[53] Der Chor. Pisthetairos. Dann: Boten. Iris. Ein Herold. Ein ungeratener Sohn. Kinesias. Ein Sykophant.
PISTHETAIROS.
Das Opfer lief noch günstig ab, ihr Vögel! –
Warum vom Mauerbau kein Bote noch
Uns Meldung bringt, wie's droben steht? – Doch sieh,
Da kommt ja mit Alpheioshast schon einer!
Ein Vogel tritt auf als Bote.
BOTE keuchend.
Wo, wo, wo ist, wo ist er wohl, wo ist
Der Archon Pisthetairos?
PISTHETAIROS.
Hier bin ich!
BOTE.
Die Mauer ist gebaut!
PISTHETAIROS.
Willkommne Botschaft!
BOTE.
Ein Wunderwerk von kolossaler Pracht,
So breit, daß drauf Proxenides aus Prahlheim
Und Held Theagenes mit zwei Karossen[53]
Und Rossen, wie das troische, bequem
Vorüber aneinander jagen –
PISTHETAIROS.
Oh!
BOTE.
Die Höh' – »ich hab' sie selber ausgemessen« –
Ist hundert Klafter!
PISTHETAIROS.
Hoch, erstaunlich hoch!
Wer hat denn dieses Riesenwerk erbaut?
BOTE.
Die Vögel! – Kein ägypt'scher Ziegler half,
Kein Zimmermann, kein Steinmetz! – Sie allein
Mit eigner Hand vollbrachten's! Staunend sah ich's:
Es kamen dreißigtausend Kraniche
Aus Libyen, mit Grundsteinen in den Kröpfen,
Die von den Schnärzen dann behauen wurden;
Backsteine lieferten zehntausend Störche,
Und Wasser trugen in die Luft hinauf
Die Taucher und die andern Wasservögel.
PISTHETAIROS.
Wer trug den Lehm denn ihnen zu?
BOTE.
Die Reiher,
In Kübeln –
PISTHETAIROS.
Und wie füllten sie sie denn?
BOTE.
Gar sinnreich, Bester, stellten sie das an!
Die Gänse patschten, mit den Füßen schaufelnd,
Drin 'rum und schlenkerten ihn in den Kübel.
PISTHETAIROS.
»Was alles doch die Füße nicht vermögen!«
BOTE.
Ja selbst die Enten schleppten, hochgegürtet,
Backstein'; und hintendrein, mit Kellen oben
Am Rücken, wie Lehrbuben, und die Schnäbel
Voll Lehm – so kamen Schwalben angeflogen.
PISTHETAIROS.
Wer wird jetzt noch zum Bau'n Taglöhner dingen? –
Doch sagt, wer hat die Zimmerarbeit denn
Gemacht?
BOTE.
Die Zimmerleute waren Vögel,[54]
Geschickte Tannenpicker: die behackten
Das Holz zu Flügeltüren, und das pickte
Und sägt' und hämmerte, wie auf der Schiffswerft.
Und nun ist alles wohlverwahrt mit Toren,
Mit Schloß und Riegel, und rundum bewacht:
Patrouillen ziehn herum, die Glocke schellt,
Wachtposten überall, und Feuerzeichen
Auf allen Türmen! – Doch nun muß ich gehn,
Mich abzuwaschen! Sorge du jetzt weiter!
Ab.
CHORFÜHRER zu Pisthetairos.
Du, nun, was ist dir? Staunst du, daß die Mauer
Mit solcher Schnelligkeit zustande kam?
PISTHETAIROS.
Bei allen Göttern, ja, es ist zum Staunen!
Es sieht in Wahrheit aus wie eine Lüge!
Doch sieh, da stürzt ein Wächter von der Höh'
Grad auf uns zu, mit Waffentänzerblicken!
Zweiter Bote tritt auf.
BOTE.
O weh, o weh, o weh, o weh, o weh!
PISTHETAIROS.
Was gibt's?
BOTE.
Entsetzliches ist vorgefallen!
Der Götter einer, von dem Hof des Zeus,
Flog eben durch das Stadttor, unbemerkt
Von unsrer Dohlenwacht, hier in die Luft!
PISTHETAIROS.
Abscheulicher, verruchter Frevel! Ha,
Wer ist der Gott?
BOTE.
Wir wissen nichts, als nur:
Er hatte Flügel!
PISTHETAIROS.
Und ihr verfolgtet ihn
Nicht gleich mit Grenzbereitern?
BOTE.
Doch! Wir schickten
Gleich dreißigtausend Falken, reisige Jäger,
Ihm nach: was Krallen hat, ist ausgerückt,
Turmeule, Bussard, Geier, Weih und Adler;[55]
Vom Flügelschwirren, Kreischen, Rauschen dröhnt
Die Luft, sie alle fahnden nach dem Gott.
Fern ist er nicht, er steckt wohl hier herum
Schon irgendwo!
Ab.
PISTHETAIROS.
Zur Schleuder greift, zum Bogen!
Es wappne sich die ganze Dienerschaft!
Hierher! Legt an! Mir eine Schleuder! Schießt!
Getümmel.
CHOR.
Krieg! Zu den Waffen! Krieg,
Unerhört blutiger,
Wider die Götter! Auf,
Schließet mit Wachen ein
Rund den umwölkten Raum,
Erebos' Kind, die Luft,
Daß nicht der Gott uns hier
Durchschlüpft im Luftrevier!
CHORFÜHRER.
Schaut all' euch um und paßt wohl auf! »Er schwebt
Schon in der Näh' herum, der Gott! Zu hören
Ist schon das Rauschen seines Flügelschlags!«
Iris fliegt herab.
PISTHETAIROS.
He, Jüngferchen, wo fliegst du hin? Nur sacht!
Halt stille! Rühr dich nicht! Ich sag' dir: Halt!
Wer bist du, he? Woher? Wo kommst du her?
IRIS.
Ich komme von den Göttern des Olymps.
PISTHETAIROS.
Wie nennst du dich denn? Schlapphut oder Boot?
IRIS.
Iris, die schnelle Botin!
PISTHETAIROS.
So? Ein Boot?
Salaminia oder Paralos?
IRIS.
Was meinst du?
PISTHETAIROS.
Geht denn kein Stößer auf sie los?[56]
IRIS.
Auf mich?
Was soll das geben?
PISTHETAIROS.
Dir den Jungfernstoß!
IRIS.
Bist du verrückt?
PISTHETAIROS.
Zu welchem Tor der Festung
Bist du hereingekommen, freche Dirne?
IRIS.
Durch welches Tor? Bei Zeus, das weiß ich nicht!
PISTHETAIROS zum Chor.
Hört, wie sie schnippisch tut!
Zu Iris.
Du warst doch auf
Der Dohlenhauptwacht? He? Du ließ'st den Paß
Dir auf der Storchenpolizei visieren?
Nicht?
IRIS.
Unsinn!
PISTHETAIROS.
Nicht?
IRIS.
Bist du bei Trost?
PISTHETAIROS.
So gab
Kein Vogeloffizier dir eine Marke?
IRIS.
Du Narr, wer wird mir was gegeben haben!
PISTHETAIROS.
So, so! Du fliegst da nur so mir nichts dir nichts
Durch fremdes Stadtgebiet, durch unsre Luft?
IRIS.
Wo durch denn sollen sonst die Götter fliegen?
PISTHETAIROS.
Das weiß ich nicht, bei Zeus! Nur hier durch nicht!
IRIS.
Du frevelst!
PISTHETAIROS.
Weißt du, daß nach dem, was du
Getan, von sämtlichen Irissen keiner
Mehr recht geschäh' als dir, wenn wir dich henkten?
IRIS.
Ich bin unsterblich!
PISTHETAIROS.
Sterben müßtest du
Trotzdem! Das wär' ja gar zu toll, wenn wir,
Die Herrn der Welt, euch Götter machen ließen,
Was euch gelüstet! Merkt's einmal: die Reih'
Ist nun an euch, dem Stärkern zu gehorchen! –[57]
Inzwischen sag, wo steuerst du jetzt hin?
IRIS.
Ich? Zu den Menschen schickt mich Vater Zeus!
Ich soll sie mahnen, den olymp'schen Göttern
Zu opfern Schaf' und Ochsen, und die Straßen
Mit Fettdampf anzufüllen –
PISTHETAIROS.
Welchen Göttern?
IRIS.
Wem? Uns, den Göttern, die im Himmel thronen!
PISTHETAIROS.
Ihr – Götter?
IRIS.
Welche Götter gibt's denn sonst?
PISTHETAIROS.
Die Vögel sind jetzt Götter! Ihnen müssen
Die Menschen opfern, nicht, bei Zeus! dem Zeus.
IRIS.
»Tor, frevler Tor«, erwecke nicht den Grimm
Der Götter, daß nicht »Dike dein Geschlecht
Ausreute mit dem Rachekarst des Zeus«
Und mit »likymnischen Glutblitzen dich
Und deines Hauses Zinnen niederäschre!«
PISTHETAIROS.
Du, hör jetzt auf, den Schwall mir vorzusprudeln!
Glaubst du, du hast 'nen Lyder oder Phryger
Vor dir, den solcher Kinderpopanz schreckt?
Ich sag' dir: wenn mich Zeus noch weiter ärgert,
Werd' ich sein Marmorhaus, »Amphions Hallen«,
»Durch blitzumkrallende Adler niederäschern!«
Porphyrionen schick' ich in den Himmel
Nach ihm, beschwingte, pardelfellumhüllte,
Mehr als sechshundert: hat ihm doch ein einz'ger
Porphyrion schon heiß genug gemacht!
Dich, Zofe, krieg' ich, wenn du mich noch reizt,
Zuerst am Bein, und bohre durch und durch
Die Iris, daß sie staunen soll, wie rüstig
Ich alter Knab' noch Stoß auf Stoß versetze!
IRIS.
Erstick an deinen Worten, Niederträcht'ger![58]
PISTHETAIROS.
Hinaus mit dir! Husch, husch! Hinaus zum Tempel!
IRIS fortfliegend.
Mein Vater wird die Frechheit dir vertreiben!
PISTHETAIROS.
O weh, ich zittre! – Geh wo anders hin
Und schreck' und »äschre« jüngre Leute nieder!
CHOR.
Ja, wir verkünden euch
Göttern von Zeus' Geblüt:
Daß ihr durch unsre Stadt
Nie zu passieren wagt!
Keiner der Sterblichen
Sende vom Opferherd
Ihnen durch unser Reich
Weihrauch und Bratenduft!
PISTHETAIROS.
Seltsam! Der Herold, den wir an die Menschen
Gesandt, er ist noch immer nicht zurück!
Ein Vogel tritt auf als Herold.
HEROLD.
O Pisthetairos, o du Glücklichster,
Du Klügster, Weisester, Gepriesenster,
Geruh', o dreimal Sel'ger –
PISTHETAIROS.
Nun, heraus!
HEROLD.
Dich schmücken, deine Weisheit tief anbetend,
Mit diesem goldnen Kranz des Erdballs Völker.
Überreicht ihn.
PISTHETAIROS.
Schön Dank! Allein wie komm' ich zu der Ehre?
HEROLD.
Der weltberühmten Luftstadt hoher Gründer!
So weißt du nicht, wie dir die Menschen huld'gen,
Wieviel Verehrer du im Lande hast?
Eh' du die neue Stadt gebaut, war alles
Lakonomane, ging mit langem Haar,
War schmutzig, hungerte, trug Knotenstöcke,
Sokratisierte: jetzt dagegen gibt's[59]
Ornithomanen nur, und alles äfft
Mit wahrer Herzenslust die Vögel nach:
Gleich morgens fliegen aus dem Federbett
Sie aus wie wir zu ihrem Leib-Gericht,
Dann lassen auf Buchblättern sie sich nieder
Und weiden sich an fetten – Volksbeschlüssen.
So umgevogelt sind sie ganz und gar,
Daß viele jetzt schon Vögelnamen tragen:
Rebhuhn, zum Beispiel, heißt der hinkende
Weinschenk; Menippos: Schwalbe; Rabe heißt
Opuntios, der Einäugige; Fuchsente
Theagenes; Schopflerche heißt Philokles;
Lykurgos: Ibis; Syrakosios
Heißt: Elster; Chairephon: die Fledermaus,
Und Meidias dort
Nach den Zuschauerbänken deutend.
die Wachtel: denn er gleicht
Ihr ganz, wenn sie im Spiel Kopfnüsse kriegt.
Auch ihre Lieder all' sind vogeltümlich,
Und Schwalben sind in allen angebracht,
Kriekenten, Gänschen, Turteltäubchen, immer
Geflügel oder doch ein wenig Federn.
So steht es dort! – Nur dieses noch: Es kommen
Mehr als zehntausend gleich dort unten 'rauf,
Die wollen modische Klau'n und Flügel: schafft
Drum Federn an für all die Kolonisten!
PISTHETAIROS.
Potz Zeus, da dürfen wir nicht müßig stehn!
Zum Herold.
Du, lauf hinein und fülle Körb' und Kübel
Und Fässer an mit Federn!
Herold ab.
Zu einem Sklaven.
Manes, du
Spedierst sodann die Flügel hier vors Haus!
Und ich empfange hier die werten Gäste!
ERSTER HALBCHOR.
Bald wird als »männerreich« die Stadt[60]
Gepriesen sein auf Erden!
PISTHETAIROS nimmt dem Sklaven einen Korb voll Federn ab.
Glück zu! Es mag gelingen!
ERSTER HALBCHOR.
Sie schwärmen ja förmlich für unsre Stadt!
PISTHETAIROS zu den Sklaven.
Wie langsam! Macht doch schneller!
ERSTER HALBCHOR.
Denn was könnten hier Fremde,
Einwandrer vermissen,
Wo die Weisheit, die Liebe, ambrosische Lust
Und behagliche Ruhe mit heitrem Gesicht
Uns stets entgegenlächelt?
PISTHETAIROS zu dem Sklaven.
Wie träg' du bist, wie lendenlahm!
Willst du dich rühren, Schlingel?
ZWEITER HALBCHOR.
So mach dem Kerl nur Füße
Mit der Peitsche! Hurtig!
Er schlendert so lahm wie ein Esel daher!
PISTHETAIROS.
Faul ist und bleibt der Manes!
ZWEITER HALBCHOR.
Nun sortiere die Federn
Und leg sie in Ordnung,
Die prophetischen hier, die melodischen da,
Und die schwimmenden dort! Psychologischen Blicks
Verteilst du dann die Federn!
PISTHETAIROS zu den Sklaven.
Beim Schuhu! Länger seh' ich's nicht mit an:
Die Peitsche schwingend.
Ich helf' euch auf die Beine, faules Pack!
Ein ungeratener Sohn tritt auf und singt.
UNGERATENER SOHN.
»O wär' ich ein Adler in Lüften hoch
Und trügen mich über das wüste Gefild
Des blauen Meeres die Schwingen!«
PISTHETAIROS.
Ich seh', der Herold war kein Lügenbold![61]
Da kommt schon einer, der von Adlern singt.
UNGERATENER SOHN.
Nichts Süßres auf der Welt als Fliegen – herrlich
Ist doch die Vögelkonstitution!
Ich bin ganz vogeltoll, ich flieg', ich brenne
Bei euch zu sein, nach eurem Brauch zu leben!
PISTHETAIROS.
Nach welchem? Unsrer Bräuche sind gar viel!
UNGERATENER SOHN.
Nach allen, doch vor allen lob' ich mir
Den, daß man seinen Vater schlägt und beißt.
PISTHETAIROS.
Nun ja, wir halten's für Bravour an Jungen,
Wenn sie nach ihren Vätern hau'n und kratzen!
UNGERATENER SOHN.
Drum möcht' ich, naturalisiert bei euch,
Erwürgen meinen Vater und beerben.
PISTHETAIROS.
Gut! Doch wir Vögel haben ein Gesetz,
Uralt, im Storchenkodex aufbewahrt:
»Wenn seine Jungen, bis sie flügge sind,
Ein Storchenvater nährt und pflegt, dann sollen
Dafür die Jungen ihren Vater pflegen!«
UNGERATENER SOHN.
Das lohnt sich schon der Müh' hierherzukommen,
Wenn ich den Vater auch noch füttern soll!
PISTHETAIROS.
Nu, nu! – Weil du doch guten Willen zeigst,
Will ich als Waisenvogel dich befiedern.
»'Nen guten Rat«, mein Junge, »geb' ich dir
Darein, den ich als Knabe mir gemerkt«!
Schlag deinen Vater nicht! Da nimm den Flügel
Und hier den Hahnensporn, und diesen Busch
Nimm für 'nen Hahnenkamm,
Gibt ihm Schild, Schwert und Helm.
und zieh ins Feld,
Steh Wache, schlag dich durch mit deiner Löhnung,
Laß deinen Vater leben! – Willst du kämpfen,[62]
Flieg hin nach Thrakien und kämpfe dort!
UNGERATENER SOHN.
Beim Dionysos! nicht der schlimmste Rat!
Ich folge dir!
Ab.
PISTHETAIROS.
Das wird das klügste sein!
Kinesias tritt auf und singt.
KINESIAS.
»Auf zum Olymp feurigen Schwungs
Flieg' ich mit flüchtigem Fittich!«
Vagabundisch flieg' auf den Bahnen des Lieds
Kühn ich herum –
PISTHETAIROS.
Das Wesen braucht allein 'ne Ladung Federn!
KINESIAS.
Und dem Neuesten stets
Huldig' ich, stark so am Geist wie am Leib!
PISTHETAIROS.
Du da, Kinesias, Mann von Lindenholz!
Was schwebelt hier dein Säbelbein herum?
KINESIAS.
In ein Vöglein wär' ich, die Nachtigall,
Die melodische, gerne verwandelt!
PISTHETAIROS.
Nun laß das Trillern! Sprich in schlichten Worten!
KINESIAS.
Von dir beflügelt möcht' ich hoch mich schwingen
Und aus den Wolken mir schneeflockenduft'ge,
Windsbrautumsauste Dithyramben holen!
PISTHETAIROS.
Wer wird sich aus den Wolken Lieder holen?
KINESIAS.
An diese knüpft sich unsre ganze Kunst!
Ein Dithyramb, ein glänzender, muß luftig,
Recht dunkel, nebelhaft und nachtblau sein,
Und sturmbefitticht – etwa so – vernimm!
PISTHETAIROS.
Bedanke mich!
KINESIAS.
Nein, beim Herakles, nein!
Die ganze Luft durchflieg' ich gleich mit dir:
Singt.
Die Gebilde der luftdurchsteuernden,
Halsausreckenden Vögel –[63]
PISTHETAIROS.
O hop, halt ein!
KINESIAS.
Wohl über die Wogen, wie Windeswehen,
Die wallenden, wünsch' ich zu wandeln –
PISTHETAIROS.
Wart, Wicht, den Winden weisen wir den Weg!
Packt ihn und dreht ihn rechts und links herum.
KINESIAS singt dazu.
Bald gegen den Süd hinsteuernd und bald
In des Boreas Kühle die Glieder getaucht,
Hafenlos luftige Furchen durchschneidend –
Sprechend.
Sehr artig, Alter, muß gestehn, recht fein!
PISTHETAIROS reißt ihn herum.
So sturmbefitticht – bist du nicht zufrieden?
KINESIAS.
Das beutst du mir, dem Dithyrambenmeister,
Um den die Stämme jedes Jahr sich reißen?
PISTHETAIROS.
Hör, willst du, hagrer Leotrophides,
Hier bleiben und 'nen Vogelchor einüben
Für den Kerkopenstamm?
KINESIAS.
Du spottest mein!
Ich aber sag' dir: ruhen werd' ich nicht,
Bis ich beflügelt durch die Lüfte schwebe.
Ab.
Ein Sykophant tritt auf.
SYKOPHANT.
»Was für Vögel sind denn das, von Gefieder bunt«,
Doch im übrigen bettelarm?
Sprich, »du flügelausreckende, bunte Schwalbe!«
PISTHETAIROS.
Nun kommt die schwere Not uns auf den Hals!
Da gluckst und überläuft uns wieder einer.
SYKOPHANT.
Noch einmal: »flügelausreckende, bunte« –
PISTHETAIROS.
Der, scheint es, spielt auf seinen Mantel an:
Der braucht wohl mehr als einer Schwalbe Flaum.[64]
SYKOPHANT.
Wer sorgt hier für Befiederung der Fremden?
PISTHETAIROS.
Der Mann bin ich! Was steht zu Dienst? Sag an!
SYKOPHANT.
Ei, Flügel, Flügel! Was bedarf's der Frage?
PISTHETAIROS.
Du denkst wohl nach Pellene hinzufliegen?
SYKOPHANT.
O nein, ich bin Gerichtsbot' auf den Inseln
Herum und –
PISTHETAIROS.
Sykophant? – Ein schönes Amt!
SYKOPHANT.
Prozeßaufspürer! Um von Stadt zu Stadt
Zitierend mich zu schwingen, brauch' ich Flügel.
PISTHETAIROS.
Geht das Zitieren denn mit Flügeln besser?
SYKOPHANT.
O nein, es ist nur der Piraten wegen!
Und heim dann kehr' ich mit den Kranichen,
Statt mit Ballast den Kropf gefüllt mit – Klagen!
PISTHETAIROS.
Das ist dein Handwerk also! Noch so jung
Und schon Spion und Sykophant auf Reisen?
SYKOPHANT.
Was soll ich machen? Graben kann ich nicht –
PISTHETAIROS.
Es gibt, bei Gott, doch ehrliche Gewerbe,
Von denen sich ein Mensch in deinem Alter
Ernähren sollt', und nicht vom Händelstiften!
SYKOPHANT.
Salbader! Flügel brauch' ich, nicht Moral!
PISTHETAIROS.
Mit meinem Wort beflügl' ich dich!
SYKOPHANT.
Wie soll
Mich das beflügeln?
PISTHETAIROS.
Ei, durch Worte macht
Man jedem Flügel!
SYKOPHANT.
So?
PISTHETAIROS.
Und hast du nie
Gehört, wie Väter in den Baderstuben
Vor jungen Leuten manchmal also sprachen:
›Mein Jung' hat Schwung, Diitrephes beflügelt
Ihn durch sein Wort – zum Reiten und zum Fahren!‹
Ein andrer meint: der seine habe Schwung[65]
Fürs Trauerspiel, hochfliegend sei sein Geist –
SYKOPHANT.
So könnten Worte Flügel geben?
PISTHETAIROS.
Freilich!
Durch Worte schwingt der Genius sich auf,
Der Mensch erhebt sich! – Und so will auch ich
Mit wohlgemeinten Worten dich beflügeln
Zur Ehrlichkeit –
SYKOPHANT.
Das willst du? – Ich will nicht!
PISTHETAIROS.
Was willst du denn?
SYKOPHANT.
Nicht schänden mein Geschlecht!
Ererbt hab' ich das Sykophantenhandwerk:
Drum gib mir schnelle, leichte Fittiche,
Vom Habicht oder Falken, daß die Fremden
Ich herzitieren, hier verklagen kann
Und dann ausfliegen abermals –
PISTHETAIROS.
Verstehe!
Du meinst: gerichtet soll der Fremde sein,
Noch eh' er hier ist?
SYKOPHANT.
Völlig meine Meinung!
PISTHETAIROS.
Er schifft hierher, indes du dorthin fliegst,
Um sein Vermögen wegzukapern?
SYKOPHANT.
Wohl!
Flink wie ein Kreisel muß das gehn!
PISTHETAIROS.
Verstehe!
Ganz wie ein Kreisel! – Ei, da hab' ich eben
Scharmante Flügel von Kerkyra – schau!
Zeigt ihm die Peitsche.
SYKOPHANT.
Au weh, die Knute!
PISTHETAIROS.
Schwingen sind's, mit denen
Du mir hinschwirren sollst ›flink wie ein Kreisel!‹
Peitscht ihn durch.
SYKOPHANT.
Au, au![66]
PISTHETAIROS.
So fliege doch, Halunke, fliege!
Erzgauner, tummle dich, frischauf! – Ich will
Die Rechtsverdreherpraxis dir versalzen!
Sykophant ab.
Zu den Sklaven.
Nun packt die Federn ein! Wir wollen gehn!
Ab.
ERSTER HALBCHOR.
Viel des Neuen, Wunderbaren
Haben wir auf unserm Flug
Schon gesehn! Vernehmt und staunet:
Aufgeschossen, fern von Kardia,
Ist ein seltsam fremder Baum,
Und der heißt: Kleonymos –
Ist im Grund zu nichts zu brauchen,
Aber stämmig sonst und groß;
Sykophantenfrüchte trägt er
Stets im Frühling, goldumlaubte, –
Aber nackt im Wintersturme
Steht er da, schildblätterlos!
ZWEITER HALBCHOR.
In der ampellosen Wüste,
Der ägypt'schen Finsternis
Nah gelegen ist ein Land;
Allda schmausen und verkehren
Menschen mit Heroen immer
Früh, doch spät am Abend nicht!
Denn geheuer ist es nicht,
Ihnen zu begegnen nachts:
Würd' ein Sterblicher dem Heros
Da begegnen, dem Orestes, –
Schwer vom Schlag getroffen würd' er,
Ausgezogen bis aufs Hemd!
Ausgewählte Ausgaben von
Die Vögel
|
Buchempfehlung
Der junge Vagabund Florin kann dem Grafen Schwarzenberg während einer Jagd das Leben retten und begleitet ihn als Gast auf sein Schloß. Dort lernt er Juliane, die Tochter des Grafen, kennen, die aber ist mit Eduard von Usingen verlobt. Ob das gut geht?
134 Seiten, 7.80 Euro
Buchempfehlung
Romantik! Das ist auch – aber eben nicht nur – eine Epoche. Wenn wir heute etwas romantisch finden oder nennen, schwingt darin die Sehnsucht und die Leidenschaft der jungen Autoren, die seit dem Ausklang des 18. Jahrhundert ihre Gefühlswelt gegen die von der Aufklärung geforderte Vernunft verteidigt haben. So sind vor 200 Jahren wundervolle Erzählungen entstanden. Sie handeln von der Suche nach einer verlorengegangenen Welt des Wunderbaren, sind melancholisch oder mythisch oder märchenhaft, jedenfalls aber romantisch - damals wie heute. Michael Holzinger hat für diese preiswerte Leseausgabe elf der schönsten romantischen Erzählungen ausgewählt.
442 Seiten, 16.80 Euro