Dritte Szene

[53] Der Chor. Pisthetairos. Dann: Boten. Iris. Ein Herold. Ein ungeratener Sohn. Kinesias. Ein Sykophant.


PISTHETAIROS.

Das Opfer lief noch günstig ab, ihr Vögel! –

Warum vom Mauerbau kein Bote noch

Uns Meldung bringt, wie's droben steht? – Doch sieh,

Da kommt ja mit Alpheioshast schon einer!


Ein Vogel tritt auf als Bote.


BOTE keuchend.

Wo, wo, wo ist, wo ist er wohl, wo ist

Der Archon Pisthetairos?

PISTHETAIROS.

Hier bin ich!

BOTE.

Die Mauer ist gebaut!

PISTHETAIROS.

Willkommne Botschaft!

BOTE.

Ein Wunderwerk von kolossaler Pracht,

So breit, daß drauf Proxenides aus Prahlheim

Und Held Theagenes mit zwei Karossen[53]

Und Rossen, wie das troische, bequem

Vorüber aneinander jagen –

PISTHETAIROS.

Oh!

BOTE.

Die Höh' – »ich hab' sie selber ausgemessen« –

Ist hundert Klafter!

PISTHETAIROS.

Hoch, erstaunlich hoch!

Wer hat denn dieses Riesenwerk erbaut?

BOTE.

Die Vögel! – Kein ägypt'scher Ziegler half,

Kein Zimmermann, kein Steinmetz! – Sie allein

Mit eigner Hand vollbrachten's! Staunend sah ich's:

Es kamen dreißigtausend Kraniche

Aus Libyen, mit Grundsteinen in den Kröpfen,

Die von den Schnärzen dann behauen wurden;

Backsteine lieferten zehntausend Störche,

Und Wasser trugen in die Luft hinauf

Die Taucher und die andern Wasservögel.

PISTHETAIROS.

Wer trug den Lehm denn ihnen zu?

BOTE.

Die Reiher,

In Kübeln –

PISTHETAIROS.

Und wie füllten sie sie denn?

BOTE.

Gar sinnreich, Bester, stellten sie das an!

Die Gänse patschten, mit den Füßen schaufelnd,

Drin 'rum und schlenkerten ihn in den Kübel.

PISTHETAIROS.

»Was alles doch die Füße nicht vermögen!«

BOTE.

Ja selbst die Enten schleppten, hochgegürtet,

Backstein'; und hintendrein, mit Kellen oben

Am Rücken, wie Lehrbuben, und die Schnäbel

Voll Lehm – so kamen Schwalben angeflogen.

PISTHETAIROS.

Wer wird jetzt noch zum Bau'n Taglöhner dingen? –

Doch sagt, wer hat die Zimmerarbeit denn

Gemacht?

BOTE.

Die Zimmerleute waren Vögel,[54]

Geschickte Tannenpicker: die behackten

Das Holz zu Flügeltüren, und das pickte

Und sägt' und hämmerte, wie auf der Schiffswerft.

Und nun ist alles wohlverwahrt mit Toren,

Mit Schloß und Riegel, und rundum bewacht:

Patrouillen ziehn herum, die Glocke schellt,

Wachtposten überall, und Feuerzeichen

Auf allen Türmen! – Doch nun muß ich gehn,

Mich abzuwaschen! Sorge du jetzt weiter!


Ab.


CHORFÜHRER zu Pisthetairos.

Du, nun, was ist dir? Staunst du, daß die Mauer

Mit solcher Schnelligkeit zustande kam?

PISTHETAIROS.

Bei allen Göttern, ja, es ist zum Staunen!

Es sieht in Wahrheit aus wie eine Lüge!

Doch sieh, da stürzt ein Wächter von der Höh'

Grad auf uns zu, mit Waffentänzerblicken!


Zweiter Bote tritt auf.


BOTE.

O weh, o weh, o weh, o weh, o weh!

PISTHETAIROS.

Was gibt's?

BOTE.

Entsetzliches ist vorgefallen!

Der Götter einer, von dem Hof des Zeus,

Flog eben durch das Stadttor, unbemerkt

Von unsrer Dohlenwacht, hier in die Luft!

PISTHETAIROS.

Abscheulicher, verruchter Frevel! Ha,

Wer ist der Gott?

BOTE.

Wir wissen nichts, als nur:

Er hatte Flügel!

PISTHETAIROS.

Und ihr verfolgtet ihn

Nicht gleich mit Grenzbereitern?

BOTE.

Doch! Wir schickten

Gleich dreißigtausend Falken, reisige Jäger,

Ihm nach: was Krallen hat, ist ausgerückt,

Turmeule, Bussard, Geier, Weih und Adler;[55]

Vom Flügelschwirren, Kreischen, Rauschen dröhnt

Die Luft, sie alle fahnden nach dem Gott.

Fern ist er nicht, er steckt wohl hier herum

Schon irgendwo!


Ab.


PISTHETAIROS.

Zur Schleuder greift, zum Bogen!

Es wappne sich die ganze Dienerschaft!

Hierher! Legt an! Mir eine Schleuder! Schießt!


Getümmel.


CHOR.

Krieg! Zu den Waffen! Krieg,

Unerhört blutiger,

Wider die Götter! Auf,

Schließet mit Wachen ein

Rund den umwölkten Raum,

Erebos' Kind, die Luft,

Daß nicht der Gott uns hier

Durchschlüpft im Luftrevier!

CHORFÜHRER.

Schaut all' euch um und paßt wohl auf! »Er schwebt

Schon in der Näh' herum, der Gott! Zu hören

Ist schon das Rauschen seines Flügelschlags!«


Iris fliegt herab.


PISTHETAIROS.

He, Jüngferchen, wo fliegst du hin? Nur sacht!

Halt stille! Rühr dich nicht! Ich sag' dir: Halt!

Wer bist du, he? Woher? Wo kommst du her?

IRIS.

Ich komme von den Göttern des Olymps.

PISTHETAIROS.

Wie nennst du dich denn? Schlapphut oder Boot?

IRIS.

Iris, die schnelle Botin!

PISTHETAIROS.

So? Ein Boot?

Salaminia oder Paralos?

IRIS.

Was meinst du?

PISTHETAIROS.

Geht denn kein Stößer auf sie los?[56]

IRIS.

Auf mich?

Was soll das geben?

PISTHETAIROS.

Dir den Jungfernstoß!

IRIS.

Bist du verrückt?

PISTHETAIROS.

Zu welchem Tor der Festung

Bist du hereingekommen, freche Dirne?

IRIS.

Durch welches Tor? Bei Zeus, das weiß ich nicht!

PISTHETAIROS zum Chor.

Hört, wie sie schnippisch tut!


Zu Iris.


Du warst doch auf

Der Dohlenhauptwacht? He? Du ließ'st den Paß

Dir auf der Storchenpolizei visieren?

Nicht?

IRIS.

Unsinn!

PISTHETAIROS.

Nicht?

IRIS.

Bist du bei Trost?

PISTHETAIROS.

So gab

Kein Vogeloffizier dir eine Marke?

IRIS.

Du Narr, wer wird mir was gegeben haben!

PISTHETAIROS.

So, so! Du fliegst da nur so mir nichts dir nichts

Durch fremdes Stadtgebiet, durch unsre Luft?

IRIS.

Wo durch denn sollen sonst die Götter fliegen?

PISTHETAIROS.

Das weiß ich nicht, bei Zeus! Nur hier durch nicht!

IRIS.

Du frevelst!

PISTHETAIROS.

Weißt du, daß nach dem, was du

Getan, von sämtlichen Irissen keiner

Mehr recht geschäh' als dir, wenn wir dich henkten?

IRIS.

Ich bin unsterblich!

PISTHETAIROS.

Sterben müßtest du

Trotzdem! Das wär' ja gar zu toll, wenn wir,

Die Herrn der Welt, euch Götter machen ließen,

Was euch gelüstet! Merkt's einmal: die Reih'

Ist nun an euch, dem Stärkern zu gehorchen! –[57]

Inzwischen sag, wo steuerst du jetzt hin?

IRIS.

Ich? Zu den Menschen schickt mich Vater Zeus!

Ich soll sie mahnen, den olymp'schen Göttern

Zu opfern Schaf' und Ochsen, und die Straßen

Mit Fettdampf anzufüllen –

PISTHETAIROS.

Welchen Göttern?

IRIS.

Wem? Uns, den Göttern, die im Himmel thronen!

PISTHETAIROS.

Ihr – Götter?

IRIS.

Welche Götter gibt's denn sonst?

PISTHETAIROS.

Die Vögel sind jetzt Götter! Ihnen müssen

Die Menschen opfern, nicht, bei Zeus! dem Zeus.

IRIS.

»Tor, frevler Tor«, erwecke nicht den Grimm

Der Götter, daß nicht »Dike dein Geschlecht

Ausreute mit dem Rachekarst des Zeus«

Und mit »likymnischen Glutblitzen dich

Und deines Hauses Zinnen niederäschre!«

PISTHETAIROS.

Du, hör jetzt auf, den Schwall mir vorzusprudeln!

Glaubst du, du hast 'nen Lyder oder Phryger

Vor dir, den solcher Kinderpopanz schreckt?

Ich sag' dir: wenn mich Zeus noch weiter ärgert,

Werd' ich sein Marmorhaus, »Amphions Hallen«,

»Durch blitzumkrallende Adler niederäschern!«

Porphyrionen schick' ich in den Himmel

Nach ihm, beschwingte, pardelfellumhüllte,

Mehr als sechshundert: hat ihm doch ein einz'ger

Porphyrion schon heiß genug gemacht!

Dich, Zofe, krieg' ich, wenn du mich noch reizt,

Zuerst am Bein, und bohre durch und durch

Die Iris, daß sie staunen soll, wie rüstig

Ich alter Knab' noch Stoß auf Stoß versetze!

IRIS.

Erstick an deinen Worten, Niederträcht'ger![58]

PISTHETAIROS.

Hinaus mit dir! Husch, husch! Hinaus zum Tempel!

IRIS fortfliegend.

Mein Vater wird die Frechheit dir vertreiben!

PISTHETAIROS.

O weh, ich zittre! – Geh wo anders hin

Und schreck' und »äschre« jüngre Leute nieder!

CHOR.

Ja, wir verkünden euch

Göttern von Zeus' Geblüt:

Daß ihr durch unsre Stadt

Nie zu passieren wagt!

Keiner der Sterblichen

Sende vom Opferherd

Ihnen durch unser Reich

Weihrauch und Bratenduft!

PISTHETAIROS.

Seltsam! Der Herold, den wir an die Menschen

Gesandt, er ist noch immer nicht zurück!


Ein Vogel tritt auf als Herold.


HEROLD.

O Pisthetairos, o du Glücklichster,

Du Klügster, Weisester, Gepriesenster,

Geruh', o dreimal Sel'ger –

PISTHETAIROS.

Nun, heraus!

HEROLD.

Dich schmücken, deine Weisheit tief anbetend,

Mit diesem goldnen Kranz des Erdballs Völker.


Überreicht ihn.


PISTHETAIROS.

Schön Dank! Allein wie komm' ich zu der Ehre?

HEROLD.

Der weltberühmten Luftstadt hoher Gründer!

So weißt du nicht, wie dir die Menschen huld'gen,

Wieviel Verehrer du im Lande hast?

Eh' du die neue Stadt gebaut, war alles

Lakonomane, ging mit langem Haar,

War schmutzig, hungerte, trug Knotenstöcke,

Sokratisierte: jetzt dagegen gibt's[59]

Ornithomanen nur, und alles äfft

Mit wahrer Herzenslust die Vögel nach:

Gleich morgens fliegen aus dem Federbett

Sie aus wie wir zu ihrem Leib-Gericht,

Dann lassen auf Buchblättern sie sich nieder

Und weiden sich an fetten – Volksbeschlüssen.

So umgevogelt sind sie ganz und gar,

Daß viele jetzt schon Vögelnamen tragen:

Rebhuhn, zum Beispiel, heißt der hinkende

Weinschenk; Menippos: Schwalbe; Rabe heißt

Opuntios, der Einäugige; Fuchsente

Theagenes; Schopflerche heißt Philokles;

Lykurgos: Ibis; Syrakosios

Heißt: Elster; Chairephon: die Fledermaus,

Und Meidias dort


Nach den Zuschauerbänken deutend.


die Wachtel: denn er gleicht

Ihr ganz, wenn sie im Spiel Kopfnüsse kriegt.

Auch ihre Lieder all' sind vogeltümlich,

Und Schwalben sind in allen angebracht,

Kriekenten, Gänschen, Turteltäubchen, immer

Geflügel oder doch ein wenig Federn.

So steht es dort! – Nur dieses noch: Es kommen

Mehr als zehntausend gleich dort unten 'rauf,

Die wollen modische Klau'n und Flügel: schafft

Drum Federn an für all die Kolonisten!

PISTHETAIROS.

Potz Zeus, da dürfen wir nicht müßig stehn!


Zum Herold.


Du, lauf hinein und fülle Körb' und Kübel

Und Fässer an mit Federn!


Herold ab.

Zu einem Sklaven.


Manes, du

Spedierst sodann die Flügel hier vors Haus!

Und ich empfange hier die werten Gäste!

ERSTER HALBCHOR.

Bald wird als »männerreich« die Stadt[60]

Gepriesen sein auf Erden!

PISTHETAIROS nimmt dem Sklaven einen Korb voll Federn ab.

Glück zu! Es mag gelingen!

ERSTER HALBCHOR.

Sie schwärmen ja förmlich für unsre Stadt!

PISTHETAIROS zu den Sklaven.

Wie langsam! Macht doch schneller!

ERSTER HALBCHOR.

Denn was könnten hier Fremde,

Einwandrer vermissen,

Wo die Weisheit, die Liebe, ambrosische Lust

Und behagliche Ruhe mit heitrem Gesicht

Uns stets entgegenlächelt?

PISTHETAIROS zu dem Sklaven.

Wie träg' du bist, wie lendenlahm!

Willst du dich rühren, Schlingel?

ZWEITER HALBCHOR.

So mach dem Kerl nur Füße

Mit der Peitsche! Hurtig!

Er schlendert so lahm wie ein Esel daher!

PISTHETAIROS.

Faul ist und bleibt der Manes!

ZWEITER HALBCHOR.

Nun sortiere die Federn

Und leg sie in Ordnung,

Die prophetischen hier, die melodischen da,

Und die schwimmenden dort! Psychologischen Blicks

Verteilst du dann die Federn!

PISTHETAIROS zu den Sklaven.

Beim Schuhu! Länger seh' ich's nicht mit an:


Die Peitsche schwingend.


Ich helf' euch auf die Beine, faules Pack!


Ein ungeratener Sohn tritt auf und singt.


UNGERATENER SOHN.

»O wär' ich ein Adler in Lüften hoch

Und trügen mich über das wüste Gefild

Des blauen Meeres die Schwingen!«

PISTHETAIROS.

Ich seh', der Herold war kein Lügenbold![61]

Da kommt schon einer, der von Adlern singt.

UNGERATENER SOHN.

Nichts Süßres auf der Welt als Fliegen – herrlich

Ist doch die Vögelkonstitution!

Ich bin ganz vogeltoll, ich flieg', ich brenne

Bei euch zu sein, nach eurem Brauch zu leben!

PISTHETAIROS.

Nach welchem? Unsrer Bräuche sind gar viel!

UNGERATENER SOHN.

Nach allen, doch vor allen lob' ich mir

Den, daß man seinen Vater schlägt und beißt.

PISTHETAIROS.

Nun ja, wir halten's für Bravour an Jungen,

Wenn sie nach ihren Vätern hau'n und kratzen!

UNGERATENER SOHN.

Drum möcht' ich, naturalisiert bei euch,

Erwürgen meinen Vater und beerben.

PISTHETAIROS.

Gut! Doch wir Vögel haben ein Gesetz,

Uralt, im Storchenkodex aufbewahrt:

»Wenn seine Jungen, bis sie flügge sind,

Ein Storchenvater nährt und pflegt, dann sollen

Dafür die Jungen ihren Vater pflegen!«

UNGERATENER SOHN.

Das lohnt sich schon der Müh' hierherzukommen,

Wenn ich den Vater auch noch füttern soll!

PISTHETAIROS.

Nu, nu! – Weil du doch guten Willen zeigst,

Will ich als Waisenvogel dich befiedern.

»'Nen guten Rat«, mein Junge, »geb' ich dir

Darein, den ich als Knabe mir gemerkt«!

Schlag deinen Vater nicht! Da nimm den Flügel

Und hier den Hahnensporn, und diesen Busch

Nimm für 'nen Hahnenkamm,


Gibt ihm Schild, Schwert und Helm.


und zieh ins Feld,

Steh Wache, schlag dich durch mit deiner Löhnung,

Laß deinen Vater leben! – Willst du kämpfen,[62]

Flieg hin nach Thrakien und kämpfe dort!

UNGERATENER SOHN.

Beim Dionysos! nicht der schlimmste Rat!

Ich folge dir!


Ab.


PISTHETAIROS.

Das wird das klügste sein!


Kinesias tritt auf und singt.


KINESIAS.

»Auf zum Olymp feurigen Schwungs

Flieg' ich mit flüchtigem Fittich!«

Vagabundisch flieg' auf den Bahnen des Lieds

Kühn ich herum –

PISTHETAIROS.

Das Wesen braucht allein 'ne Ladung Federn!

KINESIAS.

Und dem Neuesten stets

Huldig' ich, stark so am Geist wie am Leib!

PISTHETAIROS.

Du da, Kinesias, Mann von Lindenholz!

Was schwebelt hier dein Säbelbein herum?

KINESIAS.

In ein Vöglein wär' ich, die Nachtigall,

Die melodische, gerne verwandelt!

PISTHETAIROS.

Nun laß das Trillern! Sprich in schlichten Worten!

KINESIAS.

Von dir beflügelt möcht' ich hoch mich schwingen

Und aus den Wolken mir schneeflockenduft'ge,

Windsbrautumsauste Dithyramben holen!

PISTHETAIROS.

Wer wird sich aus den Wolken Lieder holen?

KINESIAS.

An diese knüpft sich unsre ganze Kunst!

Ein Dithyramb, ein glänzender, muß luftig,

Recht dunkel, nebelhaft und nachtblau sein,

Und sturmbefitticht – etwa so – vernimm!

PISTHETAIROS.

Bedanke mich!

KINESIAS.

Nein, beim Herakles, nein!

Die ganze Luft durchflieg' ich gleich mit dir:


Singt.


Die Gebilde der luftdurchsteuernden,

Halsausreckenden Vögel –[63]

PISTHETAIROS.

O hop, halt ein!

KINESIAS.

Wohl über die Wogen, wie Windeswehen,

Die wallenden, wünsch' ich zu wandeln –

PISTHETAIROS.

Wart, Wicht, den Winden weisen wir den Weg!


Packt ihn und dreht ihn rechts und links herum.


KINESIAS singt dazu.

Bald gegen den Süd hinsteuernd und bald

In des Boreas Kühle die Glieder getaucht,

Hafenlos luftige Furchen durchschneidend –


Sprechend.


Sehr artig, Alter, muß gestehn, recht fein!

PISTHETAIROS reißt ihn herum.

So sturmbefitticht – bist du nicht zufrieden?

KINESIAS.

Das beutst du mir, dem Dithyrambenmeister,

Um den die Stämme jedes Jahr sich reißen?

PISTHETAIROS.

Hör, willst du, hagrer Leotrophides,

Hier bleiben und 'nen Vogelchor einüben

Für den Kerkopenstamm?

KINESIAS.

Du spottest mein!

Ich aber sag' dir: ruhen werd' ich nicht,

Bis ich beflügelt durch die Lüfte schwebe.


Ab.

Ein Sykophant tritt auf.


SYKOPHANT.

»Was für Vögel sind denn das, von Gefieder bunt«,

Doch im übrigen bettelarm?

Sprich, »du flügelausreckende, bunte Schwalbe!«

PISTHETAIROS.

Nun kommt die schwere Not uns auf den Hals!

Da gluckst und überläuft uns wieder einer.

SYKOPHANT.

Noch einmal: »flügelausreckende, bunte« –

PISTHETAIROS.

Der, scheint es, spielt auf seinen Mantel an:

Der braucht wohl mehr als einer Schwalbe Flaum.[64]

SYKOPHANT.

Wer sorgt hier für Befiederung der Fremden?

PISTHETAIROS.

Der Mann bin ich! Was steht zu Dienst? Sag an!

SYKOPHANT.

Ei, Flügel, Flügel! Was bedarf's der Frage?

PISTHETAIROS.

Du denkst wohl nach Pellene hinzufliegen?

SYKOPHANT.

O nein, ich bin Gerichtsbot' auf den Inseln

Herum und –

PISTHETAIROS.

Sykophant? – Ein schönes Amt!

SYKOPHANT.

Prozeßaufspürer! Um von Stadt zu Stadt

Zitierend mich zu schwingen, brauch' ich Flügel.

PISTHETAIROS.

Geht das Zitieren denn mit Flügeln besser?

SYKOPHANT.

O nein, es ist nur der Piraten wegen!

Und heim dann kehr' ich mit den Kranichen,

Statt mit Ballast den Kropf gefüllt mit – Klagen!

PISTHETAIROS.

Das ist dein Handwerk also! Noch so jung

Und schon Spion und Sykophant auf Reisen?

SYKOPHANT.

Was soll ich machen? Graben kann ich nicht –

PISTHETAIROS.

Es gibt, bei Gott, doch ehrliche Gewerbe,

Von denen sich ein Mensch in deinem Alter

Ernähren sollt', und nicht vom Händelstiften!

SYKOPHANT.

Salbader! Flügel brauch' ich, nicht Moral!

PISTHETAIROS.

Mit meinem Wort beflügl' ich dich!

SYKOPHANT.

Wie soll

Mich das beflügeln?

PISTHETAIROS.

Ei, durch Worte macht

Man jedem Flügel!

SYKOPHANT.

So?

PISTHETAIROS.

Und hast du nie

Gehört, wie Väter in den Baderstuben

Vor jungen Leuten manchmal also sprachen:

›Mein Jung' hat Schwung, Diitrephes beflügelt

Ihn durch sein Wort – zum Reiten und zum Fahren!‹

Ein andrer meint: der seine habe Schwung[65]

Fürs Trauerspiel, hochfliegend sei sein Geist –

SYKOPHANT.

So könnten Worte Flügel geben?

PISTHETAIROS.

Freilich!

Durch Worte schwingt der Genius sich auf,

Der Mensch erhebt sich! – Und so will auch ich

Mit wohlgemeinten Worten dich beflügeln

Zur Ehrlichkeit –

SYKOPHANT.

Das willst du? – Ich will nicht!

PISTHETAIROS.

Was willst du denn?

SYKOPHANT.

Nicht schänden mein Geschlecht!

Ererbt hab' ich das Sykophantenhandwerk:

Drum gib mir schnelle, leichte Fittiche,

Vom Habicht oder Falken, daß die Fremden

Ich herzitieren, hier verklagen kann

Und dann ausfliegen abermals –

PISTHETAIROS.

Verstehe!

Du meinst: gerichtet soll der Fremde sein,

Noch eh' er hier ist?

SYKOPHANT.

Völlig meine Meinung!

PISTHETAIROS.

Er schifft hierher, indes du dorthin fliegst,

Um sein Vermögen wegzukapern?

SYKOPHANT.

Wohl!

Flink wie ein Kreisel muß das gehn!

PISTHETAIROS.

Verstehe!

Ganz wie ein Kreisel! – Ei, da hab' ich eben

Scharmante Flügel von Kerkyra – schau!


Zeigt ihm die Peitsche.


SYKOPHANT.

Au weh, die Knute!

PISTHETAIROS.

Schwingen sind's, mit denen

Du mir hinschwirren sollst ›flink wie ein Kreisel!‹


Peitscht ihn durch.


SYKOPHANT.

Au, au![66]

PISTHETAIROS.

So fliege doch, Halunke, fliege!

Erzgauner, tummle dich, frischauf! – Ich will

Die Rechtsverdreherpraxis dir versalzen!


Sykophant ab.

Zu den Sklaven.


Nun packt die Federn ein! Wir wollen gehn!


Ab.


ERSTER HALBCHOR.

Viel des Neuen, Wunderbaren

Haben wir auf unserm Flug

Schon gesehn! Vernehmt und staunet:

Aufgeschossen, fern von Kardia,

Ist ein seltsam fremder Baum,

Und der heißt: Kleonymos –

Ist im Grund zu nichts zu brauchen,

Aber stämmig sonst und groß;

Sykophantenfrüchte trägt er

Stets im Frühling, goldumlaubte, –

Aber nackt im Wintersturme

Steht er da, schildblätterlos!

ZWEITER HALBCHOR.

In der ampellosen Wüste,

Der ägypt'schen Finsternis

Nah gelegen ist ein Land;

Allda schmausen und verkehren

Menschen mit Heroen immer

Früh, doch spät am Abend nicht!

Denn geheuer ist es nicht,

Ihnen zu begegnen nachts:

Würd' ein Sterblicher dem Heros

Da begegnen, dem Orestes, –

Schwer vom Schlag getroffen würd' er,

Ausgezogen bis aufs Hemd!


Quelle:
Aristophanes: Sämtliche Komödien. Zürich 1952, Band 2, S. 53-67.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Die Vögel
Die Wolken. Die Vögel
Die Vögel
Die Vögel
Die Wolken - Die Vögel
Die Vögel: Deutsche Textfassung. Für die neuzeitliche Bühne eingerichtet und kommentiert von Sinn, Ulrich

Buchempfehlung

Hume, David

Dialoge über die natürliche Religion

Dialoge über die natürliche Religion

Demea, ein orthodox Gläubiger, der Skeptiker Philo und der Deist Cleanthes diskutieren den physiko-teleologischen Gottesbeweis, also die Frage, ob aus der Existenz von Ordnung und Zweck in der Welt auf einen intelligenten Schöpfer oder Baumeister zu schließen ist.

88 Seiten, 4.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Frühromantik

Große Erzählungen der Frühromantik

1799 schreibt Novalis seinen Heinrich von Ofterdingen und schafft mit der blauen Blume, nach der der Jüngling sich sehnt, das Symbol einer der wirkungsmächtigsten Epochen unseres Kulturkreises. Ricarda Huch wird dazu viel später bemerken: »Die blaue Blume ist aber das, was jeder sucht, ohne es selbst zu wissen, nenne man es nun Gott, Ewigkeit oder Liebe.« Diese und fünf weitere große Erzählungen der Frühromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe ausgewählt.

396 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon