Dritte Handlung


[504] Die halbzerstörte Marienkirche zu Ragusa.


BETTLER sucht umher.

Was ich im hohlen Stein bewahrt,

Das war doch ganz umsonst gespart

Von den geschenkten Gaben,

Tief unten liegt's begraben,

Der gute Wirt wird ausgelacht[504]

Vom schlechten Wirt, der's durchgebracht,

Wohl denen, die hier starben,

Das Alter muß doch darben;

Wer wird's so ernsthaft nehmen?

Ich müßte mich ja schämen.

Ich pfeif nach meinem Mäuselein,

Und sieh, da stellt sich's wieder ein.

Du gute, alte, treue Maus

Verließest nicht das Gotteshaus,

Ei sieh, der Sperling dort im Neste,

Er bettelt heut für neue Gäste,

Ich will dir füttern deine Brut,

Flieg nur davon, wenn's nötig tut.

Verlaß dich drauf, ich halte Wort,

Ich find doch keinen sichern Ort:

Da, teilt mit mir das letzte Brot,

Es schmeckt doch besser als der Tod.

Und wenn Caboga hier regiert,

Wohl keiner hier sein Brot verliert.


Er naht sich dem Altare.


O Herr, das Haus ist umgestürzt,

Das ich mit dir bewohnte,

Und wo die Heil'ge thronte,

Wo Weihrauch alle Luft gewürzt,

Da dampft die Schwefelquelle,

Entweiht die heil'ge Stelle.

Das Wasser heilig eingeweiht

Entfloß dem Marmorbecken,

Die Toten, in der Erd gereiht,

Die Arme zu dir strecken.

Wer wird hier beten für die Seelen,

Die eingesunken in den Höhlen?

Wer wird sie ehrlich hier begraben?

Das ist zu schwer mir alten Knaben.


Kassuba und Polo springen herein.


KASSUBA.

Ein seltsam Haus ist diese Welt.

Es ist nicht fest gegründet,

Und wenn's dem Himmel nicht gefällt,[505]

So wird es angezündet,

Und was nicht brennt, in Staub zerfällt,

So ist das Ende aller Welt.

POLO.

Der Himmel nach den Teufeln zielt,

Die drunten sich empörten,

Der Mensch steht zwischen und verspielt,

Denn beide ihn zerstörten.

Von unten wird der Grund durchwühlt,

Von oben ihn der Blitz abkühlt.

KASSUBA.

Drum schick dich, Mensch, in deine Zeit,

Und stiehl von allen Seiten,

Hier steckt viel goldne Heiligkeit

Bei vielen Sündlichkeiten.


Ja, hier muß es Beute geben, hier liegen die goldnen Heiligen verschüttet mit den beringten und goldbeketteten Ratsherren. Hier sieht schon ein neuer Rock für mich heraus, ich bin mit dem Schneider zufrieden.

BETTLER. Ihr edlen tugendsamen Leute, wißt ihr denn nicht, daß Caboga diese Nacht Ordnung stiftete, Räuber mit dem Schwert strafen ließ? Darum hütet euch, ihr habt auch ein jeder einen Hals.

KASSUBA. Wenn Caboga lebte, da brauchten wir nicht zu stehlen, da hätten wir Beute im Felde. Allein, das Blatt hat sich gewendet. Die Türken in des toten Herzogs Dienst, sie stürmten durch die eingestürzten Mauern, die Unsern sind geschlagen, und wenn wir nicht so rasche Beine hätten, die langen Feuerröhre der Türken hätten uns auch erreicht.

POLO. Nun wollen wir uns etwas sammeln und ins Gebirge fliehen. Da liegt ein Kerl, der trägt gewaltig schöne Ringe. Zieh ab.

KASSUBA. Er macht die Finger krumm, ich kann sie ihm nicht abziehen.

POLO. Der muß es lange gewohnt gewesen sein, krumme Finger zu machen.

PROCOLI unter den Steinen. Helft, – hebt ab, – ach, mein Kreuz.

POLO. Es muß jeder sein Kreuz tragen. Was gibst du uns, wenn wir dich retten?[506]

PROCOLI. Den Beutel voll Skudi in meiner Tasche.

BETTLER. Das ist der Procoli, ich kenn die Stimme, der lebt noch unterm Felsenstück, indessen der Caboga starb. Hilf doch, Kassuba, ist's gleich ein schlechter Kerl, es ist doch ein Mensch.

KASSUBA. Ist das der böse Procoli, der unsrem toten Caboga Liebchen, Gut und Ehre rauben wollte? Da wäre ich ein schlechter Kerl, nahm ich sein Geld. Drei große Steine roll ich der Katze auf den Rücken, so sinkt er in den Höllenabgrund.

BETTLER. Gott mög es euch verzeihn, ich kann euch nicht ganz Unrecht geben.

PROCOLI. Ach – ach – Caboga, – Gottes Hand, wie schwer!


Sie häufen Steine über ihn.


POLO. Er hat sein Denkmal, nun laß uns auch an unsern Vorteil denken.


Carofilli tritt mit einer Schar bewaffneter Weber ein.


CAROFILLI zum Bettler. Ist alles in der Ordnung? Alles? Kein Raub, kein Mord an der geweihten Stätte?

BETTLER. Sieh zu.

CAROFILLI. Im Namen der Zünfte: Jedem das Seine. Hier liegen große Schätze, viele Heiligtümer.

KASSUBA. Der Schatz ist mein, die Heiligtümer schenk ich dir.

CAROFILLI. Ihr von der Hölle ausgespienen Missetäter wollt reich an unserm Unglück werden. Greift zu und bindet sie.

POLO. Seid vernünftig, gönnt ihr den Türken dieses liebe Gut? Wir wollten es nur retten.

KASSUBA. Ihr wißt wohl nicht, was Christen sind.

CAROFILLI. Ihr schwärmt wie die Wölfe um die Leichen, statt wie die andern Christen mitzufechten.

KASSUBA. Das Fechten nahm ein Ende, als Caboga fiel; bis dahin haben wir, bei Gott, uns brav gehalten.

CAROFILLI. So wißt, es hat sich Großes zugetragen. Caboga war nur leicht verwundet, er richtete sich wieder auf und schlug die eingedrungnen Türken aus der Stadt. Vor ihm allein erzitterte der wilde Haufen, ein Engel mähte vor ihm her die Lanzen nieder. Der Sieger hat auf blut'gem Schlachtfeld, als wir ihm wütend nachgingen, die alten Rechte unsrer Zünfte aufgefrischt, wir schworen[507] ihm die Ordnung zu bewahren. Ergebt ihr euch der neuen Ordnung, so sei Vergangnes euch verziehen!

POLO. Wir denken gar nicht, euch zu widerstreben, vielmehr aus Ehrfurcht gegen den Caboga ward ein Exempel guter Ordnung hier gegeben, der Feind Cabogas, der alte Procoli, bestraft und hingerichtet.

KASSUBA. Caboga lebt, die Türken sind geschlagen? Kaum kann ich's glauben, der ich ihre Übermacht gesehn.

POLO. Ja, wären wir dabei gewesen, wir könnten jubilieren mit den andern, nun kommt ein Neid mir an, ich gönne keinem dieses Glück, und möchte jedem es verkleinern.

CAROFILLI. Habt ihr am Sieg heut keinen Teil, des Sieges Segen, die neue gute Ordnung strahlet über alle, erhebt die Schwachen, die Gebeugten. Hört ihr den Freudenstrom, der brausend über alle Trümmer sich ergießt? Der Geist ist jedem heut erhöht, in fremden Zungen spricht das ganze Volk.


Caboga tritt mit mehreren Männern ein.


CABOGA. Ihr werten Herrn des neuen Rats, verkündet allen, die euch mir gesandt, daß ich so viele Macht, wie ihr mir anvertrauen wollt, in keiner Hand, auch in der meinen nicht, je dulden werde; der Mißbrauch liegt in dem Gebrauch, ein Heil'ger könnte nur die Grenze halten. Jetzt aber, werte Freunde, haltet ab den freud'gen Andrang dieses guten Volks, der öffentliche Dienst verlanget mich nicht mehr, das Menschliche übt seine Rechte, und wer verlor an diesem Tage mehr als ich? Der edlen Freundin blut'ge Leiche will ich hier zum letztenmal begrüßen, in meiner Almen Gruft will ich sie senken, sie reichte mir das Schwert, und ohne sie, wo hätte ich den Keim der Macht gefunden, die unsre Stadt geordnet und den Feind vertrieben?

RATSHERR. Wir ehren Eure Trauer und fühlen ganz mit Euch; wie viel die Stadt der edlen Fremden dankt; ihr Tod ist einzige Trauer dieses Tages.


Die Ratsherrn, Carofilli mit den Seinen, Kassuba und Polo sehen ab.


CABOGA. Ach, nicht der einzige Verlust ist mir Corneliens Tod an sie zu denken hebet meine Seele; doch wilder Schmerz verwirret meine Sinne, wenn ich in selbstgeschaffner Qual der Leiden[508] mich ersinne, in denen die Geliebte unter Trümmern, unter Flammen, umsonst mit allen Kräften gegenringend, ach, mein wohl nicht gedenkend, auf immer von der öden Erde schied.


Die Leiche Corneliens wird mit Schwert und Lorbeerkranz geschmückt von Mönchen mit einem leisen Kirchengesange zu der noch stehenden Seite der Kirche hingetragen.


CABOGA. Sie können ruhig singen, wo mir's die Kehle zuschnürt, das Herz abstößt. Zum Bettler. He, Alter, warst du es nicht, der mir mein Schicksal in dem Lied verkündet, das du mir geschenkt?

BETTLER. Ich gab Euch, Herr, ein Lied, doch weiß ich nicht, was drinnen stand, ich griff's heraus aus vielen.

CABOGA. So wunderbarer ist die Hand, die es herausgegriffen. Hör, Alter, zu dir ergreift mich eine seltne Zuversicht, du hast ein lahmes Bein, und doch mußt du mich stützen. Ich habe alle Lieben heut verloren, die meinem Herzen nah, ich muß dich an mich drücken, daß ich ein menschlich Wesen mir befreundet fühle. Sieh nur, da tragen sie die treue Freundin hin, das Blut ist abgewischt, doch nicht der Tod von ihren Lippen. Ist etwas Gutes mir im Geiste aufgegangen, die edlen Lippen haben es gesät, hat heut mein Schwert für diese Stadt ein tüchtig Werk vollbracht, sie brachte mir das Schwert, als noch die Erde bebte, ein Engel schien sie meinen Leuten, der mir den Weg des Glücks bezeichnete, sie ist ein Engel jetzt, und ich bin ganz verlassen.

BETTLER. Herr, Herr, Ihr ehret mich zu hoch mit dem Vertrauen, ich sinne mich zu Tode, was ich Euch dafür geben soll. Da fällt mir ein, daß Ihr mit solcher Heftigkeit ein Jungfräulein hier angesprochen habt, vielleicht weiß ich von der Euch zu erzählen.

CABOGA. Was weißt du? sprich, es war Marina, die Nächste meinem Herzen, – sie ist nicht mehr, sie ist verbrannt mit ihrem Hause, und diese Flamme möchte ich beneiden, und diese Asche will ich trinken in dem Wein.

BETTLER. Verbrannt? Ihr irret, Herr! Sie kam mit Procoli hieher geflüchtet im ersten Augenblicke der Gefahr, sie war die einzige Jungfrau in der Menge, dort stand sie unter dem gewölbten Grabmal des heil'gen Bischofs, der die Kirche hat erbaut, als mich der Sturz des Turms betäubte. Und als ich auferwacht, da lebte ich,[509] der ganz unnütze Alte, ganz allein, und all die schöne Jugend lag verschüttet.

CABOGA. O, du bist mir zum Heil errettet, du bist der Dank, den mir der Himmel gab für mein Bemühn um diese Stadt. Ich weiß, wo der geliebte Leib zu finden, du schenkest ihm ein Grab in meinem Herzen, und meiner Seele schenkest du den Frieden. Die Mönche gehen in feierlicher Ordnung und Stille von Corneliens Leiche fort und zur Kirche hinaus. So sind vereint die beiden Lieben, und näher will ich sie einander bringen, daß ich von jeder eine Hand kann fassen, so will ich ruhn; hier, sagst du, stand das Grabmal? Er arbeitet an den Steinen.

BETTLER. Es reichen eines Menschen Kräfte nicht, die schweren Steine abzuwälzen, und ich bin lahm und schwach, ich will Euch aus der Menge vor der Kirchtür starke Männer wählen.

CABOGA. Still, nein, denn das verbiet ich dir; kein andrer soll dies liebe Werk vollenden, aus meinen Schmerzen steigt mir Kraft, ich will allein die Liebliche erblicken.

BETTLER. Ich staune über Eure Kraft und Eile, zerstört Euch nicht, ich fleh Euch an, schont Euch für unsre Stadt. Er hilft ihm. Seht da, ein weiblich Kleid!

CABOGA. Ein weiblich Kleid, ihr Heiligen, ihr Kleid, wie werd ich sie erblicken? Noch einen Augenblick möcht ich zu leben haben.

BETTLER. Faßt Hoffnung, Herr, sie kann nicht ganz zerschmettert sein, der kleine Bogen an dem Grabmal hat sich noch gehalten.

CABOGA. Die Steine rollen wie von selbst herab, die sie verschließen! Gott, Gott, – da liegt sie still und bleich, – doch unversehrt. Marina! O, könnt ich meine Seele dir einhauchen, o nimm mich fort in deine Ruhe. Marina! O Sehnsucht, fülle nicht mein Herz mit Lüge, ich will nicht töricht mich mit Hoffnung täuschen; die Steine rollen unter ihr, nein, du bewegst dich nicht, Marina, der Zugwind spielt mit deinen Augenlidern, du hast sie nicht bewegt, und du erbebest nur im Widerhall von meinem Herzen.

BETTLER. Glaubt Eurem Glück, sie reget sich, sie schlägt die Augen auf.

MARINA schwach. Im Grabe Hingt des Treuen Stimme noch, –[510] dem Himmel Dank, der mir das reine Leben nahm, – und dich zu mir in selige Nähe führte.

CABOGA. Du atmest, und du sprichst, du hebst dich unversehrt aus Schreckenstiefe.

MARINA. Erfüllet ist die himmlische Verheißung, wir sind erstanden zu dem Tage des Gerichts.

BETTLER. Wie schön wird einst der Jüngste Tag der Welt erscheinen, das lehrt uns allen Schmerz der Welt ertragen.

CABOGA. Ich bin so selig wie im ewigen Leben.

MARINA. Was höre ich, es schallen noch die Glocken der Sankt Markus-Kirche? Sag mir, Geliebter, ist es noch das vor'ge Leben, die Erdenwelt, die uns umgibt?

CABOGA. Die Erden weit verklärt in himmlischer Liebe.

MARINA. So sei mir lieb nur deinetwegen diese Welt der Schrecken und Vernichtung. Doch sprich, Caboga: wird irdische Gewalt mich wieder dir entreißen?

CABOGA. Der Vorzeit ernste Strenge trennt uns nicht mehr, die Feinde unsrer Liebe können uns nicht schaden, – das ganze Land, dem ich die Freiheit gab, wird dich als meine Herrscherin verehren.

MARINA. So mußten alles Unglück wir bestehn zur Wonne dieser Stunde, – und du bist mein, und ich bin dein, es ist mein einziger Gedanke, und wie auf Wolken schweb ich selig dir im Arm, und deine Augen sind mir Himmelssterne.

CABOGA. Wir sind zu selig, wir zwei beide. Eröffne das verschloßne Tor, mein alter Freund, daß meine Treuen, daß die geliebte Stadt mein Glück mit Jubel preise, wie sie mein Unglück schonend hat geehrt.

BETTLER öffnet das Kirchentor. Nun tretet ein, ihr Bürger, Caboga rufet euch, er kann mit euch sich wieder freuen.


Es gehen Mitrovich, Carofilli, Hitrov, die netten Ratsherren, die bewaffneten Scharen in stiller

Ordnung ein.


MITROVICH. Caboga, sage an, was ist geschehn, ich hatte mich bisher vor dir versteckt, um nicht mit dir zu trauern. Er sieht Marina. Sie lebt, Marina lebt. O, nun begreif ich, daß du dich mit uns kannst freun.

CABOGA. Ihr schaut des Himmels Gnade hier in diesem Angesicht,[511] vernehmt mein ganz Geschick. Cornelia, die edle Flamme, die mir der Ehre Bahn bezeichnete, erlosch im letzten Sturm des Feinds. Ihr Denkmal ist der Schmerz in eurer Brust, die sich des Danks nicht mehr entlasten kann; was sie für mich getan, geschah für euch! Den tiefsten Schmerz, der mir allein nur eigen, verschwieg ich euch. Ich trauerte zugleich um diese Braut, die von der Erde durch Feuersflammen mir entrissen schien. Sie ist erstanden; dies heil'ge Grab hat sie für mich bewahrt, – so wunderbar ist Himmelsgnade!

MARINA. Ja, wunderbar und gütig ist der Herr, und alles Heil'ge wirkt in seiner Kraft. Dem Herrn zu danken ist die einz'ge Sehnsucht, nachdem ich dich gefunden, nachdem du mir verbunden.

CABOGA führt sie zu Corneliens Leiche. Hier ist sein Altar. Bei diesem festen Herzen bete, hier sage Dank mit deinen reinen Lippen für alles Herrliche, was dieses Leben, neu gewonnen, uns verspricht. Mich hat ein himmlischer Gedanke neuer Tätigkeit ergriffen. Ihr Männer, steht mir bei.

MITROVICH. Bereit ist jedes Schwert, dein Wort gibt Kraft den Müden.

CABOGA. Der Kraft bedarf ich, nicht des Schwerts, zur Arbeit geht es aus dem Kampfe. Wie viele edle Bürger unsrer Stadt, die hier versammelt waren, kann dieser Schutt bedecken, wo ich Marina unverletzt gefunden; und retten wir auch keinen, so ist's doch unsre Treue, die sich dadurch bewährt.

VIELE. Wir sind bereit, wir folgen dir, wir finden sicher von den Unsern auch am Leben, die Schwachen können wir erfrischen, und die Beschädigten noch heilen.

CABOGA. Ja, schwört, nicht eher von der Arbeit abzulassen, ich teil euch ein zur Arbeit und zur Ruhe, so lange noch ein Bürger lebend oder tot hier unter Trümmern kann geahndet werden. Der Seinen Schicksal soll ein jedes Haus erfahren, mit treuem Arm die Lebenden erwecken, die Toten in geweihte Erde legen.

MITROVICH. Ich schwör in aller Namen, doch laßt uns lieber jeden andern Ort zuerst durchwühlen als diesen, wo Eure Feinde, die Feinde unsrer Freiheit sind verschüttet.

CABOGA. Sie können mir, sie können euch nicht schaden, die alte Zeit ist ausgetilgt im Schrecken, durch unsren Sieg ist eine neue Welt und Stadt geschaffen, ein anderes Gesetz ist neu begründet,[512] wir sind von Gottes Gnaden freie Männer, doch denkt daran, daß diese auch zu ihrer Zeit durch Gottes Gnade uns beherrschten, für uns gedacht, für uns gehandelt haben, daß wir von ihnen vieles lernen und erfahren können, was unsrer Stadt kann frommen, denn viele Heimlichkeit bewahrten sie vor uns. Und war das nichts, – sie sind die Nächsten hier, dem Nächsten reichen wir die Hand. – Zur Arbeit frisch, als wär's ein Ehrenkampf.

ALLE. Zur Arbeit frisch.

EINER.

»Ragusa«, rufet der Schiffer in See,

»Gern werf ich die Anker auf deiner Höh:

Wo find ich dich, Hohe, dies ist wohl der Strand,

Doch fort sind die Werke von Menschenhand,

Zum Himmel erhebt sich kein Schloß und kein Turm,

Es wankten die Sterne, ich irrte im Sturm.«

VIELE.

Was klagest du, Tor, erhebst ein Geschrei,

Mit dem Himmel zu zanken,

Daß er dich sicher führte vorbei,

Wo Felsen noch wanken?

EINER.

»Ragusa«, rufet der Schiffer im Sturm,

»Du Stolze, hier standst du mit Schloß und mit Turm,

Die Schollen der Erde verschlangen dich schnell,

Viel sicherer trägt mich die Meereswell.

Ich stehe hier fester im hölzernen Haus,

Auf schwankendem Schiffe in Sturmes Graus.«

ALLE.

Die Erde erbebte, Ragusa wird frei,

Und dem Himmel ergeben,

In ihrem tiefsten Jammergeschrei,

Erwachet das Leben.

EINER.

»Bleib, Schiffer«, rufet der wimmelnde Strand,

»Ragusas Erde schlug Gottes Hand.

Er stürzte den Palast, die Hütte stand,

Dem Todesgefangnen sprang Kerkerswand,

Die Erde gebar in Schrecken das Heil,

Die Freiheit wurde uns allen zu Teil.«

ALLE.

Die Erde wird fest, die Erde wird frei,[513]

Laßt den Himmel durchbeben

Von unserm ersten Jubelgeschrei,

Caboga soll leben.

EINER.

Caboga allein, er rufet nicht mit,

Beim Jubel der Freiheit, die er uns erstritt,

Er suchet und sammelt sein einziges Gut,

Die Asche Marinas, Corneliens Blut,

Da steiget Marina aus Trümmern zum Thron,

Begrüßet ihn bräutlich wie himmlischer Lohn.

CABOGA.

Die Erde steht fest, die Erde ist frei,

Laßt dem Himmel uns danken

Mit unserm ersten Jubelgeschrei,

Mit unserm letzten Gedanken.[514]

Fußnoten

1 Dies Kommandantengreifen ist historisch. S. Alten und neuen Staat des Königreichs Dalmatien. Nürnberg 1718, S. 229.


Quelle:
Achim von Arnim: Sämtliche Romane und Erzählungen. Bde. 1–3, Band 3, München 1962–1965.
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