Bettina von Arnim

Die blinde Königstochter

[12] Ein König hatte eine sehr schöne, aber blinde Tochter. Er hatte sein Schloß in den vogesischen Gebirgen, die Ruine steht noch, aber den Namen des Königs wie den der Tochter hab ich vergessen. In diese verliebte sich ein Page, eines großen Fürsten Sohn. Da er nun aufgewachsen war, so mußte er zu seinem Vater zurück und mit ihm in den Krieg ziehen. Ehe er Abschied nimmt, gesteht er der jungen Prinzessin seine Liebe. Da er nun schon eine Weile weg war, hörte der König von einem Einsiedler, den man den heiligen Bruder nennt, und welcher schon viele Wunder durch sein Gebet bewirkt hat. Er gedenkt, daß dieser wohl auch seiner geliebten Tochter helfen könne, er ließ also alles zur Reise bereiten und suchte den Einsiedler im Walde auf. Der Einsiedler war in selbiger Nacht im Gebet begriffen, da er einen fernen Lärmen hörte; er weckte seinen Waldbruder auf, und beteten beide fleißig in freier Nacht im Mondenschein. Da aber der Lärm immer näher kam, so versteckten sie sich in die Hütten und beteten fleißig. Nun kam der König mit vielem Gefolg und Lichtern vor die Tür des Einsiedlers. Dieser meint, es sei der Teufel, und wollt ihn nicht einlassen, bis er ihn seine Sünden beichten gehört und ihm den Ablaß erteilt und der König ihm auch versprochen, sich der Welt Freuden zu enthalten. Da er ihm nun sein Anliegen gesagt hatte, so verharrte der heilige Bruder in stetem Gebet, bis der erste Sonnenstrahl hervorbrach. Da legte er der Königstochter die Hände auf das Haupt, und sie ward wieder sehend. Beinah zu gleicher Zeit kam ihr Geliebter wieder aus dem Feld zurück und zog durch den selbigen Wald. Die Prinzessin ging hin, um den Zug zu sehen; sie kannte aber ihren Geliebten,[12] der auf einem schönen weißen Pferd ritt, mit vielen Zeichen des Siegs umgeben, und dem alles zujauchzte, nicht. Da er sie aber sieht, erschreckt ihn die Freude so gewaltig, daß er tot vom Pferd sinkt. Sie ward eine Klosterfrau oder Einsiedlerin.

Quelle:
Märchen der Bettine, Armgart und Gisela von Arnim, Frechen 1965, S. 12-13.
Entstanden:
1808 zur Veröffentlichung in Achim von Arnims »Trösteinsamkeit«, dort aufgrund des frühen Endes der Zeitschrift aber nicht erschienen. Erstdruck in: Achim von Arnim und die ihm nahe standen, herausgegeben von Reinhold Steig, 2. Band: Achim von Arnim und Bettine Brentano, Stuttgart (Cotta) 1913.
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