm und bieder,


13.

Von Fasten mitgenommen und von Jahren;

Ein Eselein, bedächtig, schaukelt ihn.

Man meint, es sei vor andren Menschenscharen

Ein fein und zart Gewissen ihm verliehn.

Als er die Holde sah mit Rabenhaaren

Und Rosenwangen durch die Büsche fliehn,

Da rief sie gleich – wiewohl sie etwas schwach ihm

Und schüchtern schien – die Menschenliebe wach ihm.


14.

Sie möchte nun von ihm den Weg erkunden,

Der sie zu einem Hafen bring' am Meer;

Denn gern aus Frankreich wäre sie verschwunden,

Daß von Rinald nicht mehr die Rede wär'.

Der Mönch – er war der schwarzen Kunst verbunden –

Müht sehr sich ab, daß er ihr Trost bescher';

In kurzem, sagt er, werde Fährnis enden –

Flink aus der Tasche hat er was in Händen.


15.

Es war ein Buch – das wirkte große Sachen!

Er las darin noch keine Seite aus,

Als, auf des Herrn Befehl, sich aufzumachen,

In Dienerform ein Geist erscheint daraus;

Hin geht er, wo sich Aug' in Aug' bewachen

Die Ritter noch nach halbvollbrachtem Strauß.

Im Wald, doch nicht in Kühle, beide fand er,

Und mutig zwischen ihnen plötzlich stand er.
[25]

16.

Er sprach: »Ihr Herrn, wollt mit Verlaub mir sagen,

Was nutzt es euch, daß ihr einander fällt?

Was habt ihr wohl von allen euren Plagen,

Nachdem die Schlacht zu End' ist, wenn der Held

Roland, ohn' einen einz'gen Hieb zu schlagen,

Ohne daß nur ein Schuppenring zerschellt,

Hin nach Paris das Fräulein führt als Beute,

Das Ursach' war für euren Zweikampf heute?


17.

Ich fand ihn mit Angelika, der schönen –

Zur Seine geht die Reise – hier ganz nah

Und hörte sie mit Kichern euch verhöhnen,

Daß euer Kämpfen ohne Frucht geschah.

Jetzt ihnen noch den Spott abzugewöhnen,

Das wäre klug, solange sie noch da.

Hält Roland in Paris sie erst geborgen,

Läßt sich das Wiedersehn wohl schlecht besorgen.«


18.

O, säht ihr den Verdruß der beiden Ritter,

Wie starr das Paar bei dieser Kunde stand!

Blind, taub und sinnlos schalt sich jeder bitter,

Als er von Roland so verhöhnt sich fand.

Und Herr Rinald! – Davon mit Seufzern ritt er

(Die kamen, schien's, aus einem Feuerbrand);

Fand' er den Grafen, schwört er sich verstohlen,

Das Herz ihm aus der Brust herauszuholen.


19.

Wo Bajard seiner harrt auf Waldespfaden,

Schwingt er sich auf und sprengt im Sturm dahin,

Zu sich aufs Roß den Ritter einzuladen,

Der noch zurück ist, kommt ihm nicht in Sinn.

Das Pferd, vom Herrn gespornt, bringt allem Schaden,

Was es im Lauf berührt im Busche drin.

Nicht Dornen, Strom und Felsen will's gelingen,

Von seiner Bahn den Renner abzubringen.
[26]

20.

Mag sein, o Herr, daß gegen mich der Schein ist,

Sag' ich, daß jetzt Rinald den Renner ritt,

Nach dem er tagelang schon hinterdrein ist,

Und der nicht leiseste Berührung litt.

Das Pferd – bedenkt, daß Menschengeist ja sein ist! –

Aus Tücke nicht so rasch vorüberglitt:

Ihn führen wollt' es, weil den Weg es kannte,

Zu ihr, für die sein Herz voll Sehnsucht brannte.


21.

Als sie entschlüpft war aus des Zeltes Banden,

Sah sie und folgt' ihr nach das gute Pferd,

Dem leer gerad die Sattelbogen standen,

Weil Herr Rinald zu Fuß focht mit dem Schwert

In einem Ehrenhandel, ihm entstanden

Durch einen Rittersmann, im Kampf bewährt.

Den Spuren ging der Renner nach vom weiten,

Begierig, sie zu seinem Herrn zu leiten.


22.

Vom Wunsch erfüllt, die Maid zurückzubringen,

Verlegt er ihr den Weg geschickt im Wald;

Sie darf sich nicht in seinen Sattel schwingen:

Die Sache nähme andere Gestalt.

Es schien Rinald ein-, zweimal zu gelingen,

Ihr nah zu sein, doch er verlor sie bald:

Erst war dazwischen Ferragu gekommen,

Dann Sakripant, wie Ihr es hier vernommen.


23.

Auch Bajard glaubt, was jener Geist verkündet,

Der nun Rinald auf falsche Bahnen führt;

Nicht ahnend, daß er sich dem Trug verbündet,

Folgt er dem Herrn, so wie es sich gebührt.

Fort gen Paris jagt dieser, liebentzündet,

Sturmgleich, weil auch der Haß die Flamme schürt.

Mit Sehnsucht, der kein Renner je geschwind scheint,

Fliegt er dahin, und langsam ihm der Wind scheint.
[27]

24.

Kaum bleibt genug der Nacht, um hinzureiten,

So meint Rinald, zum Ritter von Anglant; –

Ach, daß er sich vom Boten ließ verleiten,

Den ihm der schlaue Magier hat gesandt!

Er reitet früh und abends, bis vom weiten

Vor seinen Blicken jene Stätte stand,

Wohin der Kaiser seit dem Unglückstage

Zurück sich zog nach schwerer Niederlage.


25.

Und weil Belagrungsnot und neue Schlachten

Vom Mohrenkönig jetzt in Aussicht stehn,

Ist Volk zu sammeln und Proviant sein Trachten,

Auch mit der Wälle Schutz sich zu versehn.

Was man zur Abwehr dienlich mag erachten,

Das zu beschaffen, läßt er Boten gehn

Und Kriegsvolk ziehn aus Albions Gefilden,

Mit ihrer Zahl ein neues Heer zu bilden.


26.

Nochmals will er ins Feld mit seinen Scharen

Und sehn, ob sich das Kriegsglück nicht gewandt.

Flugs soll Rinald hin nach Britannien fahren,

Britannien, das nun England ist genannt.

Der möchte gern die Reise sich ersparen:

Nicht etwa, daß er haßte dieses Land,

Nein, weil ihn augenblicklich Karl entsendet

Und auch nicht einen Tag ihm Ruhe spendet.


27.

Rinald ist ob des Auftrags recht verdrießlich,

Der fern ihn führt von jenem holden Weib;

Denn ihr zu nahen ist nun unersprießlich,

Die ihm das Herz entführt hat aus dem Leib.

Allein, um zu gehorchen, meint er schließlich,

Daß jetzt ihm nur sofort'ger Aufbruch bleib'.

Er hat Calais erreicht in wen'gen Stunden

Und alsogleich ein Schiff zur Fahrt gefunden.
[28]

28.

Auf Heimkehr brennend, stößt er ab verwegen,

Warnt auch davor der Schiffer noch so sehr,

Und ob sich schon in raschen Wogenschlägen

Unwetter drohend künd' auf finstrem Meer.

Der Wind, empört, schickt Sturm dem Boot entgegen

Und läßt die Wogen wirbeln ringsumher.

Er wühlt die See auf, daß sie voller Wut schäumt

Und bis zum Mastkorb oben wild die Flut schäumt.


29.

Die klugen Schiffer, die die Segel reffen,

Gedenken wieder umzudrehn nach Haus,

Um in demselben Hafen einzutreffen,

Aus dem sie recht zur Unzeit fuhren aus:

»Nein,« spricht der Wind, »die Aussicht soll euch äffen;

Für eure Frechheit kommt ihr nicht heraus!«

Und bläst und heult, läßt drohend Schiffbruch blicken,

Wenn sie nicht gehn, wohin er sie will schicken.


30.

Nie ruht er, läßt die Schrecken neu beginnen;

Von vorn, darauf von hinten stürmt er an.

Ins weite Meer so treiben sie von hinnen,

Bescheidne Segel spannend dann und wann.

Doch viele Fäden hab' ich auszuspinnen,

Von denen nichts beiseite bleiben kann.

So mag der Sturm Rinald von dannen tragen!

Ich will euch jetzt von Bradamante sagen.


31.

Ich meine sie, der edlen Jungfraun Blume,

Die den Zirkassier hinwarf auf den Grund,

Erblüht – des Bruders wert an Heldentume –

Herrn Haimons und Beatrix' Ehebund.

Der Kaiser freute sich an ihrem Ruhme,

Der rings erscholl durch aller Franken Mund

– Sie sahn gar oft schon ihre hohen Werke –,

Nicht minder als Rinalds gewalt'ge Stärke.
[29]

32.

Ergeben dieser Dame war in Treuen

Ein Held – er kam mit König Agramant;

Als Vater konnt' ein Roger sein sich freuen,

Die Mutter war ein Kind des Agolant.

Das Fräulein, das ja nicht von Bär und Leuen

Entsprang, hat ihm den Rücken nicht gewandt.

Das Glück ließ einmal beide sich erblicken,

Um dann sie weit getrennt hinwegzuschicken.


33.

Ihn aufzufinden, war des Fräuleins Streben,

Der nach dem großen Vater Roger hieß.

So sicher, wie von Kriegerschar umgeben,

Ging sie allein; Geleit sie von sich wies.

Nachdem sie Sakripant den Lohn gegeben

Und ihn die Mutter Erde küssen ließ,

Durch einen Wald, sodann bergaufwärts ritt sie,

Und nun an eine schöne Quelle tritt sie.


34.

Die lief durch eine Wiese; kühlen Schatten

Von alten Bäumen bot ein trauter Hain:

Hier käme Rast den Wandrern wohl zustatten,

Das sanfte Murmeln lud zu trinken ein,

Wobei die Ruhnden links noch Hügel hatten,

Um vor der Mittagsglut geschützt zu sein.

Die schönen Augen schweifen lassend, stand sie,

Und einen Rittersmann dort ruhend fand sie.


35.

Sie sah im Schatten dichtbewachsner Hecken,

An grün-, weiß-, rot- und gelbgeschmücktem Saum,

Einsam beim Quelle sitzend, einen Recken;

Nachdenklich, stumm blickt er zum Himmelsraum.

Es hingen Schild und Helm vorm Wasserbecken

Beim angebundnen Pferd am Buchenbaum:

Die Augen feucht, der Ausdruck trüb und bitter –

Sehr traurig schien und müde dieser Ritter.
[30]

36.

Verlangen, das wir all im Busen tragen,

Nach andrer Menschen Angelegenheit,

Bewog das Fräulein, jenen Herrn zu fragen,

Was doch die Ursach' sei von seinem Leid:

Und er war willig, alles ihr zu sagen,

Gewonnen von des Wortes Artigkeit

Und stolzem Wesen, das ihm einen Helden,

Und einen kühnen wahrlich, schien zu melden.


37.

Er sprach: »Ich führte Fußvolk, Herr, und Reiter

Und zog dahin, wo Karl, dem Heer gesellt,

Des Feindes harrte: ging Marsil nun weiter,

Fand er beim Niederstieg ihn aufgestellt.

Ein Mädchen hatt' ich bei mir, schön und heiter,

In Liebe war mein Herz für sie geschwellt –

Da seh' ich einen Mann ein Roß mit Flügeln –

Bewaffnet war er – nah der Rhone zügeln.


38.

Sobald der Kerl – ob Mensch, ob Ungeheuer,

Verdammter Geist, der sich der Höll' entwand –

Das Fräulein sah, mein Liebchen schön und teuer,

Dem Falken gleich, wenn er ein Opfer fand,

Fiel er und stieg – rasch wie ein Blitz von Feuer –

Und, die betäubte Maid im Arm, verschwand.

Noch eh ich sah, was Stoß und Angriff seien,

Hört' ich die Holde in den Lüften schreien.


39.

So schießt aufs Küchlein bei der Gluck' hernieder

Der gier'ge Geier, der nach Beute lechzt:

Gern hätte wohl die Henn' ihr Junges wieder,

Zu dem umsonst hinauf sie piepst und krächzt.

Ich fliege nicht – 's ist der Natur zuwider –

Felswänd' empor, daran mein Rößlein ächzt:

Das ist gar müd; nur langsam kann es schreiten

Den rauhen Pfad abschüss'ger Bergesseiten.
[31]

40.

Als einer, der es lieber säh' geschehen,

Zerrissen ihm den Busen Hieb und Stich,

Ließ ich ohn' Hilf und Rat von dannen gehen,

Wo es verlassen blieb, mein zweites Ich,

Und zog den Weg, da steile Höhen stehen

Mit grausen Schluchten; Liebe führte mich,

Dort ist, so schien es mir, in üblen Stunden

Mein Frieden mit dem Räuber fortgeschwunden.


41.

Sechs Tage ritt ich bis zum Abendgrauen

Durch Felsgestein, vorbei an Kluft und Schlund.

Es war kein Weg, es war kein Pfad zu schauen,

Nicht eine Spur gab Menschenwesen kund.

Ich kam dann in ein ödes Tal voll Grauen,

Sah nichts als Klippen, Höhlen, wilden Grund

Und mitten drin ein Schloß auf Felsen ragen –

Wie schön und fest, vermag ich nicht zu sagen.


42.

Es blitzt wie heller Flamme Licht vom weiten,

Ist nicht aus Lehm gemacht und nicht aus Stein.

Ein Werk erscheint es, wenn wir näherschreiten,

So herrlich dürfte kaum ein zweites sein.

Dämonen, hört' ich, mußten es bereiten,

Durch Zauberspruch gebannt und Räucherein.

Sie haben ganz den Bau mit Stahl umschlossen,

Um den der Hölle Flut und Feuer flossen.


43.

Nichts gegen ihn vermögen Rost und Flecken,

Er steht, von glattem Stahl, in lichter Pracht.

Der schlaue Wicht pflegt hier sich zu verstecken,

Wenn er das Land durchschweift hat Tag und Nacht;

Denn nichts auf Erden braucht ihn hier zu schrecken;

Ohnmächt'ge Wut und Fluch wird nur verlacht.

Dort sitzt mein Lieb, nein, sitzt mein Herz gefangen,

Und nimmer – nimmer – hoff ich's zu erlangen.
[32]

44.

Was kann ich tun, ach, als die Blicke senden

Zum Fels, der sie verschließt, voll Angst, ergrimmt?

Der Füchsin gleich, die hoch von glatten Wänden,

Vom Adlerhorst, des Sohnes Ruf vernimmt?

Sie irrt umher: wo soll sie hin sich wenden?

Der Flügel fehlt, der sie zur Höhe nimmt.

Ach, daß der Fels, und auch das Schloß, so steil ist:

Hinauf kommt nur, wer Vogel oder Pfeil ist.


45.

Zwei Ritter, die ein Zwerglein führt – erscheinen

Des Wegs daher, derweil ich säume dort,

Die, Hoffen sei bereits Erfüllung, meinen;

Ach Wunsch und Hoffnung – beide schwinden fort.

Zwei Krieger sind's, die Mut mit Kraft vereinen:

Gradaß, der Fürst, gepriesen allerort,

Und Roger, dieser Stolz des Rittertumes;

Am Mohrenhof genoß er hohen Ruhmes.


46.

›Sie kommen‹, sprach der Zwerg, ›sich zu erproben

Mit ihrer Kraft am Schloßherrn, jenem Mann,

Der auf behuftem Vogel von dort oben –

's ist unerhört! – kommt durch die Luft heran.‹

›Erbarmt euch, Herrn!‹ sprach ich, die Händ' erhoben,

›Nehmt meines herben Falls euch gütig an!

Wenn ihr als Sieger – will es hoffen – lebet,

Bitt' ich, daß ihr mein Lieb zurück mir gebet!‹


47.

Und ich erzählte, wie es ihr ergangen,

Mit Tränen viel, die mir der Kummer gab;

Erfüllen wollten jene mein Verlangen

Und stiegen drauf den Felsenpfad hinab. –

Von fern zum Schlachtfeld meine Blicke drangen;

Von Gott den Sieg fleht' ich für sie herab.

Es war ein Platz vorm Schloß, so groß, ich meine,

Wie, zweimal fortgeschleudert, fliegen Steine.
[33]

48.

Wie sie zum Fuß des hohen Felsens dringen,

Will jeder erster sein für das Duell:

Es ist Gradaß – wollt es das Los ihm bringen?

Entsagte Roger seinem Anspruch schnell? –

Der Kämpfer läßt sein Horn mit Macht erklingen:

Es dröhnt der Fels mitsamt dem Stahlkastell.

Heraus tritt aus der Tür der andre Streiter:

Der auf dem Flügelroß, der Panzerreiter.


49.

Aufwärts ein wenig fing er an zu schweben,

So wie wir's an dem fremden Kranich sehn,

Der anfangs schreitet, um sich dann zu heben,

Daß ein, zwei Ellen Zwischenraum entstehn.

Wenn er sich ganz der Luft hat übergeben,

Dann läßt er erst mit Wucht die Flügel gehn.

So flügelschlagend jetzt der Zaubrer aufsteigt

In Ätherhöhn, wo kaum der Aar hinaufsteigt.


50.

Mit einem Male dreht das Roß er wieder,

Senkrecht wie Blei kommt er herab im Fall –

So stürzt der Falk herab, sieht aus dem Ried er

Die Ente, ausgesucht für seine Krall';

Er saust, den Speer gefällt, im Flug hernieder,

Die Lüfte spaltend mit gewalt'gem Schall.

Ein Stich von hinten macht Gradaß gewahren

Den Zaubrer, den er kaum sah niederfahren.


51.

Des Magiers Speer zerbrach bei diesem Stechen,

Worauf des Gegners Hieb die Luft nur schlägt,

Und, statt den Flügelschlag zu unterbrechen,

Der Flieger rasch sich weiter fortbewegt.

Des Mohren Tier – nie kannt' es früher Schwächen –

Hat flink zuvor ein Stoß ins Gras gelegt.

Gradassos Pferd war ein' Alfana-Stute,

Die beste, drauf wohl je ein Sattel ruhte.
[34]

52.

Der Flieger schien zum Sternenland zu gehen;

Dann dreht' er sich und schoß in Eil' herab,

Stach Roger, der sich dessen nicht versehen,

Weil er nur auf Gradasso Achtung gab.

Fast konnt' er nicht dem Stoße widerstehen:

Er weicht zurück und lenkt ihn etwas ab.

Als er dem Magier eins versetzte gerne,

Ist der schon wieder oben in der Ferne.


53.

Bald den, bald den – an Brust und Stirn und Beinen

Und Rücken trifft er und wo sonst noch mehr!

Er ist so flink, kaum sieht man ihn erscheinen;

Der Gegner Stöße sind umsonst und leer.

Und droht er diesem, wird er jenen meinen,

Und dreht sich stets im Kreise hin und her.

Die Augen sind den beiden so geblendet,

Daß sie nicht sehen, wer die Hiebe sendet.


54.

Bis zu den Stunden währt der Krieger Ringen

– Zwei unten, einer sich in Lüften hält –,

Die unsrer Erde dunkle Schleier bringen,

So daß, was schön ist, farblos dar sich stellt.

Zu sprechen wag' ich kaum von diesen Dingen,

Die ich doch sah – ich lüg' nicht um die Welt.

s' ist, wie ich sprach: doch freilich mehr der Lüge

Trägt dieses Wunder als der Wahrheit Züge.


55.

Ich sah den Zaubrer an dem Arme tragen

Den Schild, von schönem Seidentuch verdeckt.

Warum er ihn so lang verhüllt? Zu sagen

Vermag ich nicht, was er damit bezweckt.

Denn wer ihn offen sieht, der wird geschlagen

Mit Blindheit gleich; sein Auge Dunkel deckt,

So daß er fällt, wie tote Körper fallen,

Und hilflos bleibt er in des Zaubrers Krallen.
[35]

56.

Der Schild glänzt wie Pyropus, doch vergleichen

An Kraft läßt sich kein Glanz mit diesem Licht.

Zu Boden stürzt, wes Augen ihn erreichen,

Bewußtlos, mit geblendetem Gesicht.

Auch mich, so fern, faßt Ohnmacht – es verstreichen

Wohl Stunden, bis ich wieder aufgericht't. –

Ich sehe nichts von Kriegern, nichts vom Zwerge;

Leer ist das Feld, im Dunkel Tal und Berge.


57.

So meint' ich denn, es trug mit einem Male

Der Zaubrer jene beiden auf sein Schloß:

Er nahm die Freiheit ihnen mit dem Strahle

Und mir der Hoffnung Quell, der noch mir floß.

Ich schied darauf von dieser Burg aus Stahle,

Die all mein Gut, mein ganzes Herz umschloß. –

Sagt, kann ein hartes Los an dieses reichen?

Kann Liebesleid dem meinen sich vergleichen?«


58.

Der Ritter sinkt zurück in stummes Trauern,

Als er den Grund genannt hat seiner Pein:

Graf Pinabel ist's, der sich läßt bedauern,

Anselms von Haut'rives Sohn, aus Mainz am Rhein.

Von jenen Schelmen, die auf Untat lauern,

Wollt' er nicht wacker bleiben ganz allein.

Er kam nicht ihnen gleich an Lastern greulich,

Nein, übertraf sie alle, falsch, abscheulich.


59.

Wechselnden Schein der Dame Züge nahmen,

Als still sie lauschte dieses Manns Bericht,

Denn wie sie klingen hörte Rogers Namen,

Vor Freude hell erglänzt' ihr Angesicht.

Doch als dann später seine Leiden kamen,

Verstört von Mitleid folgt sie der Geschicht';

Auch kann sie manches Mal sich's nicht versagen,

Den Einzelheiten nochmals nachzufragen.
[36]

60.

Sie meint nach einer Zeit, sie sei im klaren,

Und spricht: »Herr Ritter, gönne jetzt dir Ruh'!

Aus meiner Ankunft magst du Heil erfahren;

Daß nur das Glück jetzt auch das Seine tu!

Hin zu der Stätte will ich mit dir fahren,

Die du ja sahst als reicher Schätze Truh';

Ob unser Mühn vielleicht belohnt sich findet,

Wenn freundliches Geschick sich uns verbindet?«


61.

Der Ritter sprach: »Ich soll den Weg dir zeigen?

Die Höhen überschreiten jetzt aufs neu?

Weil alles ich verlor, was einst mein eigen,

Fern sei es, daß ich Zeit und Mühe scheu'.

Du aber willst hinauf zum Kerker steigen

Den Felsenpfad? Es schafft vielleicht dir Reu'.

Nicht über mich dann darfst du dich beklagen:

Ich warnte dich; du willst es dennoch wagen.«


62.

Er spricht's und hat sich auf sein Pferd geschwungen

Und gibt der kühnen Jungfrau das Geleit;

Wo sie Gefahr für Roger sieht, den jungen,

Schreckt sie Gefängnis nicht noch andres Leid.

Auf einmal schallt es »Halt!« aus vollen Lungen:

Der Bote naht in größter Schnelligkeit,

Der dem Zirkassierkönig dort entdeckt hat,

Wer's sei, der in das Gras ihn hingestreckt hat.


63.

Er bringt dem Fräulein Nachricht über Fälle

In Montpellier, Narbonne; und wie der Strand

Von Aiguesmortes zu Kastilien sich geselle

Und alles lodre von des Aufruhrs Brand;

Marseille, bedrängt, weil sie nicht mehr zur Stelle,

Ihm Schutz zu bringen, halte kaum noch stand:

Es harr' auf der Gebieterin Befehle

Durch diesen Mann – womit es sich empfehle.
[37]

64.

Die Stadt – und wo das Meer noch manche Meile

Rings zwischen Rhon' und Var die Wellen schlägt –

Ward durch Herrn Karl dem Haimonskind zuteile,

Zu dem er lange schon Vertrauen hegt.

Sein Blick verfolgt sie staunend eine Weile,

Wenn sie vor ihm sich kühn im Kampf bewegt.

Nun kam der Bote, wie gesagt, geritten,

Um für Marseille um Beistand sie zu bitten.


65.

Die Jungfrau läßt das Köpfchen zweifelnd hangen,

Und zwischen Ja und Nein noch schwankt ihr Mut:

Die Pflicht und Ehre hierhin sie verlangen,

Und dorthin treibt sie heiße Liebesglut.

Zuletzt ist sie den Weg vorangegangen,

Roger zu holen aus des Zaubrers Hut:

Und kann sie nicht ihm helfen in die Weite,

Gefangen bleibt sie an des Liebsten Seite.


66.

Zum Boten spricht sie drauf in einer Weise,

Daß froh er hört, was sie ihm anvertraut.

Dann geht es rüstig weiter mit der Reise;

Nur Pinabel ist wenig drob erbaut.

Stammt jene doch aus eines Hauses Kreise,

Für den er eitel Haß hegt leis und laut.

Schon malt er sich im Geist die künft'gen Schrecken,

Wenn sie ihn je als Mainzer sollt' entdecken.


67.

Clermont und Mainz! Des Hasses Wogen flossen

Noch stark aus alten Zeiten rauh und wild,

In Strömen ward der Gegner Blut vergossen;

Gar oft zerhieb man noch einand den Schild.

Arglosem Mädchen – doch dem Feind entsprossen! –

Die Tücke jetzt des falschen Mannes gilt:

Kann er nur die Gelegenheit erfassen,

Will er entwischen und allein sie lassen.
[38]

68.

Er ließ sich grübelnd von dem Rosse tragen –

Furcht, Zweifel stieg und alter Haß empor –;

So kam's, daß er, vom rechten Weg verschlagen,

In einem dunklen Haine sich verlor.

Drin sieht er einen Bergesgipfel ragen,

Ganz kahl und steinig, aus dem Grün hervor.

Dem Reiter folgt die Haimonstochter immer,

Bleibt ihm im Rücken und verläßt ihn nimmer.


69.

Als sich der Mainzer fand im Walde drinnen,

Regt sich in ihm die Lust, davonzugehn.

Er spricht: »Eh noch das Dunkel mag beginnen,

Wär's rätlich, sich nach Herberg umzusehn.

Jenseits des Bergs – glaub' ich mich zu entsinnen –

Muß ein vortrefflich Schloß im Tale stehn.

Du warte hier, derweil vom Felsenrücken

Ich Umschau halte: hoffentlich wird's glücken.«


70.

Bergaufwärts läßt er nun den Renner springen

Zum Gipfel hin mit Wänden schroff und jäh,

Und um von seiner Spur sie abzubringen,

Aufmerkt er, ob er einen Weg erspäh'.

Da sieht er eine Höhl' ins Innre dringen

Des Felsens dreißig Ellen, in der Näh',

Und, wohl mit Pick' und Meißel zubehauen,

Senkt sie sich rechts, läßt eine Pforte schauen.


71.

Man schritt durch diese Tür zu einem Zimmer,

Das hoch und sehr geräumig war, hinein.

Daraus hervor, aufleuchtend, kam ein Schimmer –:

Es könnten Lichter wohl von Fackeln sein.

Stumm blickt, verblüfft, der Schelm auf das Geflimmer.

Das Fräulein, das von ferne hinterdrein,

Die Spur nicht zu verlieren, ist gegangen,

Muß ebenfalls zur Höhle jetzt gelangen.
[39]

72.

Der Schurke sah, daß es mit seinen Tücken,

So wie er sich's zurechtgelegt, nicht ging,

Und meint, es werd' auf andre Weise glücken,

Ob er sie lasse, ob ums Leben bring'.

Er führt das Mädchen aufwärts, wo in Stücken,

Klaffend und hohl, ein loser Felsen hing:

Ein Fräulein, sagt er, jung, von holden Mienen,

Sei dort ihm auf dem Höhlengrund erschienen.


73.

Sie sei gewiß auch edlem Stamm entsprossen,

Das zeig' ihr Aussehn und ihr reiches Kleid;

Und mit Gewalt wohl sei sie eingeschlossen,

Ihr Trübsinn zeig' es, ihre Traurigkeit.

Und weil er gern das Rätsel hätt' erschlossen,

Sei er hinabgestiegen, ziemlich weit.

Da sei vom Innern her ein Mann gekommen,

Der habe wütend sie hineingenommen.


74.

So arglos wie beherzt, glaubt Bradamante

Dem Märchen, das ihr auftischt jener Schuft,

Und eifrig sinnt sie, um die Unbekannte

Zu retten, wie sie eindring' in die Gruft:

Ein Ulmbaum, sieh, als jetzt den Blick sie wandte,

Hob einen langen Zweig dort aus der Kluft.

Der wird geschwind vom Schwert herabgehauen:

Ihm kann sie für die Tiefe sich vertrauen.


75.

Festhalten soll nun Pinabel den Stecken

Am abgehaunen End'; sie hängt daran;

Zuerst die Füße sich hinunterstrecken,

Bis sie an beiden Armen schweben kann.

Der Mainzer lächelt, fragt: »Wird Springen schmecken?«

Er öffnet weit die beiden Hände dann

Und spricht: »Wär' alles hier von deinem Samen!

Auslöschen möcht' ich gern den ganzen Namen!«
[40]

76.

Nicht, wie er wünschte, sollt' es sich gestalten,

Nicht solches war der edlen Jungfrau Los.

Hinunterfallend – mocht' er auch zerspalten!

Kam auf den Grund zuerst der Stecken bloß.

Ob er nun brach, er konnte doch sie halten:

Sie ward vorm Tod gerettet durch den Stoß.

Das Fräulein lag betäubt, wohl etwas lange;

Ich meld' es Euch im folgenden Gesange.

Quelle:
Ariosto, Ludovico: Der rasende Roland. In: Sämtliche poetischen Werke, Berlin 1922, Band 1, S. 21-41.
Lizenz:
Ausgewählte Ausgaben von
Der rasende Roland
Die Historia vom Rasenden Roland
Ludovico Ariosts Rasender Roland nacherzählt von Italo Calvino

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