Fünfte Szene

[181] Chor. Strepsiades. Pheidippides. Später Schüler des Sokrates. Sokrates. Chairephon.

Strepsiades stürzt aus dem Hause, hinter ihm drein sein Sohn, der nach ihm schlägt.


STREPSIADES.

Au, au!

Ihr Nachbarn, Freunde, Vettern, steht mir bei!

Helft! helft mir, wie ihr könnt! Er prügelt mich!

Mein Kopf, ach meine Backen! – O du Scheusal,

Du prügelst deinen Vater?

PHEIDIPPIDES.

Ja, mein Vater!

STREPSIADES zum Chor.

Seht, er gesteht's, daß er mich schlug!

PHEIDIPPIDES.

Warum nicht?

STREPSIADES.

Spitzbube, Straßenräuber, Vatermörder!

PHEIDIPPIDES.

Ich bitte, noch einmal und derber noch!

Du glaubst es nicht, wie mich dein Schimpfen freut!

STREPSIADES.

Schandbube!

PHEIDIPPIDES.

Streu mir doch noch mehr der Rosen!

STREPSIADES.

Du prügelst deinen Vater?

PHEIDIPPIDES.

Und mit Recht!

Das will ich dir beweisen!

STREPSIADES.

Was, du Unmensch?

Recht soll es sein, wenn man den Vater prügelt?

PHEIDIPPIDES.

Ich diene dir mit triftigen Beweisen.

STREPSIADES.

Das willst du mir beweisen?

PHEIDIPPIDES.

Ohne Müh'!

Nach welcher Logik soll ich dir's erhärten?

STREPSIADES.

Nach welcher –?

PHEIDIPPIDES.

Nach der guten oder schlechten?[182]

STREPSIADES.

So? Hab' ich darum dich studieren lassen

Die Kunst, dem Recht ein Schnippchen zu schlagen, um

Mir weiszumachen, daß mit Fug und Recht

Der Vater von dem Sohne Prügel kriegt?

PHEIDIPPIDES.

So gründlich hoff' ich dich zu überzeugen,

Daß du, du selbst mir nichts entgegenhältst.

STREPSIADES.

Nun, auf die Rede bin ich doch begierig!

CHORFÜHRERIN.

Jetzt, Alter, ist's an dir, dich zu besinnen, wie

Du ihn überwältigst.

Denn wär' er seiner Sache nicht gewiß, er wär'

Doch nicht so vermessen!

Wer weiß, worauf er pocht! So zuversichtlich spricht

Nur, wer sich gedeckt weiß!

Wie hat sich aber zwischen euch doch dieser Zank entsponnen?

Das muß der Chor doch wissen: drum erzähl' es unverhohlen!

STREPSIADES.

So hört denn, was die Ursach' war, daß wir in Streit gerieten:

Wir schmausten eben, wie ihr wißt, die Tafel war vorüber,

Da fordert' ich ihn auf, ein Lied zur Leier mir zu singen,

Das von Simonides, ihr kennt's: »der Widder war geschoren!«

Da fuhr er auf: Altmodisch sei das Leiern und das Singen

Beim Trinken – wie die Weiber, wenn sie dürre Gerste mahlen.

PHEIDIPPIDES.

Hast du nicht Tritt und Prügel schon verdient, indem du singen

Mich hieß'st bei Tisch, als hättest du Zikaden zu bewirten?

STREPSIADES.

Ja, ja, so sprach er, auf ein Haar ganz ebenso, schon drinnen,

Und der Simonides – kurzweg, der sei ein schlechter Dichter![183]

Kaum hielt ich mich: doch wollt' ich nicht gleich anfangs mich ereifern

Und bat ihn: ›Nimm ein Myrtenreis zur Hand und rezitiere

Mir etwas aus dem Aischylos!‹ – ›Was?‹ fuhr er auf und sagte:

›Weißt du, daß Aischylos der Arsch ist unter den Poeten,

Pausbäckig, klaffend, ungeschlacht, hart, schwülstig, aufgedunsen?‹

Nun denkt euch, wie vor Ingrimm mir das Herz im Leibe pochte!

Gleichwohl verbiß ich meinen Zorn und sagte: ›Laß mich lieber

Was hören von den Neueren, was geistreich Elegantes!‹

Da sprach er aus Euripides die Stelle, wo der Bruder

– Gott helf' uns! – seiner Mutter Kind, die eigne Schwester schändet.

Jetzt hielt ich mich nicht mehr und riß ihn fürchterlich herunter

Und schimpft' ihn aus und schalt ihn derb: da gab nun, wie gebräuchlich,

Ein Wort das andre, bis zuletzt er aufsprang, fest mich packte,

Zu Boden warf und trat und schlug und fast zu Tod mich würgte!

PHEIDIPPIDES.

Mit Recht! Da du Euripides, den weisesten der Dichter,

Nicht lobtest.

STREPSIADES.

Was? Den Weisesten? O du – wie soll ich sagen?

Das setzt nun wieder Prügel!

PHEIDIPPIDES.

Ja, bei Zeus, und wohlverdiente!

STREPSIADES.

So? Wohlverdient? Du frecher Bub! Hab' ich dich nicht erzogen[184]

Und immer gleich erraten, was du lallend sagen wolltest?

Und schriest du: ›Bäh!‹ da lief ich gleich und brachte dir zu trinken.

Und sagtest du: ›Pap, pap!‹ da rannt' ich fort, den Brei zu holen.

Kaum hattest du: ›Äh! äh!‹ gesagt, da nahm ich dich und setzte

Dich vor die Tür und hielt dich – – Ha! und jetzt, du Bube, würgst du

Mich also? Und so laut ich rief

Und schrie: ich müsse kacken, trugst

Du doch mich nicht, verruchter Sohn,

Zur Tür hinaus, du klemmtest mich,

Bis drin ich Ääh machte!

CHORFÜHRERIN.

Ha, voll Erwartung hüpft jetzt wohl den jungen Herrn

Das Herz, was der Sohn spricht!

Denn wenn nach dem, was er getan, es ihm gelingt,

Sich sauber zu waschen:

Wer wird dann noch 'ne taube Nuß für euer Fell

Euch geben, ihr Alten?

Wohlan! Jetzt gilt's, du Held der neurhetorischen Manöver,

Die Sache zu beleuchten so, als wärst du ganz im Rechte.

PHEIDIPPIDES.

Wohl ist's ein Glück, vertraut zu sein mit dem System des Tages

Und hoch herabzusehen auf den Quark der alten Sitte:

Solang ich die Gedanken nur auf Roß und Wagen lenkte,

Vermocht' ich ohne Anstoß nicht drei Worte vorzubringen.

Seit mich mein Vater selbst von all den Possen abgezogen

Und ich mir Dialektik und Rhetorik angeeignet,

Jetzt zeig' ich klar: der Sohn hat recht, der seinen Vater prügelt![185]

STREPSIADES.

Ach, rößle doch, soviel du willst! Ich füttre dir ja lieber

Vier teure Gäul', als daß, o Greu'l, ich voller Beulen heule!

PHEIDIPPIDES.

Ich komme wieder auf den Satz, wo du mich unterbrochen,

Und frage dich vor allem: hast du mich als Kind geschlagen?

STREPSIADES.

Nun ja, aus Lieb' und Sorge nur für dich!

PHEIDIPPIDES.

Aha! Nun sage:

Ist's da nicht billig, daß auch ich dir meine Liebe zeige?

Warum soll deine Haut allein gesichert sein vor Prügeln,

Die meine nicht? Ich bin doch auch, bei Gott, ein Freigeborner!

»Die Kinder sollen heulen, doch der Vater nicht!« Weswegen?

Du sagst vielleicht, das sei einmal der Brauch so bei den Kindern?

Gut, sag' ich dann, die Alten sind bekanntlich zweimal Kinder,

Und zweimal mehr verdienen sie drum Prügel als die Jungen,

Da ihre Schuld auch größer ist, wenn sie sich doch vergehen.

STREPSIADES.

Nein, das verbeut in aller Welt doch das Gesetz den Kindern!

PHEIDIPPIDES.

Hat denn nicht aber dies Gesetz ursprünglich vorgeschlagen

Ein Mensch, wie ich und du, und dann es durchgesetzt mit Gründen?

Und was die Alten durften – darf ich ein Gesetz den Neuen nicht schaffen, demgemäß die Schläg' heimgibt der Sohn dem Vater?

Die Prügel, die wir kriegten, eh' noch dies Gesetz erlassen,

Die schenken wir euch überdies als längst verjährte Schulden. –[186]

Da sieh einmal die Hahnen an und andre solcher Tiere,

Die schenken ihren Vätern nichts: und doch – was unterscheidet

Sie denn von uns, als daß sie nicht wie wir Beschlüsse kritzeln?

STREPSIADES.

Ei, wenn in allem du es doch nachmachen willst den Hahnen,

Scharr doch dein Futter aus dem Mist, und schlaf auf einer Stange!

PHEIDIPPIDES.

Das ist ein andres, Freund, das ließ' auch Sokrates wohl bleiben!

STREPSIADES.

So laß auch du das Schlagen sein, sonst wirst du's noch bereuen!

PHEIDIPPIDES.

Wieso?

STREPSIADES.

Wie ich berechtigt bin, dich abzustrafen, also

Auch du, wenn dir geboren wird ein Sohn – –

PHEIDIPPIDES.

Und wird mir keiner,

Dann hab' ich ganz umsonst geheult, du – lachtest noch im Tode!

STREPSIADES gegen die Zuschauer.

Ihr Herren meines Alters, mir zwar scheint er recht zu haben:

Einräumen, denk' ich, muß man doch, was billig ist, den Jungen:

Tun wir, was wir nicht sollten, dann gehört auch uns die Rute!

PHEIDIPPIDES.

Noch einen Satz! Merk auf!

STREPSIADES.

Ich muß, sonst geht es mir ums Leben!

PHEIDIPPIDES.

Nein, leichter tröstest du danach dich über deine Schläge.

STREPSIADES.

Was meinst du? Welcher Vorteil soll mir noch daraus erwachsen?

PHEIDIPPIDES.

Die Mutter prügl' ich ebenso wie dich![187]

STREPSIADES.

Wie, was? Was sagst du?

Noch einen ärgern Frevel?

PHEIDIPPIDES.

Wie? und wenn ich nun als Anwalt

Der schlechten Sach' erhärten kann,

Pflicht sei's, die Mutter durchzubläun?

STREPSIADES.

Vermagst du das, dann bleibt dir nichts

Mehr übrig, als vom Felsen dich

Zu stürzen ins Verbrecherloch

Mit Sokrates

Und deiner schlechten Sache!


Zum Chor.


Und das verdank' ich alles euch, ihr Wolken,

Auf die ich leider all mein Sach' gestellt!

CHORFÜHRERIN.

An allem bist du selber schuld! Warum

Hast du aufs Schlechte deinen Sinn gestellt?

STREPSIADES.

Warum habt ihr mir das nicht gleich gesagt?

Warum mich alten Esel noch gestachelt?

CHORFÜHRERIN.

Das tun wir immer, wenn wir einen sehn,

Der blind dem Trieb zu bösen Werken folgt,

Bis wir ihn endlich ins Verderben stürzen,

Auf daß der Tor die Götter fürchten lerne.

STREPSIADES.

Weh, weh mir! Hart, ihr Wolken, doch gerecht!

Warum versucht' ich meine Gläubiger

Zu prellen um ihr Geld? –


Zu Pheidippides.


Jetzt komm, mein Sohn,

Komm! – Nieder mit dem Chairephon, dem Schurken,

Und Sokrates, die mich und dich betrogen!

PHEIDIPPIDES.

Nein, meinen Lehrern tu' ich nichts zuleide!

STREPSIADES.

Doch! »Fürchte Zeus, den väterlichen Gott!«

PHEIDIPPIDES.

Nun hört mir: ›Zeus!‹ – Altvätrisches Gewäsch!

Ist denn ein Zeus?

STREPSIADES.

Er ist!

PHEIDIPPIDES.

Er kann nicht sein![188]

Der Wirbel herrscht, der hat ihn abgesetzt.

STREPSIADES.

Was? Abgesetzt? – Ich freilich glaubte das,


Auf eine alte verwitterte Vase, die bei dem Hermesbilde steht, zeigend.


Und dieses Ding da, meint' ich, sei der Wirbel,

Ich armer Narr, dies irdene Gefäß!

PHEIDIPPIDES.

Schwatz Unsinn mit dir selbst, verrückter Alter!


Ab.


STREPSIADES.

Verrückt, das war ich, toll genug, die Götter

Dem Sokrates zulieb hinauszuwerfen!


Vor die Hermessäule tretend.


Ach, lieber Hermes, zürne mir nicht drob,

Vernichte mich nicht ganz, vergib mir, daß

Durch das Geschwätz ich mich betören ließ!

O rate mir: Soll ich sie vor Gericht

Belangen? oder wie? Was meinst du sonst?


Legt sein Ohr an den Hermeskopf.


– – Hast recht! Wozu Prozess' anzetteln? Lieber

Steck' ich den Rabulisten überm Kopf

Das Haus an!


Ruft in sein Haus hinein.


Holla! Heda, Xanthias!

Komm 'raus und bring mir Leiter, Axt und Hacke,

Und steig hinauf auf die Studierbutike;

Hau, wenn du deinen Herren liebst, das Dach

Zusammen, daß die Balken sie zerschmettern!


Der Sklave steigt hinauf und fängt an einzureißen.


Und du!


Einem zweiten Sklaven rufend.


Bring mir 'ne Fackel, aber brennend!


Der Sklave tut es.


Wart nur, ich will dir diesmal, du da drinnen,

Und euch, ihr unverschämten Scharlatans!

EIN SCHOLAR im Innern.

Au weh, au weh!

STREPSIADES die Fackel schwingend.

Ha, Fackel, halt dich gut und speie Flammen![189]

SCHOLAR.

Mensch, was beginnst du?

STREPSIADES.

Was ich mach'? Ich löse

Nur dort den Dachstuhl dialektisch auf.

CHAIREPHON im Innern.

Wer steckt das Haus uns überm Kopf in Brand?

STREPSIADES.

Der Mann, dem ihr den Mantel abgenommen.

CHAIREPHON.

Mordbrenner!

STREPSIADES hinaufsteigend.

Ja, das möcht' ich eben werden,

Wenn diese Axt nicht meine Hoffnung täuscht

Und ich nicht 'runterstürz' und brech' den Hals.

SOKRATES von innen.

Was machst du denn da oben auf dem Dach?

STREPSIADES.

»In Lüften schweb' und Helios überseh' ich!«

CHAIREPHON wie oben.

Entsetzlich, weh mir Armen! Ich ersticke!

SOKRATES.

Dämonisches Verhängnis! Ich verbrenne!

STREPSIADES heruntersteigend.

Recht so! Wer hieß euch auch der Götter spotten

Und nach Selenes Heimlichkeiten spähn?


Zu Xanthias, der ebenfalls heruntersteigt.


Schlag zu


Xanthias schlägt nach den herausspringenden Scholaren.


und hau und schmettre drein! Du weißt,

Zehnfach verdienen sie's, die Atheisten!


Die Philosophenklause steht in Flammen.


CHORFÜHRERIN zum Chor.

Nun ziehet hinaus: denn wir haben uns heut gehörig im Reigen geschwungen![190]

Quelle:
Aristophanes: Sämtliche Komödien. Zürich 1952, Band 1, S. 181-191.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Die Wolken
Aristophanes' Wolken: Eine Kom Die, Griechisch Und Deutsch
Aristophanes' Wolken: Eine Kom Die, Griechisch Und Deutsch
Die Wolken. Die Vögel
Die Wolken
Die Wolken - Die Vögel

Buchempfehlung

Anselm von Canterbury

Warum Gott Mensch geworden

Warum Gott Mensch geworden

Anselm vertritt die Satisfaktionslehre, nach der der Tod Jesu ein nötiges Opfer war, um Gottes Ehrverletzung durch den Sündenfall des Menschen zu sühnen. Nur Gott selbst war groß genug, das Opfer den menschlichen Sündenfall überwiegen zu lassen, daher musste Gott Mensch werden und sündenlos sterben.

86 Seiten, 5.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Hochromantik

Große Erzählungen der Hochromantik

Zwischen 1804 und 1815 ist Heidelberg das intellektuelle Zentrum einer Bewegung, die sich von dort aus in der Welt verbreitet. Individuelles Erleben von Idylle und Harmonie, die Innerlichkeit der Seele sind die zentralen Themen der Hochromantik als Gegenbewegung zur von der Antike inspirierten Klassik und der vernunftgetriebenen Aufklärung. Acht der ganz großen Erzählungen der Hochromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe zusammengestellt.

390 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon